5,99 €
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €
Im Angesicht von Intrigen und Machtspielen: Der High-Fantasy-Roman »Die Thronerbin« von Karen Miller jetzt als eBook bei dotbooks. Wenn der Tod eines Königs einen Sturm entfacht … Auf der Insel Ethrea droht ein Bürgerkrieg auszubrechen, als der König ohne männlichen Nachfolger stirbt. Nun hält der machthungrige Prälat Marlan alle Fäden in der Hand und will die Tochter des Königs zu seiner Marionette machen. Aber er hat nicht mit Rhians unbändigen Willen gerechnet: Gegen alle Widrigkeiten ist die Königstochter fest entschlossen, selbst den Thron zu besteigen und Ethrea vor den gierigen Herrschern der umliegenden Reiche zu schützen. Als ein geheimnisvoller Flüchtling aus dem nahegelegenen Mijak ihr die Treue schwört, scheint sich das Blatt zu Rhians Gunsten zu wenden – doch kann sie ihm wirklich das Schicksal ihres geliebten Königreichs anvertrauen? »Eine meisterhaft erdachte Welt der Rituale und Traditionen bietet eine spannende Kulisse für die Abenteuer der Protagonistin.« Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: der High-Fantasy-Roman »Die Thronerbin« von Karen Miller ist der zweite Band der großen Trilogie »Godspeaker«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 1113
Über dieses Buch:
Wenn der Tod eines Königs einen Sturm entfacht … Auf der Insel Ethrea droht ein Bürgerkrieg auszubrechen, als der König ohne männlichen Nachfolger stirbt. Nun hält der machthungrige Prälat Marlan alle Fäden in der Hand und will die Tochter des Königs zu seiner Marionette machen. Aber er hat nicht mit Rhians unbändigen Willen gerechnet: gegen alle Widrigkeiten ist die Königstochter fest entschlossen, selbst den Thron zu besteigen und Ethrea vor den gierigen Herrschern der umliegenden Reiche zu beschützen. Als ein geheimnisvoller Flüchtling aus dem nahegelegenen Mijak ihr die Treue schwört, scheint sich das Blatt zu Rhians Gunsten zu wenden – doch kann sie ihm wirklich das Schicksal ihres geliebten Königreichs anvertrauen?
»Eine meisterhaft erdachte Welt der Rituale und Traditionen bietet eine spannende Kulisse für die Abenteuer der Protagonistin.« Romantic Times
Über die Autorin:
Karen Miller wurde in Vancouver, Kanada geboren und lebt bereits seit ihrem zweiten Lebensjahr in Australien. Nachdem sie ihr Studium in Kommunikationswissenschaften abgeschlossen hatte, zog sie für drei Jahre nach England. Sie arbeitete in vielen verschiedenen Berufen, unter anderem als Pferdezüchterin. Inzwischen widmet sich Karen Miller in Sydney ganz dem Schreiben.
Karen Miller veröffentlichte bei dotbooks bereits die »Godspeaker«-Trilogie mit den Bänden »Die Herrscherin«, »Die Thronerbin« und »Die Tyrannin« und die »Chroniken von Lur« mit den Bänden »Der Erbe des Windes« und »Der König des Sturms«.
***
eBook-Neuausgabe August 2019
Copyright © der englischen Originalausgabe 2007 by Karen Miller
Die englische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel Godspeaker 2: The Riven Kingdom bei HarperCollins Australien.
First published by HarperCollins Publishers Australia Pty Limited, Sydney, Australia, in English in 2007. This German edition published by arrangement with HarperCollins Publishers Australia Pty Limited.
Copyright © der deutschen Ausgabe 2010 by Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © der eBook-Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: HildenDesign ©hildendesign www.hildendesign.de Illustration: Veronika Wunderer
Map by Karen Miller and Darren Holt.
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-96148-702-8
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
***
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Die Thronerbin an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)
Besuchen Sie uns im Internet:
www.dotbooks.de
www.facebook.com/dotbooks
blog.dotbooks.de/
Karen Miller
Die Thronerbin
Roman
Aus dem Englischen von Michaela Link
dotbooks.
Glenda Larke, eine großartige Schriftstellerin und noch großartigere Freundin
IN MEMORIAM
Robert Jordan, Autor der genresprengenden Serie »Rad der Zeit«, der zu früh von uns gegangen ist und viele gebrochene Herzen hinterlassen hat.
Der König von Ethrea lag im Sterben.
Rhian saß am Bett ihres Vaters, hielt seine gebrechliche Hand in ihrer und atmete in flachen Zügen. Ihre Welt war eine Glaskugel; wenn sie zu tief einatmete, würde die Kugel zerspringen, und sie mit ihr.
Das ist nicht gerecht, das ist nicht gerecht, das ist nicht gerecht ...
In einer Ecke des privaten Schlafgemachs leierte der Höchst Ehrwürdige Justin vor sich hin – einer von Prälat Marlans ranghöheren Göttlichen, der dazu verurteilt war, für die Seele ihres Vaters zu beten. Den kahlgeschorenen Schädel tief geneigt ließ er sich seine Gebetsperlen so anhaltend durch die Finger klackern, dass Rhian am liebsten geschrien hätte.
Ich wünschte, du würdest verschwinden. Ich wünschte, du würdest weggehen. Wir wollen dich hier nicht. Dies ist unsere Zeit, wir haben nicht so viel davon, dass wir sie teilen könnten.
Sie musste sich fest auf die Unterlippe beißen, um frische Tränen niederzukämpfen. In letzter Zeit weinte sie so oft, dass sie sich durchweicht fühlte wie Moos. Und welchen Sinn hatte das Weinen überhaupt? Weinen würde ihren Vater nicht retten. Er war zerstört, er glitt davon.
Ich werde bald eine Waise sein.
Sie war jetzt seit zehn Jahren Halbwaise. Ohne die Porträts an den Wänden der Burg hätte sie sich vielleicht nicht einmal mehr an Königin Ildas liebes Gesicht erinnert. Ein beängstigender Gedanke, ihre Mutter zweimal zu verlieren. War es ihr bestimmt, auch ihre Brüder zweimal zu verlieren? Ranald und Simon waren erst seit zwei Monaten tot, und zwischen Wachen und Schlafen hörte sie noch immer ihre Stimmen. Sie hielt es für wahrscheinlich, und nach ihnen würde sie ihren Vater zweimal verlieren. All diese doppelten Verluste. Wo war Gott bei alledem? Schlief er? War er gleichgültig?
Mama, die Jungen und jetzt der liebe Papa. Ich weiß, ich bin die Jüngste, und das Gesetz der Natur verfügt, dass ich als Letzte übrig bleiben werde ... aber nicht so früh! Hörst du mich, Gott? Es ist zu früh!
Als spüre er ihre Rebellion, hielt der Ehrwürdige in seinem Perlengeklapper und Geleier inne. »Hoheit, der König wird wahrscheinlich stundenlang schlafen. Vielleicht wäre Eure Zeit besser verbracht, wenn Ihr beten würdet.«
Sie hätte gern gesagt: Ich denke, du betest genug für uns beide, Ehrwürdiger Justin. Aber wenn sie das sagte, würde er es Helfred erzählen, ihrem persönlichen Kaplan, und der wiederum würde es Prälat Marlan erzählen. Und Marlan würde nicht erfreut sein.
Es war nicht klug, Marlan zu verärgern.
Also sagte sie innerlich kochend: »Ich bete durchaus, Ehrwürdiger Justin. Jeder Atemzug, den ich mache, ist ein Gebet.«
Der Ehrwürdige Justin nickte, auch wenn er nicht zur Gänze überzeugt war. »Bewundernswert, Hoheit. Aber gewiss ist der geziemende Platz für Eure Gebete die Burgkapelle.«
Er mochte der Höchstehrwürdige sein, aber es gebrach ihm dennoch an Autorität, um der Tochter eines Königs Befehle zu erteilen. Sie schaute abermals auf das leichenartige Gesicht ihres Vaters, dessen gelbsüchtige Haut sich in Falten über fleischlose Knochen legte, damit der Ehrwürdige ihren Ärger nicht bemerkte. Sie zwang sich zu einem ruhigen, freundlichen Tonfall, an dem es nichts zu beanstanden geben würde. Sei eine Dame, sei eine Dame, sei immer eine Dame.
»Ich werde zu gegebener Zeit in die Kapelle gehen. Für den Augenblick, Ehrwürdiger Justin, weiß ich, dass Seine Majestät Trost in meiner Gegenwart findet, auch wenn er schläft.«
Die Gebetsperlen des Ehrwürdigen Justin klackerten hektisch. Er nahm sein Gemurmel dort wieder auf, wo er abgebrochen hatte.
Auf seinem Berg von Kissen regte ihr Vater sich. Hinter papierdünnen Lidern zuckten seine Augen rastlos hin und her. Der Puls an seiner Halsschlagader wurde schneller. »Ranald«, murmelte er. »Ranald, mein Junge ... ich komme. Ich komme.« Seine Stimme, einst dunkel und weich wie Sirup und Seide, schnarrte wie rostiger Draht. »Ranald, mein braver Sohn ...« Sein Ausatmen wurde zu einem Stöhnen.
Eine Schale mit Wasser und ein weiches Tuch lagen griffbereit auf dem Nachttisch. Sanft befeuchtete Rhian ihrem Vater die Wangen und Lippen. »Es ist alles gut, Papa. Errege dich nicht. Ich bin hier. Bitte, versuche, dich ein wenig auszuruhen.«
»Ranald!«, sagte ihr Vater und öffnete die Augen. Augen, noch vor so kurzer Zeit vom tiefsten Blau, klar und rein wie ein Sommerhimmel, jetzt trüb geworden, das Weiß darin gelb gefärbt durch das Versagen der Leber. Einen schrecklichen Moment lang waren sie umwölkt, verwirrt. Dann erinnerte er sich an sie und seufzte. »Rhian. Ich dachte, ich hätte Ranald gehört.«
Sie ließ das Tuch wieder in die Schale fallen und ergriff von Neuem seine Hand. Seine Finger fühlten sich so brüchig an. Wenn sie sie zu fest hielt, würden sie durchbrechen. »Ich weiß, Papa. Du hast geträumt.«
Eine einzelne Träne rann durch seinen grauen Stoppelbart. »Ich hätte Ranald niemals mit Simon auf Reisen gehen lassen dürfen«, flüsterte er. »Ich war selbstsüchtigerweise zu nachgiebig, es war mir wichtiger, dass Ranald mich liebte, als zu tun, was das Beste war, und jetzt sind sie tot. Mein Erbe ist tot und sein Bruder mit ihm. Ich habe das Königreich verraten.«
Es war mittlerweile ein vertrauter Refrain. Rhian küsste seine kalte Hand. »Das ist Unsinn, Papa. Die Söhne eines jeden großen Mannes gehen ins Ausland. Dein Vater hat dir die Welt nicht verboten, obwohl du der Erbe warst. Du hättest deinen Söhnen dieses Abenteuer niemals verwehren können. Ranald und Simon hatten Pech, das ist alles. Es ist nicht deine Schuld. Du hast dir nichts vorzuwerfen.«
In der Ecke klapperten die Perlen des Ehrwürdigen Justin noch lauter. Die Kirche missbilligte abergläubische Auffassungen wie Pech. Rhian bedachte den Mann mit einem warnenden Blick. Ehrwürdig oder nicht, sie würde nicht zulassen, dass er ihren Vater aufregte.
»Rhian.«
»Ja, Papa?«
Er versuchte, ihre Finger zu drücken. »Mein liebes Mädchen. Was wird aus dir werden, wenn ich fort bin?«
Diese Frage konnte sie beantworten, aber nicht vor dem Höchstehrwürdigen Justin. Nicht vor irgendjemandem, der ihre Worte prompt Helfred und Marlan hinterbringen würde.
»Pst, Papa«, sagte sie und strich mit der anderen Hand über sein dünn gewordenes Haar. »Ermüde dich nicht, indem du redest.«
Aber er war entschlossen, sich zu grämen. »Ich hätte dafür sorgen sollen, dass du dich verlobst, Rhian. Ich habe dir gegenüber versagt, wie ich deinen Brüdern gegenüber versagt habe.«
Ein einzelner Name läutete wie eine Glocke in ihrem Herzen. Alasdair. Aber es hatte keinen Sinn, an ihn zu denken. Er war in das Herzogtum Linfoi und zu seinem eigenen kränklichen Vater zurückgekehrt ... und außerdem war es ihr bisher nicht einmal in Ansätzen gelungen, den König ihm gegenüber milder zu stimmen.
»Papa, Papa, errege dich nicht«, murmelte sie besänftigend. »Du brauchst Ruhe. Gott wird sich um mich kümmern.« Ein weiterer Blick, über ihre Schulter. »Ist das nicht so, Ehrwürdiger Justin?«
Widerstrebend nickte er. »Gott kümmert sich um all seine Kinder, in dem Maße, wie sie es verdienen.«
»Na bitte«, sagte sie. »Siehst du? Der Ehrwürdige Justin gibt mir Recht.« Dann fügte sie, noch während sie heiße Tränen aufsteigen fühlte, hinzu: »Wie dem auch sei, du gehst nirgendwohin. Hörst du mich, Papa? Du wirst wieder gesund werden.«
Er lächelte, ein verzerrtes Lächeln jetzt, da sich ihm die Zähne im Zahnfleisch gelockert hatten und lose klapperten. »Ich war während meines ganzen Lebens nicht der ehrerbietigste aller Männer. Aber selbst ich weiß, Rhian, dass Gott tut, was Gott will. Ich werde gehen, wenn ich gerufen werde, und nicht einmal du, mein herrisches kleines Biest, kannst verfügen, dass ich bleibe.«
Mein herrisches kleines Biest. Es war eines der Koseworte ihres Vaters für sie. Sie hatte es seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr von ihm gehört. »Ja, Papa«, sagte sie und küsste abermals seine kalten Finger.
Kurz danach schlummerte er wieder ein. Ohne auf den Höchstehrwürdigen Justin und seine vielsagenden Seufzer zu achten, hielt sie die zerbrechliche Hand ihres Vaters und versuchte, trotzig im Angesicht der offenkundigen Entscheidung Gottes, ihn dazu zu zwingen, zu leben, zu leben, zu leben.
Es war ein kleiner Raum, der noch kleiner gemacht wurde durch eine Überfülle parfümierter und gepuderter Damen, rundlich von Tellern voller gezuckerter Kuchen und sahniger, in feinen Porzellantassen servierter Trinkschokolade. Taft und Satin raschelten, Musselin rauschte, und Seide seufzte, während sie sich lachend und kreischend wie Kinder um Puppen, Spielzeugbären, Stoffferkel, Miezekatzen, hölzerne Bogenschützen, bemalte Marionetten, Blechpfeifen und alle möglichen anderen Dinge kabbelten, die der Spielzeugmacher ihnen zu ihrem Entzücken zur Begutachtung vorlegte.
Gräfin Dester, Ehefrau des Ratssekretärs Graf Dester, stocherte ungeduldig mit einem juwelengeschmückten Finger in dem Durcheinander von Spielzeugen auf ihrem Schoß und seufzte. »Meine Güte, Jonink, ich weiß es einfach nicht. Ich meine, sie sind alle entzückend, nicht wahr? Ihr macht es mir so schwer, mich zu entscheiden. Und Barmherziger, wenn ich nicht genau das richtige Spielzeug auswähle, nun, dann wird die kleine Astaria wahrscheinlich tagelang schmollen, gesegnet sei ihr geliebtes Herz. Meine Süße ist so eigen, wenn es um ihr Spielzeug geht ...«
Friemelsam Jonink, königlich bestallter Spielzeugmacher, knirschte hinter seinem Lächeln mit den Zähnen. Was sollte man dazu sagen? Die kleine Astaria würde jeder Puppe, die sie bekam, binnen fünf Minuten den Kopf abgerissen haben, und dann würde er die Puppe wieder reparieren müssen, ohne dass man die Nahtstellen sah, und wie sehr er sich auch bemühte und wie perfekt die Reparatur auch ausfiel, die kleine Astaria würde kreischen, dass sie nicht dieselbe sei, Mama, nein, das sei sie nicht, also bitte schön, sie wollte ein neues Püppchen ... und Mama würde sie küssen und liebkosen und ihr ein neues Püppchen kaufen ... und so würde alles wieder von vorn anfangen.
Da wurde eine Aristokratin wie nur irgendeine herangezogen, Gott segne sie und jeden anderen verwöhnten Liebling im Königreich ... denn wer sonst sorgte dafür, dass ein bescheidener Spielzeugmacher ein Dach über dem Kopf hatte?
Gräfin Dester seufzte, so dass ihre rougebedeckten Wangen erbebten, und bedachte den sie umschwirrenden Schwarm niederrangiger Hofdamen mit einem kalten Blick aus grauen Augen. Die Frauen hatten sich mit ihr zusammengefunden, um Spielzeuge für ihre Söhne und Töchter, Nichten und Neffen oder Brüder und Schwestern und Blumenkinder zu kaufen. Sie zupfte ein spitzengesäumtes Taschentuch aus ihrem beträchtlichen Dekolletee und wedelte damit in Richtung der anderen Frauen.
»Marja, oh, Marja, Liebes! Kommt her und helft mir bei der Entscheidung!«
Friemelsam, der eine vollkommen ausdruckslose Miene beibehielt, beobachtete, wie Gräfin Braben die Lippen zusammenkniff und die Augen verdrehte, sichtlich verärgert, bevor sie sich um die eigene Achse drehte und sich wie geheißen zu Gräfin Dester gesellte. Ihr Gemahl, Graf Braben, war bloß Anwärter des Königlichen Rats, daher empfahl es sich nicht, Gräfin Dester vor den Kopf zu stoßen. Gräfin Braben war vieles, aber bestimmt nicht dumm. Sie hatte sich binnen drei Minuten für eine bemalte Holzpuppe und ein Puppen-Teeservice entschieden.
Mit einem raschen Seitenblick auf ihn beugte sie sich emsig über Gräfin Dester. »Ja, Violetta, Liebes?«
Violetta, Liebes, drückte Gräfin Braben einen Armvoll Puppen, Plüschbären, Marionetten und Rasseln in die Hand. »Wählt ein Spielzeug aus, Marja, ich bitte Euch! Wenn es Astaria dann nicht gefällt, kann ich sagen, es sei Eure Schuld, und sie wird es nicht an mir auslassen.«
»Ich fühle mich geehrt«, murmelte Gräfin Braben, während sie die Spielsachen an sich drückte.
»Das solltet Ihr auch«, gab Gräfin Dester zurück. »Die kleine Astaria ist ...«
»Guten Tag«, erklang hinter ihnen eine kühle, beherrschte Stimme.
Gräfin Dester wand sich auf ihrem Hocker, sah, wer eingetreten war, und stieß ein vornehmes kleines Kreischen aus. »Euer Hoheit! Meine Güte, was für eine Ehre!« Die verbliebenen Puppen, Plüschbären, Marionetten und Rasseln auf ihrem Schoß stoben zur Decke empor, als sie aufsprang.
Immer noch lächelnd – nach einer Weile verfestigte sich der Gesichtsausdruck wie Marzipan – eilte Friemelsam, die Arme weit ausgebreitet, herbei, um seine kostbare Ware aufzufangen. Mit der Spitze eines Stiefels verfing er sich unter der Kante eines handgewebten icthianischen Teppichs und fiel der Länge nach, Teddybären an die Brust gedrückt, der einzigen Tochter des Königs zu Füßen.
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich, Jonink. Der Fußfall ist für die Begrüßung Seiner Majestät reserviert. Ein einfaches: ›Guten Tag, Euer Hoheit‹ hätte genügt.«
Mit einem Ächzen hievte Friemelsam sich auf die Knie und streckte die Hand aus. »Guten Tag, Euer Hoheit«, wiederholte er gehorsam. »Interesse an einer Rassel?«
Prinzessin Rhian lächelte, ein kläglicher Ausdruck der Erheiterung. Dann streckte sie eine schlanke, sonnengebräunte Hand aus, ergriff Rassel und Finger und zog ihn geschickt auf die Füße. »Ihr seid ein frecher Schuft, Friemelsam Jonink.«
»Ich weiß, Hoheit«, pflichtete er ihr bei. »Ich könnte schwören, dass Ihr mich genau aus dem Grunde mögt.«
Sie funkelte ihn in gespielter Entrüstung an und ließ seine Hand los. »Und welcher irregeleitete Narr hat Euch das auf die Nase gebunden?«
Jetzt war sein Lächeln aufrichtig. »Eine königliche Närrin, mit Haaren wie Mitternacht, Augen wie Saphire und einem Lachen, das die Singvögel beschämt.«
»Dann war sie in der Tat eine Närrin, einen so schmeichlerischen Spitzbuben wie Euch zu ermutigen«, versetzte die Prinzessin und wandte sich dann an Gräfin Dester. »Violetta, Ihr wirkt erregt. Kann ich helfen?«
Gräfin Dester errötete und lachte affektiert. »Nun, meine Güte, Euer Hoheit, ich meine, zumindest, es ist nur so, dass ...«
Trocken warf Gräfin Braben ein: »Gräfin Dester hat ein wenig Mühe, ein Geschenk für Astaria auszuwählen, Hoheit.«
Die Prinzessin nickte. »Ich verstehe. Und wie geht es meiner Blumentochter, Violetta? Ich gestehe, ich habe in den letzten Wochen meine Ehrenkinder vernachlässigt.«
Sie hatte den König gepflegt. Friemelsam, der seine Waren neu geordnet und die beschädigten Stücke weit nach hinten geschoben hatte, blickte auf. »Ich hoffe, Seiner Majestät geht es besser, Euer Hoheit?«
Augenblicklich herrschte Schweigen in dem parfümgeschwängerten Raum, jede Spur der frenetischen Sorglosigkeit erstickt von den Schatten Randals und Simons, Ethreas toter Prinzen, der toten Brüder dieser jungen Frau. Der Hof und das Königreich waren offiziell nicht mehr in Trauer, sondern entschlossen, Kummer und Entsetzen beiseitezuschieben. Zusammenkünfte wie diese kleine Spielzeugmesse täuschten vor, dass alles in Ordnung sei ... und alle glaubten es, zumindest für eine Weile.
Bis so ein Narr von einem Spielzeugmacher die Stimmung mit unglücklichen Fragen verdarb.
In der einstudierten Miene der Prinzessin regte sich nichts, aber Friemelsam dachte, er kenne sie gut genug, um hinter die königliche Maske zu blicken. »Es geht ihm ein wenig besser, Jonink«, sagte sie mit tonlos. »Danke der Nachfrage.«
Oje. Also stand es sehr schlimm um den König. Ohne auf die wütenden Blicke der höfischen Damen zu achten, fuhr er fort: »Wenn Ihr mir vergeben wollt, dass ich es erwähne, ich habe eine Freundin, eine exzellente Ärztin und eine großartige Frau. Es wäre mir ein großes Vergnügen ...«
Bevor er seinen Satz beenden konnte, hatte Gräfin Dester sich bereits auf ihn gestürzt. »Jonink, Ihr vergesst Euch! Ihr solltet Euch Eurer Stellung bewusst sein und Euch damit bescheiden, wenn Ihr so freundlich sein wollt! Mein Mann, Graf Dester, hat den Bader empfohlen, der Tag und Nacht bemüht ist, Seiner Majestät Leiden zu lindern! Wenn Bader Ardel ein Heilmittel nicht verschreibt, dann könnt Ihr gewiss sein, dass es auch keinen Pfifferling wert ist!« Und sie tat alle nicht von Ardel empfohlenen Heilmittel mit einem Fingerschnippen ab.
Friemelsam verbeugte sich mit verkniffenen Lippen. »Ich bitte um Entschuldigung, meine Dame. Es lag lediglich in meiner Absicht ...«
Gräfin Dester wandte ihm den Rücken zu. »Nun, Euer Hoheit, was Eure überaus huldvolle Nachfrage nach der lieben kleinen Astaria angeht, sie erblüht mit jedem Tag mehr. Ein überaus schönes Kind, auch wenn ich das selbst sage, mir selbst in diesem Alter wie aus dem Gesicht geschnitten ...«
Friemelsam riskierte einen schnellen Blickwechsel mit Gräfin Braben. Ihre Lippen zuckten, genau einmal. Ein Augenlid flackerte. Ihr war am Gesicht abzulesen, dass sie dasselbe dachte wie er: was für eine Zukunft der lieben Astaria bevorstand.
Gräfin Dester bekam nichts davon mit. Sie plapperte immer weiter und weiter, Astaria habe dies gesagt, Astaria habe jenes getan, und Euer Hoheit würden nicht für möglich halten, was das kleine Püppchen gerade heute Morgen erst getan habe ...
Friemelsam, dem nichts anderes übrig blieb, als aufmerksam dazustehen und.an den richtigen Stellen zu nicken, ließ den Blick dreist auf dem Gesicht der Prinzessin verweilen. Sie wirkte ausgezehrt, mit Schatten wie Zwielicht unter den herrlichen Augen und allzu tiefen Höhlen, als ihrer Schönheit guttat, unter den hohen Wangenknochen. Ihr exquisites Kleid aus blaugoldenem Seidenbrokat saß ihr um die Taille zu locker. Sie stand hoch aufgerichtet und gerade da wie eine junge Kiefer, aber ihr ganzer Körper verriet Anspannung, und ihr Antlitz zeigte das Wispern eines Stirnrunzelns.
Oje, oje. Es sieht eindeutig schlimm aus.
»... und erst letzte Woche, Euer Hoheit, wenn Ihr das glauben könnt, hat das süße kleine Ding die Tür zum Taubenschlag aufbekommen und alle Vögel herausgelassen!«, zwitscherte Gräfin Dester. »Ach, was hatte der Taubenmeister für eine Arbeit, sie zurückzuholen, denn er wusste schließlich, dass die Kosten eines jeden Vogels, über dessen Verbleib er keine Rechenschaft ablegen kann, von seinem Gehalt abgezogen werden! Oh, was haben wir gelacht, die kleine Astaria und ich!«
»Ein erheiterndes Kunststückchen, liebe Violetta«, pflichtete die Prinzessin ihr bei. »Und jetzt denke ich, habe ich eine Lösung für Euer Dilemma. Warum schenkt Ihr der süßen kleinen Astaria nicht alle Spielzeuge? Ich meine, diejenigen, auf die noch niemand anderes Anspruch erhoben hat.«
Gräfin Dester stutzte. »Alle, Euer Hoheit?«
»Denkt nur, wie begeistert sie sein wird, wenn sie weiß, dass sie die großzügigste Mama im ganzen Königreich hat«, sagte die Prinzessin ernsthaft. »Wenn sie diese wunderschönen Puppen und Spielzeuge sieht und herausfindet, dass jede Einzelne für sie bestimmt ist, werdet Ihr gewiss ein Lächeln sehen, das breit genug ist, um die Monde zu verschlucken.«
Friemelsam trat vor. »Natürlich mit einem großzügigen Preisnachlass, Euer Hochgeboren, um meine Dankbarkeit für Euren Kauf zu zeigen.«
Gräfin Dester kniff die Augen zusammen. »Wie großzügig?«
Er schluckte. »Zwanzig Prozent?«
»Dreißig.«
»Fünfundzwanzig?«
Gräfin Dester öffnete den Mund, um Einwände zu erheben, fing jedoch den Blick der Prinzessin auf und schnaubte stattdessen. »Also schön. Fünfundzwanzig. Follit! Her zu mir!«
Während Gräfin Desters Page dem Ruf Folge leistete, sagte Prinzessin Rhian: »Meine Damen, es war mir ein Vergnügen, ein wenig Zeit in Eurer Gesellschaft zu verbringen, aber ich fürchte, ich muss jetzt zum König zurückkehren. Bitte, setzt Eure Einkäufe fort und übermittelt Euren Familien meinen Gruß und meine aufrichtige Zuneigung.« Sie nahm die Knickse der Damen mit einem Lächeln zur Kenntnis und zog sich zurück.
Friemelsam sah ihr stirnrunzelnd nach, dann entschuldigte er sich bei Gräfin Dester. »Einen Augenblick, Euer Hochgeboren, ich habe da etwas vergessen ...«
Gräfin Dester stieß einen ungläubigen Laut aus. Friemelsam stellte sich taub, schlüpfte durch das Gedränge parfümierter Frauen und trat durch die offene Tür in den Flur hinaus. »Euer Hoheit!«
Die Prinzessin, die gerade um eine Ecke biegen wollte, zögerte. »Jonink? Ist etwas passiert?«
Er holte sie mit fünf schnellen Schritten ein, dann machte er eine schnelle Verbeugung. »Nicht bei mir, Hoheit. Ich wollte nur sagen, hm, vielen Dank.«
Sie zuckte die Achseln. »Es gab keine Notwendigkeit für Gräfin Dester, so unhöflich zu sein. Ihr habt nur versucht zu helfen. Gott weiß, dass Seine Majestät alle Hilfe gebrauchen kann, die er bekommen kann.«
Er widerstand dem Drang, ihren Arm zu tätscheln. »Mir war es ernst mit dem, was ich gesagt habe, Hoheit. Ursa ist eine hervorragende Baderin, die Beste, die mir je begegnet ist. Ich bin davon überzeugt, dass sie helfen könnte. Sie könnte zumindest den Schmerz des Königs lindern, da bin ich mir gewiss.«
»Wenn Ihr das sagt, Jonink, dann habe ich keinen Zweifel daran, dass es der Wahrheit entspricht. Aber ich fürchte, ganz so einfach wird es nicht sein.«
»Graf Dester«, bemerkte er und verzog das Gesicht. »Natürlich. Ich verstehe.«
Sie legte den Kopf schief, während sie ihn betrachtete. »Das glaube ich Euch sofort«, erwiderte sie schließlich. »Ihr versteht für einen einfachen Spielzeugmacher eine Menge von höfischer Politik, finde ich.«
»Für einen einfachen Spielzeugmacher, der, seit er groß genug war, um die Werkzeugtasche seines Vaters zu halten, an diesem Hof ein und aus gegangen ist«, stellte er fest. »Ich müsste schon erheblich tauber, dümmer und blinder sein, als ich es bin, um nicht zu erkennen, wie die Dinge hier stehen, Euer Hoheit.«
Ihr flüchtiges Lächeln war bekümmert. »Ja, das kann ich mir vorstellen.«
Sie machte Anstalten, sich umzudrehen, aber er konnte es nicht dabei bewenden lassen. Das arme Mädchen war zutiefst unglücklich und offenkundig beinahe am Ende ihrer Kräfte. Sie stand ganz allein auf der Welt, beinahe allein, und brauchte dringend Hilfe.
»Wirklich, Hoheit, lasst mich zumindest mit Ursa sprechen«, sagte er schmeichelnd. »Sie hat viel Erfahrung mit Fieberkrankheiten und Ausflüssen. Sie könnte einen kleinen Trank mit ein wenig Milch und Wein und einigen Kräutern zubereiten und ihn mir dann geben, und ich könnte ...«
»Ihr ändert Euch nie, hm?«, fragte die Prinzessin. »Seit ich denken kann, habt Ihr die zerbrochenen Dinge in meinem Leben repariert. Erinnert Ihr Euch an dieses gescheckte graue Schaukelpferd, das ich zu Schanden geritten habe? Das Schaukelpferd, das ich von Simon geerbt habe, der es seinerseits von Ranald geerbt hatte? Dreimal habt Ihr es geflickt, bis wir uns eingestehen mussten, dass das arme alte Ding zu seiner letzten Schlacht getänzelt war.« Die zuneigungsvolle Erheiterung erstarb in ihren Zügen, und ihr Gesicht wirkte bleich und weit älter als die neunzehn Jahre, die sie zählte. »Erinnert Ihr Euch, was Ihr mir gesagt habt, als ich ein Kind von sieben Jahren war und Ihr mich auf Eurem Schoß habt sitzen und weinen lassen? Ihr sagtet: ›Kleine Prinzessin, bekümmert Euch nicht. Das alte Pferd hatte ein gutes Leben und ein langes obendrein, und alle Dinge müssen früher oder später zu Staub werden.‹« Plötzlich waren die strahlend blauen Augen voller Tränen, und ihre Lippen zitterten.
Durch die nahe offene Tür wehte ein schriller, streitlustiger Ruf. »Jonink? Jonink! Kommt auf der Stelle zurück, Jonink!«
Die Prinzessin holte bebend Atem und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Man verlangt nach Euch, Jonink, und auch ich werde andernorts gebraucht. Ich werde Eure freundlichen Gedanken an den König weiterleiten. Er wird gerührt sein zu erfahren, welchen Anteil sein Volk an seinem Wohlergehen nimmt.« Impulsiv schloss sie eine Hand um seinen Unterarm. »Ich danke Euch, Friemelsam. Ihr seid ein lieber, wahrer Freund.«
Und sie war fort, entfernte sich mit langen, schnellen Schritten, die nur geringfügig durch ihr Kleid behindert wurden. Friemelsam blickte ihr nach, bis sie außer Sicht war, und seine eigene Trauer um die toten Prinzen erwachte von Neuem.
Armes Mädchen. Was für eine Bürde sie trägt. Die Menschen beobachten sie auf Schritt und Tritt. Tuscheln hinter ihrem Rücken. Tuscheln, bevor sie eintritt. Analysieren ihr Leben, noch während sie es lebt.
Natürlich würde sich wahrscheinlich alles zum Guten wenden. Höchstwahrscheinlich würde der darniederliegende König sich erholen. Bader leisteten heutzutage Erstaunliches. Der König musste sich erholen, Ethrea war noch nicht bereit, ihn zu verlieren. Durch den vorzeitigen Verlust von Ranald und Simon gab es keinen Prinzen, der darauf wartete, den Thron zu besteigen. Da war nur Prinzessin Rhian. Die noch nicht einmal ihre Volljährigkeit erreicht hatte und obendrein ein Mädchen war. Ethrea war noch nie von einer Frau regiert worden ... und es gab Personen, die fanden, dass dies auch niemals geschehen solle.
Zum Beispiel Prälat Marlan. Seine Ansichten über Frauen sind, gelinde gesagt, streng.
Ein kalter Schauder überlief ihn. Sollte König Eberg ohne einen männlichen Erben sterben, konnte daraus nur Elend erwachsen. Ethreas Vergangenheit war ein Bildteppich aus Verrat und Blutvergießen, geboren aus dem verzweifelten Streben von sechs Herzogtümern, die Herrschaft über das ganze Land zu erringen. Am Ende war das Herzogtum Fyndel siegreich aus den Kämpfen hervorgegangen und in Königspfalz umbenannt worden. Friede war eingekehrt, und für mehr als dreihundert Jahre hatte das Flickwerk der Grenzen der fünf geringeren Fürstentümer einigermaßen gehalten. Aber was für ein Chaos würde es geben, falls Eberg starb. Alle Länder, die an Ethrea interessiert waren, würden wie ein mörderischer Krähenschwarm über uns herfallen ...
Friemelsams Herz begann zu hämmern. Wenn der König wieder gesund wurde, konnte er sich eine neue Frau suchen und einen Sohn zeugen, um die beiden zu ersetzen, die viel zu früh gestorben waren. Eberg war nicht alt, nur drei Jahre älter als er selbst. Er hatte gerade erst die mittleren Jahre erreicht. Gewiss hatte der König noch Dutzende von Söhnen in sich. Wenn es zum Schlimmsten käme und er starb, bevor dieser hypothetische Sohn achtzehn wurde, nun, dann würde es eine Regentschaft geben, aber so etwas konnte man überstehen. Einen König in Windeln konnte man überstehen. Aber welches Königreich konnte ganz ohne König auskommen?
Hör auf dir selbst Angst zu machen, Jonink. Seine Majestät wird wieder gesund.
Gräfin Dester erschien in der offenen Tür. »Jonink! Was macht Ihr nur hier? Muss ich Euch daran erinnern, wer ich bin?«
»Nein, Euer Hochwohlgeboren!«, sagte Friemelsam. »Meine aufrichtige Entschuldigung. Ich komme sofort!« Und er entfloh seinen traurigen Gedanken, als jagten sie ihn mit gesträubten Nackenhaaren und gebleckten Zähnen.
Während der Sturm von Gräfin Desters Missvergnügen ihn umtoste, nickte er und entschuldigte sich und verneigte sich und packte ihre Einkäufe ein, dann widmete er sich den Dingen, die andere Hofdamen erstanden hatten. Als er fertig war und endlich allein, gestattete er sich einen Augenblick, um sich niederzusetzen und zu seufzen und voller Freude seine mit Münzen gefüllte Börse anzuheben.
»Selbst mit diesem empörenden Preisnachlass kein schlechtes Tagewerk, meine Liebste«, bemerkte er, an die Luft gewandt. »Ich werde auf dem Heimweg bei Jaspers vorbeischauen und die neuen Vorhänge für den Salon bestellen, ja? Mitternachtsblau, vielleicht mit einer Spur Silber. Was denkst du, Hettie? Denkst du, Blau würde am besten passen?«
Ich denke, wir haben größere Sorgen als die Vorhänge, Friemel.
Friemelsam erstarrte. Blickte von einer Seite zur anderen. Über seine Schulter. Hinter das Sofa. Nichts. Niemand. Der Raum war leer.
Er räusperte sich. Obwohl er sich lächerlich dabei vorkam, fragte er: »Ah ... ist hier jemand?«
Keine Antwort. Er setzte sich wieder hin, zog sein Taschentuch aus der Tasche und wischte sich über die Stirn.
»Du bist überarbeitet, Jonink. Es wird Zeit, dass du die Füße hochlegst und dich mit einem Glas kalten Bieres entspannst.«
Zu einer Zeit wie dieser kannst du kein Bier trinken, Friemel.
Mit einem erstickten Aufschrei sprang er auf die Füße, und das Taschentuch flatterte unbeachtet zu Boden. Unter seinem besten braunen Wams und seinem zweitbesten gelben Hemd hämmerte ihm das Herz, als wolle es zerbersten. Es war unmöglich, aber er stellte die Frage trotzdem.
»Hettie? Hettie? Bist du das, Hettie?«
Das Königreich steckt in Schwierigkeiten, Friemel, und du musst es retten.
»Gott steh mir bei!«, murmelte er, obwohl er vor zwanzig Jahren aufgehört hatte, an Gott zu glauben. »Ich werde verrückt!« Er packte hektisch seinen Schrankkoffer und seinen Rucksack, band sich seine Börse an den Gürtel, warf einen letzten entsetzten Blick in den leeren Raum und floh.
Ursa stutzte gerade einen Schwärwellstrauch, als Friemelsam in ihre Baderstube stürmte. Ihr schmales Gesicht war ernst vor Konzentration, und ihre dünnen Finger bewegten sich sicher und ruhig, während sie unaufhörlich an den stacheligen roten Blättern des Schwärwells herumschnippelte. Ihr schulterlanges, grau meliertes Haar war unter einem wenig kleidsamen alten Tuch verborgen; ihren kleinen mageren Körper umhüllte der unvermeidliche, fleckige, sackartige Kittel. Arbeitstische säumten den niedrigen Raum, und an Schnüren baumelten getrocknete und trocknende Kräuter von den Dachsparren. Der durchs Fenster einfallende Sonnenschein wärmte die Luft, die nach Pfefferminze und Rosmarin und Süßjulietta roch.
Ausnahmsweise vermochte die bäuerliche Trautheit der Kräuterstube ihn diesmal nicht zu trösten.
»Ursa, ich bin krank!«, keuchte er, während er sich an die Ecken des nächststehenden verschrammten Tisches klammerte. »Oder ich verliere den Verstand!«
Immer noch schnippelnd musterte sie ihn mit einem maßvollen Blick aus ihren grauen Augen von Kopf bis Fuß. »Ich finde, du siehst gut aus, Jonink.«
»Nein«, beharrte er. »Ich bin krank. Schnell, du musst etwas tun!«
Seufzend legte Ursa ihre Schere beiseite, verschränkte die Arme vor ihrer flachen Brust und musterte ihn einen Moment lang schweigend. Dann zog sie einen klapprigen Hocker hervor und deutete darauf. »Setz dich.«
Er ließ sich vorsichtig auf den Hocker sinken und beobachtete sie, während sie in einer Schublade kramte, einen Holzhammer herauszog und ihn auf den Tisch legte.
»Ist dir übel?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Schwindelig?«
»Nein.«
»Kopfschmerzen?«
»Eigentlich nicht.«
»Stechende Schmerzen? Wie von Nadeln? Schwächegefühl?«
»Nein, nein und nein.«
Sie funkelte ihn an. »Du wirst mehr als krank sein, wenn ich herausfinde, dass dies eine Art Scherz sein soll, Jonink. Ich bin eine vielbeschäftigte Frau, ich habe keine Zeit für Scherze.«
Er schlang die Hände zwischen den Knien zusammen, damit sie zu zittern aufhörten. »Ursa, glaub mir. Dies ist kein Scherz, ich verspreche es.«
Ihre Miene war säuerlich. »Das will ich dir auch geraten haben.« Sie ging zum Fenstersims, wo eine schnurgerade Reihe sauber eingetopfter Pflanzen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne trank. Mit einem ungeduldigen Murren zupfte sie ein Blatt von einer zarten, purpurnen Ranke, kehrte zu ihm zurück, spuckte auf das Blatt und klatschte es ihm auf die Stirn.
»Musst du spucken?«, beschwerte er sich. »Es ist abscheulich, Ursa.«
Sie sah ihn wenig beeindruckt an.
»Das ist es wirklich!«
»Sage ich dir, wie du deine Puppen zusammennähen sollst, Jonink?«
»Ja. Ständig.«
»Und wenn du besser aufpassen würdest, würden sie doppelt so lange halten.«
Seit Hetties Tod war sie seine engste Freundin. Was nicht bedeutete, dass sie ihn nicht in den Wahnsinn trieb. »Hu«, murmelte er leise. »Nun, was geschieht jetzt?«
»Sei still«, sagte sie stirnrunzelnd. »Es dauert ein oder zwei Minuten, bis das Fieberblatt reagiert.«
Eine Minute verstrich in Ungeduld.
»Kein Fieber«, erklärte sie, zog ihm das Blatt von der Stirn und warf es in einen Komposteimer. Dann schlug sie ihm mit dem Hammer aufs Knie.
»Au!«, sagte er, als sein Bein ohne sein besonderes Zutun vorschnellte. »Das hat wehgetan!« Dann sah er sie ängstlich an. »Sollte es das?«
»Ich habe dich gerade mit einem Hammer geschlagen, Jonink, also, was denkst du?«
Er schluckte. »Ich denke ... Ursa, ich denke, ich verliere den Verstand!«
Diese Bemerkung entlockte ihr ein Grinsen. »Falls du welchen zu verlieren hättest, Jonink, würde ich mir Sorgen um dich machen.«
Er schlug sich mit der Faust aufs Knie. Die Erinnerung an diese geliebte, ersehnte Stimme in dem leeren Raum in der Burg besaß noch immer die Macht, dafür zu sorgen, dass sich die feinen Härchen in seinem Nacken aufstellten. »Um Gottes willen, Ursa, das ist nicht zum Lachen!«
»Ebenso wenig wie Gotteslästerung, Friemelsam Jonink. Du solltest dir auf die Zunge beißen, bevor Gott für dich draufbeißt!«
Erzürnt funkelten sie einander an. Er wandte den Blick als Erster ab. Dann rieb er sich die nassen Hände an seinen besten Samthosen ab und flüsterte: »Wahrhaftig, Ursa, ich habe Angst.«
Ihre strenge Stimme wurde sanfter, genau wie ihr Gesicht. »Ja, das sehe ich, Jonink. Warum? Was ist passiert, mein Freund, dass du wie ein verschrecktes Kaninchen in meine Werkstatt gehuscht kommst?«
Friemelsam öffnete den Mund zu einer Antwort, dann schloss er ihn wieder. Hier und jetzt zum Sprechen ermuntert, kam er sich plötzlich töricht vor. Was würde sie von ihm denken, die vernünftige Ursa in ihrer vernünftigen Werkstatt, wenn er erzählte, dass seine verstorbene Frau zu ihm gesprochen hatte? Nein. Er war einfach übermüdet ... und es war Frühling. Eine schwierige Jahreszeit. Der Schmerz in seinem Herzen, dieser ständige Begleiter, wurde durch Erinnerungen und Trauer vervielfacht.
Ursa wartete darauf, dass er etwas sagte, während sie ihn mit dem freimütigen Blick betrachtete, der tapfereren Männern als ihm die Knie weich werden ließ. »Friemelsam?«
Er rutschte vom Hocker. »Es tut mir leid, Ursa. Ich hätte dich nicht stören sollen. Ich ...«
»Setz dich, Jonink!«
Er setzte sich wieder. »Oje.«
»Es wird mehr geben als ›Oje‹, wenn du dir nicht endlich ein Herz fasst.« Sie trommelte mit ihren kurzen schmuddeligen Nägeln auf den Tisch. »Erzähl mir einfach, was geschehen ist. Alles. Keine Ausflüchte.«
Oje, oje. Er schenkte ihr ein halbherziges Lächeln. »Du wirst denken, ich hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
»Das denke ich schon seit zwanzig Jahren, Jonink. Spuck es aus.«
»Nun ...« Abermals rieb er sich die feuchten Hände an seinen Hosen ab. »Weißt du, es ist folgendermaßen. Ich war oben in der Burg; heute ist der Tag, an dem ich den Damen des Hofes Spielzeug verkaufe. Ich habe auch die Prinzessin gesehen ...« Das heftige Mitleid regte sich. »Ich mache mir Sorgen um Ihre Hoheit, sie sieht gar nicht gut aus. Sie ...«
»... nicht diejenige, um die es in dieser Geschichte geht, nicht wahr?«, unterbrach Ursa ihn ungeduldig. »Jonink, du bist furchtbar unkonzentriert!«
Niemand konnte so schelten wie Ursa. Er warf ihr einen Blick zu. »Ja. Nun, nachdem die Damen gegangen waren, habe ich mit Hettie über die neuen Vorhänge geplaudert, die ich für den Salon plane.«
Ursa begann von Neuem mit den Fingernägeln auf den Tisch zu klopfen. »Du plauderst immer mit Hettie. Komm doch bitte auf den Punkt.«
»Auf den Punkt?«, wiederholte er mit sich überschlagender Stimme. »Ursa, der springende Punkt ist, dass diesmal Hettie auch mit mir geplaudert hat.«
Da sie nun einmal Ursa war, kreischte sie nicht, warf auch nicht die Hände in die Luft oder keuchte auch nur ein wenig auf. Da sie nun einmal Ursa war, blinzelte sie wie eine Katze, die sich im Sonnenschein räkelte.
»Hmm«, sagte sie nach einer nachdenklichen Pause. »Das ist interessant. Was hat sie gesagt?«
Was sie gesagt hatte? Das Königreich steckt in Schwierigkeiten, Friemel, und du musst es retten.
Das konnte er Ursa nicht erzählen. »Ich – ich weiß es nicht! Ich kann mich nicht erinnern! Ich bin nicht auf die Idee gekommen, es aufzuschreiben, Ursa, bitte, du musst diese Angelegenheit ernst nehmen. Hettie hat mit mir gesprochen! Ich muss Fieber haben. Oder aber – oder aber ...« Er sah sie voller Entsetzen an. »Vielleicht verliere ich den Verstand!«
Sie lachte. »Das ist doch lächerlich!«
»Du hast gut reden! Du bist nicht diejenige, die körperlose Stimmen hört!«
In einem ihrer quecksilberhaften Stimmungsumschwünge tätschelte Ursa ihm die Schulter; plötzlich war sie ganz Mitgefühl. »Na, na. Hol erst einmal schön tief Luft und komm auf den Boden zurück, Jonink. Du verlierst den Verstand ebenso wenig, wie ich es tue.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Weil ich Baderin bin. Es ist meine Aufgabe, mir sicher zu sein.«
»Aber – aber, Ursa ...«
Sie klopfte ihm mit den Fingerknöcheln auf den Kopf. »Sei still. Du wirst dich beruhigen, Jonink, und ein wenig Ingwertee trinken.«
Getröstet von ihrem Mangel an Bestürzung beobachtete er, wie sie ihren zerbeulten Kessel auf die Platte setzte und mit einem Schüreisen in der Glut herumstocherte. Er kannte keinen Menschen, der sich in seiner eigenen Haut so wohlfühlte wie Ursa. Sie bewegte sich flink und löffelte mit ebenso viel Konzentration und Entschlossenheit, wie sie auf das Nähen einer Wunde oder das Schienen eines gebrochenen Knochens verwandte, Ingwer in die Teekanne. Ihr ausgeblichener, alter Schal wurde von den Schildpattschließen gehalten, die er ihr am letzten Königreichstag geschenkt hatte. Es tat ihm wohl zu sehen, dass sie sie trug.
Kurz bevor das Wasser zu kochen begann, stieß der Kessel einen dünnen Dampffaden aus. Ursa musterte Friemelsam, und um ihre Lippen zuckte noch immer ein spöttisches Lächeln. »Es ist ein Weilchen her, seit wir beide uns das letzte Mal hingesetzt und miteinander geplaudert haben.«
Ja. Ein Weilchen. Und nicht nur, weil er mit seiner Arbeit zu tun hatte und sie regelmäßig auf der Jagd nach Kräutern ins Umland der Stadt verschwand.
Es liegt am Frühling. Selbst nach so langen Jahren stimmt uns diese Jahreszeit immer noch verlegen. Eigentlich töricht. Wir wissen beide, dass keinen von uns eine Schuld trifft. Sie hat ihr Bestes für Hettie getan, und ich ebenfalls. Manche Dinge sollen einfach nicht sein ...
Er zuckte die Achseln. »Na ja ... Die Tage entschwinden einem, wenn man nicht achtgibt.«
Ihr spöttisches Lächeln verblasste. »Ja«, antwortete sie leise. »Ja, das tun sie gewiss.«
Jetzt kochte der Kessel richtig. Ursa goss heißes Wasser in die Teekanne, und ein kräftiger Duft von Ingwer erfüllte den Raum.
Sein Magen knurrte. »Du hast wohl nicht zufällig Pflaumenkuchen da, oder?«, fragte er hoffnungsvoll. »Ich bin heute Morgen ohne Frühstück aufgebrochen, und wenn ich oben in der Burg bin, habe ich immer zu viel zu tun, um zu essen.«
Ursa blickte in stummem Flehen gen Himmel. »Wann wirst du endlich dein Leben in den Griff bekommen, Jonink?«, bemerkte sie, griff in einen Schrank und holte eine zerbeulte Kuchendose und ein Messer hervor.
»Ich habe mein Leben im Griff! Ich habe lediglich verschlafen. Gestern Nacht hatte ich eine wunderbare Idee für eine neue Marionette, eine Hirtin und ihre kleine Herde, und ich wollte mit ihrem Gesicht anfangen. Aber als ich auf die Uhr schaute, war es nach Mitternacht, und ich hatte noch immer nicht meine Waren für heute Morgen eingepackt.«
Ursa schnitt zwei großzügige Scheiben feuchten Pflaumenkuchen ab und legte sie auf Teller, die sie aus einem Regal genommen hatte. »Bei dir ist es immer irgendetwas«, sagte sie, während sie ihm einen der Teller reichte. »Du bist ein unverbesserlicher Träumer, da beißt die Maus keinen Faden ab.«
Hettie hatte das ebenfalls oft gesagt, im gleichen erheiterten und tadelnden Tonfall. Wenn sie länger gelebt hätte, wären sie und Ursa schnell Freundinnen geworden, davon war er überzeugt.
Wenn sie länger gelebt hätte ...
Um sich von diesem melancholischen Gedanken abzulenken, nahm er einen großen Bissen Pflaumenkuchen. »Oh, der ist wunderbar!«, murmelte er, Ursas köstlichen Kuchen im Mund.
»Ich weiß«, erwiderte sie und schenkte Tee in zwei angeschlagene Becher. Dann betrachtete sie ihn durch den aufsteigenden Dampf und fügte hinzu: »Es ist eins von Hetties Rezepten. Sie hat es mir aufgedrängt und mich gebeten, auf jeden Fall weiter Pflaumenkuchen für dich zu backen. Das war nicht lange, bevor ...«
Das hatte sie ihm nie erzählt. Er hatte ihren Pflaumenkuchen ... oh, zu viele Male, um mitzuzählen – gegessen, und sie hatte ihm nie verraten, woher das Rezept stammte. Oh, Hettie. Hettie. Ich vermisse dich, mein Liebling. Ich vermisse dich so sehr.
Ursa reichte ihm einen Becher. »Vielleicht hätte ich es erwähnen sollen.«
»Nein, nein, natürlich nicht«, antwortete er und starrte in seinen Tee. »Es ist in Ordnung, wirklich. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
»Hmm.« Sie zog sich einen anderen Hocker herbei und setzte sich. »Also schön, Jonink. Noch mal zu dieser Stimme, von der du denkst, es sei Hettie gewesen ...«
Mit einem Mal und vollkommen verrückterweise wollte er nicht darüber reden. Er wollte nur hier sitzen, Hetties Pflaumenkuchen essen und Ingwertee trinken und dabei so tun, als stünde nicht der Jahrestag des Todes seiner geliebten Frau bevor, der gleichzeitig grausamerweise der Jahrestag ihrer Hochzeit war.
Und Ursa fragt sich, warum ich nichts für Gott übrighabe.
Seinen letzten Bissen Kuchen noch im Mund, sagte er undeutlich: »Ich mache mir aufrichtige Sorgen um Rhian.«
Ursas streng disziplinierte Augenbrauen zuckten in die Höhe. Einen Moment lang dachte er, sie würde ihn wegen seiner Weigerung, ihre Frage zu beantworten, tadeln, aber sie tat es nicht. Sie lächelte ihn nur an und verdrehte die Augen.
»Rhian, ja? Meine Güte, wie überaus vertraut ihr beide doch miteinander seid. Und hat die Prinzessin dich auf die Wange geküsst, als sie dich gesehen hat, Jonink, und dich gebeten, sie in Staatsangelegenheiten zu beraten?«
Mit heißem Gesicht unter seinem ungebärdigen Bart spülte er den letzten Krümel Pflaumenkuchen mit einem Schluck Tee herunter, dann warf er einen begehrlichen Blick auf die geschlossene Kuchendose. Eine zweite Portion wäre wunderbar gewesen, aber er war klug genug, nicht darum zu bitten. Ursa, die in ihrer mageren Kantigkeit ruhte, hatte strenge Ansichten zum Thema Unmäßigkeit.
»Das ist nicht gerecht«, sagte er und rutschte auf seinem Hocker ein wenig zur Seite, so dass die Kuchendose keine direkte Versuchung mehr darstellte. »Ich kenne die Prinzessin, seit sie ein Säugling war. Wahrhaftig, ich bin mehr als alt genug, um ihr Vater zu sein! Kann ich etwas dafür, wenn ich an sie als Rhian denke? Wenn ich ihr gegenüberstehe, heißt es immer Euer Hoheit, dessen kannst du dir gewiss sein.«
»Ich kann mir gewiss sein, dass du immer der Erste am Platz bist, wenn es irgendwo nach Ärger riecht.«
»Das nehme ich dir übel, Ursa!«
Sie behandelte ihn wie die aufsässigen Kinder, die mit aufgeschürften Knien, wundem Hals und Bienenstichen an den vorschnellen Fingern zu ihr kamen. Für einen flüchtigen Moment war er ärgerlich.
»Ursa, ich wünschte, du würdest mich ernst nehmen.«
»Sagt der Mann, der in einem leeren Raum Stimmen hört«, murmelte sie.
Das Königreich ist in Schwierigkeiten, Friemel, und du musst es retten.
Er stieß das Echo von Hetties Stimme beiseite. »Es ist wichtig, Ursa. Mit dem König steht es nicht zum Besten, davon bin ich überzeugt. Ich denke ...« Er schluckte, denn sein Mund war plötzlich trocken. »Ich denke, sein Gesundheitszustand ist viel schlimmer, als man uns hat glauben machen.«
Ursa musterte ihr halb gegessenes Stück Kuchen. »Wirklich? Bist wohl unter die Bader gegangen, oder?«
»Nein, natürlich nicht! Aber – nun – da du eine Baderin bist, habe ich dich gefragt – du weißt schon ...«
»Jonink, ich habe keinen Schimmer«, sagte sie, während sie nach wie vor ihren Kuchen beäugte.
Er beugte sich vor, als könnten ihre Pflanzen sie belauschen. »Ich dachte, du hättest vielleicht etwas gehört. Etwas anderes als die offiziellen Neuigkeiten aus der Burg.«
»Ich habe nichts gehört«, erwiderte Ursa nach einem kurzen Augenblick. »Aber ich bin nicht der Bader, den unsere erhabensten Edelleute wegen ihrer Nietnägel herbeirufen, nicht wahr?«
Nein, das war sie nicht, und die Edelleute waren Narren. Ursa war nie in Mode gewesen. Ihre Wahl, was Patienten betraf, wurde von der Notwendigkeit diktiert, nicht von der Größe ihrer Börsen. Oh, sie hatte ihren kleinen Anteil an wichtigen Kunden ... jene seltenen Männer und Frauen, die sie nach Ergebnissen beurteilten, nicht nach dem Namen, die sie bei einer vornehmen Abendgesellschaft fallen lassen konnte. Aber es waren herzlich wenige, auf die das zutraf.
»Was weißt du über den Bader Ardel?«, fragte er und lehnte sich zurück. »Er kümmert sich um den König.«
»Ich weiß«, sagte sie. Typischerweise brauchte sie keine Zeit, um in ihrem Gedächtnis zu stöbern. »Ardel ist zwölf Jahre jünger und zwanzig Zentimeter größer als ich. Schlechte Zähne – er hat eine viel zu große Vorliebe für kandierte Orangen. Ardel hat bei Bader Runzer im Herzogtum Meercheq studiert. Der Liebling des Adels, ungeachtet der Tatsache, dass er Abführmittel, Pülverchen und Blutegel sehr zu schätzen weiß.«
»Aber er ist ein guter Bader?«
»Warum?«, fragte Ursa und nahm endlich doch noch einen Bissen von ihrem Kuchen. »Ist die Prinzessin unzufrieden mit seinen Diensten?«
Schatten, geworfen von einer ungewissen Zukunft, verdunkelten die helle, weiß getünchte Werkstatt. Friemelsam seufzte. »Sie hat es nicht direkt gesagt. Aber sie scheint krank vor Sorge zu sein, Ursa. Ich habe versucht, sie davon zu überzeugen, dass sie nach dir schicken lassen solle, aber – nun, es gibt Komplikationen.«
Wieder dieses kurze Aufflackern eines Lächelns. »Höflich ausgedrückt.« Ursa leerte ihren Becher mit einem einzigen langen Schluck und stellte ihn auf den Tisch. »Und es war lieb gemeint von dir. Aber selbst wenn ich mich um Seine Majestät kümmerte, bezweifle ich, dass es viel mehr gäbe, was ich tun könnte. Ardel ist für meinen Geschmack ein wenig zu sehr in sich selbst verliebt, aber er ist genauso gut wie jeder andere Bader in Königspfalz. Höchstwahrscheinlich im ganzen Königreich. Wenn der König ernsthaft krank ist, obwohl Ardel sein Bestes tut, dann ... nun, ich denke, es muss wohl hoffnungslos sein.«
»Hoffnungslos?« Er spürte, dass sein Mund wieder trocken wurde. Sein Herz hämmerte. »Meinst du, Seine Majestät wird mit Sicherheit sterben?«
»Im Gewerbe eines Baders ist niemals irgendetwas sicher, Jonink, aber ich muss sagen, dass die Umstände nicht auf einen glücklichen Ausgang hindeuten. Die Pestilenz, die die Prinzen aus Dev'karesh mit heimgebracht haben, hat jeden Einzelnen getötet, der sich angesteckt hat, die armen Seelen. Wäre die Prinzessin nicht außerhalb der Hauptstadt gewesen, als ihre Brüder zurückkehrten, hätten wir sie vermutlich schon lange neben ihnen begraben. Ich habe es nie ausgesprochen, aber meiner Meinung nach ist es ein Wunder, dass der König überhaupt so lange gelebt hat.« Ursa schüttelte den Kopf. »Gott sei Dank wurde der Ausbruch schnell eingedämmt, sonst wären wir inzwischen wahrscheinlich ein Königreich der Leichen.«
Bei dieser Bemerkung riss Friemelsam die Augen auf. »Du hast das erwartet?«
»Ich bin Baderin, Jonink. Krankheit ist mein Lebensunterhalt. Natürlich habe ich es erwartet.«
»Du hast nie ein Wort gesagt!«
Sie zuckte die Achseln. »Wozu auch? Was geschehen ist, ist geschehen. Es hat keinen Sinn, die Menschen in Panik zu versetzen, wenn etwas unabwendbar ist.«
»Oje. Und da habe ich die ganze Zeit über gedacht, es gäbe ein wenig Hoffnung.« Er schlug auf den Tisch. »Es ist so ungerecht! Rhian ist jung und schön, sie sollte auf Bällen tanzen, Herzen brechen, von irgendeinem jungen Edelmann umworben werden und mit ihrem Lieblingspferd durch den Wald reiten ... und nicht jeden wachen Augenblick eingepfercht in einem Krankenzimmer verbringen und ihrem Vater beim Sterben zusehen!«
Niemand sollte dazu gezwungen werden, einem Menschen, den er liebte, beim Sterben zuzusehen. Wenn ich ihr doch nur durch diesen Albtraum helfen könnte. Aber er konnte es nicht. Er war nichts als ein Spielzeugmacher, der reizlose, unbedeutende Mann, der sie als Kind zum Lachen gebracht hatte und der ihr jetzt, da sie erwachsen war, in der Erinnerung an jene Zeiten ein zuneigungsvolles Lächeln ins Gesicht zauberte. Er war kein großer Herr, der das Recht hatte, von Gleich zu Gleich mit ihr zu sprechen und ihr in dieser Zeit des Kummers seine Schulter anzubieten.
»Es hat wenig Sinn, dich deswegen aufzuregen«, sagte Ursa scharf. »Du kannst weder der Prinzessin noch dem König helfen, und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
Verdrossen rieb er mit dem Daumen über ein Astloch im Tisch zwischen ihnen. »Ich weiß. Es schmerzt mich nur, sie so ... so verletzt zu sehen.«
»Du magst zwar so aufreizend sein wie ein Hemd voller Ameisen, Jonink«, bemerkte sie, und ihre Miene wurde weicher, »aber ich kann es nicht leugnen – du bist ein guter, lieber Mann.«
Sie machte ihm nicht oft Komplimente. Zu jeder anderen Zeit hätte er sie deswegen geneckt, aber seine Stimmung war zu düster. »Ich hasse den Gedanken, was mit Rhian geschehen wird, wenn du Recht hast und der König stirbt.«
»Wie meinst du das?«, fragte Ursa überrascht. »Du weißt, was geschehen wird. Ohne einen Prinzen, der Ebergs Krone tragen kann, wird sie einen Sohn aus einem der großen Häuser Ethreas heiraten. Er wird seinen Namen ablegen, ein Havrell werden und als König den Thron besteigen. Sie als seine Königin wird den Erben des Hauses Havrell gebären.«
Er zupfte an seinem Bart. »So wie du es schilderst, klingt es ganz einfach, aber ich fürchte, das wird es nicht sein. Rhian ist keinem Mann versprochen. Die Herzöge haben Söhne und Brüder und Neffen. Sie werden den Tod des Königs als eine wunderbare Gelegenheit ansehen, ihr eigenes Glück zu schmieden. Wer weiß, welche Art von Druck man auf die Prinzessin ausüben wird, diesen Mann jenem vorzuziehen? Und nicht zu ihrem Wohl oder auch nur dem Wohl des Königreichs, sondern zum Wohl eines wildfremden Mannes.« Er schlug sich aufs Knie. »Es ist ein großer Jammer, dass sie nicht versprochen wurde, bevor der König so krank geworden ist. Jetzt hat sie niemanden, der sie vor den Ränken und dem politischen Klüngel und den Männern beschützen wird, die in ihr nicht mehr sehen als eine Schachfigur im Dienste ihres eigenen Ehrgeizes.«
»Sie hat Prälat Marlan«, bemerkte Ursa. »Als führender Gottesmann des Königreiches wird er dafür sorgen, dass sie nicht bedrängt oder schikaniert wird.«
Ursa, so scharfsichtig in allem anderen, hatte diesen einen blinden Flecken. Wie jeder andere gläubige Kirchgänger hielt sie große Stücke auf Prälat Marlan. Er selbst war sich da nicht so sicher. Ethreas Prälat war ihm stets schwierig und intolerant erschienen, eine unattraktive Mischung. Aber es hatte keinen Sinn, das zu Ursa zu sagen.
»Ich hoffe es«, erwiderte er. »Gewiss ist es seine Pflicht, sie zu beschützen.«
Ursa musterte ihn eingehend, mit schmalen Augen und verkniffenen Lippen. »Du nimmst diese Angelegenheit sehr persönlich, Jonink.«
Er brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Nenn mich töricht, aber sie könnte meine Tochter sein. Hettie und ich ... wir haben von einer Tochter geträumt.« Der altvertraute Schmerz bemächtigte sich seiner. Sie hatten unter den Weiden, die den Ententeich am Ende ihres Feldwegs säumten, von so vielen Dingen geträumt. Er schloss die Augen. Es wird Zeit, sich den Tatsachen zu stellen. »Ich habe sie gehört, weißt du, Ursa. Ich weiß nur nicht, warum. Ich weiß nicht, was es bedeutet.«
Ursa legte eine Hand auf seine. »Jonink, mein lieber Freund. Hettie ist tot. Was du gehört hast, war Wunschdenken.«
»Nein«, widersprach er und sah sie an. »Es war mehr als das.«
Statt zu streiten, räumte Ursa Teller und Becher vom Tisch und stapelte sie säuberlich in der Spüle unter dem Fenster. Im Profil betrachtet, sah ihr Gesicht bekümmert aus. Als sie sich endlich zu ihm umdrehte, waren ihre Augen so grau wie Gewitterwolken.
»Du bist zu mir als deine Baderin gekommen und hast mich nach meiner Meinung gefragt. Hier ist sie. Ich glaube nicht, dass die Toten zu uns sprechen können. Nicht, solange wir kein Prophet wie Rollin sind, und Jonink, du bist gewiss kein neuer Rollin. Aber ich denke auch nicht, dass du krank bist. Du zeigst keine Anzeichen von Fieber, Abgeschlagenheit oder Verwirrung. Meiner Ansicht nach vermisst du deine Frau nur mehr als gewöhnlich, weil es wieder diese Zeit des Jahres ist, und du solltest es dabei bewenden lassen.«
Er wünschte, er hätte das tun können. Er wollte es tun. Aber ... »Ich kann nicht.«
»Jonink, was hat sie dir gesagt? Zumindest – was denkst du, das sie gesagt hat?«
Gewappnet gegen ihre Geringschätzung, flüsterte er: »Sie sagte, das Königreich sei in Schwierigkeiten, und ich müsse es retten.«
Keine Geringschätzung. Nur Mitleid. Er fand, dass das noch schlimmer war.
»Oh, Jonink. Hörst du dir eigentlich selber zu? Klingt das wirklich wahrscheinlich?«
Natürlich nicht. Es war das Unwahrscheinlichste, was er je gehört hatte. Aber ob es nun unwahrscheinlich war oder nicht ... »Ich kann nichts dafür, dass es lächerlich klingt, Ursa. Ich will es auch gar nicht glauben. Aber ich war da. Ich habe sie gehört. Hettie hat zu mir gesprochen.«
Ursa verzog das Gesicht. »Dann weiß ich nicht, was ich dir sagen soll. Ich bin Baderin. Wenn du einen Rat in Sachen Wunder suchst, Jonink, streck deine Nase durch eine Kirchentür. Lange genug ist es ja her.«
In ihrer Stimme und ihrem Blick lagen mehr als nur eine Andeutung von Tadel, aber er weigerte sich, beschämt zu sein. Der Tag, an dem er Hettie begraben hatte, war der Tag gewesen, an dem er sich mit Gott überworfen hatte, und damit war die Angelegenheit erledigt. Ursa war klug genug, nicht zu versuchen, seine Meinung in dieser Hinsicht zu ändern ... oder zumindest hätte sie nach all den Jahren klug genug sein sollen.
Ihr missbilligendes Stirnrunzeln wurde weicher, und sie fügte freundlicher hinzu: »Hier gibt es kein Geheimnis, Jonink. Die Antwort starrt dir ins Gesicht. So gut wie gar kein Schlaf letzte Nacht und kein Frühstück, um dir für einen langen Tag Kraft zu geben. Das ist es, was dich anficht. Eine anständige Mahlzeit und eine ordentliche Mütze voll Schlaf sind das Heilmittel, nach dem du suchst. Geh nach Hause. Koch dir ein ordentliches Abendessen und mach die Augen zu. Morgen früh wirst du darüber lachen und das alles vergessen.«
Irgendetwas lässt mich vermuten, dass das leichter gesagt als getan ist. Er schaute aus dem Fenster, zu dem verblassenden Himmel hinauf. »Die Sonne ist nicht einmal untergegangen, Ursa.«
»Früh ins Bett und früh aus den Federn, das macht einen Menschen gesund, wohlhabend und davor gefeit, Stimmen zu hören, die aus dem Nichts kommen«, lautete Ursas energisches Rezept. »Du hast meinen Rat bekommen, du kannst ihn beherzigen oder es lassen. Und jetzt sei nicht länger so miesepetrig und lass mich wieder an meine Arbeit.«
Er erhob sich. »Du hast wahrscheinlich Recht.«
»Ich bin die Baderin. Ich habe immer Recht.«
Schnaubend küsste er sie auf die Wange. »Deine Bescheidenheit überwältigt mich. Auf Wiedersehen.«
Sie lächelte. »Auf Wiedersehen. Schlaf gut.«
Draußen in der Gasse knabberte Otto, sein kleiner grauer Esel, an einigen staubigen Grashalmen, während er sich in aufgesetzten Seufzern übte.
»Und ich habe sie doch gehört«, sagte Friemelsam zu ihm, während er die Zügel von einem praktischen Ast abstreifte und auf seinen leuchtend bunt bemalten Karren kletterte. »Ich bin nicht verwirrt oder durcheinander oder unausgeschlafen. Ich habe Hettie gehört. Und ich verstehe nicht, was es bedeutet, Otto.«
Ottos Ohren zeigten an, dass er es ebenfalls nicht verstand, noch kümmerte es ihn allzu sehr, und könnten sie bitte einfach nach Hause in den Stall gehen und sich dem Abendessen widmen?
»Dann lauf«, sagte Friemelsam und klatschte mit den Zügeln. »Aber dalli.«
Mit ottoartiger Verdrehtheit schüttelte der Esel stattdessen den Kopf. Dann stemmte er sich in sein Geschirr, verfiel in einen mürrischen Trab und spitzte seine langen Ohren in Richtung Heimat. Jetzt blieb keine Zeit mehr, um sich um die Vorhänge für das Wohnzimmer zu kümmern. Und angesichts des Zustands der Welt sollte die Neueinrichtung seines kleinen Hauses vielleicht besser warten.
Die Sonne war gerade untergegangen, als Otto den Karren durch das Tor in seinen Hof zog. Nachdem Friemelsam den Esel abgeschirrt und versorgt und seinen leeren Schrankkoffer in seiner Werkstatt verstaut hatte, versteckte er die Einnahmen des Tages im Mehlfass in der Küche, entzündete die Lampen, pumpte Wasser für sein Bad, erhitzte es über den Flammen im Kamin im Wohnzimmer und füllte den Badezuber. Als das alles erledigt war, blinkten schon Sterne am Nachthimmel, und vor den hell erleuchteten Fenstern seines Hauses sammelten sich Motten. Er zog die alten grünen Vorhänge vor die Scheibe und sperrte die Welt aus.
Das flackernde Lampenlicht wärmte die rosenfarbenen Wände in seinem Wohnzimmer und beließ Ecken und Winkel im Dunkel, so dass das Alltägliche geheimnisvoll wurde. Hettie lächelte ihn von ihrem Platz auf dem Kaminsims an, erfreut über die Butterblümchen, die er am Morgen neben ihr in eine Vase gestellt hatte. Das Porträt verblasste inzwischen vom Alter und von der Hitze des Feuers in diesem Zuhause, das sie sich vor vielen Jahren geschaffen hatten. Der Bilderrahmen war in der rechten unteren Ecke gesprungen, und an der linken Ecke blätterte die Farbe ab. Friemelsam hatte es vor einer Woche beim Staubwischen fallen lassen. Das würde Hettie nicht besonders gefallen, falls sie es sehen konnte; seine Hettie war immer penibel ordentlich gewesen und dazu noch so ungeheuer klug.
»Ich werde dir einen neuen Rahmen machen, meine Liebste«, versprach er, während er seine Kleider abstreifte. Er ließ sein Wams, das Hemd, die Hosen, Unterwäsche und Strümpfe in einem Haufen an der Tür fallen. »Sobald ich die Zeit dazu finde. Ich werde den Rahmen blau und golden bemalen, würde dir das gefallen?«
Ihr stummes Lächeln beklagte seine Unordentlichkeit, gab ihm jedoch keine Antwort.
Er tauchte seine Zehenspitzen in das Badewasser und seufzte. Genau richtig. Hettie hätte Lavendelöl und Rosenblätter hineingegeben und über sein Gejammer gelacht. Ein unparfümiertes Bad, das Hitze atmete und tief genug war, um zu ertrinken: genau das, was er am Ende eines ermüdenden Tages brauchte. Er kletterte über den Rand des Zubers und ließ sich Zentimeter um Zentimeter in das dampfende Wasser sinken, bis sein Bart die Oberfläche berührte. Dann schloss er mit einem Stöhnen des Wohlbehagens die Augen und überließ sich dem hart erarbeiteten Luxus.
»Friemel? Friemel, Liebster, gib acht. Das hier ist so ungeheuer wichtig.«
Mit hämmerndem Herzen hielt er den Atem an und öffnete ein Auge, wie ein Mann, der seine Tür dem Steuereintreiber öffnete.
»Hettie?«
Sie stand vor dem Kamin, keinen Augenblick älter als an dem Tag, an dem er sie zu Grabe getragen hatte; ihr blondgelocktes Haar umrahmte ihr die Wangen, und in ihren braunen Augen stand ein warmer Ausdruck der Liebe, die sie für ihn empfand. Sie trug ihr grünes Kleid, das mit dem rosafarbenen Band, das durch das Mieder gefädelt war. Er hatte sie in diesem Kleid immer geliebt. Das kleine Wohnzimmer roch nach Lavendel und Rosen.
Ein Schluchzen stieg in ihm auf, und er stieg unbeholfen aus dem Badezuber, ohne auf tropfendes Wasser zu achten oder auf nackte Haut; er wollte sie nur berühren, wollte sie halten, wollte sie in seine leeren Arme ziehen. Aber er hatte auch Angst ...
»Hettie?«, wisperte er. Er wagte kaum, es zu glauben. »Bist das wirklich du?«
»Ja, du großer Dummkopf, natürlich bin ich es«, erwiderte sie: In ihrer Stimme lag die vertraute zärtliche Verärgerung. Tränen schossen ihm in die Augen, als er sie hörte. »Jetzt gib gut acht, denn ich habe nicht viel Zeit und muss dir eine Menge erzählen. Ethrea steuert auf schreckliches Ungemach zu, Friemel. Dunkelheit und Verzweiflung, wie unser Volk sie noch nie erlebt hat.«
»Wie meinst du das?«, fragte er scharf. »Welche Art von Ungemach? Und warum erzählst du mir das? Es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte. Du solltest es Seiner Majestät erzählen oder dem Prälaten.«