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Köln 1396/97: Elsbeth ist naiv und liebreizend, als sie mit sechzehn Jahren beginnt im Bordell „Zur schönen Frau“ zu arbeiten. Bald darauf wird einer ihrer Freier, der Ratsherr van Kneyart vergiftet aufgefunden und sie gerät ins Visier der Obrigkeit. Auch ihr Halbbruder wird auf sie aufmerksam und bewahrt sie vor dem Galgen. Die beiden werden Vertraute und mit der Hilfe von Elsbeth, die für ihn im Dirnenhaus Informationen sammelt, wird er, sehr zum Gefallen seiner Frau, zum mächtigsten Mann Kölns und Elsbeth zur geschickten Drahtzieherin der Unterwelt. Als sie helfen kann, eine zu Unrecht verurteilte Frau vor der Verurteilung zu bewahren, beginnt der junge Henker Jörg ihre Weitsicht zu schätzen und zwischen den Gegnern entflammen Gefühle.
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Seitenzahl: 583
Zum Buch:
Elsbeth ist noch ungewöhnlich jung, als sie die Leitung des Dirnenhauses »Zur schönen Frau« übernimmt, doch wegen ihres Liebreizes und durch geschicktes Taktieren besitzt sie bereits ein weitreichendes Netz an Einfluss und Verbindungen in die Kölner Unterwelt. Als Informantin trägt sie dazu bei, dass ihr Halbbruder zu Macht und Reichtum gelangt. Doch er hat auch viele Feinde, gegen die er ein unbarmherziges Regiment führt. Als er eines Tages ermordet aufgefunden wird, gerät seine junge Witwe in große Bedrängnis. Elsbeth hat ihm einst geschworen, über seine Familie zu wachen, deshalb versucht sie, gemeinsam mit dem Henker Johannes, das Verbrechen aufzuklären.
Zur Autorin:
Seit Petra Schier 2003 ihr Fernstudium in Geschichte und Literatur abschloss, arbeitet sie als freie Autorin. Neben ihren historischen Romanen schreibt sie auch zauberhafte Liebesromane mit Hund. Sie lebt heute mit ihrem Mann und einem Deutschen Schäferhund in einem kleinen Ort in der Eifel.
Petra Schier
Die Wächterin von Köln
Roman
HarperCollins
Originalausgabe
© 2024 by HarperCollins in der
Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Covergestaltung von Hauptmann & Kompanie, Zürich
Coverabbildung von Abstractor, Helen Lane, PSAROV SERHII / Shutterstock
Karte von Peter Palm, Berlin
E-Book Produktion von GGP Media Gmbh, Pößneck
ISBN 9783749907786
www.harpercollins.de
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Elsbeth Biremaker Vorsteherin der Dirnen im Haus Zur schönen Frau in der Schwalbengasse auf dem Berlich
Johannes Leyendecker genannt Meister Hans, Scharfrichter (Henker) in Köln
Änne ehemalige Hübschlerin, jetzt Magd, Geros Mutter
Alwina Hübschlerin
(Mutter) Berta frühere Vorsteherin der Dirnen im Haus Zur schönen Frau
Bänes Knecht
Bart Knecht
Britti junge Bademagd und Hübschlerin
Cordian Knecht, ehemaliger Söldner
Gero Ännes Sohn, Knecht
Giselle Hübschlerin
Hein Koch
Lisbeth Hübschlerin, verstorben
Mats Knecht
(Dicke) Trin ehemalige Dirne, jetzt Magd
Enno und Ulf, Bella, Christin, Erika, Frieda, Fygen, Geli, Hella, Marte, Sieglind, Thea, Bartscherergesellen
Vera, Walburga weitere Bademägde und Hübschlerinnen
Bert Knecht im Haus des Jan Starkenberg in der Glockengasse
Bernhard Elsbeths Bote, ehemaliger Söldner
Dietmar Elsbeths Bote, gelernter Sarwürker, Bettler
Götz ehemaliger Päckelchesträger, Bartscherer, Anführer der Boten
Frieder Elsbeths Bote, ehemaliger Söldner
Käthchen Magd im Haus des Arnold Hürth
Karl Elsbeths Bote, ehemaliger Söldner
Lutz Knecht im Hause des verstorbenen Nicolai Golatti
Roland von Mommersloch Tuchhändler
Sigmund Elsbeths Bote, Schlitzohr, Totengräber
Ulrich jüngster von Merles fünf Brüdern
Merle Wäscherin, Balthasars Gefährtin
Georg Hardefust einer der drei Kölner Gewaltrichter
Melchior Stadtschreiber
Thönnes van Kneyart Goldschmied, Zunftmeister, Ratsherr, Anwärter auf das Schöffenamt
Vinzenz van Cleve einer der drei Kölner Gewaltrichter, Albas Bruder, Gregor van Cleves Sohn, Geldwechsler und -verleiher
Adelina Burka ehemalige Apothekerin am Alten Markt, Ehefrau des Medicus Neklas Burka
Alba van Cleve Vinzenz van Cleves ältere Schwester, verwitwet
Alessandro Venetto Elsbeths und Nicolais Halbbruder, Geldwechsler aus Frankfurt
Aleydis de Bruinker Witwe des Lombarden Nicolai Golatti
Arnold Hürth Griselda Golattis Bruder
Balthasar Halsabschneider, Merles Gefährte
Birgel Hafenarbeiter, Clentz’ älterer Bruder
(Meister) Callenberg Küfer
Cathrein Golatti Nicolais Tochter, Witwe des Jacob de Piacenza, Begine, Ursels und Marleins Mutter
Clentz Hafenarbeiter, Birgels jüngerer Bruder
Conrad Liebesam Bettelherr der Stadt Köln
Elfie junges Mädchen
Enno Küferlehrling
Gregor van Cleve Vinzenz van Cleves und Albas Vater, Geldwechsler und -verleiher
Griselda Golatti Nicolais verstorbene erste Gemahlin
Guido Lustknabe
Hardwin Balthasars Sohn
Hartlieb de Piacenza Bruder von Jacob de Piacenza aus Bonn
Isa Winkelhure
Jacob de Piacenza Geldwechsler aus Bonn, Marleins und Ursels Vater, verstorben
Jan Leyendecker genannt Meister Hans, früherer Kölner Scharfrichter (Henker), Onkel von Johannes Leyendecker
Jan Starkenberg Weinhändler, Aleydis’ Nachbar
Jonata Hirzelin Beginenmeisterin in der Glockengasse
Jorg de Bruinker Aleydis’ Vater, Tuchhändler
Lehnert von Bonn Waffenknecht bei Hartlieb de Piacenza
Meister Claiws Nikolaus van Bueren, 1380 – 1445, ab 1424/25 Dombaumeister in Köln (historisch verbriefte Person)
Marlein Golatti Cathreins Tochter, Ursels ältere Schwester
Mede Magd im Haus des Henkers Johannes Leyendecker
Nicolai Golatti Lombarde, verstorben
Neklas Burka städtischer Medicus
Pit Küferlehrling
Richard Küferlehrling
Robert de Piacenza Vetter von Hartlieb de Piacenza
Symon Knecht im Haus des verstorbenen Nicolai Golatti
Tringen Winkelhure
Tybald Linde Waffenknecht bei Hartlieb de Piacenza
Ursel Golatti Cathreins Tochter, Marleins jüngere Schwester
Wardo Knecht im Haus des verstorbenen Nicolai Golatti, Balthasars Bruder
Wilhelm Richmodis reicher Bürger
16. August Anno Domini 1423
Elsbeth? Bist du hier drinnen?« Der Kopf der ältlichen Magd, die wegen ihrer Leibesfülle seit jeher dicke Trin genannt wurde, schob sich durch den Türspalt. Ihre Miene hellte sich auf, und sie betrat den kleinen Raum, den Elsbeth gerne ihre Schreibstube nannte, obgleich er eher eine Art Kontor war, denn hier bezahlten normalerweise die Freier, die das Haus Zur schönen Frau betraten, den veranschlagten Liebeslohn.
»Ah, gut, du bist da.« Elsbeth, die gerade dabei war, die Abrechnung des in der vergangenen Woche eingenommenen Geldes sowie der darauf entfallenden Abgaben an Henker, Stadt und zuständigen Bettelherrn vorzunehmen, hob den Blick kaum von den Münzen auf dem Schreibpult vor ihr. »Was gibt es denn? Steht Conrad Liebesam schon wieder frühzeitig vor der Tür, um den Bettelpfennig zu kassieren? Dann sag ihm, er muss sich noch einen Augenblick gedulden. Ich habe den Betrag noch nicht ausgerechnet.«
»Nein, Elsbeth, nicht der Herr Conrad steht vor der Tür.« Trin trat nah an das Schreibpult heran. Ihr Atem ging dabei stoßweise und rasselnd; ihre Wangen wiesen unregelmäßige rote Flecke auf. Offensichtlich machte ihr die Leibesfülle von Tag zu Tag mehr zu schaffen. »Da will euch ein junges Ding sprechen. Sie sagt, ihr Name ist Britti und dass sie hier arbeiten will.«
Nun hob Elsbeth doch den Kopf. »Wie jung?«
Trin hob die Schultern. »Dreizehn, vierzehn vielleicht.«
»Zu jung.« Missvergnügt erhob Elsbeth sich. »Bring sie in die Schankstube, ich rede mit ihr.«
»Ja. Natürlich. Sofort.« Trin wandte sich ab und verließ leise keuchend die Kammer. Bei jedem schlurfenden Schritt kratzten und klapperten ihre derben Holzpantinen auf dem sauber gekehrten Dielenboden.
Elsbeth trat an das offen stehende Fenster, das auf den Hinterhof und den daran angrenzenden Garten hinausging. Dort waren die beiden Zwillingsschwestern Fygen und Christin gerade dabei, einen Zuber voller weißer Wäsche zum Bleichen Richtung Tor zu tragen, um sie zur Bleichwiese zu bringen. Wie immer, wenn sie die beiden sah, sann sie darüber nach, wie verschieden sie doch aussahen, abgesehen von ihren schwarzen Haaren und den grauen Augen. Christin war groß und kräftig, Fygen hingegen klein und zierlich. Wenn sie beieinanderstanden, konnte man zwar eine gewisse Ähnlichkeit ausmachen, als Zwillinge hätte man sie jedoch nicht erkannt. Sie bestanden aber darauf, seit sie vor einem Jahr für Elsbeth zu arbeiten begonnen hatten, und hatten achtzehn als ihr Alter angegeben. Da Elsbeth keinen gegenteiligen Beweis erbringen konnte, ließ sie es trotz ihrer Skepsis dabei bewenden. Immerhin mochte es ja tatsächlich hin und wieder Zwillingspärchen geben, die sich nicht wie ein Ei dem anderen glichen. Nicht einmal das gleiche Geschlecht mussten sie haben. Einzig die Tatsache, dass Fygen wirklich deutlich jünger wirkte, hatte Elsbeth anfangs Sorgen bereitet.
Sie war selbst mit knapp fünfzehn Jahren in dieses Metier geraten und wusste, dass es eigentlich viel zu früh war für ein so junges Mädchen, ihren Leib täglich gegen bare Münze feilzubieten. Der Stadtrat sah es inzwischen ebenfalls nicht gerne und drückte nur dann ein Auge zu, wenn durch Hurenwirtin und Henker bestätigt wurde, dass dem betreffenden jungen Weib kein körperlicher Schaden oder seelische Pein aufgezwungen wurde. Eine Regelung, die nicht zuletzt von ihr selbst angeregt worden war. Deshalb bereitete sie sich innerlich darauf vor, das junge Ding in ihrer Stube mit einem Bündel an Ermahnungen und guten Ratschlägen abzuweisen.
Sie straffte die Schultern, strich ordnend über ihr silbergraues, tief, aber noch schicklich ausgeschnittenes Kleid, entwirrte kurz die gelben und roten Bänder an ihren Schultern und prüfte, ob ihr Haar unter dem leichten Schleier noch ordentlich aufgesteckt war. Sie achtete auch mit ihren nunmehr dreiundvierzig Lebensjahren sorgsam darauf, stets erlesen gekleidet und gepflegt zu sein. Auch wenn sich mittlerweile einige graue Strähnen in das Hellbraun ihres welligen Haars geschlichen hatten, wusste sie doch, dass sie nach wie vor als ansehnliches Weib galt, und das machte sie sich in einer Welt, die von Männern regiert wurde, immer wieder zunutze.
Als sie die leere Schankstube betrat, einen großen rechteckigen Raum mit gepolsterten Bänken an den Wänden und mehreren langen Tischen in der Mitte, die von ebenfalls gepolsterten Bänken flankiert wurden, sprang ein junges Mädchen mit dickem geflochtenem braunem Zopf von einer dieser Bänke auf.
»Frau Elsbeth, guten Tag!« Abwartend blieb sie stehen.
»Sei gegrüßt.« Elsbeth ging ein paar Schritte auf das Mädchen zu und unterzog deren Erscheinung einer eingehenden Musterung. Die Kleine war hübsch, ohne Frage, und besaß für ihr Alter einen üppigen Busen und ebensolche Hüften. Auf so manchen Besucher dieses Hauses würde sie damit unwiderstehlich wirken. Sie bedeutete dem Mädchen mit einer Geste, sich einmal im Kreis zu drehen. Das hellbraune Leinenkleid war ein bisschen knapp und spannte leicht über den weiblichen Rundungen. Es war schon etwas verschlissen, jedoch säuberlich geflickt, und an den fadenscheinigen Stellen geschickt mit farblich passenden Stoffeinsätzen verstärkt worden. »Du bist also Britti.«
»Ja, Frau Elsbeth.« Das Mädchen nickte eifrig. »Eigentlich heiße ich Brigitte, aber alle nennen mich schon immer nur Britti.«
»Soso.« Elsbeth nickte knapp. »Wie alt bist du, Britti, und woher kommst du?« Ehe Britti etwas sagen konnte, hob Elsbeth mahnend den Zeigefinger. »Die Wahrheit. Ich sehe es dir an, wenn du flunkerst.«
»Natürlich.« Eine kaum merkliche Röte zeichnete sich auf Brittis Wangen ab. »Ich bin im März vierzehn Jahre alt geworden. Geboren wurde ich in Bonn, und von dort bin ich auch kürzlich hier herübergekommen. Meine Eltern wohnen dort und auch mein Onkel, der Schneidermeister ist und bei dem ich als Näherin gearbeitet habe.«
»Eine Näherin bist du also.« Das erklärte die fachkundigen Ausbesserungen an dem Kleid. Elsbeth trat noch einen Schritt auf Britti zu und suchte ihren Blick. »Du bist mit vierzehn Jahren noch zwei Jahre zu jung für den Eintritt in ein Dirnenhaus. Was lässt dich glauben, ich würde dich nicht augenblicklich von einem Büttel aufgreifen und zurück nach Bonn bringen lassen?«
Einen Moment lang wirkte Britti von dem brüsken Ton, den Elsbeth angeschlagen hatte, eingeschüchtert, doch schon im nächsten Augenblick setzte sie eine entschlossene Miene auf. »Weil mich in Bonn keiner haben will. Mein Onkel hat mich aus dem Haus gejagt, und meine Eltern sagen, sie würden mich nicht kennen und wollten nichts mit mir zu tun haben, weil ich eine Schande für die Familie sei.« Ganz kurz schwankte ihre Stimme, doch sie hatte sie erstaunlich rasch wieder im Griff. »Es wäre vergebene Liebesmüh, mich zurückzuschicken. In Bonn gibt es nichts mehr für mich.«
»Und weshalb hält dich deine Familie für einen solchen Schandfleck?«, hakte Elsbeth nach, obgleich sie die Antwort bereits erahnen konnte.
»Weil ich und mein Vetter …« Nun schluckte Britti doch, und ein Ausdruck des Bedauerns huschte über ihre Miene. »Clausmann ist vier Jahre älter als ich und ein schneidiger Bursche. Er ging bei dem Küfer nebenan, also neben dem Haus meines Onkels, in die Lehre und kann vielleicht sogar mal die Küferei übernehmen, weil der Meister Ringholz keinen lebenden Sohn mehr hat.« Sie holte kurz Luft. »Der Clausmann und ich, wir haben uns gern. Sehr sogar. Und weil wir nicht so lange warten wollten, bis er nicht mehr bloß Geselle ist und endlich heiraten kann, haben wir … na ja, es miteinander getan. Heimlich natürlich, und er hat auch immer gut aufgepasst, dass er nicht … also, dass ich nicht schwanger werde. Aber dann hat uns die Marga, das ist die Frau des Küfers, doch mal erwischt und ein großes Geschrei veranstaltet von wegen Blutschande und Unzucht und so, und na ja …«
»Das hat deiner Familie natürlich gar nicht gefallen«, schloss Elsbeth.
»Nein, hat es nicht. Obwohl man doch seinen Vetter heiraten darf. Die hohen Herren und Frauen tun das doch auch ununterbrochen.«
Elsbeth runzelte die Stirn. »Eine Ehe zwischen Cousin und Cousine ist nicht erlaubt, Mädchen, wer hat dir denn solch einen Unsinn eingeredet? Dieser Clausmann womöglich? Ihr hättet niemals einen Priester gefunden, der dazu seinen Segen gegeben hätte.«
»Aber die hohen Herren und Frauen …«
»Die können sich eine Dispens beim Papst oder beim Erzbischof leisten. Aber ein Küfer und eine Näherin werden in hundert Jahren nicht genügend Geld verdienen, um auch nur den zehnten Teil einer solchen Summe aufzubringen.«
»Das hat Mutter auch gesagt, bevor sie mich rausgeworfen hat.« Britti zupfte am Ende ihres Zopfes herum. »Wir haben uns aber trotzdem gern … oder hatten. Jetzt soll Clausmann die Küferstochter heiraten, nein, wahrscheinlich hat er das schon getan. Ich bin ja schon seit Juni weg von Bonn. Ich habe versucht, irgendwo eine Stelle als Näherin zu finden, aber die Meister wollen fast immer eine Empfehlung oder so etwas, und wenn nicht, dann zahlen sie fast nichts oder wollen anderweitige ›Dinge‹.« Sie zuckte mit den Achseln. »Da habe ich mir gedacht, dass ich das dann auch richtig machen kann. So bin ich ja auch hierhergekommen. Ein Handelsherr hat mich mitgenommen, und dafür habe ich seine Gesellen ein bisschen unterhalten. Darin bin ich ganz gut, die Kerle mögen mich.« Sie blickte an sich hinab. »Ich gefalle ihnen gut.«
»Kann ich mir denken.« Weiterhin skeptisch verzog Elsbeth die Lippen. »Du könntest immer noch eine Stelle als Näherin finden und vielleicht sogar einen Mann, der mit dir zusammenleben will. Mit oder ohne Ehegelöbnis.«
»Aber warum soll ich denn für einen Hungerlohn nähen und die Zudringlichkeiten des Meisters oder seiner Söhne und Gesellen kostenlos ertragen oder für ein paar Pfennige, sobald ihnen danach ist, wenn ich hier für die gleiche Sache mehr Geld haben kann? Ich habe mich genau umgehört und weiß, dass dieses Haus das beste und teuerste in Köln ist. Ihr achtet gut auf die Frauen, die hier arbeiten, und Ihr bezahlt auch am meisten. Ich werde gute Arbeit leisten und alle Männer zuvorkommend bedienen, auch und gerade die ganz hohen Herren, die hier ein- und ausgehen.«
»Du scheinst ja gut Bescheid zu wissen.« Widerwillig empfand Elsbeth einen Anflug von Bewunderung für dieses junge Mädchen. Dennoch musste sie sie natürlich auf die Probe stellen. »Das Leben als Hübschlerin ist kein Zuckerschlecken. Ganz was anderes als ein bisschen Unzucht mit ein paar Handelsgesellen. Es gibt auch Männer, von denen wirst du abgestoßen sein, und trotzdem kann ich sie nicht einfach grundlos abweisen, wenn sie nach dir verlangen. Es besteht zwar mittlerweile gottlob ein gewisser Schutz für Weiber wie uns, der Rat hat hierzu einige Vorschriften und Verordnungen erlassen, aber die gelten nur in besonderen Fällen, zum Beispiel, wenn ein Freier rohe Gewalt anwendet. Es gibt aber eine Menge Spielarten des Beisammenseins, die eine freie Frau mehr oder weniger klaglos über sich ergehen lassen muss.«
Britti nickte. »Das weiß ich.«
»Wirklich?«
Wieder nickte das Mädchen. »Ich habe schon mit ein paar Hübschlerinnen geredet. Alle sagen, bei Euch ist es noch am besten, vor allem, weil Ihr auch ein Badehaus betreibt und deshalb die Freier fast alle sauber sind, wenn sie … es dann mit einer Frau tun.«
»Ach.« Die widerwillige Bewunderung wuchs. »Du hast sonntags frei und musst auch am Samstagabend nicht arbeiten, es sei denn, du tust es aus freien Stücken. Wenn du deine Mondtage hast, brauchst du ebenfalls nicht zu arbeiten. Du darfst dich innerhalb und außerhalb der Stadt frei bewegen, musst dich aber mit diesen Bändern«, sie ließ die farbigen Stoffstreifen an ihren Schultern durch die Finger gleiten, »stets eindeutig als Hübschlerin kenntlich machen. Von braven Mägden, Jungfern, Weibern und Ehemännern hältst du dich fern, soweit es dir möglich ist. Kein Gewerbe außerhalb dieses Hauses oder der Badestube. Dafür kann dich der Büttel in den Kerker werfen lassen.« Abwartend musterte sie das Mädchen.
Erneut nickte Britti. »Verstanden.«
»Du darfst jederzeit zur Kirche gehen, um zu beten, aber du musst dich, speziell während der Gottesdienste, in dem für uns abgegrenzten Bereich aufhalten und darfst dich selbstverständlich auch keinem Priester, Mönch, Novizen oder sonst einem Kleriker nähern.«
»Gehen die denn nicht auch hier ein und aus?«, platzte es aus Britti heraus. »Ich habe gehört …«
»Was du gehört hast, will ich nicht wissen«, unterbrach Elsbeth sie und maß sie mit strengem Blick. »Und du wirst solcherlei Gerüchte auch tunlichst für dich behalten, ist das klar?«
»Ja, selbstverständlich.« Britti zog den Kopf ein wenig ein.
Zufrieden über diese Reaktion fuhr Elsbeth fort: »Für jeden Verkehr zahlt ein Freier mir vier Pfennige. Sollte er also mehr als einmal wollen, sagst du mir hinterher Bescheid. Für alle Dienstleistungen, die ohne Verkehr enden, werden zwei Pfennige bezahlt. Bleibt ein Freier die ganze Nacht, zahlt er zwölf Pfennige. Speisen und Getränke kosten extra, ebenso das Baden, die Schwitzkammer, Massieren und Scheren von Bart oder Körperhaaren. Letzteres übernehmen allerdings die beiden Bartscherergesellen Ulf und Enno oder Thea und Sieglind, die sich ebenfalls auf den Umgang mit der Rasierklinge verstehen. Alle weiteren Sonderwünsche müssen mir vorab zu Gehör gebracht werden.«
»Ja, Frau Elsbeth.« Ein fünftes Mal nickte Britti geflissentlich.
»Bei manchen Festlichkeiten werden wir oder einige von uns vom Rat als Schaustellerinnen oder Tänzerinnen eingeladen. Auch hier müssen wir uns von den braven Weibern, Jungfern und Ehemännern sowie den Priestern fernhalten und dürfen auch mit den unverheirateten Männern keine Unzucht treiben.«
Elsbeth hielt kurz inne, bevor sie fortfuhr: »Ich behalte als Wirtin dieses Hauses von jedem Lohn für einen Verkehr einen Pfennig ein, einen halben für Dienste ohne Verkehr. Du zahlst darüber hinaus für Verpflegung, Bett und Bettwäsche pro Woche einen Betrag von sechsunddreißig Pfennigen sowie zwei Extrapfennige an den Bettelherrn. Für dieses Geld zündet er in der Kirche einmal wöchentlich eine Wachskerze zum Gedenken an die Verstorbenen und an die Heiligen an, das restliche Geld verwaltet er für die Verpflegung und Behandlung von Kranken oder schwangeren Hübschlerinnen.« Wieder entstand eine kurze Pause. »Solltest du krank oder schwanger werden, musst du mir dies augenblicklich mitteilen.«
Ein sechstes Nicken folgte. »Wenn ein Freier dir zusätzlich Geld zusteckt, gibst du mir den dritten Teil davon ab, den Rest legst du in die abschließbare Lade in deiner Kammer. Dieses Geld gehört dir. Du kannst damit Schulden begleichen, sollten welche bei mir entstehen, etwa für Kleider und dergleichen, die du ausschließlich über mich beziehen darfst, oder wenn dein Verdienst nicht für die Kosten der Unterkunft ausreicht. Wenn du sonstige Geschenke erhältst, wie Kleidung, Hauben, Taschen, Börsen, Tand oder Schmuck, darfst du diese Sachen behalten.«
Britti straffte die Schultern. »Wann fange ich an?«
Elsbeth lächelte schmal: »Ich muss dich zunächst von einer Hebamme und einer unserer Frauen untersuchen lassen, damit wir sicher sein können, dass du weder schwanger noch krank bist. Diese Untersuchung wird regelmäßig viermal im Jahr wiederholt. Wenn alles in Ordnung ist, gebe ich Meister Hans, dem Scharfrichter, Bescheid, dass du ein offizielles Gesuch um Eintritt in mein Dirnenhaus gestellt hast. Er wird dich daraufhin auch noch einmal befragen, und falls er keine Einwände erhebt, bist du hier aufgenommen. Bis dahin darfst du hier noch nicht wohnen, aber ich kann dir eine Kammer in meiner Wohnung über der Badestube anbieten. Ich nehme doch an, dass du keinen anderweitigen Schlafplatz hast, und wir wollen ja nicht riskieren, dass die Büttel oder die Stadtwache dich irgendwo aufgreifen, nicht wahr?«
»Das ist sehr großzügig von Euch, Frau Elsbeth.« Britti lächelte sichtlich erleichtert. »Ich werde …«
»Du wirst erst einmal das Frau vor meinem Namen vergessen, denn diese Anrede gebührt mir nicht. Wenn du mich ansprichst, dann nur mit Elsbeth. Ich werde gleich mal sehen, ob du dich irgendwie nützlich machen kannst. Wir haben heute Waschtag.«
»Ich kann auch dabei helfen, die Kleider der Frauen zu flicken und so«, schlug Britti eifrig vor. »Das habe ich ja gelernt, und deshalb …«
»Eine gute Idee.« Elsbeth nickte beifällig. »Am besten gehst du …«
»Elsbeth?« Schon wieder streckte Trin den Kopf zur Tür herein. Die roten Flecken auf ihren Wangen hatten sich noch vertieft, und sie schnaufte, als wäre sie gerannt. »Komm mal rasch, der Meister Hans ist da, also vor der Tür, und will dich dringend sprechen.«
»Meister Hans?« Überrascht wandte Elsbeth sich der Magd zu. »Warum hast du ihn denn nicht hereingebeten?« An Britti gewandt erklärte sie: »Meister Hans ist der Scharfrichter. Dieses Haus und alle seine Bewohnerinnen und Bewohner sind ihm unterstellt.«
»Wollt ich ja.« Trin war inzwischen eingetreten und wischte sich mit dem Ärmel ihres braunen Kleides den Schweiß von der Stirn. »Aber er sagt, was er mit dir zu besprechen hat, gehört nicht hierher. Ich soll dir sagen, du sollst zu ihm rauskommen.«
»Ach.« Elsbeth runzelte die Stirn. »Wie sonderbar. Aber gut, wenn er es so will. Nimm dich derweil Brittis an. Gib ihr eine Arbeit, entweder bei den Wäscherinnen oder draußen im Hof oder im Hühnerstall. Bis sie offiziell eine von uns ist, beschäftigen wir sie als Magd.«
»Eine von uns?« Trin maß Britti mit unverhohlen skeptischer Miene. »Dat junge Ding? Gibt dat keinen Ärger mit dem Rat?«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann.« Ohne weiter auf Trin oder Britti zu achten, begab sich Elsbeth durch die mit dichten Vorhängen kaschierte Tür in den Flur, der zur Haustür führte. Wie immer, wenn sie einem Treffen mit Meister Hans entgegensah, dessen richtiger Name Johannes war, was aber außer ihr nur wenige Menschen wussten, klopfte ihr Herz freudig schneller. Auch nach all den Jahren hatte sich daran nichts geändert.
Das herzliche und, da sonst niemand anwesend war, überaus liebevolle Lächeln, das sie aufsetzte, bevor sie zu ihm nach draußen in den nachmittäglichen Sonnenschein trat, gefror auf ihren Lippen, als sie seine gleichermaßen ernste wie betroffene Miene erblickte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrer Magengrube aus. »Guten Tag, mein Lieber.« Sie gab sich Mühe, einen fröhlichen Ton anzuschlagen, doch als er schweigend ihre Hand ergriff und leicht drückte, schnürte sich ihre Kehle zu. »Um Himmels willen, Johannes, was ist geschehen?«
Johannes Leyendecker war, wenngleich durchaus gebildet und falls nötig wortgewandt, kein Freund großer Worte oder ausschweifender Reden. Doch selbst die wenigen Worte, die er sich auf dem Weg zu Elsbeths Dirnenhaus am Berlich zurechtgelegt hatte, blieben ihm bei ihrem Anblick regelrecht im Halse stecken. Auf ihre erschrockene Frage hin sah er sie einen langen Moment nur schweigend an, dann zog er sie einfach wortlos mit sich in die Schwalbengasse und von dort aus auf den breiter ausgebauten Berlich.
»Hans, was ist denn los?« Elsbeth stolperte die ersten Schritte hinter ihm her, entwand sich ihm dann aber, da um diese Tageszeit ein reges Treiben auf den Straßen und in den Gassen Kölns herrschte. Mägde mit Eimern, Wäschekörben oder beladen mit Einkäufen waren zu sehen, Hökerinnen, Knechte, die Fuhrwerke be- oder entluden, Handwerker, die ein Haus abrissen, und andere, die wenige Schritte weiter eines erbauten, dazwischen kreischende, umhertollende Kinder, bellende Hunde, ein Schwein, das sich in einer winzigen Schlammlache suhlte, frei umherlaufende Hühner, die offenbar aus ihrem Gehege in einem der Hinterhöfe ausgebrochen waren. Rufe mischten sich mit Gelächter, Gehämmer mit dem Ratschen einer Säge.
Johannes blieb kurz stehen, als ein kleiner Junge von vielleicht vier oder fünf Jahren ihren Weg kreuzte. Mithilfe einer langen Gerte, die seine Körperlänge deutlich übertraf, scheuchte er geschickt eine Schar Gänse vor sich her. Kaum war er aus dem Weg, als Johannes Elsbeth erneut bedeutete, ihm zu folgen. Er ging mit ausholenden Schritten die Straße Auf dem Berlich hinauf, am städtischen Kornhaus vorbei, bis unterhalb des Klarissenklosters, zwischen der alten Burgmauer und dem Zeughaus, die Heiligkreuzkapelle in Sicht kam. Zielstrebig steuerte er auf die Pforte aus dunklem Eichenholz zu und ließ Elsbeth den Vortritt.
Kaum hatte er sie wieder geschlossen, als angenehme Kühle und Stille sie umfingen. Das starke Gemäuer und auch die vergitterten Butzenglasscheiben hielten fast alle Geräusche der Außenwelt ab und ermöglichten im Innern eine ungestörte Andacht. Eine Gelegenheit zur Buße oder auch zum Müßiggang, der sich allerdings nur selten jemand bediente. Zwar zeugte das saubere, mit Kreuzmotiven bestickte Tuch auf dem aus einem Basaltblock geschnittenen Altar ebenso davon, dass sich jemand um die Kapelle kümmerte, wie die halb heruntergebrannte Wachskerze in dessen Mitte und der frische Sommerblumenstrauß auf dem Bord unter dem großen schwarzen Holzkreuz an der Wand, doch betende oder bittende Menschen sah man hier kaum. Nicht einmal der alte Priester, der hinten hinaus eine winzige Wohnung besaß, die durch eine schmale Wendeltreppe erreicht werden konnte, war tagsüber hier anzutreffen. Genau deshalb hatte Johannes Elsbeth hierhergebracht. Hier waren sie ungestört und vor neugierigen Ohren und Augen sicher. Dennoch wusste er immer noch nicht, wie er seine niederschmetternde Botschaft loswerden sollte.
»Elsbeth«, begann er und hielt gleich wieder inne.
»Nun rede endlich!« Ihre Stimme klang gleichermaßen ungeduldig wie verunsichert. Sie rieb sich über die Oberarme. »Was soll das? Weshalb hast du mich hierhergebracht?«
Er atmete tief durch. »Ich muss dir mitteilen … dir sagen …« Er fluchte innerlich. »Es geht um Nicolai. Er wurde … Er ist … Man hat ihn vor wenigen Stunden vor dem Hahnentor aufgefunden … aufgeknüpft an einem Baum.«
»Was sagst du da?« Entgeistert starrte Elsbeth ihn an. »Mein Bruder ist tot?«
»Ermordet.« Johannes ergriff ihre Hände. »Es tut mir sehr leid. Ich wusste nicht, wie ich es dir anders sagen sollte. Bauern haben ihn gefunden und den Büttel gerufen, und der hat meinen Gesellen mit zu dem … Unglücksort genommen. Meister Bertram, wie er sich inzwischen hochtrabend nennt, weil er demnächst als Henker in Koblenz angestellt wird, hat den Tod bestätigt.«
Elsbeth kämpfte sichtlich mit sich. »Da ist noch etwas, ich sehe es dir an.«
»Man ging anfangs von einem Selbstmord aus.«
»Ausgeschlossen!« Womöglich noch entsetzter riss Elsbeth sich von ihm los. »Niemals hätte er so etwas getan. Das ist unerhört! Er war … wollte … Er war endlich glücklich, Johannes. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Weshalb hätte er es sich selbst nehmen sollen?«
Rasch trat Johannes wieder auf sie zu und griff erneut nach ihren Händen. »Wenn man eine Leiche erhängt auffindet, ist Selbstmord im Allgemeinen der erste Verdacht. Glücklicherweise war die Reaktion seiner Witwe die gleiche wie deine. Sie hat einen Selbstmord kategorisch ausgeschlossen und darüber hinaus ein sehr scharfes Auge, weshalb sie mich hinzuziehen ließ.«
»Aleydis hat dich holen lassen? O Gott, war sie denn dort?« Ungläubig riss Elsbeth die Augen auf.
»Sie bestand darauf, die Fundstelle zu sehen, nachdem der Schöffe Richwin van Kneyart sie über das Unglück informiert hatte.«
»O Gott«, wiederholte Elsbeth tonlos, löste ihre rechte Hand aus der seinen und rieb sich über die Stirn. »Die arme Aleydis. Wie geht es ihr? Sie muss völlig außer sich sein.«
»Tatsächlich hält sie sich ausgesprochen tapfer und besonnen.« Johannes zog Elsbeth sanft mit sich zu einer Bank, und als sie sich darauf niederließ, setzte er sich neben sie. »Sie bestand darauf, Nicolais Leichnam in Augenschein zu nehmen, und fand tatsächlich, was Büttel, Schöffen und leider auch Bertram entgangen war. Es gibt zwei Würgemale an Nicolais Hals. Eines, das von der Kehle aus gesehen schräg nach oben weist, so wie es beim Erhängen zu erwarten ist, und ein zweites, das waagerecht über seine Kehle führt und nur den Schluss zulässt, dass dein Bruder von jemandem gewürgt wurde, entweder bis zur Bewusstlosigkeit oder bis zum Tod, und danach an dem Baum aufgehängt worden ist.«
»Das hat Aleydis entdeckt?« Kurz hellte sich Elsbeths Miene auf, und Entsetzen und Trauer wichen einem Ausdruck von Bewunderung und Anerkennung. Gleich darauf wurde er jedoch von Besorgnis verdrängt. »Trotzdem muss sie doch vollkommen erschüttert sein.«
»Das ist sie.« Zustimmend nickte Johannes.
»Bei der Heiligen Jungfrau und allen Heiligen!« Elsbeth schlug die Hände vors Gesicht. »Wie erschüttert wird sie erst sein, wenn sie erfährt, was in Nicolais Testament steht.« Sie ließ die Hände wieder sinken. »Welcher Gewaltrichter ist zuständig?«
»Vinzenz van Cleve. Aleydis wird umgehend Anklage erheben.«
»Natürlich.« Elsbeth nickte. In ihre Augen war ein Funken ihrer altbekannten schalkhaften Entschlossenheit getreten. »Vinzenz van Cleve also. Das dürfte interessant werden.«
»Inwiefern?« Irritiert konstatierte Johannes, dass ein mutwilliges Lächeln über Elsbeths Lippen huschte.
»Warten wir es ab« war jedoch das Einzige, was sie dazu zu sagen hatte.
Stirnrunzelnd musterte er sie. »Was genau steht denn in Nicolais Testament?«
Elsbeth faltete ihre Hände wie zum Gebet und blickte zu dem großen schwarzen Holzkreuz an der Wand empor. »Er hat sie als Haupterbin eingesetzt.«
»Zur … was bitte?« Entgeistert starrte er sie an. »Du meinst doch wohl nicht …?«
»Doch.« Sie erwiderte seinen Blick ruhig, nun aber wieder mit Besorgnis. »Er hat ihr alles vermacht. Erst kürzlich hat er mir davon erzählt.« Ihr Blick umwölkte sich kurz. »Ich fragte ihn, ob er das für sinnvoll hielt, doch er war fest entschlossen, und auf mich wirkte es so, als wäre er ausgesprochen glücklich mit dieser Lösung, aber den Grund hat er mir nicht genannt. Offenbar hat Cathrein ihn auf den Gedanken gebracht.«
»Seine Tochter?«
Sie nickte. »Andrea hat er enterbt.«
»Großer Gott.« Johannes bekreuzigte sich rasch. »Das wird Andrea sauer aufstoßen. Als nächster männlicher Verwandter wäre er der Anwärter auf das Erbe.«
»Damit hätte Nicolai aber den Bock zum Gärtner gemacht.« Elsbeth hob die Schultern. »Ich hätte ihm auch nichts vererbt. Schon gar nicht eine solche … Verantwortung.«
Johannes räusperte sich. »Ich habe das also wirklich richtig verstanden? Nicolai hat seiner gerade einmal neunzehnjährigen Witwe alles vererbt?«
»Sie ist inzwischen zwanzig«, korrigierte Elsbeth. »Aber du hast recht gehört. Aleydis ist jetzt die Herrin über alles. Den Beginenhof, in dem Cathrein lebt, hat er mit einer sehr großzügigen Spende bedacht, die die frommen Frauen auf viele Jahre hin mit großer Bequemlichkeit versorgen wird, und seine beiden Enkelinnen Marlein und Ursel erhalten jeweils eine Mitgift, die wahrscheinlich so manche Herzogentochter vor Neid erblassen ließe. Aleydis bekommt den großen Rest.« Elsbeth ließ ein trockenes Lachen folgen. »Sozusagen.«
»Also auch seine …« Er wagte es kaum, das Wort auszusprechen.
Elsbeth besaß weniger Skrupel. »Seine Schattenwelt, ja. Aleydis herrscht jetzt darüber. Sie muss es tun. Alles andere wäre gefährlich.«
»Aber … Sie weiß doch nicht einmal davon, oder?« Ratlos fuhr Johannes sich durch sein dichtes blondes Haar, das er im Nacken mit einem Lederriemen zu einem Zopf gebunden hatte.
»Sie hat nicht die leiseste Ahnung.« Jäh sprang Elsbeth auf und ging vor dem Altar mit der einzelnen Kerze auf und ab. Die Bewegung verursachte einen Luftzug, der die Flamme flackern ließ. »Nicolai …« Ihre Stimme klang belegt. »Er hat mir versprochen, mit ihr zu reden, ihr alles zu erzählen, aber er sagte, er bräuchte noch etwas Zeit. Ein klein wenig nur, um sich auf dieses große Geständnis vorzubereiten – und wie hätte ich ihm das verdenken können? Auch mir wollte er mehr über seine Pläne erzählen, aber wir wurden unterbrochen.« Sie seufzte. »Ich hätte darauf bestehen müssen, dass er mich sofort in alles einweiht, aber ich konnte ja nicht ahnen, dass wir keine Gelegenheit mehr haben würden, miteinander zu reden.« Sie drehte sich zu Johannes um, und nun war tiefe Trauer von ihrem Gesicht abzulesen. Ihre Augen glänzten von aufsteigenden Tränen. »Er hat zu lange gewartet – ich ebenfalls. Und nun ist mein Bruder tot.«
Eilig stand Johannes auf und zog sie in seine Arme. Elsbeth drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter. »Wer hat das getan?«
»Wir wissen es nicht.« Zärtlich streichelte er ihren Nacken. »Es gab keine Spuren, keine Zeugen, zumindest haben sich bisher noch keine gemeldet. Aber ich bin sicher, der Gewaltrichter und die Schöffen werden alles versuchen, um den Mörder ausfindig zu machen und zu bestrafen.«
»Ja, wahrscheinlich wird van Cleve das tun.« Halt suchend schlang Elsbeth ihre Arme um seine Mitte. »Bei den Schöffen bin ich mir nicht so sicher. Viele von ihnen werden nur allzu froh sein, dass Nicolai tot ist. Er hatte viel Einfluss. Macht«, korrigierte sie sich. »Er war ein gefährlicher Mann.« Sie hob den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. »Aleydis schwebt in Gefahr, und sie weiß es nicht einmal. Ich muss ihr helfen.«
»Wie denn?« Fragend blickte er auf sie hinab. Sie reichte ihm nur bis zum Kinn, sodass er sich ein wenig zurücklehnte, um ihre Miene studieren zu können. »Sie weiß auch nichts von dir, oder etwa doch?«
»Nein, und so wird es auch bleiben.« Elsbeth schluckte. Ein grimmiger Ausdruck trat in ihre Augen. »Dennoch ist sie meine Schwägerin. Meine Familie. Ich habe geschworen, sie zu beschützen.«
»Geschworen?« Irritiert runzelte Johannes die Stirn.
»Ich bin ebenfalls einflussreich«, fuhr sie fort, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Das bist du zweifellos.« Sachte strich er ihr eine braune Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus ihrer geflochtenen Haartracht gelöst hatte. »Aber du bist auch eine Unehrliche, Elsbeth. Du solltest nicht einmal Kontakt mit ihr aufnehmen.«
»Das werde ich auch nicht tun. Brauche ich nicht«, präzisierte sie. »Ich bin van Cleves Informantin und meist die Erste, an die er sich wendet, wenn es darum geht, Wissenswertes aus der Unterwelt zu erfahren. Es wird nicht lange dauern, bis er bei mir vorstellig wird.« Das grimmige Lächeln kehrte auf ihre Lippen zurück. »Bis dahin werde ich selbst Erkundigungen einholen.«
»Komm dabei bloß nicht den Bütteln oder den Schöffen in die Quere!«
»Ganz sicher nicht.« Sie wurde wieder ernst. »Da, wo ich mich erkundige, wirst du von denen nicht einen Einzigen antreffen.«
Besorgnis stieg in Johannes auf. »Gib auf dich acht und tu nichts Unüberlegtes.«
»Wann hätte ich je unüberlegt gehandelt?« Sie schürzte die Lippen. »Mal abgesehen von jenem Tag, an dem ich dich in mein Bett gelassen habe.«
Er lächelte leicht. »Es war mein Bett. Hat dir das jemals zum Nachteil gereicht?«
»Nein.« Elsbeth setzte sich wieder auf die Bank. »Zumindest nicht so, wie du vielleicht vermutest.«
Nachdem er sich wieder neben ihr niedergelassen hatte, ergriff sie seine Hand. »Ich liebe dich, Johannes, das weißt du, und auch, dass es mir nicht leichtgefallen ist, diese Liebe zuzulassen.«
»Oder zuzugeben.« Er schmunzelte. »Du warst kratzbürstig wie ein Dutzend Wildkatzen, die man in einen Sack steckt.«
»Ich hatte meine Gründe.«
»Über die du nie mit mir geredet hast.«
Sinnierend blickte Elsbeth auf ihre miteinander verschränkten Hände. Mit der freien Hand griff sie nach dem silbernen Ring, den sie an einer Kette um den Hals trug, solange er sie kannte, und den sie so gut wie niemals ablegte. Einst war er vergoldet gewesen, doch die Beschichtung war über die Jahrzehnte geschwunden. Die Gravur hingegen war immer noch sichtbar. Johannes kannte sie, weil er den Ring selbst schon oft in die Hand genommen hatte. Sie lautete Elsbeth, ewiglich.
»Es hat etwas mit dem Mann zu tun, der dir einst diesen Ring geschenkt hat«, folgerte er.
»Ja. Nein.« Sie hob die Schultern. »Er hat ihn mir nicht geschenkt, aber jener Mann war der Hauptgrund, weshalb ich nie wieder … lieben wollte. Es ist gefährlich, weißt du, denn wenn man liebt, dann läuft man Gefahr, diese Liebe wieder zu verlieren oder den Menschen, den man liebt. Ich sah mich außerstande, das noch einmal zu durchleben. So wie Aleydis es nun ertragen muss. Nicolai war mein Bruder, und manch einer mag argumentieren, dass der Verlust eines Bruders schwerer wiegt als der des Gemahls, weil man Letzteren ersetzen kann, Ersteren jedoch nicht. Das klingt so lange plausibel, bis man zum ersten Mal erfährt, was es bedeutet, einen Mann zu lieben. Der Schmerz, wenn man ihn verliert, ist unbeschreiblich.«
»Das gilt nicht nur für Frauen.« Johannes drückte ihre Hand. Seine Kehle hatte sich verengt. »Auch ein Mann kann die Angst vor solch einem Verlust begreifen, sobald er die Frau getroffen hat, die sein Herz vollkommen einnimmt. Aber ist die Liebe selbst, die gemeinsame Zeit, die uns vergönnt ist, diesen möglichen Schmerz nicht wert?«
»Wäre sie es nicht, würden wir jetzt nicht hier sitzen.« Elsbeth lächelte in einer Mischung aus Wehmut und Zärtlichkeit. »Wenn du nicht gewesen wärst …« Sie lachte auf. »Dieser knurrige, impertinente und fürchterlich arrogante und von sich selbst eingenommene neue Scharfrichter, der es darauf abgesehen hatte, mir das Leben auf jede nur erdenkliche Weise schwer zu machen …«
»Moment mal«, protestierte er. »Wer von uns beiden war impertinent? Du warst es, die mir den letzten Nerv geraubt hat mit deinen neuen Ideen und Forderungen und der Angewohnheit, dich in alle möglichen Dinge einzumischen, die dich nichts angingen!«
»Siehst du?« Sie stieß ihn leicht mit der Schulter an. »Wenn du nicht gewesen wärst, dann hätte mein Herz sich vielleicht irgendwann in einen Stein verwandelt. Ich hatte fürchterliche Angst vor dir.«
»Ach.«
»Vor uns.«
Er schmunzelte. »Das hast du dir aber nicht im Geringsten anmerken lassen.«
»Nein, wohl nicht.« Sie lächelte zurück. »Wie gesagt, es war zu gefährlich.«
Johannes wurde wieder ernst. »Wer war er? Der Mann, der dir das Herz gebrochen hat und von dem dieser Ring stammt?«
Hörbar atmete Elsbeth ein und wieder aus. »Willst du das wirklich wissen?«
»Hätte ich sonst gefragt?« Er richtete sich ein wenig auf und wandte sich ihr zu, und sie tat es ihm gleich.
»Also gut. Es ist nunmehr siebenundzwanzig Jahre her …«
15. Februar Anno Domini 1396 – Fastnacht
Elsbeth, wo steckst du denn schon wieder?« Schwer atmend, weil sie die Stufen ins Obergeschoss so schnell genommen hatte, riss Mutter Berta die Tür zu der winzigen Kammer auf, die seit einigen Monaten Elsbeths Zuhause war. Erbost starrte die ältliche Frau Elsbeth an. »Was im Namen der heiligen Ursula und ihrer elftausend Jungfrauen treibst du denn da? Wir haben das Haus voller Mannsvolk und du badest deinen Hintern? Bist du nicht mehr ganz bei Trost? Da ist ein Freier für dich unten, ein reicher Pfeffersack. Sagt, er hätt dich neulich auf dem Neumarkt gesehen und will dich jetzt mal näher kennenlernen, wenn du weißt, was ich meine.« Vielsagend zuckte sie mehrmals mit den Augenbrauen.
»Natürlich, Mutter Berta, ich komme gleich.« Etwas umständlich erhob Elsbeth sich aus dem Sitzbad, das sie sich nach dem Besuch ihres letzten Freiers in einer hölzernen Wanne bereitet hatte. »Ich musste mich doch säubern, nachdem der Jan Kreucher fertig war.«
Mutter Berta, die in Wahrheit niemandes Mutter war, sondern die Vorsteherin des Dirnenhauses Scone Frowe – Zur schönen Frau –, rümpfte die Nase. »Waschen reicht doch auch, meiner Treu. Du bist wirklich ein Schaf, Elsbeth! Heute ist Fastnacht, da geht es überall in Köln hoch her. Es gibt Freibier allerorten und den tollsten Mummenschanz. Und natürlich geiles Mannsvolk, das uns die Tür einrennt. Willst du die ganze Arbeit den anderen Frauen überlassen?« Sie kniff argwöhnisch die Augen zusammen. »Oder war der Jan ein bisschen zu grob? Bist du am Ende verletzt? Dann hätt ich ihm mehr berechnen müssen, dem dusseligen Kalb. Wenn du da unten Schmerzen hast, müssen wir eine Hebamme rufen, am besten die alte Ludmilla, die kostet aber Geld, verdammmich!«
»Nein, nein, keine Sorge, Mutter Berta.« Inzwischen hatte Elsbeth sich abgetrocknet und war in das eng geschnürte Leinenkleid geschlüpft, das sie meistens zur Arbeit trug. Es betonte ihre weiblichen Formen und ließ sich bei Bedarf auch nur am Oberkörper aufschnüren, wenn ein Freier ihre entblößte Brust sehen und anfassen wollte. »Jan war nicht zu grob. Er wollte es so wie immer und war diesmal besonders schnell fertig.« Vorsichtig schob Elsbeth den Zuber mit dem warmen Wasser in eine Zimmerecke, damit er nicht bei den nächsten Aktivitäten im Weg war. »Aber meine Mutter hat mir immer gesagt, nein, aufgetragen hat sie mir, dass ich nach jedem Mal, wenn ein Kerl in mir drin war, so ein Bad nehmen soll, auch wenn er sein Ding rechtzeitig rausgezogen hat, bevor ihm die Natur kommt, weil ich damit sichergehe, dass nur ja nichts von seinem Seim drinbleibt und mir ein Kind macht.«
»Deine Mutter ist tot, Elsbeth.« Mutter Berta verdrehte die Augen. »Sie kann dir nichts mehr auftragen.«
Kurz presste Elsbeth die Lippen aufeinander. Wie immer, wenn die Sprache auf ihre Mutter kam, verspürte sie ein schmerzliches Ziehen in ihrem Herzen und tiefe Trauer. »Sie hat es mir gesagt, als sie noch gelebt hat. Sie hat mich lieb gehabt und wollte das Beste für mich und dass mir kein Kerl ungewollt ein Kind macht.«
»Lieb gehabt, lieb gehabt«, äffte Mutter Berta sie abfällig nach, doch ihre Miene wurde eine Spur milder. »Wenn sie das Beste für dich wollte, hätte sie dich mit einem rechtschaffenen Mann verheiratet und dir nicht ihr eigenes Gewerbe aufgebürdet, Gott hab sie selig. Sie mag ja eine wohlhabende Schlupfhure gewesen sein mit reichen Gönnern, aber du siehst ja, was passiert, wenn das Glück so eine verlässt.«
Elsbeth schüttelte den Kopf. »Dafür konnte sie doch nichts. Mutter wurde krank. Ich musste für sie einspringen, damit wir unser Haus behalten konnten. Sie hat es von ihrem eigenen Geld gekauft. Es war nur selbstverständlich, dass ich auch ihre Freier …«
»Ja, ja, red es dir nur schön.« Mutter Berta bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. »So sehr können ihr das Geld und das Haus nicht gehört haben, sonst hätten sie dich nach ihrem Tod nicht so mir nichts, dir nichts auf die Straße geworfen oder vielmehr wegen Unzucht und Hurerei hier abgeliefert. Warum hat sie denn von Franco Golatti keine Mitgift oder Leibrente für dich erbeten, wenn es stimmt, dass er dein Vater ist? Ich sag es dir: weil sie ein dummes, leichtgläubiges Hühnchen war, genau wie du. Hoffärtig obendrein. Sie dachte, sie wäre was Besseres mit den reichen Kaufleuten und Ratsherren, die es mit ihr getrieben haben. Aber am Ende war sie auch nicht viel mehr wert als der Dreck unter Golattis Fingernägeln. Und dich hat sie damit gleich mit zur Unehrlichkeit verdammt.« Sie maß Elsbeth mit strengem Blick, die Hände in die breiten Hüften gestemmt. »Nun flenn nicht auch noch, sondern sieh zu, dass du dich für den Pfeffersack bereit machst. Am besten schicke ich ihn gleich zu dir rauf. Unten ist sowieso nicht mehr viel Platz, und er sieht nicht so aus, als triebe er es gerne unter den Blicken der anderen Gäste. Selbst heute zur Fastnacht nicht.« Sie lachte trocken. »Thönnes ist übrigens sein Name. Thönnes van Kneyart. Goldschmied, soweit ich weiß. Er hat mir Geld für die ganze Nacht gegeben, also wird er einiges mit dir vorhaben. Ich will morgen keinerlei Klagen von ihm hören!« Damit öffnete sie die Kammertür und trat hinaus. Von unten aus dem Schankraum waren lautes Stimmengewirr, Gelächter und vielstimmiger Gesang zu vernehmen. Die unverheirateten Männer Kölns – und wohl auch ein paar verheiratete – feierten die Fastnacht lautstark, ausgelassen und weinselig. Auch aus den Kammern links und rechts nebenan sowie gegenüber drangen Keuchen und mehr oder weniger lustvolles Stöhnen. Die Geschäfte gingen an einem Tag wie heute ausgesprochen gut.
Nachdem sich die Tür hinter der Hurenwirtin wieder geschlossen hatte, waren all die Elsbeth inzwischen so vertrauten Geräusche wieder nur gedämpft zu vernehmen. Eilig zog sie die Decken auf dem Bett ordentlich zurecht, rückte den einzigen Stuhl, der zur Einrichtung gehörte, neben das mit Wachshaut abgedichtete und mit den hölzernen Fensterläden fest verschlossene Fenster. Sie hatte Glück, dass ihre Kammer direkt über der Küche lag, die an den Schankraum angrenzte, denn dadurch herrschte eine angenehme Wärme, die das Becken mit den glühenden Kohlen, das neben dem Bett auf einem stabilen Dreibein stand, allein nicht zustande gebracht hätte. Der Februar war bisher frostig bis nasskalt gewesen. Dem närrischen Treiben, das in allen Straßen, Gassen und auf den Plätzen der Stadt Köln herrschte, tat das ungemütliche Wetter jedoch keinen Abbruch. Jan Kreucher, der als Schreiber für den Rat arbeitete, hatte sogar erzählt, dass die Stadträte erwogen, dem ungezügelten Treiben zur Fastnachtszeit mit neuen Regeln und Verordnungen zumindest teilweise einen Riegel vorzuschieben. Elsbeth bezweifelte allerdings, dass die Kölner Zünfte sich das gefallen lassen würden. Diese waren schließlich die treibende Kraft hinter all dem Mummenschanz, den Tanzfesten und dem fröhlichen Geschrei. Doch nach ihrer – Elsbeths – Meinung fragte natürlich niemand. Sie war nur eine von derzeit neunzehn Hübschlerinnen im Haus Scone Frowe und damit so unwichtig wie eine Ameise auf der Gasse.
Als es leise an der Kammertür klopfte, straffte sie die Schultern, setzte ihr lieblichstes Lächeln auf und öffnete ihrem neuen Freier. »Guten Abend, Herr, tretet ein und macht es Euch bequem.« Sie trat beiseite, um den mittelgroßen, kräftig gebauten Mann eintreten zu lassen. Er war blond mit einem leicht rötlichen Stich und trug einen kurz gestutzten Oberlippen- und Kinnbart. Seine Kleidung, bestehend aus Wams, Heuke und Beinlingen, war aus teurer Wolle gefertigt, flämisch oder englisch vermutlich, dafür hatte Elsbeth einen Blick, weil die Männer, die in ihrer Mutter Haus ein- und ausgegangen waren, sich ebenfalls so erlesen gekleidet hatten. Sein Hemd war feinstes helles Leinen, seine Stiefel aus weichem, dunkelbraunem Leder, das sich von der hellgrünen Farbe seiner Beinkleider ebenso abhob wie von dem Wams in etwas dunklerem Grün. Die Heuke war bei näherem Hinsehen ein wertvoller Zunftmantel, dunkelbraun und grün mit dem aufgestickten Wappen der Zunft und Gaffel der Goldschmiede und Goldschläger.
»Darf ich Euch den Mantel abnehmen und aufhängen?« Elsbeth deutete geflissentlich auf die drei Haken an der Wand neben der Tür, die für Mäntel und andere Kleidungsstücke vorgesehen waren. »Ich habe auch einen Krug Wein hier, aber ich kann Euch auch Bier heraufbringen lassen und etwas zu essen, falls Ihr hungrig seid.« Verunsichert musterte sie ihn, weil er einfach nur dastand, mitten im Raum, und sie schweigend ansah. »Herr? Stimmt etwas nicht? Gefalle ich Euch vielleicht doch nicht? Ich bin sicher, wir finden eine Frau hier im Haus, die Euch eher zusagt. Ich kann rasch …«
»Dein Name ist Elsbeth, ja?« Die Stimme des Mannes klang warm und geradezu sanft.
»So ist es, Herr.« Sie lächelte wieder lieblich. »Und ich stehe Euch sehr gerne zu Diensten. Sagt mir nur, wie Ihr es gerne habt, dann werde ich …«
»Mein Name ist Thönnes … van Kneyart«, setzte er mit etwas Verspätung hinzu.
»Ich weiß.« Sie räuspert sich auf seinen überraschten Blick hin. »Mutter Berta nannte mir bereits Euren Namen, Herr, und sagte, dass Ihr für die ganze Nacht bezahlt habt. Soll ich mich gleich ausziehen?« Sie zupfte an der Verschnürung ihres Kleides, doch er griff rasch nach ihrem Handgelenk und hielt sie auf.
»Nicht.« Auf ihren verwirrten Blick hin lächelte er. »Noch nicht, Elsbeth. Ich möchte erst …« Kurz sah er sich um und setzte sich dann auf das Bett. Einladend klopfte er auf die Matratze, woraufhin sie sich rasch neben ihm niederließ. »Ich will dich erst näher kennenlernen.«
»Kennenlernen?« Verunsichert starrte sie ihn an. »Wozu?«
Er lachte leise. »Damit ich mehr über dich weiß.«
Argwöhnisch runzelte sie die Stirn. »Was wollt Ihr denn über mich wissen?« Zu ihrer grenzenlosen Verblüffung nahm er ihre Hand und drückte sie sanft. »Alles, was du mir über dich preisgeben willst. Wie alt bist du, Elsbeth?«
»Sechzehn Jahre.«
»Wie lange arbeitest … lebst du schon hier?«
»Seit ungefähr vier Monaten, nicht ganz.«
»Bist du in Köln geboren?«
Elsbeth nickte.
»Unehelich?«
Wieder nickte sie.
Thönnes van Kneyart seufzte. »Ich dachte es mir bereits, aber ich musste dich dennoch treffen. Vor einiger Zeit habe ich dich auf dem Neumarkt gesehen. Du warst mit zwei anderen Frauen unterwegs. Einer kleinen zierlichen und einer, nun ja …« Er malte mit beiden Händen eine ausladend üppige Frauenfigur in die Luft.
Elsbeth kicherte. »Das ist die dicke Trin und das andere Alwina. Über den Neumarkt gehen wir eigentlich nur sonntags, wenn wir den Gottesdienst in St. Aposteln besuchen.«
»Es war ein Sonntag, das stimmt.« Der Goldschmied nickte zustimmend. »Nicht der vergangene, sondern der davor. Am liebsten hätte ich dich sofort kennengelernt, doch sonntags spricht man euch … Frauen ja nicht an oder sucht dieses Haus auf.«
»Manche Männer tun es trotzdem.« Sie hob die Schultern. »Es kostet extra, und man darf uns nicht dazu zwingen, am heiligen Sonntag zu arbeiten, aber es bringt ja mehr Geld.«
»Mag sein.« Wieder ergriff er ihre Hand. »Ich finde aber, auch ihr Frauen habt einen freien Tag in der Woche verdient.«
»Aha.« Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Dieser Mann war eindeutig seltsam und redete anscheinend gerne. »Soll ich mich nicht doch allmählich ausziehen? Mutter Berta wird wütend, wenn sie hört, dass ich Euch nicht umgehend all Eure Wünsche erfülle. Ich möchte auch nicht, dass Ihr unzufrieden mit mir seid.«
Thönnes van Kneyart schmunzelte. »Wirke ich denn unzufrieden auf dich?«
Ratlos erwiderte sie seinen Blick. »Ich weiß nicht, Herr.«
»Thönnes.«
»Herr Thönnes.«
Er lachte. »Nein, für dich und solange wir allein miteinander sind, nur Thönnes.«
»Aber …« Nein, seltsam war gar kein Ausdruck für diesen Mann. »Und was möchtet Ihr jetzt tun, wenn nicht … es tun?«
»Ich genieße es sehr, dich anzusehen und mit dir zu reden, Elsbeth.« Er strich ganz sachte mit dem Daumen über ihre Wange. »Für alles andere ist später noch Zeit. Du weißt doch, ich habe für die ganze Nacht bezahlt.«
»Reden wollt Ihr?« Elsbeth sah an sich hinab. »Mit mir? Ich habe doch gar nichts zu erzählen, was Euch interessieren könnte.«
»Überlass nur mir, was mich interessiert, Elsbeth. Ist es denn so schlimm, mit mir zu reden?« Forschend sah er ihr ins Gesicht, dann grinste er schalkhaft. »Ich verrate es auch nicht Mutter Berta.«
Ein Kichern stieg in ihr auf, das sie nicht zurückhalten konnte. »Nein, gewisslich ist es nicht schlimm, aber Ihr seid doch ein hoher Herr, und ich bin bloß … ich. Da gibt es nicht viel zu reden.«
»Da bin ich gänzlich anderer Ansicht.« Neugierig betrachtete er ihr Gesicht. »Du bist sehr hübsch, Elsbeth.«
Sie spürte, wie sich ihre Wangen erwärmten. »Danke sehr!«
»Und ich glaube, du bist auch nicht dumm.«
Wieder kicherte sie. »Mutter Berta nennt mich ein Schaf, und die dicke Trin sagt, ich wär eine dumme Nuss, weil ich manchmal erzähle, wovon ich träume. Also nicht, wenn ich schlafe, denn dann träume ich meistens großen Unsinn … oder von meiner Mutter, die gestorben ist. Sondern von was ich träume, wenn ich wach bin. Trin sagt, ich soll nicht alleweil Löcher in die Luft starren und aufhören, mir alberne Dinge vorzustellen, die mir nicht zustehen.«
Thönnes van Kneyarts Blick wurde noch eine Spur aufmerksamer. »Wovon genau träumst du denn, wenn du nicht schläfst?«
»Das wollt Ihr wissen?« Verblüfft starrte sie ihn an.
»Ja, denn sonst hätte ich nicht gefragt.«
Fieberhaft überlegte Elsbeth, ob dieser Mann seine Worte wirklich ernst meinte. Was er wohl mit seiner Frage bezweckte? Hoffentlich bekam sie keinen Ärger. »Ich träume manchmal, ich hätte viele schöne Kleider und ein eigenes Haus und … na ja, einen Mann, der mich aus dem Leben hier errettet und mich ehrbar macht.«
»Das sind aber doch keine dummen Träume, sondern gänzlich legitime«, befand er.
»Nein, Trin sagt, sie wären mehr als nur dumm und dass ich verblödet bin, weil ich meine Zeit mit so was vergeude. Mutter Berta sagt das auch und dass man hier nicht rauskommt, außer eingenäht in einen Leichensack. Oder vielleicht noch als Bettlerin und arme Büßerin, wenn es mir gelingt, meine Schulden bei ihr zu bezahlen. Die sind nämlich schon ganz schön hoch, weil ich nicht so viel Geld einnehme, wie ich hier fürs Wohnen und Essen und Kleider und so bezahlen muss. Wenn ich jeden Pfennig spare, kann ich mich vielleicht freikaufen, aber nur, wenn Mutter Berta mich lässt und wenn ich danach ganz fromm bleibe, aber sie sagt, ich kann ja nix anderes, als den Männern zu dienen, und vom Betteln wird man nicht satt, wenn man nicht in die Zunft der Bettler aufgenommen wird, und die wollen keine freien Frauen, weil die ihren Ruf schädigen. Also werde ich so oder so wieder hier landen oder als Fahrende in der Gosse, weil ich mich allein da draußen gar nicht zurechtfinde.«
»Viel trauen Berta und Trin dir offenbar nicht zu.« Thönnes van Kneyart verzog die Lippen. »Du wirst aber nicht gezwungen, hier zu arbeiten?«
»Nein, gar nicht.« Elsbeth schüttelte den Kopf. »Oder, ein bisschen schon, weil ich ja nicht wegkann, solange ich meine Schulden nicht bezahle, aber ich bin schon freiwillig hier eingezogen, nachdem meine Mutter gestorben ist. Und mein Vater wollte mich nicht oder mir helfen. Er tut so, als ob es mich nicht gibt. Aber was will er auch mit einer wie mir? Wenn ich ein Sohn wäre, würde er mich vielleicht als Bastard anerkennen, aber eine Tochter doch nicht.«
Thönnes van Kneyart strich ihr eine braune Haarsträhne hinters Ohr. »Wer ist denn dein Vater?«
Elsbeth erschrak. Bloß nie darüber reden, hatte die Mutter ihr eingeschärft. Nur gegenüber Mutter Berta hatte sie es preisgeben müssen, sonst hätte die sie wegen Lügens nicht aufgenommen. Also schwieg sie und senkte den Blick auf ihren Schoß.
»Schon gut, du willst es lieber für dich behalten.« Er schien nicht ungehalten darüber zu sein. »Ich frage dich nicht mehr, versprochen.«
Elsbeth atmete auf und hob den Kopf wieder, als er weitersprach. »Mein Vater war bis zu seinem Tod Zunftmeister, und jetzt bin ich es ebenfalls. Mein Vetter Mathys ist mein Stellvertreter, aber über ihn verliere ich lieber kein Wort.«
»Warum nicht?«, platzte Elsbeth heraus. »Mögt Ihr ihn nicht?«
»Nein.« Er lachte. »Niemand kann ihn leiden. Er ist ein lauter, ungehobelter Laffe. Außerdem nimmt er es mir übel, dass ich so gut mit den Kaufleuten und Handwerkern aus den anderen Zünften auskomme und ihre Pläne unterstütze, mehr Macht im Rat zu erhalten. Er glaubt, es sei eines Goldschmieds nicht würdig, sich mit Webern und Krämern gemein zu machen, obwohl er selbst gesagt hat, dass unsereins mehr Macht im Rat haben müsste. Bloß tun will er dafür selbst nichts, dazu ist er zu faul und zu träge. Vielleicht auch zu feige. Köln brodelt wie ein Topf Milch kurz vor dem Überkochen, weißt du, weil die reichen Bürger und die alten Adelsgeschlechter sich an ihre Macht krallen und den Kaufleuten und ehrbaren Handwerkern kein Mitspracherecht über die Geschicke der Stadt zugestehen wollen. Doch lange machen wir das nicht mehr mit, Elsbeth, das sage ich dir. Noch vor Ablauf des Jahres wird sich etwas ändern, und zwar grundlegend!«
»Aha.« Elsbeth tat, als begriffe sie alles, dabei hatte sie vom Rat und den Schöffen nicht die geringste Ahnung. Sie wusste nur, was sie hier und da unten im Schankraum aufgeschnappt hatte. »Ihr wollt also den alten Rat stürzen?«
»Pst!« Mit strenger Miene legte er seinen Zeigefinger an die Lippen. »Darüber verliert man am besten kein Wort«, raunte er. »Die Wände haben überall Ohren.« Plötzlich lächelte er wieder. »Aber verdient hätten es die alten Krähenhälse aus der früheren Richerzeche und die blaublütigen Machthaber schon, wenn sie mal ordentlich aufgerüttelt und einige von ihnen aus der Stadt vertrieben würden. Dann würde hier bald ein ganz neuer, gerechterer Wind wehen, sage ich dir!« Enthusiastisch ergriff er ihre Hände und hob sie an seinen Mund.
Ihre Finger zuckten leicht, als er sie mit Küssen bedeckte. Sie versuchte, ein kluges Lächeln aufzusetzen. »Wenn Ihr das sagt, Herr … äh … Thönnes, dann wird es wohl so sein.«
Nun lachte er herzlich. »Du hast nicht die geringste Ahnung, wovon ich spreche, nicht wahr? Und doch rede und rede ich dir die Ohren voll. Entgen, das ist meine Schwester, schimpft mich auch immer ein unverbesserliches Plappermaul.« Um seine Mundwinkel zuckte es noch immer, doch sein Blick wurde wieder merkwürdig ernst. »Ja, ja, meine Entgen. Sie ist eine gutherzige Frau, ja, wirklich. Leider ist ihr Gemahl zu früh von uns gegangen, und weil sie ihn nie wirklich leiden konnte, weigerte sie sich damals, erneut zu heiraten. Dabei ist sie ein schönes Weib und hätte wohl so manchen Mann um den Finger wickeln können. Stattdessen, weil ich wusste, wie sehr ihr eine neue Heirat widerstrebte, habe ich sie in mein Haus aufgenommen. Unser Vater fand das nicht gut, aber er hat letztlich keine Einwände erhoben. Sie hatte damals schon zwei oder sogar drei Fehlgeburten, und es stand zu befürchten, dass es so weitergehen könnte. Da war es besser, sie keinem anderen Mann mehr anzudienen. Nun führt sie mir schon seit fast fünfzehn Jahren den Haushalt.« Er hielt inne, und sein Blick wanderte in eine unbestimmte Ferne. »Sie ist fünf Jahre älter als ich, aber wir standen uns trotzdem schon immer sehr nahe. Sehr nahe«, wiederholte er gedankenverloren. »Vielleicht habe ich deshalb bislang nie darüber nachgedacht, mir ein Eheweib ins Haus zu holen. Wir kommen so gut miteinander aus, dass es mir schlichtweg an nichts gefehlt hat. Bei einer Ehefrau weiß man ja nie, was man sich einhandelt, aber eine Schwester kennt man gut, und man weiß, dass sie stets loyal sein wird.« Nun richtete sein Blick sich wieder auf Elsbeth. »Doch nun habe ich dich entdeckt und kann einfach nicht anders … Ich musste dich wiedersehen, mit dir reden, herausfinden …« Was er herauszufinden trachtete, sprach er nicht aus. Stattdessen legte er seine Hände sanft an ihre Wangen. »Du bist schön, Elsbeth, fast wie ein Engel, und du rührst da etwas in mir an.« Er klopfte sachte an seine Brust in der Nähe des Herzens. »Hier drinnen.« Dann wanderte seine Hand in ihr Haar. »Ich weiß, ich kann nicht erwarten, dass es dir genauso ergeht, denn du kennst mich weder, noch gibt es einen Grund für dich, meinen Worten Glauben zu schenken, aber vielleicht gibst du mir ja die Gelegenheit, den Gehalt ihrer Wahrheit zu beweisen?«
Vollkommen atemlos blickte Elsbeth dem Goldschmied in die Augen. Was in aller Welt redete er da? Wollte er ihr etwa weismachen, dass er sich in sie verliebt hatte? Sosehr sie auch von einer solch abwegigen Wendung ihres Schicksals träumte, wusste sie doch, dass solche Dinge kaum jemals wirklich geschahen. Und doch war sein Blick so offen, so ehrlich, so voller Bewunderung und Zärtlichkeit auf sie gerichtet, dass sich tief in ihrer Magengrube etwas regte. Ein Kribbeln und Ziehen, das sie zuvor noch niemals verspürt hatte. Wie gebannt starrte sie in seine graublauen Augen, und plötzlich lag ihr Mund auf seinem. Ein sehnlicher Stich durchzuckte sie, gefolgt von wohligem Erschauern, als er sie fest an sich zog, seine Hände bis zu ihren Schultern hinabwanderten und er mit seinen Fingerspitzen die nackte Haut an ihrem Schlüsselbein liebkoste. »Eigentlich wollte ich damit noch warten«, murmelte er gegen ihre Lippen. »Aber du machst es mir gerade nicht leicht.«
»Warten?« Verwirrt runzelte sie die Stirn. »Warum? Worauf?«
Er lachte leise. »Recht hast du. Worauf eigentlich?« Schon löste er geschickt die Verschnürungen an ihrem Kleid und half ihr, es sich über den Kopf zu ziehen. Da sie sich mit den männlichen Bedürfnissen gut auskannte, schob sie ihre rechte Hand hinab zu der unmissverständlichen Erhebung in seinem Schritt und rieb angelegentlich darüber, bis er ein raues Stöhnen ausstieß und von ihr abließ, um sich seiner Kleider zu entledigen. Sein Leib war kräftig, jedoch nicht von harten Muskeln gestählt, gleichwohl ansehnlicher als so manch anderer, und das, obwohl er die Vierzig wohl schon um das eine oder andere Jahr überschritten haben dürfte.
Elsbeth wollte schon, wie sie es gewohnt war, nach seiner aufgerichteten Männlichkeit greifen, doch da hatte er sie mit Schwung auf seine Arme gehoben, sodass sie vor Überraschung einen kurzen spitzen Schrei ausstieß und gleich darauf verunsichert kicherte, weil er sie vorsichtig auf dem Bett ablegte und sich neben sie schob. Mit der Hand fuhr er über ihren Leib, und seine Lippen folgten hauchzart der Spur, die seine Handfläche zog. So etwas kannte sie nicht. Es gab zwar Männer, die sie küssten, meist gierig, und die ihr mehr oder weniger fest an die Brüste fassten oder auch schon mal an den Brustwarzen saugten, aber dieses bedächtige, langsame Streicheln und Küssen gehörten in aller Regel nicht zu dem Akt, der unweigerlich folgen würde. Zumindest hatte sie so etwas noch nicht erlebt. Warum auch? Sie war ja schließlich hier, um die Bedürfnisse ihrer Freier zu befriedigen und nicht umgekehrt.
Elsbeth erschauerte unwillkürlich, als sie Thönnes’ Hand zwischen ihren Schenkeln spürte. Bereitwillig, wie es von einer Dirne erwartet wurde, öffnete sie die Beine weit, erschrak dann aber regelrecht, als er sich an ihr hinabschob, ihr mit säuberlich gestutztem gekräuseltem braunem Haar bedecktes Dreieck küsste und im nächsten Moment seine Zunge folgen ließ. »Was …?« Scharf sog sie die Luft ein, als sie nun Fingerspitze und Zunge an ihrer Heimlichkeit spürte. Sie wusste zwar, dass es durchaus angenehm sein konnte, dort angefasst zu werden, denn diese Tatsache machte sie sich nicht selten zunutze, wenn sie nicht feucht genug für einen Freier war und kein Gänsefett oder eine fetthaltige Salbe zur Hand hatte, doch das hier war ganz anders – erschreckend anders. »Was tut Ihr denn da, Thönnes?« Ihr Unterleib zuckte in kleinen blitzartigen Schockwellen, als er mit Daumenspitze und Zunge die empfindliche Knospe reizte, das Lustzentrum einer Frau, wie ihre Mutter ihr einmal erklärt hatte. Elsbeth hatte diese Beschreibung zwar für maßlos übertrieben gehalten, doch nun ahnte sie, dass doch einiges mehr dahintersteckte, als sie geahnt hatte.
Thönnes hob den Kopf und sah zu ihr auf. »Gefällt es dir?«
Sie zögerte, nickte dann aber. Warum sollte sie ihn anlügen?