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Ab in den Urlaub und rein ins Lesevergnügen: Endlich hat man wieder Zeit ein Buch zu lesen! Egal, ob am Pool entspannend oder noch mit Vorfreude zu Hause auf der Couch liegend, mit diesen Reiselektüren stimmen Sie sich perfekt auf Ihr nächstes Reiseziel Italien ein. - Perfekte Einstimmung auf den Urlaub - Deutsche Kurzgeschichte zu Italien - Stimmungsvolle Erzählungen zu Land und Leute - Inklusive fremdsprachiger Ausdrücke, um seinen Urlaubswortschatz ein wenig aufzufüllen
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Seitenzahl: 101
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Impressum
Corporate Design Umschlag: KW 43 BRANDDESIGN, Düsseldorf
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, Münchenunter Verwendung folgender Illustrationen:Ball, Sonne, Sonnenschirm: nataleana / iStock; Vespa: Azurhino / iStock; Vulkan: SergeyMikhaylov / iStock; Flugzeug, Fische, Landkarte, Maske, Oliven, Pisa, Pizza, Rom, Wein: OpiaDesigns / Creativemarket
Typographie Innenteil: Die Buchprofis, München
Projektleitung: Gabriela LindnerAutorin: Barbara SchaeferLektorat: Elisabeth Graf-Riemann
© PONS GmbH, Stöckachstraße 11, 70190 Stuttgart 2019ISBN: 978-3-12-563370-4www.langenscheidt.com
Inhalt
Über den Brenner
Andrea fand, es fehlte etwas. Natürlich war es großartig, an der Grenze nicht stundenlang warten zu müssen. Und es war prima, nicht erst D-Mark gegen Lire eintauschen zu müssen. Aber es fehlte doch das Gefühl, nun wirklich und wahrhaftig nach Italien einzureisen. Am Brenner angelangt, fuhr sie einfach weiter. Im Grenzhäuschen stand nicht einmal jemand drin.
Sie konnte sich gut daran erinnern, wie sie mit dem Nachtzug gefahren waren, als sie noch ein Kind war. Und der Zug am Brennerpass stundenlang stehen blieb. Wenn man die Fenster runterschob - das ging damals noch - wehte eine kühlere Luft herein; noch nicht der Süden, sondern die Berge waren zu spüren. Aber draußen hörte man italienische Rufe, Carabinieri liefen vorbei, es war ein Abenteuer. Jetzt fuhr sie über den Brenner als wäre es nichts anderes als die Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg.
Romantischer Quatsch, sagte sich Andrea. Natürlich war das vereinte Europa ein gigantischer Fortschritt. Andrea war von ganzem Herzen Europäerin. Außerdem würde ihre Geschäftsidee gar nicht funktionieren, wenn Europa noch durch strenge Grenzen geteilt wäre. Dann wäre es schlicht Schmuggel, was sie vorhatte. So aber würde sie auf der Rückfahrt ihren jetzt leeren Kombi bis unters Dach vollgepackt haben mit italienischem Allerlei. Sie sah es schon vor sich, wie sie den winzigen Laden in Haidhausen damit ausstaffieren würde, wie außen ein Neonschild leuchtete, auch wenn sie den Namen ihres Ladens noch nicht wusste. Sie kam ins Träumen und beschloss, lieber anzuhalten und einen Cappuccino zu trinken. So traumselig auf der Autobahn zu fahren, war wohl keine gute Idee.
Sie fuhr am Outlet-Center vorbei, für Klamotten hatte sie jetzt keine Zeit. Bläute sie sich jedenfalls ein. Auf einem ziemlich verwaisten Parkplatz stellte sie ihr Auto ab und ging in die Bahnhofsbar.
Da war allerdings Italien nicht zu überhören. Der Kellner, die Zöllner, die es also doch noch gab, eine Verkäuferin aus einem Laden, alle sprachen laut und vokalreich. Andrea spitzte die Ohren, sie hatte Italien vermisst. Auch wenn sie selbst nicht gut Italienisch sprach.
»Cosa prende?«, fragte der Barista. Das konnte ja nur die Frage nach ihrer Bestellung sein, »Un cappuccino«, antwortete sie. Der Barista fing an zu werkeln, auf diese immer etwas großspurige, gleichzeitig selbstsichere Art. Siebträger auf einen Metallsteg schlagen, Kaffeepulver entleeren, Kaffee auffüllen, Siebträger mit einer Vierteldrehung einschrauben, Wasser anstellen, Milch in den Metallbehälter füllen, lautstark Milch aufschäumen, Milchschaum mit einem Löffel in die Tasse schichten. »Möchten Sie Kakao?«, fragte er. Auf Deutsch. Toll, schon an einem einzigen Wort hatte er erkannt, dass sie Deutsche war.
Dann fiel ihr ein, dass sie Giannis erste Regel missachtet hatte. Ihr Stammitaliener in München hatte ihr Ratschläge mitgegeben, und »Erste Regel« war: »Nach pranzo nur caffè, niemals Cappuccino«. Na sei’s drum.
Ihr Smartphone piepste, eine SMS klärte sie darüber auf, dass sie nun in Italien war. Sie machte rasch einen Screenshot und schickte ihn Carlotta. Ihre Tochter antwortete sofort und wünschte ihr eine gute Reise, sie sei im »Laderl« und würde ausmisten. »So viel Kram«, textete sie. Andrea schickte ihr einen Kussmund-Smiley.
Sie konnte sich gut vorstellen, was für ein Durcheinander im ehemaligen Blumenladen im Erdgeschoss des Hauses herrschte. Sie hatte hin und wieder bei der alten Nachbarin einen Blumenstrauß gekauft, auch wenn der natürlich teurer war als beim Discounter. Aber sie wollte die Nachbarschaft stärken und nicht mit Schuld sein daran, dass alle kleinen Läden nach und nach zumachten und überall Hipstercafés einzogen. Carlotta hatte den Laden als kleines Mädchen geliebt. Der Duft nach Blumen schien sie zu faszinieren. Wenn Andrea kurzfristig los musste und niemanden fand, der auf Carlotta aufpassen konnte, gab sie das Mädchen einfach bei der Blumenfrau ab. Als Schülerin jobbte Carlotta im Laderl, fuhr mit dem Rad Blumen aus, wenn jemand etwas bestellte. Und in den letzten zwei Jahren hatten sich die Rollen dann vertauscht. Oma Rosi, wie Carlotta die Nachbarin nannte, wurde vergesslich, es klappte nicht mehr so gut mit ihrem Laden. Nun kümmerte Carlotta sich um sie. Verbachte Zeit mit ihr, lernte im Hinterzimmer fürs Abitur. Andrea war grenzenlos stolz auf ihre Tochter. Nicht wegen des Abiturs, sondern weil Carlotta so fürsorglich war.
Als Oma Rosi vor ein paar Wochen eines Morgens die Rollos nicht hochzog, fiel Carlotta das sofort auf. Sie hatte einen Schlüssel für den Eingang durchs Treppenhaus, und mit Andrea zusammen ging sie hinein. Oma Rosi musste sich wohl abends nach Kassenschluss nochmal an den Tisch gesetzt haben. Da war sie einfach gestorben. Carlotta weinte wie ein kleines Kind, trotz aller Coolness, die sie mit ihren 19 Jahren jeden Tag zur Schau trug. Und Andrea weinte mit. Sie riefen den Bestatter, und weil sich niemand meldete, Oma Rosi also wohl keinerlei Nachkommen hatte, organisierten sie die Beerdigung. Die paar Euro, die in der Tageskasse waren, reichten natürlich nirgendwo hin. Andrea übernahm einen Teil der Kosten, und Carlotta räumte ihr Sparkonto leer. Auch wenn Andrea protestierte. Es war mühsam verdientes Geld, das Carlotta mit kleinen Jobs zusammengekratzt hatte. Aber Carlotta bestand darauf.
Sie beide fielen aus allen Wolken, als ein paar Wochen später ein sehr amtlicher Brief kam. Oma Rosi war nicht so arm gewesen, wie es schien. Ihr gehörten einige Wohnungen in dem Mietshaus und auch der kleine Laden. Die Wohnung, in der Andrea und Carlotta lebten, vererbte Oma Rosi an Carlotta, und den Laden an Andrea.
Das machte überhaupt keinen Sinn, auf den ersten Blick. Andrea hatte einen festen Job, sie war Abteilungsleiterin für Haushaltswaren in einem Kaufhaus in der Innenstadt. Und Carlotta brauchte noch keine eigene Wohnung. Aber Oma Rosi schien weiter in die Zukunft gedacht zu haben. Tatsächlich war es für Carlotta ein Segen. Sie konnte nun studieren oder anfangen, was immer sie wollte. Sie und Andrea müssten nie mehr befürchten, aus der Wohnung rauszufliegen. Und wenn Carlotta irgendwann ausziehen würde, was wahrscheinlich war, konnte Andrea ihr Miete bezahlen. Womit sie sich wiederum eine Wohnung finanzieren könnte.
Und der Laden: Für Andrea war es der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Aber im bestmöglichen Sinn. Sie arbeitete schon so lange im gleichen Job. Sie war nicht unglücklich, aber sie wollte mehr vom Leben. Etwas Eigenes auf die Beine stellen. Und plötzlich gehörte ihr ein Laden, in dem sie anbieten konnte, was immer sie wollte.
Keine Blumen und schon gar keine Topfpflanzen, so viel war ihr gleich klar. Andrea hatte keinen grünen Daumen, ab und zu ein paar Schnittblumen in der Wohnung, das war ihr Grünzeug genug. So hatte sie sich mit Maria, ihrer halbitalienischen Freundin aus Grundschulzeiten, und mit Carlotta zusammengesetzt, und sie hatten gemeinsam hin- und herüberlegt. Das war ein lustiger Abend gewesen. Sie fühlte sich so frei. Sie konnte sich entscheiden für was auch immer, es musste nur für sie passen, und es musste einem Businessplan standhalten. Was hatten sie gelacht über all die Spezialläden, die ihnen einfielen. Bunte Socken. Dessous für den Nachmittag. Kittelschürzen-Revival, Mid-Century-Kleidung. Sie saßen am Küchentisch, Maria kochte einen Topf Pasta, sie kannte sich in Andreas Küche bestens aus. Andrea schenkte Wein ein, Carlotta füllte Schälchen mit Oliven. »Warum nicht alimentari italiani?«, fragte Maria.
»Ach komm«, sagte Andrea. »Das kriegst du alles in jedem Supermarkt und die teuren Sachen auf dem Viktualienmarkt. Damit kann man keine Kunden anlocken.«
Maria schüttete die Nudeln ins Nudelsieb, sie waren natürlich perfekt »al dente«. Verteilte die Pasta auf den Tellern, die sie Andrea aus der Toskana mitgebracht hatte. Sie rieben den parmiggiano über die Nudeln und Carlotta stellte die große, bunt bemalte Salatschüssel aus Deruta in Umbrien auf den Tisch – und plötzlich war es sonnenklar: Andrea würde italienische Haushaltswaren verkaufen! Haushaltswaren waren ihre Kernkompetenz, da kannte sie sich nun wirklich aus. In ihrem eigenen Laden aber würde sie nur hübsche, ausgewählte Stücke anbieten. Schüsseln, Töpfe, Käsereiben, Espressotassen. All die Sachen, bei denen man automatisch an Urlaub in Italien dachte, an den letzten oder an den kommenden.
»Meine Damen«, hob Andrea an, beschwingt und beschwipst: »Stoßen Sie an mit Frau Andrea, der Besitzerin des neuen Ladens für Italien-Kram!« Carlotta kapierte es sofort: »Super Mama, die perfekte Idee!«, und Maria rief: »Perfetto!«.
Dann sagte Carlotta, die immer ziemlich pragmatisch dachte: »Und wo willst du den Kram einkaufen, damit du ihn verkaufen kannst?«. Das war allerdings eine gute Frage. Aber weil Andrea so euphorisch war, schwamm sie einfach weiter auf dieser Welle und rief: »Ich werde Sachensucherin!« Maria schaute verständnislos, und Carlotta lachte laut heraus: »Andrea Pippilotta Langstrumpfissimo!« Genau, wie Astrid Lindgrens Heldin wollte Andrea einfach losziehen, und Sachen suchen. Sie würde eine Reise nach Italien machen, einmal vom Brenner bis hinunter in den Süden, und mit vollbeladenem Auto zurück.
Vom Brenner bis hinunter in den Süden. Nun stand sie also am Brenner und löffelte den Rest des Cappuccino-Schaums aus der dickwandigen Tasse. »Allora, andiamo« sagte sie sich, so wie Maria immer zum Aufbruch gedrängt hatte, wenn sie wieder ewig bei Gianni im Lokal sitzen blieben. Auf geht’s, pack mer’s, übersetzte Andrea ins Bayerische, zahlte ihren Cappuccino und fuhr los.
Keine Wahl in Südtirol
Um Sachen einzukaufen, musste sie irgendwo anhalten, soviel war klar. Andrea zögerte, wo sie die erste Nacht verbringen sollte. Vom Brennerpass ging es hinunter nach Südtirol. Sterzing, Brixen, Bozen, sie konnte sich nicht mehr erinnern, wo sie schon überall gewesen war. Meistens fuhr man doch direkt bis zum Gardasee durch.
Sie entschied sich spontan für Sterzing, das erste Städtchen nach dem Brenner. Sie fuhr so weit in die Innenstadt, wie es nur ging, stellte ihr Auto ab und spazierte ins erste Hotel. Tatsächlich war ein Zimmer frei, perfekt. Und nun? Andrea hatte plötzlich Angst vor ihrer eigenen Courage. Nun war sie also in Italien, so frei wie sie nur sein konnte. Und irgendwie wusste sie nichts anzufangen mit all der libertà.
Planlos schlenderte sie durch Altstadt und Neustadt, so hieß die zentrale Gasse, wie seltsam. Zum einen klang das mehr nach einem Stadtviertel als nach einer Straße. Und zum anderen: Es war einfach Deutsch, nicht einmal zweisprachig. Andrea erspähte eine Buchhandlung und ihr fiel ein, dass sie sich noch eine aktuelle Italien-Straßenkarte kaufen wollte, für den großen Überblick. Ihre fiel schon auseinander. Und das östlich angrenzende Land hieß dort noch Jugoslawien. Wie peinlich.
Auch in der Buchhandlung standen hauptsächlich deutschsprachige Bücher. Natürlich wusste sie, dass Südtirol früher zu Österreich gehört hatte, das sagte ja schon das »Tirol« im Namen. Aber jetzt war es doch Teil Italiens, wie verhielt es sich da mit der Sprache? In der Bar am Brenner hatten alle Italienisch gesprochen, sehr verwirrend. Die Buchhändlerin kam auf sie zu und fragte, ob sie helfen könne. Andrea fragte nach einer Straßenkarte und gab sich einen Ruck: »Darf ich Sie etwas fragen?« – »Ja klar, dazu bin ich ja da.« – »Warum reden hier alle Deutsch, und auf dem Brennerpass, der ja weiter im Norden ist, wird Italienisch gesprochen?«
Das sei tatsächlich nicht mit zwei Sätzen zu erklären, sagte die Buchhändlerin. Sie habe jetzt Pause, und es sei nicht oft, dass jemand so historisch interessiert sei. Wenn Sie Lust habe, könnten sie zusammen etwas essen.
Andrea freute sich. Da bekam sie praktisch eine Einführung in die italienische Geschichte, wie reizend. Die Buchhändlerin stellte sich als Emma vor, und sie gingen in ein Café, das tatsächlich eher aussah wie ein Oma-Café in München und nicht wie eine italienische Bar.
Ob sie schon einmal etwas von der »Option« gehört habe? Andrea verneinte. Emma klärte sie in kurzen Zügen auf. Südtirol war nach dem ersten Weltkrieg Italien zugeschlagen worden. »Obwohl mir lai