Die Verschwörung der Schatten - Otto Eicke - E-Book

Die Verschwörung der Schatten E-Book

Otto Eicke

4,6

Beschreibung

Karl May hat die Abenteuerhandlung der beiden ersten Bände von "Im Reiche des silbernen Löwen" nie zu Ende geführt, da er sich ab 1900 seinem symbolischen Spätwerk zuwandte. Etliche in den Bänden 26 und 27 der Gesammelten Werke geknüpfte Fäden blieben daher lose und viele Fragen offen. Otto Eicke (1889-1945) gelang eine kongeniale Fortführung des Stoffes. Nun erscheint dieser wunderbare Abenteuerroman im Stile Karl Mays als Sonderband - zur Freude vieler Leser, die wissen wollen, wie die Geschichte um die Verschwörung der "Schatten" weitergeht. Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar setzen ihre Suche nach dem persischen Edelmann Dschafar Mirza fort und stecken bald wieder im schönsten Abenteuer. Die Helden bekommen es mit den "Sillan" oder "Schatten" zu tun, einem undurchsichtigen Geheimbund. Da taucht noch Sir David Lindsay auf, der ebenfalls mit den "Schatten" aneinander geriet. Auch der verschollene Dschafar Mirza und die ebenso schöne wie mysteriöse Prinzessin Gul-i-Schiras scheinen in die Vorgänge verstrickt zu sein. Bevor die Freunde die Zusammenhänge aufdecken können, müssen sie mehr als einmal Leib und Leben riskieren. Mit einem Nachwort von Christoph F. Lorenz.

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DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN

ALTERNATIVE FORTFÜHRUNG VON KARL MAYS REISEERZÄHLUNGEN

„DER LÖWE DER BLUTRACHE“ UND „BEI DEN TRÜMMERN VON BABYLON“

VON OTTO EICKE

Herausgegeben von Bernhard Schmid ©2015

ISBN 978-3-7802-1625-0

KARL-MAY-VERLAG BAMBERG·RADEBEUL

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Ein bedeutsamer Brief

2. Die ‚Unsichtbaren‘

3. Die ‚Hüter des Lichts‘

4. Ein wertvoller Fang

5. Das Blatt wendet sich

6. Ein ‚Wunder‘

7. Am ‚Brunnen der Vergeltung‘

8. In den Schirbambergen

9. Auf neuer Fährte

10. Im Haus Ghulams

11. Eine geheime Zusammenkunft

12. Ein nächtlicher Handstreich

13. Bei Jussuf, dem Einsiedler

14. Die ,Rose von Schiras‘

15. Folter

16. Hinter der Maske

Nachwort: ‚Schattenwirtschaft‘ – Otto Eicke als Karl-May-Fortsetzer

Vorwort

Der vorliegende Band ist eine Erscheinung für sich in der Gesamtfolge der Werke Karl Mays.1 Er ist aus den Gedanken herausgewachsen, die ich in meinem Aufsatz „Der Bruch im Bau“, Karl-May-Jahrbuch 1930, zusammenhängend vorgetragen habe. Es handelt sich dort um die Feststellung, dass Karl May durch die aus seinen Prozessen und der nebenhergehenden Pressefehde geborene Karl-May-Hetze von seinem eigentlichen Schaffensweg abgedrängt wurde. Aus der lebensvollen Tatsachenwelt, in der seine Reiseerzählungen bis dahin spielten, flüchtete der Angegriffene ins Land der Symbolik. Das ist der „Bruch im Bau“. Und da jene Hetze in die Zeit der Abfassung von Im Reiche des silbernen Löwen fiel, tritt der Bruch grad in diesem Werk zu Tage. Die Bände I und II und das 1. Kapitel des III. Bandes schrieb der Karl May der Tatsachenwelt, das Folgende bis zum Ende des IV. Bandes der scheu sich verschleiernde Gleichnisdichter. Für viele Freunde und Leser Karl Mays wurde das Anlass dazu, den Silberlöwen halb gelesen aus der Hand zu legen, das Werk insgesamt abzulehnen, obwohl der Aufbau zeigt, dass es eine der stattlichsten Schöpfungen Karl Mays werden sollte.

Da war die Frage naheliegend: Wie hätte Karl May den Silberlöwen zu Ende geführt, wenn seine Gegner geschwiegen hätten, wenn er durch die Hetze nicht in seinem Schaffen gehemmt worden wäre? Ich untersuchte diese Frage in dem genannten Aufsatz und holte mir die Antwort aus dem Gesamtwerk Karl Mays heraus. Ich stellte sorgsam wägend die großen Linien wieder her, die mir zum eigentlichen Schluss des Werkes zu führen schienen. Die Ausarbeitung dieses Fortgangs und Schlusses, der eine Art Ersatz für Silberlöwe III und IV ist, liegt in diesem Band vor.

Dabei habe ich aber Band I und II nicht als bekannt vorausgesetzt. Das heißt, Die Verschwörung der Schatten ist eine Karl-May-Reiseerzählung für sich, verständlich auch für den, der den Silberlöwen nicht kennt. Im Übrigen ist es ein Versuch, Karl May nachschaffend zu ergänzen. Ob dieser Versuch geglückt ist oder nicht, werden die Leser entscheiden. Mir bleibt nur noch zu bemerken, dass das 1. Kapitel des ursprünglichen Bandes III des Silberlöwen in veränderter Form von mir als Anfang übernommen wurde. Das war nötig, um für die Leser, die dieses Werk Karl Mays nicht kennen, den Anschluss zu wahren.

Ich hoffe, dass dieser Band, der sich bemüht, dem alten, von Karl May ursprünglich geplanten Fortgang und Schluss des Silberlöwen zu entsprechen, eine freundliche Aufnahme in der Gemeinde der Karl-May-Leser findet.

Otto Eicke

1. Ein bedeutsamer Brief

Wieder einmal war ich in der Tigrisebene bei meinen alten Freunden, den Haddedihn-Arabern, eingekehrt und war von ihnen mit gewaltigem Jubel empfangen worden. Mein ‚Freund und Beschützer‘ Hadschi Halef Omar, der jetzt die Würde eines Scheiks trug, führte mich mit strahlender Miene in sein Zelt zu Hanneh, seinem geliebten Weib, der ‚lieblichsten unter den Blumen‘, wie er sie zu nennen pflegte, und zu seinem Sohn Kara Ben Halef, dem ‚jungen Helden‘. Es war sofort ausgemachte Sache, dass ich monatelang bleiben sollte. Als Halef jedoch hörte, dass es meine Absicht war, einen schon früher geplanten, einst aber unterbrochenen Ritt nach Persien hinein durchzuführen, packte ihn das Reisefieber. Die alte Abenteuerlust erwachte jäh in ihm und sogleich stand sein Entschluss fest, mich zu begleiten. Meine Zustimmung setzte er dabei einfach als selbstverständlich voraus.

„O Sihdi“, frohlockte er, „wie danke ich der Güte und der Weisheit Allahs, der deine Schritte in unser Duar2 gelenkt hat! Du kommst zur rechten Zeit. Lange hätte ich diese Tatenlosigkeit nicht mehr ausgehalten. Die Langeweile fraß in mir wie die Maden in den wurmstichigen Datteln und die Behändigkeit meines Geistes und die Heldenhaftigkeit meines Mutes begannen zu verblassen wie das Webmuster in einem alten Gebetsteppich. Hamdulillah! Nun wird es wieder Abenteuer geben! Wir werden ausziehen in ferne Länder wie einst der große Kalif und werden mit den Tieren der Wildnis und den Kriegern unbekannter Stämme kämpfen. Wir werden die Guten belohnen und die Bösen bestrafen. Der Ruhm unsrer Taten wird vor uns herflattern wie die grüne Fahne des Propheten vor den sieghaften Scharen der Streiter im Heiligen Krieg, und überall wird man erzählen von Emir Kara Ben Nemsi Effendi, dem großen Helden aus Germanistan, und von seinem Freund und Beschützer Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah.“

Ich verzichtete auf den Versuch, den Überschwang des Kleinen zu dämpfen. Er war nun einmal ein echter Sohn des Morgenlandes und liebte als solcher die Übertreibungen in Worten, ohne darum etwa ein Prahler zu sein. Wenn es zur Tat kam, stand er stets seinen Mann und ich konnte mich auf ihn verlassen. Jetzt wollte erst einmal seine Freude ihr Recht haben.

Dann ging es an die Reisevorbereitungen. Dazu gehörte in der Hauptsache die Auswahl der Pferde. Ich sollte Assil Ben Rih reiten, einen vorzüglichen Rapphengst, den Sohn meines unvergesslichen Rih. Halef nahm für sich gleichfalls einen Rappen, einen Nedschd-Hengst, ein kostbares Tier, das er bei einem Sieg über die Abu Hammed, die Feinde seines Stammes erbeutet hatte. Es war bei seinen einstigen Besitzern El Atim3 genannt worden, Halef aber hatte es Barkh4 getauft und ich erkannte bald, dass es seinen Namen mit Recht trug. Es war ein Renner, wie ich nur wenige gesehen habe.

Unser Weg sollte über Bagdad gehen, wo wir Erinnerungen an frühere Erlebnisse aufzufrischen gedachten. Um unsere Tiere nicht vorzeitig anzustrengen, beschlossen wir, bis zu dieser Stadt den Tigris hinabzufahren. Es wurde also ein Kellek gebaut, eines jener Flöße aus aufgeblasenen Ziegenbälgen, wie sie dortzulande üblich sind, groß genug, uns und die Pferde zu tragen.

Dann brachen wir nach kurzem Abschied auf. Halefs Verlangen nach Abenteuern wurde rasch gestillt. Wir gerieten mit persischen Schmugglern zusammen, Mitgliedern eines weitverzweigten Geheimbundes, die sich selber als Sillan5 bezeichneten und als heimliches Bundesabzeichen eigenartig geformte und geprägte Fingerringe trugen. Über diese Ereignisse ist an anderer Stelle berichtet.6 Es wird aber auch in dieser Erzählung noch ausführlicher davon die Rede sein; denn unser ganzer Ritt nach Persien gestaltete sich schließlich zu einer Kette von Auseinandersetzungen mit diesen ‚Schatten‘, bis zur letzten großen Schlussabrechnung, und wir gerieten dabei aus einer Gefahr in die andere.

Vorläufig sei nur gesagt, dass wir glücklich Basra erreichten, die älteste der Kalifenstädte an Euphrat und Tigris, vom Kalifen Omar im Jahr 638 gegründet, um den Persern die Verbindung mit dem Meer und den Seeweg nach Indien abzuschneiden. Diese Stadt war einst als Stapelplatz der nach Bagdad bestimmten Waren von großer Bedeutung, und ihr Ruhm wuchs ins Ungeheure durch das Ansehen der Gelehrtenschule, die Ibn Risaa, der Gefeierte, in Basra gründete. Sie trug schließlich sogar den Ehrennamen Kubbet el Islam, Kuppel des Islam.

Aber diese Herrlichkeit war nicht von Dauer. Ungünstige politische Verhältnisse und ein unaufhaltsames Versanden der Flussmündung führten den Niedergang der Stadt herbei. Dazu kam noch die ungesunde Lage in der feuchten, fieberreichen Niederung. Sogar den Namen büßte Basra ein. Es wird heute Zobeïr genannt und stellt sich als eine Ansammlung armseliger Hütten inmitten eines Ruinenfeldes dar.

Hier sollte unser Ritt nach Persien beginnen. Wir wollten über den Schatt el Arab und über den Qarun setzen, einen Fluss, der vom Zagrosgebirge herabkommt, und am Ufer des Dscherrahi oder des Ab‘ Ergun in die Berge reiten, durch deren Pässe ein Weg nach Schiras führt. Jetzt saßen wir unweit des Zollgebäudes in dem Kahwehane7, das neben dem Tor in der Mauer liegt. Wir hatten die Pferde in dem engen, schmutzigen Hof stehen und warteten auf den Fährmann, der uns ans linke Ufer des Schatt el Arab bringen sollte. Der gute Mann hatte soeben erst jemanden übergesetzt und behauptete, sich nun ein wenig ausruhen zu müssen. Dagegen war nichts zu machen.

Die Wände des Kaffeehauses bestanden aus geflochtenem Rohr, sodass wir in unserem kleinen Hinterzimmer alles hören und sehen konnten, was in der eigentlichen Gaststube vorging. Dort saß der Wirt faul auf einem Kissen und dämmerte vor sich hin, während der ‚Kellner‘, ein junger Somali, die an der Wand hängenden Tschibuks8 der Reihe nach herabnahm und für die erhofften Gäste auf Vorrat stopfte. Es herrschte lautlose Stille. Nur zuweilen klang von dem Dampfer, der gegen Abend nach Karatschi oder Bombay in See gehen sollte, ein lautes Befehlswort herüber. Dann ertönte die begrüßende Stimme einer Schiffspfeife. Ein zweiter Dampfer kam, wir konnten ihn jedoch nicht sehen. Und wir ahnten nicht, dass er uns eine große Überraschung bringen sollte.

Es waren kaum zehn Minuten seit dem Pfeifensignal vergangen, als wir nebenan einen neuen Gast eintreten hörten. Wir hatten keine Veranlassung, uns um diesen Mann zu kümmern. Nur aus Langeweile warfen wir einen Blick durch die Rohrwand und schon wollte Halef aufspringen und einen Ruf der Verwunderung ausstoßen. Ich schloss ihm aber rasch mit der Linken den Mund und drückte ihn mit der Rechten auf sein Sitzkissen nieder.

„Still, ganz still, Halef!“, flüsterte ich. „Wir wollen erst einmal abwarten, wie er, der weder Arabisch noch Türkisch spricht, sich hier benehmen wird.“

Der neue Gast war eine auffällige Erscheinung. Seine Gestalt war lang und knochig. Auf seinem schmalen Kopf saß ein hoher, grauer Zylinder. Ein unendlich breiter Mund legte sich einer scharfen, langen Nase quer in den Weg, als wollte er verhindern, dass sie sich bis zum Kinn hinabbog. Wenn dazu noch gesagt wird, dass diese Nase von den Spuren einer Aleppobeule verschönert wurde, so wird der Kenner dieser Reiseerzählungen erraten, wer der Fremde war, kein anderer nämlich als mein Freund David Lindsay, der millionenreiche, spleenige Lord, mit dem ich schon so manches Abenteuer erlebt hatte. Er war sichtlich noch ganz der Alte. Alles an ihm war graukariert, der Schlips, die Weste, der Rock, der Gürtel, die Beinkleider und die Gamaschen. Auf seinem Rücken hing in einem graukarierten Überzug ein ungewöhnlich großes Gewehr und in der Hand trug er ein kleineres, gleichfalls in einer graukarierten Umhüllung.

„Salâm!“, grüßte er kurz und ließ sich mit steifer Würde auf eines der Sitzkissen an der Wand nieder. Dann gab er dem Somali einen befehlenden Wink.

„Tschibuk!“

Der ostafrikanische Jüngling nahm eine der gestopften Pfeifen, schob die Spitze in den Mund, legte ein Stück glühende Holzkohle auf den Tabak und sog ihn in Brand. So reichte er dem Fremden den Tschibuk.

„Chanzir9!“, fuhr ihn der Engländer an und schlug ihm die Pfeife aus der Hand, dass sie dem Wirt vor die Füße flog.

Der Kahwedschi10 begriff den Grund dieser Ablehnung.

„Der Fremde ist ein Inglis“, erklärte er dem verdutzten Somali, „und will den Tschibuk nicht aus deinem Maul haben. Er brennt sich den Tabak selber an.“

Also wurde dem Gast ein zweiter Tschibuk gereicht. Aber es dauerte nicht lange, so flog er dem ersten nach.

„Duchan battal11!“, schimpfte Lindsay.

Und so ging es weiter. Er ließ sich Kaffee bringen, kostete einen Schluck und goss die Tasse aus.

„Kahwe battaldschiddan12!“

Dann schien er darüber zu grübeln, was er noch bestellen könne. Dem Gentleman war es offenbar peinlich, in einem Gasthaus zu sitzen, ohne etwas zu verzehren. Endlich war ihm ein Einfall gekommen.

„Frank Kahwe13!“, verlangte er.

„Habe ich nicht“, brummte der Wirt.

„Kakao!“

„Weiß nicht, was das ist.“

„Sherry!“

„Das verstehe ich nicht.“

Da öffnete Lindsay den Mund zu einem sperrangelweiten Gähnen und seine Nasenspitze blickte tief in das klaffende Loch, ob nicht doch noch ein Wunsch daraus erscheinen würde. Und er kam auch.

„Scherbett!“, erklang das erlösende Wort.

Der Somali brachte das verlangte Zuckerwasser mit Fruchtsaft und bekam dafür ein so reichliches Trinkgeld zugeworfen, dass er sich dreimal tief verneigte. Lindsay aber kostete auch diesen Trank, einen Schluck und noch einen; dann warf er einen Blick in das Gefäß und schien vor Entsetzen zum Steinbild zu erstarren.

„The devil! Das ist ja ein – ein – wie heißt snail auf Arabisch?“

Der Wirt erhob sich langsam und trat hinzu.

„Ist etwas in dem Scherbett? Lass sehen! – Ach so, eine Bazzaka14, eine ganz kleine Bazzaka! Nur so lang wie mein Mittelfinger! Deshalb brauchst du dich nicht zu ekeln. Allah hat sie ebenso geschaffen wie dich und mich. Gib her! Es wäre schade um das süße Getränk.“

Er langte die Schnecke heraus, zertrat sie und trank die Limonade bis auf den letzten Tropfen aus. Lindsay schüttelte sich. Seine Nase, die sich mit ihren Regungen bekanntlich in steter Übereinstimmung mit den Gefühlen seines Herzens befand, hing trauernd und voll Abscheu nieder.

„Ist dir übel geworden?“, forschte der menschenfreundliche Wirt. „Dann rate ich dir, einen Araki zu trinken.“

Da fuhr Lindsay auf.

„Ja, einen Araki will ich haben. Aber klein darf er nicht sein.“

„Er wird so groß sein, dass ich auch mittrinken kann.“

„Wenn du auch trinken willst, so lass dir einen gesondert kommen.“

„Und für mich auch einen?“, meldete sich der somalische Mundschenk.

„Meinetwegen.“

Der Junge holte die Branntweinflasche und goss drei mächtige irdene Näpfe voll. Lindsay fand den Araki ausgezeichnet und trank vorsichtig ab und zu einen Schluck. Die beiden Moslimen aber hatten Kehlen wie die irländischen Vollmatrosen. Sie schluckten, als hätten sie Wasser vor sich stehen. Die Wirkung blieb denn auch nicht aus. Den Somali machte der Branntwein zunächst still, der Wirt aber wurde lebhaft. Er rückte immer näher an Lindsay heran und schwatzte von allem Möglichen und Unmöglichen. Der Engländer ging darauf ein, wohl um des Sprachstudiums willen. Es ist bereits gesagt, dass er unseres Wissens weder Türkisch noch Arabisch verstand. Nun aber hörten wir zu unserer Überraschung, dass er sich ganz leidlich auf Arabisch unterhalten konnte. Er musste sich, seit wir einander zum letzten Mal begegnet waren, mit dieser Sprache eifrig beschäftigt haben.

Im Laufe des Gesprächs wurden auch die benachbarten Zollgebäude erwähnt. So kam die Rede auf Steuern und Zölle und schließlich auch auf die Schmuggelei. Der Wirt, den der Branntweingenuss unvorsichtig machte, erzählte verschiedene Heimlichkeiten, die ihn als Mitwisser der Pascher kennzeichneten. Er rühmte sich, noch viel mehr sagen zu können, wenn er nur wolle, und streckte Lindsay schließlich die Rechte hin.

„Sieh diesen Ring an meinem Finger! Wenn er nicht stumm wäre, könnte er dir Geheimnisse offenbaren, über die du staunen würdest.“

Jetzt horchte ich auf. Was für ein Ring war das? Etwa eines jener geheimen Bundesabzeichen der Sillan? Diese Ringe, von denen ich in den bisherigen Kämpfen mit den ‚Schatten‘ zwei goldene und einige silberne erbeutet hatte und bei mir trug, kennzeichneten sich sämtlich durch eine achteckige Platte, die anstelle des Ziersteins angebracht war. Sie war mit arabischen Buchstaben versehen, einem Sa mit einem Lam verbunden, darüber das Verdoppelungszeichen. Das ergab das Wort Sill, Schatten. Ich hatte bisher nicht auf die Hände des Kahwedschi geachtet. Jetzt spähte ich aufmerksam hinüber, konnte aber nichts Genaues erkennen. Auch Halef war in Spannung geraten. Er drückte den Kopf so dicht an die Rohrwand, dass das Geflecht knisterte.

„Ist jemand da draußen?“, fragte der Engländer. „Ich hörte ein Geräusch.“

„Allah w’ Allah!“, besann sich der Wirt. „Es sind zwei fremde Männer drüben, die Kaffee trinken. Ihre Pferde stehen im Hof. Echtes Radschi Pack15!“

Nun war es vorbei mit unserem Versteckspiel. Ich trat kurz entschlossen in die Öffnung der Verbindungstür und streckte Lindsay beide Hände entgegen.

„Sir David! Welcome in der alten Dschesireh16! Wer hätte das geahnt!“

„Welcome, Mister Englishman!“, meldete sich auch Halef, der voll Stolz einige englische Brocken aus seinem Gedächtnis hervorkramte. „We are vor Freude über diese Begegnung tief gerührt. Kommst du aus deinem native country? Oder hat dich Allah aus einem anderen Land zu uns geführt?“

Lindsay stand zunächst starr, keines Wortes fähig. Dann aber löste sich der Bann. Er schlang die ewig langen Arme um mich und drückte mich an sich. Halef musste sich mit einem derben Händeschütteln begnügen. Und dabei konnte sich der sonst so wortkarge Lord nicht genugtun in Versicherung seiner Freude über dieses Wiedersehen. Der Wirt und der Somali standen verwundert dabei und wussten nicht, was sie aus uns machen sollten.

Als sich der erste Begrüßungssturm gelegt hatte, setzten wir uns in dem kleinen Hinterzimmer zusammen. Lindsay verfiel jetzt wieder in seine knappe, abgerissene Ausdrucksweise, die er auch im Arabischen beibehielt.

„Ist ein großer Festtag heute. Möchte ihn feiern. Mit einem Willkommenstrunk.“

„Hier? Wo nichts zu haben ist?“

„Nichts? Ist ein Irrtum. Arak ist da, Wasser, Zucker und Feuer auch. Zitronen wird der Wirt beschaffen können. Werde einen Punsch brauen.“

Er wandte sich an den Kahwedschi und erfuhr, dass er alles Nötige haben könne. Auch selber bereiten durfte Lindsay den Trank, so ging er denn ans Werk. Der Somali musste ihm einige Handreichungen leisten. Der Wirt sah ihm gespannt zu. Dabei hielt er die Hände über dem Leib gefaltet, sodass ich den Ring unauffällig betrachten konnte. Er war von Silber und trug wirklich die achteckige Platte mit den Zeichen der Sillan. Der Mann gehörte also jener geheimen Gesellschaft an, deren Treiben wir auf der Spur waren.

Der Punsch war dem Lord vortrefflich geglückt. Er bot in seiner freigebigen Weise dem Wirt und dem Somali auch ihr Teil an, und als er sah, wie entzückt sie über das unbekannte Labsal waren, erlaubte er ihnen, sich nebenan auf seine Rechnung eine neue Auflage zu bereiten. Wie es gemacht wurde, hatten sie ja gesehen.

So waren wir die beiden los und konnten ungestört plaudern. Zunächst sprach ich Lindsay meine Anerkennung über seine neu erworbenen arabischen Sprachkenntnisse aus. Besonders Halefs wegen, der kein Englisch verstand, war es eine große Annehmlichkeit, die Unterhaltung arabisch führen zu können. Lindsay schmunzelte, sodass seine Nase in die lebhafteste Bewegung geriet, und nickte dazu.

„Well! Habe aber auch geschuftet wie ein Pferd. Oder besser, wie ein Ochse. Zugochsen arbeiten auch mit dem Kopf. Hatte meinen Grund. Wollte wieder mit euch reisen. Letzter Brief von dir wurde mir aus Kapstadt nachgeschickt. Stand drin, dass du zu Halef und nach Persien wolltest. Ich also nach Deutschland, um dich abzuholen.“

Der Lord nannte mich, da er Arabisch sprach, natürlich du.

„Nicht möglich.“

„Sehr möglich. War dort. Du aber schon fort.“

„Ah, nun errate ich alles. Du bist mir nach?“

„Nicht eigentlich. Kannte deinen Weg ja nicht. Also nach Wien, Triest mit Bahn; Triest, Suez, Bombay mit Schiff; Bombay, Buschir, Bagdad wieder mit Schiff. Dann Haddedihn suchen und nach dir fragen.“

„Das war ein kühner Plan. Der Weg war gefährlich, und ob du die Weideplätze der Haddedihn gefunden hättest...“

„Pshaw! Bin kein Kind. Nun aber unnötig. Dampfer legte für einige Stunden hier an. Ich an Land, weil es an Bord zu langweilig war. Nun gemeinsam nach Persien. Ihr nehmt mich doch mit?“

„Das bedarf keiner Frage. Aber...“

„Kein Aber! Gehe mit euch. Welches Reiseziel?“

„Zuerst Schiras, dann Isfahan, Teheran.“

„Well! Abgemacht! Was für Zwecke verfolgst du?“

„Wie immer! Ich will Land und Leute kennenlernen, um darüber zu schreiben. Allerdings hat sich auch noch ein besonderes Ziel für uns ergeben. Es gilt die Entlarvung einer geheimen Verbrechergesellschaft, mit deren Mitgliedern wir bereits heftig zusammengeraten sind.“

„Excellent! Ausgezeichnet! Abenteuer! Erzähle!“

„Die Leute nennen sich Sillan, Schatten. Das Oberhaupt der Bruderschaft wird als Ämir-i-Sillan, Fürst der Schatten, bezeichnet. Die Unteranführer haben den Titel Pädärân17. Wir haben da zum Beispiel mit einem Pädär-i-Baharat zu tun gehabt, was ‚Vater der Gewürze‘ bedeutet. Diese Sillan paschen nämlich unter anderem auch Gewürze wie Safran und Saflor aus Persien, wo ihr Hauptsitz zu sein scheint, über die Grenze. Aber sie treiben vermutlich auch sonst allerlei dunkle Dinge. Wir haben das erfahren, indem wir einem ihrer Obersten, der sich Säfir18 nannte, das Handwerk legten. Nun sind wir drauf und dran, die Spuren dieser Bande bis nach Persien hinein zu verfolgen.“

Es war deutlich zu sehen, wie stark mein Bericht den Engländer fesselte. Seine Nase war der Gradmesser dafür. Sie fuhr hin und her wie eine Magnetnadel. Er wollte alles bis in die Einzelheiten wissen und das war Wasser auf Halefs Mühle.

„Sihdi“, bat er, „überlass das Erzählen mir! Du weißt, dass mir Allah die Gabe der blühenden Rede und den Vorzug der packenden Darstellungskraft verliehen hat. Ich werde gewiss nichts vergessen, und wenn ich mit meiner Schilderung unserer Taten fertig bin, wird es sein, als hätte der Zuhörer selbst an unseren Abenteuern teilgenommen.“

Ich tat ihm den Willen und schickte nur eine Mahnung voraus.

„Aber fasse dich kurz! Wir wollen nicht noch stundenlang hier sitzen bleiben. Und sprich vor allem leise, wie ich es getan habe! Die beiden Zecher nebenan dürfen nichts davon hören.“

„O Sihdi“, lächelte er, „die zwei werden nicht auf unser Gespräch achten. Horch, was für eine fromme Wirkung der Raki mit dem heißen Zuckerwasser bei ihnen hervorbringt!“

Er hatte Recht. Der Wirt sang nebenan in einem fort: „Allahu! Allahu! Allahu!“ Er ahmte die heulenden Derwische nach und der Ostafrikaner schrillte dazu in den höchsten Fisteltönen allerlei dummes Zeug.

Halef konnte also getrost beginnen. Seine Rede war wie gewöhnlich ein Meisterstück blumiger, morgenländischer Schilderungskunst. Seine Vergleiche forderten, so ernst sie auch gemeint waren, ständig die Heiterkeit heraus. Er ließ unser Heldentum im hellsten Licht erstrahlen, das seinige nicht zuletzt, und gab dem Ganzen eine Fassung, die die Spannung des Zuhörers auch nicht eine Minute erlahmen ließ. Es ist unmöglich, seinen Bericht auch nur annähernd wiederzugeben. Lediglich vom Tatsacheninhalt sei kurz das Notwendigste gesagt.

Auf unserer Fahrt den Tigris abwärts hatten wir einmal des Nachts am Ufer gelagert und dort drei Perser belauscht, die gleichfalls stromab gekommen waren. Sie bezeichneten sich als Sillan und sprachen vom Safran- und Saflorschmuggel und von ihrem Oberhaupt, dem Ämir-i-Sillan. Mit dessen Amtsführung zeigten sie sich unzufrieden. Es war von einer Verschwörung die Rede, die bei Gelegenheit einer Versammlung der Pädärân an einem Duschämbä-i-Mäwâdschib19 in der Ruine der Mädschmä-i-Yähud20 losbrechen sollte. Der eine von den dreien war eben jener Pädär-i-Baharat. Durch eine Unvorsichtigkeit Halefs, die der Kleine in seinem Bericht freilich schlau zu bemänteln verstand, wurden die Perser auf uns aufmerksam. Der Pädär gab sich für einen Schahsahdä aus, für einen Verwandten des Schah von Persien, nannte sich Kaßim Mirza21 und trat so großsprecherisch und rüpelhaft wie nur möglich auf. Das reizte den Hadschi. Und als der Perser dann erfuhr, ich sei ein Christ, beschimpfte er mich gar in der unflätigsten Weise. Da zog Halef, den der Perser auch noch einen Zwerg genannt hatte, dem Frechling die Peitsche übers Gesicht. Wir schlugen die drei schließlich nieder und fesselten sie. Ich entdeckte ihre Ringe, einen goldenen und zwei silberne, und nahm sie ihnen, um sie scheinbar ins Wasser zu werfen. In Wahrheit behielt ich sie heimlich. Am andern Tag ließen wir die drei wieder los. Sie lauerten uns zwar unterwegs auf, konnten aber nichts ausrichten. Wohlbehalten erreichten wir Bagdad.

Hier machte Halef eine Pause, um erst einmal die Wucht seiner Schilderungen wirken zu lassen. Lindsay strahlte über das ganze Gesicht.

„Excellent! Indeed!“, schmunzelte er. „Werde helfen, diesen Sillan ihre Schurkereien heimzuzahlen. Du hast also die Spur dieser Leute nicht verloren?“

„Langsam! Langsam!“, wehrte ich ab. „So weit ist es noch gar nicht. Die Hauptsache kommt erst noch. Wir wohnten nämlich in Bagdad bei einem früheren türkischen Offizier. Er war später Zollbeamter gewesen und mit den Sillan zusammengeraten. Sie hatten ihn gefangen, ihm sein Vermögen abgenommen und ihm einen Schwur erpresst, über alles zu schweigen. Der Pole...“

„Halt!“, unterbrach mich Lindsay. „Wieso Pole? Denke, es war ein Türke?“

„Nur türkischer Offizier, Binbaschi22, dann Beamter beim Zoll. Es hieß Dozorca, war ein polnischer Flüchtling.“

„Zum Islam übergetreten?“

„Ja.“

„Miserabel! Gesinnungslos!“

„Gewiss! Aber er hat es auch gebüßt. Er wurde überhaupt glaubenslos, haltlos. In politischen Wirren wurde er von Frau und Kindern getrennt. Die Seinen sind seitdem verschollen. Ein unglücklicher Mensch.“

„Du vergisst, Sihdi“, schaltete sich Halef ein, „dass es der Erhabenheit unserer Vorzüge und der Unwiderstehlichkeit unseres Mutes beschieden war, dem Polen die Hälfte des verlorenen Glückes wiederzuverschaffen. Er wurde durch unser Eingreifen zum Mir Alai23 befördert und erhielt sein Vermögen zurück. Soll ich nicht weitererzählen?“

Ich ließ ihn den Bericht unserer Erlebnisse zu Ende bringen. Die Hauptrolle in den Schicksalen Dozorcas hatte auf Seiten der Sillan jener bereits erwähnte Säfir gespielt, ein wahres Scheusal in Menschengestalt. Ihm begegneten wir, Halef und ich, in Hille. Es ging hart auf hart. Wir gerieten sogar in seine Gefangenschaft. Im Innern der Ruinen des Birs Nimrud hielt er uns fest. Aber wir entkamen und räumten die Ruinen aus, das Warenlager der Pascher, eine reiche Schatzkammer. Der Säfir, dem ich seinen goldenen Ring gleichfalls abgenommen hatte, endete durch Selbstmord. Der Pädär-i-Baharat, der auch hier wieder auftauchte, kam ins Gefängnis. In einer Schatztruhe im Schmugglerversteck fand sich unter anderem auch das Vermögen unseres Binbaschi, das wir selber ihm wieder aushändigen konnten.

Das war so etwa der Inhalt von Halefs Bericht.

„Mein Sihdi aber hat dem Polen noch mehr Hoffnung gemacht“, schloss er mit einem listigen Schmunzeln. „Er hält es nämlich für möglich, dass wir in Persien die verschollene Familie des Vereinsamten aufspüren und...“

„Halt!“, unterbrach ich ihn. „Das ist zu viel gesagt. Hoffnungen habe ich Dozorca nicht gemacht. Ich habe ihm gegenüber nur betont, dass Gottes Wege wunderbar sind, was er ja auch schon erfahren hat, und dass er im Gebet zu Gott zurückfinden muss, wenn er aus tiefem Leid wieder aufsteigen will. Und nun mag es genug sein. Der Fährmann kann jeden Augenblick erscheinen. Wir müssen an den Aufbruch denken. Unsere Pferde stehen bereit. Du aber“ – das galt dem Engländer – „musst dir hier ein Reittier zu kaufen suchen.“

„Hm!“, brummte Lindsay. „Werden sehen. Erst einmal hinüber zum Dampfer.“

„Dein Gepäck holen?“

„Hm! Werden sehen.“

Ich ließ ihm den Willen. Er war nun einmal ein Sonderling. Er ging und ich war mit Halef nun wieder allein. Diese Gelegenheit benützte ich, ihm mitzuteilen, dass ich an der Hand des Kahwedschi den Ring der Sillan bemerkt hatte.

„Sihdi“, fuhr er auf, „so erlaube, dass ich einen von den silbernen Ringen anstecke, die du erbeutet hast, und es so einrichte, dass ihn der Wirt sieht! Ich möchte wissen, wie er sich dann verhält.“

„Das ist bedenklich. Wir dürfen mit diesen Ringen nicht spielen.“

„Das will ich auch nicht. Du hörst ja an dem Gebrüll, dass der Wirt betrunken ist. Es ist also keine Gefahr. Er wird hinterher nichts mehr von alledem wissen. Vielleicht erfahren wir etwas.“

„Es wäre möglich. Ich darf mich allerdings nicht für einen Sill ausgeben. Er hat vorhin gehört, dass ich ein Freund des Engländers und ein Europäer bin.“

„Aber mich kann er nicht für einen Franken halten. Darf ich mit ihm sprechen?“

„Meinetwegen. Aber sei vorsichtig! Wenn du sagst, du seist ein Sill, so darf der Wirt nicht denken, ich oder Lindsay als deine Gefährten wüssten etwas davon.“

„Ich werde das beachten. Darf ich jetzt gleich zu ihm?“

„Nein. Erst, wenn der Engländer wieder da ist. Jetzt würde es auffallen, dass du mich allein lässt und hinter meinem Rücken von Dingen plauderst, die ich nicht wissen darf.“

Nach verhältnismäßig kurzer Zeit tauchte Lindsay wieder auf. Da er genau so vor mir stand, wie er gegangen war, fragte ich nach seinem Gepäck.

„Habe keins“, erklärte er. „War früher allerdings so dumm, mich mit allerlei unnötigen Dingen zu schleppen. Mache es jetzt aber so wie du: Anzug auf dem Leib. Mantel, Waffen, Geld, weiter nichts.“

„Dann hättest du dir eigentlich den Weg zum Schiff sparen können.“

„War auf dem andern Dampfer, der gegen Abend nach Bombay geht. Wird uns mitnehmen und in Buschir absetzen. Habe bereits drei Plätze bezahlt. Auch mit Kapitän wegen eurer Pferde gesprochen. Alles abgemacht. Well!“

„Oho! Du hast ja gar nicht gefragt, ob wir nach Buschir wollen.“

„Wollt nach Schiras. Bequemster und kürzester Weg dorthin von Buschir. Werden fahren. Mag doch nicht umsonst bezahlt haben.“

Nach einigem Hin und Her willigte ich ein. Es hatte etwas für sich, seinem Plan zu folgen.

„Gut! Gehen wir also mit dem Dampfer nach Buschir. Der Weg von dort nach Schiras ist sicher auch lohnend. Halef, wenn du mit dem Wirt reden willst, jetzt ist es Zeit.“

Der Kleine verschwand eiligst. Ich aber benützte das Alleinsein mit Lindsay, ihm wegen seiner Eigenmächtigkeit Vorwürfe zu machen, natürlich in aller Höflichkeit, wie es sich unter Freunden erst recht gehört. Nur ungebildete Menschen glauben, sich lediglich Fremden gegenüber zusammennehmen zu müssen. Er zog die Brauen hoch und ließ mich ruhig ausreden. Dann erst rechtfertigte er sich.

„Hatte meine Gründe“, sagte er in englischer Sprache, weil wir jetzt unter uns waren. „Hätte ich Euch erst gefragt, so hättet Ihr abgelehnt, damit ich nicht für Euch bezahlen sollte.“

„Das ist allerdings wahrscheinlich. Ich liebe es nicht, dass Ihr immer für mich in die Tasche greift. Das bringt mich in eine Art Abhängigkeit und schafft Verpflichtungen, die...“

„Pshaw!“, unterbrach er mich. „Redet nicht von Verpflichtungen! Jeder gibt, was er hat. Ich stelle Euch mein Geld zur Verfügung, Ihr mir die Schätze Eurer Erfahrung, Eures Wissens, Eurer Kenntnis von Land und Leuten. Damit sind wir quitt.“

„Hm! Wenn Ihr es so meint, will ich es gelten lassen.“

„Denke es auch. Sprechen wir lieber von etwas anderem. Was will Halef bei dem Wirt?“

Ich gab ihm die gewünschte Auskunft. Nun brachte er allerlei Fragen vor über den Geheimbund der Sillan, die ich ihm jedoch nur zum Teil beantworten konnte. In Bezug auf die eigentlichen Ziele dieser Gesellschaft, auf ihr Oberhaupt, den Ämir-i-Sillan, auf die Lage der erwähnten Mädschmä-i-Yähud, wo sich die Verschwörer versammeln wollten, und vieles andere tappte ich ja selber noch im Dunkeln, wenn ich mir über dies und das auch schon meine Gedanken gemacht hatte. Auch Lindsay wollte sich in Vermutungen ergehen. Er war Feuer und Flamme für den Ritt nach Persien und hoffte auf unerhörte Abenteuer.

Da machte Halefs Rückkehr unseren Erörterungen ein Ende.

„Nun, wie steht’s?“, forschte ich, da ich in seinem Gesicht das Lächeln des Stolzes über einen großen Erfolg vermisste. „Wo ist der Wirt?“

„Er ruht in den Armen des heißen Zuckerwassers und hat den Raki als Kissen unter den Kopf genommen.“

„Und der Somali?“

„Bei dem ist es umgekehrt. Er liegt im Raki und hat das Zuckerwasser als Ruhekissen. Ihre Seelen lustwandeln im Reich der Träume und aus ihren Kehlen erschallt die Musik aller Himmel Mohammeds. Horch!“

Als wir still waren, hörten wir ein kräftiges Sägen und Schnarchen.

„Das ist der Somali“, erklärte Halef. „Er liegt mit dem Kopf in der Holzkohlenasche und schneidet mit dem Minschar24 seines Gaumens Baumstämme auseinander.“

„Und der Kahwedschi?“

„Er kletterte mit mir auf einer Leiter unters Dach hinauf, um mir dort etwas zu geben. Als wir wieder hinabsteigen wollten, täuschte ihm der Raki ein tiefes Wasser vor. Er sagte, wenn ich ertrinken wolle, möchte ich hineinspringen. Er werde vorsichtig auf dem Trockenen bleiben. Dann sank er friedlich zu Boden.“

„Was hat er dir gegeben?“

„Einen Brief.“

„An wen?“

„Das weiß ich nicht.“

„Wer hat ihn geschrieben?“

„Auch das ist mir unbekannt. Es stehen die Zeichen des Ringes darauf. Hier ist er.“

Er reichte mir ein viereckig zusammengefaltetes und mehrfach versiegeltes Papier. Auf der Anschriftseite sah ich ein mit Tinte geschriebenes Sa, das mit einem Lam verbunden war; darüber stand das Verdoppelungszeichen.

„Er muss dir aber doch gesagt haben, für wen der Brief bestimmt ist“, forschte ich.

„Das hat er auch getan. Der Mann, der ihn bekommen soll, heißt Ghulam.“

„Was ist er?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wo wohnt er?“

„Das habe ich erst recht nicht erfahren.“

„Höre, lieber Halef, du scheinst in dieser Angelegenheit nichts weniger als allwissend zu sein.“

„Dafür kann ich nichts, Sihdi. Das heiße Zuckerwasser mit Raki ist schuld daran. Der Kahwedschi wollte mir vieles anvertrauen, aber die Geheimnisse dieses Mannes waren infolge seiner Betrunkenheit so geheim, dass er sie selber nicht mehr kannte. Ich glaube nicht, dass du an meiner Stelle mehr erfahren hättest.“

„Möglich! Erzähle mir alles richtig der Reihe nach! Der Somali schnarchte also schon. Du setztest dich zu dem Wirt. Weiter!“

„Ich war ihm sehr willkommen und er begann sofort eine Unterhaltung. Vor allem wollte er wissen, wer ihr seid. Ich gab dich für den ersten Minister des Kaisers von Sitschilia25 und Mr. Lindsay für den obersten Sterndeuter des Kaisers von Antakije26 aus. Von mir selbst sagte ich, ich sei ein Montefik-Araber und von euch gemietet, euch nach Buschir und Schiras zu geleiten. Dass ich ihm unser Reiseziel verraten hatte, wollte ich eigentlich sogleich als eine Unvorsichtigkeit bereuen, aber es zeigte sich, dass mir grad diese Ortsnamen sein Herz geöffnet hatten. Während unserer freundlichen Plauderei hielt ich meine Hand so, dass er den Ring sehen musste. Das dauerte freilich lange, denn der Araki hatte die Zahl seiner Augen so vermehrt, dass er, wie er mir gestand, alles doppelt und dreifach sah. Als er aber den Ring schließlich doch entdeckte, war der Eindruck gewaltig. Er begrüßte mich als Sill, als Verbündeten. Dazu hielt er mir eine lange Rede. Ich konnte jedoch von hundert Worten immer nur zehn verstehen, denn sein Mund glich einer mit Riri27 gefüllten Tandschara28, in der sich die Zunge wie ein Quirl bewegte. Er fragte immer wieder, ob wir wirklich nach Buschir und Schiras wollten, und als ich ständig bejahte, meinte er, dann sei ich wohl der Sill, der den Brief an Ghulam abholen sollte. Auch dazu sagte ich ja und gab vor, dich nur deshalb in dieses Kaffeehaus geführt zu haben, um Gelegenheit zu finden, den Brief in Empfang zu nehmen.“

„Das war richtig, lieber Halef. Schade nur, dass du nicht herausbringen konntest, wer dieser Ghulam ist.“

„Er sagte es nicht und ich durfte nicht fragen, Sihdi. Das wäre verdächtig gewesen. Als angeblicher Bote musste ich doch über den Briefempfänger Bescheid wissen.“

„Auch das ist richtig, aber sehr unangenehm für uns. Ghulam ist zwar ein Name, bezeichnet aber auch einen Stand. Das Wort kommt in Persien ebenso häufig vor wie Halef in Arabien, nämlich als Eigenname. Ghulam ist aber auch ein Diener und unter Ghulam Pätschä versteht man einen jungen Pagen. Ich fürchte, auf diese Weise ist der Brief wertlos für uns, denn öffnen mag ich ihn nicht. Fast möchte ich den Wirt selber einmal ins Gebet nehmen. Da er so sinnlos betrunken ist, macht es nichts aus, dass er mich als einen Europäer kennengelernt hat.“

Lindsay billigte meinen Entschluss und so begab ich mich mit Halef hinaus in den Hof, wo die Leiter noch angelegt war. Wir stiegen nach oben und krochen unter dem Dach in ein enges Loch, an dessen Rand der Wirt lag. Sein Zustand schien schon mehr Betäubung als Schlaf zu sein. Ich steckte den goldenen Ring, den ich dem Säfir abgenommen hatte, an den Finger und rüttelte den Betrunkenen. Das dauerte eine geraume Weile. Dann regte er sich.

„Lass mich in Ruhe!“, knurrte er und wälzte sich auf die andere Seite.

Da nahm ich ihn bei den Schultern, richtete ihn in sitzende Stellung auf und schüttelte ihn so lange, bis er die Augen öffnete. Er starrte mich wortlos an.

„Bist du wach? Kannst du sprechen?“, fragte ich ihn.

„Spre – chen“, wiederholte er gedankenlos.

„Kennst du mich?“

„Du – mich?“

„Weißt du, wer du bist?“

„Du – – bist?“

Jetzt hielt ich ihm den Ring vor die Augen und herrschte ihn an:

„Sieh diesen Ring an! Er wird dir sagen, was ich bin.“

Er stierte erst gleichgültig auf meine Hand. Dann aber wurde er aufmerksam. Er zog meine Finger näher zu sich heran. Nun ging es wie Schreck über sein Gesicht. Er versuchte sich aufzurichten.

„Hasret29 – Hasret!“, stammelte er.

„Wach auf, Mensch! Ermanne dich und reiß dich zusammen! Du bist betrunken.“

„Be – trun – ken!“

„Ja, vollständig betrunken! Und deshalb weißt du nicht, was ich bin.“

„Was – was – ich weiß – weiß sehr gut. – Hasret bist – bist Sill – hoher – sehr hoher Sill.“

„Das ist dein Glück. Und nun besinne dich weiter! Weißt du noch, dass du diesem Sill hier“ – dabei deutete ich auf Halef – „den Brief an Ghulam gegeben hast?“

„Brief? – Nein – nein – habe noch.“

„Weißt du, von wem das Schreiben ist?“

„Ist von – von Esara el – el A’war30. Hat – hat ihn geschrie – schrieben und mir ge – gegeben.“

„Wo ist Esara jetzt?“

„In Kor – Korna, wo – wo er wohnt.“

„Und du erinnerst dich genau, für wen der Brief bestimmt ist?“

„Für Ghu – Ghulam el – el Multasim.“

„Und wo hält sich Ghulam jetzt auf?“

„In – in – – Straße nach – nach –“

Ein gurgelnder oder auch grunzender Laut. Es war zu Ende mit der Selbstbeherrschung des Kahwedschi. Er fiel um, schloss die Augen und lag wieder in tiefer Betäubung. Da war nichts mehr zu machen.

Wir kehrten zu Lindsay zurück, der uns voll Spannung erwartete. Halef erstattete ihm den ersehnten Bericht. Leider hatte er nicht viel Erfolg zu melden.

„Dummer Kerl, dieser Kahwedschi“, murrte der Engländer. „Grad mitten in der wichtigsten Mitteilung wieder einzuschlafen!“

„Ich bin dennoch zufrieden“, erklärte ich. „Wir haben jetzt Namen und Wohnort des Briefschreibers erfahren und wissen, dass er einäugig ist. Das kann unter Umständen schon von großem Wert sein. Weiter wissen wir, dass Ghulam in unserem Fall ein Name und keine Standesbezeichnung ist. Von Beruf ist der Mann Multasim; das bedeutet Pächter, namentlich Staatsgutpächter. Und da in Persien die Zölle verpachtet sind, wird dieser Ghulam wohl ein Zollpächter sein. Das muss uns einstweilen genügen. Mehr ist hier nicht zu erfahren. Der Betrunkene wird so bald nicht wieder erwachen, und wenn er sich dann ernüchtert, würde er erst recht nichts verraten. Wollen trachten, dass wir auf den Dampfer kommen!“

„Well“, nickte Lindsay. „Müssen aber erst bezahlen. Alles schläft. Dumme Sache.“

„Nicht doch! Wir schreiben auf einen Zettel, was wir bekommen haben, schätzen das ab, wickeln den Betrag in den Zettel und stecken Rechnung und Geld dem Wirt in die Tasche.“

So wurde es auch wirklich gemacht. Als wir dann vors Haus traten, kamen zwei Männer auf uns zu, beide sonnenverbrannt, echte Söhne Old Englands. Den einen hielt ich für einen Seemann. Der andere war ganz in Weiß gekleidet, trug auf dem Kopf einen Tropenhelm mit blauseidenem Schleier und auf der Nase einen Klemmer an einer starken goldenen Kette. Er war die verkörperte Selbstsicherheit und Selbstzufriedenheit.

Sie blieben beim Anblick unsrer Pferde stehen.

„Herrliche Tiere!“, meinte der Seemann.

„Araber!“, wehrte der andere ab. „Ungeschultes Vieh! Nur der Engländer kennt wohlüberlegte Zucht. Wir von der Reiterei verstehen uns auf so etwas.“

Sie sprachen Englisch. Jetzt aber wendete sich der Weißgekleidete in arabischer Sprache an uns.

„Wer seid ihr?“

Er bekam keine Antwort.

„Wer ihr seid, habe ich gefragt.“

Der kleine Hadschi kehrte mir sein Gesicht zu.

„Ja istiksa – welch eine Neugier! Wer ist dieser Mensch, der nur die Grobheit, aber keinen Gruß auf den Lippen hat?“

Der Engländer schien das Arabische besser zu verstehen, als er es sprach. Er hob die Hand gegen Halef.

„Mensch nennst du mich? Kerl, ich bin General! Soll ich dir meinen Gruß hinter die Ohren schreiben?“

„Lerne erst richtig reden, ehe du zu drohen wagst!“

„Kleine, freche Kröte!“

Da riss Halef die Peitsche aus dem Gürtel, und es hätte gewiss einen unliebsamen Auftritt gegeben, wäre nicht soeben Lindsay hinter uns aus dem Tor getreten.

„Bill! Bist du es wirklich? Du hier in Basra?“, erklang sein verwunderter Ruf.

Wir drehten uns um. Lindsay starrte den General mit grenzenlosem Erstaunen an.

„Ich denke, du bist in Kalkutta!“, fügte er hinzu.

„Davy! Alter Davy!“, rief der Offizier. „Ist es möglich? Ich glaubte dich daheim.“

Diese Begrüßung ließ erkennen, dass sie Freunde, vielleicht gar Verwandte waren, wenn auch keine Zärtlichkeiten unter ihnen ausgetauscht wurden. Es gab nur einen herzhaften Händedruck. Dafür waren sie Engländer.

„Du also bist der Gentleman!“, meinte dann der General.

„Welcher Gentleman?“, fragte Lindsay.

„Der drüben auf dem Dampfer drei Plätze belegt hat.“

„Das stimmt.“

„Musst mir zwei abtreten.“

„Unmöglich, Bill.“

„Pshaw! Wollte eigentlich alle drei haben. Da aber du es bist, sollst du einen behalten.“

„Geht nicht!“

„Muss gehen! Bin zu spät von Kut herabgekommen. Wurde vom Konsul aufgehalten. Bin mit geheimen Aufträgen hier. Weißt du: Maskat – russische und französische Einflüsse – Landverbindung zwischen Konstantinopel und Bagdad bis Schatt el Arab – Beherrschung des Persischen Golfs – – habe schwierige Geschäfte – jede andere Rücksicht muss sich unterordnen. – Hm! Kam den Tigris herab – war in Bagdad – muss nach Buschir – von da nach Schiras und weiter ins Innere von Persien –“

„Das ist ja auch unser Weg!“, unterbrach ihn Lindsay. „Können uns zusammenschließen.“

„Du? Willst auch nach Persien? Well! Nehme grad dich unendlich gern mit. Hörte in Kut von dem englischen Steamer, der nach Buschir geht. Bin sogleich hergeeilt. Erfuhr, dass ein Gentleman die letzten drei Kabinen genommen habe. Er sei hier im Kaffeehaus. Habe die Plätze für mich belegt. Alles muss zurücktreten. Ging aber aus Höflichkeit hierher, es dem Gentleman selber zu sagen. Finde zu meiner Freude dich, alter Davy. Sollst einen Platz behalten dürfen. Werde mich einschränken – dir zuliebe.“

„Aber das ist unmöglich, Vetter“, beharrte Lindsay, sichtlich verlegen. „Die drei Plätze sind für mich und meine Freunde bestimmt.“

Dabei deutete er auf Halef und mich. Der General aber wehrte mit einer Geste der Geringschätzung ab.

„Freunde? Weiß schon, weiß! Wieder einmal deine alte, wohlbekannte Schwärmerei von höherer Menschlichkeit! Bist immer geneigt zu vergessen, welche Kluft zwischen Mensch im niederen und Mensch im höheren Sinn besteht. Wirst dich daheim noch ganz unmöglich machen. Wer sind denn diese Leute? Besonders der Kleine, der Knirps, dem ich soeben eine Ohrfeige geben wollte?“

„Ohrfeige?“, fragte Lindsay betroffen. „Um Gottes willen, versuche das nicht! Es wäre dein Tod.“

„Tod? Bist du bei Sinnen?“

„Sogar sehr! Dieser Araber würde eine solche Beleidigung augenblicklich mit der Kugel oder mit dem Messer beantworten.“

„Pshaw!“

„Gewiss! Er ist Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn, ein berühmter Krieger, der nicht mit sich spaßen lässt.“

„Spaßen? Ist mir auch gar nicht in den Sinn gekommen. Wenn ich Ohrfeigen austeile, so tue ich das im Ernst. Und Scheik? Will nichts besagen. Orang bleibt Orang, auch wenn er der Anführer anderer Orangs ist. Und der zweite Kerl, für den ich völlig Luft zu sein scheine? Unverschämtes Gesicht!“

„Ist Kara Ben Nemsi, wie der Name sagt, Deutscher.“

„Aha! Diese Sorte treibt sich überall herum und ist jedem wahren Gentleman im Weg.“

„Bitte, er versteht unser Englisch.“

„Mir gleichgültig.“

„Aber mir nicht. Wiederhole dir, dass diese Männer meine Freunde sind, mit denen ich nach Persien will. Die beiden Plätze auf dem Dampfer gehören ihnen und ich denke nicht, dass es ihnen einfällt, sie dir abzutreten.“

„Ist auch nicht nötig. Das ist abgemacht. Mögen sich beim Gepäck unterbringen lassen. Dahin gehören sie.“

„Bill, du bringst mich in eine abscheuliche Verlegenheit. Wollen doch erst noch mal an Bord gehen! Muss nachsehen, ob das nicht anders zu ordnen ist.“

„So komm!“

Der General nahm Lindsay beim Arm und wollte ihn mit sich fortziehen. Der Lord aber machte sich wieder frei und trat zu uns, um sich bei mir zu entschuldigen.

„Habt alles mit angehört. Unangenehme Lage für mich. Ist nahe verwandt mit mir. Hochbedeutender Mann! Vortrefflicher Offizier und Diplomat! Steht in Indien. Hat jedenfalls weitgehende Vollmachten. Muss mich fügen. Was meint Ihr dazu?“

Er tat mir leid. Der reine Mensch in ihm kam mit dem Lord in Widerstreit. Aber ich konnte ihm nicht helfen und musste ihm die Wahrheit sagen.

„Für ihn und uns zugleich ist kein Platz an Bord. Ein Zusammenstoß wäre unvermeidlich. Orangs verhalten sich nicht immer so gebändigt, wie es hier bis jetzt der Fall war.“

„Hm! Miserabler Ausdruck von ihm. Bin Euch aufrichtig dankbar, dass Ihr still geblieben seid. Gehe natürlich viel lieber mit Euch als mit ihm. Muss ihm aber doch noch einmal nach. Werde ihm alles klarlegen. Wartet hier, bis ich wiederkomme! Verzichten am besten ganz auf den Dampfer. Werde es so kurz wie möglich machen.“

Er eilte den beiden nach.

„Sihdi“, wunderte sich Halef, „er läuft fort. Was bedeutet das?“

Ich gab ihm kurz Bescheid. Die Beleidigungen verschwieg ich.

„Dieser Inglis hob die Hand gegen mich“, grollte er. „Er ahnte nicht, was er dabei wagte. Du sagst mir, er sei ein Verwandter deines Freundes. Darum will ich schweigen. Komm, werden ein Stück da hinübergehen, damit wir Lindsay rechtzeitig sehen, wenn er zurückkehrt.“

Wir entfernten uns mit den Pferden so weit von dem Kaffeehaus, dass wir freien Ausblick nach dem Dampfer hatten. Dort setzten wir uns nieder, um zu warten. Die Abfahrtszeit des Schiffes war noch nicht da. Aber es ließ trotzdem schon nach wenigen Minuten dreimal die Pfeife schrillen und setzte sich in Bewegung.

„Fährt der Dampfer fort?“, fragte Halef verwundert.

„Wie es scheint.“

„Mit Lindsay? Er ist doch noch nicht wieder an Land gegangen.“

„Allerdings sonderbar! Komm, lass uns sehen!“

Wir saßen auf und ritten die kurze Strecke bis zum Strand hinab. Der Steamer hatte schon das tiefe Fahrwasser gewonnen. An der Reling stand Lindsay und winkte uns lebhaft zu.

„Kann nicht dafür!“, rief er herüber. „Bin überlistet worden. Soll ich ins Wasser springen und ans Ufer schwimmen?“

„Nein!“, wehrte ich. „Bleibt!“

„Well! Lebt einstweilen wohl! Werde in Schiras auf Euch warten. Auf Wiedersehen!“

Ja, wir sollten uns in Persien wiedersehen. Nur sollte sich dieses Treffen ganz anders gestalten, als es sich David Lindsay jetzt dachte.

„Ist das Schiff wirklich abgegangen?“, forschte Halef.

„Ja. Man hat Lindsay nichts davon gesagt. Nun muss er mit.“

Da schlug Halef, froh wie ein Kind, die Hände zusammen.

„Hamdulillah! Nun habe ich dich wieder für mich allein, Sihdi! Dieser Inglis ist mir lieb, aber dass ich dich mit ihm teilen sollte, raubte mir die rechte Freude an der bevorstehenden Fahrt. Nun sind wir ihn los. Doch was tun wir nun? Noch eine Nacht in Basra bleiben?“

„Nein. Wir müssten dann erst am Kanal hin und nach der Stadt zurück, um unsere alte Wohnung aufzusuchen.“

„Das war ein stinkiges Loch und sollte doch die beste Behausung sein, die es gab. Ich mag sie nicht wiedersehen. Überhaupt möchte ich am liebsten weit fort vom Fluss. Hier brütet überall das Fieber.“

„Ich bin einverstanden. Fahren wir also noch über! Der Fährmann wird nun wohl zur Genüge ausgeruht haben.“

„Und sollte er noch immer zu matt sein, die Arme für uns zu regen, so wird ihm meine Kurbatsch31 mit zauberhafter Schnelligkeit die Fülle der Kraft und den Eifer des guten Willens zurückbringen. Komm, Sihdi!“

Wir ritten nach der Fähre. Der Bootsmann schlief, samt seinen beiden Gehilfen. Wir weckten sie und trieben sie mit gebührendem Nachdruck zur Ausübung ihrer Pflicht. Als wir am anderen Ufer bezahlten und ein kleines Bakschisch32 hinzufügten, waren sie des Lobes über unsere Güte voll.

Solange es hell blieb, trabten wir über die Ebene nach Osten. Als es dunkelte, hielten wir an einem wilden Dattelgestrüpp, um da zu übernachten. Wir befanden uns zwar immer noch im feuchten Stromgebiet, aber die Luft war doch schon besser als in der Stadt. So schliefen wir fest und ungestört und erwachten erst, als die Sonne längst aufgegangen war.

2. Die ‚Unsichtbaren‘

Am andern Tag ritten wir auf leidlich gebahnten Pfaden den Bergen zu, über die unser Weg nach dem persischen Hochland führte. Halef wandte sich bisweilen im Sattel zurück. Dann ließ er wieder den Blick nach den fernen Gipfeln schweifen und atmete tief wie einer, der eine Last von sich abgleiten fühlt. Er, der sonst allzeit Redselige, war auffällig schweigsam. Es musste ihn ein Gedanke beschäftigen, der Zeit brauchte, sich in seinem Kopf zu gestalten.

Und richtig! Als der Weg eine Krümmung machte, die uns den Blick auf die tiefer liegende Küstenlandschaft freigab, warf er die Rechte freudig in die Luft und strahlte mich an.

„Hamdulillah! – Preis und Dank sei Allah, dass endlich diese Niederungen des Fiebers und diese Ebenen der bösen Dünste überwunden sind! Mein Geist frohlockt und mein Körper dehnt sich wieder frei wie die Blüte des roten Mohns, wenn sie die Knospenhülle gesprengt hat. Fühlst du nicht auch, Sihdi, wie rein hier oben die Luft ist?“

„Gewiss“, nickte ich. „An der Küste ist kein gesundes Hausen. Hoffentlich zeigt sich bei uns nicht nachträglich noch eine schlimme Folge unseres kurzen Besuchs da unten.“

„O Sihdi, meine Gesundheit ist so frisch wie der Tag bei Sonnenaufgang und so unverwüstlich wie ein Gebetsteppich aus Farsistan33, und ich hoffe, du wirst die deinige nicht geringer einschätzen.“

Ich lächelte. Er aber deutete das Lächeln falsch und zog die Brauen hoch.

„Ich sehe in deinen Augen die Funken des Gelächters und in deinem Gesicht die Falten der Heiterkeit, Sihdi. Willst du in die Untugend der Zaghaftigkeit und in das Laster der Undankbarkeit verfallen, in dem du deiner und meiner Gesundheit misstraust? Erinnere dich, was wir ihr zugemutet haben und welche Probleme sie schon bestanden hat!“

„Hm! Denk an die Tage mit Hassan Ardschir Mirza, an unsere Krankheit bei den Ruinen des Turms zu Babel!34 Da hatte die Pest unsere Gesundheit in den Krallen wie der Geier die Taube und...“

„Grad daran denke ich“, unterbrach er mich. „Der Geier konnte die Beute nicht halten und die Taube flog froh und lebendig davon. Hast du das vergessen, Sihdi?“

„Ich weiß es. Der Allmächtige rettete uns damals aus schwerster Gefahr. Hoffen und vertrauen wir, dass er seine Hand auch ferner über uns hält!“

Das sagte ich nicht ohne Grund. Ich wusste, dass bisweilen schon ein Aufenthalt von wenigen Stunden in diesen ungesunden Küstenstrichen genügt, um auch in einen widerstandsfähigen Körper den Keim des tückischen Fiebers zu verpflanzen. Noch lag kein Anzeichen vor, das meine Bedenken gerechtfertigt hätte. Im Laufe des Tages aber wuchs meine Besorgnis. Ich selber spürte, obwohl die Sonne beträchtlich warm auf unseren schattenlosen Pfad niederbrannte, von Zeit zu Zeit ein leises Frösteln, das mir eine Gänsehaut über den Leib jagte, und Halef griff bisweilen nach seiner Stirn, als gelte es, dort etwas wegzuwischen, was ihm Unbehagen verursachte.

„Hast du Kopfschmerzen?“, fragte ich ihn, als er die verdächtige Gebärde immer und immer wiederholte.

„Wo denkst du hin, Sihdi?“ Dabei richtete er sich stramm im Sattel auf. „Ich bin Hadschi Halef Omar, der oberste Scheik der Haddedihn vom tapferen Stamme der Schammar. Kann ein solcher Mann Kopfschmerzen haben wie ein altes Weib, dem ein Dschinn35 hinter der Stirn sitzt und versucht, mit einem Hammer die Runzeln und Falten, die Verderber der Schönheit, von innen glatt zu klopfen?“

Ich war geneigt, mich zufrieden zu geben. Wenn Halef in dieser Weise mit seinem Mutterwitz liebäugelte, konnte er sich nicht ernstlich krank fühlen. Aber ich war doch darauf bedacht, die nötige Vorsicht nicht außer Acht zu lassen. Darum machte ich an diesem Tag zeitig Rast. Auch am nächsten Nachmittag sah ich mich beizeiten nach einem geschützten Ort um, wo uns der Nachtwind nicht treffen konnte.

Indem ich das vor uns liegende Gelände prüfend überschaute, bemerkte ich auf dem nächsten Bergrücken eine Senkung, ähnlich den Passkerben im eigentlichen Gebirge. Dort schien es zur Rechten hohe Felswände, zur Linken aber dichten Wald zu geben. Das musste ein Lagerplatz sein, wie wir ihn brauchten. Auch vermutete ich, dass das kleine Wasser, dessen Lauf wir seit einiger Zeit folgten, da oben seinen Ursprung hatte, sodass es uns für die Rast an nichts fehlen würde.

Meine Vermutungen bestätigten sich. Das Wasser führte uns hinauf zu dem erwähnten Pass. Nur erreichten wir ihn nicht so zeitig, wie ich gedacht hatte. Es dämmerte bereits, als unsere Pferde das letzte Stück der Steigung erkletterten.

Ich schwang mich aus dem Sattel, um meinem Tier das Steigen zu erleichtern. Halef folgte meinem Beispiel. Wir schritten jetzt durch einen regelrechten Wald, für die persische Landschaft eine Seltenheit, denn fast nur die Küstengebirge zeigen hier solchen Baumbestand. Die Stämme und Wipfel hinderten die Fernsicht, ein Umstand, der uns in dieser Gegend, wo jedes Zusammentreffen mit Mensch oder Tier eine Gefahr bedeuten konnte, zur Vorsicht mahnen musste. Bisher hatte ich, alter Gewohnheit folgend, ständig nach Spuren ausgeschaut, hatte aber nichts Verdächtiges entdeckt. Nun machte die rasch hereinbrechende Dunkelheit diesem Spähen ein Ende. Da ich jedoch damit rechnen musste, dass uns von der anderen Seite des Passes Menschen entgegenkamen, strengte ich mein Gehör scharf an und vermied auch jede Unterhaltung mit Halef.

Und schon wurde diese Vorsicht belohnt. Vor uns erklang plötzlich ein lauter Ruf. Eine andere Stimme antwortete. Genau zu verstehen war nichts. Dazu befanden sich die Rufenden wohl noch zu fern. Auch verwehte der Wind, der sich pünktlich mit Sonnenuntergang erhob, den leichten Schall. Sogleich wendete ich mich zu Halef um und hob warnend die Hand.

„Vorsicht! Es kommen Menschen.“

„Ich hörte zwei Männer miteinander reden“, gab Halef leise zurück. „Verstecken wir uns?“

„Ja! Rasch dahinüber in die Büsche! Da drüben sind wir sicher. Sie werden den Weg hier am Wasser nehmen. Schnell, mir nach!“

Ich drang rechts in das Gesträuch und zog das Pferd hinter mir her. Halef folgte so geschwind wie möglich. Das ging freilich nicht ohne Geräusch ab. Zweige raschelten, Ästchen knackten. Sobald ich uns geborgen glaubte, hielt ich an.

„Sie werden uns dennoch entdecken“, flüsterte Halef. „Das Rascheln und Knacken...“

„...haben sie nicht gehört. Sie sind noch zu fern.“

„Und unsere Spuren?“

„Die finden sie erst recht nicht. Sieh, wie dunkel es schon ist! Und die Leute da vor uns sind keine nordamerikanischen Indianer, von denen ich dir erzählt habe, dass keine noch so schwache Fährte ihren Augen entgeht. – Und nun schweig! Sie müssen bald vorüberkommen. Ich will wissen, wer die Leute sind.“

Wir lauschten angestrengt, hörten aber nichts. Alles blieb still. Ab und zu ging ein leises Rauschen durch die Baumkronen. Der Bach gluckste und murmelte. Sonst kein Laut. So verstrichen einige Minuten. Ich wurde bedenklich und horchte womöglich noch schärfer um mich. Hatten die Unbekannten unsere Anwesenheit etwa doch entdeckt? Verhielten sie sich darum so ruhig? Beschlichen sie uns vielleicht gar, um Näheres über uns zu erkunden? Ein Gefühl der Unsicherheit und des Unbehagens stieg in mir auf. Ich sah, dass Halef den Blick fragend auf mich richtete. Er bewegte die Lippen.

„Die Männer kommen nicht“, hauchte er. „Wenn sie uns nun...“

„Pst!“

Oben vom Pass her erklang wieder das Sprechen.

„Sie halten dort und reden miteinander“, meldete sich Halef, als die fernen Laute wieder verstummten.

„Ja. Der Schall kommt noch vom gleichen Fleck und aus gleicher Entfernung wie vorher“, bestätigte ich. „Entweder beraten sie sich über den Weg oder sie wollen im Pass lagern. Es ist grad die richtige Zeit dazu und diese Leute werden wohl auch herausgefunden haben, dass dort ein besonders geeigneter Rastplatz ist.“

„So soll sie der Scheitan36 fressen, diese Söhne der Anmaßung und Enkel der Dreistigkeit! Was können sie einen Ort für sich beanspruchen, den wir schon für uns ausgesucht haben! Was tun wir nun?“

„Ich werde mich anschleichen, um zu erfahren, mit wem wir es zu tun haben. Vielleicht sind die Leute vor uns friedliche Reisende wie wir. In diesem Fall zeigen wir uns ihnen und teilen mit ihnen den Platz.“

„Und wenn es keine friedlichen Reisenden sind, sondern kurdische Räuber und Diebe? Oder persische Wegelagerer? Oder – oder – höre, Sihdi, mir kommt da ein Gedanke, den du gewiss nicht zurückweisen wirst! Wenn es sich nun etwa gar um Schmuggler handelt, um Leute vom Geheimbund der Sillan?“

„Wie kommst du auf die Sillan?“

„Weil wir immer mit ihnen zusammenstoßen, seitdem wir an jenem Abend am Tigris die Bekanntschaft des Pädär-i-Baharat machten. Ist hier nicht jeder zweite Mensch, dem man begegnet, ein Sill? Sag, ob ich Unrecht habe!“

„Ob du Recht hast oder nicht, werde ich sogleich erfahren. Ich gehe jetzt und du bleibst bei den Pferden.“

„Nimm mich mit, Sihdi! Wie leicht kannst du in eine Gefahr geraten, aus der nur dein Freund und Beschützer Hadschi Halef Omar dich zu retten vermag.“

Mit dieser Bitte hatte ich gerechnet. Halef war ehrgeizig und über die Maßen tatenlustig. Wo es ein Abenteuer zu bestehen gab, wollte er dabei sein. Das hatte mich schon oft in Verlegenheit gebracht, denn der Tatendrang des Kleinen war leider nicht mit der nötigen Vorsicht gepaart. Darum ließ ich ihn gar nicht erst weiterreden. Er hätte sonst gewiss nichts unversucht gelassen, mich umzustimmen, und ich fürchtete meine Nachgiebigkeit seinem treuherzigen Bitten und Betteln gegenüber.

„Nein, Halef“, sagte ich, „es geht nicht. Unsere wertvollen Pferde dürfen nicht ohne Bewachung bleiben, ebenso meine Gewehre, die mir beim Anschleichen hinderlich wären. Und in wessen Obhut wäre so kostbarer Besitz sicherer als in der meines treuen Halef?“

So oft erprobt der Kniff auch war, den ich hier anwandte, er wirkte doch. Halef schmunzelte. Er sah sich auf einen wichtigen Posten gestellt. Das genügte seinem stark ausgeprägten Stolz als Mann und Krieger.

„Ja, Sihdi“, nickte er, „geh getrost allein! Die Pferde und die Gewehre sind bei mir so sicher wie im Schoß Ibrahims37. Und sollten dich diese Leute da oben etwa feindselig behandeln, so werde ich unter sie fahren wie el Büdsch38 unter den erschreckten Taubenschwarm.“

„Keine Unvorsichtigkeit!“, warnte ich. „Diese Männer werden mich nur zu sehen bekommen, wenn ich erkenne, dass uns von ihnen keine Gefahr droht. Du bleibst auf alle Fälle ruhig in deinem Versteck! Nur wenn ich nach Verlauf von mehreren Stunden noch nicht wieder bei dir sein sollte, magst du nachschauen, was mir zugestoßen ist.“

Ich übergab Halef den Bärentöter und den Henrystutzen, schob Revolver und Messer tiefer in den Gürtel, um sie beim Kriechen nicht zu verlieren, legte den hellen Haïk39 ab und trat meinen Spähergang an, indem ich, sorgsam jedes Geräusch vermeidend, den Hang emporkletterte.

Eine Strecke weit konnte ich mich getrost aufrecht fortbewegen. Dann aber hörte ich vor mir immer deutlicher den wechselnden Laut mehrerer Stimmen. Ich näherte mich rasch dem Lagerplatz der Männer, die es zu beschleichen galt. Dass sie wirklich hier lagerten, war mir jetzt schon klar. Durch die immer dünner werdende Wand des Gesträuchs, das mich von den Unbekannten trennte, schimmerte mir der anfangs nur schwache Schein einer Flamme entgegen. Reichlich genährt, wuchs sie rasch zum flackernden Feuer. Schon bemerkte ich, dass es rechts im Pass in einem windgeschützten Winkel brannte. An diesem Feuer ließen sich soeben vier Männer nieder, die ich an ihrer Kleidung, vor allem an den Filzmützen aus Ziegenhaar mit den lang herabhängenden Lederstreifen, als Kurden erkannte. Vier Pferde standen abseits zur Linken, wo der Wald angrenzte, und rauften hungrig das frische Blättergrün von den Zweigen.

Jetzt durfte ich nicht länger aufrecht vordringen. Ein Flackerschein des Feuers konnte mich treffen und einem der Kurden, der zufällig nach meiner Richtung blickte, meine Anwesenheit verraten. Ich bewegte mich also nur noch kniend weiter, bis ich dicht bei den Unbekannten im Gebüsch steckte.

Da schlugen kurdische Laute an mein Ohr.

„Chodeh40 sei Dank! Wir haben gerade noch zur rechten Zeit diesen Pass erreicht. Vorüber sind die Boten noch nicht. Sie werden wohl gar erst morgen im Lauf des Tages kommen. Und hier können wir sie nicht verfehlen.“

Ich lag am äußersten Rand der Büsche. Unmittelbar vor mir gab es einige Felstrümmer, die mir im Verein mit den Ausläufern des Unterholzes treffliche Deckung boten. Lang ausgestreckt verbarg ich mich hinter ihnen und musterte ungestört die vier Männer am Feuer, die sich soeben anschickten, ihre Abendmahlzeit zu verzehren, trockenes Fleisch und flache, gedörrte Teigfladen. Als Getränk bereitete der eine in einem Kessel über dem Feuer einen starken Kaffee. Dabei sprachen sie in kurzen Pausen lebhaft miteinander. Ich hatte zum Lauschen einen günstigen Augenblick erhascht.

„Sie können auch in der Nacht kommen“, widersprach derjenige, der soeben den brodelnden Kessel vom Feuer nahm, um das kochende Wasser in die derben Lederbecher zu gießen, in denen sich bereits der fein gemahlene Kaffee befand. Er fertigte also den beliebten Trank auf türkische Art. „Sie sind des Weges kundig und werden auch in der Dunkelheit reiten, denn es ist Eile geboten.“

„Ja“, nickte ein dritter, der mir seiner Kleidung und seiner Haltung nach der Vornehmste von der Gruppe zu sein schien. „Auch wir werden uns sputen müssen, wenn wir die Botschaft empfangen haben. Der Bei würde es uns übel lohnen, erführe er nicht zur rechten Zeit das Nötige.“

Der vierte von den Kurden verzehrte schweigend seine Mahlzeit. Vielleicht hielt er mit seiner Meinung zurück, weil er bei Weitem der Jüngste war. Dagegen meldete sich wieder der erste Sprecher.