Die weißen Füchse - Lidia Just - E-Book
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Die weißen Füchse E-Book

Lidia Just

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Beschreibung

Wie weit wärst du bereit zu gehen, um deine Liebsten zu retten?   In einer Welt, in der Loyalität und Verrat eng miteinander verwoben sind, steht Olivia am Rande ihrer Entscheidungen. Um Eddy und ihre Familie zu retten, hat sie alles geopfert und hofft verzweifelt auf Vergebung, während die Last ihrer Schuld sie erdrückt. Gleichzeitig versinkt das Land im Chaos eines Bürgerkriegs, während die Revolution der weißen Füchse immer näher rückt. Inmitten dieses Aufruhrs beginnt Olivia jedoch zu hinterfragen, wie viele Opfer für Freiheit wirklich nötig sind, während sie nicht nur gegen äußere Feinde, sondern auch gegen die Dämonen ihrer eigenen Vergangenheit kämpft. Nachdem Aurelia nur knapp dem Tod entgangen ist und sich nun als Gefangene eines Offiziers wiederfindet, setzt sie alles daran, ihre Tochter weiterhin zu beschützen. Dabei ist Aurelia fest entschlossen zu kämpfen, selbst wenn sie ihr gebrochenes Herz erneut aufs Spiel setzen muss.   Werden sie es schaffen, das Land zu retten und ihrem Leid ein Ende zu setzen? Oder wird das Opfer ihrer Liebe alles in den Abgrund ziehen?   Das packende Finale von : die weißen Füchse!

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Für meinen Ehemann, der mir Mut schenkte, wenn ich meinen verloren habe.

„Wer immer tut, was man ihm sagt, hat das Denken nie gelernt.“

Liebe Leser:innen,

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Prolog

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

David

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Eduard

Olivia

David

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

David

Olivia

Aurelia

Olivia

David

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

David

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Olivia

Aurelia

Epilog

Finales Ende Von „Die Weißen Füchse“

Nachwort

Danksagung

Triggerwarnung

PROLOG

OLIVIA

Die Nacht schien endlos zu sein, bis der Wagen endlich zum Stehen kam und alle Insassen sich langsam aufrichteten. Auch Olivia rieb sich erschöpft über das Gesicht und warf sich ihre blonden Locken über die Schultern, während sie ihren Vater dabei beobachtete, wie er mit einem der Vorgesetzten telefonierte. Ihr Vater hatte nahtlos die Führung übernommen, ganz so, als wäre er nie weg gewesen.

„Sind wir endlich da?“, flüsterte ihre Mutter und Olivia lächelte ihr zuversichtlich zu. Ihre Mutter wirkte derart zerbrechlich, dass es ihr das Herz zerbrach. Wie ein Küken, das es zu beschützen galt.

Als sich die Transportertür schließlich öffnete, erhob Eddy sich schwerfällig.

Warme Sonnenstrahlen schienen in den Innenraum, um den neuen Tag willkommen zu heißen.

„Ihr könnt aussteigen“, entschied ihr Vater und verließ den Transporter, um allen zu signalisieren, ihm zu folgen. Olivia griff nach ihrer Mutter, um sie vorsichtig ins Freie zu führen.

Trotz der Freude, ihre Eltern und Eddy gerettet zu haben, fühlte sie ihr Herz schwer an.

Viel zu schwer und müde in ihrer Brust.

„Wo sind wir hier?“, fragte Lilly erstaunt, als auch Olivia das imposante Schloss im Hintergrund bemerkte. Hinter ihnen erstreckte sich ein riesiges Anwesen, das durch meterhohe Mauern umfasst wurde.

„Wir sind auf dem Anwesen eines reichen Politikers, der den weißen Füchsen angehört. Er hat uns Asyl gewährt“, erklärte ihr Vater und nahezu zeitgleich hörten sie das laute Knarren der Eingangstür.

Ein Mann mit grauem Haar und stahlblauen Augen betrat den Vorhof, ohne aus seiner Miene lesen zu lassen. Obwohl er sicher schon über sechzig Jahre alt zu sein schien, war seine Haltung noch immer gerade und imposant, was eine erstaunliche Autorität ausstrahlte.

„Schön, Sie mal wieder zu sehen, Miller“, eröffnete der Politiker das Gespräch, während er lächelnd auf ihren Vater zukam. Auch dieser nickte ihm freundlich zu und griff nach der ausgestreckten Hand, um sie anerkennend zu schütteln.

„Ganz meinerseits. Und ich bedanke mich im Namen aller, dass Sie uns hier Asyl gewähren.“

Der Blick des Politikers glitt über die Gruppe erschöpfter und müder weißer Füchse, die gerade dem Tod von der Schippe gesprungen waren.

„Dafür brauchen Sie sich nicht zu bedanken. Es gibt jedoch eine wichtige Regel: Keiner verlässt das Anwesen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihr wieder abreist. Ich habe zwar Störsignale für regierungsinterne Drohnen, doch das Risiko, dass ihr in Luftaufnahmen gesehen werdet, ist einfach zu groß.“ Instinktiv schaute Olivia nach oben, um sich umzusehen. Um das Anwesen herum erstreckten sich hohe Berge, Wälder und nichts als Natur.

Dennoch würde es vermutlich sicherer sein, sich an seinen Rat zu halten.

„Aber ich denke, den Rest können wir auch nachher klären. Ihre Leute sehen müde aus, Miller.“ Sein Blick wanderte erneut über die Truppe, bevor er einladend zur Eingangstür nickte. „Kommt rein, meine Angestellten zeigen euch die Zimmer.“

PROLOG

AURELIA

„Ich töte dich nicht, ohne dir die erbarmungslose Wahrheit zu zeigen.“ Lupins Stimme ließ ihr Herz gefrieren.

Aurelia hielt die Augen geschlossen, während sie Livy voller Liebe an sich drückte und auf den Tod wartete.

Doch er wäre nicht Lupin, wenn er sie einfach erschießen würde.

Langsam öffnete Aurelia die Augen und erstarrte.

„Du siehst genau richtig“, lachte Lupin, während er mit seiner Waffe wedelte. „Was glaubst du, woher wir so schnell von eurer Flucht erfahren haben? Ich meine, es war wirklich clever. Das Feuer, das Loch …“ Scheinbar gelassen begann er, vor ihr auf und ab zu stolzieren. „Wirklich, Aurelia. Das hätten wir niemals früh genug gemerkt.“ Schließlich blieb er vor ihr stehen, um ihr das diabolischste Lächeln zu schenken, das sie je gesehen hatte. „Wenn da nicht diese treue Seele gewesen wäre, die euch verkauft hat“, säuselte Lupin und wies hinter sich, um ihr das Herz zu brechen.

Hinter ihm stand sie, zitternd und mit feuchten Wangen. Sah Aurelia an, als wäre sie es, die jeden Moment sterben würde.

Die sie verraten hatte, obwohl sie Livy beim Wachsen geholfen hatte.

Um nun ihr Leben auszulöschen.

Aurelia bekam keinen Ton heraus, während sie ihre ehemalige Freundin anstarrte; glaubte, jeden Moment an dem Kloß in ihrem Hals zu ersticken.

Denn vor ihr stand nicht irgendwer.

Sondern Charlotta.

OLIVIA

Es fühlte sich an wie ein Traum, als Olivia sich langsam in das Bett sinken ließ, das nicht länger leer war.

Denn dort lag er; der Mann, der sie in jedem ihrer Träume verfolgte und sie zu einer Getriebenen werden ließ.

Eddy lächelte ihr zu; auf die Art und Weise, wie er es immer getan hatte und streckte die Hand nach ihr aus. Olivia benötigte keine weitere Einladung, um sich nun schützend in seine Arme zu flüchten und seine Nähe zu genießen.

Wie eine Ertrinkende atmete sie seinen Duft ein, hörte auf den Rhythmus seines Herzens und spürte die Wärme seines Körpers. Es benötigte keine Worte zwischen ihnen, als er seinen Zeigefinger unter ihr Kinn schob, um sie dazu zu bringen, ihn anzusehen.

Olivias Blick traf seinen. Ihre getriebenen Seelen sehnten sich nacheinander, als er vorsichtig seinen Mund auf ihren legte und ihr Herz zum Rasen brachte.

Ihr ganzer Körper stand in Flammen, als sie endlich wieder seine Hände spürte, die sich in ihr Haar gruben, um sie enger an sich zu ziehen. Olivia genoss jede Sekunde der Nähe, während sie sich an ihn schmiegte und dem Universum dafür dankte, ihn jemals wieder neben sich spüren zu dürfen.

Doch zeitgleich spürte sie auch ihr verräterisches Herz, das ihr leise zuflüsterte, wie kurz dieses Glück sein würde. Und dass ihm längst nicht mehr die Liebe zuteilwurde, wie sie es sich gewünscht hätte. Alles in ihr schmerzte bei dem Gedanken, ihm das Herz brechen zu müssen. Dass ihnen beiden noch der schlimmste Schmerz bevorstand, wenn sie ihm beichtete, dass sie ihr Herz an einen anderen verloren hatte.

Doch nicht jetzt.

Jetzt konnte sie es nicht tun, während sich ihr ganzes Dasein einfach nur danach sehnte, sich seiner zu vergewissern.

Zu spüren, dass er lebte.

Und sie spürte, wie auch ein Teil von ihr ihn immer noch liebte. Verzweifelt klammerten sie sich aneinander, während ihre Körper sich an all die Liebe erinnerten, die sie füreinander gefühlt hatten.

In ihren Berührungen lag so viel Schmerz und Bedauern, dass Olivia kaum merkte, wie sich ihre Wangen mit Tränen bedeckten.

Alles passierte mit so viel Gefühl, dass Olivia glaubte, ihr Herz würde es nicht länger aushalten. Diese geballte Kraft an Sehnsucht zerriss sie förmlich, während sie sich seinen Händen hingab und jede Träne weinte, die sie im vergangenen Jahr zurückgehalten hatte.

Als sie schließlich voneinander abließen, lag Eddy schweigend neben ihr und strich ihr zärtlich über die feuchte Wange, während seine grünen Augen über ihr Gesicht wanderten. Sie fühlte sich ihm so nah und doch so fern, obwohl sie in seinen Armen lag und ihn musterte.

Eddy sah nicht mehr aus wie der Mann, den sie zurückgelassen hatte. Das Gefängnis hatte ihn gezeichnet, einen Bart wachsen lassen und auch seine Augen getrübt.

Doch sein Herz war dasselbe, dessen war sie sich sicher.

„Ich liebe dich, Olivia. Mehr als mein Herz je ertragen hat“, flüsterte er leise die ersten Worte, die sie sprachen, seit sie in ihrem Zimmer waren.

Erneut füllten sich Olivias Augen mit Tränen, während ihr Herz zu bersten drohte und sie ihr Gesicht in seine Handfläche schmiegte.

„Ich habe dich so vermisst, Eddy. Mehr, als mein Herz je ertragen hat“, wiederholte sie seine Worte wispernd und die Schwere dieser drückte sie nieder.

Sie konnte ihm ihre Liebe nicht gestehen – nicht jetzt, nach all dem, was sie ihm angetan hatte. Olivia war sich so sicher gewesen, ihn zu lieben, auch wenn sie es ihm noch nie gesagt hatte. Während seiner Verhaftung hatte sie es so oft bereut und jetzt, wo sie endlich die Chance dazu hatte, ihm ihre Gefühle zu gestehen, zog sich ihre Kehle zusammen; raubte ihr die Luft zum Atmen.

Olivia wusste nicht, wie es weiterging. Doch was sie wusste, war, dass sie ihn verlieren würde. Er würde ihr entgleiten, sobald er von ihrem Verrat erfuhr.

Niemals würde Eddy sie jemals wieder lieben können.

Doch er lebte und war frei.

Und der Preis dafür waren die gebrochenen Herzen dreier Menschen, die sie allein zu verschulden hatte.

„Eddy, ich muss dir etwas sagen …“, flüsterte Olivia mit brüchiger Stimme, wobei sie es vermied, seinem Blick zu begegnen, während seine starken Arme sie schützend an sich zogen. „Als du weg warst, da habe ich-“

„Nein“, unterbrach Eddy sie mit sanfter, aber bestimmter Stimme. Irritiert hob sie den Blick.

Ganz sanft, ganz so, als würde sie unter seinen Berührungen zerbrechen, schob er einen Finger unter ihr Kinn und hob es an, um zu verhindern, dass sie erneut den Blick abwenden konnte.

„Sag nichts, Liv. Wir haben während meiner Abwesenheit beide Dinge getan, die wir eigentlich nicht sind … aber lass uns da jetzt nicht drüber sprechen.“ Er atmete tief durch, bevor er zuversichtlich lächelte. „Eines Tages, aber nicht jetzt. Du wirst nichts getan haben können, was meine Liebe zu dir schmälern könnte.“ Unsicher biss Olivia sich auf die Lippe und versuchte, die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Die Beichte brannte ihr auf der Zunge, doch sie schluckte die Flammen herunter und schwieg. Wenn dies sein einziger Wunsch war, würde sie ihm diesen noch eine kurze Zeit lang vergönnen.

Ein wenig Frieden, bevor sie ihm die Vorstellung seiner bedingungslosen Liebe wieder nahm.

Also nickte sie langsam und bemühte sich um ein trauriges Lächeln. „Okay“, wisperte Olivia, bevor sie ihm einen sanften Kuss auf die Lippen drückte, um sich erneut in seine Arme zu schmiegen.

So lagen sie noch eine ganze Zeit lang - eng umschlugen; voller tobender Gefühle in ihrer Mitte.

Nach einiger Zeit drückte Eddy ihr einen Kuss auf die Stirn und beugte sich über den Bettrand, um nach seinem Shirt zu greifen. Dabei entdeckte Olivia das, was sie immer gefürchtet hatte.

Ihr Atem stockte, als sie die langen Narben auf seinem Rücken entdeckte und sog scharf die Luft ein.

„Eddy, haben sie das …“, entfuhr es ihr entsetzt, während sie sich langsam aufrichtete.

Eddy erstarrte plötzlich in seiner Bewegung, als ihm bewusstwurde, was sie gesehen hatte. Bisher hatte er scheinbar darauf geachtet, es vor ihr zu verbergen.

„Alles gut, Olivia“, schnitt er scharf das Thema ab, womit er sie direkt ins Herz traf. Der Ton, mit dem er ihre Frage im Keim erstickte, schloss sie aus. Stieß sie aus seinem Herzen, in dem so viel Leid verschlossen war, dass sie es kaum greifen konnte.

Sie spürte, wie ihr Kinn zu zittern begann, als sie sich langsam zu ihm herüberschob und ihn von hinten umarmte. Voller Bedauern klammert sie sich an seinen geschundenen Rücken, während sie seine Narben küsste und bittere Tränen der Entschuldigung weinte.

Olivia schluchzte auf, als er ihre Hand ergriff, um sie behutsam auf sein Herz zu drücken, während sie ihn von hinten umklammerte. „Es tut mir so leid, Eddy“, weinte sie leise und lehnte sich an ihn; das sanfte Licht der Kerzen um sie herum flackernd. „Es tut mir alles so leid … so, so leid.“

AURELIA

„Du … du hast uns verraten?“, wisperte Aurelia schwach und musterte Charlotta. Diese schluchzte kopfschüttelnd auf, während sie die Arme schützend um sich schlang.

„Bitte, Aurelia … ich wollte nicht, dass es so weit kommt!“

Sie schaffte es nicht einmal, darauf zu antworten, als Lupin sich dazwischenschob und zu lachen begann.

„Oh, doch - genau das wollte sie. Die liebe Charlotta“, er strich ihrer ehemaligen Freundin zärtlich über die Wange, womit er sie erzittern ließ, „kam vor Kurzem zu mir. Sie wollte mir einen Deal vorschlagen.“

Aurelia spürte, wie ihr Körper zu zittern begann und drückte Livy enger an sich. Diese quengelte leise an dem Hals ihrer Mutter, während sie das Gesicht darin versteckte. Kalter Wind ließ ihr braunes Haar durch die dunkle Nacht tanzen, während ihr Blick wie gebannt auf der Frau hing, die sie einmal als Freundin betrachtet hatte.

„Sie bot mir an, mir von eurer Flucht zu erzählen und im Gegenzug sollte ich sie freilassen. Fair, oder?“, lachte Lupin mit ausgebreiteten Armen. „Nur schade, dass sie nicht weiß, dass man keine Tauschgeschäfte mit dem Teufel macht.“

Während seiner selbstgefälligen Rede hing ihr Blick weiterhin auf Charlotta, die schluchzend den Kopf hängen ließ.

„Warum? Warum hast du uns das angetan?“, hauchte Aurelia und versuchte, ihre Schultern zu straffen. Ihr Herz brach in tausend Teile, während sie an Elli dachte. Wie sie leblos auf der kalten Erde lag, weil sie von einer ihrer Freundinnen verraten worden war.

„Ich erfuhr von Betti davon und als ich hörte, dass ich nicht eingeplant war … ihr … ihr habt mich damit verraten!“, schluchzte Charlotta kopfschüttelnd auf.

Da Aurelia nichts mehr zu befürchten hatte, sah sie keinen Sinn mehr darin, zu lügen. „Wir wären wieder gekommen und hätten alle befreit, Charlotta. Aber je weniger Leute, umso wahrscheinlicher wäre der Erfolg gewesen. Niemand hat dich vergessen.“

Nun schluchzte ihre Verräterin erneut bitterlich auf, wich ihrem Blick aus. „Aurelia, ich … ich …“

„Du hast Elli getötet, Charlotta“, flüsterte Aurelia in den Wind, der ihr zerbrochenes Herz in alle Richtungen trieb. „Deinetwegen musste Elli sterben.“

Als Charlotta nicht antwortete, explodierte der Verrat in ihrer Brust; zog sie in einen tiefen Abhang, aus dem sie nie wieder herauskommen würde. „Du hast Elli getötet!“, schrie sie nun und ihre Stimme brach.

„Durch deinen Verrat hast du Elli getötet!“, brüllte Aurelia weiter und glaubte, jeden Moment zu ersticken. Die Tragweite dieser Worte schnürte ihr die Kehle zu, ließ sie aufkeuchen.

Charlotta hatte ihr Elli genommen.

Elli war tot!

Als würde ihr das erst jetzt bewusst werden, drang ein bitterliches Schluchzen aus Aurelia heraus und sie ließ sich auf die Knie fallen.

Bebend klammerte sie sich an ihre Tochter, während ihr Weinen die Stille füllte und alle um sie herum schwiegen.

Ihre Schultern zitterten unter ihrem bitterlichen Schluchzen, während sie sich auf dem kalten Boden zusammenkrümmte; all das Leid in ihrer Seele herausschrie.

All der Schmerz, der sie von innen heraus zerfraß.

All die Verzweiflung, die sich wie ein Pilz in ihr Herz gefressen hatte.

All die Trauer, die sie in einen Abhang zog.

All das schrie sie in die kalte Novembernacht, während sie darauf wartete, endlich erlöst zu werden.

„Ich denke, damit ist alles gesagt“, hörte sie Lupin sagen und verstummte. Aurelia drückte Livy an sich, schloss die Augen und drückte ihre Lippen auf den kleinen Kopf ihrer Tochter. Sie roch noch immer nach Baby.

Ihr kleines Baby.

„Was ist hier los?“

Stimmengewirr holten sie zurück in die Realität und Aurelia öffnete abermals die Augen. Vorsichtig hob sie den Blick, um sich plötzlich Adam Benedetti gegenüberzusehen.

Der Offizier, bei dem sie gekellnert hatte.

In seiner vollen Autorität stieg er aus dem Auto, das gerade vorgefahren war und musterte sie ausdruckslos.

Dann wandere sein Blick zu Lupin, lodernd vor Wut.

„Was machen Sie da mit der Frau?“ Der Offizier brüllte nicht, doch die Ruhe in seiner Stimme wirkte bedrohlicher als jedes Brüllen es jemals hätte sein können.

„Sie hat versucht zu fliehen und wird nun exekutiert“, erklärte Lupin flapsig, bevor er erneut die Waffe auf die kniende Aurelia richtete.

Heftig zuckte sie zusammen, als sie sich dem Lauf gegenübersah.

„Mein Baby“, wisperte Aurelia mit zittriger Stimme und suchte den Blick des Offiziers, der sie nun wieder ansah. „Bitte, retten Sie nur mein Baby. Sie ist nicht geflohen.“

Ihre Worte waren zwar nicht mehr als ein Flüstern, doch sein Blick veränderte sich unheilvoll und sie hielt die Luft an.

„Nein“, kam es ausdruckslos über seine Lippen und schnitt ihr damit erbarmungslos in die Brust. Aurelia japste nach Luft, als der Offizier sich an seine Männer wandte.

„Wir nehmen beide mit. Bringt die Frau und das Baby in den Wagen!“, beschied der Offizier, wobei Aurelia augenblicklich in die Höhe gezogen wurde.

Verwirrt stolperte sie in Richtung des Wagens.

„Das können Sie nicht! Sie ist meine Gefangene!“, erboste sich Lupin, doch Adam Benedetti baute sich drohend vor ihm auf und nahm ihr die Sicht.

„Und Sie sind mein Leutnant. Also passen Sie auf, was Sie als Nächstes sagen, bevor ich mich vergesse.“ Damit wandte sich der Offizier ab und stolzierte zum Wagen, ohne sie weiter zu beachten.

Aurelia wurde gerade in den Bulli geschoben, als sich ihre Blicke trafen.

Voller Angst sah Charlotta zu Aurelia, bevor die Autotür ihre Verbindung wieder trennte.

Und sie war sich sicher, dass es der letzte Blick gewesen war, den sie jemals wieder teilen würden.

OLIVIA

Olivia lachte so laut und ausgelassen wie schon lange nicht mehr, nachdem ihre Mutter von einer ihrer Kinderstreiche erzählte und alle Anwesenden damit erheiterte.

„So schlimm war ich doch gar nicht!“, lachte sie amüsiert und sah zu Eddy, der hinter ihr saß und sie liebevoll musterte. In seinen Augen lag so viel Liebe zu ihr, dass es ihr einen kurzen, heftigen Stich versetzte.

Hastig wandte sie sich wieder ab.

„Doch, das warst du, mein Schatz“, lachte ihre Mutter, während sie sich eine ergraute Strähne aus der Stirn strich. „Und deine Schwester war noch schlimmer!“ Ihr zunächst heiteres Lächeln erlosch; all der Glanz in den Augen ihrer Mutter verglühte.

Schwer seufzend griff sie nach ihren Händen, um sie aufmunternd zu drücken. „Wir sind dabei, sie zu finden, Mom. Nicht mehr lange - wirklich!“

Und am meisten hätte sie sich gewünscht, selbst daran glauben zu können. Doch ihr Vater hatte es ihr versprochen - sobald sie eine neue Bleibe hätten, würden sie nach Aurelia suchen.

Plötzlich legte Eddy einen Arm um ihre Schultern und zog sie sacht an sich.

„Wir finden sie schon, mach dir keine Sorgen“, murmelte er an ihrem Scheitel, bevor er sie auf den Kopf küsste. Dankend drückte sie seine Hand, während ihr Herz vor Schuldgefühlen zu kollabieren drohte. Sie waren bereits seit fünf Tagen in diesem Anwesen und sie hatte es weiterhin nicht übers Herz gebracht, ihm von David zu erzählen.

Bisher hatten sie sowohl ihre einsame Zeit, als auch seinen Gefängnisaufenthalt gemieden. Eddy schien dem Thema aus dem Weg gehen zu wollen und auch sie war froh darum, dass er bisher keine Fragen stellte.

Doch jedes Mal, wenn sich ihre Blicke trafen, entflammte eine weitere Narbe in ihrem Herzen. Denn sie sah nicht mehr nur Eddy, sondern auch den Mann, den sie ebenfalls hintergangen hatte. Ihre geschundene Seele rief immerzu nach Erlösung, während sie versuchte, ihn zu vergessen.

Sie und David würden es niemals geben können.

Und nun war Eddy zurück, dem sie nicht erneut das Herz brechen konnte.

Jedes Mal, wenn sie ihm die Wahrheit sagen wollte, wurden sie entweder gestört oder sie brachte es doch nicht über sich. Auf diesem Anwesen fühlte sie sich zum ersten Mal seit einem Jahr wie einer heilen Blase, bei der die bittere Einsamkeit ausgeschlossen wurde.

In der sie nicht mehr alleine kämpfte; endlich angekommen war. Und auch wenn es egoistisch war, wollte sie es nur noch wenige Sekunden genießen. Das Gefühl, geliebt zu werden, bevor sie auch Eddy verlor.

Kopfschüttelnd riss sie sich aus ihren Gedanken und begann erneut mit ihrer Mutter über ihre Kindheit zu reden, als plötzlich die Tür aufschwang und ihr Vater eintrat.

„Gute Neuigkeiten?“, erriet Olivia anhand seines breiten Grinsens.

„Wir haben einen neuen Bunker?“, entfuhr es ihrer Mutter heftig, wobei jeder wusste, dass es ihr dabei eigentlich um Aurelia ging.

„Fast“, bestätigte ihr Vater, während er sich einen Stuhl heranzog. „Wir werden in keinem anderen Bunker aufgenommen.“

Die Bedeutung seiner Worte ließ sie alle in sich zusammensacken und Olivia musterte ihn genervt.

„Weil wir einen eigenen bekommen und ich wieder einer der Anführer werde!“, verkündete ihr Vater stolz und Olivia schrie erfreut auf. Voller Erleichterung fiel sie ihrer Mutter um den Hals, die ebenfalls losgelöst lachte.

Auch die anderen weißen Füchse im Raum schienen es gehört zu haben und begannen zu jubeln. Nach und nach kamen sie zu ihrem Vater, um ihm zu gratulieren, während Lilly ihr ein verschmitztes Lächeln zuwarf.

Alles lief genauso, wie es sollte. Nun, da ihr Vater der neue Anführer wäre, würden sie Aurelia retten.

So, wie sie es ihrer kleinen Schwester versprochen hatte.

Olivia spürte, wie die Glücksgefühle sie nur so überrannten und fiel Eddy um den Hals. Lachend erwiderte er ihre Umarmung, küsste sie.

„Alles wird gut, Liv.“ Lächelnd strich er ihr eine blonde Locke hinters Ohr. Sie kam nicht umhin, ihn wie ein Honigkuchenpferd anzustrahlen und nickte.

Ja, alles würde gut werden.

Als sie sich jedoch von ihm löste und zu den anderen schaute, erstarrte sie. Alle weißen Füchse im Raum unterhielten sich angeregt, lachten und feierten den Umstand, Miller wieder als Anführer zu haben.

Außer einer.

Zwei Augen waren direkt auf sie gerichtet; durchbohrten sie mit einem derart wütenden Blick, dass sie fürchtete, jeden Moment in Flammen aufzugehen.

Chris.

„Hey, ich hole mir eben was zu trinken“, entschuldigte Olivia sich nervös bei Eddy, der sich gerade mit Lilly unterhielt und

verschwand in der Küche.

Nachdem die Tür hinter ihr zugefallen war, lehnte sie sich seufzend gegen die Küchentheke und schloss die Augen. Sie wusste genau, warum Chris sie derart anklagend angesehen hatte, denn sie wäre nicht anders gewesen. Olivia wusste, dass sie Eddy früher oder später die Wahrheit sagen musste und ihr nichts anderes blieb, als auf sein Verständnis zu hoffen.

Doch es brach ihr das Herz, das seine zu brechen. Jeder liebevolle Blick, jedes nette Wort, jeder zärtliche Kuss - alles machte es ihr nur noch schwerer, all seine bedingungslose Liebe zu nehmen, auf den Boden zu werfen und mit ihren Taten zu zertrampeln.

Aber sie hatte es getan und würde es ihm sagen müssen.

Je länger sie damit wartete, umso schwerer würde es.

Ein plötzlicher Knall ließ sie erschrocken herumfahren. Chris stand in der Küchentür und starrte sie wütend an.

„Chris …“, begann sie beschwichtigend, doch er schien nichts davon hören zu wollen.

„Ist das dein Ernst, Olivia? Ist dieses Schmierentheater da draußen wirklich dein Ernst?“, fauchte er, die Brauen drohend zusammengezogen. „Hier ein Küsschen, da eine Umarmung wirklich jetzt? Einfach so, als wäre nie etwas gewesen?“

„Hör mal“, begann sie abermals und hob schlichtend die Hände, bevor er sie erneut unterbrach.

„Sag mir, dass er von ihm weiß.“ Drohend machte Chris einen Schritt auf sie zu. „Er weiß doch von ihm, oder?“

Wortlos presste Olivia den Kiefer aufeinander, schaute ihn an. Egal, was sie nun sagte - er verurteilte sie. Genauso, wie sie sich selbst verurteilte.

Als sie weiterhin nicht antwortete, fuhr Chris sich entsetzt durch die Haare. „Ich glaub’s nicht … ich glaub’s einfach nicht“, hauchte er fassungslos und begann, auf und ab zu laufen.

„Chris!“, unterbrach sie ihn nachdrücklich, in dem Versuch, seinen Blick einzufangen. „Ich werde es ihm heute sagen, okay? Aber bitte gib mir die Chance, es selbst zu tun!“ Nachdem er nicht antwortete und weiterhin hin und her tigerte, stellte sie sich ihm in den Weg.

„Chris! Versprich mir, dass du ihm nichts sagst!“, forderte sie ihn auf, als sich ihre Blicke trafen.

In seinen Augen loderte die Wut.

„Was soll ich ihm nicht sagen, mh?“, brüllte er nun auf sie hinab, wobei Olivia getroffen zurückzuckte. „Wie lange soll ich ihm verschweigen, dass seine Freundin eine verdammte Hure ist?“

„Was ist hier los?“

Als Eddy im Türrahmen auftauchte, zuckten Chris und Olivia getroffen auseinander.

Seine Augenbrauen zogen sich unheilvoll zusammen, als sein Blick von ihr zu ihm wanderte.

„Warte - ihr zwei …“

„Was? Nein!“, riefen sie beide heftig und schüttelten den Kopf.

Schwer atmend ging Olivia auf Eddy zu.

„Komm, lass uns in Ruhe reden und-“

„Sag es ihm jetzt, Olivia“, knurrte Chris hinter ihr, wodurch sie ergeben die Augen schloss. Sie konnte Eddys Blick nicht begegnen.

„Was sollst du mir sagen?“, hörte sie seine tonlose Stimme neben sich und schluckte.

„Bitte, Eddy … lass uns in Ruhe reden“, wisperte sie mit schwacher Stimme; flehte Chris innerlich an, endlich nachzugeben. Olivia würde ihm alles erzählen - aber nicht so. Nicht hier.

„Warum nennst du meine Frau eine Hure?“, knurrte Eddy nun und Olivia zuckte zusammen.

„Sie hat dich betrogen, Bro“, entfuhr es Chris und sie wirbelte heftig zu ihm herum. Die Stille, die sich augenblicklich über sie legte, drohte sie zu erdrücken. Als wäre die Zeit stehen geblieben, starrten sich alle gegenseitig an und sie wagte es nicht einmal, zu atmen.

„Sie hat was?“, fragte Eddy nach einer endlosen Stille, in der der Kloß in ihrem Hals zu bersten drohte.

„Bitte, ich erkläre dir alles“, flüsterte Olivia flehend und griff nach seinem Arm, um ihn herauszuziehen. Heftig schüttelte er ihre Hand ab und sie wich erschrocken zurück. Diese Geste hatte sich angefühlt, als hätte er sie geohrfeigt.

„Chris, was hat sie getan?“, wiederholte er tonlos, ohne ihr einen Blick zuzuwerfen. Fassungslos öffnete Olivia den Mund, doch kein Ton kam über ihre Lippen.

„Während du weg warst, hat sie sich in den Offizier verliebt und dich betrogen.“ Nun klang Chris leise, nahezu schuldbewusst.

„Über mehrere Monate. Es tut mir wirklich leid, Bro. Aber du musstest es erfahren.“

Eine unaushaltbare Ewigkeit hingen Chris Worte zwischen ihnen, ohne, dass jemand etwas sagte. Olivia wäre gar nicht in der Lage dazu gewesen, während der Schmerz ihr Herz zerriss. Quälend langsam drehte Eddy sich ihr schließlich zu und den Schmerz in seinen Augen zu sehen, gab ihr den Rest. Sie hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, als er sie ansah, wie sie sich fühlte.

Wie eine Verräterin.

„Stimmt das? Hast du mich betrogen, Liv?“

Diesen liebkosenden Spitznamen aus seinem Mund zu hören, nachdem sie seine ganze Liebe zu ihr mit Füßen getreten hatte, nahm ihr den Atem; trieb ihr die bitteren Tränen der Reue in die Augen.

Doch sie konnte nicht antworten. Sie konnte einfach nicht.

Schweigend erwiderte sie seinen Blick, während heiße Tränen des Verrates über ihre Wangen rollten und jeden Verdacht bestätigten.

Eddys Miene verdunkelte sich schlagartig und sie glaubte, das Klirren seines Herzens hören zu können, als er die Wahrheit erkannte.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wandte er sich ab und stürmte aus der Küche.

Ließ sie zurück - mit den Scherben seines Herzens, die sie zu verantworten hatte.

Olivia schluckte schwer, als sie die große Flügeltür aufstieß und ihr die kalte Novemberluft entgegenschlug. Sie sah ihn bereits von Weitem an der Balustrade stehen und konnte selbst aus dieser Entfernung erkennen, wie sich jeder Zentimeter seines Körpers anspannte.

Als sie in die kalte Nacht hinaustrat, glaubte sie, jeden Moment vor Nervosität zu sterben.

Wie sollte sie ihm diesen Verrat erklären?

Schließlich hatte sie selbst keine. Wenn sie ehrlich zu sich selbst gewesen wäre, wäre ihr viel früher aufgefallen, dass sie Gefühle für David entwickelte. Und dies wäre der Moment gewesen, an dem sie diesen waghalsigen Plan hätte beenden müssen.

Den Preis, den sie am Ende gezahlt hatte, war zu hoch. Für ihre eigenen Zwecke hatte sie gleich zwei Männer in den Abgrund gerissen - und ihr Herz gleich mit.

Wie hatte sie so naiv sein können?

So unglaublich naiv …

Vorsichtig näherte sie sich ihm von hinten, während der kalte Wind ihre Haare aufwirbelte und sie fröstelnd die Arme um sich schlang.

Er schien ihre Schritte zu hören, denn kaum kam sie in seine Reichweite, wurde die Luft zwischen ihnen schwer wie Blei.

„Lass es mich erklären, Eddy“, flüsterte Olivia in dem Wissen, dass er jedes Wort verstehen würde. Doch sie war nicht in der Lage dazu, lauter zu sprechen, wenn ihr jede Silbe die Kehle zu verbrennen schien.

Als Eddy nicht antwortete, trat sie dicht hinter ihn, ohne ihn zu berühren. „Eddy …“, wisperte sie und wich umso erschrockener zurück, als er plötzlich herumwirbelte.

Sein Gesicht war so vor Zorn zerfressen, dass sie entsetzt die Luft einsog. „Was, Olivia? Was willst du mir erklären?“

Sie versuchte, sich ihren Schreck über seine heftige Reaktion nicht anmerken zu lassen und schluckte schwer. „Ich habe dich nicht einfach betrogen, weil mir ein anderer Mann gefallen hat“, begann sie langsam; jedes Wort sorgfältig ausgewählt, „sondern, um dich zu retten.“

Eddy schnaubte. „Ach so - und inwieweit hat es mich gerettet, deinen Hintern in dem Bett eines anderen zu wärmen?“

Jedes seiner Worte wirkte wie ein Schlag in die Magengrube.

Doch Olivia versuchte, die Ruhe zu bewahren; versuchte, seine Wut zu verstehen. Er war verletzt und wütend - das wäre sie auch gewesen. Sie musste ihm nur den Raum und die Zeit geben, damit klarzukommen.

„Als du … als du damals zu Boden gingst, dachte ich, du wärst tot“, erklärte sie mit schwacher Stimme und senkte den Blick, um die aufkommenden Tränen zu verstecken. „Doch kurz darauf haben wir erfahren, dass du lebst und festgenommen wurdest. Es zerbrach mir das Herz, dich in Gefangenschaft zu wissen, nur weil ich dich dazu gedrängt hatte.“

Erneut schnaufte Eddy, sagte jedoch nichts.

„Ich konnte nicht einfach tatenlos dabei zusehen, wie du meinetwegen leidest … doch die weißen Füchse wollten mir nicht helfen. Also war ich auf mich allein gestellt.“

Als Olivia diesmal den Blick hob, schaute Eddy in die Ferne. Er schien ihrem nicht begegnen zu wollen und sie bemerkte, wie sein Kiefer angestrengt mahlte.

„Also habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, dich zu finden …“

„Wer war es?“, knurrte Eddy nun ohne sie anzusehen und lehnte sich gegen die Balustrade. „Wer war der Mistkerl?“

Olivia sog mit geschlossenen Augen zitternd die kalte Luft ein.

„Ich habe mich auf David Evalua eingelassen, um an dich heranzukommen.“

„Was?“ Der Ton dieses Ausrufes traf sie mitten ins Herz, während das Entsetzten darin sich langsam um ihre Kehle legte.

Doch es gab kein Zurück mehr. Es war zu viel gesagt worden, um jetzt zu schweigen.

Mühsam zwang sie sich also, sich seinem vor Wut lodernden Blick zu stellen; wich vor ihm zurück, als sie den Mann vor sich nicht mehr zu erkennen glaubte.

„Es war meine einzige Möglichkeit-“

„Olivia!“, brüllte er und ließ sie damit zusammenzucken. Heftig stieß er sich von der Balustrade ab. „Deine einzige Möglichkeit? Deine einzige verdammte Möglichkeit war es also, mit dem Mann ins Bett zu gehen, der mir dieses Leid zugefügt hat?“

Sie spürte, wie ihr die Situation entglitt und schüttelte heftig den Kopf. „Ich war verzweifelt, Eddy! Ich hätte alles getan, um dich da herauszubekommen!“

„Hast du doch auch!“, brüllte er sie an und begann, auf und ab zu laufen.

„Bitte, beruhige dich!“ Sie wollte ihn gerade an den Armen packen, um ihn festzuhalten, als er heftig zurückzuckte.

Ganz so, als würden ihre Berührungen ihm Verbrennungen zufügen. Ihre bloße Anwesenheit steigerte seinen Pein ins Unermessliche.

„Einen Teufel werde ich tun!“, knurrte er und umrundete sie, um weiter umhertigern zu können.

„Ich verstehe, dass das gerade viel für dich ist-“

„Hast du mit ihm geschlafen?“, fiel er ihr so ruckartig ins Wort, dass sie überrumpelt stockte. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen und sie glaubte, jeden Moment den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Doch sie musste ehrlich sein.

„Ja“, wisperte sie kaum hörbar mit gesenktem Blick.

Ohne jede Vorwarnung griff Eddy nach einem der umherstehenden Blumenkübel und warf diesen quer über die Terrasse; entlud seine unbändige Wut, die sie erschrocken aufschreien ließ. „Verdammte Scheiße!“, brüllte er über die Balustrade gebeugt, während sie entsetzt dabei zusah, wie er sich unter ihren Geständnissen wand. Schwer atmend vergrub er die Hände in seinen Haaren und sah in den Abgrund.

„Ich habe es getan, weil ich dich liebe“, flüsterte sie in dem letzten Versuch, seine Qualen zu lindern. Doch stattdessen fuhr er so heftig zu ihr herum, dass sie zurückstolperte. Völlig außer Fassung packte er sie am Kinn; zwang sie grob, ihn anzusehen.

Er war so nah, so warm und so echt - während er ihr mit hasserfüllten Augen entgegenstarrte und ihre Seele zum Gefrieren brachte.

„Du hast mit ihm geschlafen, weil du mich liebst? So wie du ihn liebst?“, wiederholte er drohend, während ihr Tränen in die großen blauen Augen schossen.

Niemals hätte sie geglaubt, je so vor ihm zu stehen; seine tiefen grünen Augen mit so viel Hass auf sich spüren zu müssen.

„Ich habe all das getan, damit ich dich wieder habe“, hauchte sie ausweichend und erstarrte, als er plötzlich seine Lippen auf ihre drückte. Heftig küsste er sie und sie konnte nicht anders, als ihre Arme um seinen Hals zu schlingen; den Kuss mit derselben Verzweiflung zu erwidern, die auch von ihm ausging.

Für einen kurzen Moment fühlte es sich an, als wären ihre Herzen doch nicht so viele Meilen voneinander entfernt, wie sie es waren. Olivia konnte nicht anders, als sich einen Augenblick lang der Illusion hinzugeben, in Eddy noch mehr auszulösen als blanken Hass.

Doch es dauerte nur wenige Sekunden, bis er sie erneut heftig von sich stieß und sie sich schwer atmend gegenüberstanden.

„Es tut mir leid, Eddy! Es tut mir so leid … ich weiß nicht …“ Ihre Stimme versagte, als er kopfschüttelnd zurückwich. Sein Anblick zerriss sie mehr, als sie sich je hätte vorstellen können.

Den Hass in seinen Augen lodern zu sehen, während sie ihm ohne Schutz ihr Herz vor die Füße legte, fühlte sich wie Selbstmord an.

„Eddy, ich wollte nie, dass es so weit kommt … aber ich musste dich doch retten … ich musste doch …“ Diesmal endete ihr Satz in einem bitteren Schluchzen und sie presste sich die Hand auf den Mund, um ihre Verzweiflung im Keim zu ersticken.

Sie hatte David in einer Zeit in ihr Herz gelassen, in dem es vor Verzweiflung und Einsamkeit fast gestorben wäre. Und sie hatte sich nicht wehren können – nicht lang genug.

Doch durch diese Schwäche hatte sie schließlich alles verloren.

„Ich hasse dich, Olivia“, entfuhr es ihm, während sein Blick voller Abscheu über sie wanderte; sie Zentimeter für Zentimeter zerriss. Jeden Funken Hoffnung in ihr sterben und in Flammen aufgehen ließ. „Du bist nichts als eine Hure.“

Seine Worte richteten einen unheilbaren Schaden an. Wie ein Virus pflanzte sich jedes seiner hasserfüllten Worte in ihre Zellen und ließ sie bluten.

Olivia hatte ihn verloren. Und sich selbst geopfert.

„Sei sauer oder hass mich“, sagte sie mit zitternder Stimme und scherte sich nicht mehr um die Tränen, die über ihre Wangen rollten, „aber ich weiß, dass du lebst und wieder frei bist. Das Opfer war es wert.“

Ihre Worte entfesselten erneut seinen unbändigen Zorn, als er abermals einen Kübel durch die Luft schleuderte und sie erschrocken aufschrie.

Er war völlig außer Kontrolle.

„Ich habe für dich getötet! Ich habe verdammt noch mal für dich getötet, während du für mich in den Armen meines Feindes lagst!“ Seine Worte drangen nur langsam zu ihr durch, während sie versuchte, die Situation zu verstehen. Doch bevor sie begriff, schüttelte er den Kopf.

„Ich bin durch mit dir, Olivia. Zwischen uns ist gar nichts mehr.“

Damit wandte er sich um und verschwand im Inneren der Burg.

Niemand sprach über den Schmerz, der einen am Morgen nach der Trennung mit voller Wucht empfing.

Einen von innen heraus zerfraß; sich an dem eigenen Schmerz nährte, um unendlich groß zu werden.

Dieser Schmerz hatte Olivia an diesem Morgen mit einer unerwarteten Wucht getroffen und in einen Abgrund gezogen, aus dem es kein Entkommen geben würde.

Und so lag sie da – wie ein verwundetes Tier in der Dunkelheit, das es kaum schaffte, weiterzuatmen.

In dieser Nacht hatte sie kaum ein Auge zu getan, bis sie sich schließlich irgendwann in den Schlaf weinte. Ihr ganzer Körper schrie vor Verzweiflung und wenn sie auch nur annähernd gewusst hätte, welch eine Gewalt dieser Schmerz haben würde … Mit welch einer Rachsucht er sie von innen heraus zerstören würde …

Sie hätte sich gewünscht, vielleicht nicht mehr aufzuwachen. Abermals entfuhr ihr ein Schluchzen und Olivia vergrub das Gesicht in der Bettwäsche, die sie noch vor wenigen Stunden mit Eddy geteilt hatte.

Doch er war gegangen. Direkt nach ihrem Streit hatte er seine Sachen gepackt, um aus dem Zimmer auszuziehen.

Für immer.

Und so lag sie da – wieder allein, gebrochen und verzweifelter, als sie es je gewesen war.

Alles in ihr hasste sich selbst. Immer wieder fragte sie sich, wie ihr das hatte passieren können.

Wie hatte es ihr verräterisches Herz geschafft, sich in zwei Männer zu verlieben?

War sie wirklich so schwach?

Alles in ihr schrie danach, diesen Schmerz mit seinem vollen Gewicht zu spüren, um sich selbst zu bestrafen. Dafür, was sie den beiden Männern angetan hatte, die sie liebte.

Wenn es jemand verdient hatte zu leiden, dann sie. Sie hatte all diesen Schmerz verdient.

Die Erkenntnis, dass sie ihnen genau das angetan hatte, was John ihr damals antat, ließ sie nach Luft schnappen. All den Schmerz, den Eddy ihr nahm, nachdem John ihn ihr zugefügt hatte – all diesen Schmerz hatte sie ihm nun zurückgegeben.

Als Dank für seine Treue.

Für seine Liebe.

Olivia schluchzte.

Wie konnte ihr Herz einerseits auf die Vergebung von Eddy hoffen und sich doch so sehr nach David sehnen?

Sie war zerrissen; so zerrissen.

Doch egal, was ihr Herz auch begehrte – sie hatte verloren. Olivia hatte alles verloren, was sie je begehrte.

Und egal, wie sehr ihre Seele auch schrie – sie würde niemals wieder das bekommen, wonach sie sich so sehr sehnte.

AURELIA

Sie wusste nicht mehr, was mehr zitterte. Ihre Finger, ihre Beine oder ihre aufeinander klappernden Zähne, während die Angst sie von innen heraus zerfraß.

Seit Stunden waren sie nun unterwegs und die Furcht stieg ins Unermessliche, als sie vor einem riesigen Eisentor hielten, um eine Einfahrt hochzufahren.

Schützend zog Aurelia ihre Tochter enger an sich und schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Während der Fahrt hatte niemand mit ihr gesprochen und sie hatte es nicht gewagt, Fragen zu stellen.

Mittlerweile schien es auch früher Morgen zu sein, denn die Sonne kroch leise und schleichend hinter den kahlen Bäumen hervor.

Die Nacht ihrer Flucht steckte ihr noch in den Knochen, wobei Aurelia nicht wusste, ob sie Panik oder Erleichterung überfallen sollte.

Was hatte es zu bedeuten, dass der Offizier sie mitgenommen hat?

Lässt er sie gehen oder … wird sie seine leibeigene Sklavin?

Bei dem bloßen Gedanken daran, momentan in die nächste Hölle verlegt zu werden, verkrampfte sich ihr Herz.

Nachdem Elias sie und ihre Tochter einfach dem Tod ausgeliefert hatte, war sie bereit gewesen. All ihre Kraft hatte sich verabschiedet.

Aurelia wäre mit offenen Armen ihrer besten Freundin gefolgt.

Allein die Erinnerung ihres Todes vor wenigen Stunden ließen ihr Tränen in die Augen schießen. Nur schwer schaffte sie es, das Schluchzen auf ihren Lippen zu unterdrücken; die Fassung nicht schon zu verlieren, bevor sie sich ihrem Ziel entgegensah.

Der Schmerz ihrer Flucht war zu frisch und die letzten Stunden zu überwältigend - Aurelia glaubte, jeden Moment unter der Last auf ihrem Herzen zusammenzubrechen.

Doch dafür war keine Zeit, denn sie war der einzige Halt, den ihre Tochter auf dieser Welt noch hatte. Wenn Aurelia aufgab, war auch sie verloren.

Mit zitterndem Kinn drückte sie der schlafenden Livy einen Kuss auf die Stirn und schloss die Augen, als stumme Tränen über ihre Wangen rollten.

Du lebst nur dank ihr, mein Sonnenschein.

Elli hatte ihr Herz gerettet.

Und Elias hatte es zerstört.

Ruckelnd kam der Wagen zum Stehen und Aurelia wischte sich hastig über die feuchte Wange. Adrenalin schoss durch ihre Adern, während sie sich aufgeregt aufrichtete; den Blick des Wachmanns wissentlich ignorierend, der ihr die ganze Fahrt über gegenübersaß.

Das laute Rauschen der Tür ließ sie zusammenzucken, als sie ruckartig zur Seite geschoben wurde und ihr einer der Soldaten anwies, auszusteigen.

Zögernd richtete Aurelia ihre Tochter auf ihrem Arm, um gebückt aus dem Van zu steigen.

Ihr Blick ging sofort an dem riesigen Anwesen des Offiziers empor. Wie eine Festung erstreckte sich seine Villa in den Himmel; strömte eine Furcht einflößende Energie aus, die ihr Ende bedeuten konnte.

Langsam wandere ihr Blick zu den riesigen Löwen an der Eingangstreppe und sie schien unter ihren Blicken zu brennen.

Sofort kamen ihr die Erinnerung an den Abend, an dem sie ihre Schwester hier wiedergesehen hatte.

Olivia.

Hätte sie doch nur auf sie gewartet, dann wäre nun vielleicht alles anders gekommen.

Aber jetzt würde ihre Schwester sie niemals finden.

„Komm“, beschied ihr einer der Soldaten und nickte dem Fahrer zu, der sofort den Motor startete. Unschlüssig sah Aurelia dem wegfahrenden Auto hinterher, bevor sie die Schultern straffte und sich eine braune Strähne hinters Ohr strich.

Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Mit wackeligen Beinen folgte sie dem Soldaten die vielen Eingangstreppen empor und unterdrückte das zitternde Aufkeuchen, als sich die imposante Eingangstür öffnete. Nur zögernd setzte Aurelia einen Schritt nach dem anderen in die Eingangsvilla, in dem Versuch, die aufkommenden Erinnerung zurückzuhalten.

Die von Marmor gezierte Eingangshalle war riesig. Alles hier wirkte imposant, sowie unglaublich teuer.

Und inmitten dieser Halle starrten ihr zwei Augenpaare entgegen, die ihr die Luft zum Atmen nahmen.

Der Offizier Adam Benedetti schaute ihr ausdruckslos entgegen und neben ihm eine Frau, deren Schönheit unverkennbar war. Ihre blauen Augen funkelten voller Feindseligkeit, während das schmale Gesicht ihr eine Eleganz verlieh, die diesem Anwesen würdig war.

Das schwarze Haar hatte sie zu einem strengen Knoten im Nacken gebunden, während ein dunkelblaues Kleid ihre hagere Figur umschmiegte.

Als Aurelia den Blick von ihr löste, konnte sie nicht widerstehen, auch Adam mit unverhohlener Bewunderung zu mustern. Er war zweifellos einer der schönsten Männer, denen sie je begegnet war.

Ein griechischer Gott, der mit seinen dunklen Augen ihren Tod bedeuten konnte.

Nachdem Aurelia die beiden schließlich erreicht hatte, blieb sie zögernd stehen und richtete Livy auf ihrem Arm.

„Hallo“, krächzte sie mit brüchiger Stimme, wobei sie es kaum schaffte, dem harten Blick der offensichtlichen Hausherrin standzuhalten.

„Willkommen in unserem Haus, …?“

„Aurelia“, beendete sie zaghaft den Satz des Offiziers und senkte nun doch den Blick. „Und Livy.“ Sie wusste nicht, was sie erwartete, geschweige denn, was sie mit ihr vorhatten. Allein diese Ungewissheit ließ sie wie auf Eierschalen laufen.

„Aurelia“, wiederholte er mit tiefer Stimme, nickte. Obwohl sein Blick lange auf ihr ruhte und er sie zu erkennen schien, sagte er nichts dergleichen. „Ich bin Adam Benedetti und das ist meine Frau Cecilia. Du wirst fortan bei uns leben und als Kindermädchen für uns arbeiten. Rund um die Uhr.“

Nur langsam drangen seine Worte zu ihr durch, bevor ihr die Bedeutung dieser klar wurde. Aurelia starrte die beiden fassungslos an, während sie versuchte, ihre Gesichtszüge nicht entgleiten zu lassen.

Sie sollte hier als Kindermädchen arbeiten?

Dies klang nahezu nach einer Wohltat, nach dem, was sie im Lager alles erlebt hatte. In einem Haus wie diesem, warmen Betten und fließendem Wasser auf Kinder aufzupassen, klang beinahe zu schön, um wahr zu sein.

Da musste es einen Haken geben.

Adam schien ihre Miene falsch zu deuten und schüttelte langsam den Kopf. „Komm dennoch nicht auf dumme Gedanken. Auch wenn unser Anwesen und der Garten riesig sind, ist alles umzäunt und gesichert. Eine Flucht ist zwecklos.“

Hastig nickte Aurelia.

„Ansonsten kannst du dich hier frei bewegen. Die postierten Soldaten im Außengelände kannst du ausblenden, solange du nicht an einer Flucht interessiert bist. Meine Frau Cecilia ist ebenfalls den ganzen Tag anwesend, kümmert sich jedoch hauptsächlich um ihre Geschäfte. Ich bin viel beruflich unterwegs und deine Aufgabe wird es sein, unsere Kinder 24 Stunden lang zu betreuen.“ Er musterte sie einen Moment lang, bevor er weitersprach. „Ansonsten kannst du innerhalb dieser Mauern tun, was du willst. Iss, wann du willst und was du willst, solange du deinen Aufgaben hinterherkommst.“

Als Aurelia vor Unglauben beinahe Tränen in die Augen stiegen, schüttelte seine Frau warnend den Kopf.

„Aber werde bloß nicht gierig, wir müssen uns unser Essen auch verdienen.“ Das waren die ersten Worte dieser schönen Frau und Aurelia nickte hastig.

Es war zwar nicht die Freiheit, aber die Aussicht auf reichlich Essen, einen warmen Schlafplatz und einen sicheren Ort für ihre Tochter, waren mehr, als sie sich je hätte erträumen lassen.

Dennoch traute sie dem Ganzen bisher nicht.

Hier stimmte etwas nicht.

„Gut, dann wäre das Wichtigste geklärt. Einer meiner Männer zeigt dir gleich dein Zimmer. Vorher kannst du jedoch unsere Jungs kennenlernen.“ Adam wandte sich der Treppe hinter ihm zu.

„Noah, Fynn!“

Beinahe wie auf Kommando hörte Aurelia die kleinen Trippelschritte die Treppe heruntereilen und ihr Herz machte einen Satz. Als die zwei kleinen Jungs strahlend angesaust kamen, kam sie nicht umhin, sie ebenfalls anzustrahlen.

„Herkommen“, zitierte Cecilia ihre Söhne zu sich, wobei sich diese gehorsam zu ihrer Mutter stellten, ohne die neugierigen Blicke von Aurelia zu lösen.

„Das hier ist Noah. Er ist 7 und du wirst ein Auge auf seine Schulnoten haben müssen.“ Cecilia legte ihre Hand auf den braunen Schopf des Älteren, der sie aus großen blauen Augen heraus anlächelte.

„Und das ist Fynn. Er ist 5 und ging bis vor Kurzem noch in einen Kindergarten, aber selbst der musste leider schließen. Auch Noahs Schule ist momentan geschlossen, weil das Personal fehlt.“ Cecilia rollte genervt mit den Augen. „Also unterrichtest du die zwei von zu Hause aus.“

Aurelia nickte und ging in die Hocke, um die beiden zu begrüßen.

Lächelnd nickte sie ihnen zu. „Ich bin Aurelia und das ist meine Tochter Livy.“ Als die beiden Jungs sie anstrahlten, lachte sie.

„Ich denke, wir werden eine Menge Spaß haben.“

„Ich hoffe, dabei lernen die beiden auch was“, schnitt Cecilia ihr hart das Wort ab und Aurelias Lächeln gefror.

„Ja, natürlich, ich …“, versuchte sie sich zu erklären, als Fynn ihr gerade albern die Zunge herausstreckte. Bevor Aurelia den Satz beenden konnte, stieß Cecilia ihren Sohn heftig gegen den Kopf.

„Zunge rein, Fynn! Das will ich nicht noch einmal sehen.“

Entsetzt zuckte Aurelia zusammen und senkte den Blick.

Hier schien ein anderer Ton zu herrschen.

Vielleicht war sie auch der Haken an der Sache …

Langsam schaute Aurelia zu Adam, der die ganze Szene ungerührt beobachtete. Nur die heftig hervorstehende Halsschlagader könnte davon zeugen, dass es ihn vielleicht doch wütend machte, wie seine Frau mit den beiden Jungs umging.

Doch bevor sie sich dieser Frage widmen konnte, erschien einer der Soldaten hinter ihr und nickte.

„Komm, ich zeige dir dein Zimmer.“

Unsicher wandte Aurelia sich ihren Hausherren zu, die zustimmend nickten.

Also folgte sie dem Soldaten, nachdem sie den beiden Jungs noch einmal verschwörerisch zugezwinkert hatte.

„Noah, bitte! Nur noch diese Aufgabe“, versuchte Aurelia den bockigen Siebenjährigen dazu zu überreden, die letzte Matheaufgaben des Tages zu erledigen.

Sie saßen alle gemeinsam im Wintergarten, während sie mit Noah und Fynn unterschiedliche Aufgaben löste. Draußen stürmte es bereits seit den frühen Morgenstunden, wodurch der Winter richtig angekommen war.

Fröstelnd zog Aurelia ihre Strickjacke enger um sich. Adam hatte ihr eine ganze Ausstattung normaler Alltagskleidung gegeben, was ihr beinahe die Tränen in die Augen getrieben hatte. Nach eineinhalb Jahren endlich etwas anders zu tragen als die Arbeitskleidung des Lagers war mehr, als ihr geschundenes Herz ertragen konnte.

„Ich habe aber keine Lust mehr“, stöhnte Noah, während er sich auf den Rücken fallen ließ. Genervt starrte er an die Glasdecke.

„Ich weiß“, seufzte Aurelia und schob die Arbeitsblätter zusammen. Sie hatte die beiden Kleinen wirklich schnell liebgewonnen und sie waren ebenso goldig, wie frech. Doch an Ehrgeiz und Wissbegierigkeit mangelte es ihnen eindeutig.

„Fynn, wie sieht es-“ Aurelia wandte sich Fynn zu, der eigentlich ein Arbeitsblatt mit Zahlen ausmalen sollte. Stattdessen erwischte sie ihn dabei, wie er sich gerade über die lachende Livy beugte, um ihr immer wieder spielerisch den Teddy ins Gesicht zu wedeln.

Aurelia konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Es waren Kinder und am liebsten würde sie die beiden auch behandeln, wie welche. Natürlich hatten sie keine Lust, den halben Tag nur zu lernen und auch im Anschluss daran noch etliche Privatstunden bei Musiklehrern zu nehmen.

Doch der Zorn von Cecilia war definitiv schlimmer.

Aurelia wohnte nun seit zwei Wochen bei der Familie Benedetti und konnte ihr Glück kaum fassen. Es gab reichlich Essen, warme Zimmer, saubere Kleidung und auch ihr eigenes Zimmer war ein Traum. So viele Monate hatte sie auf engstem Raum mit etlichen Frauen gelebt, sich auf einer harten Pritsche den Rücken geschunden und Streitigkeiten um das Bad ausgetragen. Dass sie nun ein ganzes Zimmer mit bodentiefen Fenstern, einem Doppelbett für sich alleine und einem Babybett für Livy hatte, fühlte sich an wie ein Traum. Die dichten beigefarbenen Vorhänge verliehen dem geräumigen Zimmer dabei Gemütlichkeit, während sich der Stuck des restlichen Hauses auch an der Decke ihres Zimmers weiterzog.

Aurelia lebte wie eine Königin und selbst Livy hatte Kleidung, Spielzeug und Hygieneartikel erhalten. Dinge, von denen sie im Lager nicht einmal zu träumen gewagt hatte.

Natürlich kümmerte Aurelia sich selbst täglich um das Essen, die saubere Kleidung und den Hausputz - neben der Kinderbetreuung. Irgendwie war sie ein Mädchen für alles geworden.

Doch sie liebte es.

Liebte es, ein wenig Freiheit in den Wänden ihres Gefängnisses zu erhalten. Hier wurde sie nicht permanent beobachtet; niemand schrieb ihr etwas vor, solange ihre Arbeiten gewissenhaft erledigt wurden und niemand drohte ihr damit, ihr Livy zu entziehen.

Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie dieses Leben der Freiheit beinahe vorziehen.

Cecilia war jedoch der Haken.

Wie bereits angekündigt, begegnete sie Adam nahezu gar nicht. Er schien sehr viel zu arbeiten und wenn er da war, gab er ihr frei, um seine Zeit mit den Kindern zu verbringen. Was Cecilia den ganzen Tag über tat, erschien Aurelia jedoch wie ein Rätsel. Sie verschwand meist für mehrere Stunden in ihren Räumen, nur um dann einzig und allein herauszukommen, um ihre Kinder zu kontrollieren. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihre Kinder auch lernten, verschwand sie erneut.

Jedoch nicht, ohne einen der beiden oder Aurelia vorher zurechtzuweisen.

Die Herrin des Hauses hatte immer etwas auszusetzen und Aurelia setzte alles daran, ihr möglichst aus dem Weg zu gehen. So schön wie sie war, so böse schien ihr Inneres zu sein.

Und Aurelia hatte bereits einmal Bekanntschaft mit dem Teufel gemacht, das brauchte sie kein weiteres Mal.

Verträumt beobachtete sie Fynn und Livy beim Spielen, als ein dicker Regentropfen das Glasdach traf. Als Aurelia ihren Blick hob, folgten bereits die nächsten und binnen weniger Sekunden regte es einen ganzen Bach herunter.

„Ha!“, rief Noah, als er hastig auf die Beine sprang. „Komm, Fynn!“

Wie auf Kommando warf Fynn das Kuscheltier zur Seite, um ebenfalls in die Höhe zu schießen. Bevor Aurelia verstand, was vor sich ging, rannten die beiden zu der Wintergartentür und rissen diese auf.

Kalte Luft wirbelte durch den beheizten Raum, während der Regen gegen die Fenster peitschte.

„Jungs, was habt ihr vor?“, rief Aurelia verwirrt und erhob sich, als die beiden plötzlich barfuß in den Regen rannten.

„Hey!“, rief sie panisch und stürmte hinterher.

Vor Freude kreischend, rannten die beiden über die riesige Rasenfläche des Gartens; legten die Köpfe in den Nacken, um den Regen in ihrem Gesicht zu spüren. Aurelia bemühte sich, die beiden einzuholen, ohne auszurutschen und verfluchte die beiden Flöhe innerlich.

Der Regen peitschte ihr tosend ins Gesicht, wobei sie innerhalb weniger Sekunden bis auf die Knochen durchnässt war.

Als sie die beiden erreichte, drehten sie sich gerade lachend und mit geschlossenen Augen im Regen.

„Hey!“, rief Aurelia über den Regen hinweg und griff nach ihren Armen, um sie zu stoppen. „Was soll das? Kommt sofort wieder rein, ihr werdet noch ganz krank!“

Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, wenn sie daran dachte, welch einen Zorn sie auf sich ziehen würde. Sie kannte die Strafen von Cecilia bisher nicht und wollte sie auch nicht austesten.

„Bitte, Aurelia!“, jammerten die Jungs nahezu synchron, die großen Augen flehend zu ihr emporschauend.

Aurelia schüttelte heftig den Kopf. Die Jungs hatten keine Ahnung, was ihr blühen würde. Bei dem bloßen Gedanken daran, von Cecilia ausgepeitscht oder geschlagen zu werden, wurde ihr übel.

Diese Frau kannte sicher keine Gnade.

„Mama erlaubt uns nie, im Regen zu tanzen! Wir haben das immer gemacht, als M-“

„Pscht!“, grätschte Noah seinem Bruder kopfschüttelnd ins Wort. „Wir reden nicht über sie.“

„Über wen?“, fragte Aurelia verwirrt, doch Noah schüttelte erneut entschlossen den Kopf.

„Niemanden. Aber bitte, tanz einfach mit uns im Regen … bitte, Aurelia.“ In seinen Augen lag ein Schmerz, den kein Siebenjähriger fühlen sollte. Und obwohl sie die Wichtigkeit dieser Aktion nicht verstand, brach es ihr das Herz, wie wertvoll es den Jungs zu sein schien.

Und dass Cecilia es auf irgendeinem Grund verbot.

Unsicher ging ihr Blick zum Haus, während sie weiterhin im Regen standen.

Normalerweise hätten sie noch eine Stunde Zeit, bis ihre Mutter wieder eine Kontrolle durchführte.

Als ihr Blick wieder auf die niedergeschlagenen Jungs traf, schluckte sie ihre eigenen Ängste herunter und nickte.

„Lasst uns tanzen!“, lachte sie und griff nach ihren Händen, um sich gemeinsam im Regen zu drehen.

Lachend warfen die Jungs ihre Köpfe in den Nacken, als sie erneut begannen, im Regen zu tanzen. Auch Aurelia ließ sich von dem ausgelassenen Treiben der Kinder anstecken und tanzte kichernd unter dem tosenden Regen.

Als Fynn heftig in eine Pfütze sprang und ihm dabei das gesamte Wasser in das Gesicht spritzte, konnte Aurelia sich vor Lachen kaum noch halten.

All das war so bizarr, wie schön. So nah war sie dem Gefühl der Freiheit eine Ewigkeit nicht mehr gewesen.

Die Jungs tanzten nun voller Freude um sie herum, als auch sie den Kopf in den Nacken legte; den Regen spürte, ohne eine Waffe in ihrem Rücken.

In diesem Moment füllte sich ihr Herz mit so viel Freude, wie sie es gar nicht mehr zu spüren geglaubt hatte. Dieser Augenblick fühlte sich wie Freiheit an, während sie unter dem offenen Himmel tanzte und lachte, wie sie schon lange nicht mehr gelacht hatte.

Als sie die Augen lächelnd wieder öffnete, begegnete sie Adams starren Blick und erstarrte. Stumm musterte er sie, während er in der Wintergartentür stand und sie beobachtete. Seine Miene regte sich nicht, als sie stolpernd zum Stehen kam und ängstlich nach Luft schnappte.

So schnell, wie sie das Glück überkommen hatte, so schnell brach es auch wieder zusammen.

Hektisch griff Aurelia nach den Jungs, um sie so zum Anhalten zu bringen.

„Hey!“, riefen beide protestierend, doch ihre Angst hatte längst Besitz von ihr ergriffen. Sie spürte seinen brennenden Blick auf sich, während sie die Jungs heftig mit sich zog.

„Genug, wir gehen rein!“, entschied sie mit zitternder Stimme, den zeternden Widerstand an ihren Armen ignorierend. Ihr Herz raste ihr bis zum Hals, als sie Adam entgegen stapfte und seine Söhne hinter sich herzog.

„Geht hoch und zieht euch um, ich komme gleich!“, raunte sie den beiden zu, bevor sie diese vorwärts stieß, um sich ihrem Schicksal zu stellen. Und so clever wie sie waren, schlossen sie tatsächlich wortlos an ihrem Vater vorbei, ohne ihn anzusehen und so seinen Zorn auf sich zu lenken. Dabei verteilten sie eine riesige Pfützenspur im ganzen Haus, die ihr die Nackenhaare aufstellten.

Das musste sie beseitigen, bevor Cecilia jeden Moment herunterkam.

Endlich erreichte auch Aurelia die Tür und Adam machte schweigend einen Schritt zur Seite, um sie einzulassen.

Keuchend stürmte sie herein und schloss heftig die Tür hinter sich, um den tosenden Sturm auszuschließen. Auch unter ihren Füßen bildete sich eine ausschweifende Wasserlache, während ihre Kleidung durchnässt an ihrem zitternden Körper klebte.

Als sie nun den Blick zu Adam hob, zitterte sie jedoch nicht vor Kälte.

Sondern vor seinem Zorn.

Sein Blick schien völlig ungerührt, wäre dort nicht der fest zusammen gebissene Kiefer und der angespannte Mund. Ihr Herr war wütend.

„Ich … es …“, stammelte Aurelia panisch, während sie versuchte, zu Atem zu kommen. „Es tut mir leid, ich ...“ Ihr Blick fiel auf Livy, die hinter Adam auf ihrer Decke lag.

Hinter Adam.

Augenblicklich schoss Panik durch ihren Körper; die Angst, er würde sie durch ihre Tochter bestrafen, traf sie unverhofft. Entsetzt schnappte Aurelia nach Luft und eilte ohne jedes weitere Wort zu Livy.

Ihre Tochter strahlte sie an, während sie diese ängstlich an sich drückte, um sich wieder Adam zuzuwenden.

Wenn sie eine Strafe bekäme, dann ohne Livy.

Als sie ihn jedoch wieder ansah, glaubte sie in seinem Blick so etwas wie Neugier zu erkennen, während er sie schweigend musterte.

„Bitte - bestraft mich. Aber nicht sie“, flüsterte Aurelia nun mit brüchiger Stimme und senkte den Blick. Sie kannte ihn nicht noch viel weniger Cecilia.

Woher sollte sie wissen, wozu sie imstande waren, wenn sie sich ihnen widersetzte?

Wären sie in der Lage, einem kleinen Baby etwas anzutun, um sie zu bestrafen?

Nach ihrer Zeit im Lager traute Aurelia den Menschen alles zu und sie wollte es nicht herausfinden.

„Steh auf“, befahl er in einem ruhigen Ton und sie tat, was er befahl. Sie traute sich nicht, den Blick zu heben, während sie auf seine nächsten Worte lauschte und sich verzweifelt an Livy klammerte.

Plötzlich spürte sie seinen Finger unter ihrem Kinn und zuckte erschrocken zusammen.

Beinahe sanft zwang er sie so, ihn anzusehen und Aurelia hob langsam den Blick. Wie gelähmt starrte sie ihm entgegen; brachte kein weiteres Wort mehr heraus.

Die Hinrichtungen, die Auspeitschungen, die ständige Angst vor dem Tod - all das hatte sie kennengelernt. Doch die Furcht davor, es nun noch schlimmer zu treffen, ließ sie nahezu ohnmächtig werden.

„Du bist hier sicher, Aurelia“, sagte er, während sich sein Blick unheilvoll verschleierte. „Dir wird hier nichts passieren. Aber versprich mir eins.“ Abwartend schaute er sie an, bis sie heftig nickte und ihre Augen nicht von ihm lösen konnte.

„Geh nie wieder vor jemandem auf die Knie. Und jetzt geh.“

Dies ließ Aurelia sich nicht zweimal sagen. Heftig nickte sie, griff nach Livys Decke und rannte so schnell die Treppe hinauf, wie es ihre vor Tränen verschleierte Sicht zuließ.

Ohne zu verstehen, was genau er gerade gemeint hatte.

Unruhig starrte sie an die Decke, während sie Livys gleichmäßigem Atem horchte und versuchte, ihren grummelnden Magen zu ignorieren.

Aurelia hatte es an diesem Tag erneut nicht geschafft, nach dem Frühstück etwas zu sich zu nehmen und ihr Magen schien ihr gerade klarmachen zu wollen, dass es so nicht mehr weiterging. Meist fand sie einfach keine Zeit, etwas zu essen.

Nachdem sie mit den Jungs gefrühstückt hatte, begann auch schon der tägliche Unterricht. Während sie damit beschäftigt waren, kümmerte sich Aurelia um Livy, die immer mehr die Welt entdecken wollte.

Nach dem Lernen gab es das Mittagessen, bei dem sie sich um die Wäsche kümmerte, während die Jungs und Livy aßen. Danach folgte der Nachmittag, an dem sie putzte oder Animation für die Kinder lieferte.

Am Abend nutzte sie die Zeit des Abendessens dafür, aufzuräumen und den Haushalt zu machen, während die Jungs aßen. Anschließend brachte sie alle Kinder ins Bett und bis diese Rabauken schliefen, war sie selbst derart müde, dass sie nahezu im Stehen einschlief.

Mittlerweile verlief beinahe jeder Tag auf diese Weise, wodurch sie einfach keine Zeit fand, selbst etwas zu sich zu nehmen. Zu groß war die Angst, dadurch etwas anders nicht ordnungsgemäß zu schaffen und den Vertrauensbonus ihrer Hausherren damit zu verspielen.

Doch sie musste essen, dessen war sie sich bewusst.

Aurelia unterdrückte ein Seufzen und schälte sich vorsichtig aus ihrem Bett, in dem Livy seelenruhig weiterschlief. Obwohl sie fürchtete, bestraft zu werden, wenn sie sich mitten in der Nacht am Kühlschrank bediente, siegte in diesem Moment der Hunger. Dabei konnte sie nur hoffen, dass dies vielleicht die einzige Zeit des Tages war, an dem sie der Hexe des Hauses nicht begegnen würde.

So leise wie möglich schlich sie durch das große Zimmer, bevor sie behutsam die Tür aufzog, um hinauszuspähen.

Im Haus war es totenstill und sie biss sich unschlüssig auf die Lippe.