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Prosper Mérimée's Die Venus von Ille ist ein faszinierender Horrorgeschichte, die im literarischen Kontext des 19. Jahrhunderts steht. Das Buch erzählt die Geschichte des jungen Archäologen Martial, der in einem kleinen Dorf in Südfrankreich eine antike Statue der Venus entdeckt. Doch die Statue hat unheimliche Kräfte und bringt Unheil über die Bewohner des Dorfes. Mérimée's Schreibstil ist präzise und detailliert, was dem Leser ein deutliches Bild von den Geschehnissen vermittelt. Die subtile Einbettung von übernatürlichen Elementen und die psychologische Tiefe der Charaktere machen dieses Werk zu einem Meisterwerk des Schauerromans.
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Seitenzahl: 51
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Den letzten Hang des Canigou stieg ich hinunter und wiewohl die Sonne schon untergegangen war, unterschied ich in der Ebene doch die Häuser der kleinen Stadt Ille, auf die ich zuwanderte.
»Sonder Zweifel wißt Ihr,« sagte ich zu dem Katalonier, der mir seit dem Vorabend als Führer diente, »wo Herr von Peyrehorade wohnt?«
»Ob ich’s weiß!« rief er, »sein Haus kenn’ ich wie meins; und wenn’s nicht so dunkel wär’, würd’ ich’s Euch zeigen; es ist das schönste in Ille. Ja, der hat Geld, der Herr von Peyrehorade; und seinen Sohn verheiratet er mit einer, die noch viel reicher ist.«
»Und die Heirat findet bald statt?« fragte ich ihn.
»Bald! Vielleicht sind die Hochzeitsgeiger schon bestellt. Heute Abend, morgen, übermorgen, was weiß ich? In Pygarrig findet sie statt; denn Fräulein von Pygarrig heiratet der Herr Sohn. Da wird’s sein werden, ja!«
Von meinem Freunde M. von P…. war ich an Herrn von Peyrehorade empfohlen worden. Das ist, hat er mir gesagt, ein sehr unterrichteter Altertumsforscher von beispielloser Gefälligkeit. Freude würde es ihm machen, mir alle Ruinen zehn Meilen in der Runde zu zeigen. So rechnete ich denn auf ihn für den Besuch der Umgebung von Ille, die ich reich an römischen und mittelalterlichen Kunstdenkmälern wußte. Die Heirat, von der man mir jetzt zum erstenmal erzählte, würde alle meine Pläne über den Haufen werfen.
Ein Störenfried werd’ ich sein, sagte ich mir. Doch wurde ich erwartet, und da ich von M. von P…. angemeldet worden war, mußte ich wohl oder übel vorsprechen.
»Wetten wir, mein Herr,« sagte mein Führer, als wir bereits in der Ebene waren, »wetten wir eine Zigarre, daß ich errate, was Ihr bei Herrn von Peyrehorade wollt?«
»Das wird nicht schwer zu erraten sein,« antwortete ich, ihm eine Zigarre gebend. »Wenn man sechs Meilen im Canigou hinter sich hat, ist’s Abendessen zu dieser Stunde die Hauptsache.«
»Ja, aber morgen? … Nun, ich würde wetten, Ihr kommt nach Ille, um das Götzenbild zu sehen? Hab’s erraten, als ich Euch die Serraboner Heiligen abmalen sah.«
»Götzenbild! Was für’n Götzenbild?« Das Wort hatte meine Neugierde erregt.
»Was, hat man Euch in Perpignan nicht erzählt, daß Herr von Peyrehorade ein Götzenbild in der Erde gefunden hat?«
»Eine irdene Figur wollt Ihr sagen, eine Tonstatue?«
»Nein. Wohl aber aus Kupfer; tüchtig Zweisousstücke könnte man draus machen. Sie wiegt ebensoviel wie eine Kirchenglocke. Und tief aus der Erde unter einem Ölbaume haben wir sie hervorgeholt.«
»Ihr seid also beim Finden dabei gewesen?«
»Ja, Herr. Vor etwa vierzehn Tagen hatte Herr von Peyrehorade uns, Johann Coll und mir gesagt, wir sollten einen alten Ölbaum ausroden, der im letzten Jahr erfroren ist, denn, Ihr wißt ja, der Winter ist sehr hart gewesen. Und wie wir so draufloswerken, haut Johann Coll, der sich tüchtig ins Zeug legte, mit der Hacke los, und ich höre ein »Bimm«, wie wenn er auf eine Glocke geschlagen hätte. Was ist das, frage ich? Wir hacken und hacken immer weiter, und da erscheint eine schwarze Hand, wie eine Totenhand, die aus der Erde hervorkommt. Mich packt Angst. Ich laufe zum Herrn und sage zu ihm: – Tote, Herr, sind unter dem Ölbaume! Den Pfarrer muß man rufen. – Was für Tote? sagt er. Er kommt, und nicht sobald hat er die Hand gesehen, als er ruft: ›Eine Antike! Eine Antike!‹ Glauben sollte man, er hätte einen Schatz gefunden. Und schon ist er mit der Hacke, mit den Händen dabei und schafft fast ebensoviel wie wir beide.«
»Und was fandet Ihr schließlich?«
»Ein großes, mehr als halbnacktes Weib, mit Respekt zu sagen, Herr; ganz aus Kupfer, und Herr von Peyrehorade hat uns gesagt, es wäre ein Götzenbild aus der Heidenzeit… aus Karls des Großen Zeiten, was…«
»Weiß schon, was es ist… Irgend eine bronzene heilige Jungfrau aus einem zerstörten Kloster.«
»Eine heilige Jungfrau! Ach jawohl… Wenn’s eine heilige Jungfrau wäre, die würd’ ich schon erkannt haben. Ein Götzenbild ist’s, sage ich Euch, man sieht’s ihm gut an. Mit seinen großen weißen Augen hat’s uns angestarrt … als ob es einem die Augen auskratzen wollte. Wenn man’s ansieht, jawohl, dann schlägt man die Augen nieder!«
»Weiße Augen? sicherlich sind sie in die Bronze eingefügt. ‘s wird vielleicht irgend eine römische Statue sein!«
»Römisch, das ist’s. Herr von Peyrehorade hat gesagt, es wäre eine Römerin. Ach, ich merke wohl, Ihr seid so gelehrt wie er.«
»Ist sie ganz, gut erhalten?«
»Oh, Herr, der fehlt nichts. Sie ist noch schöner und besser ausgeführt als die Louis Philippbüste, die gemalte, im Rathaus. Das Gesicht des Götzenbildes gefällt mir aber trotz alledem nicht. Sie sieht so böse aus … und ist es auch.«
»Böse! Was hat sie Euch denn Böses getan?«
»Mir grad ‘nicht; doch hört nur zu. Mit Feuer hatten wir uns dran gemacht, sie aufzurichten, und Herr von Peyrehorade zog auch am Stricke mit, obwohl er nicht mehr Kraft als ein Hühnchen hat, der gute Mann. Mit großer Mühe stellten wir sie auf. Um sie zu stützen, raffte ich einen Ziegel auf, als sie, pardautz, wie eine unförmige Masse hintenüberfällt. Ich sage: Aufgepaßt da hinten! Doch nicht schnell genug, denn Johann Coll hat keine Zeit gehabt, sein Bein fortzuziehen …«
»Und ist er verletzt worden?«
»Wie ein Rebenpfahl ist sein armes Bein zerbrochen worden. Eiweh! Als ich das gesehn hab’, da bin ich aber wild geworden. Mit der Hacke wollt’ ich das Götzenbild zusammenschlagen, Herr von Peyrehorade aber hat mich zurückgehalten. Geld hat er Johann Coll gegeben, der seit vierzehn Tagen, wo ihm das passiert ist, noch immer im Bette liegt, und der Arzt meint, er wird auf diesem Beine nimmer wieder wie auf dem andern gehen können. Ein Jammer ist das, denn er war unser bester Läufer und nach dem jungen Herrn der geschickteste Ballspieler. Herr Alfons von Peyrehorade war auch traurig darüber, denn mit Coll hat er stets zusammen gespielt. Das war fein anzusehn, wenn sie sich die Bälle zurückschickten. Paff, paff, nie berührten sie den Boden!«