Die unterschätzte Macht der Seele - Wolfgang Issel - E-Book

Die unterschätzte Macht der Seele E-Book

Wolfgang Issel

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Wolfgang Issel ist Diplomphysiker und betreibt ein Ingenieurbüro für technische Neuentwicklungen. Er arbeitet seit Jahren im Bereich der Psychologie an einem neuen Gedankenmodell für die Verhaltensberechnung im Gehirn, das hier vorgestellt wird. Das Modell geht von einem seelischen Pegelstand aus: Zu erbringender Aufwand wird als Minderung, daraus erwachsender Erfolg als Zufluss dieses Pegels empfunden. Der sich aus dieser Bilanz ergebende seelische Pegel bestimmt, welche Schichten der Persönlichkeit - vom Urinstinkt bis zur höchst entwickelten Stufe der Menschlichkeit - zur Verhaltensberechnung herangezogen werden. Bei sinkendem seelischen Pegel werden soziale Aspekte immer weniger berücksichtigt und die eher egoistischen überwiegen - bis hin zur Gewaltanwendung. Dieses Modell bietet einen profunden Erklärungsansatz und zeigt, dass die Gefühlslage von dominierender Bedeutung für das tägliche Leben ist. Neben einem Überblick über das Entstehen der verschiedenen Verhaltensweisen, wie Aggression oder die Flucht in Opferrollen, erklärt das Modell, wie der Glaube an eine höhere Instanz zustande kommt und wann der Mensch über einen freien Willen verfügen kann. Außerdem gibt der Autor handfeste Orientierungshilfe, wie man den seelischen Pegel trotz Alltagsstress und anderen Widrigkeiten in einem ausgeglichenen Bereich hält. Das Buch wendet sich vor allem an seelisch Gesunde mit dem Ziel, seelisches Abgleiten frühzeitig zu erkennen und diesem angemessen zu begegnen.

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Seitenzahl: 166

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Dr. Wolfgang Issel

Die unterschätzte Macht der Seele …

Eine neue Sicht auf Seele und Körper

Copyright: © 2015 Dr. Wolfgang Issel

Lektorat: Erik Kinting / www.buchlektorat.net

Covergestaltung: Erik Kinting

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

1.

Einführung

2.

Es gibt doch schon alles

3.

Eine andere Sicht

4.

Eigenschaften eines Betriebssystems

4.1

Alles ist relativ

4.2

Gewohnheit

4.3

Wahrnehmung

4.4

Unbekannte Situation

4.5

Prioritäten

4.6

Multitasking

5.

Bauelemente des Gehirns

6.

Schichtenstruktur

7.

Belohnungssystem

8.

Energiemanagement

9.

Seelischer Status, Verhalten und Lebensgefühl

9.1

Seelischer Status ausgeglichen

9.2

Leichtes seelisches Defizit

9.3

Akutes seelisches Defizit

9.4

Schweres seelisches Defizit

9.5

Depression

9.6

Euphorie

9.7

Modellvorstellung der Rechenvorgänge

10.

Quellen seelischer Energie

10.1

Materielle Bereiche 1 – 5

10.2

Soziale Bereiche 6 – 10

10.3

Effizienz

10.4

Überhöhung

10.5

Werdegang und Schutzschirm

10.6

Rückentwicklung im Alter

10.7

Rückentwicklung im seelischen Defizit

11.

Der Wanderer und der Apfel

11.1

Verführerische Situationen

11.2

Belastung und Stress

11.3

Hintergrund-Belastungen

11.4

Risiken

11.5

Die Frage nach dem Sinn

11.6

Wunschgewicht

11.7

Burn-out

11.8

Der freie Wille

11.9

Panik

11.10

Soziale Kompetenz und Abgrenzung

11.11

Geheimnis oder Offenheit?

11.12

Kriminalität

11.13

Gewalt und Terror

11.14

Dr. Jekyll und Mr. Hyde

11.15

Kompensation, Fassaden, Süchte und Drogen

11.16

Rücksetzen

12.

Wege zur Ausgeglichenheit

13.

Ausblick

14.

Literaturverzeichnis:

1.     Einführung

Wollen Sie Ihre Lebenssituation verbessern, mehr Achtsamkeit und Sensibilität sich selbst und anderen gegenüber entwickeln, Ihr Leben bewusster, befriedigender und mit mehr Übersicht und Selbstwertgefühl führen? Vielleicht auch ein bisschen lockerer und mit mehr Freude und Spaß?

Oder wollen Sie lieber bleiben, wie Sie sind, und vielfältige Gründe dafür suchen – und sicherlich auch finden –, Ihre möglicherweise selbst verursachten Defizite dem Schicksal, dem Staat, einem schädigenden Umfeld oder missgünstigen Mitmenschen anzulasten?

Wie auch immer: Hauptsache, Sie sind daran interessiert, beim Lesen dieses Buchs nicht nur viele einzelne und vielleicht bekannte Informationen zu sammeln, sondern auch deren Zusammenhänge zu verstehen. Einzelne Informationen werden schnell vergessen, sie nützen auf Dauer erst dann, wenn sie in einen verständlichen Zusammenhang gebracht werden und einen Lernprozess auslösen. Nur in dieser Form wird etwas haften bleiben und sich eine wohltuend positive Wirkung im täglichen Leben entfalten können.

Im Laufe des Buchs werden Sie sehen, dass körperliche und seelische Vorgänge so stark ineinander verwoben sind, dass sie eine untrennbare Einheit bilden. Diese ganzheitliche Sichtweise bildet sich im täglichen Leben jedoch nur höchst unvollständig ab:

Die Medizin sieht es als ihre Aufgabe an, Leiden des Körpers, sozusagen der Hardware, zu lindern und zu heilen. Körperlich nicht erklärliche Erscheinungen wären daher in den Bereich derSoftware, nämlich der Seele zu verweisen und damit dem Arbeitsgebiet der Psychologie zuzuordnen. Alles in dem Wissen, dass seelische Einflüsse den Körper massiv beeinflussen können und umgekehrt.

Während der Körper materieller Natur und damit mit den Händen fassbar und in seiner Anatomie bis herab zu seinen molekularen Bausteinen und chemischen Umsetzungen analysierbar ist, stellt sich die Seele als sehr viel unschärferer Begriff mit einem großen Deutungsspielraum dar.

Der Ausdruck ›Seele weist vielfältige Bedeutungen auf, je nach den unterschiedlichen mythischen, religiösen, philosophischen oder psychologischen Traditionen und Lehren, in denen er eine Rolle spielt. Im heutigen Sprachgebrauch ist oft die Gesamtheit aller Gefühlsregungen und geistigen Vorgänge beim Menschen gemeint. In diesem Sinne entspricht ›Seele weitgehend dem Begriff ›Psyche.

In diesem Buch wird Seele im erweiterten Sinne eines Rechenprogramms des Gehirns verstanden, als Software sozusagen, die von den Eingangssignalen der Sinne über deren Verarbeitung, Speicherung bis hin zur körperlichen Ausführung die Steuerung des Organismus im Ganzen übernimmt.

Der Ausdruck ›Seele umfasst in dieser Arbeit damit auch geistige Vorgänge, sodass Verstand und Gefühl, Bewusstes und Unbewusstes gleichermaßen eingeschlossen sind.

Die Aufgabe besteht darin, der Struktur und Arbeitsweise des Prinzips Seele mit neuen, der Datenverarbeitung entliehenen Methoden auf die Spur zu kommen. Dabei wird es nicht ausbleiben, die oft religiös und mythisch verschleierte Seele aus sachlich-technischer Sicht zu betrachten, um deren mögliche Funktion überhaupt fassbar zu machen und logisch nachvollziehen zu können.

Seit Menschengedenken ist bekannt, dass eine schwermütige seelische Grundstimmung nicht nur das gegenwärtige Lebensgefühl erheblich zu beeinträchtigen vermag, sondern auf Dauer auch körperliche Unpässlichkeiten bis hin zu Beschwerden und ernsthaften Krankheiten aller Art nach sich ziehen kann. In einer als seelisch besonders belastend empfundenen Situation, zeigt sich auch der Zugriff auf Erinnerungen massiv gestört. Man denke dabei an das Extrem der Prüfungsangst, die verhindert auf Gelerntes zuzugreifen. Das Verhalten insgesamt wie auch körperliche Bewegungsabläufe, scheinen nur im Zustand seelischer Ausgeglichenheit eine hohe Qualität zu erreichen. Doch bereits ein geringes seelisches Abgleiten wird jegliche Präzision schnell dahinschwinden lassen.

Die Frage drängt sich geradezu auf, ob seelische Defizite und mit diesen auftretende Stresszustände, nicht grundsätzlich die Regelkreise im ganzen Organismus von ihrer optimalen Funktionsweise abbringen.

Beispiel Rückenprobleme:

Bewegungen werden allgemein durch Muskeln ermöglicht, die meist in Gruppen fein abgestimmt zusammenarbeiten. Die Wirbelsäulen-Muskulatur beispielsweise, ist mit einer äußerst anspruchsvollen Aufgabe betraut, soll sie doch die Belastung der Bandscheiben bei beliebigen Bewegungs- und Lastzuständen zu jeder Zeit stets so gleichmäßig verteilen, dass keine Überlastung und Beschädigung zustande kommen kann. Eine Regelung, die neben der mechanischen Leistungsfähigkeit der Muskeln zusätzlich noch höchste Präzision zu jeder Zeit erfordert. Sollten die ausführenden Muskeln zu schwach disponiert oder – wenn man sich nicht gut fühlt – deren Feinsteuerung beeinträchtigt sein, würden Belastungsspitzen auftreten und eine Schädigung immer wahrscheinlicher werden lassen. Entzündungen und Schmerzen wären die Folge.

Ein weiteres Beispiel: Das Normalgewicht halten.

Es ist schwer die Disziplin aufzubringen, durch ausgewogene Ernährung, mehr Bewegung und Sport das Wunschgewicht zu erreichen, fit zu werden und auch zu bleiben. Dies, obwohl es auf der körperlichen Seite Diäten und gut gemeinte Vorgaben aller Art gibt. Aber warum bleiben rein körperbezogene Diäten auf Dauer meist erfolglos? Weil es vielleicht nicht der Körper ist, der einer Diät bedarf, sondern die Seele. Man kann doch dem Körper nicht vorwerfen, dass er seine Reserven mit aller Kraft verteidigt. Ist die Seele aus dem Gleichgewicht, bleibt neben dem echten Hunger, dessen Sättigung eine natürliche Grenze aufweist, ein dauernd drängender seelischer Hunger, der unablässig zum Essen drängt und verhindert, dass gute Vorsätze eingehalten werden.

Ist die Seele belastet, geht das strategische Denken verloren, die Selbstdisziplin gleich mit und alle guten Vorsätze lassen sich nicht mehr in die Tat umsetzen.

Stress: Es ist bekannt, dass ein hoher Pegel an Stresshormonen wichtige Teile des Immunsystems beeinträchtigen und damit Krankheiten und Allergien Vorschub leisten kann. Je größer ein seelisches Defizit wird, desto mehr Stresshormone werden ausgeschüttet, um die Energie für Berechnung und Ausführung eines passenden Verhaltens bereitzustellen, mit dem Ziel, wieder in einen ausgeglichenen seelischen Zustand zurückzukommen.

Dieser vom Organismus angestrebte Gleichgewichtszustand kann nicht nur von seelischen Defiziten gestört werden, sondern auch durch körperliche Fehlfunktionen. Schmerzen und Einschränkungen aller Art belasten wie ein dauernder Aderlass auch die Seele, bringen sie mehr und mehr in ein Defizit.

Es bleibt nur die Schlussfolgerung, Körper und Seele nicht als voneinander getrennte Komponenten, sondern als ein einziges, zutiefst ineinander verflochtenes System zu betrachten. Die ›Hardware verändert unablässig die ›Software und umgekehrt.

2.     Es gibt doch schon alles

Natürlich muss auch die Frage erlaubt sein, warum man sich überhaupt die Mühe solcher Überlegungen zu einer neuen Sicht und Auffassung des Entstehen menschlichen Verhaltens machen sollte, obwohl das Verhalten betreffend bereits eine Vielzahl von Denkansätzen existiert. Die Psychologie als vorwiegend empirische Wissenschaft kennt zum Beispiel zahlreiche Sichtweisen, Auffassungen und praktische Herangehensweisen an dieses Thema.

Aus der psychologischen Praxis ist bekannt, dass innerhalb der Disziplinen der Psychologie verschiedene Ansätze gleichberechtigt nebeneinander bestehen. Daher können, je nach Art des zu betrachtenden Problems und je nach persönlicher Einstellung, Erfahrung und Vorliebe durchaus unterschiedliche Vorgehensweisen zum Einsatz kommen.

Es existiert jedoch noch keine grundlegende oder allgemeingültige Theorie, auch kein durchgängiges Gedankenmodell, womit sich die verschiedenen Herangehensweisen unter einen Hut bringen ließen.

Um Verhalten schlüssig zu erklären, werden große Anstrengungen unternommen – z. B. durch Erfassen und Verarbeiten riesiger vorhandener und noch zu erhebender Datenmengen (Big Data) –, diese Vielfalt zu ordnen, darin Strukturen zu erkennen und unter Einsatz von Höchstleistungscomputern schließlich Verhalten zu berechnen und abzubilden. Gegenwärtig laufen die Bemühungen dahin, die Funktion einer Säule aus dem Mäusegehirn in ihrer Funktion zu simulieren (Blue Brain Project von Henry Markram). Dieses Vorhaben zeigt sich als so kompliziert wie aufwendig. Manche Kritiker schätzen es als wenig aussichtsreich ein, aus einem riesigen Datenchaos geordnete Verhaltensstrukturen filtern zu wollen. Wie dem auch sei, es gilt einfach Fortschritte und Ergebnisse abzuwarten.

Die Hirnforschung wiederum bietet immer raffinierter ausgewertete und höher auflösende Technik in Form eindrucksvoller, farbiger Bilder des Gehirns und seiner Komponenten. Sicherlich hochinteressant und nützlich, die Orte zu kennen, wo das Gehirn bestimmte Funktionen abwickelt. Nicht nur, dass sich die Signale oft nur wenig vom Hintergrund abheben. Was in den auffälligen Bereichen tatsächlich vor sich geht, z. B. ob die nachweisbare Aktivität fördernder oder hemmender Natur ist, also eine eigentlich wesentliche Aussage, bleibt vorerst immer noch ein Rätsel.

Als Erfolg versprechendster Weg wäre wohl der anzusehen, alle Ergebnisse und Betrachtungsweisen zusammenzuführen mit dem gemeinsamen Ziel, aus den Teilen eine Gesamtsicht zu entwickeln, die menschliches Verhalten als möglichst einheitliche Theorie zu beschreiben vermag. In diesem Sinne soll auch dieses Buch eine neue Herangehensweise aufzeigen, was sich bei der Verhaltensbestimmung im Gehirn abspielen könnte, wie seelische Defizite in ihrem Kern entstehen und wie sie sich auf Verhalten und Lebensgefühl auswirken. Das Modell könnte sicherlich als Ergänzung zu bestehenden Methoden beitragen und die Prävention wirksam unterstützen.

Allen Vorgehensweisen sollte das Bestreben innewohnen, durch mehr Bewusstheit, Achtsamkeit und dem Verstehen des eigenen Verhaltens und dem anderer, ein glücklicheres Leben zu führen und durch bewusstes Eingreifen einem eigenen seelischen Abgleiten sowie dem anderer rechtzeitig und wirksam begegnen zu können.

3.     Eine andere Sicht

Gerade undifferenzierte psychosomatische Beschwerden deuten darauf hin, dass die Seele von einem Gleichgewichtszustand nun in einen anderen, labilen Modus übergegangen ist. Ein- und Durchschlafprobleme, fehlende Motivation, gedämpfte Stimmung und allgemeine Mattigkeit greift um sich. Probleme mit Rücken und Gelenken, mit Magen und Verdauung – was auch immer – nehmen das tägliche Leben in Besitz und schränken es zunehmend weiter ein. Ein Teufelskreis weiteren seelischen Absinkens nimmt seinen Lauf. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, könnte sogar eines Tages die Depression drohen.

Es ist schließlich auch körperlich zu spüren, dass die Belastung der Seele zunimmt, man sich immer mehr von der seelischen Ausgeglichenheit entfernt und irgendwann eine Belastungsgrenze erreicht sein wird. Es erweckt den Eindruck, als würde ein seelisches Konto immer weiter geleert.

Der erste Schritt wird des Öfteren sein, zunächst die lästigen und hinderlichen Symptome mit Medikamenten zu bekämpfen: Schmerzen mit Schmerzmitteln, die darbende Seele mit Tabletten zur Aufhellung der niedergedrückten Stimmung. Die Suche nach den Gründen für das seelisches Entgleisen beginnt, wobei dem Verlauf der Kindheit meist besonderes Gewicht zugemessen wird. Allerdings muss einer Kindheit in schlechten Verhältnissen nicht unbedingt ein problematisches Erwachsenenalter folgen: Einem frühzeitig durch ein ungünstiges Umfeld belasteten Kind beispielsweise, stehen im einfachsten Fall die zwei klassischen Möglichkeiten Kampf oder Flucht zu Gebote.

In der Fluchtversion würde es sich überlastet fühlen, sich als Opfer in sein Schicksal ergeben und aufgrund der eingrenzenden Situation eine optimale Entwicklung verfehlen, was ihm im Erwachsenenalter auf vielfache Weise Nachteile einbringen könnte.

Würde es in der Kampfversion hingegen seine Situation als Herausforderung annehmen und alle Kraft darauf verwenden, diese einschränkende Situation zu bewältigen und ihr schließlich zu entkommen, würde es viele seiner Fähigkeiten frühzeitig in großer Tiefe entwickeln und auf diese Weise sogar einen erheblichen Fortschritt in seiner Entwicklung vollziehen. Als Erwachsener könnte ihm diese erworbene Stärke von großem Nutzen sein. Auch die historische Entwicklung der Menschheit als Ganzer zeigt, dass große, aber erfolgreich bewältigte Belastungen, z. B. durch Klimawandel, Eiszeiten, Vulkanausbrüche und andere Naturkatastrophen, einen starken Entwicklungsschub auslösen konnten.

Insbesondere Befragungen gelten bei der Suche nach den Ursachen als praktikables und wirksames Mittel, doch tun sich dabei mehrere bekannte, im Grunde nicht lösbare Probleme auf:

Das erste besteht darin, dass sich der Betroffene erst in einem fortgeschrittenen Stadium seines seelischen Defizits in professionelle Behandlung begeben wird. In seinem seelisch bereits weit abgeglittenen Zustand wird er sich keinesfalls leisten können, sich auch noch eigene Fehler in seiner Lebensführung einzugestehen. Eigene Schuld würde ihn noch tiefer ins seelische Defizit bringen. Eine hoch angespannte Seelenlage rückt die Glaubwürdigkeit der Antworten in ein zweifelhaftes Licht mit dem begründeten Verdacht, im eigenen Interesse eine mehr oder weniger passend zurechtgerückte Realität zum Besten zu geben und den wahren Kern der vielleicht selbst verursachten Probleme eher zu verschleiern.

Das zweite Problem: Einem ungünstigen sozialen Umfeld die Verantwortung für die defizitäre seelische Situation zuzuweisen, mag zwar momentan entlastend wirken und den weiteren Niedergang bremsen oder zumindest verlangsamen. Nur bleibt damit jeder Anstoß aus, einmal über die eigene Lebensführung und das möglicherweise wenig soziale oder unangepasste Verhalten nachzudenken. Es würden genau die ungünstigen Verhaltensweisen, die vielleicht erst zum seelischen Problem geführt haben, nicht nur erhalten bleiben, sondern sogar gestärkt daraus hervorgehen.

Das dritte Problem: Erinnerung ist nicht mit dem Auslesen originärer Inhalte einer Computerfestplatte zu vergleichen. Im Gehirn abgespeicherte Daten unterliegen einem zeitlichen Zerfall. Feinheiten gehen zuerst verloren, am Ende finden sich nur noch Bruchstücke unscharfer Erinnerungen, die es schwerfallen lassen, sie wieder zu einem logischen Ganzen zusammenzufügen. Bewusst oder unbewusst werden die Dinge passend zur aktuellen Situation zurechtgerückt. Was schließlich als Ergebnis präsentiert wird, erscheint möglicherweise eher als Konstrukt aus wenig Erinnerung, dafür viel aktuellen Eindrücken oder sogar puren Wunschvorstellungen zur eigenen Entlastung. Eine solchermaßen unscharfe Erinnerung ließe sich im Übrigen bereits durch die Art der Fragestellung leicht in jede Richtung weiter passend modifizieren.

Das vierte Problem: Oft beruhen seelische Defizite auf einem Mangel an sozialer Anerkennung, Zuwendung und Einbindung. Die angenehmen und seelisch aufbauenden Sitzungen lindern diesen Mangel und sind willkommene Abwechslung. So liegt die Versuchung nahe, sich diese so lange wie möglich zu erhalten. Leicht geht die eigentliche Zielsetzung verloren, nämlich die Rückkehr zu einem selbstbestimmten Leben mit einer selbst erarbeiteten seelisch positiven Bilanz.

Das fünfte Problem: Der seelische Niedergang eines Einzelnen hat seine eigentliche Ursache darin, dass dessen Möglichkeiten oder Fähigkeiten nicht ausreichen, sich in dem ihn umgebenden System genügend Erfolge und damit seelische Einkünfte zu erarbeiten. Um den wahren Gründen für das seelische Abgleiten eines Einzelnen näher zu kommen, müssten Aufbau, Struktur und Stabilität des ihn seelisch tragenden Umfeldes näher betrachtet werden. Dies würde bedeuten, nicht nur den Betroffenen selbst zu befragen, sondern wie bei einer polizeilichen Ermittlung das tatsächliche Verhalten zu beobachten und auch das Umfeld zu Wort kommen zu lassen, mit dem Risiko, möglicherweise ganz andere Gründe als die vom Betroffenen angenommenen zum Vorschein zu bringen.

Ein Beispiel aus der Praxis:

Ein Mädchen studiert Medizin mit guten Noten. Überraschend für Familie und Umfeld kommt zu Anfang des dritten Semesters der plötzliche Absturz in die Depression. Es folgt ein längerer Klinikaufenthalt, während dem die Vergangenheit des Mädchens aufgerollt und mangels weiterer Informationen den Eltern diffuse Erziehungsfehler zugewiesen werden. Hätte man Befragung und Betrachtung auf das System ihrer seelischen Einkünfte und Verluste erweitert, wäre offenbar geworden, dass sie seit einiger Zeit mit einem hochgradig narzisstisch gestörten Freund zusammenlebte, der die Unerfahrene vereinnahmte, dominierte, systematisch von Eltern und Bezugspersonen isolierte und seelisch auslaugte. Eine entschlossene Abgrenzung gelang ihr bis heute nicht. Noch nach Jahren ist sie in Behandlung und kommt nicht aus dem Tief, denn der eigentliche Grund ihrer Depression ist in einem mangelhaften System ihrer seelischen Versorgung zu suchen.

Krankheiten und eine krankende Seele zu heilen sind sehr anspruchsvolle Aufgaben und alle Bemühungen darin sehr lobenswert, doch wäre es sicherlich der bessere Weg, durch gesunde Lebensführung vermeidbare Krankheiten an Körper und Seele gar nicht erst zum Ausbruch kommen zu lassen und der Prävention viel mehr Gewicht beizumessen.

Es ist die eigentliche Zielsetzung dieses Buchs, ein seelisches Abgleiten bei sich selbst und anderen so frühzeitig zu erkennen und rettende Maßnahmen derart einzuleiten, dass eine ungünstige Entwicklung noch vor Erreichen einer Krise gestoppt und wieder zum Besseren gewendet werden kann.

Um rechtzeitig und auch in angemessener Stärke eingreifen zu können, müssen jedoch die Mechanismen bekannt sein, wie Verhalten überhaupt zustande kommt. Das Modell einer solchen Verhaltensberechnung im Gehirn wird im Laufe dieses Buchs entwickelt.

Wer sich über das kurze Literaturverzeichnis wundert: Bisher konnten in der Literatur keine mit dem neuen Modell vergleichbaren Grundlagen oder Herangehensweisen an diese Fragestellung gefunden werden.

4.     Eigenschaften eines Betriebssystems

Grob vereinfacht stellt sich Verhalten als Ergebnis einer Kette von organischen Prozessen dar: In einem ersten Schritt wird der Körper als materiell fassbarer Teil des Organismus mit seinen Sinnen eine Art Abbild seines Umfelds aufnehmen.

In erster Linie werden die fünf bekannten Sinne Sehen, Hören, Geruchs- und Geschmacksempfindung sowie die Sensibilität für Berührungen, aber auch sekundäre Sinne wie die Temperatursensoren der Haut die Eingangsdaten als eine Art Scan der vorliegenden Situation liefern.

Um nicht von einer Unzahl unwichtiger Daten überschwemmt und lahmgelegt zu werden, müsste aus technischer Sicht irgendeine Instanz eine Interpretation dieses Abbilds im Sinne der vorliegenden Bedürfnisse, Anforderungen und Erfahrungen erstellen. Dabei würden nur diejenigen Eingangsdaten herausgefiltert und der Weiterverarbeitung zugeführt, die für Existenz und Wohlergehen des Organismus von Bedeutung wären. Unwichtiges würde gar nicht erst wahrgenommen. Um nach Ermittlung einer bestmöglichen Verhaltensplanung diese auch in die praktische Realität umzusetzen, wird am Ende der seelischen Datenverarbeitung wiederum der Körper benötigt, der mit seinen Bewegungen das Werk schließlich in die Praxis hinein vollendet. Insofern wäre dem Körper, gleich einem Werkzeug, zu Beginn einer Aktion die Funktion eines Sensorträgers, eines Messinstruments und am Ende die eines ausführenden Organs zugemessen. Die Verhaltensbestimmung an sich, die wichtigste Funktion überhaupt, bliebe hingegen Aufgabe der Seele, Vernunft und Verstand mit eingeschlossen. Sicherlich wird es schwerfallen, das Gehirn von einem wie auch immer gearteten Betriebssystem regiert zu sehen und sich vorzustellen, dass da oben ein insofern besonders gearteter Computer seine Arbeit verrichten soll. Wenn man aber dessen Arbeitsweise näher betrachtet, zeigen sich immer mehr Aspekte, die diese Modellvorstellung eines Betriebssystems stützen.

4.1    Alles ist relativ

Eine der wichtigsten Erkenntnisse erwächst aus der oft wenig beachteten Erfahrung, dass das Betriebssystem über keinerlei absolute, innerlich fest verankerte und allgemeingültige Maßstäbe zu verfügen scheint. Die Körpertemperatur vielleicht, aber für Wahrnehmen, Verhalten oder irgendein Maß des Fühlens ist keinerlei genetisch oder sonst wie fixierter Bezugspunkt auszumachen und schon gar kein Nullpunkt, an dem sich irgendeine Lebensäußerung würde festmachen und objektiv bewerten lassen. Was immer man näher betrachtet, alles zeigt sich als höchst relativ.

Bei dauerhaft minus 30 Grad in Sibirien wird ein Tag mit nur minus 10 Grad als geradezu warm empfunden. Befände man sich wirklich in einem lebensbedrohlichen Hungerzustand, würde ein einziger Apfel bereits höchsten Genuss und die Rettung bedeuten. – In satter Verfassung würde man ihn nicht einmal wahrnehmen.

Da ließ man eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Menschen an einem Geschmacks-Experiment teilnehmen. Angeblich teure und billige Weine sollten nach ihrer Güte beurteilt werden (1).

In Wahrheit handelte es sich aber immer um den gleichen Wein, der nur mit verschiedenen Preisangaben versehen war. Die Auswertung erbrachte eine Überraschung: Die eingeschätzte Güte und Schmackhaftigkeit des betreffenden Weins zeigte sich als gar nicht so sehr abhängig von der Geschmacksempfindung an sich, sondern viel stärker vom Preis, der jeweils vorher genannt wurde. Angeblich teure Weine wurden als besonders gut eingestuft, der gleiche Wein mit einem Billig-Etikett als deutlich minderwertiger.

Ganz ohne die Preisangabe als Bezugsmaßstab und Beurteilungsanker wäre das Betriebssystem der im Verkosten von Wein ungeübten Probanden orientierungslos und in seinen Entscheidungen weithin hilflos gewesen.

Auch was viel ist und was wenig, erscheint höchst subjektiv. Daher dürfte auch die Notwendigkeit stammen, wichtige Dinge des täglichen Lebens zu messen, sie an einem für jeden gültigen Maßstab wie dem Ur-Meter oder dem Ur-Kilogramm absolut vergleichbar zu machen.