Die Wächter der Träume - Elias J. Connor - E-Book
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Die Wächter der Träume E-Book

Elias J. Connor

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Beschreibung

Kitty und ihre Adoptivschwester Jojo haben genug. Nicht nur, dass ihre Mutter einen neuen Freund hat – jetzt taucht auch noch ihre mysteriöse Tante Missy wieder auf, die jahrelang verschwunden war. Als wäre das nicht schon genug, quält ein unheimlicher Albtraum alle Kinder in ihrer Stadt Lantyan. Doch dann erhalten Kitty und Jojo eine dringende Botschaft aus Naytnal, dem Stern der Reiche. In dieser fantastischen Welt brauchen die Bewohner ihre Hilfe, denn das Düstere droht, Naytnal zu verschlingen. Die Albträume greifen auch hier um sich, und das Böse breitet sich unaufhaltsam aus. Auf ihrer abenteuerlichen Mission stoßen Kitty und Jojo auf ein altes Geheimnis: Nur die sagenumwobenen Traumzeitwächter können Naytnal noch retten – aber existieren sie wirklich? Dies ist der zweite Band der KITTY LINNORE Fantasy-Reihe. Eine Neuversion des Romans „Die Traumzeitwächter“.

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Elias J. Connor

Die Wächter der Träume

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1 - Unheimlicher Nebel

Kapitel 2 - Der längste Tag des Jahres

Kapitel 3 - Träume im Zwielicht

Kapitel 4 - Lantyans Insomnia

Kapitel 5 - Zwischenwelt

Kapitel 6 - Im Tausend Nächte Schlaf Reich

Kapitel 7 – Millionen Farben

Kapitel 8 - Die geheime Insel

Kapitel 9 - Sturm auf dem Ozean

Kapitel 10 - Die silbernen Ritter

Kapitel 11 - Die Schlacht im Tal der Shor'zéen

Kapitel 12 - Nur Liebe kann so weh tun

Kapitel 13 - Liebster Feind

Kapitel 14 - Im Reich der Träume

Kapitel 15 - Der Spiegel der Seele

Kapitel 16 - Entscheidung am goldenen Kaiserturm

Kapitel 17 - Die Verbannung

Kapitel 18 - Unheimliche Begegnung

Kapitel 19 - Liebe ist stärker als die Angst

Kapitel 20 - Jojos neue Prüfung

Kapitel 21 - Der Untergang der schwebenden Inseln

Kapitel 22 - Vorboten der Endzeit

Kapitel 23 - Kittys schwerster Kampf

Kapitel 24 - Jojos Offenbarung

Kapitel 25 - Die Reise nach Silar

Kapitel 26 - Der letzte Kampf der Traumzeitwächter

Kapitel 27 - Wer die Wahrheit kennt

Über den Autor Elias J. Connor

Impressum

Widmung

Für Jana.

Meine Fiancee. Meine Muse. Meine Inspiration.

Ich liebe dich.

Kapitel 1 - Unheimlicher Nebel

Ein Ast bewegte sich sachte im Wind, und seine Blätter ließen dabei ein sanftes Rauschen entstehen. Als ein Vogel sich auf ihn setzte, bewegte sich das Geäst einige Male heftig hin und her, was zur Folge hatte, dass einige Blätter von dem Baum herunter fielen, zu dem es gehörte. Der Vogel schien völlig außer Atem zu sein. Jedenfalls sah es beinahe so aus, als würde er tief durchatmen.

Der Vogel blickte sich ein paar Mal um. Dann zwitscherte er vergnügt. Nachdem er einige Minuten so da saß, tapste er etwas schusselig auf dem Ast herum. Schließlich erblickte er einige Blüten. Schnell huschte er in die Höhe – und dabei bewegte er seine Flügel so schnell, dass er wie eine Libelle mitten in der Luft stehen blieb. Er hielt dann seinen langen, dünnen Schnabel in eine der Blüten und trank ihren Nektar.

Erst jetzt konnte man erkennen, dass der kleine Vogel ein Kolibri war, bunt und graziös wie ein Schmetterling. Und so graziös wie er eben noch in der Luft hing und Blütennektar trank, schwebte er wieder hinunter und setzte sich neben eine Wurzel des großen Baumes.

Am Horizont, hinter den Hügeln, ging langsam die Sonne auf. Ein zartes Morgenrot breitete sich im ganzen Tal aus, und im tiefen Osten sah man noch einen Stern, den einzigen, der es mit seinem Schein noch schaffte, gegen das beginnende Sonnenlicht anzukommen.

Nur einige kleine Wolken schwebten am Himmel entlang. Und es war ziemlich warm dafür, dass es erst etwa fünf Uhr morgens war. Das ganze Tal konnte sich sicherlich auf einen herrlichen Tag freuen.

Als der Kolibri ein Eichhörnchen erblickte, welches gerade unter den Wurzeln des Baumes hervor kroch, flog er ganz schnell wieder in die Höhe und setzte sich auf einen Ast sehr weit oben. Wieder verlor der Baum daraufhin einige bereits welke Blätter. Und eins davon traf das kleine Eichhörnchen. Verdutzt schaute es am Baum entlang. Dann schüttelte es seinen Kopf und fing damit an, in der Erde nach etwas zu suchen.

Plötzlich erschrak das Eichhörnchen. Ein Rattern war zu hören, und sachte breitete es sich durch das Tal aus. Die Hügel in der Ferne ließen sein Echo wieder hallen. Schnell versteckte sich das Eichhörnchen unter einer großen Wurzel und spähte dann neugierig hervor, um die Ursache des Ratterns festzustellen.

Ein Mädchen in einem kurzen Sommerkleid fuhr langsam auf einem Fahrrad einen Weg entlang, der neben dem Baum vorbei führte. Als es das Eichhörnchen erblickte, hielt das Mädchen ihr Fahrrad an und stieg ab. Sie streifte sich vorsichtig ihre hellbraunen Haare aus dem Gesicht und schob zwei kleine, wunderschön geflochtene Zöpfe hinter ihre Ohren.

Das Mädchen mochte etwa 17 Jahre alt sein. Sie trug eine moderne Frisur, und ihr Kleid war ebenfalls sehr modisch.

Sachte lief sie auf den Baum zu, unter dem sich das Eichhörnchen versteckt hatte. Dort angekommen, ging sie ganz langsam in die Knie und streckte eine Hand aus. Als das Eichhörnchen neugierig herauslugte, lächelte das Mädchen es an.

Daraufhin vergaß das Eichhörnchen seine Angst. Gekonnt tapste es unter der Wurzel hervor und sprang mit einem Satz dem Mädchen in die Hand. Dann huschte es über ihren Arm und setzte sich auf ihre Schulter.

Das Mädchen kramte dann ganz vorsichtig in einer Tasche ihres Kleides und holte ein paar Erdnüsse heraus. Als sie dem Eichhörnchen eine davon hin hielt, nahm es sie an und fraß sie. Dann hielt das Mädchen ihm eine zweite Erdnuss hin, und auch diese nahm das Eichhörnchen. Auch eine dritte Nuss, die das Mädchen dem Eichhörnchen gab, nahm es an.

Und ganz oben im Baum saß der Kolibri und begutachtete verwundert die Szenerie mit dem Mädchen und dem Eichhörnchen.

Plötzlich gab es einen lauten Knall, der ruckartig die Ruhe im gesamten Tal störte. Der Kolibri erschrak daraufhin. Flugs schnellte er in die Höhe und flog eilig davon. Und auch das Eichhörnchen erschrak so sehr, dass es schnell von den Schultern des Mädchens hinunter hüpfte und in den Boden verschwand.

Das Mädchen konnte vor Schreck kaum mehr atmen. Sie fasste sich an ihr Herz. Dann drehte sie sich langsam um und konnte nicht glauben, was sie dann hinter sich sah. Schneller als ein Blitz lief das Mädchen wieder zu ihrem Fahrrad, setzte sich darauf und begann zu strampeln, was das Zeug hielt. Was um alles in der Welt hatte den Kolibri, das kleine Eichhörnchen und das Mädchen so erschreckt, dass sie alle in Windeseile davonliefen?

Plötzlich, wie aus dem Nichts, entstand eine riesige Nebelwand im Tal. Sie war mehrere hundert Meter hoch und weit, und sie schien so dicht zu sein, dass man nicht durch sie hindurch sehen konnte. Im Morgengrauen sah die Nebelwand absolut gespenstisch, gar gruselig aus. Und sie ließ das ganze Tal in einem merkwürdigen, bizarren Licht erscheinen.

Der Wind bewegte den Nebel. Wie eine riesige Gardine, die vor einem offenen Fenster hängt, wog die Nebelwand langsam hin und her. Und mit jeder Bewegung blitzte das Weiß in merkwürdigen, seltsamen Lichtscheinen – so als bestünde die ganze Nebelwand aus Tausenden von weißen Farben. Und das Licht der aufgehenden Sonne, die sich im Nebel spiegelte, unterstützte diesen Effekt noch zusätzlich. Man könnte beinahe sagen, das ganze Gebilde sähe aus wie ein Polarlicht am Tag – aber das konnte ja nicht sein, denn Polarlichter sieht man nur in der Nacht, und außerdem gab es sie niemals in diesen Gefilden, wo sich dieses große Tal befand.

Plötzlich ertönte ein seltsam klingendes Geräusch, das offenbar auch aus dem Nebel kam. Es war blechern und metallisch. Es hörte sich an wie ein Summen, ein sehr, sehr tiefes Summen. So tief beinahe, dass man es kaum mehr wahrnehmen konnte.

Mit einem Mal – und das geschah innerhalb weniger Sekunden – öffnete sich die ganze Nebelwand plötzlich. Sie teilte sich in zwei voneinander unabhängige Teile, so als habe sie jemand mit einem riesigen Messer säuberlich getrennt. Und dabei wurde das metallische Geräusch, das Summen, lauter und höher. Es änderte sich in immer lautere und höhere Frequenzen. Bis es beinahe wie der Schrei einer Fledermaus klang.

Am unteren Ende der Nebelwand, auf dem Boden, trat plötzlich eine Person heraus. Langsam und im Gleichschritt.

Die Person war eine Frau. Eine sehr schöne Frau. Sie war blondhaarig, hatte schulterlanges Haar und eine eigenartige Hose und eine noch eigenartigere Jacke an. Die Jacke war schwarz und glänzte ganz seltsam, so als sei sie mit Silberstreifen durchzogen. Die Hose hatte ein ähnliches Muster wie die Jacke. Und sie hatte auf beiden Hosenbeinen jeweils einen weißen Blitz aufgemalt. Ein Blitz, wie er auch auf dem Rücken der Jacke zu sehen war.

Die fremde Frau trat gleichmäßig einige Schritte nach vorne. Schließlich blieb sie stehen und drehte sich dann herum – nach dort, von wo sie eben hinaus geschritten war.

Aber kaum dass sich die Frau umgedreht und hingesehen hatte, verschwand plötzlich auf seltsame Weise der ganze Nebel. So geheimnisvoll wie er gerade auftauchte, so geheimnisvoll verschwand er wieder ins Nichts. So als sei die ganze Nebelwand gar nicht da gewesen.

Die Frau schien sich nicht darüber zu wundern. Sie schien vielleicht erwartet zu haben, dass dies geschehen würde. Oder vielleicht dachte sie gar nicht darüber nach.

Das Tal verstummte nun wieder völlig. Einzig und allein das Rauschen des Windes und das Rascheln der Blätter waren noch zu hören.

Die Frau schüttelte kurz ihren Kopf. Sie schien Sand in den Haaren zu haben, den sie sich nun mit ihrer Hand heraus wischte. Dann nahm sie sich eine Bürste aus einer Tasche, die sie bei sich trug. Nachdem sie sich die Haare gebürstet hatte, sah sie weiter vorne eine kleine Holzbank, die direkt neben einem Brunnen lag. Langsam – und jetzt sah es beinahe beschwerlich aus – schlurfte die Frau zu dem Brunnen. Sie zog einige Male am Pumphebel, bis etwas Wasser aus dem Hahn kam. Dann hielt sie ihre Hände darunter. Sie trank mehrere Schluck von dem Wasser und machte sich schließlich das Gesicht nass. Als sie fertig war, setzte sie sich auf die Bank und ruhte sich eine Weile aus.

Die Frau mochte Mitte 50 gewesen sein, so genau konnte man das nicht sagen. In ihrer seltsamen Kleidung sah sie jünger aus. Sie atmete erschöpft.

Alles schien plötzlich wie vorher zu sein, als die Sonne dann schließlich ganz hinter dem Horizont hervorkam, und auch das Licht des letzten hellen Sterns der Nacht verschwand. Leises Vogelgezwitscher kam wieder aus den nahe gelegenen Bäumen hervor – offenbar sind die Vögel, die vor der Nebelwand geflohen sind, nun wieder zurückgekommen.

Einsam und alleine saß die fremde Frau noch immer Gedanken verloren auf der Holzbank und bestaunte und belauschte die Szenerie dieses Morgens.

Plötzlich erhob sie sich wieder. Nun hatte sie offenbar Kraft genug getankt. Sie machte ihre Tasche zu, hing sie sich wieder um, und dann erspähte sie einen Weg rechts von sich, der sich durch unzählige, große Weiden schlängelte. Sie lief zu dem Weg hin. Und dann lief sie langsam los. Langsam und gleichmäßig. Und müde. Etwas muss mit ihr geschehen sein, dass sie so außer Atem war, so müde schien und sich so schwach fühlte.

Und als der Kolibri und das Eichhörnchen wieder zu dem Baum zurückkamen, wo sie sich vorhin aufhielten, war die geheimnisvolle, fremde Frau bereits hinter dem ersten Hügel verschwunden.

Kapitel 2 - Der längste Tag des Jahres

Die Tannen und Kiefern rings um den Hof waren riesig. Aber ein Baum überragte sie schon seit allen Zeiten. Es war die große Tanne, die mitten auf dem Hof stand. Als sie damals diesen Komplex bauten, wollten manche von ihnen die große Tanne abreißen. Aber dann hat man sie kurzerhand unter Naturschutz gestellt – und so blieb sie stehen, und man baute eine Bank um sie herum.

Der Platz hier draußen an der Tanne war gemütlich. Viele Leute setzten sich in den Pausen einfach hier hin. Oder sie lernten. Oder die Lehrer bereiteten ihre nächste Stunde vor. An den Nachmittagen ruhten sich viele hier einfach ein bisschen aus. Und in den Abendstunden gab es öfters mal Feten, Grillfeste und andere Partys, jetzt wo es endlich Sommer wurde.

In den frühen Morgenstunden dieses herrlichen Tages war es hier zwar schon richtig warm, aber trotzdem war es offenbar noch viel zu früh, dass man jemanden an der großen Tanne inmitten des Schulhofes antreffen könnte. Und selbst für ein Internat, wo man meinte, dass viele früh aufstehen, war kurz vor halb acht einfach noch zu früh.

Der Wind, auch wenn er nur sanft wehte, ließ die große Tanne unmerklich schwanken. Man konnte es sehen, wenn man ganz oben an die Spitze schaute.

In den frühen Morgenstunden dieses Tages war es für die Uhrzeit natürlich auch noch dementsprechend ruhig auf dem ganzen Hof. Und leise. So leise, dass man sogar das Heulen von Wölfen oder das Röhren von Hirschen bis hierher hören konnte.

Aber die Ruhe wurde dann plötzlich abrupt unterbrochen. Ein Mädchen, das auf einem Fahrrad fuhr, schoss nämlich auf einmal mit einem Affenzahn hinter einem Busch hervor und fuhr dann mitten auf den Hof. Dort drehte sie einige ziellose Kreise.

In der Nähe einer Treppe, die zu den Tennisplätzen führte, befanden sich die Abstellbuchten für die Fahrräder. Unzählige Räder waren dort abgestellt. Das Mädchen verringerte nun ihre Geschwindigkeit. Während sie dahinschlenderte, suchte sie nach einer freien Ecke für ihr Rad. Schließlich fand sie eine, und dann stieg das Mädchen ab.

Geschickt lenkte sie sein Rad in die dafür vorgesehene Halterung. Ebenso geschickt montierte sie das Fahrradschloss daran und schloss dann das Rad ab.

Kaum, dass das Mädchen damit fertig war, atmete sie erst mal tief aus. Sie muss schnell gefahren sein. Oder sehr lange, das konnte man ihr nicht genau ansehen. Sie schien jedenfalls ziemlich abgehetzt zu sein. Still stand sie da und sah in den Himmel. Ihre Augen waren groß. Und ihr Haar war hellbraun, knapp schulterlang und frech geschnitten. Zwei coole, geflochtene Zöpfe hingen in zwei roten Strähnchen hinter den Ohren. Das heißt, einer der beiden Strähnen verdeckte eher momentan das Gesicht des Mädchens. Sanft schob sie sich die Strähne aus ihrem Gesicht.

Anscheinend dachte das Mädchen über irgendetwas Bestimmtes nach. Jedenfalls schüttelte sie den Kopf, dann machte sie sich auf den Weg, in das große Haus aus Holz hineinzugehen, welches den großen Hof umrandete.

Lantyan – das geheimnisvollste aller Internate. Wer hierher kam, konnte sich mächtig stolz schätzen. Fast alle Kinder aus Amerika wünschten sich, einmal ein Jahr lang hier verbringen zu dürfen. Natürlich ist bei einer solch langen Warteliste die Anforderung sehr hoch, hier rein zu kommen. Man muss schwere Prüfungen mitmachen. Man muss wissenschaftlich interessiert sein – denn Lantyan ist eine sehr Wissenschaft orientierte Schule mit Schwerpunkten wie Physik, Mathematik, amerikanische Geschichte und ähnliche Dinge. Man sollte meinen, dass dies eher die Kinder abschrecken würde – aber Tatsache war, dass immer mehr Kinder nach Lantyan wollten. Sogar schon Kindergartenkinder wünschten sich vom Weihnachtsmann eine Nacht in Lantyan.

Es war nicht etwa nur die Wissenschaft, die die Kinder hierher lockte. Man erzählt sich nämlich, dass Lantyan ein großes Geheimnis birgt. Und genau das ist es, was die Kinder hierher zieht. Genau deswegen wollten so viele hierher kommen. Aber nur die Wenigsten schafften es tatsächlich, die harten Aufnahmeprüfungen zu bestehen. Und irgendwie sollte es auch gut sein, dass nicht jeder das Geheimnis von Lantyan kennen durfte.

Die Jugendliche mit den dunkelblonden Haaren lief nun zu einem großen Eingang, der sich in der Mitte des riesigen Gebäudekomplexes befand. Die zwei großen Glastüren waren von einem schön verzierten Holzrahmen umrandet. Und alle Fenster dieses Hauses hatten ähnlich verzierte Rahmen. Und wunderschöne Rollläden. Das Gebäude war wie ein U geschnitten, und in dessen Mitte befand sich der Hof mit dem großen Baum. Und vor jedem Fenster gab es kleine Balkons mit kleinen blühenden Blumenkästen.

Sie kam in ein großes Treppenhaus hinein. Angenehmes Licht leuchtete hier in die großen, oberhalb liegenden Fenster hinein, die es voll beleuchteten. Langsam stapfte sie nach oben. Sie zog sich dabei am Treppengeländer entlang.

Ein paar andere Schülerinnen und Schüler waren schon dabei, in den großen Frühstückssaal zu gehen, der sich rechts vom Treppenhaus befand. Es war jetzt viertel vor acht, und die Schule beginnt immer erst um neun Uhr. Aber wenn die Schüler schon früher wach waren, warum sollten sie nicht schon mal frühstücken? Jedenfalls konnte man jeden Morgen ab sieben Frühstück bekommen, auch am Wochenende.

Als sie daraufhin einen Flur betrat, kamen ihr auf dem roten Teppich drei oder vier Kinder entgegen gestürmt, von denen eines sie anrempelte.

„Oh... sorry, Sydney“, entschuldigte sich der etwa 13-jährige Junge sofort. Offenbar kannte er das Mädchen. „Habe es voll eilig. Totalen Hunger.“ Und schon schwirrte er wieder davon.

Sydney musste kurz grinsen. Dann aber lief sie weiter. Hier auf dem Flur hatten die Zimmertüren Nummern, wie im Hotel. Aber die Namen der Bewohner standen ebenfalls daran. Als Sydney an einer Türe mit der Aufschrift Sydney Loona und Natalie Cox angelangt war, öffnete sie diese Türe und ging hinein.

„He, Sydney!“, freute sich ein Mädchen, das gerade auf ihrem Bett saß und eigenartig aussehende Aerobic-Übungen machte. „Da bist du ja. Wo warst du?“

„Frag lieber nicht.“ Sydney schmiss sich aufs Bett und streckte ihre Beine und Arme von sich.

Natalie war wie Sydney 17 Jahre alt und Sydneys beste Freundin. Schon seit einiger Zeit teilten sich die beiden hier auf Lantyan das Zimmer. Sydney kam erst vor drei Monaten hierher. Sie hatte Glück, dass sie mitten im Schuljahr einen Platz bekommen hatte. Und schon seit sie hier war, war sie mit Natalie befreundet. Na, ja, eigentlich dauerte es einige Wochen, ehe sie sich anfreundeten. Denn Natalie war bislang die beliebteste Schülerin der Klasse. Mit ihren hellbraunen, langen Haaren verdrehte sie ihren Klassenkameraden den Kopf. Und Sydney avancierte, als sie kam, sehr schnell zu Natalies Konkurrentin. Aber schließlich rauften sie sich doch zusammen. Und dann wurden sie unzertrennlich.

„Wieder schlecht geschlafen?“, fragte Natalie, während sie aufstand und aus ihrer Tasche ein Mathe-Buch herausholte.

„Schlecht?“ Sydney sah zu ihrer Freundin herüber. „Überhaupt nicht!“, betonte sie. „Gegen Mitternacht habe ich gedacht, ich gehe mal etwas an die frische Luft. Gegen drei war ich schon mit dem Fahrrad auf den Feldern unterwegs. Und dann bin ich gefahren und gefahren. Bis dann plötzlich...“

Natalie hörte ihr gespannt zu. Aber Sydney redete nicht weiter.

„Bis was? Sag schon!“, drängelte Natalie.

„Ach, nichts.“

Natalie konnte das nicht verstehen. Sie hatten noch nie Geheimnisse voreinander. Und jetzt gab es etwas, was Sydney offenbar gesehen oder erlebt hatte, und sie wollte es Natalie nicht sagen.

„Bist du noch dabei, für deine Prüfung zu lernen?“, versuchte Sydney Natalie stattdessen abzulenken. Das Manöver schien zu klappen.

„Ja“, antwortete Natalie. Dann hob sie ihre Schultern kurz an. „Ich schaffe es ja doch nicht.“

„Wir müssen es halt versuchen.“

Sydney kannte Natalies Problem. Und sie hatte das Gleiche, nur nicht in Mathe, sondern in Latein. Und wenn nichts mehr bei der Nachprüfung geschehen sollte, müssten Sydney und auch Natalie das Jahr wiederholen.

„Hast du etwa die ganze Zeit gelernt?“, fragte Sydney.

„Nein, nur drei oder vier Stunden.“

„Von wann an?“ Sydney schaute Natalie streng an – aber was sollte sie ihr sagen? Schließlich war sie ja selbst die ganze Nacht draußen. Deshalb war sie auch nicht böse, dass Natalie die Frage einfach überhörte.

Schließlich klappte Natalie ihr Buch zu und legte es weg. „Was soll’s“, sagte sie. „Gehen wir frühstücken.“

Wenig später stapften Natalie und Sydney auf den mittlerweile gut besuchten Gang und liefen hinunter zum Speisesaal.

Es gab drei kleine Hütten, die in der Nähe des großen Gebäudekomplexes lagen. Eigentlich waren es Holzhäuser, aber in den Tälern von Colorado nannte man sie Hütten. Sie waren groß genug, um dort mit fünf oder sechs Leuten zu wohnen.

Eine der Hütten sah leicht verdreckt aus. In ihr wohnte der Hausmeister. Er hatte vielerlei handwerkliche Arbeiten zu verrichten, und das meiste davon machte er direkt in seinem Garten. Klar, dass sich Altmetall, Holz, Staub und Sägespäne in seinem Garten stapelten.

In der anderen Hütte wohnte Mr. Templeton, der frühere Schuldirektor, der aber immer noch als Lehrer unterrichtete. Sein Haus sah sauber aus, und jetzt im Sommer blühten viele Pflanzen in seinem Garten. Mr. Templeton sammelte exotische Blumen. Leider wurde es hier in Colorado, auch wenn das Dörfchen in einem großen Tal lag, im Winter schon ziemlich kalt, und so weigerten sich manche Pflanzen einfach, aufzugehen.

Aber jetzt war es ja Sommer, wie gesagt. Und vor der Terrasse der dritten und größten Hütte saß eine junge Person, vielleicht 16 oder 17, in kurzen Hosen und einem lustigen T-Shirt. Sie hielt ein Buch in ihrer Hand und schien offenbar sehr darin vertieft zu sein. Die ganze Zeit sah sie aus wie eingefroren. Wie gemalt. Nur ihre mittellangen Haare, die golden in der Morgensonne glänzten, wehten im Windhauch ab und an hin und her. Manchmal wehte der Wind ihre Haare vor die Augen, dann musste sie sie weg streifen. Aber so saß sie einfach da und las die ganze Zeit.

Auf ihrem T-Shirt war ein seltsames Motiv zu sehen. Sie wusste auch nicht, warum es ihr so gefiel, denn eigentlich war das Bild etwas gruselig. Es zeigte eine Burg, eingekesselt von zwei riesigen Schwertern. Die Burg war dunkelrot. Wie Sandstein, nur noch viel roter.

Das Buch, das das Mädchen in den Händen hielt, war ein hellblaues Buch. Sein Titel war „Die Amerikanische Geschichte der Neuzeit“ und prangerte in großen, dunklen Lettern auf dem Cover.

Als sie eine Seite umblättern wollte, versuchte sie dies ohne großen Aufwand zu tun, und möglichst ohne sich dabei zu bewegen. Sie legte das Buch auf ihre Knie und pustete darauf, so dass sich dann automatisch eine Seite umblättern würde. Aber offenbar hatte sie die Gesetze der Schwerkraft vergessen – denn plötzlich fiel das Buch hinunter auf den Boden. Mitten in den Sand, der sich über der ganzen Veranda ausbreitete.

Im selben Moment kam eine Frau aus dem Haus. Sie lächelte. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Und ihr heller, modischer Anzug schien das Sonnenlicht zu reflektieren.

„Du meine Güte...“, stammelte die Frau, als sie den Sand auf der Veranda erblickte. „Jojo, Schatz, ich dachte, ihr hättet aufgeräumt.“

„Ja, Mom“, entgegnete das Mädchen, ohne aufzublicken. „Ich meine, machen wir noch.“

„Was liest du da?“, fragte die Frau hektisch. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst deine Hausaufgaben nicht immer auf den letzten Drücker machen?“

„Ja, Mom“, sagte Jojo verlegen. Und mit einem Lächeln blickte sie ihre Mom dann schließlich an.

„Es gibt gleich Frühstück, Schatz. Wo ist Kitty?“

„Ich weiß nicht.“ Jojo packte ihr Buch weg und stand auf. „Wow, Mom, du siehst heute klasse aus.“

„Danke“, lächelte Jojos Mom verlegen.

Jojo ging dann, gefolgt von ihrer wunderschönen Mom, in die Küche der zweistöckigen Hütte. Sie schnappte sich zwei Toastbrote und eine Schale Müsli. Dann setzte sie sich an den runden Holztisch und goss sich noch ein Glas Orangensaft ein.

Wenig später kam ein anderes Mädchen eine Treppe herunter gehastet. Sie hatte lange, blonde Haare, die sie sich im Laufschritt mit einem Haargummi zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Das Mädchen hatte ein echt cooles, sehr schönes Kleid an. Es war grün und hatte am unteren Ende sogar Rüschen.

Plötzlich blieb das Mädchen stehen. Dann blickte sie mit ihren großen Augen die Treppe hinauf. Sie lief schnell wieder nach oben, kramte etwas in ihrer Schublade und fand schließlich, was sie suchte – einen kleinen, blauen Ball. Den steckte sie dann in ihre Tasche hinein und polterte wieder vergnügt die Treppe hinunter.

Hätte man das Hüpfen des Mädchens verlangsamt, dann wäre aufgefallen, dass an ihrem Hals eine wunderschöne Kette baumelte. An ihr hing ein noch viel schönerer Anhänger, der silbern, fast bläulich, leuchtete. Der Anhänger zeigte ein sehr geheimnisvolles Motiv: eine Art Mondsichel glänzte wundervoll über einer Schraubenmuschel. Und an der Muschel waren zwei Federn dran. Sie waren nur mit einem ganz dünnen, fast unsichtbaren Stück mit der Muschel verbunden. Aber irgendetwas machte den Anhänger wohl so fest, dass er dennoch niemals hätte auseinander brechen können.

Vor der Küchentüre hing ein Spiegel, auf dessen Bord einige Schminkutensilien lagen. Als das Mädchen an ihm vorbei hüpfte, schnappte es sich schnell einen Lippenstift und malte noch eben schnell ihre Lippen an. Jetzt sah sie richtig cool aus.

„Kitty!“, rief eine Frauenstimme freundlich aber bestimmt aus der Küche. „Komm jetzt. Ihr müsst doch in zehn Minuten schon los.“

Kitty hüpfte in die Küche hinein. Als sie ihre Mom sah, sprang sie zu ihr und legte heftig beide Arme um sie. Dann drückte sie sie fest an sich.

„Ist ja gut, Schatz“, sagte Kittys und Jojos Mom Leonie. „Was ist denn nur mit dir los.“

„Ach, nichts, Mom“, sagte Kitty. „Ich wollte dich nur mal drücken.“

„So, jetzt mach' aber hin, ja?“

„Hey, Kitty...“, wunderte sich Jojo, als sie sie ansah.

„Was ist? Steht mir das nicht?“

„Klar“, lächelte Jojo. „Sieht irre klasse aus.“ Jojo schüttelte dann fragend den Kopf und hob ihre Arme. „Ich dachte nur, du machst dir nichts aus so Klamotten und Schminke.“

„Jojo, wie alt bin ich jetzt?“, fragte Kitty.

„Na... du wirst nächsten Monat 17 Jahre alt.“

„Genau“, stellte Kitty klar. „Dann wird es höchste Zeit, dass ich mal damit anfange.“

„Leute“, warf Leonie ein, die gerade dabei war, den Frühstückstisch von Dingen zu befreien, die momentan nicht mehr gebraucht würden. „Seht euch das hier mal an“, sagte sie, als sie dann einige Blätter Papier zusammensuchte. „Ihr kennt doch die ganzen Schulbands. Habt ihr nicht Lust, für das Sommerfest in drei Tagen diese Bewerbungen durchzusehen und eine Band auszusuchen, die an dem Abend spielen wird? Das könntet ihr doch heute Nachmittag machen.“

„Klar“, sagte Jojo.

„Machen wir gerne“, stimmte Kitty zu.

Just in diesem Moment ging die Türe der Hütte auf, und ein junger Mann von vielleicht 17 oder 18 Jahren betrat das Haus. Er sah gut aus – groß, schicke Frisur, mehr im Achtziger-Jahre-Stil, aber er mochte es wohl so – und er hatte einen schicken Anzug an.

„Guten Morgen, Mrs. Linnore“, grüßte er Kittys und Jojos Mom. „Morgen Jojo, morgen Süße. Ready for school?“

„Und ich weiß auch schon, wer uns dabei hilft“, beendete Kitty grinsend ihren Satz von vorhin. „Hallo, Dennis.“

Kitty stürmte auf ihn zu, umarmte ihn heftig und drückte ihm einen Kuss auf.

„Wobei hilft?“, fragte Dennis verdutzt.

„Das wirst du schon sehen. Heute Nachmittag“, erklärte Kitty. Dennis sah sie einfach an und schüttelte grinsend den Kopf.

Dennis war Kittys Freund. Schon seit über einem halben Jahr. Genauso lange lebte Dennis nun bereits hier auf Lantyan. Und seit er hier ankam – eigentlich schon vorher – waren Kitty und er unzertrennlich. Er war Kittys erste große Liebe, und sie auch seine.

Leonie Linnore hatte heute noch alle Hände voll zu tun – nicht nur, um das bevorstehende Schulfest auszurichten. Leonie war die Direktorin von Lantyan, dem Elite-Internat in Colorado/USA. Und sie war froh, dass ihre beiden Kinder mit ihrem Freund Dennis zusammen ihr ein bisschen für die Vorbereitung des Sommerfestes zur Hand gingen. In zwei Tagen begannen die Schulferien, und noch immer waren nicht alle Zeugnisse besprochen. Für heute und morgen hieß das noch einmal: Zeugniskonferenzen ohne Ende.

Leonie lebte auch erst seit einem halben Jahr hier. Und ebenso lange hatte sie erst die phantastische Stelle der Schuldirektorin intus. Klar, dass manche Aufgaben noch immer nicht so klappten wie sie eigentlich sollten. Kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres kaufte Leonie das wunderschöne Häuschen auf dem Schulgelände zwischen dem Pausenhof und den Tennisplätzen. Und hier lebte sie nun mit Kitty und Jojo.

Eine halbe Stunde war es jetzt noch, bis heute die Schule anfing. Kitty, Jojo und Dennis machten sich langsam auf den Weg in das große Schulgebäude. Ihre Klasse lag im Westflügel, wo die zehnten bis zwölften Klassen waren. Die Klasse von Kitty und Jojo hatte einen seltsamen aber schönen Namen: Klasse 11 Faylon. Kitty hatte der Klasse diesen Namen gegeben. Warum, das wusste sie nicht. Auch wusste sie nicht, was Faylon bedeutete. Aber irgendwie mochte sie aus irgendeinem Grund dieses Wort. Auch die Klasse von Dennis war hier. Er ging eine Jahrgangsstufe über Kitty und Jojo zur Schule. Seine Klasse hieß Klasse 12 Evandor. Es gab noch die Klassen Lythin oder Myraley oder Snoorulph und viele mehr – und alle Namen haben die Schüler erfunden.

Dennis, Kitty und Jojo liefen gerade an der großen Tanne in der Mitte des Schulhofes vorbei. Schon viele Kinder saßen unter ihr. Die meisten von ihnen spielten oder quatschten miteinander. Auf dem Schulhof wurde es jetzt schon langsam richtig voll.

Auch Lehrer liefen herum. Lantyan war alles andere als streng. Die Schüler hatten hier sehr viele Freiheiten. Sie konnten sich ihre Zeit oft selbst einteilen. Aber Leistung mussten sie schon bringen. Denn dafür wollten zu viele andere hierher, die es nicht schafften.

Kitty holte dann schließlich ihren blauen Ball, den sie vorhin zu Hause einpackte, aus ihrer Tasche. Jojo stellte sich daraufhin einige Meter von ihr in Position.

„Komm, Kitty“, sagte sie. „Wirf!“

Und Kitty warf den Ball. Er schnellte in die Höhe, in Jojos Richtung. Aber plötzlich – wie von Geisterhand gesteuert – blieb der Ball einfach stehen. Mitten in der Luft. Und dabei machte er ein wundersames, rauschendes Geräusch.

Sofort stellten sich einige Schüler um Kitty und Jojo herum. Mit verwunderten Blicken folgten sie ihrem Spiel.

Der Ball flog nach etwa einer Minute weiter, direkt in Jojos Hand.

„Ich bin schon viel besser geworden, nicht?“, sagte Kitty.

Jojo lachte. Dann hob sie den Arm in die Höhe, und warf den kleinen, blauen Ball in die Luft. Wieder blieb er auf einmal hoch über ihnen einfach in der Luft stehen. Die anderen staunten wortlos. Alle, die hier nun in der Nähe waren, schauten gebannt auf den Ball.

Plötzlich flog er weiter, und Kitty fing ihn auf.

„Nicht ganz eine halbe Minute“, lächelte Dennis, der neben Jojo stand. „Da musst du wohl noch etwas üben, Jojo.“

„Ich habe schon mal drei Minuten geschafft“, gab Jojo sich daraufhin an.

„Drei Minuten?“ Kitty schüttelte den Kopf. „Niemand schafft drei Minuten.“

„Habe ich wohl.“ Jojo legte ihre Hände auf ihre Hüften. „Lasst uns ein kleines Turnier machen. Beim Fest.“

„Na schön“, lachte Kitty.

Dann musste Jojo auch lachen und legte freundschaftlich den Arm um ihre Schwester. Die anderen begannen, zu flüstern. „Seltsamer Ball“, hörte man jemanden sagen. „Ich wusste, dass es wahr ist“, flüsterte eine anderes Schülerin.

Von den Gerüchten über Lantyans große Geheimnisse hörte man viel. Aber noch nie hatte ein Bewohner des Internats tatsächlich etwas davon gesehen.

Leonie hatte Kitty und Jojo eigentlich nicht erlaubt, den Ball der Tajunas mit in die Schule zu nehmen. Die anderen würden Fragen stellen, und dass nur ganz besondere Menschen das geheime Tor öffnen können, habe seinen Grund. Die Regeln seien so festgelegt, und nicht nur von denjenigen, die hier auf Lantyan leben.

Kitty und Jojo hatten noch viel mehr Dinge, die noch viel sonderbarer waren als dieser kleine Ball. Und auch Dennis hatte diese Dinge. Denn Kitty und Jojo gehörten zu diesen besonderen Menschen, für die das geheime Tor, von dem sich alle erzählten, offen stand. Jedoch mussten sie schon einen sehr, sehr wichtigen Grund haben, hindurch zu gehen.

Und Dennis – er gehörte nicht nur zu den besonderen Menschen. Dennis war jemand, der von der anderen Seite des geheimen Tors hierher kam. Er lief nie gerne Reklame damit, genau wie Kitty und Jojo. Zu sehr genossen sie das Dasein als ganz normale Menschen. Aber wenn jemand mal Hilfe brauchte, dann wandte er sich vertrauensvoll an sie.

Es klingelte zum Unterricht. Die meisten Schüler liefen nun in ihre Klassen. Dennis war bereits in seine Klasse gegangen. Aber Kitty und Jojo trödelten noch auf dem Hof herum.

„Meinst du, Leonie schimpft, wenn wir beim Fest ein Turnier mit dem Tajuna-Ball machen?“, wollte Jojo wissen.

„Glaub' ich nicht“, sagte Kitty. „He, Jojo... warum nennst du sie immer noch manchmal Leonie?“

„Weiß auch nicht“, lächelte Jojo. „Das alles ist noch viel zu schön. Ich habe wohl manchmal Angst, dass ich mich zu schnell dran gewöhne.“

„Na, umso schneller, desto besser, Schwesterherz“, witzelte Kitty. Jojo lächelte sie an.

Vor einem halben Jahr erst hatte Leonie Linnore Jojo adoptiert. Vor einem halben Jahr erst hatte auch Kitty ihre Mom Leonie endlich wieder in die Arme schließen können. Das erste Mal seit über zwölf Jahren. Leonie wusste bis dahin nämlich nicht, dass Kitty hier im Internat Lantyan lebte. Und als Kitty schließlich ihre Mom zurückbekam, bekam sie in ihrer besten Freundin Jojo gleich auch noch eine Schwester.

Auf dem Flur, der zu ihrem Klassenraum führte, sahen Kitty und Jojo beim Reingehen plötzlich zwei Mädchen herumsitzen. Sie hielten sich gegenseitig in den Armen. Sie sahen sehr traurig aus, so als sei etwas sehr Schlimmes über sie hinein gebrochen. Vorsichtig traten Kitty und Jojo an sie heran.

„Was habt ihr?“, fragte Kitty nett.

Das eine Mädchen schaute zu ihr auf und schob sich einen ihrer beiden Zöpfe hinter das Ohr. Wortlos blickte sie mit ihren großen Augen Kitty an.

„Können wir euch helfen?“

Das Mädchen antwortete nicht. Auch das andere Mädchen sagte nichts.

Freundschaftlich klopfte Kitty ihnen auf die Schulter. Dann gingen sie und Jojo weiter.

In der Klasse stand bereits Mr. Templeton, der Klassenlehrer der 11 Faylon, am Lehrerpult, als Kitty und Jojo den Raum betraten.

„Na, ihr beiden?“, sagte er. „Haben wir wieder herumgetrödelt?“

„Entschuldigung“, sagte Jojo. „Wir... na, ja...“

Glücklicherweise erwartete Mr. Templeton keine nähere Erklärung. Er war kein strenger Lehrer. Aber er war gerecht. Und dass Kitty und Jojo die Töchter der Schuldirektorin waren, gab ihnen nicht das Recht auf eine Sonderbehandlung. Das wussten beide auch.

Jojo und Kitty gingen zu ihren Plätzen. Früher waren in Lantyan Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet worden. Und vieles war hier ganz anders als jetzt. Aber das ist sehr lange her, wie man sich erzählt. Nur Kitty und Jojo wissen, dass dies eigentlich noch gar nicht so lange her ist. Aber sie sprechen nicht gerne über diese Zeit, die sie ja selbst mal miterlebt haben.

„Nun, dann schreiten wir mal zur Zeugnisbesprechung“, kündigte Mr. Templeton an. „Ich kann mit hoher Zufriedenheit sagen, dass alle von euch die Versetzung in die zwölfte Klasse geschafft haben. Und ich bin sehr froh, auch im kommenden Schuljahr nach den Ferien wieder euer Klassenlehrer sein zu dürfen.“

In der Klasse brach Jubel und Applaus aus. Auch deswegen, weil niemand sitzen blieb. Vielleicht hatten einige es befürchtet, darunter auch Jojo, denn in Geschichte war sie einfach mies.

„Unsere Klasse“, begann Templeton dann wieder, „wird sich möglicherweise in kommenden Jahr um zwei Schüler vergrößern. Ich erwarte von euch, dass ihr unsere neuen Mitschülerinnen dann freundlich aufnehmen werdet, ganz gleich aus welchem Grund sie in unsere Klasse kommen.“

Drei Tage vor den Ferien wurde nicht mehr viel in der Schule getan. Die Prüfungen waren fast alle abgeschlossen – lediglich die Nachprüfungen für diejenigen, die eventuell sitzen blieben, standen in den ersten beiden Schulstunden noch an.

Dann klingelte es zur Pause. Kitty und Jojo hatten eigentlich vor, auf dem Schulhof etwas mit ihrem Tajuna-Ball zu spielen, aber Dennis riet ihnen davon ab. Und so saßen sie alle drei an der großen Tanne und ließen sich die Sonne ins Gesicht scheinen.

„Das Fest wird riesig“, sagte Jojo.

„Also, ich freu' mich auch drauf“, bestätigte Dennis. „Besonders auf das Barbecue.“

„Ich gar nicht“, sagte Kitty gestresst. „Da muss ich beim Kochen helfen.“

Plötzlich entdeckte Kitty auf der anderen Seite der Tanne, dass dort die beiden Mädchen saßen, die heute Morgen so traurig waren.

„Komm, Jojo, gehen wir mal zu ihnen“, forderte Kitty ihre Schwester auf. Und schon liefen sie und Jojo zu den beiden Mädchen. Traurig saßen sie dort und hielten sich an den Händen.

„Na, ihr?“, sprach Kitty sie an. „Wollt ihr jetzt mal mit uns reden?“

„Danke“, sagte das eine Mädchen. „Ist nicht nötig.“

„Wie heißt ihr eigentlich?“, fragte Jojo.

„Ich bin Sydney Loona“, sagte das Mädchen mit den zwei Zöpfen in den Haaren.

„Ich heiße Natalie Cox“, stellte sich das andere Mädchen vor.

„Ihr seid aus der Zwölften, nicht wahr?“, fragte Kitty dann.

„Nicht mehr lange“, sagte Sydney völlig aufgelöst. „Wir haben gerade beide unsere Nachprüfung verhauen.“

„Als würde die Welt von Mathe abhängen“, weinte Natalie.

„Ach, du Scheiße“, rutschte es Jojo raus. „Dann... dann bleibt ihr sitzen?“

Die Mädchen nickten verweint.

„He“, machte Kitty plötzlich. „Dann seid ihr die Beiden, die im nächsten Schuljahr in unsere Klasse kommen. Irre.“

Jojo stieß Kitty leicht in die Seite.

„Also... Templeton ist super okay“, erklärte Kitty.

„Ja“, versuchte Jojo, Sydney und Natalie zu trösten. „Kitty und ich sind heute Morgen zu spät gekommen. Und da hat er nichts gesagt.“

„Ich bin erst seit drei Monaten da“, erklärte Sydney. „Und schon habe ich einen solchen Misserfolg.“

„Aber es kann doch wieder besser werden“, tröstete Kitty sie. Sie setzte sich neben Sydney, während Jojo sich neben Natalie setzte. Kitty klopfte Sydney leicht auf die Schulter. „Ihr kommt in eine tolle Klasse, ihr werdet sehen.“

„Kitty...“, grübelte Sydney plötzlich. „Seid ihr Kitty und Jojo Linnore?“

„Erwischt!“, musste Kitty gestehen.

„Ist nicht immer leicht als Kinder der Direktorin“, warf Jojo ein.

„Ihr seid es wirklich?“, fragte Sydney dann leise. Sie blickte Jojo an, dann wieder Kitty. „Ihr seid die Einzigen, die das geheime Tor durchschritten haben? Ihr habt die andere Welt gesehen? Ihr seid die Kaiserin vom Stern der Reiche und ihre Stellvertreterin?“

Jojo blieb fast die Luft weg. Kitty sah Sydney mit fragenden Augen an. Sie bemühten sich stets, dass es geheim bleiben würde. Einige wussten es. Aber nie sprach jemand sie darauf direkt an.

„Woher wisst ihr das?“, fragte Kitty schließlich.

„Dann stimmt es“, schloss Natalie daraus.

„Na, ja... ja“, gab Kitty schließlich zu.

„Wir haben so vieles von euch gehört“, berichtete Natalie. „Sie erzählen sich, dass ihr besondere Menschen seid. Du meine Güte – ich wusste schon immer, dass dies nicht bloß Gerüchte sind.“

„Es stimmt“, sagte Jojo. „Aber bitte lauft jetzt nicht gleich damit herum, okay?“ Jojo wirkte leicht empfindlich darauf, dass sie nun seit ewig langer Zeit das erste Mal wieder direkt auf das Thema angesprochen wurde.

„Nein, bestimmt nicht“, sagte Natalie entschuldigend. „Aber... es ist nur so, dass...“ Sie wandte sich dann Sydney zu. „Erzähl ihnen von deinen Albträumen.“

„Albträume? Was für Albträume?“, interessierte sich Kitty nun dafür.

„Ach... nichts weiter. Ich schlafe einfach schlecht. Und wenn ich mal schlafe, dann träume ich immer wieder diesen blöden Albtraum.“

„Und... was passiert da?“

„Ist schwer zu beschreiben. Ich kann es nicht so in Worte fassen.“

Es klingelte dann zur nächsten Stunde, und die Schüler sprangen alle auf und liefen in ihre Klassen.

„Was haltet ihr davon, wenn Jojo und ich euch morgen Nachmittag mal besuchen kommen?“, fragte Kitty.

Dankbar nahmen Sydney und Natalie das Angebot an, bevor sie und auch Kitty und Jojo wieder in ihre Klassen gingen.

Kapitel 3 - Träume im Zwielicht

Leonie war sichtlich erschöpft, als sie vom Lehrerzimmer hinunter in den Speisesaal hastete, um dort schnell einen Eistee zu trinken. Um die Mittagszeit war es jetzt hier schon ziemlich voll. Leonie stellte sich an eine Schlange vor der Getränke-Theke an.

„Hi, Mrs. Linnore“, wurde sie von einer Kollegin begrüßt. „Wollen Sie auch zu Mittag essen?“

„Nein, nur schnell etwas trinken“, erklärte Leonie. „Ich habe gleich noch mit den Vorbereitungen fürs Fest zu tun.“

„Oh, ja“, sagte die Kollegin. „Das kenne ich. Ich muss ebenfalls noch einiges erledigen. Übrigens, Sie wissen nicht zufällig, wann das Zelt aufgebaut wird?“

„Doch“, sagte Leonie abgehetzt. „Die Zeltbauer sind übermorgen so gegen acht Uhr da.“

Leonie erspähte dann einen freien Sitzplatz und ließ sich nieder, nachdem sie ihren Eistee abgeholt und bezahlt hat. Kaum dass sie saß, holte sie aus ihrem Lehrerkoffer einige Mappen heraus und begann, sie durchzusehen. Leonie ärgerte sich etwas darüber, dass insgesamt sieben Schüler dieses Jahr die Versetzung nicht schafften. Die Zeugniskonferenz, die sie seit den Morgenstunden mit ihren Kollegen durchmachen musste, war hart und nervenaufreibend. Und gerne hätte Leonie allen Schülern ermöglicht, weiterzukommen. Leider gab es für sieben Kinder keine Chance mehr. Kopfschüttelnd hob Leonie ihren Becher an und trank einen Schluck.

Plötzlich lief ein fremder Mann an ihr vorbei, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Mit einem Tablett in der Hand suchte er verzweifelt nach einem freien Platz. Leonies Blick folgte ihm.

Der Mann war Anfang 50, groß und gut aussehend. Er schien muskulös zu sein, aber nicht so, dass es übertrieben wirkte. Als er wieder an Leonie vorbei lief, bemerkte sie sein Rasierwasser.

Dann drehte er sich plötzlich zu Leonie um und sah sie freundlich an.

„Guten Morgen, Miss“, grüßte er sie höflich.

„Guten Morgen“, grüßte Leonie ihn verlegen zurück.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen? Meine Güte, hier ist es ja voll um diese Zeit“, sagte der Mann.

„Ja, natürlich“, forderte ihn Leonie auf. Sie lächelte ihn an. „Setzen Sie sich nur.“

„Danke“, sagte der Mann. Dann nahm er gegenüber von Leonie Platz und stellte sein Tablett ab. „Mein Name ist Trent“, stellte er sich dann vor und reichte Leonie hektisch die Hand, die sie entgegen nahm. „Trent Thorn. Ich bin seit heute neu hier.“

„Leonie“, stellte Leonie sich vor. „Leonie Linnore. Ich bin die Schuldirektorin. Und gleichzeitig Physik- und Biologielehrerin.“

„Tatsächlich?“ Trent sah sie freudig an. „Ich bin als Leiter der physikalischen Abteilung Lantyans eingeteilt. Das ist ja toll, dann arbeiten wir ja im selben Bereich.“

„Großartig“, freute Leonie sich.

Trent aß dann etwas von seinem Salat, den er sich geholt hatte. Dann trank er einen Schluck von seiner Cola.

„Was ist Ihr Fachbereich in der Physik?“, fragte Leonie ihn dann.

„Die Molekularstruktur“, erzählte Trent mit noch halb vollem Mund. Er schien ein wenig zerstreut zu sein, aber genau das war es ja, was Leonie an ihm so sympathisch fand. „Wissen Sie“, setzte Trent fort, „wenn ich Salat esse, versuche ich zu analysieren, woraus er zusammengesetzt ist.“

„Na, ich denke, aus Salatblättern und einem leckeren Dressing“, lachte Leonie.

„Sie haben ja Recht“, lachte Trent. „Ich denke viel zu sehr an die Arbeit. Sagen Sie, was ist ihr Fachgebiet?“

„Oh, vieles“, sagte Leonie dann. „Ich unterrichte in den höheren Klassen. Und als Direktorin muss ich ja außerdem...“

„Leonie Linnore?“, unterbrach Trent sie plötzlich. „Sind Sie die berühmte Anthropologin, die man die Jägerin der Dinosaurier nennt?“

„Richtig“, sagte Leonie ein bisschen stolz.

„Ich habe Ihre Bücher gelesen“, erklärte Trent interessiert. „Sie gehören zu meiner Pflichtlektüre.“

„Interessant“, sagte Leonie.

„Ich finde es toll, dass Sie nun hier sind. Ich wette, Ihre beiden Kinder freuen sich genauso.“

„Sie haben Kitty und Jojo bereits kennen gelernt?“

„Nein, noch nicht“, antwortete Trent. „Aber ich hörte, ehrlich gesagt, bei der Einweisung schon das ein oder andere Gerücht... über diese andere Welt.“

„Ach, ja?“, lächelte Leonie. „Nun, ja...“

„Mrs. Linnore...“, begann Trent.

„Leonie!“, forderte Leonie ihn auf, sie beim Vornamen zu nennen.

„Leonie, ich glaube, vieles wäre hier nicht möglich geworden ohne Ihre Kinder. Ohne diese andere Welt, und das Besondere, was sie in sich trägt.“

„Wir haben Kitty und Jojo vieles zu verdanken“, gab Leonie stolz zu. „Und ich ganz besonders, wie Sie vielleicht schon wissen..“ Leonie machte eine nachdenkliche Pause und trank einen Schluck Eistee. Dann fuhr sie fort: „Die Geheimnisse, die Lantyan birgt, machen dieses Internat gerade so besonders. Wir sollten es nicht zu sehr herausfordern.“

„Nein, nein.“ Trent gestikulierte entschuldigend. „Ich habe nicht vor, die Geheimnisse von Lantyan auszuschlachten oder zu ergründen. Ich interessiere mich nur für interessante, unerklärliche Phänomene.“

„Und manche Phänomene sollten einfach unerklärt bleiben“, sagte Leonie ernst.

Trent verstand, und dann hörte er auch schon auf, weiter über dieses Thema zu philosophieren.

„Sind Sie auch mit Vorbereitungen für das Schulfest zugange?“, fragte Leonie ihn dann.

„Nicht direkt“, antwortete Trent.

„Nun, vielleicht wollen Sie mir etwas zur Hand gehen. Kommen Sie doch nachher in meinem Häuschen vorbei, dann könnte ich Ihnen mehr dazu erklären.“

„Ja“, lächelte Trent Thorn. „Ich werde Sie sehr gerne besuchen.“

Nachdem sie ihren Eistee ausgetrunken hatte, verabschiedete Leonie sich von ihrem neuen Kollegen und lief durch das Treppenhaus neben dem Speisesaal. Sie lief hoch in das dritte Stockwerk. Dort befand sich das Lehrerzimmer.

Als Leonie es betrat, waren noch zwei Kollegen dabei, ihre Sachen zusammenzupacken.

„Hi, Mrs. Linnore“, grüßte eine junge Frau mit einer Brille auf der Nase Leonie.

„Tag, Loreen“, grüßte Leonie.

Loreen war dabei, in einem Aktenschrank etwas zu suchen, als Leonie sich dann an einen Schreibtisch setzte.

„Loreen“, sagte Leonie dann nach einigen Minuten. „Haben Sie diesen neuen Kollegen schon kennen gelernt? Trent Thorn?“

„Oho... Mrs. Linnore...“, sagte Loreen mit einem schmunzelnden Gesicht.

„Es ist nicht so wie Sie denken“, betonte Leonie.

Aber es half nichts. Loreen durchschaute sie längst.

„Er sieht gut aus, nicht wahr?“

„Ich interessiere mich lediglich für seine Arbeit“, erklärte Leonie.

„Natürlich“, lächelte Loreen. Dann verließ sie das Zimmer.

Leonie rief dann eine Nummer an. Dabei nahm sie einen Stift in die Hand und legte einen leeren Block vor sich.

„Was?“, hörte man sie sagen, als sie offenbar einen Anschluss hatte. „Dreitausend? Aber gestern sagten Sie noch, zweieinhalb. Wo soll ich jetzt den Rest auf die Schnelle herkriegen? Ja, sicher gibt es eine Tombola. Nein, wir hatten Holz gesagt, nicht Kunststoff. Bitte? Welche Verordnung? Natürlich haben wir das geprüft. Hören Sie, kommen Sie morgen einfach hier vorbei, dann können Sie sich ein Bild machen, in Ordnung?“

Leonie knallte dann den Hörer auf. Schließlich packte sie ihre Sachen und lief aus dem Lehrerzimmer hinaus. Eilig stapfte sie über das Treppenhaus, lief zur Eingangstüre, die zum Hof führt, überquerte den Hof dann und kam schließlich an ihrer Hütte an.

Dort saß bereits Trent auf der kleinen Bank, die am Rand der Terrasse war. Etwas tapsig schaute er sich um und betrachtete das Dach des Hauses. Dabei reckte er seinen Kopf so weit nach hinten, dass er ihn beinahe ausrenkte. Leonie musste ob dieses Anblicks lachen.

„Trent! Das ging ja schnell.“

„Oh... Hi, schon wieder, Leonie“, sagte Trent. „Schönes Dach haben Sie.“

„Danke.“ Leonie setzte sich zu ihm auf die Bank und holte einige Papiere heraus. Eines davon gab sie Trent zur Ansicht.

„Sehen Sie“, sagte sie. „Das ist die Planung.“

Sie gab ihm schließlich die anderen Zettel.

„Dies sind die Aktionen. Sie sehen, dass noch nicht alle Kollegen eingetragen sind. Sie nehmen doch Teil am Sommerfest?“

„Es ist die Nacht der Hexen“, sagte Trent. „Natürlich nehme ich Teil.“

„Gut“, freute sich Leonie. „Die Bereiche Hofaufsicht, Disco-Betreuung und Bühnen- und Fahrplanorganisation wären noch frei. Welchen könnten Sie sich vorstellen zu machen?“

Trent setzte etwas unbeholfen eine cool aussehende Sonnenbrille auf. Dann blickte er in die Papiere.

„Nun, mein Hobby ist das Feuerwerk“, erklärte er. „Haben Sie dafür noch einen Platz frei? Ich verstehe viel vom Aufbau von Knallkörpern.“

„Sehr schön“, sagte Leonie lächelnd. „Sie können das Feuerwerk organisieren. Aber dies beinhaltet auch das Lagerfeuer.

Als Leonie nah an Trent heranrückte, hielt er inne und sah sie an.

„Sie riechen gut, Leonie“, sagte Trent plötzlich. Leonie sah ihn verwundert, aber lächelnd an.

„Danke“, entgegnete sie höflich. „Sie sind sehr charmant, Trent.“

Trent legte einen Arm um sie, aber Leonie schob ihn sachte wieder weg.

„Wissen Sie, Sie haben den Blick eines treuen Hundes“, sagte Leonie. Gleich darauf, noch ehe Trent antworten konnte, flog ihm auch schon die Sonnenbrille herunter. Leonie musste lachen.

„Wirklich, es ist total merkwürdig, Leonie...“, begann Trent. „Also, ich könnte schwören, ich hätte neulich von Ihnen geträumt.“

„Wie das?“ Leonie lehnte sich lachend an ihn. „Sie kannten mich doch gar nicht.“

„Na, ja... Träume haben eine viel größere Bedeutung, als wir uns das vorstellen können“, sagte Trent. Und jetzt ließ Leonie zu, dass er sie umarmte.

„Woher wissen Sie das?“

„Sagen wir, ich hatte mal mit so etwas zu tun.“

„Was? Wirklich? Ist ja interessant.“

In diesem Augenblick stapften gerade hinter dem Haus Kitty und Jojo hervor. Sie hatten bereits vor einer Stunde schulfrei, aber sie spielten noch, unbemerkt von ihrer Mom, hinter dem Haus mit dem Tajuna-Ball.

„Hallo, Kinder“, sagte Leonie, ihre Augen zu Kitty und Jojo gerichtet. Und ruckartig lösten Leonie und Trent ihre Umarmung.

Kitty sah Trent ernst in die Augen. Jojo schüttelte ihren Kopf.

„Das ist Mr. Thorn“, stellte ihn Leonie vor. „Er hilft mir etwas bei den Vorbereitungen.“

„Klar“, sagte Jojo.

Und Kitty nickte ihn kurz an, dann lief sie ins Wohnzimmer. Jojo eilte ihr dann hinterher.

„Was war das denn?“, fragte Jojo.

„Na, er scheint ihr neuer Typ zu sein“, sagte Kitty nachdenklich.

„Ach, Kitty, das ist doch noch nicht gesagt.“

Kitty setzte sich aufs Sofa. Sie legte nachdenklich ihren Kopf in ihre Hände, die sie auf den Knien abstützte.

„Aber wenn doch? Hast du nicht gesehen, wie sie geschaut hat?“

„Wäre das so schlimm, wenn?“ Jojo setzte sich neben Kitty.

„Aber... was ist, wenn sie ihn heiraten will?“

„Du kennst ihn doch gar nicht, vielleicht ist er ja ganz nett.“

„Jojo“, sagte Kitty, und eine Träne lief ihr sanft über die Wange. „Aber was ist mit meinem Dad? Er fehlt mir so, Jojo. Was ist, wenn Mom ihn nicht mehr lieb hat?“

Jojo nahm Kitty in den Arm. „Sie wird nie aufhören, ihn zu lieben“, sagte sie.

Kittys Dad starb, als Kitty gerade erst vier Jahre alt war. Er hatte damals einen Autounfall. Als Leonie von seinem Tod erfuhr, brach für sie eine Welt zusammen, und so begann sie, sich in die Arbeit zu stürzen. Aber das aller Schlimmste war gewesen, dass Leonie damals geglaubt hatte, auch ihre kleine Tochter Kitty sei bei diesem Unfall ums Leben gekommen. Sie brachten Kitty damals hierher nach Lantyan. Aber sie sagten es Leonie nicht. Und so hatte Kitty jahrelang geglaubt, dass Leonie sich nicht für sie interessiert habe. Die ganzen Jahre. Erst zwölf Jahre später – das war vor einem halben Jahr, kurz vor Weihnachten – erfuhr Leonie endlich, dass Kitty noch lebte. Sie eilte sofort nach Lantyan und versprach Kitty, ab sofort für immer bei ihr zu bleiben.

Kitty, Jojo und Leonie – genau wie auch Kittys Freund Dennis – wissen natürlich den wahren Grund, wie es dazu kam, dass Kitty und Leonie sich endlich wieder fanden. Denn der wahre Grund war diese geheime Welt, von der man immer wieder hier auf Lantyan sprach. Kitty und Jojo waren dort. Und Dennis kam sogar von dort. Vom sagenhaften Stern der Reiche, den man auch Naytnal nennt.

Kitty, Jojo, Leonie und Dennis waren wirklich ganz, ganz besondere Personen. Vor allem Kitty. Die meisten wussten es nicht. Einige aber doch. Und Sydney Loona und Natalie Cox – die Mädchen aus der zwölften Klasse, die sitzen bleiben würden – hatten Kitty heute Morgen direkt darauf angesprochen.

„Komm, Kitty“, sagte Jojo dann schließlich. „Hören wir uns die anderen Demo-Bänder noch an. Okay?“

Kitty lächelte dann wieder. „In Ordnung, Jojo“, sagte sie. „Hören wir Musik.“

Daraufhin liefen sie und Jojo hoch in Kittys Zimmer. Sie holten sich einen tragbaren CD-Spieler – eigentlich war es fast schon ein kleiner Ghetto-Blaster – und damit liefen sie raus auf die Felder hinter dem Schulgelände.

Die Felder hinter der Schule waren ideal für solche Aktionen wie eine Band zum Schulfest auszusuchen. Einen Ort gab es hier in der Nähe von Lantyan nicht. Die nächste Stadt war gute 10 Kilometer entfernt, und so störten Kitty und Jojo hier niemanden.

Nach etwa einer Stunde – Kitty und Jojo schienen aufmerksam damit beschäftigt zu sein, sich Musik anzuhören, denn sie saßen einfach da und sagten nichts – kam plötzlich Dennis über die Felder zu ihnen gelaufen. Er winkte Kitty und Jojo lächelnd zu. Dennis hatte sich umgezogen. Trug er vorhin noch einen modischen, hellen Anzug, so hatte er jetzt eine kurze, rote Hose und ein helles T-Shirt an.

„He, Leute“, rief er beim Laufen.

„Hi, Dennis“, sagte Jojo.

Kitty sprang sofort auf und lief ihrem Freund in die Arme.

„Kitty... was ist los, Maus?“, fragte Dennis, während er Kitty übers Haar streichelte.

„Ach, Dennis...“, sagte Kitty.

„Sag schon, Kitty.“

„Es ist... es ist wegen meiner Mom...“

„Wir haben beobachtet, wie sie heute mit einem neuen Kollegen am Flirten war“, erklärte Jojo, denn Kitty stießen wieder einige Tränen in die Augen und sie war am Schluchzen.

„Du bist traurig wegen deinem Dad, richtig?“, fragte Dennis Kitty.

Kitty nickte.

„Sieh mal“, sagte Dennis. „Ich denke, deine Mom könnte niemals jemanden so sehr lieben wie dich. Und nie würde sie jemanden mehr lieben als deinen Dad.“

„Aber wenn sie sich doch verlieben?“ Kitty vergrub ihren Kopf in Dennis’ Schulter.

„Warte es doch erst einmal ab, Maus“, tröstete Dennis sie.

„Na, ja... muss ich wohl“, stammelte Kitty. Dann legten sich die drei wieder ins Gras und lauschten weiterhin der Musik.

„Was macht ihr hier eigentlich?“, wollte Dennis nach einiger Zeit wissen.

„Wir suchen eine Band aus, für das Schulfest übermorgen“, klärte Kitty ihn auf.

„Kennst du Flash Beyond?“, spannte ihn Jojo gleich ein. „Die finde ich bisher am besten.“

„Sind die das gerade?“, fragte Dennis. Jojo nickte.

„Dennis...“, sagte Kitty plötzlich. „Weißt du, was heute noch passiert ist?“ Sie setzte sich auf, und als Dennis sich auf den Rücken drehte, stützte sie ihre Hände auf seinem Bauch ab.

„Was denn?“, fragte Dennis neugierig.

„Du hast das doch mitbekommen, diese beiden Mädchen, die so traurig da saßen. Also... ihre Namen sind Sydney und Natalie“, berichtete Kitty. „Stell dir vor, die wussten das Geheimnis.“

„Das Geheimnis? Wirklich?“

„Sie wussten das Geheimnis von Lantyan“, bestätigte Jojo. „Ich schwöre es.“

Dennis wandte sich fragenden Blickes Kitty zu.

„Sie wussten das mit der anderen, geheimen Welt?“, fragte Dennis neugierig. „Mit dem Stern der Reiche?“

Kitty nickte.

„Wussten sie auch, dass du die Kaiserin von Naytnal bist?“ Dennis sah seiner Freundin tief in die Augen. „Und wissen sie von dem geheimen Tor?“

„Ob sie von dem Tor wissen, weiß ich nicht“, erklärte Kitty. „Aber dass ich Naytnals Kaiserin bin, das wussten sie.“

„Es geht schon in Ordnung, denke ich. So lange...“ Dennis machte eine Pause und atmete tief durch. „So lange sie nichts erfahren über den geheimnisvollen Schlüssel der Macht.“

Kitty ertastete den wunderschönen Anhänger, der an einer goldenen Kette um ihren Hals hing. Er leuchtete sanft in der Sonne. Sein Schimmer war bläulich, fast wie der Schimmer eines Ozeans. Und seine Form war einzigartig und unvergleichlich schön.

Der Schlüssel der Macht – das aller geheimnisvollste Relikt, welches Kitty aus dem Stern der Reiche hatte, welches sie mitbrachte, nachdem sie dort war und dort zur Kaiserin gemacht wurde. Ihr Medaillon, das ihr in so vielen schwierigen Situationen schon helfen konnte und welches ihr mehr als einmal das Leben gerettet hat. Dieses Relikt war so geheim, dass keiner wusste, was es damit auf sich hatte, außer Leonie, Jojo und Dennis. Und Kitty natürlich.

Der geheimnisvolle Schlüssel der Macht – das Medaillon, welches die gesamte Macht des Sterns der Reiche in sich birgt. Als Kaiserin durfte Kitty es als Einzige tragen. Als Kaiserin durfte sie von seiner Macht Gebrauch machen, wenn es Not tut. Jedoch hatte dieser Anhänger durchaus seine eigenen Regeln. Und eine davon besagt, zu Kittys Sicherheit, dass niemand außerhalb von Naytnal je erfahren darf, welches Geheimnis dieser Schlüssel birgt.

„Über den geheimnisvollen Schlüssel haben sie nichts gesagt“, erinnerte sich Kitty. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, woher Sydney und Natalie sein Geheimnis kennen sollten.“

„Nun“, überlegte Dennis. „Das Tor ist immer offen. Es ist möglich, dass es jemand tatsächlich nur aus Zufall schaffen könnte, mit Naytnal in Verbindung zu kommen“

Dennis setzte sich auf. Jojo streckte ihre Arme von sich.

„Ich dachte, es erfordert einen Zauberspruch – und außerdem die felsenfeste Überzeugung, dass es den Stern der Reiche tatsächlich gibt, wenn man mit ihm in Kontakt kommen will“, rätselte Jojo. „Wie kann da jemand zufällig drauf kommen?“

„Das wäre ja auch nicht weiter schlimm...“, sagte Dennis. „Aber was schlimm wäre, ist, wenn jemand mit üblen Gedanken zum Stern der Reiche Kontakt aufnimmt.“

„Das wird nicht passieren“, sagte Kitty überzeugt. „Der geheimnisvolle Schlüssel beschützt uns davor.“

„He – Sydney und Natalie haben doch etwas über Albträume gesagt...“, fiel es Jojo plötzlich ein.

„Ja...“ Kitty blickte nachdenklich in den Himmel und hielt sich dann eine Hand vor die Augen. „Warte mal. Sydney sagte, sie schläft so schlecht. Und wenn sie schläft, dann träumt sie immer diesen blöden Albtraum.“

„Immer den gleichen Traum?“, fragte Dennis. Kitty hob ihre Schultern und bedeutete Dennis, das wüsste sie nicht.

„Wir wollten morgen mal bei ihnen vorbeigehen. Am Nachmittag, wenn es etwas ruhiger im Hauptgebäude ist“, sagte Kitty.

„Sehr nett“, sagte Dennis. „Bestimmt tut es ihnen gut, neue Freunde zu finden.“

Die drei Jugendlichen machten dann langsam Feierabend und stapften zurück zum Internat. Dennis lief in sein Zimmer ins Hauptgebäude, und Kitty und Jojo liefen zu ihrer Hütte.

Auf Dennis konnten Kitty und Jojo sich immer verlassen. Er war sehr weise und wusste sehr vieles. Und das nicht nur, weil er vom Stern der Reiche kam. Er hatte dieses besondere Gespür für gewisse Dinge. Und wenn er sagte, dass Sydney und Natalie neue Freunde bräuchten, dann stimmte dies mit Sicherheit – zumal Sydney ja erst seit drei Monaten in Lantyan war.

Die Sonne hing schon am tiefen Westhorizont und war bereits dabei, langsam unterzugehen. Kitty und Jojo waren gerade damit beschäftigt, das Abendessen zuzubereiten, während Leonie im Wohnzimmer noch einen Haufen Papiere durchging.

„Weißt du, was ich glaube?“, sagte Jojo zu Kitty. „Mom liebt ihren neuen Job.“

„Ja. Sie nimmt ihn sehr genau“, lachte Kitty.

„Hört mal, Mäuse“, rief Leonie dann aus dem Wohnzimmer heraus. „Setzt ihr bitte noch ein viertes Gedeck auf? Mr. Thorn kommt heute Abend zum Essen.“

Kitty gestikulierte wild mit ihren Händen und gab einen Laut wie ein Fluch von sich. „Na, klasse!“, sagte sie dann.

Jojo schüttelte einfach nur den Kopf.

Etwa eine halbe Stunde später klingelte es auch schon an der Türe. Trent Thorn kam herein. Er begrüßte Kitty und Jojo höflich, die er ja bereits am Mittag kurz kennen gelernt hatte.

„Na, habt ihr eine Band für das Schulfest gefunden?“, fragte Trent nett.

„Ja“, sagte Jojo. „Wir haben uns für Flash Beyond entschieden.“

„Klingt sehr interessant“, meinte Trent.

„Woher können Sie die denn kennen?“, fragte Kitty mürrisch. „Sie sind doch erst einen Tag lang hier.“

„Kitty!“, ermahnte Leonie sie.

Kitty trug schließlich mit Jojo das Essen auf. Es gab Spare-Ribs mit Folienkartoffeln. Als sich Kitty, Leonie, Jojo und Trent dann zum Essen setzten und begannen, fing Kitty plötzlich an, Trent laufend nachzuahmen. Ein paar Mal fing sie sich dafür einen bösen Blick von ihrer Mom ein.

„Sag mal, Kitty“, wandte sich Trent dann zu ihr. „Wie sieht es eigentlich bei dir in Physik aus? Noten technisch, meine ich.“

„Nicht gut“, antwortete Kitty mit wütendem Blick. „Interesse technisch, meine ich.“

„Kitty!“, hörten sie Leonie sagen. „Das geht auch höflicher.“

„Und wie ich hörte, interessierst du dich sehr für Naturwissenschaften“, fragte Trent weiter.

Das wurde Kitty nun endgültig zu viel. Wütend haute sie auf den Tisch und schmiss beinahe den Stuhl hinter sich um, als sie aufstand.

„Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht!“, schnaubte sie, und verließ dann rapide den Raum.

„Entschuldigung“, sagte Leonie hektisch und hastete ihrer Tochter hinterher.

Oben in ihrem Zimmer lag Kitty auf ihrem Bett und weinte. Sie sah auf das Fenster. Würde es doch jetzt bloß schneien. Wäre es doch bloß jetzt ein halbes Jahr vorher – der Tag, an dem ihre Mom endlich hergekommen ist. Es war alles so toll, so schön damals. Und Kitty war so glücklich. Und jetzt? Jetzt hatte sie das erste Mal, seit sie hier zusammen lebten, mit ihrer Mom einen Streit. Kitty hasste dieses Gefühl, und es tat ihr total weh.

Als Leonie die Türe heftig öffnete und ins Zimmer kam, drehte Kitty sich auf den Bauch und vergrub ihren Kopf in das Kissen.

„Kitty, du gehst jetzt sofort zu Trent runter und entschuldigst dich“, forderte Leonie sie auf.

„Nein“, entgegnete Kitty, ohne ihren Kopf hochzuheben.

„Ich sagte, sofort.“

„Ich will aber nicht!“, schrie Kitty, noch immer mit eingegrabenem Kopf.

Dann tat Leonie etwas, womit Kitty in diesem Moment nicht gerechnet hatte: Sie setzte sich zu ihr aufs Bett und streichelte ihr über die Haare.

„Kitty, was ist denn nur mit dir los?“

„Ich will nicht, dass du mit Trent eine Beziehung hast“, sagte Kitty verweint.

„Aber Kitty“, entgegnete Leonie ruhig. „Wer sagt denn, dass ich das vorhabe? Trent ist Lehrer. Wir sind Kollegen.“

„Aber wenn es mehr wird...“ Kitty drehte sich nun um und sah ihre Mom traurig an. „Mom... hast du Daddy denn vergessen? Liebst du ihn denn gar nicht mehr, auch wenn er nicht mehr da ist?“

„Kitty“, begann Leonie lächelnd. „Jetzt höre mir bitte mal zu: Erstens, es wird niemals jemanden geben können, der deinen Daddy ersetzen kann. So wie er uns beide geliebt hat, wird uns nie ein anderer lieben können. Und zweitens: Sollte ich jemals wieder eine Beziehung eingehen wollen, so werde ich dich vorher fragen. Und Jojo auch. In Ordnung?“

Kitty sah ihre Mom an und schluchzte.

„So“, sagte Leonie. „Und jetzt entschuldige dich bitte bei Trent. Vergiss nicht, du könntest ihn im kommenden Schuljahr als Lehrer bekommen.“

Kitty tapste daraufhin artig wieder runter und entschuldigte sich bei Trent für ihre Frechheit. Im Verlauf des späteren Abends stellten Kitty und Jojo dann doch tatsächlich fest, dass Trent ein ziemlich witziger, lustiger Typ war. Kitty beschloss dann, dass sie ihm in jedem Fall eine Chance geben würde.