2,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €
Die Bilder, die wir in uns sehen, sind oft die Wahrheit. Und die Bilder, die da draußen um uns herum sind, sind oft die Lügen derer, die uns zerstören wollen. Franks Seele ist zerstört. Von den Eltern verlassen, abgeschoben in Heime und Einrichtungen, spricht er scheinbar nicht, hat keine Kontakte und ist sozial komplett zurückgezogen. Um im Alltag zu überstehen, baut er immer mehr eine Mauer um sich und driftet dabei mehr und mehr in surreale, psychedelische Traumwelten ab. Frank springt durch die Zeit und wird von schlimmen Erinnerungen heimgesucht. Seine einzige Begleiterin seit der Kindheit ist seine Freundin Lillith. Aber ausgerechnet sie scheint sich in dem Moment, als er sie am Meisten braucht, gegen ihn zu stellen... Elias J. Connor erzählt in diesem Sozialdrama eine von psychedelischer Musik inspirierte, bildgewaltige Geschichte über ein Trauma, das wir vielleicht nicht verstehen können.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Inhaltsverzeichnis
Widmung
Kapitel 1 - Wo ist der Weihnachtsmann?
Kapitel 2 - Zerstörte Seele
Kapitel 3 - Ich schreibe es einfach auf
Kapitel 4 - Vater, was hast du mir hinterlassen?
Kapitel 5 - Die, die Angst haben
Kapitel 6 - Einer gegen den Rest der Welt
Kapitel 7 - Mit unserem Rücken zur Wand
Kapitel 8 - Die kleine, weiße Katze
Kapitel 9 - Warum rennst du weg?
Kapitel 10 - Erinnerungen an Lillith
Kapitel 11 - Tatsachen
Kapitel 12 - Verzerrte Bilder
Kapitel 13 - Ich kann nichts hören, nichts sehen, nichts fühlen
Kapitel 14 - Renne, renne
Kapitel 15 - Die, die dich wirklich liebt
Andere Bücher von Elias J. Connor (Fantasy/Drama)
Über den Autor Elias J. Connor
Impressum
Für Jana.
Danke, dass du an meiner Seite bist.
Deine Liebe ist das größte Geschenk.
Es ist dunkel. Ich habe extra nicht das Licht angelassen. Niemand soll mich finden. Ich sitze hier bei Kerzenschein – eigentlich eine romantische Stimmung – und ich bin alleine. Nur ich und die Kerze.
Das Licht flackert vor sich hin, während ich in der Ferne das Geräusch der Flugzeuge und der Bomben höre.
Sie werden mich nicht finden. Nein, das werden sie nicht.
Es ist ein dämmeriger Sonntagmorgen im Jahr 1944. Ich habe keine Ahnung, in welchem Haus oder Keller ich bin. Der Kommandant hat den Befehl erhalten, standzuhalten. Eigentlich wollte er seine Männer zurückziehen. Mich eingeschlossen. Aber unsere Truppe sollte weiter an der Front kämpfen.
Sie haben Flugzeuge. Sie werfen mit Bomben. Luftangriffe. Und unsere Truppe ist mittendrin. Bodeneinsatz zur Verstärkung der Fliegerstaffel.
Was muss noch alles passieren? Mein Gott, dieser verdammte Krieg ist schon so verrückt, so krank. Was muss noch alles geschehen, damit das ein Ende hat?
Ein paar Hudert einfache Leben halten die Panzer eine Weile in Schach.
„Frank, bewege deinen fetten Arsch hier raus“, höre ich den Kommandant noch rufen.
Ich wollte kämpfen. Es sind meine Kameraden. Wir haben den Panzer beschossen, aber er feuert unentwegt. Wir verteilen uns in alle Winde.
„Rückzug“, höre ich den Kommandanten rufen.
Wir wissen, dass er den Befehl hat, standzuhalten, mitten im Feuergefecht, das eigentlich ausweglos scheint.
Frank macht, was man ihm sagt. Frank rennt los, verschanzt sich in einem Haus. Frank hat keine Angst.
Hier sitze ich, das Geräusch der Flieger über mir. Das Geräusch von explodierenden Bomben neben mir.
Vielleicht trifft mich ja eine. Es ist alles so sinnlos, da wäre es egal. Einer mehr, einer weniger. Es sind nur ein paar Hundert ganz einfache Leben, die diesen Panzern standhalten.
Ich spüre, dass meine Gedanken kreisen. Ich bekomme sie nicht zu fassen. Aber ich merke, dass ich plötzlich sieben oder acht Jahre alt bin. Genauso weggelaufen wie jetzt.
Ich sitze in einem Zimmer. Es ist karg eingerichtet. Es hat ein einfaches braunes Holzbett, einen Kleiderschrank und eine Kommode. Nichts weiter.
Draußen schneit es. Es muss Weihnachten sein. Weihnachten. Und ich sitze hier alleine, ohne Eltern, ohne Geschwister, ohne Familie.
„Frank“, höre ich die Stimme einer Frau. Sie ist offenbar eine Pflegerin oder eine Aufseherin. Sie kommt nicht einmal ins Zimmer, bleibt vor der Türe stehen.
Wo bin ich?
Ich versuche, mich zu erinnern. Ich kann die Bilder nicht richtig fassen. Ich weiß nicht, ob ich wütend, traurig oder gelangweilt sein soll. Ich fühle einfach gar nichts.
Ich fühle gar nichts? Stimmt das?
„Du wirst dich jetzt schlafen legen“, sagt die strenge Frau.
Dann schaltet sie das Licht im Zimmer aus und verschließt die Türe.
Ich sehe nur noch den matten Schein der Straßenlaterne vor dem Haus, als ich aus dem Fenster gucke.
Weihnachten.
Mir hat niemand etwas geschenkt. Mich hat niemand beachtet. Bestraft haben sie mich, weil ich gefragt habe, wo der Weihnachtsmann bleibt. In Einzelhaft haben sie mich gesteckt, in einem kleinen Zimmer auf dem Dachboden. Ich bin unartig. Ich bin weggelaufen. Ich bin nicht gut. Das ist es, was man hier lernt, in diesem Internat, in dieser Schule.
„Ihr seid nichts. Ihr seid niemand, und niemand will euch.“
Ja, genau so muss es sein.
Ich sehe den Schnee am Fenster vorbei rieseln. Jede einzelne Flocke glänzt im Lichtschein der Straßenlaterne. Die Schneeflocken machen lustige Bewegungen. Für einen Moment ertappe ich mich dabei, dass ich schmunzeln muss. Aber nur kurz.
Geflohen. Gedemütigt. Verloren.
Verloren haben wir hier offenbar jetzt auch.
Bin ich geflohen? Bin ich ein Deserteur? Ich ziehe an meiner Zigarette, über mir noch immer die Geräusche von Fliegern und Bomben. Noch haben sie mich nicht erwischt, noch nicht.
Die Türe wird aufgebrochen. Eine Schar von Kindern bricht hindurch. Wer sind sie? Werden sie uns retten? Werden sie mich retten?
Aber sie sehen mich nicht.
Ich bleibe still in meinem Sessel sitzen und blicke aus dem Fenster. Es ist noch immer Weihnachten, und es schneit. Ich bin kein Kind mehr. Ich bin ein erwachsener Mann.
Es sind keine Kinder, die durch die Türe gebrochen sind. Es sind erwachsene Männer. Soldaten. Sie haben Gewehre in der Hand. Sie feuern auf alles, was ihnen zwischen die Finger kommt.
Ich bewege mich nicht. Jeder Schuss, jeder Schrei geht an mir vorbei. Mich sieht keiner, mich nimmt niemand wahr. Ich muss keine Angst haben. Ich bin unsichtbar. Ich bin nicht da. Genau.
Sie nehmen mich fest. Sie nehmen uns alle fest. Ich spüre die Handschellen an meinen Armen. Sie führen mich ab. Gleich am nächsten Tag werde ich dem Haftrichter vorgeführt.
„Deserteur.“
Ich höre seine Stimme rufen. Er sieht mich hämisch an.
Aber das ist meine Show, weißt du? Das ist meine Show. Du hast vielleicht etwas anderes erwartet. Aber wenn du durch meine Augen sehen willst, musst du erst den Weg durch meine Maskerade finden.
„Frank Mulgrew, können Sie sich zu den Vorwürfen äußern?“
Frank schreit herum. Ich kann ihn nicht kontrollieren. Ich weiß nicht, was er sagt. Frank ist davon gelaufen. Ich bin davon gelaufen. Die Explosionen waren zu stark.
Der Schnee zaubert schöne Eisblumen an das Fenster in meinem kargen Zimmer. Es kommt mir vor, als dass ich ihn stundenlang betrachte.
Der kleine Junge fühlt nichts. Frank sitzt einfach da und sieht aus dem Fenster raus. Seine dunklen Haare verdecken sein verschwitztes Gesicht.
„Ist dir warm, Frank?“, höre ich plötzlich eine Stimme, die mich aus meinen Gedanken reißt. „Mach' doch das Fenster ein bisschen auf.“
Ich habe das Mädchen noch niemals zuvor gesehen. Sie muss ungefähr in meinem Alter sein und ebenso hier im Internat wohnen, genau weiß ich es nicht. Als ich ihr in die Augen blicke, bekomme ich zugleich das Gefühl, dass sie mir bekannt vorkommt. Aber ich habe sie noch nie gesehen. Jedenfalls nicht bewusst.
Ich möchte ihr etwas sagen. Ich möchte ihr sagen, dass sie mich alleine lassen soll. Ich bin gerne alleine, mir macht das nichts. Mein ganzes bisheriges Leben war ich schon alleine, und das soll sich nicht ändern. Warum ist das Mädchen hier? Was will sie?
Sie bewegt ihren Mund, aber ich habe das Gefühl, ich kann sie nicht hören. Ich habe keine Stimme. Ich bewege meine Lippen, aber sie scheint mich nicht zu verstehen. Ich bin stumm. Stumm und taub.
„Frank, ist alles okay?“, fragt das Mädchen.
„Wer bist du?“, rutscht es mir daraufhin heraus. „Wie kommst du in mein Zimmer?“
Das Mädchen sieht mich lächelnd an.
„Du solltest an Weihnachten nicht alleine sein“, antwortet sie.
Wieder will ich sie fragen, wer sie ist. Aber ich fühle mich nicht mächtig, etwas zu sagen.
„Sollen wir ein bisschen raus gehen? Die Türe ist offen, sie haben es nicht gemerkt“, höre ich ihre zarte Stimme zu mir sprechen.
Mein Blick wandert zur Türe. Tatsächlich – sie steht offen. Wer hat sie geöffnet? Ich war doch hier eingesperrt. Oder ich habe mich hierhin geflüchtet, das weiß ich nicht.
War es das fremde Mädchen? Hat sie die Türe geöffnet?
„Ich bin Frank“, höre ich mich flüstern. „Frank Mulgrew. Sie sagen, ich bin besonders. Ich bin anders als die anderen. Sie nennen mich Psycho. Ich weiß nicht, was das ist.“
Das Mädchen blickt mir tief in die Augen.
„Ich bin Lillith“, stellt sich das Mädchen vor. „Lillith Henderson. Aber sage bitte niemandem, dass ich dich herausgelassen habe, okay? Sollen wir jetzt losgehen?“
Ihre dunkelblonden Haare schimmern im Licht der Straßenlaterne, das hier hineinscheint. Sie ist sehr schön. Lillith ist wunderschön.
„Lillith“, kommt es mir leise über die Lippen. „Ich habe dich noch nie hier gesehen.“
„Das hast du nicht“, bestätigt sie. „Aber ich bin da. Komm, gehen wir ein bisschen im Schnee spielen. Hinter dem Haus, da sieht uns niemand.“
Ich weiß nicht, wer dieses fremde Mädchen ist. Ich habe keine Ahnung, wie sie in dieses Verlies gekommen ist und wie sie mich hier herausholen will. Aber sie nimmt mich an die Hand, und zusammen laufen wir langsam und vorsichtig aus dem Zimmer.
Wir schleichen uns die Treppen herunter, vorbei an dem mittlerweile leeren Speisesaal und huschen aus dem Hinterausgang aus dem Gebäude heraus.
Es ist dunkel hinter dem Haus. Es ist schon Abend. Lillith legt sich in den Schnee und macht einen Schnee-Engel. Ich mache es ihr nach.
„Woher kommst du, Lillith?“, möchte ich wissen.
Aber ehe sie mir antworten kann, kommt die Aufseherin. Ich schließe meine Augen. Sehe ich nichts, sieht man mich auch nicht, denke ich bei mir.
Und dann nehme ich nichts mehr wahr. Ich höre nur noch das Geschrei der Aufseherin.
Lillith ist verschwunden.
Sie liegt in ihrem Sessel. Ihre Augen sind verschlossen. Das Geschrei des kleinen Babys im Kinderwagen unweit von ihr muss doch an ihr Ohr dringen, aber sie scheint es nicht zu hören. Regungslos liegt sie da.
Über der Frau ist ein klarer, blauer Himmel. Die Sonne scheint. Ein leichter Wind weht, der ab und zu eine Strähne ihrer braunen, gelockten Haare in ihr Gesicht weht. Aber die Frau scheint das nicht zu bemerken.
Das Baby ruft.