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Rudolf Steiner ist der Begründer der Anthroposophie und Vordenker der Waldorfpädagogik. Die Anthroposophie hat in den letzten Jahren immer mehr Einfluss gewonnen. Rudolf Steiner findet Anhänger in der bildenden Kunst, der Literatur, der Ernährungswissenschaft und vor allem in der Reformpädagogik. Die Pädagogik der Waldorfschulen basiert auf den Gedanken Rudolf Steiners. Rudolf Steiner strebt eine ganzheitliche Menschenbildung an, bei der Leib und Seele durch eine entwicklungspsychologisch fundierte »Erziehungskunst« harmonisch ausgebildet werden. Im Band enthalten sind die beiden zusammenfassenden Artikel über »Die pädagogische Grundlage der Waldorfschule« und »Die pädagogische Zielsetzung der Waldorfschule in Stuttgart«. Der dritte Teil enthält acht Vorträge unter dem Titel »Menschenerkenntnis und Unterrichtsgestaltung«. Rudolf Steiner erläuterte den Lehrern der Freien Waldorfschule Stuttgart in einer einwöchigen Veranstaltung sein Konzept der Waldorfpädagogik.
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Seitenzahl: 226
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Erstveröffentlichung in: Die Dreigliederung des sozialen Organismus, I. Jg. 1919/20, Heft 16-17, Oktober 1919
Die Absichten, die Emil Molt durch die Waldorfschule verwirklichen will, hängen zusammen mit ganz bestimmten Anschauungen über die sozialen Aufgaben der Gegenwart und der nächsten Zukunft. Aus diesen Anschauungen heraus muss der Geist erstehen, in dem diese Schule geführt werden soll. Sie ist angegliedert an eine industrielle Unternehmung. Die Art, wie sich die moderne Industrie in die Entwicklung des menschlichen Gesellschaftslebens hineingestellt hat, gibt der Praxis der neueren sozialen Bewegung ihr Gepräge. Die Eltern, die ihre Kinder dieser Schule anvertrauen werden, können nicht anders, als erwarten, dass diese Kinder in dem Sinne zur Lebenstüchtigkeit erzogen und unterrichtet werden, der dieser Bewegung volle Rechnung trägt. Das macht notwendig, dass bei der Begründung der Schule von pädagogischen Prinzipien ausgegangen wird, die in den Lebensforderungen der Gegenwart wurzeln. Die Kinder sollen zu Menschen erzogen und für ein Leben unterrichtet werden, die den Anforderungen entsprechen, für die jeder Mensch, gleichgültig aus welcher der herkömmlichen Gesellschaftsklassen er stammt, sich einsetzen kann. Was die Praxis des Gegenwartslebens von dem Menschen verlangt, es muss in den Einrichtungen dieser Schule sich widerspiegeln. Was als beherrschender Geist in diesem Leben wirken soll, es muss durch Erziehung und Unterricht in den Kindern angeregt werden.
Verhängnisvoll müsste es werden, wenn in den pädagogischen Grundanschauungen, auf denen die Waldorfschule aufgebaut werden soll, ein lebensfremder Geist waltete.
Ein solcher tritt heute nur allzu leicht dort hervor, wo man ein Gefühl dafür entwickelt, welchen Anteil an der Zerrüttung der Zivilisation das Aufgehen in einer materialistischen Lebenshaltung und Gesinnung während der letzten Jahrzehnte hat. Man möchte, durch dieses Gefühl veranlasst, in die Verwaltung des öffentlichen Lebens eine idealistische Gesinnung hineintragen. Und wer seine Aufmerksamkeit der Entwicklung des Erziehungs- und Unterrichtswesens zuwendet, der wird diese Gesinnung vor allem andern da verwirklicht sehen wollen. In einer solchen Vorstellungsart gibt sich viel guter Wille kund. Dass dieser anerkannt werden soll, ist selbstverständlich. Er wird, wenn er sich in der rechten Art betätigt, wertvolle Dienste leisten können, wenn es sich darum handelt, menschliche Kräfte für ein soziales Unternehmen zu sammeln, für das neue Voraussetzungen geschaffen werden müssen. - Dennoch ist gerade in einem solchen Falle nötig, darauf hinzuweisen, wie der beste Wille versagen muss, wenn er an die Verwirklichung von Absichten geht, ohne die auf Sacheinsicht begründeten Voraussetzungen in vollem Maße zu berücksichtigen.
Damit ist eine der Forderungen gekennzeichnet, die heute bei Begründung einer solchen Anstalt in Betracht kommen, wie die Waldorfschule eine sein soll. In ihrem pädagogischen und methodischen Geiste muss Idealismus wirken; aber ein Idealismus, der die Macht hat, in dem aufwachsenden Menschen die Kräfte und Fähigkeiten zu erwecken, die er im weiteren Lebensverlauf braucht, um für die gegenwärtige Menschengemeinschaft Arbeitstüchtigkeit und für sich einen ihn stützenden Lebenshalt zu haben.
Die Pädagogik und Schulmethodik wird eine solche Forderung nur erfüllen können mit wirklicher Erkenntnis des heranwachsenden Menschen. Einsichtige Menschen verlangen heute eine Erziehung und einen Unterricht, die nicht auf einseitiges Wissen, sondern auf Können, nicht auf bloße Pflege der intellektuellen Anlagen, sondern auf Ertüchtigung des Willens hinarbeiten. Die Richtigkeit dieses Gedankens kann nicht angezweifelt werden. Allein man kann den Willen und das ihm zugrunde liegende gesunde Gemüt nicht erziehen, wenn man nicht die Einsichten entwickelt, die in Gemüt und Willen tatkräftige Antriebe erwecken. Ein Fehler, der nach dieser Richtung hin in der Gegenwart häufig gemacht wird, besteht nicht darin, dass man zu viel an Einsicht in den aufwachsenden Menschen hineinträgt, sondern darin, dass man Einsichten pflegt, denen die Stoßkraft für das Leben mangelt. Wer glaubt, den Willen bilden zu können, ohne die ihn belebende Einsicht zu pflegen, der gibt sich einer Illusion hin. - In diesem Punkte klar zu sehen, ist Aufgabe der Gegenwarts-Pädagogik. Dieses klare Sehen kann nur aus einer lebensvollen Erkenntnis des ganzen Menschen hervorgehen.
So wie sie vorläufig gedacht ist, wird die Waldorfschule eine Volksschule sein, die ihre Zöglinge so erzieht und unterrichtet, dass Lehrziele und Lehrplan aufgebaut sind auf die in jedem Lehrer lebendige Einsicht in das Wesen des ganzen Menschen, soweit dies unter den gegenwärtigen Verhältnissen schon möglich ist. Es ist selbstverständlich, dass die Kinder in den einzelnen Schulstufen so weit gebracht werden müssen, dass sie den Anforderungen entsprechen können, die man nach den heutigen Anschauungen stellt. Innerhalb dieses Rahmens sollen aber Lehrziele und Lehrpläne so gestaltet werden, wie sie sich aus der gekennzeichneten Menschen- und Lebenserkenntnis ergeben.
Der Volksschule wird das Kind anvertraut in einem Lebensabschnitte, in dem die Seelenverfassung in einer bedeutungsvollen Umwandlung begriffen ist. In der Zeit von der Geburt des Menschen bis zum sechsten oder siebenten Lebensjahre ist der Mensch dazu veranlagt, sich für alles, was ihm nächststehende menschliche Umgebung ist, hinzugeben, und aus dem nachahmenden Instinkt heraus die eigenen werdenden Kräfte zu gestalten. Von diesem Zeitpunkte an wird die Seele offen für ein bewusstes Hinnehmen dessen, was vom Erzieher und Lehrer auf der Grundlage einer selbstverständlichen Autorität auf das Kind wirkt. Die Autorität nimmt das Kind hin aus dem dunklen Gefühl heraus, dass in dem Erziehenden und Lehrenden etwas lebt, das in ihm auch leben soll. Man kann nicht Erzieher oder Lehrer sein, ohne mit voller Einsicht sich so zu dem Kinde zu stellen, dass dieser Umwandlung des Nachahmungstriebes in die Aneignungsfähigkeit auf Grund selbstverständlichen Autoritätsverhältnisses im umfänglichsten Sinne Rechnung getragen wird. Die auf bloße Natureinsicht begründete Lebensauffassung der neueren Menschheit geht nicht mit vollem Bewusstsein an solche Tatsachen der Menschenentwicklung heran. Ihnen kann nur die notwendige Aufmerksamkeit zuwenden, wer Sinn hat für die feinsten Lebensäußerungen des Menschenwesens. Ein solcher Sinn muss in der Kunst des Erziehens und Unterrichtens walten. Er muss den Lehrplan gestalten; er muss in dem Geiste leben, der Erzieher und Zöglinge vereinigt. Was der Erzieher tut, kann nur in geringem Maße davon abhängen, was in ihm durch allgemeine Normen einer abstrakten Pädagogik angeregt ist; er muss vielmehr in jedem Augenblicke seines Wirkens aus lebendiger Erkenntnis des werdenden Menschen heraus neu geboren sein. Man kann natürlich einwenden, solch ein lebensvolles Erziehen und Unterrichten scheitere an Schulklassen mit großer Schülerzahl. Innerhalb gewisser Grenzen ist dieser Einwand gewiss berechtigt; wer ihn über diese Grenzen hinaus macht, der beweist aber dadurch nur, dass er von dem Gesichtspunkte einer abstrakten Norm-Pädagogik aus spricht, denn eine auf wahrer Menschenerkenntnis beruhende lebendige Erziehungs- und Unterrichtskunst durchzieht sich mit einer Kraft, die in dem einzelnen Zögling die Anteilnahme anregt, so dass man nicht nötig hat, ihn durch das unmittelbare, «individuelle» Bearbeiten entsprechend bei der Sache zu halten. Man kann, was man im Erziehen und Unterrichten wirkt, so gestalten, dass der Zögling im Aneignen es selbst individuell für sich fasst. Dazu ist nur nötig, dass, was der Lehrende tut, genügend stark lebt. Wer den Sinn für echte Menschenerkenntnis hat, dem wird der werdende Mensch in einem solch hohen Maße zu einem von ihm zu lösenden Lebensrätsel, dass er in der versuchten Lösung das Mitleben der Zöglinge weckt. Und ein solches Mitleben ist ersprießlicher als ein individuelles Bearbeiten, das den Zögling nur allzu leicht in bezug auf echte Selbstbetätigung lähmt. Wiederum innerhalb gewisser Grenzen gemeint, darf behauptet werden, dass größere Schulklassen mit Lehrern, die voll des von wahrer Menschenerkenntnis angeregten Lebens sind, bessere Erfolge erzielen werden als kleine Klassen mit Lehrern, die, von einer Normpädagogik ausgehend, solches Leben nicht zu entfalten vermögen.
Weniger deutlich ausgeprägt, aber für Erziehungs- und Unterrichtskunst gleich bedeutungsvoll, wie die Umwandlung der Seelenverfassung im sechsten oder siebenten Lebensjahre, findet eine eindringliche Menschenerkenntnis eine solche um den Zeitpunkt der Vollendung des neunten Lebensjahres herum. Da nimmt das Ich-Gefühl eine Form an, welche dem Kinde ein solches Verhältnis zur Natur und auch zur andern Umgebung gibt, so dass man zu ihm mehr von den Beziehungen der Dinge und Vorgänge zueinander sprechen kann, während es vorher fast ausschließlich Interesse entwickelt für die Beziehungen der Dinge und Vorgänge zum Menschen. Solche Tatsachen der Menschenentwicklung sollen von dem Erziehenden und Unterrichtenden ganz sorgfältig beachtet werden. Denn wenn man in die Vorstellungs- und Empfindungswelt des Kindes hineinträgt, was in einem Lebensabschnitt gerade mit der Richtung der Entwicklungskräfte zusammenfällt, so erstarkt man den ganzen werdenden Menschen so, dass die Erstarkung das ganze Leben hindurch ein Kraftquell bleibt. Wenn man gegen die Entwicklungseinrichtung in einem Lebensabschnitt arbeitet, so schwächt man den Menschen.
In der Erkenntnis der besonderen Anforderungen der Lebensabschnitte liegt die Grundlage für einen sachgemäßen Lehrplan. Es liegt darinnen aber auch die andere Grundlage für die Art der Behandlung des Lehrstoffes in den aufeinanderfolgenden Lebensabschnitten. Man wird das Kind bis zum vollendeten neunten Lebensjahre in allem, was durch die Kulturentwicklung in das menschliche Leben eingeflossen ist, bis auf eine gewisse Stufe gebracht haben müssen. Man wird gerade die ersten Schuljahre deshalb mit Recht zum Schreibe- und Leseunterricht verwenden müssen; aber man wird diesen Unterricht so gestalten müssen, dass die Wesenheit der Entwicklung in diesem Lebensabschnitt ihr Recht findet. Lehrt man die Dinge so, dass einseitig der Intellekt des Kindes und nur ein abstraktes Aneignen von Fertigkeiten in Anspruch genommen werden, so verkümmert die Willens- und Gemütsnatur. Lernt dagegen das Kind so, dass sein ganzer Mensch an seiner Betätigung Anteil hat, so entwickelt es sich allseitig. Im kindlichen Zeichnen, ja selbst im primitiven Malen kommt der ganze Mensch zur Entfaltung eines Interesses an dem, was er tut. Man sollte deshalb das Schreiben aus dem Zeichnen heraus entstehen lassen. Aus Formen, an denen der kindlich-künstlerische Sinn des Kindes zur Geltung kommt, entwickele man die Buchstabenformen. Aus einer Beschäftigung, die als künstlerisch den ganzen Menschen zu sich heranzieht, entwickele man das Schreiben, das zum Sinnvoll-Intellektuellen hinführt. Und erst aus dem Schreiben heraus lasse man das Lesen erstehen, das die Aufmerksamkeit stark in das Gebiet des Intellektuellen zusammenzieht.
Durchschaut man, wie stark aus der kindlich-künstlerischen Erziehung das Intellektuelle herauszuholen ist, so wird man der Kunst im ersten Volksschulunterricht die angemessene Stellung zu geben geneigt sein. Man wird die musikalische und auch die bildnerische Kunst in das Unterrichtsgebiet richtig hineinstellen und mit dem Künstlerischen die Pflege der Körperübungen entsprechend verbinden. Man wird das Turnerische und die Bewegungsspiele zum Ausdrucke von Empfindungen machen, die angeregt werden von dem Musikalischen oder von Rezitiertem. Die eurhythmische, die sinnvolle Bewegung wird an die Stelle derjenigen treten, die bloß auf das Anatomische und Physiologische des Körpers sich aufbaut. Und man wird finden, welch starke willen- und gemütbildende Kraft in der künstlerischen Gestaltung des Unterrichtes liegt. Wirklich fruchttragend werden aber nur solche Lehrer in der hier angedeuteten Art erziehen und unterrichten können, die durch eindringliche Menschenerkenntnis den Zusammenhang durchschauen, der besteht zwischen ihrer Methode und den in einem bestimmten Lebensabschnitt sich offenbarenden Entwicklungskräften. Der ist nicht wirklicher Lehrer und Erzieher, der Pädagogik sich angeeignet hat als Wissenschaft von der Kindesbehandlung, sondern derjenige, in dem der Pädagoge erwacht ist durch Menschenerkenntnis.
Bedeutungsvoll für die Gemütsbildung ist, dass das Kind vor Vollendung des neunten Lebensjahres die Beziehung zur Welt so entwickelt, wie der Mensch geneigt ist, sie in phantasievoller Art auszugestalten. Wenn der Erziehende selbst nicht Phantast ist, so macht er auch das Kind nicht zum Phantasten, indem er in märchen-fabelartiger und ähnlicher Darstellung die Pflanzen- und Tier-, die Luft- und Sternenwelt in dem Gemüte des Kindes leben lässt.
Wenn man aus einer materialistischen Gesinnung heraus den gewiss innerhalb gewisser Grenzen berechtigten Anschauungsunterricht auf alles mögliche ausdehnen will, so beachtet man nicht, dass in der menschlichen Wesenheit auch Kräfte entwickelt werden müssen, die nicht durch Anschauung allein vermittelt werden können. So steht das rein gedächtnismäßige Aneignen gewisser Dinge im Zusammenhang mit den Entwicklungskräften vom sechsten oder siebenten bis zum vierzehnten Lebensjahre. Und auf diese Eigenschaft der menschlichen Natur soll der Rechenunterricht aufgebaut sein. Er kann geradezu zur Pflege der Erinnerungskraft verwendet werden. Berücksichtigt man dieses nicht, so wird man vielleicht gerade im Rechenunterricht das anschauliche Element gegenüber dem gedächtnisbildenden unpädagogisch bevorzugen.
In den gleichen Fehler kann man verfallen, wenn man ängstlich bei jeder Gelegenheit über ein richtiges Maß hinaus anstrebt, dass das Kind alles verstehen müsse, was man ihm übermittelt. Diesem Bestreben liegt gewiss ein guter Wille zugrunde. Aber dieser rechnet nicht damit, was es für den Menschen bedeutet, wenn er in einem späteren Lebensalter in seiner Seele wiedererweckt, was er sich in einem früheren rein gedächtnismäßig angeeignet hat, und nun findet, dass er durch die errungene Reife jetzt zum Verständnisse aus sich selbst kommt. Allerdings wird notwendig sein, dass die bei dem gedächtnismäßigen Aneignen eines Lernstoffes gefürchtete Teilnahmslosigkeit des Zöglings durch die lebensvolle Art des Lehrers verhindert wird. Steht der Lehrer mit seinem ganzen Wesen in seiner Unterrichtstätigkeit drinnen, dann darf er dem Kinde auch beibringen, wofür es im späteren Nacherleben mit Freude das volle Verständnis findet. Und in diesem erfrischenden Nacherleben liegt dann stets Stärkung des Lebensinhaltes. Kann der Lehrer für solche Stärkung wirken, dann gibt er dem Kinde ein unermesslich großes Lebensgut mit auf den Daseinsweg. Und er wird dadurch auch vermeiden, dass sein «Anschauungsunterricht» durch das Übermaß an Einstellen auf das «Verständnis» des Kindes in Banalität verfällt. Diese mag der Selbstbetätigung des Kindes Rechnung tragen; allein ihre Früchte sind mit dem Kindesalter ungenießbar geworden; die weckende Kraft, die das lebendige Feuer des Lehrers in dem Kinde entzündet bei Dingen, die in gewisser Beziehung noch über sein «Verständnis» hinaus liegen, bleibt wirksam durch das ganze Leben hindurch.
Wenn man mit Naturbeschreibungen aus der Tier- und Pflanzenwelt nach dem vollendeten neunten Lebensjahre beginnt und dieselben so hält, dass aus den Formen und Lebensvorgängen der außermenschlichen Welt die menschliche Form und die Lebenserscheinungen des Menschen verständlich werden, so kann man diejenigen Kräfte im Zögling wecken, die in diesem Lebensabschnitt nach ihrem Entbundenwerden aus den Tiefen des Menschenwesens streben. Dem Charakter, den das Ich-Gefühl in dieser Lebensepoche annimmt, entspricht es, das Tier- und Pflanzenreich so anzusehen, dass, was in ihnen an Eigenschaften und Verrichtungen auf viele Wesensarten verteilt ist, in dem Menschenwesen als dem Gipfel der Lebewelt wie in einer harmonischen Einheit sich offenbart.
Um das zwölfte Lebensjahr herum ist abermals ein Wendepunkt in der Menschenentwicklung eingetreten. Der Mensch wird da reif, diejenigen Fähigkeiten zu entwickeln, durch die er in einer für ihn günstigen Art zum Begreifen dessen gebracht wird, was ganz ohne Beziehung zum Menschen aufgefasst werden muss: des mineralischen Reiches, der physikalischen Tatsachenwelt, der Witterungserscheinungen und so weiter.
Wie aus der Pflege solcher Übungen, die ganz aus der Natur des menschlichen Betätigungstriebes heraus gestaltet sind ohne Rücksicht auf die Ziele des praktischen Lebens, sich andere entwickeln sollen, die eine Art Arbeitsunterricht sind, das ergibt sich aus der Erkenntnis des Wesens der Lebensabschnitte. Was hier für einzelne Teile des Lehrstoffes angedeutet ist, lässt sich ausdehnen auf alles, was dem Zögling bis in sein fünfzehntes Lebensjahr hinein zu geben ist.
Man wird nicht zu befürchten haben, dass der Zögling in einer dem äußeren Leben fremden Seelen- und Körperverfassung aus der Volksschule entlassen wird, wenn in der geschilderten Art auf dasjenige gesehen wird, was aus der inneren Entwicklung des Menschenwesens als Unterrichts- und Erziehungsprinzipien sich ergibt. Denn das menschliche Leben ist selbst aus dieser inneren Entwicklung heraus gestaltet, und der Mensch wird in der besten Art in dieses Leben eintreten, wenn er durch die Entwicklung seiner Anlagen mit dem zusammenfindet, was aus den gleichgearteten menschlichen Anlagen heraus Menschen vor ihm der Kulturentwicklung einverleibt haben. Allerdings, um beides, die Entwicklung des Zöglings und die äußere Kulturentwicklung, zusammenzustimmen, bedarf es einer Lehrerschaft, die sich nicht mit ihrem Interesse in einer fachmäßigen Erziehungs- und Unterrichtspraktik abschließt, sondern die mit vollem Anteil sich hineinstellt in die Weiten des Lebens. Eine solche Lehrerschaft wird die Möglichkeit finden, in den heranwachsenden Menschen den Sinn für die geistigen Lebensinhalte zu wecken, aber nicht weniger das Verständnis für praktische Gestaltung des Lebens. Bei solcher Haltung des Unterrichtes wird der vierzehn- oder fünfzehnjährige Mensch nicht verständnislos sein für das Wesentliche, was aus der Landwirtschaft, der Industrie, dem Verkehre, dem Gesamtleben der Menschheit dient. Die Einsichten und die Fertigkeiten, die er sich angeeignet hat, werden ihn befähigen, sich orientiert zu fühlen in dem Leben, das ihn aufnimmt. Soll die Waldorfschule die Ziele erreichen, die ihrem Begründer vorschweben, so wird sie auf der hier gekennzeichneten Pädagogik und Methodik aufgebaut sein müssen. Sie wird dadurch einen Unterricht und eine Erziehung geben können, die den Leib des Zöglings seinen Bedürfnissen gemäß sich gesund entwickeln lässt, weil die Seele, deren Ausdruck dieser Leib ist, in der Richtung ihrer Entwicklungskräfte entfaltet wird. Es ist vor der Eröffnung der Schule versucht worden, mit der Lehrerschaft in einer solchen Art zu arbeiten, dass nach einem Ziele, wie es hier angegeben ist, durch die Schule gestrebt werden kann. Durch diese Zielrichtung glauben diejenigen, die an der Einrichtung der Schule beteiligt sind, in das pädagogische Lebensgebiet zu tragen, was der sozialen Denkungsart der Gegenwart entsprechend ist. Sie fühlen die Verantwortlichkeit, die mit einem solchen Versuch verbunden sein muss; aber sie meinen, dass gegenüber den sozialen Anforderungen der Gegenwart es eine Pflicht ist, derartiges zu unternehmen, wenn eine Möglichkeit dazu vorhanden ist.
Erstveröffentlichung: „Soziale Zukunft“, 5.-7. Heft, Februar 1920
Wer sich auf den heutigen Bildungsanstalten für den Beruf des Pädagogen vorbereitet, nimmt viele gute Grundsätze über Erziehungswesen und Unterrichtskunst ins Leben mit. Und der gute Wille, diese Grundsätze auch anzuwenden, ist zweifellos bei vielen vorhanden, denen dies als Aufgabe zufällt. Dennoch ist eine weitgehende Unbefriedigtheit auf diesem Lebensgebiete vorhanden. Immer neue oder neu erscheinende Zielsetzungen tauchen auf; und Anstalten werden begründet, welche den Forderungen der
Menschennatur und des sozialen Lebens besser Rechnung tragen sollen als diejenigen, welche aus der allgemeinen Zivilisation der neueren Menschheit hervorgegangen sind. Unbillig wäre es, nicht anzuerkennen, dass die Erziehungs- und Unterrichtskunde seit mehr als einem Jahrhundert die edelsten, von hohem Idealismus getragenen Persönlichkeiten zu ihren Pflegern gehabt hat. Was der Geschichte von diesen einverleibt ist, stellt einen reichen Schatz von pädagogischer Weisheit und von begeisternden Anweisungen für den Erzieher-Willen dar, die der angehende Lehrer aufnehmen kann.
Man wird kaum in Abrede stellen können, dass für jeden Mangel, den man im Felde des Erziehens und Unterrichtens findet, sich leitende Ideen bei den bisher führenden großen Pädagogen aufweisen lassen, durch deren Befolgung Abhilfe geschaffen werden könnte. Die Unbefriedigtheit kann nicht in dem Fehlen einer sorgsam gepflegten Erziehungskunde liegen; sie kann auch nicht auf dem Mangel an gutem Willen bei denen beruhen, die im Erziehen und Unterrichten tätig sind. Aber sie ist doch nicht unberechtigt. Das beweisen die Erfahrungen des Lebens jedem Unbefangenen.
Von solchen Empfindungen sind diejenigen durchdrungen gewesen, die an der Begründung der Waldorfschule in Stuttgart beteiligt sind. Emil Molt, der Begründer dieser Schule, und der Schreiber dieses Artikels, welcher der Erziehungs- und Unterrichtsart die Richtung geben durfte, und der sich an der Fortführung dieser Richtung weiterhin beteiligen darf: sie wollen mit dieser Schule eine pädagogische und eine soziale Aufgabe lösen.
Bei dem Versuch, die pädagogische Aufgabe zu lösen, kommt es darauf an, den Grund zu erkennen, warum die guten Erziehungsprinzipien, die vorhanden sind, in so weitgehendem Maße zu nicht befriedigenden Ergebnissen führen. - Es wird doch zum Beispiel allgemein anerkannt, dass die sich entwickelnde Individualität des Kindes für die Gewinnung der leitenden Ideen im Unterrichten und Erziehen beobachtet werden müsse. In allen Tonarten wird dieser Gesichtspunkt als ein richtiger hingestellt.
Aber es gibt heute gewichtige Hindernisse, diesen Gesichtspunkt einzunehmen. Er erfordert, um in wahrer Praxis zur Geltung zu kommen, eine Seelen-Erkenntnis, die wirklich das Wesen des Menschen aufschließt. Zu einer solchen führt die Weltanschauung nicht, welche die geistige Bildung der Gegenwart beherrscht. Diese Weltanschauung glaubt nur dann einen sicheren Boden unter den Füßen zu haben, wenn sie allgemeingültige Gesetze aufstellen kann. Gesetze, die man in festen Begriffen aussprechen und dann auf den einzelnen Fall anwenden kann. Man gewöhnt sich an das Streben nach solchen Gesetzen, wenn man seine Berufsbildung in den Bildungsanstalten der Gegenwart erwirbt. Auch die für den Erzieherberuf Vorgebildeten sind an das Denken in solchen Gesetzen gewöhnt. Aber die menschliche Seelenwesenheit widerstrebt der Erkenntnis, wenn man sie durch solche Gesetze fassen will. Nur die Natur ergibt sich diesen Gesetzen. Will man das Wesen der Seele durchschauen, so muss man das Gesetzmäßige mit künstlerischer Gestaltungskraft in der Erkenntnis durchdringen. Der Erkennende muss zum künstlerisch Schauenden werden, wenn er das Seelische erfassen will. Man kam dozieren: ein solches Erkennen sei kein wahres Erkennen, denn es beteilige das persönliche Erlebnis an dem Erfassen der Dinge. Solches Dozieren mag noch so viele logische Vorurteile für sich haben; es hat die Tatsache gegen sich, dass ohne die Beteiligung des inneren persönlichen, des schaffenden Erfassens das Seelische nicht zu erkennen ist. Man schreckt vor dieser Beteiligung zurück, weil man glaubt, damit unbedingt in die persönliche Willkür des Beurteilens hineinzukommen. Gewiss, man kommt in diese Willkür hinein, wenn man sich nicht durch sorgfältige Selbsterziehung innere Objektivität aneignet.
Damit ist aber der Weg angedeutet, den derjenige einschlägt, der neben der auf ihrem Gebiet berechtigten Natur-Erkenntnis eine wahre Geist-Erkenntnis gelten lässt. Und dieser kommt es zu, das Wesen des Seelischen aufzuschließen. Sie muss eine wirkliche Erziehungs- und Unterrichtskunst tragen. Denn sie führt zu einer Menschen-Erkenntnis, die so in sich bewegliche, lebendige Ideen hat, dass der Erzieher sie in die praktische Anschauung der einzelnen kindlichen Individualität umsetzen kann. Und erst wer dieses vermag, für den gewinnt die Forderung, nach der Kindes-Individualität zu erziehen und zu unterrichten, eine praktische Bedeutung.
In unserer Zeit mit ihrem Intellektualismus, mit ihrer Liebe zur Abstraktion wird man das hier Ausgesprochene mit Einwänden zu widerlegen suchen, wie etwa der ist: es sei doch selbstverständlich, dass man allgemeine Ideen, die man über das Wesen des Menschen auch aus der gegenwärtigen Zeitbildung heraus gewonnen habe, für den einzelnen Fall individualisiere.
Doch um richtig zu individualisieren, so, wie es befähigt, die besondere Kindes-Individualität erzieherisch zu führen, dazu ist nötig, in einer besonderen Geistes-Erkenntnis den Blick für das erworben zu haben, was nicht als einzelner Fall unter ein allgemeines Gesetz gebracht werden kann, sondern dessen Gesetz erst an diesem Fall anschauend erfasst werden muss. Die hier gemeinte Geist-Erkenntnis führt nicht, nach dem Vorbilde der Natur-Erkenntnis, zum Vorstellen allgemeiner Ideen, um diese im einzelnen Falle anzuwenden, sondern sie erzieht den Menschen zu einer Seelen-Verfassung, die den einzelnen Fall in seiner Selbständigkeit schauend erlebt. - Diese Geisteswissenschaft verfolgt, wie sich der Mensch in seinem Kindes- und Jugendalter entwickelt. Sie zeigt, wie die kindliche Natur von der Geburt bis zum Zahnwechsel so geartet ist, dass sie sich aus dem Trieb der Nachahmung entfaltet. Was das Kind sieht, hört usw. erregt in ihm den Trieb, das gleiche zu tun. Wie sich dieser Trieb gestaltet, das untersucht bis ins einzelne die Geisteswissenschaft. Man braucht zu dieser Untersuchung Methoden, die in jedem Punkte das bloße Gesetzes-Denken in das künstlerische Anschauen hinüberleiten. Denn, was das Kind zur Nachahmung reizt und die Art, wie es nachahmt, lässt sich nur in dieser Art anschauen. - In der Periode des Zahnwechsels vollzieht sich ein völliger Umschwung im kindlichen Erleben. Es tritt der Trieb ein, das zu tun oder auch zu denken, was ein anderer Mensch, der von dem Kinde als Autorität empfunden wird, tut oder denkt, wenn er dieses Tun oder Denken als richtig bezeichnet. Vor diesem Lebensalter wird nachgeahmt, um das eigene Wesen zum Nachbild der Umgebung zu machen; mit dem Eintritt in dieses Alter wird nicht bloß nachgeahmt, sondern es wird das fremde Wesen mit einem gewissen Grade der Bewusstheit in das eigene Wesen hereingenommen. Doch bleibt der Nachahmungstrieb neben dem andern, der Autorität zu folgen, bis etwa zum neunten Lebensjahre noch bestehen. Geht man von den Äußerungen dieser zwei Haupttriebe für die beiden aufeinanderfolgenden Kindesalter aus, so fällt der Blick auf andere Offenbarungen der kindlichen Natur. Man lernt die lebendig-plastische Entwicklung der menschlichen Kindheit kennen.
Wer in diesem Felde seine Beobachtungen aus der Vorstellungsart heraus anstellt, die für Naturdinge, ja die auch für den Menschen als Naturwesen die richtige ist, dem entzieht sich, was das eigentlich Bedeutsame ist. Wer aber auf die für dieses Gebiet sachgemäße Beobachtungsart eingeht, der schärft sein Seelenauge für das Individuelle der Kindeswesenheit. Ihm wird das Kind nicht zum «einzelnen Fall», den er nach einem Allgemeinen beurteilt, sondern zum ganz individuellen Rätsel, das er zu lösen sucht.
Man wird einwenden, solches anschauendes Eingehen auf das einzelne Kind sei doch in einer Schulklasse mit einer größeren Schülerzahl nicht möglich. Ohne deshalb übergroßen Schülerzahlen in den Klassen das Wort reden zu wollen, muss doch gesagt werden, dass ein Lehrer mit einer Seelen-Erkenntnis, wie sie hier gemeint ist, leichter mit vielen Schülern zurechtkommen wird als der andere ohne wirkliche Seelen-Erkenntnis. Denn diese Seelen-Erkenntnis wird sich in dem Gebaren der ganzen Persönlichkeit des Lehrers offenbaren; sie wird jedem seiner Worte, allem seinem Tun das Gepräge geben; und die Kinder werden innerlich aktiv unter seiner Führung werden. Er wird nicht jeden einzelnen zur Aktivität zu zwingen haben, denn seine allgemeine Haltung wird auf das einzelne Kind wirken.
Aus der Erkenntnis der kindlichen Entwicklung ergeben sich sachgemäß Lehrplan und Lehrmethode. Durchschaut man, wie der Nachahmungstrieb und der Impuls, unter die Autorität sich zu stellen, beim Kinde in den ersten Volksschuljahren ineinanderwirken, so weiß man, wie man für diese Jahre zum Beispiel den Schreibunterricht zu gestalten hat. Baut man ihn auf die Intellektualität, so arbeitet man gegen die Kräfte, die sich durch den Nachahmungstrieb offenbaren; geht man von einer Art Zeichnen aus, das man allmählich in das Schreiben überführt, so entwickelt man, was sich zu entwickeln strebt. In dieser Art lässt sich der Lehrplan ganz aus der Natur der kindlichen Entwicklung heraus gewinnen. Und nur ein Lehrplan, der in dieser Art gewonnen ist, arbeitet in der Richtung der menschlichen Entwicklung. Er macht den Menschen stark; jeder andere verkümmert seine Kräfte. Und diese Verkümmerung macht ihre Wirkungen für das ganze Leben geltend.
Es ist nur durch eine Seelen-Erkenntnis der geschilderten Art möglich, einen Erziehungsgrundsatz anzuwenden wie denjenigen von der Notwendigkeit, die Individualität der kindlichen Natur zu beobachten.
Eine Pädagogik, die praktisch anwenden will, was theoretisch von vielen als gute Grundsätze verfochten wird, muss gebaut sein auf eine wahre Geisteswissenschaft. Sonst wird es nur durch die wenigen Pädagogen, die durch glückliche Naturanlagen instinktiv sich ihre Praxis erarbeiten, wirken können. Von einer wahren geisteswissenschaftlichen Menschen-Erkenntnis soll die pädagogische und didaktische Erziehungs- und Unterrichtspraxis der Waldorfschule befruchtet sein. Die Lehrer nach dieser Richtung hin anzuregen, stellte ich mir mit einem Kursus in geisteswissenschaftlicher Pädagogik und Didaktik zur Aufgabe, den ich für sie vor der Eröffnung der Schule abgehalten habe.
Damit ist - allerdings nur skizzenhaft - die pädagogische Aufgabe gekennzeichnet, für die ein erster Versuch zur Lösung mit dieser Schule gemacht worden ist. In der Waldorfschule hat Emil Molt zugleich eine Einrichtung geschaffen, die einer sozialen Forderung der Gegenwart entspricht. Sie ist zunächst die Volksschule für die Kinder der in der Waldorf-Astoria-Fabrik in Stuttgart Arbeitenden. Neben diesen Kindern sitzen auch diejenigen andrer Bevölkerungsklassen, so dass der Charakter der Einheits-Volksschule voll gewahrt ist. Das ist alles, was zunächst von einem einzelnen getan werden kann. Im umfassenden Sinne wird mit der Schule eine wichtige soziale Aufgabe für die Zukunft erst gelöst werden können, wenn die sozialen Gesamt-Einrichtungen alles Schulwesen so in sich eingliedern, dass dieses von dem Geiste durchdrungen sein wird, der in der Waldorfschule so weit zur Geltung gebracht wird, als es unter den gegenwärtigen Verhältnissen möglich ist.
Die obigen Darlegungen zeigen, dass alle pädagogische Kunst auf eine Seelen-Erkenntnis gebaut sein muss, die an die Persönlichkeit des Lehrers eng gebunden ist. Diese Persönlichkeit muss sich in ihrem pädagogischen Schaffen frei ausleben können. Das ist nur möglich, wenn die gesamte Verwaltung des Schulwesens autonom auf sich selbst gestellt ist. Wenn der ausübende Lehrer in bezug auf die Verwaltung nur wieder mit ausübenden Lehrern zu tun hat. Ein nicht ausübender Pädagoge ist in der Schulverwaltung ein Fremdkörper wie ein nicht künstlerisch Schaffender, dem obliegen würde, künstlerisch Schaffenden die Richtung vorzuzeichnen. Das Wesen der pädagogischen Kunst fordert, dass die Lehrerschaft sich teilt zwischen Erziehen und Unterrichten und der Verwaltung des Schulwesens. Dadurch wird in der Verwaltung voll walten der Gesamtgeist, der sich aus der geistigen Haltung aller einzelnen zu einer Unterrichts- und Erziehungsgemeinschaft vereinigten Lehrer gestaltet. Und es wird in dieser Gemeinschaft nur das Geltung haben, was aus der Seelen-Erkenntnis sich ergibt.
Eine solche Gemeinschaft ist nur möglich in dem dreigliedrigen sozialen Organismus, der ein freies Geistesleben neben einem demokratisch orientierten Staats- und einem selbständigen Wirtschaftsleben hat. (Über das Wesen dieser Dreigliederung vergleiche man die Artikel in den vorangehenden Nummern der «Sozialen Zukunft».) Ein Geistesleben, das seine Direktiven von der politischen Verwaltung oder von den Mächten des Wirtschaftslebens erhält, kann nicht eine Schule in seinem Schoße pflegen, deren Impulse von der Lehrerschaft selbst restlos ausgehen. Eine freie Schule wird aber Menschen in das Leben hineinstellen, die im Staate und in der Wirtschaft ihre volle Kraft entfalten können, weil diese in ihnen entwickelt wird.
Wer nicht der Meinung huldigt, dass die unpersönlichen Produktionsverhältnisse oder ähnliches die Menschen gestaltet, sondern aus der tatsächlichen Wirklichkeit erkennt, wie die Menschen die soziale Ordnung schaffen, der wird auch einsehen, welche Bedeutung eine Schule hat, die nicht auf die Partei- oder sonstigen Ansichten gebaut ist, sondern auf dasjenige, was der menschlichen Gemeinschaft durch die stets neu in sie eintretenden Generationen aus den Tiefen des Weltenwesens zugeführt wird. Dies aber zu erkennen und auszubilden ist nur einer Seelenanschauung möglich, wie sie hier versucht worden ist, zu charakterisieren. Von diesem Gesichtspunkt aus erscheint die tiefgehende soziale Bedeutung einer pädagogischen Praxis, die auf Geisteswissenschaft begründet ist.