Die Spitze des Wäschebergs - Richard Pink - E-Book

Die Spitze des Wäschebergs E-Book

Richard Pink

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Beschreibung

10 inspirierende Geschichten aus dem Leben mit ADHS

Alle Betroffenen kennen sie nur zu gut, die wenig ruhmreichen Anekdoten aus einem Erwachsenenleben mit ADHS:

• 4 Geldbörsen innerhalb eines Jahres verlieren? Super schmerzhaft!

• Ungeduscht und mit schmutzigen Klamotten in die Arbeit? Unangenehm!

• Der Besuch des Gerichtsvollziehers und die Sperrung der SIM-Karte, weil man wieder und wieder vergisst, die Rechnungen zu zahlen? Unverzeihlich und teuer!

Doch mit dem Chaos und den Selbstvorwürfen ist jetzt Schluss. Richard Pink und Roxanne Emery zeigen, wie man trotz ADHS ein großartiges Leben führen und die Stärken und Schwächen dieser besonderen Veranlagung richtig nutzen kann. Egal ob allein, als Paar, in der Familie oder im Freundeskreis.

Eine inspirierende Real-Life-Geschichte aus zwei Perspektiven. Unzählige Ideen, die den Alltag für neurodiverse Menschen und ihr Umfeld leichter machen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 179

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Buch

Alle Betroffenen kennen sie nur zu gut, die wenig ruhmreichen Anekdoten aus einem Erwachsenenleben mit ADHS. Egal, ob es um verlegte Geldbörsen, offene Rechnungen oder die eigene Pünktlichkeit geht.

Doch mit dem Chaos und den Selbstvorwürfen ist jetzt Schluss. Richard Pink und Roxanne Emery zeigen, wie man trotz ADHS ein großartiges Leben führen und die Stärken und Schwächen dieser besonderen Veranlagung richtig nutzen kann. Egal ob allein, als Paar, in der Familie oder im Freundeskreis.

Autor*innen

Roxanne Emery ist eine mit Platin ausgezeichnete Songwriterin, die in den vergangenen Jahren drei britische Top-10-Hits geschrieben hat. Sie ist auch als Künstlerin tätig, veröffentlicht ihre eigene Musik und tourt unter dem Namen RØRY durch Großbritannien und die Welt. Im Jahr 2021 wurde bei »Rox« ADHS diagnostiziert – für sie eine lebensverändernde Diagnose, die sie gemeinsam mit ihrem Mann auf ihrem Social-Media-Kanal @ADHD_Love verarbeitet.

Richard Pink ist Mitbegründer des Social-Media-Phänomens @ADHD_Love, wo er mit über 200 Millionen Aufrufen weltweit das Bewusstsein für ADHS im Erwachsenenalter schärft. Über seine Plattformen @1_in_six macht er auch auf die Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kindheit aufmerksam. Er hat 20 Jahre lang als Führungskraft in einer der größten Banken des Vereinigten Königreichs gearbeitet und ist heute als Content-Creator tätig.

Richard Pink, Roxanne Emery

80 Strategien für die größten Herausforderungen im Leben mit ADHS

Aus dem Englischen von Johanna Wais

Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Dirty Laundry bei Square Peg, einem Imprint von Vintage/Penguin Random House UK.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von den Autor*innen und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autor*innen beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe Januar 2025

Copyright © 2023 der Originalausgabe: Pink Media Limited

Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: Duet Postscriptum / stocksy

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

JS ∙ CF

ISBN 978-3-641-32590-9V002

www.goldmann-verlag.de

Inhalt

@ADHD_LOVE: Wie alles begann

Einleitung: Warum weinen die bloß alle?

Darf ich vorstellen? Meine Frau mit ADHS

Wie man dieses Buch liest

Symptom Nummer Eins: Wichtige Dinge verlieren

Symptom Nummer Zwei: Zeitblindheit

Symptom Nummer Drei: Hyperfokus

Symptom Nummer Vier: Nicht ganz sauber

Symptom Nummer Fünf: Ordnung halten? Schwierig

Symptom Nummer Sechs: Finanzielles Chaos

Symptom Nummer Sieben: Prokrastination

Symptom Nummer Acht: Probleme mit der »Objektkonstanz«

Symptom Nummer Neun: Orientierungssinn? Fehlanzeige

Symptom Nummer Zehn: Impulsivität

ADHS und die Liebe

Das Gute an ADHS

Das ADHS-Wörterbuch

@ADHD_LOVE: Wie alles begann

Hi, schön, dich kennenzulernen. Ich bin Rich. Meine Frau Rox und ich stecken hinter den Social-Media-Accounts mit dem Namen ADHD_LOVE. Im vergangenen Jahr wurden unsere Videos über 200 Millionen Mal angeschaut und wir haben eine Community von Menschen aufgebaut, die erfahren wollen, wie das echte Leben mit ADHS ist. Ich würde dir gern erzählen, wie alles anfing …

Eines Abends drehte ich mich im Bett zu meiner Partnerin um und fragte sie, ob sie daran gedacht hat, einen Tampon zu benutzen. Das klingt wahrscheinlich sehr merkwürdig. Ich kann dich förmlich denken hören: Hat der Typ sie noch alle?! Das ist echt schräg und ein bisschen kontrollsüchtig – also, für mich hätte er damit definitiv eine rote Linie überschritten. Äh, ja.

Normalerweise würde ich das genauso sehen. Aber wenn man mit einer Frau verheiratet ist, die ADHS hat, stellt man solche Fragen eben.

Meine Frau vergisst, dass sie einen Zyklus hat. Obwohl sie seit beinahe zwei Jahrzehnten Monat für Monat daran erinnert wird, ist jede Periode für sie in gewisser Weise die erste. »Oh, krass Babe«, sagt sie jedes Mal zu mir. »Ich habe meine Periode.« Und dann sieht sie mich schockiert an, als könne sie es kaum glauben.

Ein paar Jahre vor dieser Episode hatten wir die Hälfte der schwierigsten Route von Go Ape geschafft, einem sehr hoch gelegenen Outdoor-Kletterpark, als sie ihre monatliche Entdeckung machte. Man kann dort nicht herunterklettern und erst recht nicht mal eben schnell in die Drogerie huschen. Man kann nur das Beste aus seiner Lage machen – in diesem Fall aus der unerwarteten Feststellung meiner Frau, dass ihre Monatsblutung begonnen hatte.

Ich durchwühle also meine Taschen und finde glücklicherweise eine Packung Taschentücher. »Kannst du damit etwas anfangen?«, frage ich und gebe sie ihr.

»Klar«, sagt sie voller Zuversicht. »Ich mache einfach einen Selbstgedrehten.«

Bevor ich meine Frau kennenlernte, hatte ich noch nie von dieser Art von Selbstgedrehten gehört. Die folgende Erklärung steht so sicher nicht im Duden, du musst mir also einfach glauben …

Selbstgedrehte, m. Substantiv: Ein selbstgerollter Tampon, häufig aus Toilettenpapier, der von neurodivergenten Menschen verwendet wird, die das Haus ohne Hygieneartikel verlassen haben.

Meine ADHS-Frau dreht sich diese improvisierten Tampons seit Jahren. In einem Kletterparcours im ländlichen Kent, östlich von London, auf dreißig Meter Höhe sah ich also zu, wie sie eine außergewöhnlich geschickte und mutige Leistung vollbrachte – die mir jedoch etwas unnötig erschien.

Seit diesem Vorfall habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, jeden Monat rechtzeitig bei meiner Frau nachzuhaken, sie wie eine freundliche, bärtige Zyklusapp darauf hinzuweisen, dass ihre Periode bevorsteht, und dafür zu sorgen, dass sie zertifizierte Hygieneprodukte anstelle der DIY-Versionen verwendet.

Zurück zu dem Abend vom Beginn der Geschichte. Nachdem ich meine Frau gefragt hatte, ob sie aktuell ein Tampon benutze, drehte sie sich verschlafen zu mir um und antwortete: »Ja.« Mittlerweile kannst du vermutlich nachvollziehen, dass ich es nicht dabei belassen konnte.

»Nur zur Sicherheit: Ist es ein echter Tampon?«

»Echter Tampon«, antwortete sie und ein kleines, stolzes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

Nachdem das geklärt war, dämmerten wir gerade wieder friedlich ein, als sie plötzlich »BABE!« rief und sich kerzengerade im Bett aufsetzte. »Aus dieser Unterhaltung könnten wir ein großartiges TikTok-Video machen.«

Es war fünf vor zwölf. Aber selbst im Halbschlaf konnte ich sehen, dass diese Szene ziemlich witzig wirken würde. »Tolle Idee, Süße«, sagte ich. »Lass uns schlafen und uns morgen einen Account machen.«

Schon als die Worte meinen Mund verließen, war mir klar, dass es aussichtslos war. Meine Frau hatte nämlich das Funkeln in den Augen. Ein Funkeln, das mich schon dazu gebracht hat, um zwei Uhr nachts das Wohnzimmer umzustellen, eine Pizza zu bestellen, obwohl wir auf Diät waren, und die nötige Ausrüstung für eine Kunstharz-Businessidee zu kaufen. Das Funkeln bedeutet: »Schlafen? Vergiss es. Wir machen das jetzt.«

Ich habe gelernt, bestimmte Aspekte der ADHS meiner Frau zu bekämpfen. Beispielsweise weigere ich mich, eine »Boderobe« (einen chaotischen Haufen achtlos hingeworfener Kleidung) im Schlafzimmer zu akzeptieren; ich ermuntere sie, mehr als einmal pro Woche zu duschen, und wegen der Schulden, mit denen sie sich in den vergangenen Jahren beinahe in den Bankrott getrieben hat, bin ich mittlerweile zuständig für all unsere Kreditkarten. Aber das Funkeln? Keine Chance. In diesem Augenblick ist sie Mohammed Ali. Unaufhaltsam. Unschlagbar.

Schicksalsergeben setzte ich mich ebenfalls auf.

Eine Viertelstunde Brainstorming in ADHS-Hochgeschwindigkeit später hatten wir unseren ADHD_Love-TikTok-Account geschaffen und unser erstes Video, »REALTAMPON«, war live. Erschöpft kuschelten wir uns wieder ins Bett … Und hatten keine Ahnung, dass wir gerade etwas getan hatten, das unser Leben verändern würde. Dass dieses Video über die selbstgedrehten Tampons meiner Frau viral gehen würde, wir noch viel mehr ADHS-Content produzieren und eine Community mit Millionen Menschen aufbauen würden.

Und dass diese Entscheidung am Ende dazu führen würde, dass du jetzt dieses Buch in den Händen hältst.

Auf ADHS. Und auf das Funkeln in den Augen meiner Frau.

Einleitung: Warum weinen die bloß alle?

Eines der verrücktesten Dinge, das uns beiden im letzten Jahr passiert ist: Menschen, die unsere Social-Media-Accounts kennen, sprechen uns auf der Straße an. Das ist immer eine wunderbare Erinnerung daran, dass wir mit dem, was wir machen, echte Menschen erreichen. Etwas an diesen Begegnungen schockiert mich jedoch: Die meisten dieser Menschen fangen an zu weinen.

Es kommt mir merkwürdig vor, weil ich und viele andere unseren Content als Comedy bezeichnen würden. Er soll lustig sein. Ich will damit nicht behaupten, Rox oder ich wären der nächste Ricky Gervais (wobei, wenn man Rox vor dem Zubettgehen im Pyjama tanzen gesehen hat, könnte man meinen, sie ist nah dran), aber alles in allem spielen wir heitere Momente aus unserem Leben nach. Warum also weinen die Menschen?

Nach einer solchen Situation mit einer jungen Frau in Canterbury fragte ich Rox flüsternd: »Babe … Warum hat sie geweint? Habe ich etwas Falsches gesagt?«

Eine Sache, die ich gelernt habe: Neurodivergente Menschen sind unglaublich sensibel. Ich meine das nicht so, wie es oft in unserer Gesellschaft betrachtet wird – als etwas Negatives, etwas, das zu viel ist –, sondern ganz und gar positiv. Die neurodivergenten Menschen, die ich kenne, nehmen sich selbst und ihr Umfeld besonders intensiv wahr. Bricht so jemand in Tränen aus, frage ich mich daher ehrlich, was ich falsch gemacht habe.

Meine ADHS-Frau wusste natürlich ganz genau, warum bei dieser jungen Frau – und den anderen Betroffenen, denen wir begegnet waren –, die Tränen geflossen waren. Es wirkt auf mich beinahe so, als würden sie dieselbe Sprache sprechen, als würden sie einen ungeschriebenen Dialog des gegenseitigen Verständnisses führen – ironischerweise das Ergebnis lebenslangen Missverstandenwerdens. Sie wusste, warum sie weinten, weil sie eine von ihnen ist.

Und nun möchte ich dir Rox vorstellen, meine ADHS-Frau.

Darf ich vorstellen? Meine Frau mit ADHS

Hi, ich bin Rox, alias die ADHS-Frau! Ich freue mich riesig, dass ich dir etwas erzählen darf. Als Erstes möchte ich dich daran erinnern, die Wäsche aus dem Trockner zu holen, und dann mache ich da weiter, wo Rich aufgehört hat, und erkläre dir, warum die Menschen, die wir treffen, zu weinen anfangen.

Es ist Scham. Dieselbe Scham, die ich mein Leben lang verspürt habe, bis ich mit 36 meine ADHS-Diagnose bekam und kurz darauf Teil einer unglaublichen Online-Community von Menschen wurde, die genauso ticken wie ich. Ich weiß noch, wie ich mir das erste Mal, bevor ich wusste, dass ich selbst betroffen bin, ein Video über ADHS-Symptome auf TikTok angesehen habe. Ich brach in Tränen aus. Zum ersten Mal in meinem Leben teilte jemand meine inneren Monologe, meine seltsamen und ziemlich absurden Schwierigkeiten. Ich erinnere mich, wie ich dachte: Oh Gott, ich bin nicht die Einzige.

Dadurch, dass ich mit nicht diagnostizierter ADHS aufgewachsen war, hatte ich jahrelang das Gefühl, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich fühlte mich zerrissen zwischen dem Wunsch, mein Potenzial als »begabtes Kind« zu erfüllen, und meiner privaten Scham ob der Tatsache, dass ich weder mein Bett noch meine Wäsche machen noch mich angemessen um meine Finanzen kümmern konnte. Sammelt sich dieses »Ich-bin-ein-Versager-Gefühl« über Jahre an, hat man am Ende einen Menschen mit einem quasi nicht existenten Selbstwertgefühl. Man ist verzweifelt, weil man das Leben einfach nicht in den Griff bekommt, sosehr man es auch versucht. Man fühlt sich von der Familie verurteilt; man ist das schwarze Schaf. Diejenige, die nichts durchzieht, diejenige, die immer zu spät kommt, die, die es nie gebacken kriegt … Man wird zu einer Person, die sich für sich selbst schämt. Kannst du dir vorstellen, wie Menschen leben, die sich für sich selbst schämen? – Kleiner Tipp: gefährlich. Alkohol, Drogen, Sex, Shopping. Alles, um den Schmerz zu vermeiden, man selbst zu sein. Natürlich bringen diese Dinge nur vorübergehende Linderung und führen langfristig zu noch größerer Verzweiflung.

Ich kann heute nur deshalb von den unbeschwerten Momenten erzählen, weil ich es irgendwie durch die ganz dunklen geschafft habe. Diese werde ich nie im Internet teilen, denn ich kämpfte damals wirklich um mein Leben. Ich erinnere mich, dass ich in meiner stockfinsteren Wohnung saß, nachdem mir der Strom wegen verspäteter Zahlungen abgestellt worden war, umgeben von leeren Flaschen – Alkohol war mein Mittel gegen die Ängste –, und nur wollte, dass der Schmerz aufhörte.

Dass ich jetzt Content kreieren und Menschen erreichen kann, die vielleicht genauso zu kämpfen haben wie ich damals, ist ein absolutes Privileg. Ich hatte das große Glück, dass ich eine Therapie machen konnte, dass ich einen Entzug geschafft habe und den besten Partner habe, den ich mir vorstellen kann. Aber um auf Richs Punkt zurückzukommen: Es überrascht mich nicht, dass Menschen, denen es so geht wie mir, anfangen zu weinen, wenn wir uns treffen. Ich kenne die schwarzen Nächte, die Menschen mit einer ADHS-Diagnose – häufig allein – überstehen müssen. Ich kenne die Scham, die das Leben als nicht diagnostizierte Person mit ADHS begleitet, und ich kenne die unglaubliche Erleichterung, wenn man ein 30-sekündiges TikTok-Video sieht und zum ersten Mal seit dreißig Jahren frei atmen kann: Oh Gott, ich bin nicht die Einzige.

Wie man dieses Buch liest

In diesem Buch geht es um zehn Symptome. Quasi die Top-Ten-Ergebnisse, wenn man »ADHS« googelt – Vergesslichkeit, Impulsivität, Probleme mit Geld und so weiter.

Doch wenn man die Symptome liest, ob auf einer öffentlichen Informationsseite im Internet oder in einem Meme, bekommt man kein Gesamtbild des Lebens mit ADHS. Ein-Wort-Listen mit Symptomen sind ziemlich ungenau und können die typische Reaktion »Ach, das hat doch jeder mal« hervorrufen. Ja, wir alle sind ab und zu ein wenig vergesslich. Aber haben auch alle von uns schon einmal acht iPhone-Kopfhörer in einem HALBENJAHR verloren?

Wir wollen die Symptome um echte, ungeschönte persönliche Geschichten ergänzen – schonungslos, mit DIY-Tampons und allem, was sonst noch dazu gehört. Du wirst von einigen meiner größten Herausforderungen erfahren und davon, wie es mir gelungen ist, meine ADHS nicht nur in den Griff zu bekommen, sondern mit meinem Partner ein Leben voller Wärme, Sicherheit, Mitgefühl und oft unglaublich viel Gelächter aufzubauen. Dasselbe wünschen wir dir.

An dieser Stelle eine Klarstellung: Natürlich sind alle Menschen mit ADHS unterschiedlich. Meine Symptome können andere sein als deine. Ich möchte deine nicht abwerten, indem ich von meinen erzähle. Wir schreiben unsere Geschichten auf in der Hoffnung, dass sich dadurch die Scham, die das Leben mit ADHS auslöst, etwas verringert, und um Menschen mit ADHS und ihren Partner*innen einen Wegweiser für ein glücklicheres Leben mit einer starken Verbindung zu geben.

Zu jedem Symptom erzähle ich eine Anekdote – viele davon stammen aus den dunkleren Tagen, bevor ich meine Diagnose bekam – und berichte, wie Rich und ich heute damit umgehen. Immer wieder werden wir auf unsere beiden wichtigsten Hilfsmittel zurückkommen: Wertfreiheit und Mitgefühl.

Die Macht dieser beiden Werkzeuge ist unbestreitbar. Beispielsweise habe ich mich mein Leben lang dafür gequält, dass ich nicht in der Lage war, mein Bett zu machen. Ich habe mich deswegen übel beschimpft, als dumm, nutzlos, Totalversagerin, eine Schande, absolut peinlich. Auch von anderen wurde ich heftig verurteilt. »Komm schon … Das Bett zu machen ist doch nicht schwer. Hör auf, dich wichtig zu machen, und gib einfach zu, dass du faul bist.« Überraschung: sich selbst herunterzumachen oder zuzulassen, dass andere es tun, verbessert gar nichts. Durch Verurteilung – sei es die eigene oder die anderer – gelingt einem nichts besser. Erst als Rich mir beibrachte, wie man das Bett richtig macht, und die ersten Male neben mir stand, sodass ich es von ihm abschauen konnte, lernte ich, es allmählich auch allein hinzubekommen. Er lachte mich nie dafür aus, dass ich mit über dreißig keine Ahnung hatte, wie man diese Aufgabe, die ihm unheimlich einfach vorkam, erledigte, und er stellte nie infrage, dass sie mir wirklich schwerfiel. Er hörte mir zu und dann half er mir. Ich werde mich jetzt nicht bei einem Fünf-Sterne-Hotel bewerben, aber meistens gelingt es mir, das Bett zu machen, und das fühlt sich super an. Mitgefühl und Wertfreiheit unterstützen positive Veränderungen, wie Scham und Verurteilung es nie könnten.

Auch Rich wird von seinen tatsächlichen Erfahrungen mit meinen Symptomen berichten. Er wird von seinen Schwierigkeiten mit einigen meiner Verhaltensweisen vor der Diagnose erzählen, und wie er jetzt, da er weiß, dass ich ADHS habe, damit umgeht. Ich sollte dazu sagen, dass er sehr viel recherchiert und daran gearbeitet hat, wie er mich als neurodivergente Partnerin am besten unterstützen kann. Meine Hoffnung ist, dass jeder neurodivergente Mensch eine Person hat, die sich auf diese Weise um ihn sorgt. Ich kann nicht genug betonen, wie sehr diese Liebe daran beteiligt war, die tiefen Wunden zu heilen, die ein Leben als vermeintliche Totalversagerin hinterlassen hat.

Ob du in einer Beziehung oder Freundschaft mit einer ADHS-Person bist oder du ein Kind mit ADHS hast – wir hoffen, dass du nicht nur lernst, wie du diesem Menschen zur Seite stehen kannst, sondern auch, dass du siehst, wie wichtig du bist: deine Erfahrungen, deine Gefühle, deine Schwierigkeiten. Dies hier ist nicht nur ein Buch darüber, wie man eine ADHS-Person unterstützt, sondern auch darüber, was es bedeutet, einen solchen Menschen zu lieben, im Guten wie im Schlechten. Und ein Buch über die Werkzeuge, die wir alle nutzen können, um ein gesundes, glückliches Zuhause für alle Menschen mit ADHS zu schaffen.

Ob du dieses Buch nun mit Hyperfokus in den nächsten zwei Stunden durchliest oder es auf dem Stapel mit ungelesenen Büchern landet und du 2034 beim Packen für einen Umzug endlich dazu kommst, es kurz zu überfliegen – wir hoffen, diese Seiten bringen dir etwas. Wir hoffen, dass du dich weniger allein fühlst. Und wir danken dir aus ganzem Herzen, dass du hier bist.

Rox und Rich

Symptom Nummer Eins: Wichtige Dinge verlieren

AKA: »Babe, hast du mein Portemonnaie gesehen?«

Geschrieben von Rox

Im Laufe meines Lebens habe ich so viele Dinge verloren. Alle Klassiker: dreizehn Handys, achtzehn Portemonnaies, zwei Pässe. Letzteres zog nicht nur einen verpassten Urlaub nach sich, sondern auch eine schriftliche Mahnung von Ihrer Majestät der Königin persönlich. Britische Pässe gehören dem Königshaus. Wer hätte das gedacht? Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich vor den verschiedenen Häusern stand, in denen ich gelebt habe, mich selbst ausgesperrt hatte, mit meinem Akku bei zwei Prozent den Schlüsseldienst anrufen musste und mich fragte, ob noch genug Geld auf der bis zum Anschlag ausgereizten Kreditkarte war, um wieder hineinzukommen. Eines Abends reichte es nicht, also schlief ich auf der Treppe vor dem Haus.

Was in meinem Körper geschah, wenn mir klarwurde, dass ich etwas Wichtiges verloren hatte, war ein mächtiger Cocktail aus Stress und Scham. Mein Magen fühlte sich an, als würde er sich umstülpen, mein Gesicht brannte und ich spürte, wie ich rot wurde. Ich hatte einen Kloß im Hals und musste meine Tränen zurückhalten, wenn ich begriff, was ich getan hatte. Wieder einmal. Jedes Mal, wenn ich etwas Wichtiges verlor, schimpfte ich mit mir wegen meiner mangelnden Sorgfalt und meiner Dummheit, schrie mich innerlich an in der Hoffnung, dass es mich irgendwie davon abhalten würde, weiterhin Dinge zu verlieren. Natürlich funktionierte es … nicht. 

Der traurige Tiefpunkt war ein Brief, den mir meine Mum geschrieben hat, als sie im Sterben lag. Ich habe keine Ahnung, wo genau er mir abhandengekommen ist; wahrscheinlich bei einem meiner Umzüge in meinen Zwanzigern. Der Schmerz, den mir dieser Verlust beschert hat, ist fast unbeschreiblich. Ich hasste mich aus tiefstem Herzen für das, was ich getan hatte – dass ich etwas so Wertvolles verlieren konnte, etwas, das ich niemals wiederbekommen würde. Die letzten Worte meiner Mutter an mich. Was für eine furchtbare, verabscheuenswürdige Tochter ich war. Erst durch meine ADHS-Diagnose war ich in der Lage, den Klammergriff dieses Selbsthasses ein wenig abzuschütteln.

Die Tatsache, dass ich diesen Brief verloren habe, treibt mir nach wie vor Tränen in die Augen. Es macht mich unfassbar traurig. Aber jetzt schreie ich mich nicht mehr innerlich an, sondern atme tief durch, akzeptiere die Traurigkeit und bringe mir Mitgefühl entgegen.

Warum ich diese Geschichte erzähle? Um laut und deutlich zu sagen: »Ich verliere diese Dinge nicht mit Absicht!« Ich habe das Bedürfnis, das herauszubrüllen, um zu beweisen, wie sehr es schmerzt, Dinge zu verlieren, und damit du verstehst, dass ich das wirklich nicht absichtlich tue. Fast mein ganzes Leben lang haben Leute die Augen verdreht und mich als nachlässig, unverantwortlich und rücksichtslos bezeichnet. Deshalb erzähle ich hier von meinem größten Schmerz und hoffe, dass du nachvollziehen kannst, wie das alles passieren konnte. Nicht verstanden, dafür aber verurteilt und ohne jegliches Mitgefühl behandelt zu werden, hat zu den dunkelsten Momenten in meinem Leben geführt. Die Narben, die mich daran erinnern, trage ich auch heute noch auf der Haut.

Als ich von meiner ADHS-Diagnose erfuhr, ließen der ungeheure Selbsthass und die verzweifelten Versuche, mich zu rechtfertigen, etwas nach. Langsam veränderte sich meine innere Erzählung von der einer persönlichen Versagerin zu einer, in der ich Verständnis für mich selbst entwickelte. Moment mal, dachte ich. Ich habe also die Wahrheit gesagt? Ich war also wirklich nicht absichtlich so vergesslich? Es gibt möglicherweise einen Grund dafür? Es war, als wäre ich mein Leben lang kurz vor dem Ersticken gewesen und konnte nun auf einmal wieder atmen. Ich war kein kaputter Mensch. Ich war in Ordnung. Verurteilung oder Beschimpfungen konnte ich nicht mehr gebrauchen; was ich brauchte, war eine Therapie und jede Menge Verständnis. Das war für mich das Wichtigste an der Diagnose: dass ich die lähmende Scham loswurde, die ich mein Leben lang mit mir herumgetragen hatte.