Die verlorenen Seelen vom Bodensee - Gerd Stiefel - E-Book

Die verlorenen Seelen vom Bodensee E-Book

Gerd Stiefel

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Beschreibung

Ein erschreckender Fund holt Karl Grimm abrupt aus der wohlverdienten Familienidylle. Am Teufelstisch wurden zwei Leichen entdeckt, eine junge Frau und ein Säugling – misshandelt und kaltblütig ermordet. Die Untersuchungen steuern die Polizei auf direktem Wege in die Abgründe des Züricher Rotlichtmilieus. Und plötzlich befinden sich Grimm und sein Ermittlungsteam im Dunstkreis der rumänischen Mafia. Als ehemaliger Leitender Kriminaldirektor verbindet der Autor Gerd Stiefel seine lange Erfahrung mit einem packenden Erzählstil. Der inzwischen zweite spannende Kriminalfall seines fiktiven Charakters Karl Grimm führt den Leser authentisch durch die Mordermittlungen der Kripo, mitten in die furchtbare Realität von Menschenhandel und Zwangsprostitution.

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Seitenzahl: 336

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Titel: Die verlorenen Seelen vom Bodensee

Untertitel: Ein Fall für Karl Grimm

Autor: Gerd Stiefel

Herstellung: verlag regionalkultur

Satz und Lektorat: Melina Lamadé, vr

Umschlaggestaltung: Melina Lamadé, vr

Endkorrektorat: Michelle Weber, vr

EPUB-Erstellung: Charmaine Wagenblaß, vr

EPUB-ISBN: 978-3-89735-026-7

Die Publikation ist auch als gedrucktes Buch erhältlich. 261 Seiten, Broschur. ISBN 978-3-95505-428-1.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. Autoren noch Verlag können für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses E-Books entstehen.

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E-Mail [email protected]

Internet www.verlag-regionalkultur.de

Die verlorenen Seelen vom Bodensee

Ein Fall für Karl Grimm

Ein Kriminalroman

von

Gerd Stiefel

Du kannst alles tun im Leben.

Aber alles hat Konsequenzen.

Karl Grimm

Inhaltsverzeichnis

Konstanz-Litzelstetten

Strandbad Litzelstetten

Die Badegondel am Teufelstisch

Polizeipräsidium Konstanz, Kriminalkommissariat

Die ersten Schritte

Ermittlungstrupp Kerstin Elser und Hans Widenhold

Ermittlungstrupp Rainer Huser und Rudi Paschke

Der Erste Kriminalhauptkommissar und sein Chef

Teufelstisch, nahe Wallhausen

Ufer beim Teufelstisch

Abschluss Besprechung, Besprechungsraum Kripo Konstanz – erster Tag

Videoschaltkonferenz Kriminalkommissariat Konstanz – Montagmorgen

EG Teufelstisch

Erste Besprechung im EG-Format

Ermittlerteam Rainer Huser und Rudi Paschke

Schreibtischermittlungen

Brainstorming

Irgendwo im Rotlichtmilieu – etwa vier Wochen zuvor

Stubendurchgang

Konstanzer Rotlichtmilieu

Irgendwo im Rotlichtmilieu – etwa drei Wochen zuvor

Litzelstetten

Kriminalkommissariat Konstanz – am Dienstagmorgen

Dobrudscha, Rumänien – vor etwa zwei Jahren

Ermittlerteam Rainer Huser und Rudi Paschke

Ermittlerteam Kerstin Elser und Hans Widenhold

Der Kriminaltechniker

Irgendein Bauernhof südlich von Bukarest – vor etwa zwei Jahren

Kriminalkommissariat Konstanz –am Dienstagabend

Litzelstetten

Zuhause in Singen

Kriminalkommissariat Konstanz – am Mittwochmorgen

Der Taucheinsatz am Teufelstisch

Besuch bei der Kriminaltechnik in Friedrichshafen

Erster Kontakt mit der Kriminalabteilung der Stadt Zürich

Irgendein Bauernhof südlich von Bukarest – vor etwa zwei Jahren

Ermittlerteam Rainer Huser und Rudi Paschke

Kriminalkommissariat – am Mittwochabend

Irgendwo im Rotlichtmilieu – etwa drei Wochen zuvor

Erste Ermittlungen in Zürich

Das Ermittlerteam Rainer Huser und Rudi Paschke

Irgendein Bauernhof südlich von Bukarest – vor etwa zwei Jahren

Kriminalabteilung Zürich, Milieu- und Sexualdelikte

Irgendwo im Rotlichtmilieu – gut zwei Wochen zuvor

Überlingen am Ried

Irgendein Bauernhof südlich von Bukarest – vor etwa zwei Jahren

Kriminalkommissariat Konstanz – am Freitagmorgen

Der Onkel in Prag – vor etwa zwei Jahren

Die Laufgruppe

Madeleine

Das Ermittlerteam Rainer Huser und Rudi Paschke

Polizeirevier Singen, Julius Bührer Straße

Plattenbau in Prag, Tschechien – vor etwa zwei Jahren

Kriminalkommissariat Konstanz – Samstagmorgen

Litzelstetten

Das Ermittlerteam Rainer Huser und Rudi Paschke

Das Ermittlerteam Kerstin Elser und Hans Widenhold

Irgendwo im Rotlichtmilieu – gut eine Woche zuvor

Die Patrouillenfahrt

Der Zeuge

In der Zeughausstraße

Überlingen am Ried

Kriminalkommissariat Konstanz – Sonntagmorgen

Schreibtischermittlungen

Zentrum für Psychiatrie, Reichenau

Zürich, Rotlichtmilieu – einige Tage zuvor

Kriminalkommissariat Konstanz – Sonntagnachmittag

Unterwegs mit dem Rad

Der Plan – einige Tage zuvor

Ab nach Zürich

Die Flucht – mehrere Tage zuvor

Zürich, Langstraße, Lago Bar

Videoschaltkonferenz,Kriminalkommissariat Konstanz – Montagmorgen

Lacrima – ein paar Tage zuvor

Sorin, der Zuhälter – wenige Tage zuvor

Kriminalkommissariat Konstanz

Zürich, Langstraße – wenige Tage zuvor

Das Ermittlerteam Rainer Huser und Rudi Paschke

Konstanzer Hafen – einen Tag zuvor

Sorin – am Tag zuvor in Zürich

Der Patient

Konstanzer Yachthafen – am Tag zuvor

Das Ermittlerteam Kerstin Elser und Hans Widenhold

Das Ermittlerteam Rainer Huser und Rudi Paschke

Konstanzer Yachthafen – am Tag zuvor

Der Zeuge

Kriminalkommissariat Konstanz – Montagabend

Der Zuhälter – einen Tag vor der Tat

Emanuele alias Madeleine – einen Tag vor der Tat

Konstanzer Yachthafen – am Tattag

Kriminalkommissariat Konstanz – Dienstagmorgen

Madeleine

Der Patient

Sorin – am Tattag

Kriminalkommissariat Konstanz

Epilog

Dank

Begriffe

Figurenbiografien

Anhang Quellen und Literatur

Zum Autor

Konstanz-Litzelstetten

Karl Grimm war heute Morgen früh wach geworden, hatte beim Bäcker schon frische Brezeln und Brötchen geholt und freute sich auf ein entspanntes und schönes Frühstück mit seiner Familie. Im Hause Grimm und auch bei der Kriminalpolizei in Konstanz hatte sich einiges verändert. Maria, seine Frau, hatte einen Ruf der Universität Konstanz erhalten und arbeitete mit halbem Deputat als Professorin in der Juristischen Fakultät. Sie war endlich in Konstanz angekommen und rundum zufrieden. Die Uni in Konstanz lag auf dem Gießberg, hatte einen exzellenten Ruf und war im wahrsten Sinne des Wortes gerade mal einen Steinwurf vom Reihenhäuschen der Familie Grimm entfernt. Natürlich musste Karl im Job jetzt etwas kürzertreten und die Familie mit betreuen, aber das war es mehr als wert, denn seine Frau war wieder ein ganz neuer Mensch.

Für Karl Grimm bedeutete die zu Beginn des Jahres 2014 umgesetzte Reform der Polizei karriereorientiert zunächst Stillstand. Konstanz wurde von einer Direktion zum Polizeipräsidium aufgewertet, aber die Kriminalpolizeidirektion und damit natürlich auch die Führung der Kriminalpolizei waren über den Bodensee nach Friedrichshafen gewandert. Der neue Kripochef, ein Leitender Kriminaldirektor aus Tübingen, hatte Karl angeboten nach Friedrichshafen zu kommen und dort für ihn als sein Stellvertreter den Führungsstab zu leiten. Obwohl es eine Direktorenstelle und Karl bisher noch Kriminaloberrat war, hatte er abgelehnt. Er wollte die zwischenzeitlich entspannte Atmosphäre in seiner Familie nicht durch weite Wege und noch längere Dienstzeiten gefährden. Sein neuer Job war die Leitung des Kriminalkommissariats in Konstanz. Diese Aufgabe war natürlich nicht vergleichbar mit der, die er zuvor innehatte. Das Kriminalkommissariat verfügte in etwa über so viel Personal, wie die Kriminalpolizei-Außenstelle Singen, die Karl vor der Reform zusätzlich unterstellt war. Trotz politischer Intervention war diese aber aufgelöst und viele Aufgaben und vor allem das Personal nach Konstanz verlagert worden. Für Karl war klar, dass er mit seiner Absage an seinen neuen Chef in Friedrichshafen nicht gepunktet hatte. Damit hatte er sich erst einmal aufs Abstellgleis gestellt. Aber seine Frau war glücklich, seine drei Kinder hatten Wurzeln geschlagen, neue Freunde gefunden und fühlten sich am See zuhause. Was wollte er denn mehr?

„Guten Morgen, meine Lieben. Aufstehen! Oder wollt ihr etwa den ganzen Tag verschlafen?“ Karl hatte sich zwischenzeitlich in das Obergeschoss geschlichen, wo alle in ihren Zimmern noch schliefen. „Och Papa, es ist Sonntag, lass uns doch einfach mal ausschlafen!“, meckerte es aus dem Zimmer der Jungs. Maria war wach und kam ihm im Morgenmantel lächelnd entgegen. „Na, da wirst du nicht gleich Freude ernten. Geh runter, mein Schatz. Ich regle das mit den Kindern.“ Fünf Minuten später saß die Familie am Tisch und alle waren erstaunlich gut gelaunt. Es war ein wunderschöner Sommersonntagmorgen. Karl hatte den Frühstückstisch auf die Terrasse verlegt. „Was sollen wir heute schönes unternehmen?“, fragte Karl in die Runde hinein. „Ins Strandbad, ins Strandbad“, war die einhellige Antwort seiner beiden Jungs und die große Schwester Anna nickte zustimmend. Karl wartete noch die Reaktion von Maria ab, von der er aber kein Nein erwartete. Wenn die Kinder sich so einig waren, warum denn nicht? „Ich packe nachher gleich die Strandsachen ein. Ihr Kinder kümmert euch um eure Badesachen und bringt sie dann zu mir. Karl, kannst du noch ein paar Getränke aus dem Keller holen? Und bring doch bitte gleich die Kühltasche mit. Dann können wir schon bald los“, antwortete Maria. „Bombe, Bombe. Das wird ein Supertag!“, freuten sich die beiden Jungs und rauschten in ihr gemeinsames Zimmer ab.

Strandbad Litzelstetten

Die Grimms schnappten sich ihre Fahrräder und fuhren den kurzen Weg hinunter an den See zum Strandbad. Die Idee, ins Strandbad zu gehen, hatten offensichtlich auch andere Familien gehabt. Doch die Liegewiese im Bad war groß genug und es gelang Karl noch einen schönen freien Platz unter einem Baum, der im Laufe des Tages immer wieder Schatten spendete, zu ergattern. Das war’s. So oder so ähnlich stellten sich die Grimms einen schönen Sonntag vor. Kaum hatten sie sich am Platz eingerichtet, waren alle drei Kinder weg. Maria und Karl räkelten sich in der wärmenden Sonne und genossen den Moment in vollen Zügen. Vom Strandbad hatte man einen herrlichen Blick auf die Insel Mainau und Unteruhldingen auf der gegenüberliegenden Seeseite. Es gab alles, was man sich in einem solchen Strandbad wünschen würde: ein Beachvolleyballfeld, einen Kiosk für Essen und Getränke und ein Kinderplanschbecken. Dafür waren aber die Grimm’schen Kinder schon zu groß. Als Karl seinen Blick schweifen ließ, entdeckte er Anna und die Jungs beim Beachvolleyballfeld, wo sie mit Anderen Volleyball spielten. „Hättest du gedacht, dass wir einmal so herrliche Kinder haben und eigentlich schon zu Lebzeiten im Paradies leben dürfen?“ Karl hatte seine Maria in den Arm genommen und beide schauten miteinander auf den See. „Das habe ich von Anfang an so geplant“, scherzte Maria und rückte mit ihrem Körper an Karls Seite. „Das ist schön, mein Schatz. Ich glaube, wir haben unsere Krise überwunden und sind wieder richtig gut auf Kurs. Was meinst du, Maria?“ „Das haben wir. Unsere Liebe ist stark und stark genug auch noch den einen oder anderen Mount Everest miteinander zu besteigen. Ich bin sehr glücklich, dass du wegen der Kinder, mir und der Stelle an der Uni in Konstanz auf die Führungsposition in Friedrichshafen verzichtet hast. Aber die Zeiten ändern sich wieder und die Polizei wahrscheinlich auch“, antwortete Maria. „Da hast du sicher Recht. Gerade habe ich aber einen Haufen frustrierter Kolleginnen und Kollegen in Konstanz zu führen, die gar nicht so recht kapieren, was da passiert ist. Der Chef aus Friedrichshafen führt sich in einer Art und Weise auf, wie ich es selbst in Stuttgart nicht erlebt hatte und die Südbadener können mit dem autoritären Gehabe überhaupt nichts anfangen“, erläuterte Karl seiner Frau die Stimmung in seinem Kommissariat. „Aber jetzt lass uns nicht mehr vom Dienst oder der Uni sprechen, sondern genießen wir den Tag“, fuhr Karl fort, als sein Mobiltelefon klingelte. An der Nummer erkannte Karl Grimm sofort, dass ihn der Polizeiführer vom Dienst (PvD) aus dem Lagezentrum anrief. Ein Umstand, der mit der neu strukturierten Polizei jetzt eher ungewöhnlich war. „Karl Grimm hier. Was gibt es?“, meldete sich Grimm kurz und knapp. „Ja, es tut mir leid, dass ich Sie am Sonntag störe. Der Kripochef aus Friedrichshafen hat mich gebeten, dass ich Sie von einem Fall unterrichte, der vor zwei Stunden angelaufen ist und er wünscht, dass Sie nach Möglichkeit den Tatort oder besser das Boot persönlich in Augenschein nehmen. Ach ja und dann möchte er gerne von Ihnen über die Lage unterrichtet werden“, brachte der PvD sein Anliegen auf den Punkt. „Ja und was ist denn nun passiert und wird hierfür nicht der Kriminaldauerdienst (KDD) eingesetzt?“, wollte Grimm vom PvD wissen. „Ja, das ist ja das Problem. Der Kriminaldauerdienst ist bei zwei Leichen. Eine in Ravensburg und eine in Leutkirch. Bis die wieder frei sind kann es noch einige Zeit dauern und deshalb hat der Leitende Kriminaldirektor Bär entschieden, dass der Kommissariatsleiter aus Konstanz zu verständigen sei.“ „Und was ist denn nun passiert?“, hakte Grimm nochmal nach. „Ach so. Ja, klar. Die Wasserschutzpolizei hat heute Morgen bei einer Streifenfahrt auf dem Überlinger See in etwa auf Höhe des Teufelstisches bei Konstanz-Wallhausen eine Badegondel entdeckt. Darin liegen eine tote Frau und ein Säugling. Vielmehr habe ich nicht. Aber noch so viel: Die Wasserschutzpolizei hat das Boot gesichert und ankert jetzt in etwa dort, wo sie das Boot entdeckt haben“, fasste der PvD die für ihn wesentlichsten Informationen zusammen. „Gut, Herr Kollege, ich bin gerade mit meiner Familie im Strandbad in Litzelstetten. Ich werde also schon ein wenig brauchen, bis ich auf der Dienststelle und dann am vermeintlichen Tatort bin. Haben Sie denn schon die Kriminaltechnik verständigt und wer kommt außer mir noch zum Tatort?“, wollte Grimm noch wissen. „Ach, das entscheiden Sie jetzt. Wenn ich gleich jemand verständigen soll, dann mache ich das. Aber der Kripochef meinte, Sie sollen sich das erst einmal anschauen. Vielleicht ist es ja auch ein natürlicher Tod oder Suizid?“, antwortete der PvD. „Aber wenn Sie in Litzelstetten im Strandbad sind, schicke ich ein kleines Boot der Wasserschutzpolizei zu Ihnen. Der Tatort ist ja gleich ums Eck.“ „Gut, dann schicken Sie mir das Boot. Sagen Sie aber den Kollegen, dass ich sie in legerer Freizeitkleidung erwarte und natürlich keine Waffe und nichts bei mir habe. Das heißt, ich kann mir das nur kurz anschauen und wenn weitere Maßnahmen zu treffen wären, müssten sie mich zurück ins Strandbad oder in mein Haus nach Litzelstetten bringen. Sie können aber schon einen Kriminaltechniker, besser zwei, auf den Weg schicken. Die brauchen wir in jedem Fall“, fasste Grimm die von ihm gewünschte Vorgehensweise zusammen. „Vielen Dank, Herr Grimm. Das Boot ist in 10 Minuten da und bringt Sie zum Teufelstisch. Das Boot bleibt bei Ihnen und bringt Sie nachher auch wieder zurück. Soll ich Kollegen vom Kommissariat Konstanz anrufen oder was meinen Sie?“, hakte der PvD nach. „Na, ich dachte, dass die Kollegen/innen von der Kriminalinspektion 8 aus Friedrichshafen hier helfen sollten. Aber lassen Sie mal. Ich schaue mir das jetzt erst einmal an“, beendete Karl Grimm das Telefonat mit dem PvD. Karl war klar, dass die Kriminaltechniker aus Friedrichshafen frühestens zwei Stunden nach Alarmierung da waren. Und vielleicht war der Fall auch einfach gelagert und ohne Techniker zu lösen, was Karl aber eher nicht erwartete. Er drehte sich zu seiner Maria um. „Hab soweit mitgehört, Karl. Geh ruhig. Das ist doch okay und vielleicht kannst du nachher wieder hierherkommen. Immerhin darfst du jetzt noch Boot fahren. Deine Jungs und bestimmt auch Anna werden ganz schön Augen machen, wenn du mit dem Polizeiboot wegfährst“, scherzte Maria. Karl war schon aufgestanden, zog sich seine Shorts, ein T-Shirt und Sandalen an, verabschiedete sich kurz und ging zum Strand. Karls Erfahrungen mit den Polizeibooten beschränkten sich bisher auf das in Konstanz liegende schwere Polizeiboot. Heute hatten die Wasserschutzpolizeikollegen aber ein gummiertes, leichtes Boot mit dabei. Wahrscheinlich um besser anlanden zu können. Es war mit zwei Außenbordern ausgestattet und kaum saß Karl im Boot, flitzte das Boot gefühlt weit über den am See erlaubten 40 km/h hinüber nach Wallhausen und dem nördlich davon liegenden Teufelstisch. Karl hatte vom Teufelstisch schon gehört. Die Besonderheit dieser im Wasser aufrechtstehenden Felsnadel lag darin, dass das Plateau, also der Tisch, bei Niedrigwasser gut gesehen werden konnte und ganz selten sogar über der Wasseroberfläche lag. Der Teufelstisch lag knapp 50 Meter vom Bodenseeufer entfernt und auf der Seeseite ging es am Tisch mehr als 90 Meter in die Tiefe. Ein Paradies für Taucher, was aber aufgrund der vielen Todesfälle seit mehreren Jahren verboten war. „Vielen Dank, Kollegen, dass Sie mich zum Tatort bringen. Das wäre sonst wahrscheinlich schwierig geworden. Ich bin gespannt, was mich erwartet“, konversierte Karl Grimm ein wenig. Die beiden jungen Kollegen der Wapo erwiderten entspannt: „Ist doch klar, Herr Grimm. So wie wir das mitbekommen haben, liegen in dem Boot zwei Leichen. Eine Frau und ein Baby. Möglicherweise liegt ein Verbrechen vor und für Verbrechensbekämpfung, auch auf dem See, ist nun mal die Kriminalpolizei zuständig.“ Grimm nickte und genoss die kurze Fahrt mit dem schnellen Boot.

Die Badegondel am Teufelstisch

Das leichte Polizeiboot fuhr rasch an Dingelsdorf und Wallhausen vorbei und erreichte mit Karl Grimm an Bord den Teufelstisch. Eine Kollegin und ein Kollege der Wapo Konstanz erwarteten Karl Grimm bereits und signalisierten dem anderen Boot, dass es an Backbord beilegen solle, um den Kommissariatsleiter an Bord des größeren Bootes zu bringen. Karl Grimm stand kurz darauf auf Deck des schweren Polizeibootes und entdeckte dahinterliegend am Seezeichen 22 angeseilt ein kleines Boot mit wahrscheinlich den besagten Leichen darin. Die Wapo hatte das Boot mit einem schwarzen Leichentuch abgedeckt, so dass außer der Gondel nichts zu sehen war. „Haben Sie die Leichen abgedeckt und was erwartet mich, wenn ich mir das gleich anschaue?“, wollte Karl Grimm von der Kollegin und dem Kollegen gerne in Erfahrung bringen. „Ich bin mit unserem kleinen Beiboot hingefahren und habe die Leichen so wie Sie sagen abgedeckt. Ich habe natürlich zunächst überprüft, ob die zwei Personen noch leben oder tot sind, aber ich konnte weder bei der Frau noch bei dem Kind irgendeinen Puls fühlen oder ein anderes Lebenszeichen entdecken. Ich habe, so gut es ging, nichts weiter angefasst. Ich bin auch nicht in das Boot gestiegen, sondern habe das von unserem Beiboot aus erledigt“, führte die junge Kollegin aus. Karl konnte nicht zuordnen, ob die Kollegin im mittleren oder gehobenen Dienst war. Mit den Dienstgradabzeichen der Wasserschutzpolizei kannte er sich nicht so gut aus. War aber auch egal. „Was können Sie denn zu den zwei Personen im Boot sagen?“, wollte Grimm nun wissen. „Die Frau trug ein weit ausgeschnittenes rotes Trägershirt und sehr knappe weiße Shorts, braune Haare und neben ihr lag, glaube ich, eine Spritze. Das Baby, das sehr verhärmt auf mich wirkte, war nackt. Es hatte noch ein Seil um den Hals. Das habe ich aber alles so belassen. Und nachdem ich bei beiden den Puls fühlen wollte, stellte ich fest, dass bei beiden die Leichenstarre schon eingetreten war“, führte die Kollegin aus. „Gut, dann fahren Sie mich doch bitte zu dem Boot oder der Badegondel rüber, damit ich mir ein Bild machen kann und verständigen Sie doch bitte die Kriminaltechnik über das Lagezentrum. Bevor wir hier irgendetwas verändern, sollten sich unsere Techniker das hier selbst ansehen.“ Kaum hatte Grimm ausgesprochen, klingelte sein Mobiltelefon. „Karl Grimm, was gibt es?“ „Ja, hier ist Leitender Kriminaldirektor Bär. Können Sie schon was zu den Leichen im See sagen?“, fragte Grimms Chef neugierig nach. „Nein, Herr Bär, das kann ich noch nicht. Aber ich bin gerade im Begriff zu den beiden Leichen zu fahren, um mir ein persönliches Bild zu machen. Ich gebe Ihnen dann gern wieder Bescheid. Die Situation hier ist etwas skurril. Die Leichen, wohl eine Frau und vielleicht ihr Baby, liegen in einem kleinen Boot, das am Seezeichen 22, über dem Teufelstisch angebunden wurde. Ich habe auf jeden Fall die Techniker angefordert und hoffe, dass Sie das unterstützen“, ergänzte Grimm noch. „Ja, gut, die Techniker hätte es vielleicht noch nicht gebraucht, aber wenn Sie das jetzt so entschieden haben, dann lassen wir es dabei“, brummte Bär ins Telefon. Sie brauchen mich auch nicht mehr anrufen. Ich habe jetzt ein Meeting mit meinem Rotary Club in einem Restaurant beim Yachthafen in Friedrichshafen. Heute wird der alte Präsident verabschiedet und der Neue ins Amt eingeführt. Und wissen Sie, wer das ist?“, fragte Bär seinen Kommissariatsleiter, beantwortete die Frage aber gleich selbst. „Da ich das bin, also der neue Präsident, habe ich heute keine Zeit mehr. Der Fall bleibt im Übrigen zunächst beim Kommissariat. Hört sich ja jetzt nicht nach einem schweren Verbrechen an. Das schaffen Sie schon“, führte der Leitende Kriminaldirektor noch aus und legte auf. „Klasse!“, dachte Grimm so bei sich. „Das sind die neuen Chefs. Wichtig und nochmal wichtig. Aber egal“, Karl Grimm wandte sich wieder seiner Arbeit zu, zog sich Plastikhandschuhe über und war mit der Kollegin schon unterwegs zur Badegondel. Die Kollegin legte vorsichtig bei, so dass Karl Grimm die Decke leicht zurückschlagen konnte. Die Frau lag mit offenen Augen neben einem Baby. Neben der Frau, die vielleicht geschätzt zwischen 20 und 25 Jahre alt war, lag Richtung Backbord eine leere Spritze. Am rechten und linken Arm konnte Karl auf die Schnelle keine Einstichstellen sehen, so dass für Karl eine rasche Fallzuordnung nicht möglich war. Das Baby wirkte auf ihn sehr abgemagert und unterernährt. Vielleicht war es auch schon ein Kleinkind. Aber auch hier wollte Karl erst die Spezialisten untersuchen lassen, um sich in Fortfolge ein besseres Bild darüber zu machen, was hier passiert sein konnte. Der Leichnam des Babys wies mehrere Flecken auf. Dies konnte möglicherweise auf den Verwesungsprozess zurückzuführen sein, es war aber auch möglich, dass dem Baby Gewalt angetan worden war. Um den Hals des männlichen Babys war ein Seil geschlungen und sichtbar fest angezogen. Vielleicht hatte man es auch erdrosselt. Das war ein Tatort für die Kriminaltechniker und in jedem Fall wollte Karl eine Obduktion der beiden Leichen veranlassen. Er fotografierte die im Boot liegenden Leichen mit seinem Handy, deckte sie danach mit dem Tuch wieder ab und wandte sich der Kollegin zu. „Ich kann mir noch kein abschließendes Bild von dem machen, was hier passiert sein könnte. Aber das Baby sieht aus, wie wenn es verhungert oder erdrosselt worden wäre und die Frau könnte die Mutter des Babys sein. Aber jetzt müssen erst einmal die Techniker ran und dann sollten die Leichen nach Freiburg in die Gerichtsmedizin. Können Sie denn solange hierbleiben, bis die Techniker da sind?“, wollte Karl noch von der Kollegin wissen. „Wir bleiben solange da, wie Sie uns brauchen. Aber Herr Grimm, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, ich habe bei der Sache ein ganz komisches Gefühl.“ Karl Grimm ließ die Bemerkung erst einmal so stehen, aber auch ihm erschien die ganze Tatortsituation sehr speziell. Warum der Teufelstisch? Warum ein totes Baby und eine Rauschgifttote, die vielleicht gar keine Rauschgiftsüchtige war? Der Leichnam des Babys war zu mager. Auch zeigte es Spuren von möglicher Gewalt, aber das war für Karl zu früh, um sich irgendwie festzulegen. Wenn die Mutter sich vielleicht selbst getötet hatte, könnte auch ein erweiterter Suizid vorliegen. Bevor Karl wieder loswollte, machte er noch ein paar Übersichtsaufnahmen vom vermeintlichen Tatort. Im Strandbad Litzelstetten angekommen verabschiedete sich Karl von seiner Familie und dem wunderschönen Sonntag. Er wollte schnell nach Hause, sich umziehen und dann ins Kommissariat gehen, um noch den einen oder anderen Kollegen oder Kollegin hinzuziehen und mit den ersten Ermittlungen zu beginnen. „Wer weiß“, dachte Karl so vor sich hin, „wenn der Fall dann doch mehr hergibt, zieht Friedrichshafen den schnell an sich und das wäre dann auch gut so.“

Polizeipräsidium Konstanz, Kriminalkommissariat

Karl hatte sein Auto vor dem stattlichen Gebäude am Benediktiner Platz geparkt und war unterwegs zu seinem Büro im ersten Stock. Das Polizeipräsidium – früher die Polizeidirektion – war in der ehemaligen Klosterkaserne untergebracht, die bis zum Jahr 1977, also über 100 Jahre, militärisch genutzt worden war. Vor dem Gebäude traf er auf ein paar rauchende Kolleginnen und Kollegen vom Streifendienst, die ihn freundlich grüßten. Im Büro angekommen zog Karl seine alte Alarmierungsliste hervor und versuchte als Erstes sein Glück bei seinem neuen Stellvertreter im Kommissariat, Arno Angele. Er war bis zur Reform Chef der Kriminalpolizeiaußenstelle Singen gewesen, die im Zuge der Reform aufgelöst wurde. „Hallo, hier ist Karin Angele“, meldete sich eine freundliche Stimme. „Ja, guten Tag Frau Angele. Grimm hier. Entschuldigen Sie bitte die Störung am heiligen Sonntag und vor allem bei diesem herrlichen Wetter. Ist Ihr Mann da? Und könnte ich ihn sprechen?“ „Hier ist die Tochter“, kam prompt die Antwort, „und wer sind Sie?“ Karl lachte innerlich. „Mein Name ist Karl Grimm von der Kriminalpolizei in Konstanz. Ich bin ein Kollege Ihres Papas und würde ihn gerne sprechen, wenn er da ist.“ „Ach so. Ja von Ihnen habe ich schon einmal gehört. Ich gebe das Telefon gerne weiter.“ „Arno hier. Karl was gibt es? Hast du Sehnsucht? Nichts für ungut, aber mir würde Konstanz von Montag bis Freitag reichen. Sonst verstehe ich die Menschen in Singen nicht mehr“, frotzelte Arno Angele am Telefon. Arno Angele war bis zum 31.12.2013 Chef der Kriminalpolizei-Außenstelle Singen gewesen und war mit einem Teil seiner Kolleginnen und Kollegen reformbedingt und zwangsweise nach Konstanz versetzt worden. Die Begeisterung hierfür hielt sich bei allen in Grenzen. Und das wusste Karl natürlich. „Herr Erster Kriminalhauptkommissar beliebt zu scherzen“, antwortete schalkhaft Karl und meinte dann: „Nein Spaß beiseite. Wir haben zwei Leichen auf einem Boot auf dem Überlinger See. Es ist noch nicht klar, ob es überhaupt zu einem Verbrechen gekommen ist, aber es sieht danach aus. Und ich würde gerne heute noch die Ermittlungen aufnehmen. Vielleicht sind wir dann schnell schlauer und übergeben das ganze Paket am Montagmorgen an Friedrichshafen oder schreiben dann selbst den Bericht an die Staatsanwaltschaft. Ich war vor Ort und habe mir die Sache angeschaut. Jetzt habe ich so ein komisches Gefühl im Bauch und die beiden Leichen sind auch sehr speziell“, endete Karl mit seinen ersten Ausführungen zur Lage. „Also du meinst, ich solle jetzt doch am Sonntag nach Konstanz kommen und dich unterstützen. Zweites mache ich gerne, doch nach Konstanz, na ja. Aber Chef, warum wir? Dafür wäre doch eigentlich der neu ins Leben gerufene Kriminaldauerdienst zuständig. Es hieß doch immer wir hätten keinen Bereitschaftsdienst mehr und hätten jetzt nachts und an den Wochenenden frei“, frotzelte Arno Angele munter weiter. Karl wusste, dass Arno nicht mehr hier ankommen würde und bei den anderen jüngeren Kolleginnen und Kollegen aus Singen es noch eine ganze Weile dauern würde, bis sie in Konstanz angekommen waren. Und Karl selbst war von dem neuen Gesicht der Polizei auch nicht überzeugt. Aber er war Chef und deshalb blieb er gegenüber seinem Dienstherrn loyal. „Klar Arno, das wäre normalerweise frühestens Montag unser Fall oder wahrscheinlich sogar der, der Kriminalinspektion 1 in Friedrichshafen. Aber der Kriminaldauerdienst ist ausgebucht und der Leitende Kriminaldirektor Bär hat mich gebeten den Fall zu übernehmen. Könntest du nach Konstanz kommen und vielleicht noch zwei Leute mitbringen? Ich organisiere noch ein Spurenteam aus Konstanz und dann schauen wir uns den Fall mal etwas genauer an. Einverstanden?“ „Gut, bin in einer knappen Stunde da.“ Weitere Fragen stellte Arno Angele jetzt nicht mehr und war schon fast von Singen nach Konstanz unterwegs. Vorher telefonierte er noch mit der Kollegin Kerstin Elser und ihrem Partner Hans Widenhold. Ein Ermittlerteam auf das sich Arno schon in Singen immer verlassen konnte. Karl war froh, dass er den Arno Angele erreicht hatte. Nachdem er als Kripochef von Stuttgart nach Konstanz gewechselt hatte, war die Willkommenskultur bei der Kriminalpolizei in Singen zunächst schwierig gewesen. Aber dann kam es zu einem Tötungsdelikt an einer Immobilienmaklerin in Singen. Das war gut ein Jahr her. Die anfänglichen Friktionen, auch weil Karl in Singen die Leitung der Sonderkommission selbst übernommen hatte, waren rasch überwunden. Karl lernte im Verlauf der Soko die Singener Kolleginnen/Kollegen und vor allem Arno Angele besser kennen und schätzen. Und last but not least konnten sie den Fall erfolgreich mit einem überführten Täter abschließen.

Grimm saß in seinem Büro und schaute sich in aller Ruhe die von ihm gefertigten Fotos auf seinem Handy an. Das Baby sah schon sehr mitgenommen aus. Es hatte für ein Baby zu markante Gesichtszüge und es wirkte verhärmt und abgemagert auf Karl. Das Seil um den Hals deutete möglichweise darauf hin, dass das Kind erdrosselt oder ertränkt worden war, oder es einen anderen Grund gegeben hatte, es festzubinden. Bei der Beschaffenheit des Seils wollte er sich nicht eindeutig festlegen. Aber man könnte meinen, dass es auch ältere Spuren am Hals des Kindes gab. Diese würden darauf hindeuten, dass das Baby oder Kind das Seil schon länger um den Hals trug und es dann doch damit festgebunden war, dass es nicht wegkrabbeln oder laufen konnte. „Rätselhaft“, dachte Karl, „das Baby wirkt wie ein Kind, ist aber so groß, wie ein Baby und wenn es ein Baby war, dann hätte man doch kein Seil zum Festbinden gebraucht“. Karl lies verschiedene Szenarien vor seinem geistigen Auge ablaufen und es erschlich ihn das Gefühl, dass dem Kind furchtbares Leid angetan worden war. Und er dachte immer mehr, dass das Kind verhungert sein könnte. Doch dann besann sich Karl wieder auf seine nächsten Aufgaben. „Rainer Huser, guten Tag.“ „Hallo Herr Huser, hier spricht Karl Grimm. Wir haben vielleicht ein Tötungsdelikt auf dem Überlinger See. Alles etwas skurril und seltsam. Deshalb wäre es mir recht, wenn Sie sich in den Dienst begeben könnten. Wissen Sie zufällig, ob ihr Partner Paschke auch irgendwo zu erreichen ist? Ich habe keine Nummer von ihm in den alten Unterlagen gefunden.“ „Das ist kein Problem, Chef. Rudi ist mit seiner Freundin bei mir. Den kann ich gleich mitbringen. Wo sollen wir hinkommen? Aufs Kommissariat?“ „Klar. Wir treffen uns bei mir im Büro. Arno Angele, Kerstin Elser und Hans Widenhold kommen auch.“

Die ersten Schritte

Die Kolleginnen und Kollegen, die Karl Grimm in den Dienst beordert hatte, waren rasch in Konstanz eingetroffen. Karl schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es inzwischen 14.00 Uhr durch war und sie noch einen guten Teil des Tages vor sich hatten. Seine Familie wähnte er noch im Strandbad und freute sich für sie. Die Kriminaltechniker aus Friedrichshafen waren überraschend schnell eingetroffen und kamen zuerst, entgegen dem Auftrag von Karl, auf die Dienststelle. Karl wartete noch einen kurzen Moment bis alle da waren und verlegte das erste Meeting in den im Mittelrisalit befindlichen Besprechungsraum der Kriminalpolizei im ersten Stock. „Ich begrüße Sie alle recht herzlich, auch die Kollegen von der Kriminalinspektion 8 aus Friedrichshafen und entschuldige mich schon jetzt dafür, dass ich Sie alle aus der Freizeit holen musste. Wenn Sie erlauben, gebe ich Ihnen einen kurzen Überblick über alles, was bisher in diesem Fall passiert ist, und dann verteilen wir die Aufgaben. Einverstanden?“ Alle hatten Karl aufmerksam zugehört und nickten ihm zustimmend zu. Als er mit seinen Ausführungen starten wollte, fuhr der Seehas, ein Nahverkehrszug, auf den unmittelbar hinter dem Gebäude befindlichen Gleisen vorbei, so dass er kurz warten musste. „Laut dem Einsatz-Protokoll meldete um 10.37 Uhr das Lagezentrum Göppingen an das Lagezentrum in Konstanz, dass die Konstanzer Wasserstreife in der Nähe von Wallhausen ein verdächtiges Boot entdeckt habe und darauf wohl zwei Leichen zu sehen wären. Das Lagezentrum des Präsidiums Einsatz bat um Übernahme durch Konstanz und sicherte für die weitere Abwicklung des Falles die notwendige Unterstützung durch die Wasserschutzpolizei zu. Die Kolleginnen und Kollegen der Wapo hatten dann das Boot näher in Augenschein genommen und meldeten, dass sich auf dem Boot eine tote Frau und ein totes Baby befinden sollen. Nachdem der PvD den Kripochef Bär unterrichtet hatte, wurde ich gebeten zu übernehmen. Ich war bereits vor Ort und habe mir das Ganze angesehen. Ich fasse für Sie das, was mir wichtig erscheint, kurz zusammen. Das Boot oder wie man hier sagt „die Badegondel“ ist mit einem Seil am Seezeichen 22, das auf dem Teufelstisch steht, angebunden. Auf dem Boot liegt eine tote Frau, ich schätze so zwischen 20 und 25 Jahre alt. Daneben liegt ein totes Baby oder Kind mit einem Seil um den Hals und Strangulations- oder Tragespuren am Hals. Neben der Frau liegt eine Spritze, könnte also eine Rauschgiftkonsumentin sein. Allerdings habe ich an den Armen der Frau auf die Schnelle keine Einstichstellen entdeckt. Das Kind wirkt auf mich, bitte sehen Sie es mir nach, wenn das jetzt auch etwas unglaublich klingt, als wenn es verhungert wäre und es sieht einerseits wie ein Neugeborenes aus, hat aber schon Gesichtszüge, als wäre es älter. Alles in allem sehr mysteriös.“ Karl zeigte den Kolleginnen und Kollegen noch die Aufnahmen, die er mit seinem Handy gemacht hatte und schaute nun selbst erwartungsvoll in die Runde. Die Kollegin und der Kollege aus Friedrichshafen ergriffen als Erste das Wort: „Wenn Sie einverstanden sind, Herr Grimm, dann fahren wir zum Boot und sehen uns das Ganze in Ruhe an. Wir übernehmen die Spurenarbeit und gegebenenfalls dann auch die Begleitung zur gerichtsmedizinischen Untersuchung nach Freiburg. Hier müssten Sie aber mit der Staatsanwaltschaft Kontakt aufnehmen und um die Anordnung der Obduktion bitten.“ Karl nickte und gab den Kollegen aus Friedrichshafen zu verstehen, dass er einverstanden war. „Geben Sie uns bitte baldmöglichst Bescheid, ob es aus der Spurenlage vor Ort irgendetwas gibt, was uns im Fall weiterbringt und wie Sie die Lage einschätzen“, gab Karl Grimm den Kriminaltechnikern noch mit auf den Weg.

Nachdem die Techniker den Besprechungsraum verlassen hatten, brachte sich Arno Angele ein: „Ich schlage vor, dass wir als Erstes versuchen etwas zur Identität der beiden Leichen herauszubekommen. Einen Ausweis werden die Techniker wahrscheinlich im Boot nicht finden, aber der Bootseigner müsste ja rasch ermittelt sein.“ Karl nickte zustimmend. „Weißt du zufällig, ob das Boot, auf dem die Leichen sind, eine Bootsnummer hat?“, wollte Arno von seinem Chef nun wissen. „Ganz ehrlich, Arno. Darauf habe ich nicht geachtet. Aber kannst du das übernehmen?“, fragte Karl nach. „Mach ich. Ich würde die Kerstin und den Hans zu mir nehmen und Sie entsprechend beauftragen. Einverstanden?“, wollte Arno noch wissen. „Gut, einverstanden. Ich denke, es ist vernünftig, wenn du die Ermittlungsaufträge übernimmst und auch die Kollegen Huser und Paschke entsprechend einbindest. Ich schlage vor, dass die beiden sich um die Vermisstenanzeigen der letzten Tage kümmern und vielleicht auch prüfen, ob unsere ehemaligen Rauschgiftermittler irgendetwas über diese Frau wissen.“ „Das machen wir so Chef. Und vielleicht wissen wir heute Abend mehr“, bemerkte Arno abschließend. Arno Angele und die beiden Ermittlungsteams verblieben im Besprechungsraum. Karl zog sich in sein Büro zurück.

„Die Ausgangslage ist dünn. Also müssen wir jetzt erst einmal Grund machen“, startete Arno seine Ausführungen. „Ich schlage vor, dass Kerstin und Hans sich als Erstes um das Boot und die nähere Umgebung kümmern. Beim Boot wäre interessant zu wissen, ob es beim Schifffahrtsamt registriert ist oder ob irgendwo ein Boot am See fehlt und vielleicht deshalb sogar Anzeige erstattet worden war. Dann schaut euch ruhig auch mal die Umgebung beim Teufelstisch an. Ihr beiden, Rainer und Rudi, ihr kümmert euch um Informationen über Vermisste und zur Rauschgiftszene in Konstanz. Vielleicht bekommen wir darüber einen Ermittlungsansatz. Wir sollten als Erstes die Identitäten der beiden Opfer klären und ich befürchte, die Papiere finden wir nicht im Boot.“

Ermittlungstrupp Kerstin Elser und Hans Widenhold

Kerstin und Hans hatten sich bei der Kriminalpolizei-Außenstelle in Singen zu einem eingeschweißten Team entwickelt. Beide waren mit der Polizeireform nach Konstanz versetzt worden und Hans war deshalb etwas unterkühlt. Er hatte seine ganze berufliche Karriere dahingehend ausgerichtet, in Singen Dienst zu machen und dann so etwas. Plötzlich kam die Politik auf die Idee, dass es in Singen keine Verbrechen mehr gab und es deshalb dort keine Kriminalpolizei mehr brauchte. Für Hans einfach nur Schwachsinn, der fast täglich darin gipfelte, dass er mit seiner Kollegenfahrgemeinschaft aus Singen eine Stunde nach Konstanz fuhr, um dann da wieder einen Dienstwagen zu schnappen und nach Singen zu fahren, um die dort anfallende Arbeit zu erledigen. Kerstin ging es nicht viel besser. Sie hatte sich wegen ihrem Lebensgefährten für Singen entschieden und musste nun auch jeden Tag 80 Kilometer mehr fahren und viel Zeit auf der Strecke lassen. „Jetzt müssen wir auch noch für die Konstanzer die Fälle lösen. Und das am Sonntag“, ließ Hans seinem Groll freien Lauf. „Du hast Recht, Hans. Aber es hilft nichts. Wir müssen mit der neuen Situation zurechtkommen und das Beste daraus machen. Weißt du genau, wo wir hinmüssen?“, fragte Kerstin bei ihrem Kollegen nach. Hans, der Singen wie seine Westentasche kannte, gab zu, dass er eine Ahnung hatte, aber so ganz genau wisse er es auch nicht. „Gut, ich frage mal über Funk beim Lagezentrum nach. Die können uns doch bestimmt einweisen.“ Die Kriminalkommissarin funkte das Lagezentrum an und die Wegbeschreibung war schnell erledigt. Eigentlich immer am See entlang, Richtung Mainau, und dann über Litzelstetten, Dingelsdorf nach Wallhausen. Die schnellere Alternative war zwar über Dettingen. Das fand Kerstin aber nicht so spannend und deshalb fuhren die beiden am See entlang. Kerstin genoss die Fahrt. Die Straße gab immer wieder den Blick auf den See frei und das war einfach nur schön. Kerstin konnte einen Blick auf die immer gut besuchte Blumeninsel Mainau erhaschen, hinüber auf die andere Seeseite zum Barockjuwel Kloster Birnau, bis hin zu der alten Reichsstadt Überlingen. „Wenn wir heute keinen Dienst hätten, wäre das ein schöner Ausflug, was Kerstin?“, scherzte Hans, dem nicht entgangen war, dass Kerstin das Seepanorama genoss. „Ja, ich bin gespannt was uns in Wallhausen erwartet und was es mit diesem Teufelstisch so auf sich hat“, bemerkte Kerstin und konzentrierte sich wieder auf den Fall. „Kennst du den Teufelstisch, Hans, oder weißt du, was uns da genau erwartet?“, wollte Kerstin von ihrem Partner wissen. „Na, als waschechter Singener weiß ich natürlich auch etwas über den Teufelstisch. Aber meine Kenntnisse darüber sind mager. Ich glaube, dass der Tisch so heißt, weil er schon viele Menschen und vor allem Taucher geholt hat, also Menschen umgekommen sind. Der Tisch ist nicht weit weg vom Ufer und das Spektakuläre ist, dass es vom Tisch direkt senkrecht in die Tiefe geht, und zwar ziemlich tief. Aus meiner kurzen Streifendienstzeit in Konstanz weiß ich noch, dass es dort öfter Rettungseinsätze gab, weil Taucher nicht mehr nach oben kamen und vermisst wurden. Und soweit ich weiß, ist das Tauchen seit einiger Zeit dort nicht mehr erlaubt oder nur noch mit Sondergenehmigung möglich, weil es so viel tödliche Unfälle gab.“ „Das hört sich ja schauderhaft an“, entgegnete Kerstin ihrem Kollegen. „Ja und so manche Leiche liegt noch unten auf dem Seegrund, weil sie nicht mehr gefunden worden waren und das Wasser am Grund kalt genug ist, dass keine Verwesung einsetzt“, ergänzte Hans noch seine Ausführungen zu diesem besonderen Ort. „Meinst du, dass dieser spezielle Ort bewusst als Hintergrund gewählt worden war? Dann wird das hier ja mal richtig spannend“, führte die Kriminalkommissarin weiter aus. „Das kann schon sein. Aber dafür ist es jetzt noch zu früh. Wir schauen uns das erst einmal in Ruhe an und dann sehen wir weiter. Aber dass ein Boot mit zwei Toten am Seezeichen, das auf dem Teufelstisch steht, angebunden wurde, ist schon sehr eigenartig“, antwortete Hans seiner Kollegin. „Aber du weißt auch, dass Wallhausen ein Stadtteil von Stuttgart ist, allerdings ohne S-Bahnanschluss?“, scherzte Hans mit seiner Kollegin. „Da bin ich aber jetzt gespannt“, antwortete Kerstin und zuckte mit den Schultern. „Na, weil hier fast alles Stuttgartern gehört, die am Wochenende oder in den Ferien kurz „einfliegen“ und ihre Ferienwohnungen genießen“, erwiderte Hans und lachte verschmitzt. Die beiden Ermittler waren inzwischen in Wallhausen angekommen und fuhren vom Hafen die Uferstraße entlang in Richtung Teufelstisch. „Meinst du, wir kommen bis auf die Höhe vom Teufelstisch oder wäre es nicht besser zu laufen?“, wollte Kerstin wissen. Am letzten Haus angekommen, musste Hans scharf bremsen. Hier war mit dem Auto Schluss. Der Weg endete abrupt. Über eine kleine Treppe ging es zu Fuß immer weiter am See entlang. „Jetzt kann ich dir deine Frage beantworten, Kerstin. Wir müssen tatsächlich laufen. Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt einen befahrbaren Weg zum Teufelstisch gibt. Aber wenn, dann muss der irgendwo zwischen Dettingen und Langenrain auf dem Bodanrück in Richtung See abgehen. Aber du hast Recht. Es ist eh besser zu gehen. Vielleicht entdecken wir auf dem Weg etwas, was für die Ermittlungen relevant sein könnte.“ Kerstin nickte Hans zu. Hans fuhr ein kurzes Stück zurück und parkte den Dienstwagen am Straßenrand. Beide machten sich auf den Weg. Die Fortsetzung der Uferstraße befand sich in unmittelbarer Nähe zum See. Den konnte man aber nur ab und zu sehen, weil der befestigte Weg durch einen Wald führte. Aber wenn der Wald die Sicht auf den See freigab, war es einfach nur fantastisch. Kerstin genoss diese Momente trotz der unangenehmen Umstände und trotz des Dienstes am Sonntag. Der Wald und der See hatten eine angenehm anziehende Wirkung. „Wenn man hier einmal angekommen ist, dann geht man so einfach nicht mehr weg“, dachte Kerstin bei sich. Beide konnten auf dem Fußmarsch bis auf die Höhe vom Teufelstisch nichts Besonderes entdecken. Allerdings gestaltete sich das Marschieren als fast alpinistische Herausforderung, weil immer wieder Hangabgänge und entwurzelte Bäume den Weg schwer passierbar machten. Als Kerstin und Hans nach etwa einem Kilometer in die Nähe kamen, waren der Teufelstisch, das Boot und die Wasserschutzpolizei gleich ausgemacht. Die Kriminaltechniker waren im Beiboot zugange und hatten offensichtlich das am Seezeichen festgemachte Boot aufgedeckt. Das Boot, soweit man das ausmachen konnte, hatte eine Bodenseeregistrierung am Rumpf und einen kleinen Motor am Heck. Damit müsste der Eigner leicht zu ermitteln sein. Kerstin und Hans schauten zunächst einen Moment aufs Wasser und betrachteten interessiert die Szenerie, die sich Ihnen bot.

Ermittlungstrupp Rainer Huser und Rudi Paschke