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1. Sich verlieben können2. Sich selbst lieben können3. Liebe leben können4. Sich trennen könnenDiese vier Qualitäten der Liebesfähigkeit bilden das Ganze des Liebeslebens.
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Seitenzahl: 199
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Nachdruck 2013 © 2007 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: init Büro für Gestaltung, Bielefeld Umschlagabbildung: Masterfile, Düsseldorf (©Masterfile) Redaktion: Barbara Imgrund, Heidelberg Satz: S. Wilhelmer, Redline GmbH Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN Print 978-3-86882-353-0 ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-107-1
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.mvg-verlag.de
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Vorwort
Einleitung
Die vier Qualitäten der Liebe als Gesundheitspotenzial
Liebe ist
Das bewusste und unbewusste Liebesleben
Liebe als Medium der Bedürfnisbefriedigung
Humanistische Psychologie
Die positive Deutung
Sich verlieben
Sichverlieben und Verliebtsein: Was ist das?
Ich sehe ihn: Verliebt. Wahnsinn
Welche Liebespartner habe ich bisher gewählt?
Suchen wir immer den gleichen Typ Partner?
Zur Psychodynamik der Liebeswahl
Was bedeutet „die Kunst, sich in den Richtigen/ die Richtige zu verlieben“?
Liebeskunst – Liebesspiel
Der Krampf der Geschlechter
Die Liebe leben
Gibt es die große Liebe?
Sind die Männer vom Mars und die Frauen von der Venus?
Die Globalisierung der Geschlechterbeziehungen
Konflikte
Partner finden ist nicht schwer, Partner sein dagegen sehr
Konflikte anerkennen
Der Ton macht die Musik
Steter Tropfen höhlt den Stein
Das Zauberlehrlingsprinzip
Die vier Dimensionen der Konfliktverarbeitung
Liebe und Harmonie
Mit Konflikten besser umgehen lernen
Treue und Sexualität
Seitensprung: Die Entwertung des Partners
Abhängigkeit und Autonomie
Fallgeschichte: Eine ambivalente Ehebeziehung
Abhängigkeit in der Autonomie – Autonomie in der Abhängigkeit
Durch die Liebe erkennen wir Werte
Auch Sinnenlust ist Wertwahrnehmung
Sich trennen
Trennung, Revolte, Verlust und Scheitern als positive Qualitäten
Der Mensch in der Revolte
Fernbeziehungen
Trennung und Ablösung als Fähigkeiten
„Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab!“
Die Furcht vor der Freiheit
Modi der Trennungs- und Verlustverarbeitung
Die vier Typen der Konfliktverarbeitung
Fixierung und Auflösung
Fallgeschichte: Positive Scheidung
Positiver Umgang mit dem Tod
Sich selbst lieben
Single sein
Das Bedürfnis nach Liebe
Die Einstellung zu sich selbst
Selbstvertrauen trainieren
Die produktive Persönlichkeit
Identität
Selbstliebe und die Liebe zum Leben
Der positive Ansatz
Was Liebe vielleicht noch ist
Konflikte positiv verstehen lernen
Erkenntnisfähigkeit
Liebesfähigkeit
Der transkulturelle Gesichtspunkt und die Relativität von Konzepten
Das Balancemodell
Salutogenese
Die positive Kraft der Liebe
Anhang
Literatur
Über den Autor
Bitte um Feedback
Für Heike Neumann
Viel leichter ist Widerlegen als Beweisen – Umwerfen als Aufstellen.
ARTHUR SCHOPENHAUER
Als ich einem Freud erklären sollte, was das Thema dieses Buches sei, kam mir der Vergleich mit den Geschmacksqualitäten Süß, Sauer, Bitter und Salzig in den Sinn. Diese vier Geschmäcker machen zusammen und in ihren jeweiligen Kompositionen das Ganze unserer Geschmackskultur aus. Wir erleben diese Qualitäten je nach den Traditionen unserer Esskultur unterschiedlich. Auch bilden wir alle unseren individuellen Geschmack aus.
Die Geschmacksqualitäten sind vorgegeben: Die kollektiven und individuellen Bewertungen bauen darauf auf. Doch was dem einen schmeckt, schmeckt dem anderen so gar nicht. Auch wundern wir uns zuweilen über den Geschmack von Menschen anderer Kulturen. Wie sehr doch alles anders sein kann – und relativ.
So, versuchte ich meinem Freund die Gedanken dieses Buches zu vermitteln, sei es auch mit den vier Qualitäten der Liebe. Sich verlieben, die Liebe leben, sich trennen und sich selbst lieben können sind universelle Gegebenheiten der Liebe. Doch wie und wann sie erlebt, gelebt und ausgestaltet werden, variiert je nach Gesellschaft und Individuum. Erst sind die Qualitäten, dann kommt die Moral.
Die Idee und die Gedanken zu diesem Buch gründen in meinem eigenen persönlichen Leben, entstammen meiner langjährigen psychotherapeutischen Praxis und fußen auf meinen wissenschaftlich-philosophischen Studien. Es ist nicht mein Ehrgeiz und Anspruch, alle Aspekte der Liebe und des Liebeslebens abzuhandeln. Mein Interesse besteht vor allem darin, einen positiven Blick auf die von mir benannten vier Qualitäten der Liebe zu richten.
Das Verliebtsein, die Vertiefung einer Liebesbeziehung, das Erlebnis von Verlust und Trennung und die Selbstliebe sind wiederkehrende Erlebnisbereiche, die wir – jeder von uns auf seine Weise – am besten gleichwertig in eine Balance bringen sollten. Auch ist mir wichtig zu betonen, dass die vier Qualitäten der Liebe immer auch innerhalb einer Liebesbeziehung gelebt werden wollen und sollen. Eine Liebesbeziehung wird auf Dauer nur gelingen, wenn alle vier Qualitäten in ihr ausgewogen entwickelt werden.
Der Zufall – oder die Liebesgöttin Aphrodite selbst – wollte es, dass ich Teile dieses Buches auf der Insel Zypern schreiben konnte, wo ich in der Ausbildung von Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen engagiert bin. Als Aphrodite, die Göttin der Liebe, aus dem Meerschaum geboren wurde, gelangte sie von Griechenland an die Küste Zyperns. Bis heute wird sie auf der Insel als Göttin der Liebe verehrt.
So hoffe ich, dass sie diesem Buch Pate gestanden hat und es die eine oder den anderen Liebenden nicht nur zu aufschlussreichen Analysen anregen, sondern auch zu neuen phantasievollen Neuerungen und sinnreichen Abenteuern im Liebesleben ermutigen wird.
Thomas Kornbichler Berlin/Schöbendorf/Zypern, im Mai 2007
Es gibt nur eine Großmacht auf Erden, das istDie Liebe Pflicht ohne Liebe macht verdrießlich. Wahrheit ohne Liebe macht kritiksüchtig. Erziehung ohne Liebe macht widerspruchsvoll. Klugheit ohne Liebe macht gerissen. Verantwortung ohne Liebe macht rücksichtslos. Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart. Freundlichkeit ohne Liebe macht heuchlerisch. Ordnung ohne Liebe macht kleinlich. Sachkenntnis ohne Liebe macht rechthaberisch. Macht ohne Liebe macht gewalttätig. Ehre ohne Liebe macht hochmütig. Besitz ohne Liebe macht geizig. Glaube ohne Liebe macht fanatisch.
Wehe denen, die in der Liebe geizen! Sie tragen Schuld daran, wenn schließlich die Welt an Selbstvergiftung zugrunde geht.
Wozu lebst Du, wenn Du nicht lieben kannst? Lasst uns die Erde durch Liebe erlösen!
LAOTSE
Die Erde durch Liebe erlösen? Das klingt sehr idealistisch. Doch sei daran erinnert: Auch der materialistische Triebpsychologe Sigmund Freud hoffte, dass es Eros als kulturschaffender Triebkraft gelingen möge, ein ausreichendes Bollwerk gegen den Aggressionstrieb im Leben des Menschen zu bilden.
Vielleicht ist alles auch eher eine Frage der Balance. Laotse nennt uns eine Reihe von Werten: Pflicht, Wahrheit, Erziehung, Klugheit, Verantwortung, Gerechtigkeit, Freundlichkeit, Ordnung, Sachkenntnis, Macht, Ehre, Besitz, Glaube. Sie bilden sinnvolle Teile eines ganzheitlichen Lebens – wenn wir es in Liebe leben. Doch sobald wir einen Teil des Ganzen dominant verabsolutieren, ist das gesunde Leben gestört. Sinn wird Unsinn, Wohltat Plage. Erst die liebevolle Mischung dieser Werte bringt uns ein gesundes Leben.
Diese Frage nach der Balance im Leben liegt auch den Überlegungen zu diesem Buch zugrunde. Dieses Buch handelt von den Themen Verlieben, Bindung, Trennung und Selbstsein. In jedem dieser vier Bereiche entwickeln wir individuell und kollektiv Fähigkeiten, Gefühle, Gedanken und Konzepte.
Der Grundgedanke des Buches ist: Jede dieser vier Qualitäten ist für ein gelingendes Liebesleben und damit für ein gesundes Leben gleich wichtig. Dies gilt innerhalb einer Liebesbeziehung: Jede Beziehungssituation beinhaltet die Qualitäten der Beziehungsaufnahme, der Intensivierung, der Loslösung und des Sich-auf-sich-selbst-Besinnens. Dies gilt aber auch in der Grundeinstellung zum Liebespartner. Das kann im ganzen Leben ein einziger sein, das können mehrere oder viele sein: Wir verlieben uns, wir intensivieren die Beziehung, wir trennen uns oder verlieren den Partner; und letztlich sind wir wieder mit uns selbst konfrontiert.
Das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts propagierte Trennung und Selbstverwirklichung als neue Werte. Damit wurde ein Ausgleich zu traditionellen Lebens- und Liebesformen erschlossen. Im Extrem hieß das: „Wer zweimal mit der Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment.“ Wer zum Psychotherapeuten ging, wurde gefragt: „Willst du dich scheiden lassen?“ Trennung und die damit verbundenen Fähigkeiten wurden aktualisiert und trainiert.
In manchen Situationen ist dies auch heute noch der Fall – und eventuell sinnvoll. Gegenwärtig zeichnet sich jedoch ein anderer Trend ab: Das Suchen nach und das Sichverlieben in einen Partner ist die Freizeitbeschäftigung Nr. 1 der Republik geworden. Nur: Wie sich in den Richtigen oder die Richtige verlieben? Und: Wie kann ich aus einer ersten Bindung eine dauerhaft verbindliche Beziehung werden lassen?
Tatsächlich geht es heute bei vielen Paaren vor allem darum, Fähigkeiten zu entwickeln, die es zwei mehr oder weniger autonomen Individuen (Selbstsein) erlauben, auf Dauer gesund und glücklich miteinander zu leben. Da hilft keine Reanimation alter Moralvorstellungen. Es braucht zeitgemäße Werte, Fähigkeiten und psychische Kompetenzen.
Diese vier Dimensionen der Liebesfähigkeit bilden das Rad der Liebe – und bringen es in Bewegung. Sie ergänzen und bedingen sich wechselseitig. Wer gelingende Bindungen verinnerlichen und sich aus alten Verstrickungen lösen kann, kommt auch zu sich. Wer sich selbst lieben kann, verfügt über das Fundament, von dem aus er sich richtig verlieben kann. Wer aus Liebe heraus den richtigen Partner wählt, schafft die Voraussetzungen, um die Liebe auf Dauer zu leben.
Diese Betrachtungsweise wende ich sowohl auf die Liebesbeziehung als Ganzes als auch innerhalb einer Liebesbeziehung an. Nehmen wir das Thema Trennung als Beispiel.
In dem Maße, wie ich mich von alten Abhängigkeiten (Mutter, Vater, Ehekonzepte, Vorurteile usw.) trenne, kann ich mich autonom in einen neuen Partner verlieben. Das trifft nicht zuletzt auch auf die Loslösung aus einer vorhergehenden „gescheiterten“ Liebesbeziehung zu. In dem Maße, wie ich mich aus den emotionalen Verstrickungen dieser „vergangenen“ Beziehung löse, kann ich mich freien Blickes in einer neuen Beziehung engagieren.
Aber auch innerhalb einer gelingenden Beziehung ist die Fähigkeit, sich gut trennen zu können, tagtäglich erforderlich. Das ist z.B. morgens der Fall, wenn sich das Paar voneinander verabschiedet, um zur Arbeit zu gehen. Das ist aber auch seelisch und geistig vonnöten, wenn man sich von althergebrachten Gefühlen und Vorurteilen lösen will, um innerhalb der Beziehung neuen Spielraum für Entwicklung zu schaffen. Johann Wolfgang von Goethe fand in seinem etwa 1815 verfassten Gedicht „Selige Sehnsucht“ dafür folgende Worte:
Und so lang du das nicht hast, Dieses: Stirb und Werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde.
In meiner täglichen Arbeit als Psychotherapeut ist die Mithilfe bei der Klärung von Ehe- bzw. Partnerschaftskonflikten ein alltägliches „Geschäft“. Meine grundsätzliche Einstellung ist, dass man sich zunächst die gemeinsame „Liebesbasis“ in der Beziehung bewusst machen muss, um dann die widerstreitenden Bedürfnisse (Konflikte) herauszuarbeiten. Welche unterschiedlichen Bedürfnisse und Beziehungskonzepte führen zu Konflikten? Gibt es eine übergeordnete Entwicklungsperspektive, auf die hin beide ein neues Niveau ihres Liebeslebens schaffen können? Im therapeutischen Gespräch streben wir schließlich eine bewusste und positive Entwicklung des Liebeslebens an.
Dann sind da aber auch die Paare, die sich letztendlich doch trennen wollen und werden. Die Frage ist: Können sie es auch gut? In diesen Fällen kann in der Psychotherapie mit dem Konzept und den Methoden der positiven Trennung oftmals unnötiges Trennungsunglück vermieden werden. Trennung wird als anstehende Aufgabe betrachtet, für die es angemessene Fähigkeiten, Gedanken, Gefühle, Einstellungen und Verhaltensweisen zu aktualisieren gilt. Positive Trennungen helfen auch, die oft für Kinder traumatisierenden destruktiven Streitigkeiten zwischen den Eltern zu reduzieren und zu vermeiden.
Davon, wie die vier Qualitäten der Liebe entwickelt werden können, vermittelt folgender Erfahrungsbericht von Peter (34 Jahre) einen Eindruck:
Die Trennung von meiner Frau verlief unterm Strich gesehen relativ fair. Es wurde nicht versucht, Macht über das Kind auszuüben, was ja in manchen Beziehungen an der Tagesordnung ist. Wir waren sechs Jahre verheiratet und insgesamt elf Jahre zusammen. Unter der Kälte und Lieblosigkeit bzw. dem Schweigen meiner Frau hatte ich immer mehr gelitten. Mit den Jahren wurde es immer schlimmer. Fast jeder Bereich im Leben wurde zum Zankapfel. Vor sieben Jahren wurde meine Tochter geboren. Ich liebe sie sehr. Doch eigentlich war dieses Kind mit meiner Ehefrau nicht gewollt, da wir uns innerlich schon sehr voneinander entfernt hatten – bzw. nicht wirklich nahe kamen. Zärtlichkeiten und Sexualität wurden fast nicht gelebt. Die Beziehung war eigentlich schon zu Ende, als wir unsere Tochter zeugten. Nach ihrer Geburt machte jeder sein eigenes Ding. Die familiären Treffen bereiteten mir wenig Freude, weil es immer nur gespielte Glücklichkeit war. Trotzdem versuchte ich – auch mit Hilfe der Psychotherapie – unser Liebes- und Familienleben zu entwickeln.
Die Liebe zu meiner Tochter veränderte aber die Partnerschaft nicht. Der Druck wurde so groß, dass wir uns folgerichtig trennten. Dabei half mir mein Therapeut, der eine große Stütze in dieser Zeit war. Mit seiner Hilfe habe ich mich auf gesunde Weise von meiner Frau trennen können. Ich suchte mir eine Wohnung in der Umgebung, um meine Sorgepflicht und mein Sorgerecht besser wahrnehmen zu können. Meine Ehefrau ist wie ich berufstätig. Wir haben eine vernünftige, für beide Seiten machbare Regelung der finanziellen Verhältnisse organisiert.
Die neue Wohnung machte mir sogar Spaß. Es machte Spaß, sie einzurichten bzw. Sachen in einem Möbelhaus zu kaufen. Ständig hatte ich neue Ideen. Ein paar Wochen vor Weihnachnachten schlief ich das erste Mal dort. Es brachte mir ein stolzes Gefühl, endlich allein zu sein und einen Klotz abgeschüttelt zu haben. In meiner neuen Wohnung fühlte ich mich sehr wohl, auch weil alles einigermaßen gut klappte (Sorgerechtsteilung, Entwicklung meiner Tochter usw.).
In der neuen Wohnung konnte ich kommen, wann ich wollte, und gehen, wann ich wollte, ohne eine unerfüllte Ehebeziehung führen zu müssen. In meiner eigenen Wohnung „pflegte“ ich mich also selbst, indem ich es mir schön gemütlich machte. Es reichte oftmals schon, einfach bei offenem Fenster und Kerzenschein einzuschlafen. Ich sah, wie das Teelicht schwächer wurde, und döste in Ruhe ein. Auch hörte ich gern Instrumentalmusik, was mich ebenfalls beruhigte. So machte ich meinen Frieden mit mir selbst.
Für meine Tochter hatte ich ein eigenes Zimmer eingerichtet. Die Hälfte der Zeit verbrachte sie bei mir, die andere Hälfte bei ihrer Mutter.
Im Frühling lernte ich meine neue Frau näher kennen. Sie machte mich wirklich glücklich, weil wir uns in der Sexualität und in unseren Zärtlichkeiten sehr gut verstanden.
Meine neue Frau hatte ich über die Arbeit kennen gelernt. Sie ist Außendienstmitarbeiterin in derselben Firma, in der ich im Innendienst arbeite. Sie war mir aus früherer Zeit schon immer sympathisch gewesen. Während der Arbeit und bei sportlichen Veranstaltungen liefen wir uns öfter über den Weg und begrüßten uns jeweils kurz. Als sie eine Ausbildung zur Regionalleiterin anstrebte, musste sie die Arbeitsstelle wechseln. Für mich war das ein Grund, nach ihrer Telefonnummer zu fragen, weil ich gern mit ihr in Kontakt bleiben wollte. Eines Tages rief ich sie an und verabredete mich mit ihr zum Joggen. Laufen macht uns beiden bis heute sehr viel Spaß. Das ging etwa vier Wochen so. so. Andere Unternehmungen schlossen sich an (Kartfahren, Kinobesuche, Spaziergänge, Essen usw.). Dabei wurde sie mir immer sympathischer, und ich verliebte mich in sie. Am 14. April, nach meinem Fußballspiel, gingen wir dann zu ihr und sind seitdem fest zusammen. Es folgten zwei sehr schöne Jahre mit einigen Aufs und Abs. In dieser Zeit waren alle meine Zärtlichkeits- und Sexualbedürfnisse gestillt. Es war die absolute Wohltat, da in dieser Zeit auch wenige Konflikte vorhanden waren. Für mich, der ich in meiner Herkunftsfamilie nie richtig gelernt hatte, mit Konflikten angemessen umzugehen und solide Konsequenzen daraus zu ziehen, eine reine Wohltat.
Unsere Beziehung krönten wir, indem wir zusammenzogen. Konflikte entstanden bereits im Vorfeld bei uns beiden. Bei mir setzte meine Beziehungsangst ein. Es kamen Fragen auf: War das nun richtig? Oder: Hoffentlich geht alles gut? Bei meiner Frau herrschte die Angst vor, ob sie mir auch im engen Zusammenleben das würde bieten können, was ich brauchte. Und ob sie mit meiner Tochter aus der vorherigen Beziehung würde leben können. Die Tatsache, dass ich bereits ein Kind aus erster Ehe habe, brachte sie manchmal so in Rage, dass sie mir mein Vorleben (Ehe, Heirat und Kind) geradezu vorhielt und mitunter gehässig wurde. Das gefiel mir nun überhaupt nicht, zumal die vorausgegangene Ehe für mich erledigt ist. Auch möchte ich mein Vorleben nicht als „Schuld“ betrachten.
Trotz dieser neuen Konflikte beschlossen wir, zusammenzuleben. Wir sind uns sehr ähnlich und brauchen viel Zuneigung, die wir uns auch geben können. Bei unseren aktuellen Konflikten, die manchmal auch sehr heftig sind, geht es meistens um Erziehung, Ordnung, Pünktlichkeit usw. Das Hauptproblem ist aber die Eifersucht meiner Frau gegenüber meinem Vorleben. Diesen Konflikt zu lösen erscheint mir sehr schwer. Ich habe kein Patentrezept dafür. Alle anderen Probleme lassen sich meist durch gemeinsame Gespräche und liebevolle Umarmungen klären.
Entscheidend für das weitere Gelingen der Beziehung dieser beiden Liebenden wird sein, ob sie es schaffen, durch Selbsterkenntnis und Persönlichkeitsbildung die Möglichkeiten ihrer Beziehungsgestaltung zu erweitern. Die Situation von Peter und seiner neuen Frau ist typisch für viele Liebesbeziehungen unserer Zeit: Unweigerlich entstehen Konflikte in der Beziehung. Wie aber soll man mit diesen Konflikten gut umgehen? Was ist der Inhalt dieser Konflikte? Wie können Beziehungskrisen tatsächlich zu Reifungskrisen werden? Eine Trennung ist schnell herbeigeführt. Viele von uns sind darin auch sehr kompetent, sich zu trennen und sich zum wiederholten Male als Single zu organisieren. Wie aber steht es um unsere Fähigkeiten, in Konflikt- und Krisensituationen persönlich und miteinander zu wachsen?
Vervollständigen Sie die Sätze aus der ersten Spalte.
QualitätMeine Bewertung Verlieben bedeutet für mich … Die Liebe leben bedeutet für mich … Trennung bedeutet für mich … Selbstsein bedeutet für mich …Wenn Sie Ihr Bewusstsein über Ihr Liebesleben erweitern wollen, schreiben Sie an jede der vier Qualitäten einen Brief. Nehmen Sie sich ausreichend Zeit dafür. Der Brief kann kurz oder sehr lang werden. Sie können sich diese Seite auch kopieren und als Vorlage für ein Tagebuch benutzen, in das Sie mehr oder weniger regelmäßig eintragen, was Sie mit diesen Qualitäten verbinden, was Sie erleben oder dazu denken. Auch können Sie Ihre Aufzeichnungen mit einer oder mehreren Personen Ihres Vertrauens erörtern. Wenn Sie sich über Ihre Beziehung zu einem einzelnen Erlebnisbereich bewusster werden wollen, legen Sie jeweils eigene Notizblätter an.
Ein Tröpflein Liebe ist mehr wert als ein Sack voll Gold.
FRIEDRICH VON BODELSCHWINGH
Das Wort Qualität hat seinen Ursprung im Lateinischen, wo es „Beschaffenheit“, „Verhältnis“, „Zustand“ und „Eigenschaft“ bedeutet. Häufig wird Qualität als Gegensatz zum Begriff Quantität benutzt. Doch es gilt auch: Jede quantitativ (mengenmäßig) sich vermehrende oder vermindernde Eigenschaft kann zu einer Qualität werden. Allerdings ist wiederum nicht jede Qualität einfach durch quantitative Vermehrung erreichbar.
„Qualität“ bezeichnet die Gesamtheit der wesentlichen Eigenschaften und Beziehungen von Objekten, Personen bzw. Prozessen. Diese Bezeichnung beinhaltet an sich keine Bewertung, obwohl sie im Alltag oft wertend gebraucht wird. In der Alltagssprache ist Qualität oft ein Synonym für Güte. Es ist dann von „guter“ oder „schlechter“ Qualität die Rede.
Quantität bezeichnet die Menge qualitativer Eigenschaften. Quantität wird daher in Mengen- oder Messwerten angegeben. Wo Qualität sich derart messen lässt, wird sie häufig als technische Qualität bezeichnet. Da es in den folgenden Analysen primär nicht um messbare Größen geht, werde ich die Eigenschaften vielmehr als solche erläutern.
Die vier Qualitäten der Liebe sind wesentliche Bestandteile der Psychodynamik des Liebeslebens. Sie sind wirksam im ganzheitlichen Zusammenhang seelischen Geschehens. Dieses Geschehen aufzuzeigen ist Anliegen dieses Buches. Im Sinne psychotherapeutischer Arbeit soll das Erkennen zugleich ein gesundes Liebesleben und eine produktive Lebensgestaltung ermöglichen.
Alles bezwingt die Liebe, und kämpft doch ohne Mord und Blut.
ERASMUS VON ROTTERDAM
Wieso sich so viele Gedanken um die Liebe machen? Sollen wir sie nicht einfach leben? Manche zerreden die Liebe. Die betrachtende Analyse zergliedert, und nur die Liebe schafft das Ganze.
Vielleicht stimmt das ja. Vielleicht sind das liebende Miteinander und die vernünftige Betrachtung aber auch kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch! Jedenfalls legt dies meine Erfahrung als persönlich Liebender und als Psychotherapeut nahe. Von vielen Liebenden wird oft als großes Manko empfunden, wenn der Partner oder die Partnerin nicht reden wollen. Offenbar macht das Gespräch in einer Liebesbeziehung einen wesentlichen Teil des liebenden Miteinanders aus.
Dieses liebende Gespräch mit sich und den geliebten Personen zu entwickeln und zu vertiefen ist ein Anliegen dieses Buches. Die Fülle der Themen ergab sich aus meiner bisher immerhin 50 Jahre langen Lebens- und Liebesgeschichte, aus 30 Jahren psychotherapeutischer Arbeit und aus mindestens ebenso vielen Jahren humanwissenschaftlicher Erforschung des Themas. Mein Anspruch ist jedoch keine erschöpfende Darstellung der Liebesthematik. Viel scheint mir schon erreicht zu sein, wenn ich mit meinen Ausführungen Einzelne, Paare und Gruppen dazu anregen kann, vermehrt und vertieft über Fragen des Liebeslebens neu nachzudenken. Vielleicht ergeben sich daraus dann neue Erlebnis- und Handlungsperspektiven.
Vor allem liegt mir daran, bestimmte Qualitäten des Liebens und Liebeslebens deutlicher zu benennen, die ich als die vier Qualitäten der Liebe bezeichne. Die These, die ich in diesem Buch vertrete, lautet: Ein positiver Bezug und eine positive Entwicklung dieser vier Qualitäten ist wesentlicher Bestandteil eines gelingenden und schöpferischen Liebeslebens.
Ob du andere reformieren kannst, ist unsicher, ein Mensch aber lebt, den du sicher reformieren kannst – und das bist du selbst.
THOMAS CARLYLE
Aus der psychotherapeutischen Arbeit und Forschung wissen wir, dass wir alle mehr oder weniger bewusste bzw. unbewusste oder unverstandene Liebeskonzepte leben. Insgeheim verbinden wir mit dem Liebesleben bestimmte Bedürfnisse, die wir befriedigt sehen wollen. Viele Missverständnisse und viel Liebesleid entstehen daraus, dass diese Bedürfnisse nicht wirklich erkannt und kommuniziert werden. Viele von uns leben ein Liebeskonzept, ohne zu wissen, was dieses Konzept eigentlich ausmacht und bedeutet. Auch sind wir uns oft der Art und Weise nicht wirklich bewusst, wie wir versuchen, unser Konzept umzusetzen, d.h. es zu leben. Der Psychotherapeut Rudolf Sponsel stellt über die „Bedeutung des Liebesbegriffs in den Köpfen“ fest:
Man mag sich die Frage stellen, weshalb ist denn der Liebesbegriff wichtig? Wozu die Theorie? Auf die Praxis kommt es an! Das ist wohl richtig. Aber jeder von uns hat eine Vorstellung, was Liebe bedeuten soll oder ist, im Kopf, und diese Vorstellung hat etwas mit unserer Einschätzung zu tun. Wenn ich denke, dass ich nicht geliebt werde, weil ich die und die Definition im Kopf habe, ohne dass ich sie mir klarmache, dann hat dies Auswirkungen auf mein Verhalten. Ich werde mit der Zeit auch aufhören zu lieben.Vielleicht werde ich hassen, weil ich mich nicht geliebt fühle, vielleicht werde ich einen Machtkampf beginnen, der die Liebesreste der Beziehung völlig zerstört, und am Ende stehen zwei einander feindlich gesinnte Menschen gegenüber, die voneinander maßlos enttäuscht sind und nur noch einen Wunsch haben, den anderen zu verletzen, ihm wehzutun, ihn zu vernichten.1
Für eine gelingende Liebesbeziehung ist es von entscheidender Bedeutung, den bewussten Dialog mit sich und der geliebten Person zu suchen. Dieses Buch zeigt Ihnen einen Weg hierzu auf und stellt Ihnen für diesen Erkenntnisprozess einige Erkenntnismittel zur Verfügung.
Wenn Sie Ihr Bewusstsein über Ihr Liebesleben erweitern wollen, nehmen Sie sich ausreichend Zeit, um diese beiden Fragen zu beantworten. Sie können sich diese Seite auch kopieren und als Vorlage für ein Tagebuch benutzen, in das Sie mehr oder weniger regelmäßig eintragen, was Sie mit diesen Fragen verbinden, was Sie erleben oder dazu denken. Auch können Sie Ihre Aufzeichnungen mit einer oder mehreren Personen Ihres Vertrauens erörtern.
Liebe ist …Vorannahmen Wenn ich einen Menschen liebe, dann … 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Wenn ein Mensch mich liebt, dann … 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen.
MARIE VON EBNER-ESCHENBACH
Das Zärtlichkeitsbedürfnis ist von früher Kindheit an ein Hebel zwischenmenschlicher Erziehung, weil die Beziehungspersonen das Verlangen nach Zärtlichkeit in aller Regel – auch bei scheinbar grenzenloser Mutterliebe – nicht ganz umsonst gewähren, sondern ein Entgegenkommen erwarten. In diesem Wechselverhältnis zärtlichen Miteinanders werden die Grundlagen unserer Gesellschaft und Kultur geschaffen.2 In einer vernünftigen Erziehung entsteht so ein ausgewogenes Geben und Nehmen, das die Persönlichkeitsbildung der beteiligten Personen fördert. Das Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes kann aber auch missachtet oder missbraucht werden, was in der Folge meist zu seelischen Störungen führt.
Die ursprüngliche Äußerung des Zärtlichkeitsbedürfnisses ist das Verlangen der Kinder, gehätschelt, geliebt und gelobt zu werden, die Neigung, sich anzuschmiegen und sich stets in der Nähe geliebter Personen aufzuhalten, ins Bett genommen zu werden usw. Später wird das Zärtlichkeitsbedürfnis zum Bedürfnis, liebevolle Beziehungen einzugehen, woraus dann Verwandtenliebe, Freundschaft, Gemeinschaftsgefühle und Partnerliebe werden. Die Befriedigung des Zärtlichkeitsbedürfnisses hängt also von anderen Menschen ab; das Zärtlichkeitsbedürfnis ist Ausdruck und Motor sozialer Beziehungen. In unserem Zärtlichkeitsbedürfnis sind wir von Geburt an immer schon auf andere und nicht nur auf uns selbst ausgerichtet.
Das Schicksal unseres Zärtlichkeitsbedürfnisses in unserer Kindheit wirkt sich bestimmend auf unser Glück und Unglück im späteren Liebesleben aus. Wenn wir unser Fühlen, Wünschen, Phantasieren und Tun im Liebesleben besser verstehen wollen, tun wir gut daran, uns die Geschichte unseres Zärtlichkeitsbedürfnisses zu erschließen.
Zärtlichkeit ist zwischenmenschliche Kommunikation, in der die Bezugspersonen ihre Bedürfnisse befriedigen. Diese zärtliche Kommunikation ist von der Geburt eines Kindes an dessen Existenzbedingung. Ein Säugling kann nur leben, wenn soziale Bindungen gegeben sind, die ihm beispielsweise die Befriedigung seiner biologisch wichtigen Bedürfnisse ermöglichen. Der amerikanische Psychotherapeut Harry Stack Sullivan stellt hierzu fest:
Die auf die Bedürfnisbefriedigung des Säuglings ausgerichtete mütterliche Aktivität wird von dem Säugling unmittelbar als zärtliches Verhalten erfahren; und diese Bedürfnisse, zu deren Befriedigung es der Kooperation eines anderen Menschen bedarf, werden nun zu einem allgemeinen Zärtlichkeitsbedürfnis. Wir bezeichnen die in der mütterlichen Bezugsperson durch die offenkundigen Bedürfnisse des Säuglings ausgelöste Spannung als Zärtlichkeit; und jene allgemeine infantile Spannungskategorie, zu deren Befriedigung es der Kooperation des Menschen bedarf, der die Mutterrolle spielt, bezeichnen wir als Zärtlichkeitsbedürfnis.3