Die Tierärztin von Fairbanks - Schlittenhunde in Gefahr (Die Tierärztin von Fairbanks, Bd. 2) - Christopher Ross - E-Book

Die Tierärztin von Fairbanks - Schlittenhunde in Gefahr (Die Tierärztin von Fairbanks, Bd. 2) E-Book

Christopher Ross

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Beschreibung

Krimi trifft auf wild-romantische Kulisse – eine spannende Fahrt durch die traumhafte Landschaft Alaskas bei Schneegestöber Es wird Winter in Alaska und die junge Tierärztin Alex hilft der Züchterin Susan Flechter bei der Rennvorbereitung mit ihren Huskys. Schließlich darf sie sogar beim großen Iditarod-Rennen, an dem auch Susan teilnimmt, als eine der Tierärztinnen mitwirken. Während ihres Einsatzes bemerkt sie, dass jemand versucht Susans Hunde zu vergiften. Kommt die Ärztin noch rechtzeitig, um sie zu retten? Ein emotionales Rennen gegen die Zeit: Der zweite, aufregende Band der neuen Husky-Reihe von Christopher Ross

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Über das Buch

Es wird Winter in Alaska und die junge Tierärztin Alex hilft der Züchterin Susan Flechter bei der Rennvorbereitung mit ihren Huskys. Schließlich darf sie sogar beim großen Iditarod-Rennen, an dem auch Susan teilnimmt, als eine der Tierärztinnen mitwirken. Während ihres Einsatzes bemerkt sie, dass jemand versucht Susans Hunde zu vergiften. Kommt die Ärztin noch rechtzeitig, um sie zu retten?

Ein emotionales Rennen gegen die Zeit …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

1

Über den White Mountains drückte der Wind das kleine Flugzeug nach unten und trieb es unerwartet auf eine Bergwand zu. Alex blieb ruhig, zog die Cessna rechtzeitig nach oben und glitt in sicherer Entfernung über die felsigen Klippen hinweg. Ein halbes Jahr nachdem sie den Flugschein gemacht hatte, war sie bereits mehrmals allein unterwegs gewesen und erfahren genug, die kleine Maschine wieder auf Kurs zu bringen. »Halb so schlimm«, beruhigte sie Lenny, der neben ihr saß und doch ein wenig blass geworden war, »über den Bergen spielt sie öfter verrückt.«

Dr. Alexandra Morrison, so stand es auf ihrer Visitenkarte, wohnte nun schon seit über einem Jahr in Alaska und konnte sich kaum noch vorstellen, nochmal irgendwo anders zu leben. Das riesige Land mit der Bergwildnis der Alaska Range und der scheinbar endlosen Tundra war ein idealer Rückzugsort nach dem Unfalltod ihrer Eltern gewesen. Es hatte Ausdauer und Kraft gekostet, sich als Tierärztin in Fairbanks durchzusetzen, aber sie hatte es letztendlich geschafft und war inzwischen nicht nur in der Stadt gefragt. Mit der Cessna erreichte sie auch entlegene Siedlungen auf dem Land.

»Ich glaube, die Fliegerei ist nichts für mich«, sagte Lenny. Er erlebte zum ersten Mal einen unruhigen Flug mit Alex und versuchte vergeblich, seine Nervosität mit einem Lächeln zu überspielen. »Besonders in einer kleinen Maschine. Vor einem bockenden Mustang hab ich keine Angst, mit Pferden kenne ich mich ja aus, aber in diesen Flugzeugen weiß man nie, woran man ist. Die machen, was sie wollen.«

»Nicht wenn man sich damit auskennt«, erwiderte Alex lachend. Sie hatte ihre kastanienbraunen Haare unter einer Strickmütze versteckt und sich nur leicht geschminkt. Die Mütze trug das grün-goldene Logo der Green Bay Packers, des Footballclubs, von dem ihr Vater großer Fan gewesen war. »Als Pilotin kennst du deine Maschine genauso gut wie du deine wilden Mustangs.«

Alex war nach Logan’s Camp unterwegs, einer winzigen Siedlung am Koyukuk River nordwestlich von Fairbanks. In der einzigen Blockhütte wohnten Jim Logan, ein Fallensteller, seine Frau Debbie, eine Athabaskin, und Jims Eltern. Jim hatte Alex auf seinem Satellitentelefon angerufen und gebeten, seine Mischlingshunde zu untersuchen und zu impfen. Sylvester und Rufus waren sein Ein und Alles, er und seine Frau hatten keine Kinder.

»Und einer der Hunde heißt Sylvester? Das klingt eher nach einer Katze«, meinte Lenny amüsiert.

»Jim hat wohl ein paar Cartoons mit Sylvester gesehen. Sein Hund hat sich einiges bei dem tollpatschigen Kater aus der Serie abgeschaut. Rufus ist Debbie dann eingefallen. So hieß der attraktive Liebhaber in einem Liebesroman, den sie mal gelesen hat. Der Hund ist nicht gerade eine Schönheit und macht wahrscheinlich wenig Eindruck bei einer Hundedame. Gerade deshalb hat sie den Namen für ihn gewählt, sagt sie, so als Selbstbewusstseins-Push. Für Debbie wäre es schrecklich, wenn den Hunden etwas passieren würde. Sie sorgt sich ständig um sie und lässt sie oft von mir untersuchen, um sich zu versichern, dass alles gut ist.«

»So oft? Das kostet doch Geld.«

»Debbie und Jim zahlen meist mit frisch gefangenem Lachs, und ich verlange auch nicht immer was. Ich unterhalte mich mit ihnen, und sie sind froh, wenn sie jemanden zum Reden haben. Jims Eltern haben während der letzten Jahre stark abgebaut und sie kümmern sich nun viel um die beiden und kommen deshalb nicht viel rum.«

»In die Stadt wollen sie dann nicht ziehen?«

»Für kein Geld der Welt. Weder Debbie und Jim noch seine Eltern.«

Normalerweise flog Alex allein zu ihren Einsätzen, aber Lenny war neugierig gewesen, wie sie sich inzwischen als Pilotin machte. Er stammte aus Montana, war dort als Cowboy für seine Großeltern geritten und arbeitete seit Längerem in einer Autowerkstatt in North Pole. Sobald er genug Geld gespart hatte, wollte er sich mit einer eigenen Werkstatt selbstständig machen. Er kannte sich mit Autos genauso gut wie mit Pferden aus. Als sie sich kennengelernt hatten, hieß er noch Kenny und steckte wegen seiner Vergangenheit in einem Zeugenschutzprogramm, doch das war nun glücklicherweise Geschichte.

Die Cessna sackte erneut ab. Doch Alex verzog keine Miene und legte stattdessen beruhigend eine Hand auf Lennys Oberschenkel: »Kein Grund, nervös zu werden. Gleich sind wir aus den Bergen raus, dann wird es ruhiger. Die Cessna hält ganz andere Turbulenzen aus, da würde selbst ein Quarter Horse zurückschrecken.«

»Du hast gut reden. Warum bin ich bloß mitgeflogen?«

»Weil du neugierig warst, wie gut ich inzwischen fliege? Und weil du mir noch irgendwas erzählen wolltest?«

Er wartete kurz mit seiner Antwort, bis sie die Berge hinter sich hatten und wieder in ruhigeres Wetter gerieten. »Ja, ich wollte dir sagen, dass …« Er atmete tief durch. »… dass mein Großvater gestern Abend verstorben ist. Er hatte einen Schlaganfall und lag dann im Krankenhaus in Missoula.« Wieder ein Zögern, bevor er mit der schlechten Nachricht herausrückte. »Ich muss nach Montana zurück und meine Großmutter unterstützen, zumindest für ein paar Monate, bis sie weiß, wie es weitergeht.«

Alex brauchte einen Moment, um die Nachricht zu verdauen. Sie konnte absolut nachvollziehen, wie schrecklich es war, wenn einem Familienmitglied etwas Schlimmes zustieß. Als ihre Eltern den schrecklichen Unfall gehabt hatten, war sie froh gewesen zumindest in den letzten Momenten noch bei ihnen gewesen zu sein. Zwar durfte sie die Steuerung der Cessna gerade nicht außer Acht lassen, doch sie nahm zumindest kurz Lennys Hand in ihre und drückte sie tröstend. Sie vermied es allerdings, ihn anzublicken, aus Angst, er könnte ihre Tränen sehen. Seit dem Verlust ihrer Eltern hatte sie furchtbare Angst davor, noch jemanden, dem sie so nahe stand zu verlieren. »Oh nein, das klingt ja schlimm! Das tut mir sehr leid. Aber gibt es denn wirklich keine anderen Cowboys, die ihr helfen könnten? Montana ist ziemlich weit von hier und du musst doch eigentlich selbst arbeiten und Geld verdienen. Willst du denn alles, was du dir hier aufgebaut hast, im Stich lassen? Was ist mit dem Traum von deiner eigenen Werkstatt? Was ist mit uns?«

»Es ist ja nicht für immer«, betonte er, »ich lasse dich nicht einfach zurück. Ich liebe dich über alles und werde alles daransetzen, so bald wie möglich zurückzukommen.« Er versuchte zu lächeln. »Wer weiß, vielleicht bin ich ja auch schon in zwei oder drei Wochen wieder hier. Aber ich kann meine Grandma nicht im Stich lassen. Sie vertraut mir, und solange es einen nahestehenden Verwandten gibt, der den Job übernehmen kann, würde sie keinen anderen akzeptieren. Sie ist eine Rancherfrau vom alten Schlag und kann ziemlich stur sein. Außerdem habe ich schon mal lange auf der Ranch gearbeitet und weiß, worauf es ihr ankommt. Du bist mir doch nicht böse, Alex?«

Sie wischte sich rasch eine Träne von der Wange. »Natürlich nicht, ich werde mich nur ein wenig einsam fühlen, wenn du nicht hier bist.« Sie verriet ihm nicht, dass sie insgeheim damit gerechnet hatte, er würde ihr in luftiger Höhe einen Heiratsantrag machen. Sie kannten sich seit über einem Jahr und ein romantisch veranlagter Mann wie Lenny würde sich bestimmt viele Gedanken machen, um den Antrag zu etwas Besonderem werden zu lassen. Auch wenn er angeschnallt im Flugzeug nicht hätte auf die Knie gehen können, wäre der Ort einzigartig gewesen.

»Ich liebe dich, Alex, das weißt du hoffentlich, und es gibt nichts, was mich von dir losbringen könnte. Nicht mal ein ausgewachsener Grizzly-Bär.«

Sie lachte. »Mit dem würde ich auch nicht durchbrennen.«

»Es tut mir leid, Alex.«

»Du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen. Weiß dein Chef schon Bescheid?«

»Harry O.? Ja, der stellt mich wieder ein, wenn ich zurück bin.«

»Sehr gut, der würde auch keinen Besseren finden. Festhalten!«

»Wie bitte?«

»Du sollst dich festhalten. Wir gehen runter.«

Sie ging in den Sinkflug über und lenkte die Cessna durch eine Dunstwolke nach unten. Wie meist, wenn sie die Geschwindigkeit drosselte und die Maschine nach unten drückte, wurde es unruhiger. Ein Windstoß drückte die Cessna nach links, gab sie wieder frei, bis unter ihnen der Koyukuk River auftauchte und sie einige Minuten über dunkle Schwarzfichten trieben. In der Ferne war ein Landestreifen zu sehen, eine mit Kies bedeckte Piste, die parallel zum Ufer verlief.

Nur aus den Augenwinkeln beobachtete Alex, wie Lenny sich mit beiden Händen festhielt und wahrscheinlich den Augenblick herbeisehnte, in dem die Räder ihrer Maschine den Boden berührten. Bei ihren bisherigen gemeinsamen Flügen war er nicht so ängstlich gewesen, aber vielleicht setzte ihm auch die Sache mit seinem Großvater stark zu. Oder etwas anderes, das er ihr nicht erzählte.

Hütete er vielleicht schon wieder ein Geheimnis? Als sie sich vor mehr als einem Jahr kennengelernt hatten, war sie wegen seiner Geheimniskrämerei nah dran gewesen zu glauben, er hätte sich eine andere Freundin gesucht, bis sie zu ihrer Erleichterung erkannt hatte, dass er gegen einen berüchtigten Bandenboss ausgesagt hatte und deshalb untergetaucht war. Zum Glück hatte sich die Lage beruhigt und er brauchte sie eigentlich nicht mehr anzulügen.

Trotz des Windes legte sie eine beinahe perfekte Landung hin. Sie parkte vor der Baracke am Ende der Landebahn. Die Bahn stammte aus einer Zeit, als Logan’s Camp noch von Fallenstellern bevölkert gewesen war und aus einer ganzen Reihe von Baracken und Zelten bestanden hatte. Inzwischen gab es kaum noch Pelztiere in der Gegend, die Nachfrage war gesunken und von den Jägern, die das Küstendorf vor etlichen Jahrzehnten besiedelt hatten, waren nur noch die Logans geblieben.

Jim und Debbie warteten neben der Piste auf sie. Jim war ein schlaksiger Mann mit wachen Augen und grauen Haaren, die ihm bis über die Schultern fielen. Sein Gesicht war von Wind und Wetter gezeichnet. »Doc Alex hat uns schon viel von Ihnen erzählt, Lenny«, sagte er, nachdem sie sich begrüßt und Alex den beiden ihren Freund vorgestellt hatte.

»Hoffentlich nur Gutes.«

Alex errötete und wandte sich schnell den beiden Mischlingshunden der Logans zu. Rufus war nicht besonders ansehnlich und zerzaust, Sylvester machte seinem tollpatschigen Namensvetter schon nach wenigen Schritten alle Ehre und verpasste sie, als er an ihr hochspringen wollte. »Ich sollte vielleicht mal seine Augen untersuchen«, sagte Alex.

»Die sind schon seit einiger Zeit nicht mehr die besten«, erwiderte Debbie. Sie war eine stämmige und stets fröhliche Frau in einem Overall und ungefähr zehn Jahre jünger als Jim. Ihre Haare hatte sie zu langen Zöpfen gebunden. »Komm mit! Die Hunde sind schon ganz aufgeregt. Meinem Schwiegervater geht es nicht besonders.« Sie wirkte etwas verlegen. »Ehrlich gesagt, haben wir dich vor allem seinetwegen gerufen. Wir haben große Angst, dass es was Ernstes ist.«

»Aber ich bin Tierärztin, Debbie.«

»Ich weiß, aber ein Arzt für Menschen würde viel Geld verlangen, wenn er ihn untersuchen müsste, und zu dir haben wir außerdem Vertrauen. Bist du uns böse?«

»Nein, ich verstehe das, ich sehe ihn mir am besten gleich mal an.«

Sie betraten das Blockhaus, das nur aus einem Raum bestand, und dessen Schlafstellen durch Vorhänge voneinander getrennt waren. Eingerichtet war es mit einem Tisch und vier Stühlen, einer Küchenecke mit einem gusseisernen Herd, einem Arbeitstisch und einem selbst gebauten Küchenschrank. In der Mitte des Raumes thronte ein Kanonenofen. Auf einem kleinen Tischchen vor einem ovalen Spiegel standen eine Schüssel mit Wasser und die Waschsachen der Bewohner.

Grandpa Logan, wie er von allen genannt wurde, lag mit geschlossenen Augen in seinem Bett. Seine Frau saß auf dem Bettrand und hielt seine linke Hand. Ihre zerfurchten Gesichter schienen in dem fahlen Licht, das durch die Fenster fiel, jegliche Farbe verloren zu haben. Sie nickte schwach, als sie die Tierärztin erkannte.

»Hallo, Grandma«, begrüßte Alex sie. Auch Logans Frau wurde von allen nur mit Grandma angesprochen. Lenny grüßte sie, indem er die Hand hob und hielt sich dann respektvoll im Hintergrund. »Tut mir leid, dass es Grandpa schlecht geht.« Sie zog ihren Anorak aus und holte ihr Stethoskop aus der Arzttasche. Grandpas Herzschlag ging regelmäßig, seine Lunge zeigte keine Auffälligkeiten. »Vielleicht hat er nur zu wenig getrunken. Ist er schon lange krank? Hat er große Schmerzen?«

»Seit ein paar Tagen«, antwortete Grandma. »Schmerzen hat er nur manchmal, aber er ist ständig erschöpft, als wäre er den ganzen Tag auf der Jagd gewesen. Und heute Morgen hat er sich übergeben. Ich mache mir große Sorgen um ihn.«

Alex nickte nachdenklich. »Schläft er schon lange?«

»Seit gestern Abend.«

»Dann warte ich mit der genauen Untersuchung, bis er aufwacht. Ist besser, wenn ich mit ihm reden kann.« Sie ging zur Tür. Lenny folgte ihr. »Ich bin gleich wieder bei euch.«

Wie schon vermutet, brauchte sie nicht lange für die Untersuchung der Hunde. Bei der Impfung wehrte sich Sylvester mit Pfoten und Krallen, konnte aber nicht verhindern, dass auch er eine Impfung abbekam. Wäre er ein Kind gewesen, hätte man ihn sicher als »hyperaktiv« bezeichnet, so ausgelassen zeigte er sich jedes Mal, wenn Alex zu Besuch war. Sie wunderte sich, wie die Logans in der Wildnis mit ihm zurechtkamen, aber angeblich war er auch ein aufmerksamer Wachhund, der einen Bären auf mehrere Meilen roch und laut zu bellen begann, wenn sich eine Gefahr näherte.

»Eure Hunde sind kerngesund«, sagte Alex abschließend.

»Und Grandpa?«

»Ich möchte ihn ungern aus dem Schlaf reißen.«

»Vorher einen Kaffee?«, fragte Debbie.

Alex trank am liebsten heiße Schokolade, bekam aber bei den meisten Einsätzen vor allem Kaffee oder Tee angeboten. Bei den Logans war der Kaffee besonders stark, das Highlight waren dafür ihre Biscuits, die beinahe so gut wie ihre Weihnachtsplätzchen schmeckten. Jim prostete ihr lächelnd zu.

»Bald geht es wieder los, was?«, fragte Alex, während sie an ihrem Kaffee nippte.

»Sobald der erste Schnee fällt«, antwortete er, »aber ich werde die Fallenstellerei wohl bald aufgeben müssen. Pelze sind kaum noch gefragt. Vielleicht nehme ich eine Stellung bei einem Reiseveranstalter an, als Guide für Wildnistrips.«

»Klingt gut.«

Die Plaudereien nach der Untersuchung liebten die Logans besonders. Wer beinahe allein in dieser abgeschiedenen Wildnis lebte, verspürte schnell ein starkes Bedürfnis nach Gesellschaft, auch ein Waldläufer wie Jim Logan. Aber diesmal hatten sie nicht viel Zeit.

Als sie gerade begonnen hatten in Ruhe ihren Kaffee zu trinken, ertönte ein schmerzerfüllter Schrei aus dem Schlafraum von Jims Eltern. Grandpa war anscheinend aufgewacht! Alex sprang sofort auf und lief zu ihm, die Logans und Lenny folgten ihr besorgt. Grandpa lag mit schmerzverzerrtem Gesicht in seinen Decken und hielt sich den Kopf.

Alex beugte sich besorgt zu ihm hinab. »Wo genau tut es weh?«

»Mein Kopf … mein Kopf brennt!«

»Und Sie haben die Kopfschmerzen wie oft?«

»Immer wieder, Doc! Tun Sie was … bitte!«

»Er ist gestürzt«, schien es Grandma erst jetzt einzufallen, »vor ein paar Tagen ist er gestürzt. Unten am Flussufer. Er ist mit dem Hinterkopf gegen einen Felsen geprallt. Es gab nicht mal eine Wunde und wir haben uns nichts dabei gedacht.«

»Davon hat du uns gar nichts erzählt«, sagte Debbie vorwurfsvoll.

»Es war doch nichts. Wir wollten euch keine Sorgen bereiten. Nur die Kopfschmerzen, die sind jetzt schlimmer geworden.«

Alex brauchte nicht lange zu überlegen. Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, der Sturz … die Symptome konnten auf eine altersbedingte Schwäche, eine Infektion, aber auch auf ein lebensgefährliches Aneurysma hindeuten, das zum sofortigen Tod führte, wenn es riss und man es nicht sofort behandelte. »Wir bringen ihn ins Krankenhaus nach Fairbanks«, entschied sie, »möglich, dass ich mich irre, aber vor allem die hässlichen Kopfschmerzen könnten ein Aneurysma bedeuten.«

»Bist du sicher?«, fragte Jim und schaute sorgenvoll auf seinen Vater hinab.

»Nein, ich bin nicht sicher, aber ich möchte auch kein Risiko eingehen. Ein Aneurysma ist hochgefährlich. Keine Angst, im Fairbanks Memorial ist er gut aufgehoben. Wenn wir rechtzeitig dort sind, können sie ihn sicher operieren.«

»Ein Aneurysma? Dann platzt eine Ader im Gehirn?«, fragte Grandma erschrocken.

»Im schlimmsten Fall, ja. Wir fliegen gleich los.«

Die Schmerzen waren etwas abgeklungen, aber immer noch so stark, dass Grandpa sich mit beiden Händen den Kopf hielt. Jim zog ihm eine Trainingshose an und wickelte ihn in warme Decken, bevor er ihn zum Flugzeug hinaustrug und auf die Rückbank setzte. Debbie packte einen Beutel mit Kleidern und Waschzeug. Alex war bereits ins Cockpit geklettert und ließ die Cessna warm laufen.

»Ich komme mit«, entschied Jims Frau und kletterte auf die Rückbank.

Auch Grandma war zu besorgt, um zurückzubleiben. Lenny saß bereits vorne neben Alex und warf den dreien auf dem Rücksitz einen aufmunternden Blick zu.

»Alles Gute, Grandpa!«, rief Jim, als Alex die Maschine drehte.

Mit dröhnendem Motor startete sie. Sie machte sich zwar etwas Sorgen um das zusätzliche Gewicht, doch eigentlich sollte es keinen großen Unterschied machen. Sie musste jetzt so schnell wie möglich nach Fairbanks fliegen, sie hatte nicht mal Zeit, den dunklen Wolken auszuweichen, die sich über den Bergen zusammenbrauten. »Haltet euch gut fest!«, rief sie Lenny, Grandma, Grandpa und Debbie zu, als sie die Cessna über die nahen Schwarzfichten trieb und Kurs auf ihre Heimatstadt nahm. »Es könnte unterwegs etwas ungemütlich werden«, warnte sie, »aber kein Grund zur Sorge.«

Doch so sicher war sie sich nicht. Sie gerieten in heftige Turbulenzen, die mit der Maschine zu machen schienen, was sie wollten, bis Alex die Situation in den Griff bekam und die Cessna zwar rumorend, aber sicher durch das Wetter brachte. Mehrmals schrie Lenny erschrocken auf. Debbie und Grandma konzentrierten ihre Angst mehr auf den kranken Grandpa und hielt ihn mit beiden Händen fest. Er hatte anscheinend das Bewusstsein verloren und schien nichts von den Windstößen zu spüren, die gegen die Maschine drückten.

Südlich des Yukons besserte sich das Wetter endlich, und die Cessna lag wieder einigermaßen ruhig in der Luft. Alex meldete sich über Funk bei Bubba Roberts, ihrem Fluglehrer aus dem Northern Flight Center, schilderte ihm ihre Lage und bat ihn, das Fairbanks Memorial zu informieren und für einen Krankenwagen zu sorgen.

»Alles okay mit Grandpa?«, rief sie nach hinten.

»Ich glaube, er ist bewusstlos«, erwiderte Debbie.

»Du kannst mit dem Krankenwagen mitfahren, Debbie. Grandma kann sicher bei Grandpa im Krankenhaus schlafen. Du kannst bei mir übernachten, natürlich nur, wenn du willst. Sobald ich die Maschine geparkt habe, komme ich nach.«

»Das ist nett von dir, aber ich suche mir lieber ein Motel beim Krankenhaus. Ich möchte in der Nähe von Grandpa sein. Vielen Dank für deine Hilfe, Alex.«

»Ist doch selbstverständlich.«

Sie landete sanfter, als sie es erwartet hatte, und parkte vor dem Northern Flight Center. Der Krankenwagen, ein Arzt und zwei Sanitäter standen schon bereit. Lenny brachte den Beutel mit Grandpas Sachen zum Krankenwagen und kehrte geschafft zu Alex zurück.

»Sind deine Flüge immer so aufregend?«, fragte er.

»Ich tue, was ich kann«, antwortete sie zwinkernd.

2

Zum Frühstück begnügte sich Alex mit einem Becher heißer Schokolade und einer Scheibe Toast. Lenny war am vergangenen Abend nach Hause gefahren. Durch die großen Fenster des Wohnraums schien die Sonne. Das letzte Aufflackern des Sommers, bevor der Winter mit seinen eisigen Temperaturen zurückkehren würde. Von Fairbanks war es nicht mehr weit bis zum Polarkreis, und der Sommer beschränkte sich auf einige wenige Monate.

Alex war vor mehr als einem Jahr nach Alaska gekommen. Nachdem sie lange in der Praxis ihres Vaters gearbeitet hatte, war es an der Zeit gewesen, etwas Neues zu beginnen. Ein älteres Ehepaar hatte ihr auf einem Campingplatz von Alaska vorgeschwärmt und sie hatte die Herausforderung begeistert angenommen.

Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie sich in Fairbanks durchgesetzt hatte. Albert Payton, ein alteingesessener Kollege, wollte noch immer nicht akzeptieren, dass Frauen in seinem Beruf erfolgreich sein konnten, und auch einige Kunden zuckten noch überrascht zusammen, wenn sie bemerkten, dass sich hinter dem Namen Alex kein Mann, sondern eine Alexandra verbarg. »Unverbesserliche Machos«, schimpfte Lenny dann immer, »und das sage ich als Cowboy.«

Ihr zweistöckiges Blockhaus mit dem Anbau, in dem ihre Praxis lag, hatte die junge Ärztin erst nach langem Suchen gefunden. Besonders der große Wohnraum mit dem offenen Kamin, die lichtdurchflutete Küche und die Praxis hatten ihr gefallen. Neben dem Haus gab es einen Zwinger für Hunde und einen Schuppen. Die Lage abseits des Steese Highway, nur wenige Meilen nördlich von Fairbanks, war ideal.

Vor dem Haus sprang ihr Chester entgegen. Der Cocker Spaniel, den sie vor einigen Monaten gerettet hatte, humpelte kaum noch und hatte sich zu einem aufmerksamen Wachhund entwickelt. Ganz im Gegensatz zu Muffin, dem kleinen sibirischen Husky, der inzwischen schon anderthalb Jahre alt war. Er jaulte zur Begrüßung ein paarmal und verschwand gleich wieder. Man konnte ihm nicht böse sein, wenn er einen mit seinem blauen und seinem braunen Auge ansah. Alex hatte ihn von Arne Pedersen, einem norwegischen Musher, geschenkt bekommen aus Dankbarkeit dafür, dass sie einem seiner besten Huskys das Leben gerettet hatte.

»Hey, Chester! Hey, Muffin!«, rief sie amüsiert. »Alles klar bei euch?«

Die Hunde waren schon wieder mit sich selbst beschäftigt, als Alex zum Anbau ging und den Vorraum der Praxis betrat. Jessie, ihre engagierte Praktikantin, saß bereits am Computer und checkte die Termine für den Tag. Sie war einige Jahre jünger als Alex und arbeitete, seitdem sie aufs College ging, nur noch in den Semesterferien für die Tierärztin.

»Hallo, Chefin«, rief sie fröhlich. »Gab’s Probleme? Du warst gestern lange weg.« Jessie wohnte in einem der Zimmer im ersten Stock des Anbaus und hörte daher an den Motorengeräuschen, wenn jemand auf den Hof fuhr. Und am Bellen von Chester.

Alex erzählte ihr von Grandpa und ihrem nervenaufreibenden Flug. »Ich fahre gleich noch mal im Krankenhaus vorbei, das bin ich dem armen Mann schuldig.« Sie blickte Jessie über die Schulter. »Was liegt heute sonst noch an? Irgendwas Kompliziertes?«

»Bis jetzt nicht. Alles Routinesachen, vor allem Impfungen.«

»Die kann Julian übernehmen. Wo steckt er überhaupt?«

»Er hat vor ein paar Minuten angerufen«, sagte Jessie. »Er hat sich den Magen verdorben und kommt heute eine Stunde später. Er klang ziemlich fertig.«

»Unser Julian? Er ist doch sonst so korrekt und überpünktlich?«

»Ich glaube, er hat Stress mit seinem Mann.«

»Wieso das denn? Hat er was gesagt?«

Jessie schien ihre eigene Andeutung schon jetzt zu bereuen. »Ich hab gehört, wie er mit Roger telefoniert hat. Er klang sehr gereizt und verärgert. Anscheinend wirft ihm Roger vor, ihm zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei ist der als Chirurg noch viel weniger zu Hause.« Sie zuckte mit den Schultern. »Der ganz normale Beziehungsstress, denke ich.«

»Oh Mann. Und du? Bist du noch mit deinem Banker zusammen?«

»Banker ist gut«, erwiderte Jessie. »Andy ist immer noch in der Ausbildung. Er sieht gut aus und gibt sich Mühe. Er kleidet sich stilvoll und ist wirklich heiß … nun ja, eigentlich gibt es nichts zu meckern, aber irgendwie langweilt er mich langsam. Und dann ist da noch Benjy …«

»Benjy Miller, der Cowboy von der Northern Lights Ranch? Hast du mit dem nicht schon ein paarmal Schluss gemacht und bist immer wieder zu ihm zurück?«

Jessie wurde rot und senkte den Blick. »Ich hab ihn gestern angerufen. Wir wollen uns am Wochenende treffen. Er würde mir die Sache mit Andy wohl verzeihen. Und das würde nicht jeder tun. Ich war von Anfang an bescheuert, mich mit Andy einzulassen.«

»Hast du das Andy schon gesagt?«

»Nee, aber ich denke, er ahnt was. Was soll’s, er wird schon drüber hinwegkommen.«

Alex seufzte und musste schmunzeln. »Ich hoffe, du hast noch Zeit zum Lernen bei deinem aufregenden Liebesleben. Wenn du mit dem College durch bist, sollst du hier einen wichtigen Job übernehmen, vergiss das nicht.«

»Aye, Chefin.«

Von der Zufahrtstraße erklang Motorenlärm und sie sahen durchs Fenster, wie Julian mit seinem Wagen vorfuhr. »Tut mir leid«, rief er schon von Weitem, »mir ging’s heute Morgen nicht so gut. Ist mir sehr peinlich, Chefin. Sie wissen ja, wie sehr ich Pünktlichkeit eigentlich schätze.« Er wollte an Alex vorbeigehen, doch sie versperrte ihm den Weg und sah ihn schief an: »Und was war wirklich los?«

Er blinzelte ertappt. »Vor Ihnen kann man auch gar nichts verheimlichen. Ich hab Ärger mit Roger. Der ganz normale Ehe-Wahnsinn. Er will, dass ich zu Hause bleibe, den Haushalt mache und mir mehr Zeit für ihn nehme, aber ich habe keine Lust, den braven Hausmann zu spielen und möchte mich auch selbst verwirklichen. Wir hatten einen kleinen Streit, aber das kriegen wir wieder hin. Sorry wegen der Verspätung.«

»Schon gut, das kann ja mal passieren. Dafür müssen Sie heute einiges übernehmen. Ich muss gleich ins Krankenhaus, einen Freund besuchen. Ich weiß noch nicht, wann ich zurück bin.«

Kurz darauf stieg Alex in ihren Geländewagen und fuhr auf den Highway nach Süden. Sie brauchte keine Viertelstunde in die Innenstadt. Im Fairbanks Memorial, einem riesigen Betonbau, fragte sie sich zur Neurologie durch und fand Debbie und Grandma im Warteraum. Beide machten einen niedergeschlagenen Eindruck.

»Hey«, begrüßte sie die beiden leise. »Wie geht’s Grandpa?«

»Es war tatsächlich ein Aneurysma. Die OP verlief gut, sagen die Ärzte, aber in seinem Zustand und seinem Alter weiß man leider nie. Er liegt seit ein paar Stunden auf der Intensivstation.«

»Das klingt doch erst mal nicht schlecht, Debbie.«

»Ich weiß nicht, Grandma hat eine dunkle Vorahnung.«

»Vertrau den Ärzten«, sagte Alex zu Grandma. Sie legte der alten Athabaskin, deren Gesicht seit der letzten Nacht noch älter wirkte, eine Hand auf die Schulter. »Er wird wieder gesund.«

Dieser Meinung war auch der Arzt, der einige Minuten später im Wartezimmer erschien. Nachdem Grandma und Debbie eingewilligt hatten, dass Alex als Außenstehende mithören durfte, sagte der Arzt zu Grandma: »Sie können heute Nacht gerne bei ihm bleiben. Wenn seine Genesung weiter gut voranschreitet, können wir ihn hoffentlich schon morgen auf die normale Station verlegen.« Er sah, wie bedrückt sie war, und fügte aufmunternd hinzu: »Ihr Mann ist hier in guten Händen, Ma’am, vertrauen Sie uns.«

Während sich Grandma in dem Krankenzimmer einrichtete, fuhren Alex und Debbie in die Stadt und besorgten weitere Kleider und Waschzeug sowie ein paar Snacks und etwas zu trinken für sie. Als sie zurückkamen, schlief sie fest. Der Zustand von Grandpa hätte sich nicht verändert, meinte der Arzt, und man würde wohl erst in einigen Stunden etwas sagen können, wenn die Ergebnisse weiterer Untersuchungen vorlagen.

Es ging schon auf Mittag zu, als Alex nach Hause fuhr. Auf dem Parkplatz wehte ihr frischer Wind ins Gesicht und erinnerte sie daran, dass der Herbst nicht mehr fern war. Eigentlich gab es keinen echten Herbst in Alaska, hatten ihr die Einheimischen erzählt, auf den Sommer folgte ohne großen Übergang der Winter und machte schon im Oktober deutlich, dass es vor ihm kein Entrinnen gab.

Nur wenige Meilen vor der Abzweigung zu ihrem Haus klingelte ihr Geschäftshandy. »Dr. Alex?«, meldete sich eine aufgeregte Stimme. Als Alex bejahte, fuhr die Stimme fort: »Hier ist Susan Fletcher … ich glaube, einer meiner Huskys ist vergiftet worden! Piper … er ist einer meiner besten Hunde! Können Sie so schnell wie möglich vorbeikommen?«

»Natürlich. Wo wohnen Sie, Susan?«

»An der Forststraße gegenüber vom Viewing Point.« Sie nannte ihre genaue Adresse. »Das zweistöckige Blockhaus mit dem roten Dach. Beeilen Sie sich!«

»Ich bin in zehn Minuten bei Ihnen.«

Alex drückte aufs Gas und erreichte den Viewing Point in nur wenigen Minuten. Hier hielten Touristen gern an, um sich die Pipeline, die vom Eismeer zur Südküste führte, aus der Nähe anzusehen. Gegenüber führte eine Forststraße vom Highway weg. Der Name Susan Fletcher sagte ihr etwas, überlegte Alex. War das nicht die berühmte Musherin, die beim Iditarod bereits viermal unter die ersten Zehn gekommen war?

Eine schlanke Frau in den Dreißigern, der man von Weitem schon ansah, dass sie sich sportlich betätigte und viel Zeit im Freien verbrachte, wartete vor dem Haus auf sie. Sie trug wie Alex ihre dunklen Haare in einem Pferdeschwanz.

»Susan? Ich bin Dr. Alex Morrison.« Sie holte ihren Arztkoffer aus dem Wagen. »Gut, dass ich gerade in der Nähe war. Wo liegt unser Patient? Piper ist sein Name?«

»Piper«, bestätigte Susan und führte sie hinters Haus, wo circa dreißig Huskys mit langen Leinen an Holzpflöcke gebunden waren und sie mit lautem Jaulen, Knurren und Fauchen empfingen. Dies war die übliche Begrüßung für jemanden, den sie nicht kannten. Huskys waren keine ruhigen Familienhunde, die sich sofort streicheln ließen. »Ich hab Piper nach meiner kleinen Nichte benannt, die schwärmt für Huskys.«

Piper lag auf dem Stroh, das Susan vor ihrer Hütte ausgebreitet hatte, und atmete schwer. Ihr Herzschlag war unregelmäßig. Man sah ihr an, dass sie unter starken Schmerzen litt. Nicht einmal ein leises Jaulen gab sie von sich.

»So hab ich sie vor einer halben Stunde gefunden«, sagte Susan. »Und das hier!« Sie kramte zwei blaue Kapseln aus ihrer Anoraktasche und zeigte sie Alex.

»Rattengift!«, erkannte Alex sofort.

»Die Kapseln lagen vor ihrer Hütte im Gras. Wahrscheinlich ein Köder, den irgendein Husky-Hasser über den Zaun geworfen hat. Das hat es in Fairbanks leider schon öfter gegeben. Er wurde wohl sogar mal gesehen. Es ist angeblich ein junger Mann, der Rattengift mit Hackfleisch umwickelt und den Hunden zuwirft.«

»Haben Sie schon die Polizei benachrichtigt?«

»Ja, die Troopers … müssten gleich hier sein.«

Alex war bereits dabei, den Husky gründlich zu untersuchen. »Hat Piper sich übergeben? War Urin in ihrem Blut? Haben Sie irgendetwas anderes bemerkt?«

»Bis jetzt noch nicht, außer dass sie wirkt, als hätte sie Schmerzen.«

»Sie haben aber nicht gesehen, wie jemand den Köder geworfen hat? Dann könnten wir den Zeitraum besser einordnen, bei Rattengift zählt jede Stunde.«

»Nein, leider nicht. Ich war gestern und heute den ganzen Morgen auf der Arbeit. Ich arbeite halbtags in einem Supermarkt in Fox. Als ich heute zurückkam, hatte es Piper schon erwischt, gestern Abend habe ich noch nichts bemerkt.« Sie kniete neben Alex und blickte sorgenvoll auf ihren Husky hinab. »Ist es schlimm, Doc Alex?«

»Kommt darauf an, wie viel Gift sie erwischt hat. Sie haben glücklicherweise recht früh erkannt, dass sie Gift gefressen hat. Rattengift vermindert die Blutgerinnung. Wir können ihr erst mal Aktivkohletabletten geben und ich werde ihr dann hoch dosiertes Vitamin K spritzen, das beugt inneren Blutungen vor und verhindert das Schlimmste. Anschließend müssten wir sie in meine Praxis bringen. Dort können wir anhand eines Röntgenbildes oder mit einem Ultraschall erkennen, ob es schon innere Blutungen gegeben hat. Zur Not muss sie eine Bluttransfusion bekommen. Wenn sie durchkommt, müssen Sie ihr ungefähr drei bis sechs Wochen lang täglich Vitamin-K-Tabletten geben, um die Blutgerinnung auf dem gewünschten Level zu halten. Ein langwieriger Prozess, ich weiß, aber notwendig.«

Sie setzte die Spritze und redete der Hündin gut zu. »Ist nur ein kleiner Pikser, Piper. Nicht, dass du uns verblutest. Du bist sehr tapfer, das haben Huskys ja so an sich. Du wirst sehen, in ein paar Wochen bist du wieder voll da und dann reicht es auch fürs Iditarod.« Das berühmte Hundeschlittenrennen führte über 1049 Meilen von Anchorage nach Nome und fand jedes Jahr im März statt.

Von der Forststraße leuchteten Warnlichter herüber und ein Wagen der Alaska State Troopers hielt vor dem Blockhaus. Zwei Trooper stiegen aus, ein Mann und eine Frau. Beide dunkelhaarig, der Mann war leicht übergewichtig und um die vierzig, die Frau eine schlanke Latina in den Zwanzigern. Ihre Namensschilder wiesen sie als Trooper Joseph Carmody und Trooper Antonia Perez aus.

Während die Trooper die Hundebesitzerin befragten, wickelte Alex den kranken Husky in eine Wolldecke und lud ihn in ihren Wagen. Sie sorgte sich mehr um den Hund, als sie es sich anmerken ließ, und hoffte sehr, dass er durchkam. Die Ärztin bekam daher nur einen Teil der Befragung mit.

»Sie waren nicht zu Hause, als der Kerl den Köder warf?« Anscheinend gingen die Trooper davon aus, es mit demselben Täter wie in Fairbanks zu tun zu haben. Alex wusste von zwei Anschlägen, die mit dem Tod des Huskys geendet hatten. Beide Male war die Vergiftung erst nach zwei Tagen entdeckt worden.

Susan erklärte, dass sie gearbeitet hatte und nicht die ganze Zeit zu Hause gewesen sei.

»Sie sollten sich vorsichtshalber eine Videoüberwachung anschaffen.«

»Hab ich schon dran gedacht, aber die ist teuer.«

»Und Sie haben keine Ahnung, wer der Täter sein könnte? Haben Sie Feinde? Gibt es Menschen, die aus irgendeinem Grund einen Groll gegen Sie hegen? Einen Konkurrenten vielleicht, der Ihren Start beim nächsten Iditarod verhindern will?«

Susan schüttelte heftig den Kopf. »Für meine Musher-Kolleginnen und -Kollegen lege ich die Hand ins Feuer. Mit solchen Methoden arbeiten wir nicht, da geht alles fair zu. Wir sind wie eine große Familie und jeder kennt jeden. Natürlich gibt es immer mal wieder jemanden, der versucht etwas zu tricksen, aber einen Husky vergiften …«

»Alles klar. Und ein eifersüchtiger Ex-Freund vielleicht?«

»Ich habe wenige Freunde und keinen Ex. Das heißt, einen Ex schon, aber der ist längst glücklich verheiratet und mit seiner Frau nach Kalifornien gezogen.«

Der Trooper grinste schwach.

»War es das, Officer? Wir müssen uns um Piper kümmern.«