Lesereise Lappland - Barbara Schaefer - E-Book

Lesereise Lappland E-Book

Barbara Schaefer

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Beschreibung

Im Winter ist es stockfinster und im Sommer regnet es. Welch ein Glück, dass sich diese Vorurteile hartnäckig halten, denn so können Lappland-Reisende die Weite des Landes ungetrübt von Massenandrang genießen. Die Landschaft reicht von den finnischen Seen über die schwedischen Ebenen bis über Norwegens Berge hin zum Meer mit seiner zerfransten Küste. Dieses Land dort oben im Norden habe "ganz abscheulich" ausgesehen, schreibt Selma Lagerlöf in "Nils Holgerssons wunderbare Reise": "Es hatte nur kahle Berge und steile Hänge, man konnte dort unmöglich wohnen und leben." Stimmt das? Barbara Schaefer reiste viele Wochen kreuz und quer durch Lappland, zumeist nördlich des Polarkreises. Sie nahm an einem dreihundert Kilometer langen Hundeschlittenrennen teil, zockelte mit Rentierschlitten durch die Winterwelt, um die Legenden der Samen und ihre Probleme in modernen Zeiten besser zu verstehen, und wanderte mutterseelenallein durch menschenleere Täler. Jede Stunde im weiten Norden Europas bestätigte alle Vorurteile: Ja – "ganz abscheulich" dieses Lappland. Fahren Sie bloß nicht hin!

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Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Barbara Schaefer

Lesereise Lappland

Nordlicht, Joik undRentierschlitten

Picus Verlag Wien

Copyright © 2019 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Friedrich-Schmidt-Platz 4, 1080 Wien · [email protected]

Umfassend überarbeitete Neuausgabe 2025

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Buntspecht, Wien

Umschlagabbildung: © Artpilot / iStockphoto

ISBN 978-3-7117-1093-2

eISBN 978-3-7117-5395-3

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter

www.picus.at

Inhalt

Wie alles begann Mohn der Angst oder: Mein erstes Hüttenerlebnis

Marmor, Stein und Eisen schwört Eine Nacht auf dem Polarkreis – höchstwahrscheinlich

Weit oben im Norden Ein Nachmittag am Nordkap

Sei wie der Fluss Fliegenfischen und Philosophieren am Stabburselven

Lakritze aus alten Krügen Kjerringøy baut auf neue Ferienhäuser und den alten Hamsun

Nettelbladts Geschichte Mit einem Botaniker unterwegs im Junkerdalen

Landschaft mit Birkengold Leben am Vindelälven, dem schwedischen Nationalfluss

Bei Kerzenlicht im Kraftwerk Wie der Alta-Staudamm den Sámi half

Bloß kein Brokkoli Mit dem Rentierschlitten durch Schwedisch-Lappland

Ren und Rote Bete Winterküche an der Grenze zu Russland

Wo gehobelt wird … … fallen Skifahrer hin. Unterwegs auf selbst geschnitzten Brettern

Wir haben immer noch das Zelt Auf Skiern an einem warmen Wintertag

Im arktischen Schlaraffenland Kamtschatka-Krabbe statt Kartoffeln

Hol mal den Futtersack! Glück und Qual, Frust und Freude – ein Hundeschlittenrennen

Besuch im Museum Verschollene Liebesbriefe und verbotene Flaggen

Kaffee, Torf und die bösen Rentiere Im Oulanka-Forschungszentrum werden die Schuhe ausgezogen und Klimafragen erörtert

Suopunki-Wettwerfen Das Marientag-Fest im finnischen Lappland

Dem Himmel näher Im Nordlichtobservatorium stand sogar ein Klavier

Herrlich lange Tage Skitouren in Tromsø. Mit Nordlicht und Flutlicht

Landschaft für Minimalisten In Västerbotten finden Individualisten Heimat für sich und ihre Ideen

Die große Keilerei Aber heute sind die Abende in Abisko gemütlicher

Die Freiheit, aufzubrechen Zeltwandern in Stabbursdalen und anderen unbekannten Ecken Lapplands

Nachsatz

Die Autorin

Wie alles begannMohn der Angst oder: Mein erstes Hüttenerlebnis

Beim Landeanflug in Fagernes sah ich mit großem Erstaunen am Horizont eine riesige weiße Fläche. Verschneit lag die Hardangervidda da, es war Anfang Mai, ich war zum ersten Mal in Norwegen, hatte einen großen Rucksack dabei und wollte wandern. Von Hütte zu Hütte, über grünes Gras auf der Hochfläche der Hardangervidda, aber schlechte Planung und mangelnde Erfahrung hatten mich zur falschen Jahreszeit nach Norwegen gebracht. Natürlich liegt die Hardangervidda nicht in Lappland, der Region zwischen Polarkreis und Nordkap. Aber ich hatte Fotos der endlosen Hochfläche gesehen, stellte es mir ähnlich einsam vor wie Lappland – was stimmte – und für den Einstieg war mir das nördlich genug. Als Süddeutsche kannte ich mich damals am Gardasee und in der Toskana ganz gut aus, Skandinavien hingegen war mir als Studentin so fremd wie der Orient.

In Fagernes forschte ich im Tourist Office nach einer Alternative. Die reizende Dame überlegte, fragte mich, wie wäre es mit einer Hütte?, blätterte in einem Katalog, klatschte in die Hände und rief: »I have a cosy little hut for you!« Sie erklärte mir, ich hätte eine Viertelstunde Zeit, für eine Woche einzukaufen, dann würde mich der Besitzer zu meiner Hütte fahren.

Ich sprach kein Wort Norwegisch, Dänisch oder sonst wie Skandinavisch, rollte meinen Einkaufswagen durch den Supermarkt und packte ein, was mir bekannt vorkam. Fischstäbchen und Äpfel, Müsli und Joghurt sowie milk, mjelk, mjölk und alles Weitere, was so ähnlich hieß. Zwei Flaschen Rotwein und eine Salami, Kantenkäse und Knäckebrot. Ein Jan holte mich ab, fuhr mich mit seinem Volvo durch den Wald, immer nur durch den Wald. Für meine Begriffe mitten im Wald hielt Jan an. Dort gab es einen See und einige Ferienhütten. Keine von ihnen war bewohnt in dieser Jahreszeit zwischen Winter und Frühling. Vor der kleinsten schaukelte zarter Mohn in Gelb, Orange und Rot in der Brise. Jan sperrte das garagengroße Holzhaus auf, ein wunderbarer Geruch nach Wacholderzweigen wehte mir in die Nase, der Holzboden war damit ausgelegt. »Norwegischer Brauch«, so viel verstand ich, ebenso, wo es Holz für den Ofen und Wasser gab. Jan drückte mir eine Karte zum Wandern in der Umgebung in die Hand, stieg in seinen Volvo und es war still.

Die Wanderkarte entpuppte sich als eine kopierte Loipenkarte. Ich verbrachte den Nachmittag damit, zum See zu spazieren, Asche aus dem Herd zu räumen, Wasser aufzufüllen, die dürren Wacholderzweige in den Ofen zu schichten, einen Stuhl ins Freie zu stellen und den Mohnblumen zuzusehen. Am frühen Abend kamen Stechmücken, erste Vorboten des Sommers, ich zog in die Hütte, riegelte Tür und Fenster zu und fürchtete mich.

Am nächsten Morgen konnte ich mir schon nicht mehr erklären, woher dieses Rotkäppchengefühl gekommen war. Ich fühlte mich wunderbar, wusch mich mit kaltem Wasser, braute Kaffee, schüttete milk, melk oder mjölk über mein Müsli und beobachtete, wie die Sonne den Tau vom Gras schlürfte. Sorgfältig spülte ich das Geschirr, packte Knäckebrot, Käse und Wasser in meinen riesigen Rucksack, steckte die Loipenkarte in die Hosentasche und brach tapfer auf, den See zu umrunden. So ganz alleine im Wald geht man mit den Ohren. Meine wuchsen und wuchsen und warteten nur darauf, dem eingeschüchterten Gehirn zu melden, dass Trolle und Monster aus dem Gebüsch brechen. Derart angespannt erschrak ich schier zu Tode, als mit erheblichem Getöse zwei Meter vor mir ein wahrhaft riesiger Elch aus dem Wald trat, nicht minder erschrocken zu mir blickte und verschwand. In all den Jahren danach habe ich nie wieder einen Elch gesehen, nur damals, keine hundert Schritte von meiner Hütte entfernt. Das geht ja gut los, sprach ich mir Mut zu, aber dann geschah rein gar nichts mehr. Die ganze Woche nicht.

Am ersten Abend las ich mein einziges Buch – wer von Hütte zu Hütte wandern will, hat nicht viel Platz für Lesestoff – zur Hälfte aus. Am dritten Tag brach ich zu dem kleinen Berg auf, der unübersehbar wie ein umgedrehter Kochtopf die anderen Hügel überragte und fand ihn auch und fand zu meiner großen Begeisterung auch den Weg zurück zu meiner Hütte. Am vierten Abend vergaß ich, die Tür zuzusperren. Von den restlichen Tagen erinnere ich mich an nichts anderes als an Stille und den Mohn. So begann meine Liebe für den Norden.

Marmor, Stein und Eisen schwörtEine Nacht auf dem Polarkreis – höchstwahrscheinlich

Der Zug müht sich auf den Steigungen. Von Fauske aus fährt er Richtung Mo i Rana und überwindet dabei die weite Hochfläche des norwegischen Saltfjellet. Die Landschaft wird karger, der Zug rauscht durch einen Tunnel, der Schaffner räuspert sich. Man fahre nun unterm Saltfjellet Nationalpark hindurch, außerdem überquere der Zug hier den Polarkreis.

Da schütteln ein paar Reisende den Kopf. Schließlich, das weiß doch jeder, verläuft der Polarkreis auf 66° 33′ nördlicher Breite, und das liegt ein Stückchen weiter südlich. Genau dort steht das Polarsirkelsenteret, das Polarkreiszentrum. Jedoch: Wenn es so einfach wäre.

Die Symbolik ist überwältigend, rund um das Zentrum an der E6 wird dem Besucher klargemacht, er befinde sich nun am Polarkreis. Als (nördlicher) Polarkreis wird der Breitengrad bezeichnet, auf dem mindestens an einem Tag im Jahr die Sonne nicht untergeht beziehungsweise nicht aufgeht. Je weiter nördlich man kommt, desto länger dauern Mitternachtssonne oder Polarnacht. Am Pol dann je ein halbes Jahr. Marmor, Stein und Eisen verkünden die Botschaft: »Arctic circle«! Vor dem Glas-Holz-Bau steht ein rosafarbener Marmorblock aus Fauske, und auch dieser betont: Polarsirkelen, 66° 33′ N. Auf dem Steinblock hockt ein eiserner Globus, so schräg gestellt, wie er nun mal durchs Weltall eiert. Und diese Kugel ist der springende Punkt, wenn man so will. Die Besucher können Urkunden kaufen, die bestätigen, dass sie den Polarkreis überschritten haben, was viele tun, weil das so ein Amundsen-Gefühl vermittelt. Alle fotografieren sich gegenseitig, verschicken Postkarten mit dem Stempel »I have crossed the arctic circle«, nur: Das Polarsirkelsenteret steht gar nicht auf dem Polarkreis. Es steht, und das ist bitter, sogar etwas weiter südlich. Jedenfalls meistens. Denn, was in dem Informationszentrum nun wirklich nirgends zu erfahren ist: Der Polarkreis wandert.

Er wandert in Intervallen von zwei Wochen, einem halben Jahr, achtzehn Jahren und einundvierzigtausend Jahren. Und zwar eben deshalb, weil der Globus eiert, weil er keine ruhige Kugel schiebt, sondern sich unrund um sich selbst dreht und um die Sonne wackelt. Auf Nachfrage informiert das Fremdenverkehrsamt Nordland Ratsuchende: Im größten Intervall wandert der Polarkreis derzeit – und noch für die nächsten zehntausend Jahre – jährlich etwa vierzehn Meter Richtung Norden. Innerhalb des Riesenintervalls wandert er in einer hundertachtzig Kilometer breiten Zone auf und ab auf dem Globus. Mal mehrere Hundert Meter nach Norden, dann wieder die fast doppelte Strecke nach Süden, all das innerhalb eines Achtzehn-Jahre-Intervalls. Der Polarkreis kann sich an einem Tag um einen Meter versetzen, jährlich um über hundert Meter.

Ist das zu verstehen? Sicher ist es leichter zu verstehen, warum all diese Erklärungen im Polarsirkelsenteret nirgends zu finden sind. Zurzeit liegt das Zentrum etwa zwei Kilometer südlich des Polarkreises. Im Grunde war es egal, wo man 1990 das Infohaus baute, solange es nur ungefähr auf der breiten Spur war, die der Polarkreis durch den Norden Skandinaviens zieht. Eine andere Möglichkeit wäre ein mobiler Kiosk gewesen, der den täglichen Wanderungen des Polarkreises folgt. Aber wo hätte man die Souvenirs untergebracht? Trolle, T-Shirts mit Nordlicht, Trinkbecher aus Birkenholz und Geldbeutel aus Elchleder, und im kleinen Museum ausgestellt alte, viel schönere Souvenirs, Aschenbecher mit verschnörkeltem Aufdruck, Fotos von alten Volvos mit nahezu kugelrunden Wohnwagen, reizende Mokkatässchen. In einer Ecke verstauben auch Tierpräparate, ein Luchs mit grünen Augen und beeindruckenden Zähnen, ein weißes Ren und ein drei Meter sechzig großer Eisbär.

Es gibt kein Hotel auf dem Polarkreis, jedenfalls nicht in Norwegen. Wer dennoch zumindest in der Schneise, die der auf der Erde herumrutschende Polarkreis schiebt, übernachten möchte, ist aufs Zelt angewiesen.

Im flirrenden Licht eines Spätsommertags steht das Zelt in einer windgeschützten Mulde. Da hier niemand so genau weiß, wo der Polarkreis an diesem Abend verläuft, könnte es ja sein, dass er genau durch diese Mulde zieht. Das alles hat vermutlich auch mit dem Erdmagnetismus zu tun, oder? Wer feinere Antennen hat, könnte die exakte Position vielleicht mit einer Polarkreis-Wünschelrute herausfinden.

Eine Frage stellt sich noch: Was für den Polarkreis gilt, müsste doch auch für den Äquator zutreffen, oder? Späte Nacht, nun verschwindet die Sonne hinter den Bergen. Aber das beweist auch nichts.

Weit oben im NordenEin Nachmittag am Nordkap

Das Nordkap auf Magerøya, der Magerinsel, ist der nördlichste Straßenpunkt Europas, aber nicht der nördlichste Punkt Europas überhaupt, wohlgemerkt. Sogar auf dieser Insel gibt es einen nördlicheren Punkt, der heißt Knivskjellodden, und dann natürlich die Insel Spitzbergen, die ja ebenfalls zu Norwegen gehört und deren Südkap vom Nordkap so weit entfernt liegt wie das Nordkap vom Polarkreis. Auf dem europäischen Festland ist der nördlichste Punkt die Landzunge Nordkinn, doch seit 1553 der englische Seefahrer Richard Chancellor die steilen Klippen des dreihundertsieben Meter hohen Schieferplateaus umsegelt und sie, in der fälschlichen Annahme, es handle sich hierbei um norwegisches Festland, »Nordkap« getauft hat, geistert dieser Irrtum durch die Welt. Ein Irrtum, der dem Felsen zweihunderttausend Besucher im Jahr beschert. Denn wo man mit dem Auto hinfahren kann, fährt man mit dem Auto hin. Also drängeln sich Pkw, Busse und Wohnmobile nach der Tausende Kilometer langen Fahrt im Tunnel nach Honningsvåg. Der Ort wurde nicht, wie viele glauben, für die Besucher des Nordkaps gebaut, sondern existiert als Fischerdorf seit der vorigen Jahrhundertwende. Und das Nordkap selbst gehört zu den ältesten Siedlungsräumen Skandinaviens. Hinter den abschmelzenden Gletschern der Weichseleiszeit her zogen Jäger hinauf in die Arktis, Funde belegen erste Ansiedlungen schon vor zehntausend Jahren.

Einige Kilometer hinter Honningsvåg, knapp dreißig Kilometer vom Nordkap entfernt, steht mitten in der kargen Landschaft ein Fünfhundertsiebzig-Betten-Hotel. Ein Junitag, einundzwanzig Uhr: Im Speisesaal wird die komplette Hotel-Gästeschar verköstigt. Hunderte von Tellern mit identischer Mahlzeit werden aufgetragen, die Einzelreisende fragt: »Könnte ich etwas zu essen bestellen?« Freundlich lächelt die Kellnerin: »Nein, wir sind beschäftigt.« Ungläubig hockt die Einzelreisende da und wartet. Zweiundzwanzig Uhr: Der Speisesaal ist leer. Gespenstisch. Wo sind alle hin? Draußen gibt’s nichts, nur Gegend. Waren ja alles ältere Herrschaften, vermutlich müssen die früh ins Bett. »Ist das jeden Abend so?« – »Jeden Abend. Vom 11. Mai bis zum 31. Juli. Alle wollen am Nordkap die Mitternachtssonne sehen.« So ist das also: Abfahrt zehn Uhr abends vor dem Hotel, dann rauschen die Busse gen Norden.

Sechs Uhr am nächsten Morgen: Abfahrt der Busse Richtung Süden. Als die Einzelreisende zum Frühstück herunterkommt, ist das Hotel leer. Am Nachmittag lässt es sich dann nicht mehr länger aufschieben – zum Nordkap! Das stellt sich als der beste Zeitpunkt für diese Tour heraus. Keine Menschenmassen schieben sich zum Geländer der Terrasse, eigentlich ist fast niemand zu sehen. Im Betongang, der durch den berühmten Felsen führt, hallen die Schritte, vor den Hinterglastableaus mit Szenen aus der Geschichte des Nordkaps hat man Platz genug zum Schauen, und die Royal North Cape Club am Ende des Ganges, wo obligatorisch Sekt und Kaviar genossen werden, entpuppt sich zur Blue Hour als entspanntes Café mit einem grandiosen Panoramafenster. Ein Nachmittag so richtig zum Chillen, Saxofonklänge schweben aus dem Lautsprecher, und am Horizont verschwindet der Nordpol, na ja, zweitausend Kilometer sind es immerhin noch.

Sicher, um Mitternacht zu Edvard Griegs Peer-Gynt-Suite die Strahlen der Mitternachtssonne aus dem Panoramafenster zu bewundern, ist ein Erlebnis. Doch entspannter ist es, auf einer unwesentlich südlicher gelegenen Hotelterrasse der nächtlichen Sonne mit einem Glas Sekt zuzuprosten und tagsüber die Ruhe am Nordkap zu genießen. So entgeht man dem Brimborium des solaren Spektakels, das eine Besucherin so verwirrte, dass sie fragte: »Entschuldigung, wann genau geht denn diese Mitternachtssonne auf?«

Sei wie der FlussFliegenfischen und Philosophieren am Stabburselven

Die drei Männer betraten den Flughafen von Lakselv in einer Wolke aus Duschbad und Rasierwasser. Es nützte jedoch nichts, durch diese parfümierte Oberfläche drang ein anderer Duft, einer von Wildnis, von wenig gewechselter Kleidung und von Fisch. Die drei Männer waren, wie seit Jahren, nach Nordnorwegen gekommen, um zu angeln, hatten gemeinsam vier Wochen in einer Hütte verbracht. Genauer gesagt vier Wochen und einen Tag. Die Hostess am Regionalflughafen der Finnmark blickte irritiert auf die Tickets und teilte den Anglern mit, ihr Flug sei einen Tag zuvor gewesen. Im Rhythmus von essen, schlafen und fischen hatten sie das Zeitgefühl verloren. Betroffen stellten sie ihre schweren Taschen ab, von denen sie so taten, als wären sie leicht. Unkompliziert buchte die Hostess die drei Jungs um und bat sie, nun ihre Taschen aufs Band zu stellen. »Jetzt haben wir aber wirklich ein Problem«, grummelte sie, sechzig Kilo Übergepäck. Aber das ist doch alles nur Fisch, rechtfertigten sich die drei. »Nur Fisch?«, lachte die junge Frau. Dann sei es allerdings kein Problem, sagte sie und klebte die Gepäcketiketten auf. Für Lachs drücken Norweger schon mal beide Augen zu.

Ronnie Smitt amüsiert sich noch heute, wenn er diese Geschichte erzählt, und betont, sie sei typisch für die unkomplizierte Lebensart der Nordnorweger. Seine blauen Augen blitzen, der ganze Körper des hippeligen Kerls freut sich. Er lebt, wie seine beiden Freunde Roger und Thore, in Tønsberg in Südnorwegen, im Sommer flüchten die Mittvierziger vor den Touristen in den einsamen Norden, an die großen Lachsflüsse. Seit vielen Jahren kommen sie an den Stabburselven, den Stabbursfluss, der durch den nach ihm benannten Nationalpark fließt, den nördlichsten Nationalpark Norwegens. Über siebenhundert registrierte Flüsse gibt es in Norwegen, weiß Ronnie, zu viele auch für ein langes Anglerleben. Also fahre man halt durchs Land, einen Sommer hier, einen Sommer dort, »doch dann findest du plötzlich deinen Fluss, er trifft dich mitten ins Herz«. Für ihn war das der Stabbursfluss, er könne nicht genau erklären warum. Die weitläufige Landschaft der Finnmark verdichtet sich hier zu Dramatik, der Fluss zwängt sich durch ein wildes enges Tal, springt über Wasserfälle und Stromschnellen, um dann wieder ruhig wie ein endloser Sommertag des Nordens um eine Biegung zu trödeln.

Die Hütte Nummer neunzehn auf dem Campingplatz ist unschwer als die Behausung von Ronnie und den anderen zu identifizieren. Über der Tür klemmen die langen, extrem leichten Angeln, an Haken hängen die Gummihosen, die bis zu den Achseln hochgezogen werden. Drinnen sieht es so richtig nach Männerleben aus; auf dem Kühlschrank stehen Schnäpse und ein Karton mit Rotwein, es riecht nach scharf angebratenen Steaks. »Wir können keinen Fisch mehr sehen«, grinst Ronnie und meint damit Fisch als Nahrungsmittel. Denn bevor das schwere Abendessen sie gänzlich in Couchlähmung versenkt, raffen sie sich auf, steigen in die müffelnden Hosen, setzen sich ins Auto und fahren wieder an den Fluss.

Nachmittags um vier Uhr war im Nationalparkzentrum Verlosung. Für begehrte Angelplätze am Fluss werden nur zehn Erlaubnisscheine pro Tag vergeben, man muss sich in eine Liste eintragen und auf Glück hoffen. Fast zwanzig Männer stehen herum, alle in Anglergrün gekleidet, auch wer kein Norwegisch versteht, kann dank der Handbewegungen den Gesprächen folgen. Was da gedeutet wird, kann nur die Größe von Fischen meinen.

Auch Pia, eine junge Frau aus Südnorwegen, fährt oft in den Norden zum Angeln. Ich lernte sie kennen, als ich bei ihr einen Kurs in Fliegenfischen belegte. Dass sie dies unterrichtet, wussten die Männer aber nicht, als sie wieder einmal nach Nordnorwegen kam und dort ihre Selbstgedrehten auswarf. Denn Pia bastelt alle ihre Fliegen selbst. Dazu packt sie abends ihr Handarbeitszeug aus, Schraubstock, Haken, Scheren und kistenweise Kitsch: bunte Federn, Hasenfell, Glitzergarn, Wollfusseln. Daraus fertigt sie Klassiker und eigene Kreationen. »Pias grønne ullgenser