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"Du musst dich nicht vor den Schatten fürchten. Ein Schatten bedeutet nur, dass hinter dir ein Licht brennt." Eleonora lebt in einer Welt, die einst durch magische Portale mit anderen Welten verbunden war. Als Tochter eines Magiers und einer Elfe vereint sie zwei unterschiedliche Kräfte, ist mächtig und gehört doch zu keinem Volk. Mit der Aufnahme auf die Akademie der Magie erhofft sie sich nicht nur, ihre Kräfte unter Kontrolle zu bekommen, sondern auch, endlich akzeptiert zu werden. Als sie jedoch von einem mysteriösen Schatten angegriffen wird und hinter ein lange gehütetes Familiengeheimnis kommt, ist die anfängliche Ablehnung ihrer Mitschüler ihr geringstes Problem. Wird es ihr gelingen, ihre Welt vor der Dunkelheit zu bewahren?
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Seitenzahl: 718
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Landkarte
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Epilog
Geschichte
Dank
B. E. Pfeiffer
Die Weltportale
Band 1
Fantasy
Die Weltportale (Band 1)
»Du musst dich nicht vor den Schatten fürchten. Ein Schatten bedeutet nur, dass hinter dir ein Licht brennt.«
Eleonora lebt in einer Welt, die einst durch magische Portale mit anderen Welten verbunden war. Als Tochter eines Magiers und einer Elfe vereint sie zwei unterschiedliche Kräfte, ist mächtig und gehört doch zu keinem Volk. Mit der Aufnahme auf die Akademie der Magie erhofft sie sich nicht nur, ihre Kräfte unter Kontrolle zu bekommen, sondern auch, endlich akzeptiert zu werden.
Als sie jedoch von einem mysteriösen Schatten angegriffen wird und hinter ein lange gehütetes Familiengeheimnis kommt, ist die anfängliche Ablehnung ihrer Mitschüler ihr geringstes Problem. Wird es ihr gelingen, ihre Welt vor der Dunkelheit zu bewahren?
Die Autorin
Bettina Pfeiffer wurde 1984 in Graz geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Baden bei Wien.
Seit ihrer Kindheit liebt sie es, sich Geschichten auszudenken. Besonders als Ausgleich zu ihrem zahlenorientierten Hauptjob taucht sie gern in magische Welten ab und begann schließlich, diese aufzuschreiben. So entstand recht schnell die Idee für die ›Weltportale‹ und andere magische Geschichten im Genre Fantasy/Romantasy.
Inspiration findet sie dafür immer wieder durch ihre Kinder, mit denen sie gern auf abenteuerliche Entdeckungsreisen geht.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, Juli 2018
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2018
Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski | Kopainski Artwork
Lektorat: Martina König | Sternensand Verlag GmbH
Korrektorat: Jennifer Papendick | Sternensand Verlag GmbH
Satz: Corinne Spörri | Sternensand Verlag GmbH
ISBN (Taschenbuch): 978-3-906829-92-0
ISBN (epub): 978-3-906829-91-3
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für meine Kinder,
deren Träume mir
mein Licht zurückgegeben haben.
Für all jene,
die nach ihrem Licht suchen.
Ein helles Licht mit klarem Strahl
Erschuf ein ums andere Portal.
Es verband die Welten mit der Erde,
Auf dass sie von allen Völkern behütet werde.
Bedrohlich lauerte ein Schatten in der Dunkelheit,
Wurde von Gier und Neid aus seinen Ketten befreit.
Nur fünf Völker standen vereint,
Bekämpften Seite an Seite diesen düsteren Feind.
Den Sieg errangen sie, war der Preis auch hoch.
Jedoch … Verborgen lauert der Schatten immer noch …
Niemals hätte sie gedacht, dass sie irgendwann auf diesem Platz sitzen würde. Mit einem beklommenen Gefühl blickte Eleonora auf die magische Uhr an der Wand. Es war ein Stundenglas, gefüllt mit glänzendem Sand, wie es an der Akademie der Magie verwendet wurde, um den Tag in Stunden zu unterteilen.
Je näher das Ende einer Stunde kam, desto dunkler färbte sich der Sand im oberen Teil der Uhr. War eine Stunde zu Ende, so blieb eine Farbschicht am unteren Teil des Stundenglases zurück und der obere Teil füllte sich von Zauberhand mit hellem Sand auf. Je mehr Schichten sich unten befanden, umso mehr Stunden waren an diesem Tag vergangen.
Diese Zeiteinteilung war eigens für die Akademie entwickelt worden, da es ansonsten unmöglich gewesen wäre, den Unterricht passend zu bemessen. Überall auf dem Gelände der Akademie sowie in den Wohnhäusern der Schüler befanden sich solch magische Stundengläser. Dennoch wirkte es ungewohnt für sie, da sie sich bisher immer nur am Tageslicht orientiert hatte.
Eleonora zählte die Schichten nun schon zum fünften Mal: sieben. Der verbliebene Sand im oberen Teil wirkte sehr dunkel. Bald würde die neunte Stunde beginnen. Sie hatte zugeschaut, wie der Sand sich bereits einmal erneuert hatte. Elfen waren gern pünktlich und da Eleonora nicht gewusst hatte, wie lange sie zum Büro der Direktorin brauchen würde, war sie viel zu früh hier gewesen.
Sie rutschte ein wenig nervös auf der Lederbank umher, die im Gang vor einer imposanten Tür stand. Was sie wohl hier erwarten würde? Ob sich ihre Hoffnungen erfüllen würden? Aber was glaubte sie wirklich, hier zu finden?
In Gedanken versunken, zog sie das Amulett unter ihrem Kleid hervor und fuhr sanft mit den Fingern über das Schmuckstück. Es handelte sich um einen runden silbernen Anhänger, der die Phasen des Mondes darstellte – vom Neumond bis zum Vollmond und wieder zurück. Außerdem zierten fünf Sterne eine Hälfte ihres Amuletts. Kunstvoll waren die Details ausgearbeitet und mit kostbaren kleinen Edelsteinen verziert.
Den Elfen war der Mond heilig, denn sie lebten mit ihm, ähnlich wie es die Lunara, das Mondvolk, einst getan hatten. Bei ihrem Anhänger handelte es sich um ein Geschenk zu ihrer Geburt und sie hatte die Kette seitdem stets als Talisman bei sich getragen. Das Amulett gab ihr Ruhe und Mut, so fern von der Heimat, und ein Stück Geborgenheit in diesen ungewissen Momenten.
Endlich war der ganze Sand durchgelaufen und noch ehe der obere Teil wieder wie von Geisterhand aufgefüllt wurde, öffnete sich die schwere Tür und eine finster dreinblickende ältere Frau trat heraus.
»Wie gut, Sie sind pünktlich«, murmelte sie als Begrüßung und verschwand wieder im Raum, ohne die Tür zu schließen.
Eleonora erhob sich. Sie nahm an, dass dies ihre Art war, ihr zu sagen, dass sie eintreten durfte. Sie folgte ihr, schloss lautlos die Tür hinter sich und sah sich im Raum um: ein großes Büro mit dunkelroten Tapeten, schweren Vertäfelungen und Samtvorhängen, einer Verbindungstür an der Wand links und einem massiven Schreibtisch aus dunklem Holz rechts. An dem Schreibtisch saß die Frau und wirkte ungeduldig.
»Setzen Sie sich endlich«, herrschte sie Eleonora mürrisch an und öffnete eine Akte.
Schweigend trat das Mädchen an einen der Stühle heran und nahm so anmutig wie möglich Platz. Sie hätte gern die kunstvollen Schnitzereien und den weichen Samt eingehender betrachtet, doch sie traute sich nicht, die Frau noch weiter zu verärgern.
Diese musterte sie voller Missgunst, ehe sie einen Stift aufnahm und sich unfreundlich vorstellte. »Ich bin Madame Graie, die Assistentin der Direktorin. Sie dürfen mich mit Madame oder Lady ansprechen.«
»Ja, Madame«, antwortete Eleonora kleinlaut. Sie wusste instinktiv, mit dieser Frau sollte sie sich nicht anlegen.
»Gut«, meinte die Lady und blickte wieder auf die Akte vor sich, was Eleonora die Möglichkeit gab, die Frau eingehender zu mustern.
Sie war, wie ihre Mutter gesagt hätte, eine aus dem alten Volk. Wenn ihre Mutter das sagte, musste es etwas bedeuten. Schließlich war sie eine Elfe, und die Elfen wurden von den Menschen oft als altes Volk bezeichnet. Aber Lady Graie schien keine Elfe, sondern eine Aurone zu sein. Ihre Haut schimmerte leicht golden, ebenso wie ihr Haar, und auf ihrer Stirn war ein Zeichen, das vermutlich nur wenige Menschen sehen konnten: eine strahlende Sonne, die ähnlich golden schimmerte wie ihre Haut.
Wäre sie ein Mensch, wäre sie nach ihrem Äußeren zu schließen vermutlich um die siebzig Jahre alt gewesen. Doch Auronen waren unsterblich.
Daher nahm Eleonora an, dass sie um die zehntausend Erdenjahre alt sein musste.
Nach einer gefühlten Ewigkeit blickte Lady Graie wieder auf. »Haben Sie Ihre magischen Begabungen erst jetzt entdeckt, Miss Etoille?«
»Nein, Madame. Sie waren schon bei meiner Geburt zu erkennen.«
»Ich hätte auch nichts anderes von der Tochter einer Elfe und eines Magiers erwartet«, murmelte die Aurone ungeduldig und fuhr lauter fort: »Weswegen kommen Sie dann erst jetzt, wo wir Ihnen seit rund zehn Jahren Einladungen schicken?«
Der Tonfall der Lady gefiel Eleonora nicht. Sie senkte den Blick und überlegte, welche Antwort sie ihr geben sollte.
Sie war vor drei Monden sechzehn Erdenjahre alt geworden und vermutlich schon zu alt, um an der Akademie für Magie zu beginnen.
Doch es war nicht ihre Entscheidung gewesen, so lange nicht auf die Einladungen der Schule zu reagieren. Ihr Vater, Lordor der Gerechte, hatte sofort freudig zugestimmt, als vor rund zehn Jahren der erste Brief der Akademie eingetroffen war. Die Akademie bildete seit Generationen Magier, Elfen, Menschen und früher auch Lunara und Auronen aus und lehrte das Wissen aller Völker, die einst auf der Erde zusammengefunden hatten.
»Es ist eine großartige Schule mit hervorragenden Lehrkräften«, hatte er betont und Eleonora hatte den Stolz in seinem Blick erkennen können.
Doch ihre Mutter war dagegen gewesen, sie auf die Akademie zu schicken. Sie hatte keinen Grund genannt, die Einladung stumm zerrissen und kein Wort mehr darüber verloren, bis im Jahr darauf die nächste Einladung gekommen war.
Doch in diesem Jahr war es anders gewesen. Eleonora war anders gewesen.
Lady Graie räusperte sich und riss Eleonora aus ihren Überlegungen. »Haben Sie keinen guten Grund, Miss Etoille?«, fragte sie gereizt.
»Nun, zumindest keinen, von dem ich glaube, dass er Sie zufriedenstellen könnte, Lady«, antwortete Eleonora mutig und staunte selbst über ihre kühne Aussage.
Die Aurone verzog keine Miene und notierte etwas in der Akte, ehe sie aufstand und zu der Verbindungstür ging. Bevor sie klopfte, drehte sie sich zu Eleonora um. »Wenn Sie dann mitkommen würden«, schnaubte sie unfreundlich.
Eleonora erhob sich und wartete geduldig hinter der Lady, bis diese anklopfte und die Tür öffnete, ohne auf eine Antwort zu warten.
»Ah, Lady Graie. Und Eleonora aus dem Haus Etoille, nehme ich an?«
Eine Frau stand neben einem Bücherregal und lächelte freundlich.
Das Zimmer sah ganz anders aus als das Büro der Assistentin. Die Fenster wirkten deutlich größer und die Wand war hell gestrichen. Bei der Vertäfelung handelte es sich jedoch um eine ähnliche wie im Zimmer der Lady. Überall standen Bücherregale und Zauberutensilien wie magische Atlanten, die vermutlich leuchteten, wenn man sie berührte. Schwere Aktenschränke vervollständigten das Bild. Die gesamte Einrichtung wirkte einladend und doch Respekt gebietend.
Eleonora konnte den Blick nicht von der Frau abwenden, die vor ihr stand. Sie war groß und schlank, ihr Haar feuerrot und ihre Augen wirkten fast purpurfarben. Es war nicht zu übersehen, dass die Direktorin aus dem Volk der Magier entstammte. Sie lächelte gewinnend und wirkte dadurch jünger, als sie vermutlich war.
Aus ihrer Haltung schloss Eleonora, dass sie es gewohnt war, Anweisungen zu erteilen, und selbstsicher durchs Leben schritt. Einer solchen Frau brachte man Respekt entgegen, ohne dass sie ihn einfordern musste. Trotz alledem wirkte sie gütig und freundlich.
Wieder war es Lady Graie, die durch ihr Räuspern Eleonoras Gedanken unterbrach. »Ja, so ist es, Madame Valeria. Hier ist ihre Akte.« Sie überließ die Unterlagen und Eleonora der Obhut der Direktorin und ging grußlos in ihr Büro zurück.
Die Magierin lächelte Eleonora aufmunternd zu und bedeutete ihr, auf einem der Stühle neben dem Bücherregal Platz zu nehmen.
Als Eleonora saß, setzte sich auch Direktorin Valeria, die Akte studierend. Es schien der jungen Frau, als würden endlose Stunden vergehen, ehe die Direktorin aufsah und fragte: »Ich sehe, du hast Lady Graie den Grund nicht genannt, warum du bisher keiner unserer Einladungen gefolgt bist.« Sie schloss die Akte. »Würdest du ihn mir verraten?«
Die Direktorin wirkte so entspannt, dass Eleonora ermutigt wurde, dieser Frau ihre Geschichte anzuvertrauen. Nervös zog sie ihr Amulett heraus, wie sie es immer tat, wenn sie nach den richtigen Worten suchte. »Nun, Sie wissen ja, dass meine Mutter eine Elfe ist und mein Vater Magier.«
»Das ist mir wohl bekannt. Deswegen war es uns auch wichtig, dich in unserem Kreis aufzunehmen. Es kam in der Geschichte dieser Welt nicht oft vor, dass ein Magier und eine Elfe sich finden und ein Kind aus der Beziehung hervorgeht. Aus irgendeinem Grund haben sich diese beiden Völker nie wirklich verstanden.«
Das Mädchen nickte zaghaft.
»Aber bitte fahr fort«, ermutigte Valeria sie.
»Ja, Madame. Ich weiß noch, dass wir anfangs bei meinem Vater und den Magiern lebten. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran, doch irgendetwas ist dort vorgefallen und meine Mutter wollte fortan nicht mehr, dass ich in die Nähe von Nicht-Elfen komme. Sie meinte, dass diese Akademie für Elfenkinder bisher nichts als Kummer bedeutet habe, da die Abneigung gegen Elfen immer noch sehr groß sei.«
»Denkst du das auch?«
»Was, Madame?«
»Dass die Abneigung gegen Elfen groß ist?«
Eleonora sah in die wachsamen Augen der Direktorin. »Ich weiß es nicht, Madame. Ich habe das Reich der Elfen seit Jahren nicht mehr verlassen.«
»Bist du sicher?«
Die Halbelfe schluckte unbehaglich und hielt nur mit Mühe dem Blick von Valeria stand, ohne zu antworten.
»Ich habe gehört, dass es in der Nähe des Reichs von Tingal eine Elfe gibt, die Menschen hilft. Allerdings sind sie sich nicht sicher, ob es tatsächlich eine Elfe ist, denn sie sieht nicht wie eine aus.«
Eleonora senkte den Blick.
Vorsichtig fragte Valeria weiter: »Kann es sein, dass du diese Elfe bist?«
Zögerlich hob Eleonora ihren Blick wieder und versuchte, der Direktorin erneut in die Augen zu sehen. »Ja«, hauchte sie nervös.
Valeria nickte stumm, öffnete die Akte auf ihrem Schoß und notierte etwas. »Warum hast du den Menschen geholfen?«
»Weil es sonst keiner getan hätte. Sie waren krank und arm. Ich hätte es nicht über mich gebracht, ihnen nicht zu helfen«, flüsterte Eleonora.
Herausfordernd hob Valeria den Blick. »Aber es sind doch Menschen. Die Elfen misstrauen ihnen. Warum hattest du also Mitleid?«
Die Halbelfe zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie wahrheitsgemäß und Valeria schrieb erneut in die Akte.
»Weiß jemand von den Elfen davon?«, wollte die Direktorin wissen, ohne aufzusehen.
»Nun, meine Mutter und unser Fürst, Theodor, denn ich musste ihn um Erlaubnis bitten.«
»Und er hat dich gewähren lassen?«
»Er war anfangs dagegen. Aber meine Mutter konnte ihn umstimmen.« Eleonora seufzte und verspürte tiefe Sehnsucht bei dem Gedanken an ihre Mutter.
»Was ihr als seine Tochter nicht schwergefallen sein dürfte. Wie ist dein Verhältnis zu Theodor?«, wollte Valeria weiter wissen.
Eleonora ließ die Schultern sinken. »Ich denke, er akzeptiert mich, weil ich die Tochter seiner Tochter bin. Aber ich glaube, er ist nicht unglücklich, dass ich das Fürstentum verlassen habe.«
Wieder nickte Valeria, ohne ein Wort zu sagen, und notierte etwas.
Eleonora schluckte und ließ ihre Finger über das kühle Metall der Kette gleiten. Sie wollte nicht noch mehr Fragen über ihre Familie beantworten.
Abgesehen von ihrer Mutter und dem Fürsten hatte kaum ein Elf mit ihr gesprochen. Sie war ihnen nicht geheuer, denn obgleich sie ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, hatte sie keine Merkmale einer Elfe. Sie war nicht klein und zierlich, sondern groß und hatte bereits weibliche Rundungen, wie es eher für Menschen und Magier üblich war. Ihre Ohren waren dafür recht klein und kaum spitz, was man unter ihrem langen dunkelbraunen Haar nicht erkennen konnte. Nur ihre Augen besaßen eine helle Farbe wie die der Elfen. Allerdings nicht immer, denn manchmal wirkten sie fast so dunkel wie ihr Haar. Ihre Mutter hatte sie dann immer herzlich in den Arm genommen, denn es war ein Zeichen dafür, dass Eleonora traurig war. Sie hatte sie an sich gedrückt und immer lächelnd gesagt, dass sie ihrem Vater mit seinen dunklen Magieraugen dann sehr ähnlich sähe.
Endlich schaute Valeria wieder auf. »Erlaube mir die Frage, warum deine Mutter jetzt zugestimmt hat, dass du hierher an die Akademie kommst.«
Eleonora seufzte erneut und schloss die Augen. Sie hatte befürchtet, dass sie nach dem Grund für die plötzliche Zustimmung gefragt werden würde. Insgeheim hatte sie aber gehofft, nicht näher darauf eingehen zu müssen.
Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie Valeria warmherzig lächeln. In dem Moment wurde ihr bewusst: Auch wenn Direktorin Valeria eine Nicht-Elfe war, konnte sie ihr vertrauen.
»Meine Kräfte sind jene der Elfen und jene der Magier«, antwortete sie vorsichtig. »Ich lernte schon früh, zu heilen, wie es die Elfen können, und die Naturgeister um Hilfe zu bitten. Mein Vater war oft im Auftrag des Magierkönigs Seratus unterwegs. Mir wurde also nur wenig über den Umgang mit der offensiven Zauberkunst der Magier beigebracht. Sie war bei mir auch nur sehr schwach ausgeprägt. Bis vor wenigen Monden …«
Eleonora schluckte und blickte Valeria zögerlich an. Doch diese lächelte immer noch so warm wie zuvor.
Also fuhr die Halbelfe mit zitternder Stimme fort: »Vor einigen Monden bin ich wieder in ein Menschendorf gerufen worden. Ein Kind war schwer erkrankt und ich half ihm mit meinen Heilkräften. Seine Eltern waren mir sehr dankbar, doch einige andere Menschen begannen, mich zu beschimpfen. Sie riefen mich ›unnütze Waschmagierin‹ und warfen Dinge nach mir. Einige begnügten sich mit faulem Obst, andere nahmen Steine und ich sah sogar Messer aufblitzen. Ich hatte Angst. Und dann …« Sie schloss die Augen erneut, das Bild der wütenden Menschen in ihrem Kopf. »Ich weiß nicht, wie es passiert ist, aber auf einmal flogen Blitze durch den Raum. Ich dachte, es wäre mein Vater, der nach mir gesucht hätte. Doch das waren meine Kräfte. Ich konnte sie nicht kontrollieren. Ich konnte nur warten, bis sie aufhörten. Danach bin ich aus dem Menschendorf geflohen.«
Valeria nickte wieder stumm und ihr Blick wurde nun mitfühlend. »Die Menschen haben dir Angst gemacht und deine Kräfte haben dich beschützt«, schlussfolgerte sie leise, den Blick nicht von Eleonora abwendend.
Diese nickte. »Ich habe es natürlich sofort meiner Mutter und … dem Fürsten erzählt. Meine Mutter meinte, ich dürfe nie wieder zu den Menschen gehen, doch Theodor hat gesagt, dass es auch unter den Elfen nicht sicher für mich sei. Für mich und die anderen. Er wollte mich meinem Vater anvertrauen, doch der hatte weder die Zeit noch das Wissen, mich zu unterweisen, denn meine Magierkräfte sind anders als seine Magie, da sie mit jener der Elfen gemischt ist. So stimmte meine Mutter schließlich zu, als ich vorschlug, die Einladung der Akademie anzunehmen.«
Valeria musterte die junge Frau prüfend. »Eleonora, ich verstehe, warum du hier bist. Ich begrüße deinen Wunsch, hier zu lernen, wie du deine Fähigkeiten beherrschen kannst. Aber ich möchte dich auch warnen: Es wird nicht leicht. Vor dir gab es seit dem Krieg unter den Völkern kaum eine Elfe in diesen Mauern. Du hast selbst gesehen, wie viel Misstrauen und Abneigung gegen die Elfen herrschen.«
Eleonora seufzte wieder. Sie war Abneigung und Misstrauen gewohnt. Die Menschen riefen sie ›Waschmagierin‹, denn so wurden Elfen von den Menschen genannt, da ihre Magie so unnütz erschien, konnte sie schließlich im besten Fall nur heilen. Die Elfen hatten sie stets als ›Unreine‹ bezeichnet, wenn sie dachten, sie hörte es nicht – so wie alle Nicht-Elfen genannt wurden. Sie hatte nie irgendwo dazugehört.
»Ich erwarte nicht, dass es leicht wird«, raunte die Halbelfe und fühlte, wie ihr Hals brannte. »Aber ich möchte lernen, für niemanden mehr eine Gefahr zu sein.« Insgeheim hatte sie gehofft, dass die Magier sie freundlich aufnehmen würden und sie vielleicht doch zu ihnen gehören konnte.
Valeria setzte sich auf, legte die Akte beiseite und ergriff Eleonoras Hand. »Mein Kind, verzage nicht, solange du noch Hoffnung haben kannst«, sprach sie in eindringlichem Tonfall. »Du hast vielen Menschen geholfen und ihnen auf diese Weise vielleicht gezeigt, dass ihre Meinung über Elfen nicht für alle gelten sollte. Du hast Lady Graie sehr beeindruckt, denn auch wenn sie es sich nicht anmerken lässt, so hat sie ein gütiges Herz. Sie hat in der Akte einige gute Dinge über dich geschrieben, denn die Lady kann in die Seele eines jeden Wesens blicken.« Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und sie nickte der jungen Frau aufmunternd zu. »Ich denke, du hast die Möglichkeit, hier ein richtiges Zuhause zu finden. Aber welchen Weg du einschlägst, das liegt allein bei dir.«
Eleonora fühlte, wie ihre Augen zu brennen begannen und ein leichter Schauer über ihren Rücken lief, bei dem Gedanken, die Lady hatte ihre Seele gelesen – noch dazu ohne dass sie es gemerkt hatte.
Valeria drückte ihre Hand fest, ehe sie diese freigab und wieder ihre Akte aufnahm. »Also, Eleonora, für gewöhnlich werden neue Schüler erst nach einer Prüfung aufgenommen. Allerdings ist dein Fall sehr besonders und deswegen möchte ich dich ohne weitere Formalitäten willkommen heißen.«
Erleichtert atmete Eleonora auf und sah, wie ein amüsiertes Lächeln über das Gesicht der Direktorin huschte.
»Du wirst sehr viel nachlernen müssen, denn das Semester hat schon vor einem Mond begonnen«, erklärte Valeria in ruhigem Tonfall. »In manchen Fächern wirst du Spezialunterricht erhalten, da dir diese Gebiete vermutlich sehr unbekannt sind. Bei anderen Fächern wirst du dem gewöhnlichen Gruppenunterricht folgen. Ich habe deine Sachen bereits in dein Quartier bringen lassen. Es befindet sich auf dem Schulgelände im Wohnheim der Mädchen. Du wirst eine Zimmerkollegin haben, sie ist bereits informiert. Alles Weitere wird dir Lady Graie auf dem Weg zu deinem Klassenzimmer erklären.«
Valeria erhob sich und auch Eleonora stand langsam auf. Sie konnte es kaum fassen, dass sie ohne eine Prüfung in die Akademie der Magie aufgenommen worden war. Es war gewiss nie ihr Traum gewesen, hier zur Schule zu gehen. Aber je öfter die Einladungen gekommen waren, umso mehr hatte sie das Gefühl gehabt, hierherzugehören. Sie hoffte nur, ihr Gefühl würde sie nicht täuschen.
Valeria öffnete die Verbindungstür zu Lady Graies Büro und ließ Eleonora hinaustreten. Die Assistentin erhob sich von ihrem Platz und ging den beiden entgegen.
»Lady Graie, bitte führen Sie Eleonora zu ihrem Klassenzimmer und erklären Sie ihr das Nötigste«, bat die Direktorin die ältere Frau.
»Sehr wohl, Madame«, antwortete die Lady, ohne Eleonora anzusehen, und schritt auf den Gang hinaus.
Valeria fing den bestürzten Blick der Halbelfe auf. »Urteile nie nach der Fassade, Eleonora. Folge dem Licht in deinem Herzen und alles wird gut. Viel Glück«, meinte sie aufmunternd und lächelte.
Eleonora neigte leicht ihren Kopf zum Abschied, wie die Elfen es immer taten, um ihren Respekt zu erweisen, und huschte dann der Lady auf den Gang hinterher.
Lady Graie war draußen stehen geblieben und hatte auf Eleonora gewartet. Erst als sie die Tür zum Büro geschlossen hatte, ging sie los, verharrte jedoch, bis Eleonora zu ihr aufschloss, ehe sie mit ihrer Einführung begann.
»Diese Schule beherbergt Studenten im Alter von sechs bis zweiundzwanzig Jahren«, begann die Lady zu erzählen, während sie unbeirrt weiterging. »Die meisten Studenten kommen hierher, sobald ihre Fähigkeiten erwachen. Der Unterricht findet in- und außerhalb des Gebäudes statt. Er beginnt – sofern nicht am Vortag anders verlautbart – stets mit Ablauf der neunten Stunde. Falls Sie mit dem Zählsystem der magischen Stundengläser nicht vertraut sind, finden Sie ein Handbuch dazu in Ihrem Zimmer. Ihr Klassenzimmer ist immer dasselbe, es sei denn, Sie werden zum Sonderunterricht abgeholt.«
»Gibt es viele Studenten, die Sonderunterricht erhalten?«, wollte Eleonora wissen. Sie hoffte, nicht die Einzige zu sein.
»Natürlich, wenn ihre Fähigkeiten es erfordern. Es sind hauptsächlich Magier und Menschen mit dem Talent zur Magie hier. Allerdings sind auch einige Menschen hier, welche lediglich die Theorie studieren wollen, selbst aber keine Begabung haben. Sie vertiefen sich oft in Alchemie oder der Erforschung der magischen Linien. Es werden jedoch jedes Jahr weniger Menschen, die sich hier fortbilden wollen«, erklärte die Lady und ihr Blick wurde für einen Moment düster.
Eleonora schluckte, als sie den Blick von Lady Graie bemerkte. Sie wusste nicht viel über die Menschen, aber sie hatte gehört, dass es in manchen Menschenstädten zu Kämpfen mit den Magiern gekommen war, da die Menschen ihnen nicht mehr trauten. Offenbar befürchteten einige, die Magier würden zu stark werden, und lehnten daher jegliche Form von Magie ab. Dazu gehörte wohl auch, dass kaum noch Menschenkinder vorbehaltlos an die Akademie geschickt wurden.
Die Lady räusperte sich leise. »Wie Sie vermutlich wissen, wird hier nicht nur eine allgemeine Ausbildung für Magiebegabte angeboten, sondern auch die Geschichte der Völker und der Magie an jene gelehrt, die keine Fertigkeiten besitzen.« Lady Graie blieb stehen und musterte Eleonora nachdenklich. »Viele Menschen ohne die Gabe der Magie sind hervorragend darin, magische Hilfsmittel zu erschaffen oder magische Kreaturen zu zähmen und zu versorgen. In jungen Jahren ist es eine Grundausbildung für die Kinder in Lesen und Schreiben, die wir hier vermitteln, sowie der Umgang mit den eigenen Kräften. Bis zum zehnten Lebensjahr sind es hauptsächlich Magierkinder, die wir hier beherbergen. Erst dann kommen auch Menschen hinzu. Ihre Talente zeigen sich manchmal sogar noch viel später. Nach dem allgemeinen Abschluss mit achtzehn Jahren gibt es die Möglichkeit, Magie zu studieren oder sich in anderen Fertigkeiten wie Schmieden, Heilen oder Kreaturpflege ausbilden zu lassen. Eine Vertiefung in ein gewisses Talent ist auch schon in Ihrem Alter möglich.«
Eleonora überlegte, ob sie eine Begabung besaß, in der sie sich ausbilden lassen könnte, wenn sie einmal gelernt hätte, ihre Fähigkeiten zu beherrschen. Vielleicht könnte sie auch studieren und eines Tages selbst lehren, denn immerhin vereinte sie zwei sehr unterschiedliche Kräfte in sich.
»Was ist mit den anderen Völkern?«, fragte Eleonora leise und sah die Lady verstohlen an. Aus Büchern wusste sie von den zwei anderen Völkern, die, nachdem die Weltportale verschlossen worden waren, auf der Erde verblieben waren. Die Auronen, von denen Lady Graie mit hoher Wahrscheinlichkeit abstammte, waren unsterblich, ebenso wie die Lunara. Viel mehr wusste Eleonora jedoch nicht von diesen zwei Völkern, deren Kräfte noch nicht einmal in Büchern näher erklärt wurden.
Lady Graie hielt kurz inne, ehe sie zögerlich antwortete: »Nun, wir haben jetzt eine Halbelfe hier. Ich habe seit vielen Monden keine Lunara auf diesem Boden wandeln sehen. Und abgesehen von mir wird Ihnen hier auch keine Aurone begegnen.«
Eleonora nickte. Sie hatte nichts anderes erwartet, denn die beiden Völker hatten sich schon vor vielen Generationen zurückgezogen und versteckten ihre Städte. Dennoch spürte sie nun einen Kloß im Hals und ihr Mut sank.
Sie verstand selbst nicht, warum. Hatte sie gehofft, von den Auronen und Lunara eher angenommen zu werden als von Elfen, Menschen und Magiern? Andererseits hatte sie noch keinen Magier getroffen, der unfreundlich zu ihr gewesen wäre. Doch sie kannte auch kaum Magier, die nicht ihrem Vater treu ergeben waren.
Nun, sie musste es nehmen, wie es kam.
Lady Graie räusperte sich erneut und setzte sich wieder in Bewegung. »Sie sollten Ihren Gedanken nie erlauben, Macht über Sie zu haben, Miss Etoille«, flüsterte sie. Ihre Stimme klang mit einem Mal freundlich und fürsorglich.
»Ja, Madame«, antwortete die Schülerin leise.
»Fahren wir fort«, meinte die ältere Dame wieder distanzierter. »Es gibt eine große Mittagspause von eineinhalb Stunden, in welcher Sie tun können, was Sie möchten. Abends können Sie Ihr Programm gestalten, wie es Ihnen beliebt, aber Sie müssen ab der zweiundzwanzigsten Stunde in Ihrem Zimmer sein. Es ist Ihnen erlaubt, in die nahegelegene Stadt Eirini zu gehen, jedoch haben Sie Sorgfalt zu tragen, dass Sie pünktlich zurück sind, und gewissen Etablissements, in denen Alkohol ausgeschenkt wird, fernzubleiben. Ist das soweit klar?« Ohne auf eine Antwort zu warten, sprach Lady Graie weiter: »Ihre Uniform liegt in Ihrem Zimmer. Bitte ziehen Sie diese ab morgen an.«
Eleonora blickte an sich hinab. Sie trug ein Reisekleid der Elfen – es war eng anliegend und aus robustem Stoff, mit einem Mieder aus weichem Leder – und Stiefel. Alles an ihr ließ erkennen, von welchem Volk sie abstammte, selbst wenn sie sonst keine Merkmale der Elfen aufwies.
Ob sie es vor dem Unterricht wohl noch schaffte, ihre Kleidung zu wechseln?
»Die Schüler wissen, wer Sie sind, Miss Etoille«, erläuterte Lady Graie mit beruhigender Stimme. »Sie müssen sich nicht sorgen, ob Ihre Kleidung unpassend ist.«
Es schien Eleonora, als wollte Lady Graie nach ihrer Hand greifen. Sie ließ es dann jedoch und ging weiter den langen Gang entlang, der sich immer mehr mit Schülern füllte, die Eleonora teils überrascht, teils lächelnd, teils finster musterten.
»Ihre Zimmerkollegin ist informiert, dass Sie heute beginnen. Sie wird pünktlich zum Ende der sechzehnten Stunde bei diesem Aufgang warten«, erklärte die Aurone mit einer ausladenden Geste auf eine lange Treppe.
Ohne es zu merken, war Eleonora von einem Seitenflügel des imposanten Schulgebäudes in den Hauptbereich gelangt. Eine riesige Treppe führte vom majestätischen Eingangsportal mehrere Stockwerke hinauf in das Schulgebäude.
Die Akademie war schon viele hundert Erdenjahre alt. Ein wunderschöner Bau, angeblich an einem Tag und in einer Nacht von Magie erschaffen.
Wieder wurde es ihr ein wenig bang ums Herz.
»Die Direktorin hat es Ihnen bereits gesagt, Eleonora«, meinte Lady Graie, als die junge Frau sie ansah. Ihr Mund verzog sich beinahe zu einem Lächeln. »Doch ich wiederhole es gern: Folgen Sie dem Licht in Ihrem Herzen. Es weist Ihnen den Weg. Verzagen Sie nicht, denn selbst auf die dunkelste Nacht wird immer ein Morgen folgen.« Diesmal hob die ältere Frau tatsächlich die Hand und legte sie Eleonora auf die Schulter. »Ihr Klassenraum ist im ersten Stock, gleich die Treppe hinauf und dann links die zweite Tür. Sollten Sie jemals etwas benötigen, können Sie jederzeit zu mir kommen«, meinte sie freundlich und nun erschien tatsächlich ein sanftes Lächeln auf ihrem Gesicht.
Eleonora spürte, wie ihre Kehle zu schmerzen begann und ihre Augen sich mit warmen Tränen füllten. Zaghaft brachte sie ein »Danke, Lady« hervor, ehe sie langsam die Treppe hinaufging. Sie fühlte den Blick der Lady lange auf ihrem Rücken und wusste, dass sie in ihr eine Art Mentorin gefunden hatte.
Im Klassenraum herrschte reges Treiben, als Eleonora hineinblickte. Es war kurz bevor der Sand in der Uhr zum neunten Mal durchgelaufen war und sie wusste nicht, ob sie eintreten oder lieber auf die Ankunft des Professors warten sollte.
Mit einem Mal wurde sie von hinten unsanft gestoßen, als ein großer Schüler an ihr vorbeiging. Er hatte dunkles Haar, das fast blau schimmerte, war schlank und sah sie mit eisblauen Augen düster an, bevor er im Klassenzimmer verschwand.
Eleonora sah ihm verwirrt hinterher und wollte ihm etwas nachrufen, aber dann war er schon verschwunden. Nun ja, womöglich war es auch einfach ein Versehen gewesen. Sie fasste all ihren Mut und betrat das Zimmer.
Mit einem Schlag wurde es ganz still und alle Augen richteten sich auf sie. Nur der Junge, der sie gerempelt hatte, würdigte sie keines Blickes mehr.
Eleonora betrachtete ihn stirnrunzelnd – etwas bei ihm war anders als bei den anderen Schülern. Ihr Blick fiel wieder auf sein Haar und da dämmerte es der Halbelfe. Das Schwarz stand in starkem Kontrast zu den typischen bunten Magier-Haarfarben der meisten Schüler.
In dem Moment läuteten die Schulglocken und alle Schüler suchten sich einen Sitzplatz.
Den Blick kurz über die Sitzbänke schweifen lassend, ging Eleonora zu einem freien Stuhl, fragte höflich, ob sie sich setzen durfte, und nahm schließlich Platz.
Der Junge mit den dunklen Haaren saß schräg hinter ihr und Eleonora fühlte sich mit seinem Blick im Rücken sehr unwohl. Irgendetwas an ihm wirkte finster und feindselig. Sie wusste nicht, was genau es war, aber sie empfand seine Gegenwart als unangenehm.
Es dauerte nicht lange, da betrat ein älterer, freundlich aussehender Mann den Raum. »Setzt euch, Kinder, setzt euch«, lächelte er und sah sich im Zimmer um. Sein Blick wurde noch freundlicher, als er Eleonora entdeckte. »Ah, da bist du ja. Würdest du bitte kurz aufstehen?«
Die Halbelfe erhob sich mit einem schüchternen Lächeln.
»Klasse, es ist mir eine Ehre, euch heute eine neue Schülerin vorzustellen. Ihr Name ist Eleonora. Sie ist die Tochter von Lordor dem Gerechten und Athela aus dem Hause Etoille. Seit vielen Jahren ist sie unsere erste Elfe hier. Ich bitte euch im Namen der Akademie, sie gut in eurer Mitte aufzunehmen.« An Eleonora gewandt meinte er: »Mein Name ist Cornelius der Jüngere. Ich unterrichte Abwehrmagie, Tranklehre und Offensivtheorie. Ich werde dir außerdem in einigen Bereichen Einzelunterricht geben.«
»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Professor.« Die Schülerin verneigte sich respektvoll.
»Mich freut es ebenso, Eleonora. Ich kenne nicht viele Elfen, aber ich würde gern mehr über sie lernen. Du darfst dich jetzt setzen.«
Mit diesen Worten wandte er sich um und schritt zur Tafel. In krakeliger Handschrift schrieb Cornelius die Worte ›Exitus Somnium‹ darauf.
»Heute wenden wir uns dem wichtigen Thema zu, wie man sich aus einem Schlafzauber befreit. Ein Schlafzauber ist nicht immer einfach zu durchschauen, denn meist können wir den Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit nicht richtig erkennen.«
Eleonora blickte sich im Klassenraum um und beobachtete, wie einige Jungen zu tuscheln begannen und in ihre Richtung blickten. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und sie wandte sich wieder dem Professor zu, der sich auf eine Ecke des Lehrertisches gesetzt und seine Hände in seinem Schoß verschränkt hatte, während er weitersprach.
»Um uns selbst aus einem solchen Zauber zu befreien, müssen wir jedoch wissen, dass wir träumen. Sonst sind unsere Sprüche nicht hilfreich, denn Traummagie ist wirkungslose Magie. Bevor ihr euch also an den Spruch wagt, den ich an die Tafel geschrieben habe, müssen wir zunächst üben, Träume zu erkennen. Ihr werdet deswegen in dieser Stunde abwechselnd schlafen. Bitte findet euch zu zweit zusammen und beginnt, euch gegenseitig in Schlaf zu versetzen. Nach einigen Minuten weckt ihr euren Partner auf und werdet selbst zum Einschlafen gebracht. Das machen wir so lange, bis die Stunde aus ist oder einer von euch es schafft, sich selbst aus dem Schlafzauber zu erwecken. Ihr dürft beginnen.«
Emsiges Treiben und leise Gespräche fluteten den Raum, nachdem Professor Cornelius seine Anweisungen beendet hatte.
Eleonora hatte keine große Hoffnung, einen Partner zu finden. Sie würde vermutlich übrig bleiben, aber es störte sie nicht. Sie war neu und die anderen kannten sich bestimmt recht gut.
Zu ihrer Überraschung kam ein schüchtern aussehendes Mädchen mit aschblonden Haaren, blauen Augen und einer etwas zu großen Nase auf sie zu und fragte unsicher, ob sie die Übung mit ihr gemeinsam machen würde. Freudig stimmte Eleonora zu.
Das Mädchen stellte sich als Nina vor und war eine Halbmagierin. Ihr Vater war ein Mensch und ihre Mutter stammte von den Magiern ab, was eine nicht seltene Verbindung darstellte. Menschen und Magier waren sich sehr ähnlich, nur ihre bunte Haarfarbe unterschied die Magier äußerlich deutlich von den Menschen.
Nina sprach kaum, was Eleonora nicht schlimm fand, hatte aber zumindest den Mut, sich als Erste in den Schlaf versetzen zu lassen.
Eleonora vertraute ihren Magierkräften nicht, deswegen nutzte sie die Elfenmagie, welche sie ebenfalls in sich trug. Die Elfen zauberten fast ausschließlich mit ihren Händen. Dazu bewegten sie diese über ein Lebewesen oder einen Gegenstand, an dem sie ihre Magie wirken wollten, und riefen ihre Kräfte in Gedanken zu Hilfe. Nur in sehr seltenen Fällen brauchten sie Worte, um einen Zauber zu wirken. Meistens verwendeten sie recht einfache Zauber, wie Heilungs- oder eben einen Schlafzauber, um jemanden zu beruhigen. Eleonora hatte diesen Zauber schon sehr oft verwendet und somit keine Schwierigkeiten damit, Nina in den Schlaf zu versetzen und danach wieder aufzuwecken.
Schüchtern lächelnd erwachte ihre Partnerin, gähnte herzhaft und schüttelte den Kopf, als Eleonora sie fragte, ob sie geträumt hatte.
Danach machte Nina sich daran, die Halbelfe zu verzaubern. Als Magierin benutzte sie die Hände anders, denn sie fuhr nicht über den Körper ihrer Partnerin, sondern hob sie, als würde sie ihre Kräfte bündeln und dann loslassen. Eleonora hörte die Halbmagierin einen Spruch murmeln, was sie darauf schließen ließ, dass ihre Klassenkollegin nur über geringe Kräfte verfügte. Magier nutzten Sprüche nur, wenn sie einen Zauber schlecht beherrschten oder ihre Magie nicht so stark ausgeprägt war. Dennoch schlief sie ein. Es war leider ein kurzer traumloser Schlaf und sie hatte keine Gelegenheit, den Spruch zu nutzen, um sich aus dem Zauber zu befreien.
Nachdem sie aufgewacht war, verzauberte sie das Mädchen und wurde dann selbst wieder verzaubert. So ging es einige Male, und nie träumte Eleonora. Also konnte sie den Spruch auch nicht ausprobieren.
Der Sand im Stundenglas wurde bereits sehr dunkel, als Eleonora endlich einen Traum hatte. Es war düster und sie stand allein in einem Wald. Es gab keine Farben, alles war schwarz und grau. Sie fühlte sich eiskalt.
Sie wusste sofort, dass sie träumte, und wollte sich, ohne zu zögern, aus dem Traum befreien. Je eher sie erwachte, umso lieber war es ihr. Etwas an diesem Ort fühlte sich falsch und bedrohlich an.
»Exitus Somnium!«, rief sie, doch sie konnte ihre eigene Stimme nicht hören.
Sie stellte sich vor, dass sie sprechen konnte, und versuchte es noch einmal. Wieder waren ihre Worte nicht zu hören.
Ich weiß doch, dass ich träume, wieso kann ich meinen Traum dann nicht beeinflussen?
Ein weiteres Mal versuchte sie, die Worte zu sagen, doch wieder gelang es ihr nicht.
Langsam überkam sie furchtbare Angst. Dieser Ort, diese angsteinflößende unnatürliche Stille, diese Kälte – und sie konnte nichts tun, um aufzuwachen. Ihre Hände und Füße fühlten sich wie Steine an und es fiel ihr immer schwerer, zu atmen.
Hilfe, irgendjemand muss mir helfen, dachte Eleonora ängstlich.
Da löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit. Er dehnte sich aus und wuchs, je näher er Eleonora kam.
»Wer bist du? Was willst du?«, versuchte die Halbelfe zu fragen, doch wieder war kein Laut zu hören.
Der Schatten kam näher und wurde immer bedrohlicher. Es war nur ein Schatten in einem Traum, doch er wirkte so kalt, so real und gleichzeitig leblos. Eleonora wusste, wenn er sie erreichte, würde er ihre Lebenskraft aussaugen. Dann würde sie nie wieder aufwachen.
Sie hatte so etwas schon einmal gesehen, vor vielen Jahren. Ihre Mutter war sich sicher gewesen, dass der junge Mann im Traum von einem Schattenzauber heimgesucht und verschlungen worden war. Sein Körper schlief noch immer, doch er erlangte nie wieder das Bewusstsein.
Sie wollte nicht so enden.
Panisch versuchte sie, wegzulaufen, aber ihre Beine fühlten sich nicht nur wie Steine an, sie waren auch zu Stein geworden und fest mit dem Boden verwachsen. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich nicht bewegen.
»Exitus Somnium!«, rief sie mit aller Kraft, doch nichts war zu hören, nichts geschah.
Der Schatten wuchs weiter und näherte sich unaufhaltsam. Eleonora griff nach ihren Knien, versuchte, die Beine vom Boden zu lösen.
Angstschweiß trat auf ihre Stirn, denn gleichgültig, wie sehr sie rüttelte, klopfte oder rief, es schien aussichtslos, dem Schatten zu entkommen.
Warum weckte Nina sie nicht? Sie musste doch schon etliche Minuten in diesem Albtraum gefangen sein!
Nur noch wenige Augenblicke, dann würde der Schatten sie erreicht haben. Tränen der Verzweiflung liefen über ihr Gesicht, doch sie konnte sie nicht spüren. Sie fühlte nichts mehr.
»Bleib weg von mir!«, schrie sie aus Leibeskräften, doch kein Geräusch durchbrach die Stille und der bedrohliche Schatten wurde nicht langsamer.
Hilfe! Bitte, irgendjemand … Mama, Papa!!!
Eleonora weinte. Sie schluchzte. Sie fühlte ihre Tränen und das Brennen in ihrer Kehle.
Dann blieb der Schatten stehen.
»Eleonora!!!«
Sie öffnete die Augen. Professor Cornelius und Nina musterten sie sorgenvoll und hielten sie fest. Alle Blicke der anderen Schüler waren auf sie gerichtet. Es war ganz still im Klassenzimmer.
»Was … Professor?«
Eleonora fasste sich an die Beine, in denen sie endlich wieder etwas fühlte, und dann an ihren Hals, denn sie hatte die Worte, die sie eben gesprochen hatte, gehört. Sie tastete ihr Gesicht ab und spürte ihre Tränen, die ihre Wangen bedeckten. Am liebsten hätte sie erleichtert gelacht, doch sie unterdrückte diesen Drang.
»Eleonora, geht es dir gut?«, fragte Cornelius besorgt und fühlte den Puls an ihrem Handgelenk.
»Was ist denn passiert?«, flüsterte sie heiser. »Ich konnte mich nicht aus dem Traum befreien. Ich hatte keine Kontrolle über meine Stimme oder meinen Körper … Und dann war da dieser Schatten …«
»Schattenzauber …«, murmelte Cornelius, ehe er Nina fragend ansah. »Hast du einen anderen Zauber verwendet, als wir abgesprochen haben?«
Entsetzt schüttelte die Halbmagierin den Kopf. »Nein, Professor. Ich habe den ganz normalen Schlafzauber angewandt.«
Cornelius nickte und richtete einen ernsten Blick auf die anderen Schüler. »Hat jemand einen Schattenzauber über Eleonora verhängt? Ich darf euch daran erinnern, dass dieser Zauber streng verboten ist«, tönte er mit Zorn in der Stimme.
Die anderen Schüler blickten einander an, doch keiner meldete sich.
»Nun gut. Ich möchte euch daran erinnern, dass ich den Schuldigen auch durch eine Zauberrückverfolgung finden kann. Überlegt also, ob ihr euch selbst stellen wollt und eine geringere Strafe bekommt, oder ob ich selbst herausfinden soll, wem wir diesen Schrecken zu verdanken haben.«
Der Blick des Professors wurde finster. Eleonora hätte nicht gedacht, dass der ältere Mann zu so einem Gesichtsausdruck fähig war.
Sie sah sich um und bemerkte, dass der junge Mann, der sie vorhin gestoßen hatte und in dessen Gegenwart sie sich unwohl fühlte, missmutig zur Seite blickte. Er wirkte unsicher und nervös. Sie vermutete stark, dass er hinter ihrem Albtraum steckte.
Wut überkam sie und sie hätte am liebsten auf ihn gezeigt. Doch als sie ihn ansah, entdeckte sie Verzweiflung und Schmerz in ihm. Als Elfe nahm sie die Gefühle anderer sehr deutlich wahr und so erkannte sie, dass dieser Junge furchtbare Qualen zu leiden schien. Aus ihrem Zorn wurde Mitgefühl.
Rasch sagte sie, ohne zu wissen, warum sie das tat: »Professor, es ist nicht nötig, einen Schuldigen zu suchen. Ich habe solche Träume immer wieder.«
Cornelius wandte sich ihr zu. Seine Augen waren verständnisvoll, doch er fragte sie scharf: »Bist du sicher, dass kein Zauber hinter dem Traum steckt? Solche Träume sind gefährlich, wenn sie heraufbeschworen werden. Sie könnten dich für immer in der Traumwelt gefangen halten.«
Eleonora schluckte. »Die Elfen kennen diese Träume«, erklärte sie mit brüchiger Stimme. »Es gab schon einige von uns, die nicht mehr aufgewacht sind. Ich selbst habe auch mehrmals Glück gehabt und bin rechtzeitig erwacht. Es war ein dummer Zufall. Es tut mir leid, dass ich Ihnen Kummer bereitet habe.«
Der Professor musterte sie immer noch eindringlich, dann schloss er die Augen, seufzte und lächelte sanft. »Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist. Geh aber zur Sicherheit ins Krankenzimmer und lass dir etwas für deinen Kreislauf geben, denn ich denke, du wirst dich sehr schwach fühlen.« Sein Blick ruhte mitfühlend auf ihr, als er Eleonoras Handgelenk losließ.
Nina wollte schon aufstehen und sie begleiten, doch Cornelius winkte ab.
»Nein, Nina. Aestus soll Eleonora ins Krankenzimmer bringen. Er wird sie stützen müssen.«
Als der Junge, der sie vermutlich verzaubert hatte, mit finsterer Miene auf sie zukam und ihr widerwillig die Hand reichte, um ihr beim Aufstehen zu helfen, wurde Eleonora blass und sie begann zu zittern. Wusste der Professor, was sie vermutete? Warum suchte er dann ausgerechnet ihn aus, um sie zu begleiten?
Unsicher sah Eleonora Cornelius an, doch der zwinkerte ihr nur freundlich zu und schickte sie mit einer rasch geschriebenen Mitteilung nach draußen.
Aestus hielt sie um die Taille fest und hatte ihren Arm auf seine Schulter gehoben. Langsam verließ er mit ihr den Klassenraum und trat den Weg zum Krankenzimmer an.
Obwohl sie nur ein kurzes Stück zu gehen hatten, schien es Eleonora ewig zu dauern. Mit unbehaglichem Gefühl hinkte sie neben dem Jungen her, der ihr Furcht einflößte und der riskiert hatte, dass sie nie wieder aufwachte. Trotzdem hatte sie nicht protestiert, als er dazu aufgefordert worden war, sie zu begleiten. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie wollte sich mit den anderen Schülern gut verstehen und nicht am ersten Tag wie eine hochnäsige Elfe erscheinen.
Sie überlegte, ob und was sie sagen konnte, um die unangenehme Stille zu durchbrechen. Doch Aestus kam ihr zuvor.
»Du hättest das nicht tun müssen«, raunte er mit tiefer, fast warmer Stimme. Sie hätte nicht erwartet, dass sie so angenehm klang.
»Was meinst du?«, fragte sie unschuldig.
»Du hast in Wahrheit nie solche Träume, oder?«, stellte Aestus in kaltem Tonfall fest.
»Ich selbst nicht, aber es ist bei den Elfen nichts Ungewöhnliches. Es gab wirklich solche Traumopfer«, meinte Eleonora schnell.
Aestus blieb stehen und sah sie düster an. »Du weißt aber, dass du diesen Traum nicht dem Zufall verdankst, oder?«
Eleonora zitterte noch heftiger und nickte. Sein Blick war so voller Hass und Schmerz, dass es ihr Tränen in die Augen trieb. Irgendetwas quälte diesen Jungen, dessen war sie sich sicher.
»Warum hast du dann behauptet, dass keine Magie im Spiel war?«, fuhr er fort und verengte die Augen.
»Ich … ich wollte nicht, dass jemand bestraft wird«, stotterte sie unsicher. »Ich kenne den Grund nicht, warum mir jemand so etwas antun will. Aber ich möchte es herausfinden und …«
»Und was?«, knurrte er und seine Augen blitzten.
Eleonora spürte, wie ihre Beine weich wurden. Hätte Aestus sie nicht gehalten, wäre sie sicher auf den Boden gesunken. Sie versuchte, seinem Blick standzuhalten, als sie antwortete. »Und versuchen, eine Lösung zu finden, damit es nie wieder passieren muss.«
Ihre Stimme klang zu ihrer eigenen Überraschung sicher und freundlich. Sie wollte keinen Streit mit diesem Jungen, selbst wenn er ihr so viel Hass entgegenbrachte. Sein Verhalten schmerzte sie, obwohl sie die Ablehnung gewohnt war.
Aestus begann leise zu lachen, doch es war ein gehässiges Lachen und seine Augen blieben kalt und emotionslos. »Närrische Waschmagierin. Denkst du, nach allem, was die Elfen getan haben, würdest du hierhergehören? Oder gar mit den anderen Völkern Frieden schließen? Wenn nicht ich dir das Leben schwer mache, dann wird es ein anderer sein. Du bist hier nicht willkommen.«
Er ließ Eleonora los, sodass sie taumelte und auf ihre Knie fiel. Sie fühlte die Tränen aufsteigen, doch hielt sie mit aller Macht zurück, als sie aufsah und seinen kalten Augen begegnete.
»Das Krankenzimmer ist da vorn. Den Rest des Weges wirst du allein schaffen«, schnaubte Aestus und ging zurück zum Unterricht, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen.
Als er außer Hörweite war, ließ Eleonora den Tränen freien Lauf.
Wieso hatte sie erwartet, dass es an der Akademie für Magie anders wäre als überall sonst? Doch mit diesem Hass, dem sie gerade begegnet war, hatte sie nicht gerechnet. Was hatten die Elfen diesem Jungen angetan, dass er sie so behandelte?
Sie zitterte vor Kälte in ihrem Inneren. Elfen waren sehr empathisch. Sie hatte den Schmerz und die Abweisung in Aestus wahrgenommen und nun waren all diese Gefühle in ihrem eigenen Körper. Sie hatte nie gelernt, sich davor zu schützen, und konnte jetzt nichts anderes tun, als den Schmerz anzunehmen. Ihre Mutter hatte ihr oft gezeigt, wie sie sich abschirmen konnte, doch offensichtlich waren ihre Kräfte besonders stark ausgeprägt und jeglicher Schutz konnte die Empfindungen nur abschwächen.
Sie atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Alle Kraft sammelnd, stand Eleonora auf, hielt sich an der Wand fest und wankte zum Krankenzimmer, um dort ein wenig Wärme zu finden.
Den Großteil ihres ersten Schultages hatte Eleonora somit im Krankenzimmer verbracht. Professor Cornelius hatte darum gebeten, dass man sie mit Essen und Tee versorgen würde. Nach dem Unterricht war er selbst vorbeigekommen, um sich nach ihr zu erkundigen. Die Krankenschwester, eine freundliche ältere Magierin namens Cassandra, plauderte angeregt mit ihr und kümmerte sich gut um sie.
Erst zur letzten Unterrichtsstunde durfte sie das Zimmer wieder verlassen. Sie hatte Einzelunterricht mit Professor Cornelius. In dieser Stunde besprachen sie jedoch lediglich, was Eleonora bereits von der Magie der Magier wusste und was sie besonders interessierte.
Die Elfen nutzten ihre Kräfte, um zu heilen oder den Pflanzen beim Wachsen zu helfen, während die Magier eher offensive, kämpferische Magie verwendeten oder magische Gegenstände für die Menschen erschufen. Der Professor versprach, ihr dabei zu helfen, sich besser vor den Gefühlen anderer zu schützen und ihre Abwehrmagie zu stärken.
Nach dem Unterricht gab Cornelius ihr Kräuter für Tee und einige Bücher mit. »Der Tee wird dir helfen, ohne schlechte Träume zu schlafen«, meinte er und zwinkerte ihr noch einmal zu.
Er mochte schon sehr alt sein, aber im Inneren war er ein spitzbübischer junger Mann. Eleonora mochte ihn jetzt schon sehr gern.
Nachdem sich ihre Wege getrennt hatten, beeilte sie sich, zum Aufgang in die oberen Stockwerke zu kommen, wo ihre Zimmergenossin auf sie warten sollte. Als sie beim genannten Treffpunkt ankam, stand dort ein Mädchen mit kinnlangem zimtroten Haar und einem übel gelaunten Gesichtsausdruck. Sie war groß, schlank und wirkte um einige Jahre älter als Eleonora. Ungeduldig blickte sie auf das Stundenglas am Fuß der Treppe, bevor sie aufsah und die Halbelfe entdeckte.
Als sich ihre Blicke trafen, wurde ihr Gesicht noch dunkler. »Eleonora?«, fragte sie in kühlem Tonfall.
»Ja. Danke, dass du auf mich gewartet hast …«, begann diese und hielt ihr die Hand hin, doch das Mädchen drehte sich um und ging los.
»Daphne«, schnaubte sie genervt.
»Wie bitte?«
»Mein Name ist Daphne«, fuhr das Mädchen sie an. »Lass uns jetzt gehen. Schlimm genug, dass ich dich zum Wohnheim begleiten muss.«
Eleonora war wie vom Blitz getroffen. Nach dem unerfreulichen Start heute Morgen hatte ihr eine schlecht gelaunte Zimmerkollegin gerade noch gefehlt.
Schnell lief sie los und versuchte, zu Daphne aufzuschließen, was ihr nach den Vorkommnissen des Tages nicht leichtfiel. Immer noch zitterten ihre Beine und ihre Schritte waren unsicher, als würde ihr Körper ihr nicht gehorchen wollen. Die Magierin würdigte sie keines Blickes, ließ aber zu, dass die neue Schülerin neben ihr ging.
Eleonora bemerkte, wie ein großer, dürrer Junge ihnen in einigem Abstand folgte. Wenn Daphne langsamer wurde, schien er sich zu verstecken. Die Halbelfe fragte sich, was der Junge wollte und warum er sich vor Daphnes Blick verbarg.
Doch statt ihre neue Zimmergenossin danach zu fragen, wählte sie ein harmloses Gesprächsthema. »Bist du schon lange auf der Akademie?«
»Seit drei Jahren«, knurrte Daphne.
»Du bist Magierin, oder?«
»Ja.«
»Und in welcher Klasse bist du?«
»Eine über dir.«
»Wie gefällt es dir hier?«
Ihre Zimmerkollegin stöhnte genervt. »Hör zu, ich kann es nicht ändern, dass wir unsere Unterkunft teilen müssen. Aber ich kann dich ignorieren – ebenso wie du mich.«
»Gibt es einen Grund, dass du mich nicht magst? Du kennst mich nicht einmal …«
»Ich kenne Elfen. Es mag Magier geben, die euch mögen. Aber ich gehöre nicht dazu«, erwiderte Daphne zornig und ging weiter, ohne noch ein Wort zu verlieren.
Eleonora folgte ihr nun schweigend. Als sie sich umblickte, war der Junge nicht mehr zu sehen.
Sie seufzte. Sie hatte sich das Leben an der Akademie etwas anders vorgestellt. Was hatten die Direktorin und Lady Graie gesagt? Sie sollte dem Licht in ihrem Herzen folgen? Im Moment fühlte sie nur Dunkelheit und Kummer in sich. Sie war so einsam wie noch nie.
Zumindest hatte sie Aestus nicht noch einmal begegnen müssen. Da die Jungen- und Mädchenwohnheime getrennt waren, sollte es auch recht unwahrscheinlich sein, ihm heute noch einmal über den Weg zu laufen.
Daphne hatte sie keines Blickes mehr gewürdigt oder ein Wort mit ihr gesprochen, sie nur der Hausmutter namens Linda kurz vorgestellt, ehe sie auf ihr Zimmer gegangen war. Eleonora war von der Frau in mittlerem Alter, mit rundlichem Gesicht und strengem, von grauen Strähnen durchzogenen hellbraunen Dutt, in den Regeln des Wohnheimes unterwiesen worden:
Es war ihr erlaubt, an den Wochenenden bis zum Ende der zweiundzwanzigsten Stunde auszubleiben, unter der Woche bis zum Ablauf der zwanzigsten Stunde. In jedem Fall musste sie zum festgesetzten Zapfenstreich in ihrem Zimmer sein. Frühstück gab es jeden Tag im Wohnheim, ebenso wie Abendessen. Das Mittagessen konnte in der Schule eingenommen werden. Es gab strenges Zauberverbot innerhalb des Wohnheimes und magische Experimente für Trankkunde waren ebenso untersagt. Die Küche durfte von jedem benutzt werden, außer wenn dort für Frühstück oder Abendessen gekocht wurde. Wäsche wurde in der Waschküche gewaschen, jeder war für seine eigene Kleidung verantwortlich. Die Zimmer mussten aufgeräumt sein, sie wurden einmal pro Woche magisch gesäubert. Herrenbesuch war ebenfalls nicht erlaubt.
Linda schien streng, aber liebenswürdig zu sein. Obwohl sie ein Mensch war, hatte sie Eleonora freundlich herumgeführt und sich kein einziges Mal abfällig oder unhöflich ihr gegenüber verhalten.
Vielleicht haben nicht alle Menschen Vorurteile, dachte Eleonora, als der Rundgang beendet war.
»Das ist für den Anfang alles. Hast du noch Fragen?«, wandte sich die Hausmutter an die Halbelfe.
»Nein, Madame«, antwortete diese höflich.
»Gut, dann kannst du jetzt auf dein Zimmer gehen. Deine Sachen sind bereits dort, bitte sorg dafür, dass sie eingeräumt sind. Ich wünsche dir alles Gute, besonders mit Daphne.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Eleonora hellhörig. Etwas an der Stimme von Linda verriet ihr, dass es für sie vermutlich nicht einfach werden würde, mit ihrer Zimmerkollegin auszukommen.
»Nun … ich bin niemand, der gern Klatsch verbreitet«, meinte die reifere Frau zögernd. »Aber Daphne ist ein sehr schwieriges Mädchen. Sie hat keine Freunde gefunden, seitdem sie hier ist, und bisher hat es keine ihrer Zimmerkolleginnen länger als einen Mond bei ihr ausgehalten. Und wie sie mit Cerim umgeht … Nun ja … Versuch bitte trotzdem, mit ihr auszukommen, ja, Liebes?« Die Hausmutter lächelte aufmunternd.
Eleonora wusste nicht recht, ob diese Aussicht sie ermutigen oder ängstigen sollte. Zumindest schien es nicht an ihr zu liegen, dass ihre Zimmerkollegin sich so unfreundlich verhielt. Jedenfalls nicht ausschließlich. Sie fragte sich aber, wer Cerim war.
Haustiere waren im Wohnheim erlaubt – ob es sich bei Cerim um Daphnes Haustier handelte?
Als sie ihr Zimmer betrat, lag Daphne auf dem Bett und las in einem Buch. Sie hob den Kopf kurz, um Eleonora mitzuteilen, welcher Teil des Schrankes für sie bestimmt war, und ignorierte sie dann wieder.
Eleonora sah sich aufmerksam um, konnte jedoch kein Tier entdecken. Sie versuchte noch einmal, mit ihrer Zimmerkollegin zu sprechen, doch diese drehte sich einfach um und ließ sie links liegen.
Sei es drum, dachte Eleonora und hakte den Tag ab. Sie musste nicht bereits am ersten Tag Freunde für das ganze Leben finden. Vielleicht würde sie es morgen erneut mit Daphne versuchen, aber für heute war sie zu müde.
Sie machte sich den Tee, den Professor Cornelius ihr gegeben hatte, und las in einem seiner Bücher. Sie hatte viel aufzuholen und keinen guten Start gehabt. Doch irgendwie glaubte sie daran, dass sich alles zum Guten wenden würde, wenn sie nur die Hoffnung nicht aufgab.
Ein leises Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Ja, sie war sich sicher: Wenn sie dem Ratschlag von Valeria und Lady Graie folgte, würde ihr die Welt offenstehen.
Sie legte das Buch beiseite, löschte das Licht und schlief mit diesem positiven Gedanken ein.
Die Sonne ging gerade auf, als Eleonora erwachte. Sie war es gewohnt, sehr früh aufzustehen. Eine besondere Magie lag in den Morgenstunden, welche die Elfen gern nutzten, um sich auf den Tag vorzubereiten. In dieser Zeit fühlte es sich an, als wären die Welten durch einen dünnen Schleier miteinander verbunden und man könnte in andere Reiche sehen, wenn man nur aufmerksam war.
Sie zog sich ihren Morgenmantel und Schuhe an, band die langen dunklen Haare zu einem Zopf und schlich aus dem Wohnheim, um sich umzusehen. Als sie von der Akademie hierher gegangen war, hatte sie sofort den nahe gelegenen Wald bemerkt, der hinter einem kleinen See lag. Sie liebte Wälder, und dieser schien sie regelrecht zu rufen.
Wie von selbst bewegten sich ihre Füße über den staubigen Weg am Ufer entlang, während sie ihren Blick auf die Bäume gerichtet hielt, die vom Morgennebel in einen mystischen Schleier gehüllt wurden.
Fast ihr ganzes Leben hatte sie in einem mächtigen Reich verbracht, verborgen in tiefen Wäldern. Die Häuser der Elfen waren in die riesigen Stämme der Bäume gebaut, eine Vereinigung zweier Lebensformen: Elfen und Bäume gaben aufeinander acht und sorgten dafür, dass es dem anderen gut ging. In einem Haus aus Stein zu schlafen, erschien ihr ungewohnt, ja fast befremdlich. Vielleicht zog es sie deswegen zu dem Wald. Etwas darin rief nach ihr.
Sie hatte so etwas immer wieder erlebt. Eine seltsame Ahnung, eine unbekannte Gewissheit, hatte sie schon oft geleitet und zu Menschen oder Tieren geführt, die sie brauchten, oder an Orte, an denen ihr etwas Gutes widerfahren war.
Daher ließ sie sich nun wieder von diesem Ruf leiten.
Ein verborgener Pfad hinter einem Busch führte tiefer in den Wald hinein. Sie folgte ihm, denn er erschien ihr vertraut, wie ein flüchtiger Traum, eine weit entfernte Erinnerung.
Eleonora wusste nicht, wie lange sie bereits unterwegs war. Zeit und Raum schienen außer Kraft gesetzt zu sein, während sie diesem Weg folgte.
Vor ihr tauchte plötzlich eine Burgruine auf. Im Licht der aufgehenden Sonne erschien das Bauwerk so unwirklich, fast wie aus einer anderen Welt, eingehüllt in eine Magie, die uralt sein musste, dass Eleonora sich die Augen rieb, um sicherzustellen, dass sie nicht träumte.
Es musste einmal eine prächtige Burg gewesen sein. Das offene Tor war groß und reich verziert, die Türme und der Bergfried ragten hoch über ihr auf und wirkten mächtig gegen den orange glühenden Morgenhimmel, obgleich sie dem Verfall der Zeit nicht mehr standhielten.
Sie sah sich um. Der Weg, dem sie gefolgt war, konnte höchstens ein Trampelpfad sein. Nichts deutete darauf hin, dass hier einst Straßen oder breite Wege für Pferde und Handelskarren zu dem mächtigen Tor geführt hatten. Die Burg lag vollkommen verborgen, mitten im tiefen Wald.
Gern wäre Eleonora hineingegangen, doch die Sonne stieg unaufhaltsam am Himmel empor und sie wusste, sie musste sich jetzt beeilen, um rechtzeitig zum Frühstück wieder im Wohnheim zu sein.
Sie warf noch einmal einen Blick auf das Burgtor. Ja, irgendetwas hier hatte nach ihr gerufen. Entschlossen nahm sie sich vor, dem Ruf nach dem Unterricht zu folgen.
Daphne saß bereits vor ihrem Spiegel, um sich zu frisieren und zu schminken, als Eleonora vom Frühstück zurückkehrte. Sie grüßte ihre Zimmergenossin freundlich, doch diese sah sie wieder nicht an und erwiderte auch nichts.
Die Halbelfe zuckte mit den Schultern und machte sich daran, ihre Sachen für den Unterricht zusammenzusuchen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen hielt sie sich die Schuluniform vor die Brust. Die Kleidung bestand aus einem dunkelblauen Rock oder einer Hose, einer weißen Bluse und grauen Weste sowie einer blauen Krawatte. Außerdem gab es einen schweren Wollumhang und ein Cape aus leichtem Stoff, beides im Blau der Hose.
Die Kleidung fühlte sich weich, aber fremd an. Trotzdem schlüpfte Eleonora hinein und strich über diese ungewohnte Tracht, die von nun an Teil ihres Lebens sein würde.
Kaum hatte sie sich fertig hergerichtet, klopfte es an der Tür und Linda, die Hausmutter, trat mit funkelndem Blick ein, einen rosaroten Berg nasser Wäsche in der Hand. Ohne zu grüßen, warf sie das Bündel Daphne vor die Füße. »Wie oft muss ich dir sagen, du sollst deine Sachen nicht in der Waschmaschine lassen?«, fuhr sie das Mädchen an.
Die Waschmaschine war ein magischer Behälter aus Eisen, der die Wäsche ohne Zutun reinigte und fast trocken und faltenfrei zurückgab. Eine spezielle Magie ermöglichte dies. Leider erkannte die Magie nicht, ob helle Wäsche gemeinsam mit bunter gewaschen wurde.
Die Hausmutter stemmte ihre Hände in die Hüften und holte tief Luft. »Die anderen Mädchen waschen ihre Sachen in der Annahme, dass die Maschine ordnungsgemäß ausgeräumt wurde«, fuhr sie mit gereizter Stimme fort. »Sieh nur, heute Morgen ist es wieder dein roter Pullover, der alle anderen Sachen verunreinigt hat. Das ist das dritte Mal! Du weißt, was das bedeutet!«
Eleonora sah, wie Daphne bleich wurde. Sie erinnerte sich an die Regeln des Wohnheimes und an die Strafen. Drei Verstöße in einem Mondzyklus bedeuteten einen Mondzyklus Küchendienst.
Mit einem Mal empfand sie Mitleid für ihre Zimmerkollegin. Es war sicher nicht angenehm, jeden Tag früh aufzustehen, um die Küche zu putzen und vor dem Unterricht noch einmal zu reinigen, nur um nach dem Unterricht wieder in der Küche zu schuften.
»Ab heute Nachmittag hast du Küchendienst, junge Dame!«
»Es war meine Schuld«, rief Eleonora.
Daphne drehte sich zu ihr um und warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Wie das, Kind?«, entgegnete die Hausmutter misstrauisch.
»Ich habe mir den Pullover von Daphne heute Morgen geborgt, ohne zu fragen, als ich hinausging, um spazieren zu gehen«, erklärte die Halbelfe verlegen und hoffte, Linda würde sie nicht durchschauen. »Leider ist er schmutzig geworden und ich habe ihn in die Waschmaschine geworfen, um ihn nach dem Unterricht zu säubern. Ich wusste nicht, dass ein anderer die Waschmaschine benutzen wollte. Es tut mir leid.« Sie senkte betreten den Blick.
Die Hausmutter seufzte. »Nun gut, das ist dein erster Strafpunkt in diesem Mondzyklus. Nach dem Unterricht wirst du die Sachen, die durch deine Unachtsamkeit verunreinigt sind, noch mal waschen. Daphne, entschuldige, dass ich dich verdächtigt habe. Macht euch jetzt für die Schule fertig.«
Mit diesen Worten nahm Linda die Wäsche, warf Eleonora einen enttäuschten Blick zu und verließ das Zimmer.