Die Straße nach Oz - Die Oz-Bücher Band 5 - L. Frank Baum - E-Book

Die Straße nach Oz - Die Oz-Bücher Band 5 E-Book

L. Frank Baum

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Beschreibung

Im 5. Band der Oz-Reihe - Die Straße nach Oz - verirrt sich Dorothy in einem plötzlichen Straßengewirr und muß zuerst den Weg nach Oz finden, um von dort wieder nach Hause zu gelangen. Seit ein Landstreicher Dorothy nach dem Weg in die nächste Stadt gefragt hat, geht plötzlich alles schief: Zuerst findet sie ihren Heimweg nicht mehr, dann gerät sie zwischen die Fronten zweier verfeindeter Städte und landet am Ende gar im Suppentopf grausamer Kannibalen. Zum Glück ist sie nicht allein, dennoch müssen sie und ihre Gefährten viele Gefahren durchstehen, bis sie endlich das Land von Oz erreichen. Und erst dort erfährt sie, weshalb sie sich anfangs verirrt hat ... Empfohlenes Alter: 5 bis 10 Jahre. Große Schrift, auch für Leseanfänger geeignet.

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Seitenzahl: 197

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Nach dem Text der amerikanischen Erstausgabe von

„The Road to Oz“ (1909)

übersetzt von Maria Weber

An meine Leser.

NUN, meine Lieben, hier ist, wonach ihr gefragt habt: ein weiteres „Oz-Buch“ über Dorothys seltsame Abenteuer. Toto ist in dieser Geschichte dabei, weil ihr wolltet, daß er es ist, und viele andere Charaktere, die ihr wiedererkennen werdet, sind es ebenfalls. In der Tat wurden die Wünsche meiner kleinen Korrespondenten so sorgfältig wie möglich berücksichtigt, und wenn die Geschichte nicht genauso ist, wie ihr sie selbst geschrieben hättet, müßt ihr euch daran erinnern, daß eine Geschichte eine Geschichte sein muß, bevor sie niedergeschrieben werden kann, und der Schreiber nicht viel daran verändern kann, ohne sie zu verderben.

Im Vorwort zu „Dorothy und der Zauberer in Oz“ sagte ich, ich würde gerne einige Geschichten schreiben, die keine „Oz“ -Geschichten sind, weil ich dachte, ich hätte lange genug über Oz geschrieben; aber seitdem dieser Band veröffentlicht wurde, bin ich von Kindern mit Briefen überschwemmt worden, in denen sie mich anflehen, „mehr über Dorothy zu schreiben“ und „mehr über Oz“, und da ich nur schreibe, um die Kinder zu erfreuen, werde ich versuchen, ihre Wünsche zu respektieren.

Es gibt einige neue Charaktere in diesem Buch, die es verdient haben, liebgewonnen zu werden. Ich mag den Zottigen Mann sehr gern, und ich denke, ihr werdet ihn auch mögen.

Polychrom – die Tochter des Regenbogens – und das dumme kleine Helle Köpfchen, scheinen ein neues spaßiges Element in diese Oz-Geschichten gebracht zu haben, und ich bin froh, daß ich sie entdeckt habe. Aber ich freue mich auf eure Briefe, in denen ihr mir schreiben werdet, wie sie euch gefallen.

Seit diesem Buch habe ich einige bemerkenswerte Neuigkeiten aus dem Land von Oz vernommen, die mich sehr erstaunt haben. Ich glaube, es wird auch euch, meine Lieben, verblüffen, wenn ihr sie hört. Aber es ist eine so lange und aufregende Geschichte, daß sie für ein anderes Buch aufgespart werden muß – und vielleicht wird dieses Buch die letzte Geschichte sein, die jemals über das Land von Oz erzählt wird.

L. FRANK BAUM

Coronado, 1909.

Inhalt.

Kapitel 1: Die Straße nach Butterfield

Kapitel 2: Dorothy trifft Helles Köpfchen

Kapitel 3: Ein seltsames Dorf

Kapitel 4: König Dox

Kapitel 5: Die Tochter des Regenbogens

Kapitel 6: Die Stadt der Bestien

Kapitel 7: Die Verwandlung des Zottigen Mannes

Kapitel 8: Der Musikmacher

Kapitel 9: Die Skudler

Kapitel 10: Dem Suppenkessel entkommen

Kapitel 11: Johnny Tuts tut es

Kapitel 12: Die Überquerung der Tödlichen Wüste

Kapitel 13: Der Wahrheitsteich

Kapitel 14: Tik-Tak und Billina

Kapitel 15: Das Blechschloß des Kaisers

Kapitel 16: Der Besuch beim Kürbisfeld

Kapitel 17: Die Ankunft des königlichen Wagens

Kapitel 18: Die Smaragdstadt

Kapitel 19: Die Begrüßung des Zottigen Mannes

Kapitel 20: Prinzessin Ozma von Oz

Kapitel 21: Dorothy empfängt die Gäste

Kapitel 22: Wichtige Ankömmlinge

Kapitel 23: Das große Bankett

Kapitel 24: Die Geburtstagsfeier

Kapitel 1.

Die Straße nach Butterfield.

BITTE, Kleines“, sagte der Zottige Mann, „kannst du mir sagen, wie ich nach Butterfield komme?“ Dorothy musterte ihn. Ja, er war wahrlich zottig, aber da war ein Augenzwinkern, das ihn freundlich erscheinen ließ.

„Oh ja“, antwortete sie. „Ich kann es Ihnen sagen. Aber es ist überhaupt nicht diese Straße.“

„Nicht?“

„Sie müssen die zehn Morgen große Weidefläche überqueren, dem Weg bis zur Landstraße folgen, nach Norden bis zu den fünf Abzweigungen gehen und dann – lassen Sie mich überlegen –“

„Gewiß, Kleines, aber ich muß wissen, wie man nach Butterfield kommt“, sagte der Zottige Mann.

„Sie müssen die Abzweigung neben dem Weidenstumpf nehmen, glaube ich, oder vielleicht auch die bei den Erdhörnchenlöchern, oder vielleicht –“

„Ist es nicht gleich, welche ich nehme?“

„Natürlich nicht, Zottiger Mann. Sie müssen den richtigen Weg nehmen, um nach Butterfield zu kommen.“

„Und ist das der bei dem Erdhörnchenstumpf oder –“

„Du liebe Güte!“, rief Dorothy. „Ich werde Ihnen den Weg zeigen müssen, so dumm wie Sie sind. Warten Sie eine Minute, bis ich ins Haus gelaufen bin und meinen Sonnenhut geholt habe.“

Der Zottige Mann wartete. Er hatte einen Haferstrohhalm im Mund, den er langsam kaute, als ob er gut schmecke, aber das tat er nicht. Es gab einen Apfelbaum neben dem Haus, und einige Äpfel waren zu Boden gefallen. Der Zottige Mann dachte, sie würden besser schmecken als der Haferstrohhalm, also ging er hinüber, um sich welche zu holen. Ein kleiner schwarzer Hund mit blitzenden braunen Augen rannte aus dem Farmhaus und rannte wütend auf den Zottigen Mann los, der bereits drei Äpfel in einer der großen, weiten Taschen seines zottigen Mantels verstaut hatte. Der kleine Hund bellte und versuchte, nach dem Bein des Zottigen Mannes zu schnappen; der aber packte den Hund am Genick und steckte ihn zusammen mit den Äpfeln in seine große Tasche. Er klaubte danach noch mehr Äpfel auf, denn es lagen viele auf dem Boden; und jeder, den er in seine Tasche warf, traf den kleinen Hund irgendwo auf dem Kopf oder Rücken und ließ ihn knurren. Der Name des kleinen Hundes war Toto, und er bedauerte es sehr, daß er in die Tasche des Zottigen Mannes gesteckt worden war.

Ziemlich bald kam Dorothy mit ihrem Sonnenhut aus dem Haus und rief:

„Kommen Sie, Zottiger Man, wenn Sie wollen, daß ich Ihnen den Weg nach Butterfield zeige.“

Sie kletterte über den Zaun auf die zehn Morgen große Weidefläche, und er folgte ihr, wobei er langsam ging und über die kleinen Erdhügel auf der Weide stolperte, als würde er an etwas anderes denken und sie nicht bemerken.

„Meine Güte, Sie sind aber ungeschickt!“, sagte das kleine Mädchen. „Tun Ihnen die Füße weh?“

„Nein, mein Kind, es ist mein Schnurrbart, der bei diesem warmen Wetter sehr leicht ermüdet“, sagte er. „Ich wünschte, es würde schneien, du nicht?“

„Natürlich nicht, Zottiger Mann“, antwortete Dorothy und warf ihm einen strengen Blick zu. „Wenn es im August schneite, würde es den Mais und den Hafer und den Weizen verderben; und dann würde Onkel Henry keine Getreide haben, und das würde ihn arm machen, und –“

„Keine Sorge“, sagte der Zottige Mann. „Es wird nicht schneien, schätze ich. Ist das der Weg?“

„Ja“, antwortete Dorothy, die über einen anderen Zaun kletterte; „ich werde Sie bis zur Landstraße begleiten.“

„Dankeschön, Kleine, du bist sehr nett für dein Alter“, sagte er.

„Es kennt nicht jeder die Straße nach Butterfield“, bemerkte Dorothy, als sie den Weg entlangstolperte. „Aber ich bin viele Male mit Onkel Henry dorthin gefahren, und deswegen glaube ich, daß ich sie mit verbundenen Augen finden könnte.“

„Tu das besser nicht“, sagte der Zottige Mann ernst; „sonst könntest du einen Fehler machen.“

„Das werde ich schon nicht“, antwortete sie lachend. „Hier ist die Landstraße. Jetzt ist es die zweite – nein, die dritte Abbiegung nach links – oder ist es die vierte? Mal sehen. Die erste ist bei der Ulme, und die zweite ist bei den Erdhörnchenlöchern, und dann –“

„Dann was?“, fragte er und steckte die Hände in seine Manteltaschen. Toto schnappte nach einem Finger und biß hinein. Der Zottige Mann nahm schnell seine Hand aus der Tasche und sagte: „Oh!“

Dorothy bemerkte es nicht. Sie beschattete mit ihrem Arm die Augen vor der Sonne und schaute besorgt die Straße hinunter.

„Kommen Sie“, befahl sie. „Es ist nur ein Stück weiter, also kann ich es Ihnen auch zeigen.“

Nach einer Weile kamen sie an die Stelle, wo sich fünf Straßen in verschiedene Richtungen verzweigten. Dorothy zeigte auf eine und sagte:

„Das ist sie, Zottiger Mann.“

„Ich bin dir sehr zu Dank verpflichtet, Kleines“, sagte er und beschritt eine andere Straße.

„Nicht diese!“, rief sie; „Sie gehen in die falsche Richtung.“

Er blieb stehen.

„Ich dachte, du hättest gesagt, daß der andere Weg nach Butterfield führt“, sagte er und fuhr verwirrt mit seinen Fingern über seinen zottigen Schnurrbart.

„So ist es.“

„Aber ich will nicht nach Butterfield gehen, mein Kind.“

„Nicht?“

„Natürlich nicht. Ich wollte, daß du mir die Straße zeigst, damit ich nicht versehentlich dorthin gehen würde.“

„Oh! Wohin wollen Sie denn gehen?“

„Ich bin nicht besonders wählerisch.“

Diese Antwort erstaunte das kleine Mädchen; und es war auch etwas verärgert, weil es dachte, daß es sich ganz umsonst bemüht hatte.

„Es gibt hier ziemlich viele Straßen“, bemerkte der Zottige Mann und drehte sich langsam um sich selbst, wie eine menschliche Windmühle. „Mir scheint, daß man von diesem Ort aus beinahe überall hingehen kann.“

Dorothy drehte sich ebenfalls um und schnappte überrascht nach Luft. Es gab in der Tat viele Straßen; mehr als sie jemals zuvor gesehen hatte. Sie versuchte, sie zu zählen, obwohl sie eigentlich wußte, daß es fünf geben sollte, aber als sie siebzehn gezählt hatte, wurde sie verwirrt und hielt inne, denn die Straßen waren so zahlreich wie die Speichen eines Rades und liefen von der Stelle aus, an der sie standen, in jede Richtung. Wenn sie also weiterzählte, würde sie wahrscheinlich einige Straßen zweimal zählen.

„Du liebe Güte!“, rief sie aus. „Hier gab es eigentlich nur fünf Straßen, mit der Landstraße und allem. Und jetzt – nun, wo ist die Landstraße, Zottiger Mann?“

„Kann ich nicht sagen, Kleines“, antwortete er und setzte sich auf den Boden, als wäre er müde vom Stehen. „War sie nicht vor einer Minute noch hier?“

„Das dachte ich jedenfalls“, antwortete sie äußerst verwirrt. „Und ich sah auch die Erdhörnchenlöcher und den Baumstumpf; aber sie sind jetzt nicht hier. Diese Straßen sind merkwürdig – und wie viele es von ihnen gibt! Wo sie wohl alle hingehen?“

„Straßen“, bemerkte der Zottige Mann, „gehen nirgendwohin. Sie bleiben an einem Ort, damit die Leute auf ihnen gehen können.“

Er steckte seine Hand in seine Seitentasche und zog einen Apfel heraus – schnell, bevor Toto ihn wieder beißen konnte. Der kleine Hund bekam diesmal seinen Kopf heraus und machte so laut „Wuff-wuff!“, daß Dorothy zurückschrak.

„O, Toto!“, rief sie; „Wo kommst du denn her?“

„Ich habe ihn mitgebracht“, sagte der Zottige Mann.

„Wozu?“, fragte sie.

„Damit er diese Äpfel in meiner Tasche bewacht, so daß niemand sie stehlen kann.“

Mit einer Hand hielt der Zottige Mann den Apfel, den er zu essen begann, während er mit der anderen Hand Toto aus der Tasche zog und ihn auf den Boden setzte. Na-türlich sprang Toto sofort zu dem Kind und bellte freudig über seine Befreiung aus der dunklen Tasche. Als Dorothy liebevoll seinen Kopf tätschelte, setzte er sich vor sie hin, wobei seine rote Zunge an einer Seite seines Maules her-vorhing, und blickte ihr mit seinen glänzenden braunen Augen ins Gesicht, als ob er sie fragte, was sie als nächstes tun sollten.

Dorothy wußte es nicht. Sie sah sich besorgt nach einem vertrauten Merkmal um, aber alles sah fremd aus. Zwischen den Abzweigungen der vielen Straßen lagen grüne Wiesen und ein paar Sträucher und Bäume, aber sie konnte nirgends das Farmhaus sehen, aus dem sie gerade gekommen war, oder irgend etwas, was sie jemals zuvor gesehen hatte – außer den Zottigen Mann und Toto. Außerdem hatte sie sich so oft herumgedreht, um herauszufinden, wo sie war, daß sie jetzt nicht einmal mehr sagen konnte, in welcher Richtung das Farmhaus liegen müßte; und das fing an, sie zu beunruhigen und zu ängstigen.

„Ich fürchte, Zottiger Mann“, sagte sie seufzend, „daß wir uns verirrt haben!“

„Das ist nichts, wovor man sich fürchten muß“, antwortete er, warf das Kerngehäuse seines Apfels weg und begann, einen anderen zu essen. „Jeder dieser Wege muß irgendwo hinführen, sonst wäre er nicht hier. Warum besorgt dich das?“

„Ich möchte wieder nach Hause gehen“, sagte sie.

„Nun, warum gehst du dann nicht?“, sagte er.

„Ich weiß nicht, welchen Weg ich nehmen soll.“

„Das ist aber schade“, sagte er und schüttelte ernst seinen zottigen Kopf. „Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber ich kann es nicht. Ich bin fremd in dieser Gegend.“

„Es scheint so, als ob ich es auch wäre“, sagte sie und setzte sich neben ihn. „Es ist komisch. Vor ein paar Minuten war ich zu Hause, und ich bin nur eben mitgekommen, um Ihnen den Weg nach Butterfield zu zeigen –“

„Damit ich nicht den Fehler machen und dorthin gehen würde –“

„Und jetzt habe ich mich selbst verirrt und weiß nicht, wie ich nach Hause komme!“

„Nimm einen Apfel“, schlug der Zottige Mann vor und reichte ihr einen mit hübschen roten Wangen.

„Ich bin nicht hungrig“, sagte Dorothy und schob ihn weg.

„Aber du könntest es morgen sein; dann wird es dir leid tun, daß du den Apfel nicht gegessen hast“, sagte er.

„Wenn dem so ist, esse ich den Apfel eben dann“, versprach Dorothy.

„Vielleicht wird es dann keinen Apfel mehr geben“, erwiderte er und begann, den Apfel selbst zu essen. „Hunde können manchmal besser nach Hause finden als Menschen“, fuhr er fort; „vielleicht kann dein Hund dich zurück zur Farm führen.“

„Kannst du das, Toto?“, fragte Dorothy.

Toto wackelte lebhaft mit dem Schwanz.

„Gut“, sagte das Mädchen, „dann laß uns nach Hause gehen.“

Toto sah sich eine Minute lang um und rannte dann auf eine der Straßen.

„Auf Wiedersehen, Zottiger Mann“, rief Dorothy und lief Toto hinterher. Der kleine Hund lief eine Zeitlang schnell voran, drehte sich dann um und sah seine Herrin fragend an.

„Oh, glaube nicht, daß ich dir helfen kann; ich kenne den Weg nicht“, sagte sie. „Du mußt ihn selbst finden.“

Aber Toto konnte es nicht. Er wackelte mit dem Schwanz und nieste, und schüttelte seine Ohren, und trottete dann zu der Stelle zurück, wo sie den Zottigen Mann zurückgelassen hatten. Von hier aus ging er ein Stückweit auf einer anderen Straße; dann kam er zurück und versuchte eine andere; aber jedes Mal fand er den Weg merkwürdig und entschied, daß er sie nicht zum Farmhaus bringen würde. Schließlich, als Dorothy es schon müde wurde, ihm nachzujagen, setzte Toto sich keuchend neben den Zottigen Mann und gab auf.

Dorothy setzte sich auch sehr nachdenklich hin. Das kleine Mädchen hatte einige seltsame Abenteuer erlebt, seit sie auf der Farm lebte; aber dies war das Seltsamste von allen. Sich in einer Viertelstunde zu verirren, so nahe an ihrem Haus und im unromantischen Bundesstaat Kansas, war eine Erfahrung, die sie ziemlich verwirrte.

„Werden deine Leute sich Sorgen machen?“, fragte der Zottige Mann, wobei seine Augen freundlich zwinkerten.

„Ich vermute es“, antwortete Dorothy seufzend. „Onkel Henry sagt, daß mir immer etwas passiert; aber ich bin am Ende immer unversehrt nach Hause gekommen. Also wird er sich vielleicht damit trösten, daß ich wohl auch diesmal unversehrt nach Hause kommen werde.“

„Ich bin sicher, daß du das wirst“, sagte der Zottige Mann und nickte ihr lächelnd zu. „Brave kleine Mädchen kommen nie zu Schaden, weißt du. Ich für meinen Teil bin auch brav, darum geschieht mir auch nie etwas.“

Dorothy sah ihn neugierig an. Seine Kleidung war zottig, seine Stiefel waren zottig und voller Löcher, und seine Haare und Bart waren ebenfalls zottig. Aber sein Lächeln war sanft und seine Augen waren freundlich.

„Warum wollten Sie nicht nach Butterfield gehen?“, fragte sie.

„Weil dort ein Mann lebt, der mir fünfzehn Cent schuldet, und wenn ich nach Butterfield gehen und er mich sehen würde, würde er mir das Geld zahlen wollen. Ich will kein Geld, meine Liebe.“

„Warum nicht?“, fragte sie.

„Geld“, erklärte der Zottige Mann, „macht Menschen stolz und hochmütig. Ich will nicht stolz und hochmütig sein. Alles was ich will, ist, daß die Leute mich lieben, und solange ich den Liebesmagneten besitze, wird mich jeder, dem ich begegne, unweigerlich lieben.“

„Der Liebesmagnet! Was ist denn das?“

„Ich werde ihn dir zeigen, wenn du es niemandem verrätst“, antwortete er mit leiser, geheimnisvoller Stimme.

„Außer Toto könnte ich niemandem davon erzählen“, sagte das Mädchen.

Der Zottige Mann kramte vorsichtig in einer Tasche, und in einer anderen Tasche, und dann in einer dritten. Endlich zog er ein Päckchen hervor, das in zerknülltes Papier gewickelt und mit einem Baumwollfaden zusammengebunden war. Er wickelte die Schnur ab, öffnete das Päckchen und holte ein Stück Metall heraus, das wie ein Hufeisen geformt war. Es war stumpf und braun und nicht sehr hübsch.

„Das, meine Liebe“, sagte er ehrfürchtig, „ist der wunderbare Liebesmagnet. Er wurde mir von einem Eskimo auf den Sandwich-Inseln gegeben – wo es überhaupt keine Sandwiches gibt – und solange ich ihn bei mir trage, wird jedes Lebewesen, das ich treffe, mich innig lieben.“

„Warum hat der Eskimo ihn nicht behalten?“, fragte sie und sah neugierig auf den Magneten.

„Er war es leid, von jedem geliebt zu werden und sehnte sich nach jemandem, der ihn haßte. Also gab er mir den Magneten und am nächsten Tag fraß ihn ein Grizzlybär.“

„Tat es ihm dann nicht leid?“, fragte sie nach.

„Das hat er nicht gesagt“, antwortete der Zottige Mann, wickelte den Liebesmagneten mit großer Sorgfalt wieder ein und verstaute ihn in einer anderen Tasche. „Aber der Bär schien es kein bißchen zu bedauern“, fügte er hinzu.

„Haben Sie den Bären gekannt?“, fragte Dorothy.

„Ja, wir haben auf den Kaviar-Inseln miteinander Ball gespielt. Der Bär hat mich geliebt, weil ich den Liebesmagneten hatte. Ich konnte ihm nicht vorwerfen, daß er den Eskimo gegessen hatte, weil es seine Natur war, das zu tun.“

„Ich kannte einmal einen Hungrigen Tiger“, sagte Dorothy, „der sich danach sehnte, fette Babys zu essen, weil es seine Natur war; aber er aß nie eines, weil er ein Gewissen hatte.“

„Dieser Bär“, antwortete der Zottige Mann mit einem Seufzer, „hatte aber kein Gewissen, verstehst du.“

Der Zottige Mann saß einige Minuten schweigend da und verglich offenbar die Charakterzüge des Bären und des Tigers, während Toto ihn sehr aufmerksam beobachtete. Der kleine Hund dachte zweifellos an seine Reise in der Tasche des Zottigen Mannes und plante, in Zukunft außer seiner Reichweite zu bleiben.

Endlich drehte sich der Zottige Mann um und fragte: „Wie heißt du, kleines Mädchen?“

„Ich heiße Dorothy“, sagte sie und schrak wieder zusammen, „aber was sollen wir tun? Wir können doch nicht für immer hierbleiben.“

„Laß uns die siebte Straße nehmen“, schlug er vor. „Sieben ist eine Glückszahl für kleine Mädchen namens Dorothy.“

„Die siebte von wo?“

„Von dort, wo du zu zählen anfängst.“

Sie zählte also sieben Straßen, und die siebte sah genauso aus wie alle anderen; aber der Zottige Mann stand vom Boden auf, wo er gesessen hatte, und ging diese Straße hinunter, als ob er sicher sei, daß dies der beste Weg wäre; und Dorothy und Toto folgten ihm.

Kapitel 2.

Dorothy trifft Helles Köpfchen.

DIE siebte Straße war gut begehbar und bog in diese und jene Richtung, während sie sich durch grüne Wiesen und Felder, die mit Margeriten und Butterblumen bedeckt waren, und vorbei an Gruppen schattenspendender Bäume wand. Es waren nirgends Häuser zu sehen, und für eine lange Strecke begegneten sie überhaupt keinem Lebewesen.

Dorothy begann zu fürchten, daß sie ein gutes Stück vom Farmhaus abgekommen wären, da ihr alles hier fremd war; aber es würde überhaupt nichts nützen, dorthin zurückzukehren, wo die anderen Straßen sich alle trafen, denn die nächste, die sie wählten, führte sie vielleicht ebensoweit von zu Hause weg.

Sie blieb neben dem Zottigen Mann, der fröhliche Melodien pfiff, um die Wanderung zu versüßen, bis sie nach einer Biegung der Straße einen großen Kastanienbaum vor sich sahen, der seinen Schatten über die Landstraße warf. Im Schatten saß ein kleiner Junge in einem Matrosenanzug, der mit einem Holzstück ein Loch in die Erde grub. Er mußte bereits einige Zeit gegraben haben, denn das Loch war schon groß genug, um einen Fußball hineinfallen zu lassen.

Dorothy, Toto und der Zottige Mann blieben vor dem kleinen Jungen stehen, der ruhig und hartnäckig weitergrub.

„Wer bist du?“, fragte das Mädchen.

Er sah sie ruhig an. Sein Gesicht war rund und pausbäckig und seine Augen waren groß, blau und ernst.

„Ich bin Helles Köpfchen“, sagte er.

„Aber wie heißt du eigentlich?“, fragte sie nach.

„Helles Köpfchen.“

„Das ist kein richtiger Name!“, rief sie.

„Nicht?“, fragte er, immer noch grabend.

„Natürlich nicht. Es ist nur ein – ein Spitzname, der einem gegeben wird. Du mußt einen Namen haben.“

„Muß ich?“

„Gewiß. Wie nennt dich deine Mama?“

Er hielt mit dem Graben inne und versuchte nachzudenken.

„Papa hat immer gesagt, ich wäre ein heller Kopf; Mama hat mich immer Helles Köpfchen genannt“, sagte er.

„Wie heißt dein Papa?“

„Nur Papa.“

„Und sonst?“

„Weiß nicht.“

„Laß nur“, sagte der Zottige Mann lächelnd. „Wir werden den Jungen Helles Köpfchen rufen, wie es seine Mama tut. Dieser Name ist so gut wie jeder andere und besser als so manch anderer.“

Dorothy sah dem Jungen beim Graben zu.

„Wo wohnst du?“, fragte sie.

„Weiß nicht“, war die Antwort.

„Wie bist du hierher gekommen?“

„Weiß nicht“, sagte er noch einmal.

„Weißt du nicht, woher du kommst?“

„Nein“, sagte er.

„Ach, er muß sich verirrt haben“, sagte sie zu dem Zottigen Mann. Sie wandte sich noch einmal an den Jungen.

„Was hast du denn da vor?“, erkundigte sie sich.

„Graben“, sagte er.

„Aber du kannst nicht für immer graben, und was wirst du dann tun?“, beharrte sie.

„Weiß nicht“, sagte der Junge.

„Aber du mußt etwas wissen“, erklärte Dorothy, die ärgerlich wurde.

„Muß ich?“, fragte er und sah überrascht auf.

„Natürlich mußt du das.“

„Was muß ich wissen?“

„Was aus dir wird, zum Beispiel“, antwortete sie.

„Weißt du, was aus mir wird?“, fragte er.

„Nicht – wirklich“, sagte sie.

„Weißt du, was aus dir wird?“, fuhr er ernst fort.

„Eigentlich nicht“, antwortete Dorothy, die sich an ihre gegenwärtigen Schwierigkeiten erinnerte.

Der Zottige Mann lachte.

„Niemand weiß alles, Dorothy“, sagte er.

„Aber Helles Köpfchen scheint überhaupt nichts zu wissen“, erklärte sie. „Nicht wahr, Helles Köpfchen?“

Er schüttelte den Kopf, der ziemlich hübsch gelockt war, und antwortete mit vollkommener Ruhe:

„Weiß nicht.“

Nie zuvor hatte Dorothy jemanden getroffen, der so wenige Auskünfte über sich geben konnte. Der Junge hatte sich offensichtlich verirrt, und seine Familie würde sich sicher um ihn sorgen. Er schien zwei oder drei Jahre jünger als Dorothy zu sein und war hübsch gekleidet, als ob jemand ihn sehr liebte und sich große Mühe gab, ihn gut aussehen zu lassen. Wie kam er dann auf diese einsame Straße?, wunderte sie sich.

Auf dem Boden in der Nähe von Helles Köpfchen lag eine Matrosenmütze mit einem vergoldeten Anker auf dem Band. Seine Seemannshose war lang und unten weit, und auf den breiten Kragen seiner Bluse waren an den Ecken goldene Anker aufgenäht. Der Junge grub immer noch in seinem Loch.

„Warst du jemals auf See?“, fragte Dorothy.

„Um was zu sehen?“, antwortete Helles Köpfchen.

„Ich meine, warst du jemals dort, wo Wasser ist?“

„Ja“, sagte Helles Köpfchen; „Es gibt einen Brunnen in unserem Hinterhof.“

„Du verstehst nicht“, rief Dorothy. „Ich meine, warst du jemals auf einem großen Schiff, das auf einem großen Ozean schwimmt?“

„Weiß nicht“, sagte er.

„Warum trägst du dann einen Matrosenanzug?“

„Weiß nicht“, antwortete er noch einmal.

Dorothy war verzweifelt.

„Du bist einfach schrecklich dumm, Helles Köpfchen“, sagte sie.

„Tatsächlich?“, fragte er.

„Ja, das bist du.“

„Warum?“ Er blickte mit großen Augen zu ihr auf.

Sie wollte schon sagen: „Weiß nicht“, konnte sich aber noch daran hindern.

„Das mußt du beantworten“, antwortete sie.

„Es macht keinen Sinn, Helles Köpfchen Fragen zu stellen“, sagte der Zottige Mann, der einen weiteren Apfel gegessen hatte. „Aber jemand sollte sich um den armen kleinen Kerl kümmern, meinst du nicht? Darum sollte er besser mit uns gehen.“