Die Wehrmacht im Vernichtungskrieg - Darstellungen der NS-Kriegsverbrechen in aktuellen Schulbüchern des Landes NRW (Sek I) - Florian Beer - E-Book

Die Wehrmacht im Vernichtungskrieg - Darstellungen der NS-Kriegsverbrechen in aktuellen Schulbüchern des Landes NRW (Sek I) E-Book

Florian Beer

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Didaktik - Geschichte, Note: 1,7, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Sprache: Deutsch, Abstract: Mittels einer Analyse der in Nordrhein-Westfalen zugelassenen Geschichtsbücher für den 9. und 10. Jahrgang der Sekundarstufe I soll geprüft werden, ob aktuelle Schulbuchdarstellungen zu einer angemessenen Schilderung der Mitverantwortung der Wehrmacht für NS-Kriegsverbrechen gelangen. Besondere Relevanz gewinnt diese Frage nicht nur dadurch, dass Schulbüchern eine hohe Bedeutung für den Geschichtsunterricht zukommt. Darüber hinaus werden sie auch als das wesentliche Medium für die Formierung des Geschichtsbewusstseins angesehen. Aus diesem Grund spielen sie eine wichtige Rolle im öffentlichen Bildungsdiskurs und können gleichzeitig auch Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen haben. Dies soll Gegenstand des ersten Kapitels sein. Im zweiten Kapitel werden die Entstehungsbedingungen von Schulbüchern diskutiert. Es zeigt sich, dass neben der Fachwissenschaft vor allem der öffentliche Diskurs einen hohen Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung von Schulgeschichtsbüchern hat. Aus diesem Grunde werden sowohl der Stand der wissenschaftlichen Forschung zur Thematik der Wehrmachtsverbrechen als auch die Entwicklung des Bildes von der Wehrmacht im öffentlichen Diskurs dargestellt. Hieran schließt sich ein Überblick über die bisherige Forschung zu Darstellungen der Wehrmachtsverbrechen in Schulbüchern an. Ein drittes Kapitel zeigt die Schwierigkeiten auf, die mit einer Schulbuchanalyse verbunden sein können und legt das dieser Studie zu Grunde liegende methodische Vorgehen offen. Im anschließenden Teil werden die aktuell in Nordrhein-Westfalen zugelassenen Schulgeschichtsbücher, die Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg zum Thema haben, einer detaillierten Analyse unterzogen. Abschließend werden die Untersuchungsergebnisse der Analysen zusammengefasst dargestellt und ein Fazit gezogen.

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Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung.
1 Zur Bedeutung von Schulbüchern
2.1 Zum Forschungsstand
2.2 Zum öffentlichen Diskurs
3 Zur Untersuchungsmethode
3.1 Zur Notwendigkeit des Einbezugs fachdidaktischer Überlegungen
in die Schulbuchanalyse.
3.2 Entwicklung eines fachdidaktischen Analyserasters - Allgemeine
fachdidaktische Anforderungen an Schulbuchdarstellungen.
Anforderungen im Hinblick auf die Darstellung von Wehrmacht und NS-
3.4 Entwicklung eines fachwissenschaftlichen Analyserasters
4.1 Durchblick - Hauptschule.
4.2 Entdecken und Verstehen - Hauptschule
4.3 Entdecken und Verstehen - Realschule.
4.4 Forum Geschichte - Gymnasium
4.5 Gemeinschaften - Förderschule
4.6 Geschichte konkret - Realschule.
4.7 Geschichte Real - Realschule.
4.8 Geschichte und Gegenwart - Realschule
4.9 Geschichte - Geschehen - Gymnasium
4.10 Stark in Gesellschaftslehre - Förderschule
4.11 Zeit für Geschichte - Gymnasium
4.12 Zeiten - Förderschule
4.13 Zeiten und Menschen - Gymnasium
4.14 Zeitreise 3 - Gesamtschule/Realschule
5 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und Ausblick

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Anmerkungen

Der vorliegende Text folgt der neuen Rechtschreibung. Aus Gründen der Lesbarkeit wurden die Zitate der verwendeten Quellen und der Sekundärlite- ratur ebenfalls an die Regeln der neuen Rechtschreibung angepasst.

Page 4

0 Einleitung

"Misstraut gelegentlich euren Schulbüchern!

Sie sind nicht auf dem Berg Sinai entstanden, meistens nicht einmal auf verständige

Über 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges kann von einer „Historisierung“ des Nationalsozialismus keine Rede sein. Ganz im Gegenteil, die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Diktatur stellen im Vergleich zu anderen Epochen der deutschen Geschichte eine Vergangenheit dar, die bis heute „eine Gegenwart in ihrem Bann hält“2.

Nach wie vor herrscht ein hohes öffentliches Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Fernsehdokumentationen zur NS-Zeit erzielen hohe Einschaltquoten3, Zeitschriften und Illustrierte machen regelmäßig mit Hitler-Porträts auf4, Spielfilme sorgen für Gesprächsstoff, noch

1Kästner, Erich: Ansprache zu Schulbeginn, in: Ders.: Gesammelte Schriften für Erwachsene, Bd. 7, München 1969, S. 180-184, hier S. 182f.

2Meier, Christian: Vierzig Jahre nach Auschwitz. Deutsche Geschichtserinnerung heute, 2. erw. Auflage, München 1990, S. 31.

3Z. B. die ZDF-Serie: „Die Wehrmacht - Eine Bilanz“, vgl. URL: http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/5/0,1872,7121797,00.html, 26.04.08.

4So z. B. Der Stern, 43/2007, Der SPIEGEL 3/2008.

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bevor sie in die Kinos kommen5. Ebenso kommt der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus eine hohe Bedeutung für das politisch-moralische Selbstverständnis der Republik zu.6Hier sei beispielhaft auf die aktuelle Debatte um das Zentrum gegen Vertreibungen hingewiesen7.

Auf der anderen Seite werden immer wieder Forderungen laut, es sei an der Zeit einen „Schlussstrich“ unter die vermeintliche „Dauerrepräsentation unserer Schande“8zu ziehen. Man wolle endlich wieder stolz sein dürfen auf sein Land; es sei an der Zeit von der durch die Erinnerung an die nationalsozialistische Diktatur ausgehenden negativen Identitätsstiftung9Abschied zu nehmen und zu einem unbefangeneren Verhältnis zur eigenen Nation und Geschichte überzugehen.

Neben der Tatsache, dass es moralisch höchst fragwürdig erscheint, die Erinnerung an den Nationalsozialismus zu historisieren - dies würde schließlich im Umkehrschluss bedeuten, auch die Mahnung „Nie wieder Auschwitz“ zu historisieren - steht einer solchen Forderung auch die Tatsache entgegen, dass es noch immer „Blindstellen“ in der Auseinandersetzung mit dem NS gibt: Themen also, die bislang keinen Eingang in den öffentlichen Diskurs gefunden haben und die daher schlechterdings nicht historisiert werden können - ein aktuelles Beispiel ist die durch die Ausstellung „Zug

5Z. B. der geplante Spielfilm „Valkyrie" über das Attentat vom 20. Juli 1944 mit Tom Cruise in der Hauptrolle. Vgl. URL: http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/Tom-Cruise;art1117,2328690, 30.4.08.

6„So gibt es schlicht kein anderes Problem bundesdeutscher Politik, das in dem halben Jahrhundert ihrer Existenz in derartiger Beständigkeit dazu Anlaß gegeben hätte, ihr poli-tisch-moralisches Selbstverständnis fundamental zum Streitgegenstand zu machen.“ Dubiel, Helmut: Niemand ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, München 1999, S. 14.

7Vgl. Die Debatte um das Zentrum gegen Vertreibungen im Spiegel der Presse 2007 (zusammengestellt von Zeitgeschichte-online, Stand: 6. Dezember 2007), URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/portals/_rainbow/documents/pdf/presse_vertreibung_2007.pdf, 30.04.08.

8Walser, Martin: Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede. Dankesrede von Martin Walser zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche am 11.Oktober 1998, zitiert nach: URL:

http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/WegeInDieGegenwart_redeWalserZumFriedens preis/, 30.04.08.

9Vgl. Zifonun, Dariuš: Gedenken und Identität. Der deutsche Erinnerungsdiskurs, Frankfurt a. M./New York 2004, S. 99ff.

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der Erinnerung“ ausgelöste Diskussion um die Beteiligung der Deutschen Reichsbahn an der Vernichtung der europäischen Juden und den Umgang der Deutschen Bahn AG mit dieser Verantwortung.10

Als eine dieser „Blindstellen“ kann der Umgang mit der Mitverantwortung der Wehrmacht für NS-Kriegsverbrechen betrachtet werden. Weite Teile der Öffentlichkeit hielten bis Ende der 1990er Jahre an einem Bild der Wehrmacht fest, dass diese als unpolitische Organisation erscheinen ließ, die in keinem Zusammenhang mit NS-Verbrechen gestanden habe. Deutlich wurde dies in den Auseinandersetzungen über die erste so genannte Wehrmachtsausstellung - erst durch diese wurde auch im öffentlichen Diskurs eine Debatte über die Rolle der Wehrmacht in der NS-Zeit angestoßen.

Dieses Beispiel für einen im diskursiven Prozess veränderten öffentlichen Umgang mit zeitgeschichtlichen Themen bildet die Grundlage für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit: Wenn es, wie zu zeigen sein wird11, eine hohe Übereinstimmung zwischen herrschenden Mehrheitsmeinungen des öffentlichen Diskurses und den Inhalten von Schulbuchdarstellungen gibt, erscheint es nicht erstaunlich, wenn auch Schulbücher über lange Zeit den Mythos von der sauberen Wehrmacht perpetuierten.

Hieraus resultiert die Annahme, dass die durch die Wehrmachtsausstellung angestoßene Debatte Auswirkungen auf die Inhalte von Geschichtsschulbüchern hatte. Mittels einer Analyse der in Nordrhein-Westfalen zugelassenen Geschichtsbücher für den 9. und 10. Jahrgang der Sekundarstufe I soll geprüft werden, ob aktuelle Schulbuchdarstellungen zu einer angemessenen Schilderung der Mitverantwortung der Wehrmacht für NS-Kriegsverbrechen gelangen.

10Vgl. die Homepage der Ausstellung: URL: http://www.zug-der-erinnerung.eu, 30.04.08. Vgl. auch Schuler, Katharina: Sonderzüge in den Tod, in: DIE ZEIT, 24.1.2008, URL: http://www.zeit.de/online/2008/04/bahn−holocaust−ausstellung, 30.04.08.

11Vgl. Kapitel 2.2.

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Besondere Relevanz gewinnt diese Frage nicht nur dadurch, dass Schulbüchern eine hohe Bedeutung für den Geschichtsunterricht zukommt. Darüber hinaus werden sie auch als das wesentliche Medium für die Formierung des Geschichtsbewusstseins angesehen. Aus diesem Grund spielen sie eine wichtige Rolle im öffentlichen Bildungsdiskurs und können gleichzeitig auch Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen haben. Dies soll Gegenstand des ersten Kapitels sein.

Im zweiten Kapitel werden die Entstehungsbedingungen von Schulbüchern diskutiert. Es zeigt sich, dass neben der Fachwissenschaft vor allem der öffentliche Diskurs einen hohen Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung von Schulgeschichtsbüchern hat. Aus diesem Grunde werden sowohl der Stand der wissenschaftlichen Forschung zur Thematik der Wehrmachtsverbrechen als auch die Entwicklung des Bildes von der Wehrmacht im öffentlichen Diskurs dargestellt. Hieran schließt sich ein Überblick über die bisherige Forschung zu Darstellungen der Wehrmachtsverbrechen in Schulbüchern an.

Ein drittes Kapitel zeigt die Schwierigkeiten auf, die mit einer Schulbuchanalyse verbunden sein können und legt das dieser Studie zu Grunde liegende methodische Vorgehen offen.

Im anschließenden Teil werden die aktuell in Nordrhein-Westfalen zugelassenen Schulgeschichtsbücher, die Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg zum Thema haben, einer detaillierten Analyse unterzogen.

Abschließend werden die Untersuchungsergebnisse der Analysen zusammengefasst dargestellt und ein Fazit gezogen.

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1 Zur Bedeutung von Schulbüchern

1.1 Zur Bedeutung von Schulgeschichtsbüchern für die Unterrichtspraxis

In der Fachwissenschaft herrscht nahezu Einigkeit darüber, dass Schulbücher als das wichtigste Medium des Geschichtsunterrichts zu gelten haben.12Zwar liegen hierzu bislang keine umfassenden empirischen Forschungsergebnisse vor13; die wenigen bisher durchgeführten Untersuchungen zum Unterricht sowie Lehrerbefragungen weisen jedoch sämtlich auf die hohe Bedeutung des Schulbuches für die Unterrichtspraxis hin.14

Dass dies wenig erstaunlich ist, wird deutlich, wenn man sich die strukturierende Funktion vergegenwärtigt, die Schulbücher für den Unterricht besitzen. So folgen Schulbücher nicht nur den Lehrplanvorgaben und bieten auf diese Weise „ein gewisses Maß von Beamtensicherheit“15, sondern orientieren sich in ihrem Aufbau auch an dem „klassische[n] dreistufige[n] Verlaufsschema des Unterrichts“ von „Einstieg - Erarbeitung (zweigeteilt in Darstellungs- und Arbeitsteil) - Zusammenfassung“16. Insofern müssten gewichtige Gründe vorliegen, Lehrkräfte zum Abweichen von Schulbuchin-

12Vgl.hierzu: Fröhlich, Klaus: Schulbucharbeit, in: Bergmann, Klaus, Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 1997, S. 422-430, hier S. 422. Im Folgenden zitiert als: Fröhlich, Schulbucharbeit; Rohlfes, Joachim: Geschichte und ihre Didaktik, 3. erweiterte Aufl., Göttingen 2005, S. 310. Im Folgenden zitiert als: Rohlfes, Geschichte; Rüsen, Jörn: Historisches Lernen. Grundlagen und Paradigmen. Köln, Weimar, Wien 1994, S. 156. Im Folgenden zitiert als: Rüsen, Historisches Lernen; Handro, Saskia/Schönemann, Bernd: Einleitung zu Dies. (Hg.): Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung. Theorie und Empirie. Berlin u. a. 2006, S. 4. Im Folgenden zitiert als: Handro/Schönemann; Sauer, Michael: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, 4. Aufl., Seelze-Velber 2005, S. 217. Im Folgenden zitiert als: Sauer, Geschichte.

13Vgl. Rüsen: Historisches Lernen, S. 158 und aktuell: Handro/Schönemann, S. 5.

14Borries, Bodo von: Nationalsozialismus in Schulbüchern und Schülerköpfen. Quantitative und qualitative Annäherungen an ein deutsches Trauma-Thema, in: Bernhardt, Markus u. a. (Hg.): Bilder - Wahrnehmungen - Konstruktionen. Reflexionen über Geschichte und historisches Lernen, Schwalbach/Ts. 2006, S. 135-151. Hier S. 135; Bergmann, Klaus: Über Geschichtsdidaktik und Geschichtsbücher, in: Ders. (Hg.): Geschichtsdidaktik. Beiträge zu einer Theorie historischen Lernens, Schwalbach/Ts. 1998, S. 183-201, hier S. 190. Im Folgenden zitiert als: Bergmann, Über Geschichtsdidaktik; Benz, Wigbert: Der 22. Juni 1941 und seine Vorgeschichte im Geschichtsunterricht der Bundesrepublik Deutschland, in: Ueberschär, Gerd R./Bezymenskij, Lev A (Hg.): Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941, Darmstadt 1998, S. 70-74, hier S. 71.

15Fröhlich, Schulbucharbeit, S. 423.

16Sauer, Geschichte, S. 220.

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halten zu veranlassen - zumal dies einen Mehraufwand erfordert, den Lehrende nicht nur aus Zeitmangel oftmals nicht aufbringen können.17

Hierin, sowie in der in den letzten Jahren erfolgten Umwandlung der Schulbücher zu „multifunktionalen Medienpaketen“18liegen auch die Gründe, weshalb die immer wieder vorhergesagte „Entthronung“19des Schulbuches durch die neuen Medien bislang nicht eingetroffen ist. Daher lässt sich mit Michael Sauer annehmen: „Das Schulbuch ist das Leitmedium des Geschichtsunterrichts und wird es wohl auch bleiben.“20

1.2 Zur Bedeutung von Schulgeschichtsbüchern für das Geschichtsbewusstsein der SchülerInnen

Von der Bedeutung, die Schulbücher für den Geschichtsunterricht besitzen, ist immer wieder auf ihre Bedeutung für die Formierung des Geschichtsbewusstseins der nachwachsenden Generation geschlossen worden. So hat Wolfgang Jacobmeyer argumentiert, dass die „Inhalte von Schulbüchern in besonders bildungsfähigem Alter und unter qualifizierter Kontrolle aufgenommen“21würden und „sogar geprüft [werde], ob das Wissen tatsächlich erworben wurde“22und gefolgert, dass „keine einzige der Rezeptionsformen von Geschichte in unseren Gesellschaften an Qualität und Quantität den Geschichtsunterricht und sein Hauptmedium, das Schulgeschichtsbuch erreicht“23. In der Sicht, das „Massenmedium Schulbuch“ […] sei „an Prägewirkung den ungleich flüchtigeren Massenmedien von Presse, Rundfunk

17So weist Renate Teepe etwa auf die enorme Bedeutung des Schulbuches für die Unter-richtsvorbereitung fachfremd unterrichtender LehrerInnen hin. Teepe, Renate: Umgang mit dem Schulbuch, in: Mayer, Ulrich u. a. (Hg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 2004, S. 255-268, hier S. 256. Vgl. auch Fröhlich, Schulbucharbeit, S. 422. Im Folgenden zitiert als: Teepe.

18Fröhlich, Schulbucharbeit, S. 422. Vgl. auch Handro/Schönemann, S. 4, die die „unterrichtspraktische Funktion des Mediums“ für seine anhaltende Dominanz gegenüber den neuen Medien betonen.

19Rohlfes, Joachim: Schulgeschichtsbücher, in: GWU 45 (1994), S. 460-465, hier S. 460. Im Folgenden zitiert als: Rohlfes, Schulgeschichtsbücher.

20Sauer, Geschichte, S. 217.

21Jacobmeyer, Wolfgang: Das Schulgeschichtsbuch. Gedächtnis der Gesellschaft oder Autobiographie der Nation? In: GPD 26 (1998), S. 26-35, hier S. 27. Im Folgenden zitiert als: Jacobmeyer, Schulgeschichtsbuch.

22Ebd.

23Ebd.

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und Fernsehen deutlich überlegen“24wird Jacobmeyer unter anderem gestützt von Franz Pöggeler, der argumentiert, dass Schulbücher „für einen großen Teil der Bevölkerung fast die einzigen Bücher sind, mit denen sie sich in ihrem Leben beschäftigen.“25

Auch Saskia Handro und Bernd Schönemann sprechen dem Schulbuch eine wichtige „geschichtskulturelle Funktion“26zu. Ihm komme „fraglos […] eine entscheidende Steuerungsfunktion bei der Formierung des Geschichtsbewusstseins der nachwachsenden Generation“27zu. Handro und Schönemann bemerken jedoch ebenfalls, dass diese Aussage aufgrund der wenigen Ergebnisse der Wirkungs- und Rezeptionsforschung zu relativieren sei. Tatsächlich liegen bislang keine fundierten Untersuchungen zur Rezeption der Schulbücher durch ihre Adressaten vor28, während sich zugleich die Anzeichen dafür mehren, dass Schulbücher „über die Köpfe der Durchschnittsschüler hinweggehen“29.

Zusätzlich muss auf eine Besonderheit hingewiesen werden, die sich aus dem der Untersuchung zugrundeliegenden Thema ergibt. Während viele geschichtliche Themen in den audiovisuellen Medien nur marginal behandelt werden, gilt für den Nationalsozialismus das genaue Gegenteil: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht im Fernsehen oder in den Printmedien von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg die Rede ist. So mag es vielleicht stimmen, dass der Geschichtsunterricht auf die Ausprägung der Vorstellun-

24Ebd.

25Pöggeler, Franz: Zur Verbindlichkeit von Schulbüchern, in: Matthes, Eva/Heinze, Carsten (Hg.): Das Schulbuch zwischen Lehrplan und Unterrichtspraxis, Bad Heilbrunn 2005, S. 21-40, hier S. 24f. Im Folgenden zitiert als: Pöggeler, Schulbuch.

26Handro/Schönemann, S. 5.

27Ebd.

28Scholle, Dietrich: Schulbuchanalyse, in: Bergmann, Klaus u.a. (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 1997. S. 369-375, hier S. 369f. Im Folgenden zitiert als: Scholle, Schulbuchanalyse. Vgl. auch: Höhne, Thomas: Schulbuchwissen. Umrisse einer Wissens- und Medientheorie des Schulbuchs. Frankfurt a. M. 2003, S. 30f.

29Rohlfes, Schulgeschichtsbücher, S. 464. Zum Problem der mangelnden Verständlichkeit vgl. auch: Rüsen, Historisches Lernen, S. 161 sowie: Borries, Bodo von u. a.: Schulbuchverständnis, Richtlinienbenutzung und Reflexionsprozesse im Geschichtsunterricht: eine qualitativ-quantitative Schüler- und Lehrerbefragung im deutschsprachigen Bildungswesen 2002, Neuried 2005, S. 16.

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gen von der griechischen Antike oder der französischen Revolution eine ungleich höhere Wirkung hat, als die Massenmedien. In Bezug auf den Nationalsozialismus muss dies jedoch in Frage gestellt werden.30Tatsächlich sind immer wieder Zweifel daran aufgekommen, ob der Geschichtsunterricht vorherrschenden „Alltagstheorien“ über den Nationalsozialismus zumindest immerhin entgegenwirken kann.31

Diese Argumentation spricht jedoch nicht gegen die Notwendigkeit einer Schulbuchanalyse. Ganz im Gegenteil, kann sie doch möglicherweise dazu beitragen, die oben angesprochenen Defizite des Geschichtsunterrichts auszugleichen, indem sie Mängel in der Darstellung aufdeckt. Daneben lohnt eine Schulbuchanalyse auch deshalb, weil das Schulbuch ein nicht unbedeutendes „Politikum“32darstellt. Dieser Aspekt soll im Folgenden kurz erörtert werden.

1.3 Zur Bedeutung von Schulbüchern für den öffentlichen Bildungsdiskurs und die internationalen Beziehungen

Obwohl berechtigte Zweifel an der Bedeutung von Schulgeschichtsbüchern für die Ausbildung des Geschichtsbewusstseins - insbesondere im Hinblick auf Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg - angebracht sind, wird im öffentlichen Diskurs gleichwohl eine hohe Bedeutung angenommen. Geschichtsbüchern wird nach Frank-Olaf Radtke, Wolfgang Meseth und Matthias Proske eine „zentrale Funktion bei der Vermittlung von historischem Wissen und der moralisch-politischen Sozialisation nachwachsender Gene-

30Vgl.Bösch, Frank: Das „Dritte Reich“ ferngesehen. Geschichtsvermittlung in der historischen Dokumentation, in: GWU 50 (1999), S. 204-220.

31Zülsdorf-Kersting, Maik: Jugendliche und das Thema `Holocaust´ - Empirische Befunde und Konsequenzen für die Schulbuchkonstruktion, in: Handro, Saskia/Schönemann, Bernd (Hg.): Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung, Berlin 2006, S. 105-119, hier S. 116f.

32Stein, Gerd: Schulbücher und der Umgang mit ihnen - sozialwissenschaftlich betrachtet, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B39/87, 26.9.1987, S. 29-38, hier S. 29. Im Folgenden zitiert als: Stein, Schulbücher 1987.

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rationen zugedacht“33. Zudem gälten sie als „Instrument zur Förderung gesellschaftlicher Integration“34.

Darüber hinaus ist nach Saskia Handro und Bernd Schönemann kaum strittig, dass das „Schulgeschichtsbuch als Medium der Geschichtskultur die kollektiven Tradierungsbedürfnisse einer Nation [spiegelt]“35. Wolfgang Jacobmeyer geht sogar soweit, das Geschichtsschulbuch in den Rang einer „Autobiographie der Nation“36zu erheben. Daher verwundert es nicht, wenn Schulbuchinhalte regelmäßig zum Gegenstand bildungspolitischer Ausei-nandersetzungen werden, die sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene geführt werden.37Beispielhaft sei hier zum einen auf die zuletzt geführte Debatte zum Schulbuchtest der Stiftung Warentest verwiesen.38Zum anderen sei an die Arbeit der internationalen Schulbuchkommissionen erinnert, der teilweise ein hohes Maß an Bedeutung für die Entwicklung der internationalen Beziehungen zugesprochen wird.39

33Meseth, Wolfgang/Proske, Matthias/Radtke, Frank-Olaf in der gemeinsam verfassten Einleitung zu: Dies. (Hg.): Schule und Nationalsozialismus. Anspruch und Grenzen des Geschichtsunterrichts, Frankfurt a. M./New York 2004, S. 11.

34Ebd.

35Handro/Schönemann, S. 5.

36Jacobmeyer, Schulgeschichtsbuch, S. 30.

37Vgl. Pöggeler, Franz: Mit Schulbüchern Politik machen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B39/87, 26.9.1987, S. 3-16. Vgl. auch Stein, Gerd: Schulbücher 1987, S. 29-38 sowie die Beträge in: Pöggeler, Franz (Hg.): Politik im Schulbuch, Bonn 1985.

38Stiftung Warentest: Nicht ohne Tadel, in: test 10/2007, S. 74-80.

39So äußerte sich etwa derPräsident der Deutschen UNESCO-Kommission, Walter Hirche anlässlich einer Ausstellungseröffnung zum35jährigen Jubiläum der deutsch-polnischen Schulbuchkommission am 19. Februar 2007 in Berlin folgendermaßen: „Die ersten Empfehlungen der Kommission für Schulbücher der Geschichte und Geographie erschienen bereits 1976. Sie gaben erste Impulse für einen konstruktiven Dialog zwischen Polen und Deutschland, sowie innerhalb der Länder.“ Zitiert nach: URL: http://www.unesco.de/1079.html?&L=0, 13.04.08. Ähnlich sah dies Marek Prawda, Polens Botschafter in Berlin: „Die Schulbuchkommission steht für eine Phase, wo wirklich ein Dialog zwischen Deutschland und Polen stattfinden konnte. Bis dahin bestand der Dialog aus zwei Monologen." Zitiert nach: URL: http://polskaweb.eu/news/erfolgsgeschichte-deutsch-polnische-schulbuchkommission.html, 13.04.08.

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2 Genese von Schulbuchinhalten: Zwischen Fachwissenschaft und öffentlichem Diskurs40

Aufgrund der Bedeutung, die Schulbüchern in der Bildungspolitik und im öffentlichen Diskurs zugewiesen wird, lässt sich bereits vermuten, dass neben der Fachwissenschaft der öffentliche Diskurs einen hohen Einfluss auf die Genese von Schulgeschichtsbüchern hat.

Bisher vorliegende Untersuchungen zu den Entstehungsbedingungen von Schulbüchern bestätigen diese Vermutung. So hat etwa Wolfgang Jacobmeyer argumentiert, der Einfluss von Politik und Öffentlichkeit auf Schulbuchdarstellungen sei deutlich höher einzuschätzen als der der Fachwissenschaft. Der Grund hierfür sei darin zu sehen, dass Schulbücher an „staatliche Vorgaben (Richtlinien, Rahmenpläne, Zulassung)“ gebunden seien, die ihrerseits eng verzahnt seien mit „dominierenden Wertvorstellungen und Normen der Erwachsenengeneration“41. Überliefert werde in den Büchern „eben nicht schlechterdings alles […], was man über Geschichte wissen kann, sondern nur jener schmale Ausschnitt, den die jeweilige Erwachsenengeneration für wichtig hält“42. Daher sei die „Konformität der Lehrbücher mit Gegenwartsmentalitäten […] ihr oberster Wert.“43

Gestützt wird diese Vermutung unter anderem von Dieter Gebhardt, der in seiner Untersuchung zu „Militär und Krieg im Geschichtsunterricht“ zu dem Ergebnis kommt, dass von einem „Zusammenhang, besser `Zusammenklang´ von Zeitgeist und Schulgeschichtsgeist“44gesprochen werden müsse und feststellt, „dass sich der Geschichtsunterricht eher an gesellschaftlichen