Die vergessene Welt - Arthur Conan Doyle - E-Book

Die vergessene Welt E-Book

Arthur Conan Doyle

3,9

Beschreibung

"Die vergessene Welt" (im Original: "The Lost World") ist ein 1912 erschienener Roman des britischen Schriftstellers Sir Arthur Conan Doyle. Im Zentrum der Erzählung steht die Erkundung eines geheimnisvollen südamerikanischen Plateaus im Dschungel (siehe Tepui), das von Urtieren bewohnt sein soll. Diese erste Folge der "Challenger Stories" gehört zu den früheren Science-Fiction-Romanen in englischer Sprache, greift jedoch zugleich auch Elemente des Abenteuerromans auf. Der Roman basiert in Teilen auf sorgfältigen wissenschaftlichen und historischen Recherchen. Er erlangte zwar als Abenteuer-Klassiker einige Berühmtheit, blieb dabei jedoch – vor allem in Deutschland – hinter den weithin bekannten Sherlock-Holmes-Geschichten aus Arthur Conan Doyles Feder zurück. Verbreitete deutsche Titelalternativen sind "Die verlorene Welt" oder "Der streitbare Professor".

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Inhalt

Erstes Kapitel – Es gibt überall Gelegenheit zu Heldentaten

Zweites Kapitel – Versuchen Sie Ihr Glück mit Professor Challenger

Drittes Kapitel – Er ist ein ganz unmöglicher Mensch

Viertes Kapitel – Das ist die erstaunlichste Sache, von der ich je gehört habe

Fünftes Kapitel – Das ist die Frage!

Sechstes Kapitel – Ich war die Gottesgeißel

Siebentes Kapitel – Morgen treten wir die Reise in das unbekannte Land an.

Achtes Kapitel – Die Vorposten der neuen Welt

Neuntes Kapitel – Wer hätte das voraussehen können?

Zehntes Kapitel – Die seltsamsten Dinge haben sich ereignet

Elftes Kapitel – Diesmal war ich der Held

Zwölftes Kapitel – Es war furchtbar im Walde

Dreizehntes Kapitel – Ein Anblick, den ich nie vergessen werde

Vierzehntes Kapitel – Das waren wirkliche Eroberungen

Fünfzehntes Kapitel – Unsere Augen haben große Wunder gesehen

Sechszehntes Kapitel – Ein Umzug! Ein Umzug!

Impressum

Erstes Kapitel – Es gibt überall Gelegenheit zu Heldentaten

Mister Hungerton, ihr Vater, war der taktloseste Mensch auf der Welt – ein flaumiger, fedriger, schmuddeliger Kakadu von einem Menschen, durchaus gutmütig, aber restlos eingestellt auf sein eigenes lächerliches Selbst. Wenn irgend etwas mich von Gladys hätte wegtreiben können, so wäre es der Gedanke an solch einen Schwiegervater gewesen. Ich bin überzeugt, daß er in der Tiefe seines Herzens glaubte, ich käme dreimal in der Woche zu den alten Kastanienbäumen herum, um das Vergnügen seiner Gesellschaft zu genießen, insbesondere aber um seine Ansichten über Bimetallismus – eine Materie, in der er eine Art von Autorität war – zu hören.

Länger als eine Stunde schon ließ ich an diesem Abend sein eintöniges Geschwätz über Verschlechterung des Geldes, über den angenommenen Wert des Silbers, die Entwertung der Rupie und die wahren Normen der Wechselkurse über mich ergehen.

»Stellen Sie sich vor,« rief er in einem Anfall von Heftigkeit aus, »daß alle Schulden in der Welt zu gleicher Zeit und sofort bezahlt werden müßten! Was würde unter den gegenwärtigen Verhältnissen geschehen?«

Ich gab die selbstverständliche Antwort, daß ich dann ein ruinierter Mann sein würde, worauf er von seinem Stuhl auffuhr, mir meinen gewohnten Leichtsinn, der es ihm unmöglich mache, irgendeinen ernsthaften Gegenstand in meiner Gegenwart zu diskutieren, vorwarf, wütend aus dem Zimmer stampfte und die Tür heftig ins Schloß warf, um sich für die Loge umzuziehen.

Ich war also endlich allein mit Gladys, und der Augenblick, der mein Schicksal entscheiden sollte, war gekommen! Den ganzen Abend hatte ich das Gefühl eines Soldaten, der das Signal erwartet, das ihn auf einen verlorenen Posten schickt, ein Gefühl, in dem die Hoffnung auf den Sieg mit der Furcht vor der Niederlage abwechselt.

Sie saß vor mir, ihr stolzes und zartes Profil hob sich klar gegen den roten Vorhang ab. Wie schön sie war! Und doch wie fern! Wir waren bisher gute Freunde gewesen, recht gute Freunde, niemals aber war es mir gelungen, über jenen Grad von Kameradschaftlichkeit hinauszukommen, wie er etwa zwischen mir und einem Kollegen von der Zeitung hätte bestehen können, – ganz aufrichtig, sehr liebenswürdig und völlig platonisch. Meine innersten Gefühle sind immer gegen ein weibliches Wesen eingenommen, das mir gegenüber frei und unbefangen ist. Diese Haltung ist kein Kompliment für einen Mann. Sobald der Gegensatz der Geschlechter erwacht, regen sich Furcht und Mißtrauen, diese Erbschaft aus roheren Zeiten, als Liebe und Gewalt noch Hand in Hand gingen. Das gesenkte Haupt, die abgewendeten Augen, die stockende Stimme, die bebende Gestalt – all dies und nicht der freie Blick und die ungezwungene Antwort sind der wahre Ausdruck der Leidenschaft. Soviel hatte ich sogar schon während meines kurzen Lebens erfahren – oder lebte doch als Instinkt, wie wir das Rassengedächtnis nennen, in mir.

Gladys besaß alle echt weiblichen Eigenschaften. Einige hielten sie für kalt und gefühllos, aber dies Urteil war nicht zutreffend. Der zarte Bronzeton ihrer Haut, fast orientalisch in der Färbung, das rabenschwarze Haar, die großen sanften Augen, die vollen, aber entzückend geformten Lippen, – alle diese Zeichen der Leidenschaft waren vorhanden. Aber ich war mir schmerzlich bewußt, daß ich bis jetzt das Geheimnis, diese Leidenschaft zu entflammen, nicht entdeckt hatte. Indessen, mochte kommen was da wollte, ich mußte der Ungewißheit ein Ende machen und meine Sache heute abend noch zur Entscheidung bringen. Mochte sie mich abweisen; besser ein zurückgestoßener Liebhaber als ein geduldeter Bruder.

Soweit war ich in meinen Gedanken gekommen und im Begriff, das lange und peinliche Schweigen zu brechen, als zwei kritische, dunkle Augen sich auf mich richteten und Gladys, vorwurfsvoll lächelnd, das stolze Haupt schüttelte.

»Ich habe das Gefühl, daß Sie im Begriff sind, mir einen Heiratsantrag zu machen, Ned. Ich möchte nicht, daß Sie es tun, es ist viel hübscher so, wie es jetzt ist.«

Ich zog meinen Stuhl etwas näher heran.

»So, woher wissen Sie denn, daß ich die Absicht habe, Ihnen einen Heiratsantrag zu machen?« fragte ich ehrlich erstaunt.

»Wissen Frauen nicht immer alles? Glauben Sie, daß es irgend ein Weib auf der Welt gibt, das es nicht merkt, wenn sich jemand für sie interessiert? Nein, Ned, unsere Freundschaft war so schön und so reizvoll! Wie schade wäre es, sie zu zerstören! Fühlen Sie nicht, wie herrlich es ist, wenn ein junger Mann und ein junges Mädchen so freimütig miteinander sprechen, wie wir es getan haben?«

»Ich weiß nicht, Gladys. Freimütig sprechen kann ich auch mit – dem Stationsvorsteher.« Ich habe keine Ahnung, wie dieser Beamte in unsere Unterhaltung hineingeriet, aber er geriet hinein, und wir mußten beide lachen.

»Das genügt mir auf die Dauer nicht. Ich möchte meinen Arm um Sie legen und Ihren Kopf an meine Brust drücken, und, ach Gladys, ich möchte – – –«

Sie sprang vom Stuhle auf, da ihr klar wurde, daß ich die Absicht hatte, meine weiteren Wünsche in die Tat umzusetzen.

»Sie haben alles zerstört, Ned,« sagte sie, »es ist alles so schön und natürlich, bis eine gewisse Grenze überschritten wird. Es ist so schade. Warum können Sie sich nicht besser beherrschen?«

»Das ist keine Erfindung von mir,« verteidigte ich mich, »das ist Natur, das ist Liebe.«

»Es mag wohl anders sein, wenn beide lieben. Ich habe noch niemals geliebt.«

»Aber Sie müssen – – – Sie mit Ihrer Schönheit, mit Ihrer Seele! O Gladys, Sie sind ja geschaffen für die Liebe. Sie müssen lieben!«

»Man muß warten, bis die Liebe kommt.«

»Aber warum können Sie mich nicht lieben, Gladys? Ist es mein Äußeres oder was sonst?«

Ihr Gesicht hellte sich auf. Sie streckte eine Hand aus – ihre ganze Haltung war so gütig und so herablassend – und bog meinen Kopf zurück. Dann sah sie mir mit einem gedankenvollen Lächeln in das aufwärts gerichtete Gesicht.

»Nein, das ist es nicht,« sagte sie schließlich, »Sie sind nicht gerade ein häßlicher Mann, und darum kann ich wohl sagen, daß es das nicht ist. Es liegt tiefer.«

»Mein Charakter?«

Sie nickte ernst.

»Was kann ich tun, um ihn zu verbessern? Setzen Sie sich doch und sagen Sie mir etwas darüber. Nein, bitte, ich möchte, daß Sie sich setzen.«

Sie sah mich mit einem erstaunten Mißtrauen an, das mir viel besser gefiel als ihr Vertrauen bei unbewegtem Herzen.

Wie primitiv und dumm das alles aussieht, wenn man es schwarz auf weiß niederschreibt! Aber schließlich ist es vielleicht eine Empfindung, die nur mir selbst verständlich ist. Genug, sie setzte sich.

»Nun sagen Sie mir, woran es mir fehlt.«

»Ich liebe jemand anders«, sagte sie.

Jetzt war die Reihe an mir, vom Stuhle aufzuspringen.

»Es ist niemand im besonderen,« fuhr sie, über meinen Gesichtsausdruck lachend, fort, »es ist nur ein Ideal. Ich bin einem solchen Mann, wie er mir vorschwebt, niemals begegnet.«

»Erzählen Sie mir etwas über ihn. Wie sieht er aus?«

»Oh, er könnte Ihnen sehr ähnlich sein.«

»Wie entzückend von Ihnen, das zu sagen! Gut, und was tut er, was ich nicht täte? Sagen Sie es mir gerade heraus! Abstinenzler, Vegetarier, Luftschiffer, Theosoph, Übermensch – ich werde alles versuchen, Gladys, wenn Sie mir nur eine Vorstellung davon geben wollen, was Ihnen gefallen könnte.«

Sie lachte über die Elastizität meines Wesens.

»Gut, zunächst einmal glaube ich, mein Ideal würde nicht so reden«, sagte sie. »Er würde ein kühner, energischer Mann sein, der nicht so leicht bereit wäre, der Laune eines törichten Mädchens zu entsprechen. Auf jeden Fall aber müßte er ein Mann der Tat sein, der dem Tode ohne Furcht ins Auge blickt – ein Mann von großen Taten und außerordentlichen Erlebnissen. Es ist niemals der Mann, den ich lieben würde, sondern immer der Ruhm, mit dem er sich bedeckt. Denn davon würde ein Abglanz auf mich fallen. Denken Sie an Richard Burton! Als ich die Biographie seiner Frau über ihn las, konnte ich ihre Liebe verstehen. Und Lady Stanley! Haben Sie das wundervolle letzte Kapitel über ihren Mann jemals gelesen? Das ist die Art von Männern, die eine Frau von ganzer Seele anbetet, die dabei doch und nicht zum wenigsten durch ihre Liebe die größere sein kann, die von aller Welt geehrt wird als die Urheberin edler Taten.«

Sie sah so schön aus in ihrem Enthusiasmus, daß ich fast das Ziel unserer Unterhaltung aus dem Auge verlor. Ich riß mich zusammen, um in meiner Beweisführung fortzufahren.

»Wir können nicht alle Stanleys und Burtons sein«, sagte ich. »Übrigens trifft der Glücksfall nicht jeden – mir jedenfalls hat immer die richtige Gelegenheit gefehlt. Sollte der Zufall mir günstig sein, so würde ich ihn nutzen.«

»Aber Gelegenheit zu Heldentaten gibt es doch überall. Es ist das Zeichen dieser Art von Männern, die ich meine, daß sie ihres eigenen Glückes Schmied sind. Solch ein Mann läßt sich nicht zurückhalten. Ich habe ihn niemals getroffen, und doch ist mir, als kenne ich ihn ganz genau. Es gibt so viele heroische Taten rings um uns herum, die nur darauf warten, getan zu werden. Es ist die Aufgabe der Männer, sie zu tun, und die Aufgabe der Frauen, ihre Liebe als Geschenk für solche Männer aufzuheben. Sehen Sie diesen jungen Franzosen, der in der vorigen Woche mit einem Ballon aufstieg. Es wehte eine steife Brise, aber da die Ballonfahrt einmal angezeigt war, bestand er darauf, aufzusteigen. Der Wind trieb ihn 15OO Meilen weit in 24 Stunden, und er kam mitten in Rußland zu Boden. Das ist die Art von Mann, die ich meine. Denken Sie an die Frau, die er liebte, und wie die anderen Frauen sie beneidet haben müssen! Das ist es, was ich liebe – beneidet werden meines Mannes wegen.«

»Ich würde es getan haben, um Ihnen zu gefallen.«

»Aber Sie sollen es nicht tun, nur um mir zu gefallen, Sie sollen es tun, weil Sie nicht anders können, weil es Ihre Natur ist, – weil alles in Ihnen schreit nach einer heroischen Tat. Warum konnten Sie nicht, als Sie neulich von der Kohlenstaub-Explosion in Wigan berichteten, in den Schacht hinuntersteigen, um trotz der giftigen Gase den Bergleuten zu helfen?«

»Ich tat es.«

»Aber Sie haben niemals davon gesprochen.«

»Das war nichts, was der Rede wert gewesen wäre.«

»Das wußte ich nicht.«

Ihre Augen ruhten mit stärkerem Interesse auf mir. »Das war brav von Ihnen.«

»Ich mußte das doch tun. Wenn man einen guten Bericht schreiben will, muß man doch da sein, wo etwas passiert.«

»Was für eine prosaische Begründung. Damit nehmen Sie Ihrer Handlungsweise alles Romantische. Aber immerhin, was auch Ihr Grund gewesen sein mag, ich freue mich, daß Sie in den Schacht hinuntergestiegen sind.«

Sie reichte mir ihre Hand, aber mit solcher Anmut und Würde, daß ich mich nur darüber beugen und sie küssen konnte.

»Ich möchte sagen, ich bin ja nur ein törichtes Weib mit den Phantasien eines jungen Mädchens im Kopfe; und doch ist meine Empfindung so. Sie ist so völlig ein Ausdruck meines inneren Wesens, daß ich nicht anders handeln kann. Wenn ich jemanden heirate, so muß er ein berühmter Mann sein.«

»Na, und warum denn nicht?« rief ich aus. »Gerade ein Weib wie Sie macht den Mann stark. Geben Sie mir eine Gelegenheit, und Sie werden sehen, daß ich sie ausnutze. Übrigens, wie Sie sagen, soll der richtige Mann sich die Gelegenheit selber schaffen und nicht warten, bis sie ihm gegeben wird. Sehen Sie Clive – nur ein kleiner Schreiber, und doch eroberte er Indien. Beim heiligen Sankt Georg! Ich werde schon noch etwas unternehmen in der Welt!«

Sie lachte über mein plötzliches irisches Feuer.

»Warum nicht«, sagte sie. »Sie haben alles, was ein Mann haben kann – Jugend, Gesundheit, Kraft, Bildung, Energie. Ich war so traurig, daß Sie gesprochen haben, und jetzt bin ich froh – so froh, wenn unser Gespräch solche Gedanken in Ihnen erweckt hat.«

»Und wenn ich es tue – – –?«

Ihre Hand legte sich wie warmer Samt auf meine Lippen.

»Kein Wort mehr, mein Herr! Sie sollten schon vor einer halben Stunde in der Abendredaktion sein. Ich konnte es nur nicht übers Herz bringen, Sie daran zu erinnern. Wenn Sie eines Tages vielleicht sich Ihren Platz in der Welt erobert haben werden, dann wollen wir von neuem darüber reden.«

Und so entdeckte ich mich selbst an diesem nebligen November, abend, als ich hinter der Trambahn, die nach Camberwall fährt, herlief, mit glühendem Herzen in der Brust und fest entschlossen, keinen Tag vergehen zu lassen, bevor ich die Tat ausfindig gemacht hätte, die mich meiner Herzensdame würdig machte.

Aber wer in aller Welt hätte sich eine Vorstellung machen können von der unglaublichen Gestalt, die diese Tat annahm, oder von den seltsamen Wegen, die ich zu gehen hatte, um sie auszuführen?

Und am Ende wird es dem Leser noch scheinen, als ob dies Einleitungskapitel gar nichts mit meiner Erzählung zu tun hat. Und doch würde diese Erzählung ohne dieses Kapitel nicht zustande gekommen sein, denn nur, wenn ein Mann mit dem Gedanken in die Welt hinausgeht, daß überall heroische Taten möglich sind, und mit dem immer lebendigen Wunsche im Herzen, eine solche auszuführen, sobald sie sich ihm darbietet, wird er mit seinem Leben brechen, wie ich es getan habe, und sich hinauswagen in das zauberhaft mystische Dämmerland, wo die großen Abenteuer und die großen Erfolge ihm winken. Schaut mich an denn, ihr in der Redaktion der Daily Gazette, deren höchst unbedeutendes Mitglied ich bisher war, wie ich fest entschlossen bin, wenn möglich noch in dieser Nacht das Abenteuer zu suchen, das mich meiner Gladys würdig macht.

War es Hartherzigkeit, war es Eigennutz, wenn sie mich aufgefordert hat, mein Leben für ihre Ruhmsucht zu wagen? Solche Gedanken mögen einem Manne reiferen Alters kommen, niemals aber einem kühnen dreiundzwanzigjährigen Jüngling im Feuer seiner ersten Liebe.

Zweites Kapitel – Versuchen Sie Ihr Glück mit Professor Challenger

Ich hatte McArdle immer gern, diesen alten, mürrischen, rundbäckigen Verlagsdirektor mit dem roten Gesicht, und glaubte zu fühlen, daß er auch mich gern mochte. Natürlich war Beaumont der eigentliche Prinzipal, aber der lebte in der verdünnten Atmosphäre irgendeiner olympischen Höhe, von wo aus er kleinere Dinge als eine internationale Krisis oder eine Spaltung im Kabinett nicht mehr unterscheiden konnte. Wir sahen ihn zuweilen in einsamer Majestät in das innere Heiligtum schreiten, mit einem unbestimmten Ausdruck in den Augen und im Geiste über dem Balkan oder dem Persischen Meerbusen schwebend. Er war für uns unerreichbar. Aber McArdle war seine rechte Hand, und ihn kannten wir. Der alte Mann nickte mit dem Kopf, als ich sein Zimmer betrat, und schob die Brillengläser weit hinauf auf die kahle Stirn.

»Nun, Herr Malone, nach allem, was ich höre, scheint es Ihnen recht gut zu gehen«, sagte er mit seinem freundlichen schottischen Akzent.

Ich verbeugte mich dankend.

»Die Bergwerksexplosion war ausgezeichnet. Auch das Feuer in Southwark. Sie haben das richtige Gefühl für Beschreibung. Was führt Sie denn heut zu mir?«

»Ich möchte Sie um eine Gunst bitten.«

In seinem Gesicht malte sich Erschrecken, und er vermied es, mich anzusehen.

»Na nu, na nu, um was handelt es sich denn?«

»Glauben Sie, Herr McArdle, daß es möglich wäre, mir irgendeinen besonderen Auftrag für die Zeitung zu geben? Ich würde versuchen, das Bestmögliche zu leisten, die Sache ordentlich durchzuführen, und Ihnen gute Berichte liefern.«

»An welche Art von Aufträgen dachten Sie, Herr Malone?«

»An irgend etwas, das mit Abenteuern und Gefahren verbunden ist, Herr McArdle. Ich würde mir die allergrößte Mühe geben. Je schwieriger die Aufgabe wäre, desto mehr würde sie mir zusagen.«

»Sie scheinen ja sehr begierig zu sein, Ihr Leben zu verlieren.«

»Mein Leben zu rechtfertigen, Herr McArdle.«

»Ach, du lieber Gott, Herr Malone, das klingt ja sehr sehr erhaben. Ich fürchte, die Zeiten für derartige Dinge sind gewesen. Die Ausgaben für einen Spezialauftrag werden kaum durch den Erfolg gerechtfertigt, und man würde einen solchen Auftrag natürlich auch nur an einen erfahrenen Mann mit bekanntem Namen geben, der das öffentliche Vertrauen genießt. Die großen weißen Stellen auf der Landkarte sind heute ziemlich verschwunden, und es gibt da kaum noch irgendeine Stelle für romantische Erlebnisse. Warten Sie mal, doch,« fügte er hinzu, während ein plötzliches Lächeln über sein Gesicht huschte, »die weißen Stellen auf der Landkarte bringen mich auf eine Idee. Wie wäre es damit, wenn Sie einen Schwindler, – einen modernen Münchhausen – bloßstellen und ihn lächerlich machen könnten. Sie könnten ihn als einen Lügner, der er sicherlich ist, festnageln. Mann, das wäre eine feine Sache! Wie gefällt Ihnen das?«

»Irgend etwas – irgendwo – mir ganz gleichgültig.«

McArdle versank für einige Minuten in Gedanken. »Ich wäre doch neugierig, ob es Ihnen gelingt, eine nähere oder wenigstens doch eine oberflächliche Bekanntschaft mit dem Burschen zu schließen«, sagte er schließlich. »Sie scheinen eine Art Talent zur Anknüpfung guter Beziehungen zu haben – Sympathie, nehme ich an, oder tierischer Magnetismus oder jugendliche Lebenskraft – oder sonst etwas. Ich fühle das an mir selbst.«

»Sie sind sehr liebenswürdig, Herr McArdle.«

»Warum sollten Sie nicht Ihr Glück versuchen bei Professor Challenger in Enmore Park?«

Ich muß gestehen, ich sah ihn etwas überrascht an.

»Challenger,« rief ich aus, »Professor Challenger, der berühmte Zoologe? War das nicht der Mann, der dem Blundell vom ›Telegraph‹ einen Schädelbruch beibrachte?«

Der Verlagsdirektor lächelte grimmig.

»Erinnern Sie sich daran? Sagten Sie nicht, Sie wären auf Abenteuer aus?«

»Soweit der Beruf sie mit sich bringt«, antwortete ich.

»Ganz recht. Ich glaube ja nicht, daß er immer so gewalttätig ist. Ich nehme an, Blundell ist zu einem ungünstigen Zeitpunkt bei ihm erschienen. Vielleicht war er auch ungeschickt. Sie können ja mehr Glück haben oder mehr Takt in der Art, ihn zu nehmen. Ich bin überzeugt, das ist eine Sache, die Ihnen liegen müßte. Das sollten wir zusammen machen!«

»Ich weiß tatsächlich gar nichts von ihm«, sagte ich. »Ich erinnere mich seines Namens nur in Verbindung mit den Vorgängen beim Polizeigericht wegen des Schlages, den er Blundell versetzt hat.«

»Hier sind ein paar Notizen zu Ihrer Information, Herr Malone. Ich habe den Professor seit einiger Zeit im Auge.« Er nahm ein Stück Papier aus einem Schubfach. »Dies ist eine kleine Übersicht über seinen Lebenslauf. Da heißt es kurz:

Challenger, George Edward, geb. Largs N. B. 1863. Ausbildung: Gymnasium in Largs; Universität Edinburg. Assistent am Britischen Museum, 1892. Kustos der Abteilung für vergleichende Anthropologie, 1893. Zurückgetreten nach einem heftigen wissenschaftlichen Streit im selben Jahre. Verleihung der Crayston-Medaille für zoologische Untersuchungen. Auswärtiges Mitglied von – hm, das ist ja eine ganze Masse auf zwei Zoll in kleiner Schrift – Belgische Gesellschaft, Amerikanische Akademie der Wissenschaften, La Plata usw. usw., Expräsident der Paläontologischen Gesellschaft, Sektion H., Britische Gesellschaft usw. usw. – Veröffentlichungen: Einige Untersuchungen über eine Reihe von Kalmückenschädeln; Abriß der Entwicklung der Wirbeltiere und zahlreiche Zeitungsartikel, darunter, ›Der dem Weismannismus zugrunde liegende Irrtum‹, der eine erbitterte Diskussion auf dem zoologischen Kongreß in Wien hervorrief. Lieblingsbeschäftigung: Wandern, Bergsteigen. Adresse: Enmore Park, Kensington, W.

Hier, nehmen Sie das an sich. Das ist alles, was ich heute für Sie habe.«

Ich steckte das Stück Papier in die Tasche.

»Einen Augenblick, Herr McArdle«, sagte ich, als ich eine löchrige kahle Platte statt eines roten Gesichts vor mir sah. »Ich bin mir noch nicht ganz klar darüber, warum ich diesen Gentleman besuchen soll. Was hat er getan?« Das rötliche Gesicht leuchtete von neuem auf.

»Er ging vor zwei Jahren nach Südamerika, um eine geheimnisvolle Expedition auszuführen. Kam im vergangenen Jahr zurück. Ist zweifellos in Südamerika gewesen, lehnt ab, genau anzugeben, wo. Erzählt in unbestimmten Ausdrücken von seinen Erlebnissen; aber als jemand näheres aus ihm herausholen wollte, wurde er verschlossen wie eine Auster. Da ist entweder irgend etwas Wunderbares passiert – oder der Mann ist ein kolossaler Lügner. Das letztere ist das Wahrscheinlichere. Hatte einige beschädigte Photographien, die man aber für Schwindel hält. Wurde so reizbar, daß er jeden angriff, der etwas von ihm wissen wollte, und warf Reporter die Treppe hinunter. Meiner Meinung nach ist er nur ein verbrecherischer Größenwahnsinniger mit einem Dreh ins Wissenschaftliche. Das ist der richtige Mann für Sie, Herr Malone. So, nun sausen Sie los und sehen Sie zu, was Sie mit ihm machen können. Sie sind groß genug, um auf sich selbst achtgeben zu können. Passieren kann Ihnen nichts. Übrigens sind wir, wie Sie wissen, in der Haftpflichtversicherung.«

Ein grinsendes rotes Gesicht verwandelte sich aufs neue in ein löcheriges, von den Fransen eines ingwerfarbenen Flaums umgebenes Oval. Die Unterredung war zu Ende.

Ich ging hinüber zum Savage-Club, aber, statt hineinzugehen, lehnte ich mich an das Gitter der Adelphi-Terrasse und blickte lange gedankenvoll in das braune, ölige Wasser des Flusses hinunter. Ich kann in frischer Luft immer viel richtiger und klarer denken. Ich zog die Liste von Professor Challengers Taten aus der Tasche und las sie von neuem unter der elektrischen Bogenlampe. Und dann überkam mich etwas, das ich nur für eine Eingebung halten konnte.

Als Mann der Presse fühlte ich mit Sicherheit, daß ich nach allem, was ich gehört hatte, niemals hoffen konnte, mit diesem streitsüchtigen Professor in Verbindung zu kommen. Aber die zweimal in seiner biographischen Übersicht wiederholten Gegenbeschuldigungen konnten doch nur bedeuten, daß er ein Fanatiker der Wissenschaft war. Ob das nicht die schwache Stelle war, durch die man an ihn herankommen könnte? Das mußte ich versuchen.

Ich betrat den Klub. Es war kurz nach 11 Uhr, und der große Raum war ziemlich voll, obgleich der Ansturm noch nicht begonnen hatte. In einem Armstuhl am Kamin sah ich einen langen, dünnen, eckigen Menschen sitzen. Er wandte sich zu mir, als ich mit meinem Stuhl in seine Nähe rückte. Das war gerade derjenige in der ganzen Menge, der mir in diesem Augenblick am willkommensten war – Tarp Henry von der Redaktion der »Natur«, ein dürres, trockenes, lederartiges Wesen, das sich durch große Menschenfreundlichkeit allen seinen Bekannten gegenüber auszeichnete. Ich ging direkt auf mein Ziel los.

»Was wissen Sie von Professor Challenger?«

»Challenger?« Er zog die Brauen in wissenschaftlicher Mißbilligung zusammen. »Challenger war der Mann, der mit einigen Ammenmärchen aus Südamerika zurückkam.«

»Was für Märchen denn?«

»Ach, das war ein üppiger Blödsinn über einige seltsame Tiere, die er entdeckt haben wollte. Ich glaube, er hat später widerrufen. Irgendwie hat er alles unterdrückt. Er gab Reuter ein Interview, und darauf erhob sich ein derartiges Geheul, daß ihm klar wurde, er würde mit seinen Ansichten nicht durchdringen. Es war eine blamable Angelegenheit. Es gab einen oder den anderen, der geneigt war, ihn ernst zu nehmen. Aber er brachte sie bald zum Schweigen.«

»Wie denn?«

»Na, durch seine unerträgliche Grobheit und sein unmögliches Benehmen. Da war der arme alte Watley vom Zoologischen Institut. Watley schrieb ihm: ›Der Präsident des Zoologischen Instituts empfiehlt sich Professor Challenger und würde es als eine persönliche Auszeichnung empfinden, wenn er ihm die Ehre erweisen würde, zu ihrer nächsten Sitzung zu kommen.‹ Die Antwort war nicht druckfähig.«

»Können Sie sie mir sagen?«

»Ja, da läuft eine verballhornte Lesart um: ›Professor Challenger läßt sich dem Präsidenten des Zoologischen Instituts empfehlen und würde es als eine persönliche Auszeichnung empfinden, wenn er sich zum Teufel scheren würde.‹

»Um Gottes willen!«

»Ja, ich nehme an, daß das auch der alte Watley gesagt hat. Ich erinnere mich seiner Wehklagen in der Sitzung. Sie begann: Eine fünfzigjährige Erfahrung in wissenschaftlichem Umgang – – – Der alte Mann war ganz gebrochen.«

»Wissen Sie sonst noch etwas von Challenger?«

»Nun, ich bin Bakteriologe, wie Sie wissen. Ich lebe in einem 90O-Diameter-Mikroskop. Ich kann kaum den Anspruch erheben, ein ernsthafter Kenner von irgendeiner Sache zu sein, die ich mit bloßen Augen sehen kann. Ich bin ein Pionier vom äußersten Rande des Wissens, und ich fühle mich gar nicht auf meinem richtigen Platze, wenn ich mein Studierzimmer verlasse und in Berührung mit euch allen, euch großen, rohen und plumpen Geschöpfen, trete. Ich bin zu isoliert, um mich für Skandalgeschichten zu interessieren. Aber ich habe doch bei wissenschaftlichen Unterhaltungen einiges über Challenger gehört; denn er ist einer von diesen Menschen, an denen man nicht vorbeigehen kann. Er ist tatsächlich so verwegen, wie sie ihn schildern. Er gleicht einer scharf geladenen Batterie von Kraft und Lebensenergie, aber er ist ein streitsüchtiger, boshafter, skrupelloser Sonderling mit seltsamen Liebhabereien. Er ist so weit gegangen, einige schwindelhafte Photographien von der südamerikanischen Expedition vorzulegen.«

»Sie sagen, er hat Liebhabereien. Was ist denn sein besonderes Steckenpferd?«

»Er hat tausend. Aber das letzte ist etwas über Weismann und Evolution. Er hatte einen fürchterlichen Streit darüber in Wien, glaube ich.«

»Können Sie mir den Grundgedanken davon angeben?«

»Im Augenblick nicht. Aber es existiert eine Übersetzung dieser Verhandlungen. Wir haben sie in unserem Archiv. Würden Sie sich die Mühe machen, mitzukommen?«

»Das ist gerade das, was ich brauche. Ich soll den Burschen nämlich interviewen, und ich, brauche irgend etwas zur Anknüpfung. Es ist wirklich riesig nett von Ihnen, daß Sie mir helfen wollen. Ich würde gern jetzt mitgehen, wenn es noch nicht zu spät ist.«

Eine halbe Stunde später saß ich in seinem Redaktionszimmer mit einer mächtigen Aktenmappe vor mir, die bei dem Artikel »Weismann gegen Darwin« aufgeschlagen war. Der Artikel trug die Überschrift: »Lebhafter Protest in Wien. Temperamentvolle Verhandlungen.« Da ich meine wissenschaftliche Ausbildung etwas vernachlässigt hatte, war es mir nicht möglich, der ganzen Beweisführung zu folgen, aber es war klar, daß der englische Professor seinen Gegenstand in einer sehr aggressiven Form behandelt und seine Kollegen vom Kontinent vollständig verärgert hatte. »Protest«, »Lärm«, »Anrufung des Vorsitzenden« waren drei der ersten eingeklammerten Ausdrücke, die mir ins Auge fielen. Vom Inhalt des Artikels verstand ich gerade soviel, als ob er chinesisch geschrieben wäre.

»Es wäre mir lieb, wenn Sie das für mich ins Englische übersetzen könnten«, sagte ich pathetisch zu meinem hilfsbereiten Kollegen.

»Aber es ist doch eine Übersetzung.«

»Dann tue ich vielleicht besser, mein Glück beim Originalartikel zu versuchen.«

»Es ist sicherlich ziemlich schwierig für einen Laien.«

»Wenn ich nur einen einzigen guten, sinnvollen Satz, der geeignet wäre, mir eine Art von klarer menschlicher Idee zu vermitteln, herausfinden könnte, würde mir das genügen. Ah, ja, dies hier wird gehen. Es scheint mir fast, als ob ich das verstehe. Das werde ich abschreiben. Das wird das Bindeglied sein zwischen mir und dem fürchterlichen Professor.«

»Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?«

»Ja, freilich, ich denke, ich schreibe ihm. Wenn ich den Brief hier aufsetzen und Ihre Adresse benutzen könnte, so würde mir das ein gewisses Relief geben.«

»Der Bursche wird hierher kommen, uns einen Krach machen und unsere Möbel zusammenschlagen.«

»Nein, nein, Sie sollen den Brief sehen – nichts Kampflustiges, verlassen Sie sich darauf.«

»Also bitte, da ist mein Stuhl und mein Schreibtisch. Papier finden Sie dort. Ich möchte den Brief ganz gern durchsehen, bevor er abgeht.«

Die Arbeit machte mir einige Mühe. Als der Brief fertig war, schmeichelte ich mir aber, daß er mir gar nicht so schlecht gelungen sei. Mit einem gewissen Stolz auf mein Handwerk las ich ihn laut dem kritischen Bakteriologen vor:

Sehr geehrter Herr Professor!

Als bescheidener Student der Naturwissenschaften habe ich immer das größte Interesse an Ihren Theorien über den Unterschied zwischen Darwin und Weismann genommen. Eine erneute Lektüre –

»Sie infernalischer Lügner«, murmelte Tarp Henry.

– – eine erneute Lektüre Ihrer meisterhaften Wiener Denkschrift hat mir die Angelegenheit wieder ins Gedächtnis zurückgerufen. Diese überaus klaren und bewundernswerten Darlegungen scheinen das letzte Wort in der Materie zu sein. Indessen finde ich darin folgenden Satz: ›Ich protestiere energisch gegen die unerträgliche und völlig dogmatische Behauptung, daß jedes Einzelwesen einen Mikrokosmos mit einem historisch entwickelten inneren Aufbau, der langsam in der Folge der Generationen herausgebildet ist, darstellt.‹ Sollten Sie nicht mit Rücksicht auf spätere Untersuchungen den Wunsch haben, diese Behauptung zu modifizieren? Glauben Sie nicht, daß sie etwas reichlich zugespitzt ist? Mit Ihrer gütigen Erlaubnis bitte ich Sie, mir eine Unterredung zu gewähren, da ich an dieser Sache stark interessiert bin und Ihnen gewisse Vorschläge machen möchte, die ich Ihnen nur in einer persönlichen Unterredung entwickeln könnte. Mit Ihrer Zustimmung hoffe ich die Ehre zu haben, Ihnen übermorgen (Freitag) um 11 Uhr meine Aufwartung machen zu dürfen.

Ich bin mit der Versicherung allergrößter Hochachtung Ihr ganz ergebener Eduard M. Malone.

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte ich triumphierend.

»Gut, wenn Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können.«

»Das hat mich noch nie im Stich gelassen.«

»Aber was gedenken Sie jetzt zu tun?«

»Hinzugehen. Wenn ich erst in seinem Zimmer sitze, werde ich schon irgendwie weiterkommen. Unter Umständen werde ich ihm ein offenes Bekenntnis machen. Wenn er Sportsmann ist, wird ihn das kitzeln.«

»Kitzeln ist gut. Er scheint mir der Mann zu sein, Sie zu kitzeln! Ein Panzerhemd oder eine amerikanische Fußballerausrüstung ist das, was Sie jetzt gebrauchen.« »Auf Wiedersehen also!« »Ich werde die Antwort am Freitag morgen hier für Sie bereit halten – wenn er überhaupt geruht, Ihnen zu antworten. Er ist ein gewalttätiger, gefährlicher und streitsüchtiger Charakter. Gehaßt von jedem, der ihm in die Quere kommt, und die Zielscheibe des Spotts für die Studenten, soweit sie es überhaupt wagen, sich ihm gegenüber eine Freiheit herauszunehmen. Es wäre vielleicht das beste für Sie, wenn Sie überhaupt nichts mehr von dem Burschen hörten.«

Drittes Kapitel – Er ist ein ganz unmöglicher Mensch

Meines Freundes Befürchtung oder Hoffnung sollte sich nicht verwirklichen. Als ich am Freitagmorgen bei ihm vorsprach, lag da ein Schreiben mit der West-Kensington-Briefmarke bei ihm, auf dessen Umschlag mein Name in einer Handschrift, die wie ein Stacheldrahtzaun aussah, gekritzelt war. Der Inhalt lautete wie folgt:

Enmore Park W.

Mein Herr!

Ich habe Ihr Schreiben erhalten, in dem Sie mir bekanntgeben, daß Sie meine Anschauungen bestätigen, obgleich ich nicht wüßte, daß sie von irgendeiner Bestätigung von diesem oder von jenem abhängig wären. Sie haben es gewagt, das Wort »Theorien« hinsichtlich meiner Darlegungen über die Frage des Darwinismus zu gebrauchen. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ein solches Wort in dieser Verbindung bis zu einem gewissen Grade beleidigend ist. Der weitere Text Ihres Briefes zeigt mir indessen, daß Sie mehr aus Dummheit oder Taktlosigkeit als aus Bosheit gefehlt haben, und ich bin daher bereit, diese Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Sie reißen einen einzelnen Satz aus dem Zusammenhang meiner Darlegung heraus, und es scheint, daß Ihnen einige Schwierigkeiten, ihn zu verstehen, begegnet sind. Ich sollte meinen, daß nur eine recht gering entwickelte Intelligenz am Kernpunkt der Sache vorbeigehen könnte. Wenn Sie aber eine weitere Erörterung als notwendig empfinden, bin ich bereit, Sie zu der von Ihnen angegebenen Stunde zu empfangen, obgleich ich Besuche und Besucher jeder Art aufs äußerste verabscheue. Bezüglich Ihrer Aufforderung, meine Meinung zu ändern, möchte ich Ihnen sagen, daß das nicht meine Gewohnheit ist, nachdem ich meinen gereiften Anschauungen einen klaren Ausdruck gegeben habe. Sie wollen freundlichst, wenn Sie bei mir vorsprechen, den Umschlag dieses Briefes meinem Diener Austin vorzeigen, da er den Auftrag hat, mir sorgfältigst alle aufdringlichen Schufte, die sich »Journalisten« nennen, vom Leibe zu halten.

Ihr ergebener George Edward Challenger.

Das war der Brief, den ich laut Tarp Henry vorlas, der sogleich heruntergekommen war, um das Resultat meines Wagnisses zu erfahren. Er bemerkte nur dazu: »Es gibt da eine neue Art Seife, Cuticura oder so ähnlich, die für Wundbehandlung besser ist als Arnica.« Manche Leute haben einen seltsamen Begriff von Humor.

Es war fast ½11 Uhr, als ich das Schreiben erhalten hatte. Aber ein Taxameter brachte mich in kurzer Zeit an den Ort meiner Bestimmung. Wir hielten vor einem imposanten, mit einem Portikus versehenen Hause. Die schweren Vorhänge an den Fenstern ließen deutlich erkennen, daß dieser schreckliche Professor ein vermögender Mann war. Die Tür wurde geöffnet von einem wunderlichen, dunkelfarbigen, vertrockneten Menschen unbestimmten Alters, der eine schwarze Steuermannsjacke und braune Ledergamaschen trug. Ich erfuhr hinterher, daß es der Chauffeur war, der den infolge beständigen Wechselns leeren Platz des ersten Dieners einnahm. Er sah mich mit seinen hellen blauen Augen forschend von unten bis oben an.

»Erwartet?« fragte er.

»Eine Verabredung.«

»Haben Sie einen Brief erhalten?«

Ich zog den Umschlag hervor.

»Richtig.«

Er schien ein Mensch von wenig Worten zu sein. Als ich hinter ihm den Vorraum betrat, wurde ich plötzlich von einer kleinen Frau, die aus einer offenbar in einen Speiseraum führenden Tür hervortrat, zurückgehalten. Es war eine kluge, lebhafte, dunkeläugige Dame, mehr französisch als englisch im Typus.

»Einen Augenblick«, sagte sie. »Sie können warten, Austin. Wollen Sie bitte hereinkommen, mein Herr. Darf ich fragen, ob Sie bereits früher mit meinem Mann zusammenkamen?«

»Nein, gnädige Frau, ich hatte noch nicht die Ehre.«

»Dann bitte ich Sie im voraus um Entschuldigung. Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß er ein ganz unmöglicher Mensch ist – absolut unmöglich. Wenn Sie vorher gewarnt worden sind, werden Sie gewiß bereit sein, Nachsicht zu üben.«

»Das ist sehr rücksichtsvoll von Ihnen, gnädige Frau.«

»Verlassen Sie schnell den Raum, wenn er den Eindruck macht, gewalttätig zu werden. Erwarten Sie nicht, mit ihm diskutieren zu können. Verschiedene Leute haben sich Beleidigungen zugezogen, weil sie es versucht haben. Hinterher gibt es einen öffentlichen Skandal, und das fällt dann auf mich und auf uns alle. Ich hoffe, daß Sie nicht wegen Südamerika zu ihm kommen.«

Ich konnte einer Dame nichts vorlügen.

»Um Gottes willen! Das ist sein gefährlichstes Thema. Sie werden kein Wort von dem, was er sagt, glauben – ich würde mich darüber nicht wundern. Aber sagen Sie ihm das nicht; denn das macht ihn rasend. Tun Sie so, als ob Sie ihm glauben, dann werden Sie mit ihm zurecht kommen. Denken Sie immer daran, daß er es selber glaubt. Davon können Sie überzeugt sein. Es gibt keinen ehrenhafteren Mann auf der Welt. Bleiben Sie nicht zu lange. Sonst schöpft er Verdacht. Wenn Sie den Eindruck haben, daß er gefährlich wird – wirklich gefährlich – dann läuten Sie und halten Sie ihn sich vom Leibe, bis ich komme. Selbst in seinem schlimmsten Zustand bin ich meist in der Lage, ihn zu beruhigen.«

Mit diesen ermutigenden Worten übergab mich die Dame des Hauses dem schweigsamen Austin, der während unserer kurzen Unterredung wie eine Bronzestatue der Verschwiegenheit gewartet hatte, und ich wurde von ihm an das Ende eines Korridors geführt. Ein Schlag gegen die Tür, eine Stierstimme von drinnen, und ich stand vor dem Professor.

Er saß in einem Drehstuhl hinter einem breiten Tisch, der mit Büchern, Karten und Zeichnungen bedeckt war. Als ich eintrat, flog sein Stuhl herum, und er faßte mich ins Auge. Sein Äußeres versetzte mir den Atem. Ich war darauf vorbereitet, etwas sehr Seltsames zu sehen, aber eine so überwältigende Persönlichkeit wie diese hatte ich nicht erwartet. Es war seine Gestalt, die einem den Atem stocken machte, seine Gestalt und sein imponierendes Wesen. Sein Kopf war enorm. Der größte, den ich je bei einem menschlichen Wesen gesehen habe. Ich glaube bestimmt, daß sein Hut, wenn ich gewagt hätte, ihn aufzusetzen, mir über die Ohren gerutscht wäre und auf meinen Schultern hätte stehen können. Sein Gesicht und sein Bart erinnerten mich an einen assyrischen Stier. Das erstere war von blühender Farbe, der letztere schwarz, mit einem Stich ins Bläuliche, dessen gekräuselte Strähnen sich wie ein Spaten auf seine Brust legten. Das Haar war merkwürdig, glatt nach vorn heruntergestrichen und lief in einen langen, kühnen Schwung über die massige Stirn aus. Die Augen waren blaugrau unter großen, schwarzen Haarbüscheln; sehr klar, sehr kritisch und sehr herrisch. Gewaltig breite Schultern und eine Brust wie eine Tonne bildeten den übrigen Körper, soweit er oberhalb der Tischplatte sichtbar war, außer zwei enormen, mit langen, schwarzen Haaren bedeckten Händen. Dies alles und eine brüllende, dröhnende Stimme war mein erster Eindruck von dem berühmten Professor Challenger.

»Nun?« sagte er, indem er mich unverschämt anstarrte, »was denn?«

Ich mußte die Täuschung noch eine kurze Zeit aufrecht erhalten, sonst wäre ich zweifellos bereits am Ende meiner Unterhaltung gewesen.

»Sie waren so liebenswürdig, mir eine Zusammenkunft zu gewähren«, sagte ich bescheiden, den Briefumschlag hervorziehend.

Er nahm meinen Brief vom Schreibtisch und breitete ihn vor sich aus.

»Ah, Sie sind der junge Mensch, der kein klares Englisch versteht, nicht wahr? Meine allgemeinen Behauptungen sind Sie so liebenswürdig, zu billigen, wenn ich Sie recht verstehe?«

»Vollkommen – Herr Professor – vollkommen!«

Ich sagte das mit großer Emphase.

»Ach du lieber Gott! Das stärkt ja meine Position sehr, oder etwa nicht? Ihr Alter und Ihre Erscheinung machen mir Ihre Unterstützung doppelt wertvoll. Und, schließlich sind Sie besser als diese Schweineherde in Wien, deren Gegrunze sicherlich nicht mehr zu bedeuten hat als die vereinzelte Bemühung eines englischen Bullkalbes.« Dabei funkelte er mich an als den gewissermaßen anwesenden Vertreter dieser Tiergattung.

»Ihre Gegner scheinen sich abscheulich benommen zu haben«, sagte ich.

»Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich noch in der Lage bin, meine eigenen Kämpfe auszufechten, und daß ich Ihre Sympathie nicht brauche. Lassen Sie mich nur allein, Herr, mit dem Rücken an der Wand. G. E. C. fühlt sich dann am wohlsten. Wir wollen uns bemühen, Herr, diesen Besuch abzukürzen, der für Sie kaum etwas Angenehmes haben kann und mir außerordentlich lästig ist. Sie haben, wie es scheint, einige Anmerkungen zum Inhalt meiner Denkschrift zu machen.«

Diese brutale Unmittelbarkeit in der Behandlung unseres Gegenstandes machte ein Ausweichen schwierig. Ich mußte also das Spiel weiter treiben, um eine bessere Gelegenheit für meine Absichten zu erspähen. Aus der Entfernung hatte das viel einfacher ausgesehen. O, mein irischer Witz, konntest du mir denn nicht helfen, wo ich deiner Hilfe so bitter bedurfte? Er durchbohrte mich mit seinen scharfen, stahlharten Augen. »Also bitte, Herr, legen Sie los«, tobte er.

»Ich bin natürlich nur ein Student,« sagte ich mit einem einfältigen Lächeln, »kaum mehr, möchte ich sagen, als ein ernst strebender Mensch, und ich muß gestehen, es scheint mir, als ob Sie in dieser Frage ein wenig zu streng über Weismann urteilen. Hat nicht das allgemeine Beweismaterial seit dieser Zeit die Tendenz gehabt, seine Behauptungen zu bestätigen?«

»Was für Beweismaterial?« Er sprach mit unheimlicher Ruhe.

»Nun, ich weiß natürlich, daß es da nichts gibt, was man einen definitiven Beweis nennen könnte. Ich spreche nur von der Richtung des modernen Denkens und von der allgemeinwissenschaftlichen Anschauungsweise, wenn ich mich so ausdrücken darf.«

Er beugte sich mit tiefem Ernst vornüber.

»Ich nehme an, Sie wissen,« sagte er, indem er an den Fingern herzählte, »daß der Schädelindex ein konstanter Faktor ist?«

»Natürlich«, sagte ich.

»Und daß die Telegonie noch sub judice ist?«

»Zweifellos.«

»Und daß das Keimplasma verschieden ist vom parthenogenetischen Ei?«

»Ei, sicherlich«, rief ich und freute mich über meine eigene Kühnheit.

»Aber was beweist das?« fragte er mit sanfter, überzeugender Stimme.

»Ja, tatsächlich, was beweist das?« murmelte ich.

»Soll ich es Ihnen sagen?« girrte er wie eine Taube.

»Ja bitte.«

»Es beweist,« brüllte er in einem plötzlichen Wutausbruch, »daß Sie der schmutzigste Betrüger in London sind – ein nichtswürdiger, schleichender Journalist, der ebenso wenig wissenschaftliche Kenntnisse als Anstand in seinem Schüleraufsatz bewiesen hat.«

Mit rasender Wut in den Augen sprang er auf. Selbst in diesem Augenblick höchster Spannung fand ich Zeit, über die Entdeckung in Erstaunen zu geraten, daß er ein ziemlich kleiner Mann war. Sein Kopf reichte nicht über meine Schulter hinaus – ein zu klein geratener Herkules, dessen gesamte ungeheure Lebenskraft sich nach unten, in die Breite und im Gehirn auswirkte.

»Kauderwelsch«, schrie er, sich vornüberneigend, die gespreizten Hände auf die Tischplatte gestützt, und das Gesicht vorschiebend. »Wissenschaftliches Kauderwelsch war das, Herr, was ich Ihnen hier vorgeredet habe! Dachten Sie, Sie könnten sich mit meiner Erfahrung messen – Sie mit Ihrem Walnußgehirn? Ihr denkt, ihr seid allmächtig, ihr infernalischen Schmierer, oder etwa nicht? Daß euer Lob einen Mann berühmt machen und euer Tadel ihn zerschmettern kann! Wir müssen uns alle beugen vor euch und versuchen, ein günstiges Urteil von euch zu erlangen. Diesem helft Ihr auf die Beine, und jenen stürzt ihr in den Abgrund! Kriechendes Gewürm, ich kenne Sie! Sie haben sich über Ihren Stand hinausgewagt. Es wird Zeit, daß man Ihnen die Ohren stutzt. Sie haben den Sinn für Proportion verloren. Geschwollene Gasblase! Ich werde Sie in Ihre Schranken zurückweisen. Ja, Herr, es ist Ihnen nicht gelungen, G. E. C. zu überlisten. Das ist doch noch ein Mann, der Ihnen überlegen ist. Er hat Sie gewarnt, aber wenn Sie kommen wollen, beim Himmel, so tun Sie das auf Ihre eigene Gefahr. Sie sind unterlegen, mein verehrter Herr Malone, geben Sie es zu! Sie haben ein ziemlich gefährliches Spiel gespielt, und es macht einen gewissen Eindruck auf mich, daß Sie es verloren haben.

»Sehen Sie, Herr«, sagte ich, in der Richtung zur Tür zurückweichend und sie öffnend, »Sie können mich beleidigen, so viel Sie wollen. Aber es gibt eine Grenze. Sie werden es nicht zu Tätlichkeiten kommen lassen.«

»Ich werde es nicht tun?« Er kam langsam in einer seltsamen Art auf mich zu, blieb dann plötzlich stehen und steckte seine großen Hände in die Seitentaschen seiner ziemlich kindlichen kurzen Jacke. »Ich habe verschiedene von Ihnen zum Hause hinausgeworfen. Sie werden der vierte oder fünfte sein. 75 Mark für jeden – das ist etwa der Durchschnitt. Kostspielig, aber sehr notwendig. Nun, Herr, warum sollten Sie Ihren Brüdern nicht folgen? Ich sollte meinen, ja«, worauf er unvermerkt seinen unangenehmen Vormarsch auf mich fortsetzte.

Ich hätte mit einem Sprung die Vorplatztür erreichen können, aber das wäre schimpflich gewesen. Außerdem fühlte ich einen leisen Zorn in mir aufsteigen. Ich war vorher hoffnungslos im Unrecht gewesen, aber die Drohungen des Mannes brachten das Recht auf meine Seite.

»Ich werde Sie schon daran hindern, Hand an mich zu legen. Herr, das lass' ich mir nicht gefallen.

»Ach, du lieber Gott!« Sein schwarzer Schnurrbart zuckte in die Höhe, und er fletschte höhnisch lächelnd die Zähne. »Sie lassen sich das nicht gefallen, he?«

»Seien Sie kein Narr, Herr Professor«, schrie ich. »Was denken Sie ausrichten zu können. Ich wiege zwei Zentner, habe Muskeln von Stahl und spiele jeden Sonnabend als Mittelstürmer im Irischen Fußballklub. Ich bin nicht der Mann – –«

Das war der Moment, in dem er sich auf mich warf. Es war mein Glück, daß ich die Tür bereits geöffnet hatte, sonst wären wir durch die Füllung gegangen. Wir schwirrten wie ein Feuerwerkskörper miteinander den Vorplatz entlang, bekamen auf unserem Wege irgendwie einen Stuhl zwischen die Beine und kollerten mit ihm die nach der Straße führende Treppe hinunter. Sein Bart geriet mir in den Mund, wir hatten uns mit den Armen umschlungen, die Gliedmaßen unserer Körper waren miteinander verflochten, und die Beine des teuflischen Stuhles umwirbelten uns wie ein Strahlenbündel. Der wachsame Austin hatte die Entreetür aufgerissen, mit einem Purzelbaum nach hinten flogen wir auf die Straße.

Der Stuhl fiel zerschmettert zu Boden, und wir rollten beide nebeneinander in die Gosse. Er sprang auf, schwang die Fäuste und keuchte wie ein Asthmatiker.

»Haben Sie genug?« schnaufte er.

»Infernalische Bulldogge!« schrie ich, indem ich mich aufraffte. Die Sache wäre irgendwie noch zum Austrag gekommen, denn er stürzte sich in erneuter Kampfeslust auf mich, aber glücklicherweise wurde ich aus dieser üblen Situation befreit. Ein Schutzmann stand neben uns, das Notizbuch in der Hand.

»Was ist denn das? Sie sollten sich was schämen!« sagte er. Das war die erste vernünftige Bemerkung, die ich in Enmore Park gehört hatte. »Nun,« sagte er, sich an mich wendend, »was bedeutet das hier?«

»Dieser Mann hat mich angegriffen.«

»Haben Sie ihn angegriffen?« fragte der Schutzmann.

Der Professor atmete schwer und gab keine Antwort.

»Das ist ja nicht das erste Mal«, sagte der Schutzmann ernst, indem er den Kopf schüttelte. »Sie haben sich im letzten Monat bereits mit einer ähnlichen Sache in Ungelegenheiten gebracht. Sie haben ja dem Mann das Auge blau geschlagen. – Wollen Sie Anzeige machen?«

Ich beruhigte mich inzwischen.

»Nein,« sagte ich, »das werde ich nicht tun.«

»Na, wieso denn nicht?« fragte der Schutzmann.

»Ich muß mir selbst Vorwürfe machen. Ich habe ihn belästigt. Er hat mich anständigerweise gewarnt.«

Der Schutzmann klappte sein Notizbuch zu.

»Also lassen Sie doch bloß solche Sachen!« sagte er. »Nun los, nicht stehenbleiben, gehen Sie weiter.« Dies sagte er zu einem Schlächterjungen, einem kleinen Mädchen und einem oder zwei Passanten, die sich angesammelt hatten. Und die kleine Schar vor sich hertreibend, stampfte er schwerfällig die Straße hinunter. Der Professor blickte mich an mit Augen, in denen ein leichter Anflug von Humor spürbar wurde.