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»Die Wiederherstellung des Eigentums« ist die bekannteste und umfassendste Darstellung des Distributismus. Hilaire Belloc, neben seinem Freund G. K. Chesterton einer der geistigen Väter dieses dritten Wegs der Wirtschaftspolitik, entwirft darin ein präzises Konzept, wie eine volkswirtschaftlich sinnvolle, gerechte und gleichmäßige Verteilung des Eigentums gelingen kann.Gerade heute erlangt sein ökonomisch fundiertes Modell des Kleineigentums neue Relevanz. Während internationale Konzerne und globale Eliten scheinbar jeden entlegensten Winkel als zu erschließenden und damit zu beherrschenden Markt markieren, entwickelt die Provinz, der ländliche Raum, widerständige Kraft.Immer mehr junge Familien, Bauern, Freiberufler und Existenzgründer stimmen unbewußt in die Melodie des Distributismus ein. Dieses Buch ist das Notenblatt dazu. Es gibt denen, die an dem wirtschaftlichen Dilemma unschuldig sind, eine Blaupause für den Ausweg daraus.
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Seitenzahl: 176
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Die Wiederherstellung des Eigentums
Impressum
Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek, abrufbar unter http://dnb.ddb.de
Umschlagbild: »Autumn Landscape« von Charles Ethan Porter
Umschlaggestaltung: Marcel Hagmann, www.keilergrafik.de
Satz: WordWorks
Belloc, Hilaire
Die Wiederherstellung des Eigentums. Gedanken zur Wiedererlangung der Freiheit
159 Seiten, eBook, Bad Schmiedeberg 2022
1. Auflage 2022
Originaltitel: An Essay on the Restoration of Property
© Renovamen-Verlag, Bad Schmiedeberg 2021, für die deutsche Ausgabe
www.renovamen-verlag.de
Aus dem Englischen übersetzt von Sigismund von Radecki
Mit zwei Vorworten von John F. Sharpe, IHS Press, www.ihspress.com
ISBN 978-3-95621-156-0
Inhalt
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Vorwort zur englischsprachigen IHS-Ausgabe
Einleitung
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Vor einigen Jahren wurde mir die Freude und die Ehre zuteil, an der Veröffentlichung einer ersten Neuauflage von Bellocs Essay Die Wiederherstellung des Eigentums mitzuwirken, das seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr verlegt worden war. Zur damaligen Zeit beklagten wir (wie im ursprünglichen Vorwort angedeutet) die steigende US-amerikanische Staatsverschuldung, die miserable persönliche Sparquote der US-Amerikaner, das praktisch leere Konto auf der »Aktivseite« der amerikanischen Unternehmensbücher und die nur allzu bekannte Lage des modernen »Hauseigentümers«, der seine Immobilie im Rahmen einer 30jährigen Zinseszins-»Gefälligkeit« mietet, die ihm von der mit Sicherheit nicht ortsansässigen Hypothekenbank gewährt wird. Das alles natürlich ungeachtet des wahren Übels, das das westliche Wirtschaftsleben seit über einem Jahrhundert befallen hat – nämlich die allgemeine und gesellschaftliche Trennung der Arbeit vom Kapital und die Proletarisierung des Durchschnittsmenschen und seiner Familie, die solch eine Trennung mit sich bringt.
Niemand hat damit gerechnet, daß sich die Dinge mit einem Mal bessern würden. Genau genommen war die damalige Erwartung, daß sich die Lage eher verschlimmern würde, ehe es zu einem gegensätzlichen Trend käme. So wie Belloc es an anderer Stelle schrieb: »Die Dinge werden nicht wieder in Ordnung kommen, […] solange die Gesellschaft nicht wieder so unkompliziert wird, wie sie es einmal war. Bevor wir diesen Zustand wieder erreichen, werden wir ziemlich schlechte Zeiten durchleben müssen.«1 Es hätte allerdings selbst meine (zugegebenermaßen naive) Gutgläubigkeit überstrapaziert, mir damals vorzustellen, daß nur 8 Jahre später die US-amerikanische Staatsverschuldung 13 Billionen US-Dollar erreicht haben würde, davon mehr als 10 Prozent verursacht durch Aufwendungen für zwei grundlose und illegale Kriege. Das Land hat 388 Milliarden US-Dollar für ein bereits veraltetes Kampfflugzeug2 aus der Zeit des Kalten Krieges ausgeben, um Jagd auf vermeintlich »terroristische« Nomaden in südwestasiatischen Höhlen zu machen. Das US-amerikanische Haushaltsdefizit wird für jedes neue Jahr in der nächsten Dekade auf fast 1 Billion US-Dollar prognostiziert. Und dabei bleibt natürlich die seit 2008 grassierende »Finanzkrise« – über die scheinbar jeder spricht, aber die nur wenige wirkliche verstehen – vollkommen unberücksichtigt. William Pfaff beschrieb sie denkwürdig als »verursacht durch Hypothekenbetrüger, Immobilienhändler und -makler und Umschuldungsunternehmen auf dem großen globalisierten freien Markt, denen es in den letzten Jahren gelungen ist, die Hypothekenabzocke an der US-amerikanischen Unterschicht in eine internationale Krise zu verwandeln, die weder von den vormaligen Herren des Finanzuniversums noch von den Zentralbankern der Welt vorhergesehen wurde.«3 Kaum einer erkennt die Ironie darin, daß von einer »Krise« gesprochen wird. Als wären die wirtschaftlichen Verhältnisse vor dem Jahr 2008 solide und gesund gewesen und hätten in perfektem Einklang mit dem Naturrecht gestanden!
Dies alles kann auf jeden Fall nur bedeuten, daß der symbolische Reichtum, wie Fr. McNabb das moderne Geld so vorausschauend bezeichnete, letztlich jeden Bezug zu dem verloren hat, was einen realen Wert besitzt. Rettungspakete, Schuldenumwandlung und sogar Hypothekendarlehen sind schlichtweg die todbringenden.Erfindungen.eines.Gesellschaftssystems, das auf der selbstgefälligen, aggressiven und gewaltsamen Realitätsverleugnung selbst errichtet worden ist. Für diesen, wirtschaftlich betrachtet, traurigen Zustand sind zwei einfache Hauptursachen verantwortlich, auf die Belloc 1936 in seinem Essay präzise hinwies. Eine »Ursache des Übels«, sagt er, scheine der »ungehemmte Wettbewerb« zu sein.4 Daß dem so ist, ergibt sich noch aus vielen weiteren Bewertungsmethoden und Fragestellungen, als die hier zur Verfügung stehenden Zeilen es auszuführen erlauben. Sogar aus der Historikerzunft huldigen einige, die versuchen, den Aufstieg des Kapitalismus in der Anfangsphase der nordamerikanischen Republik zu erklären, unbeabsichtigt dieser Idee: daß der Kapitalismus nämlich – für den einige von ihnen wenig überraschend noch immer keine Definition parat haben – in diesem Land erst dann wirklich Fuß fassen konnte, als gewisse gewohnheitsmäßige und rechtliche Beschränkungen der öffentlichen und gewerblichen Wirtschaftstätigkeit außer Kraft gesetzt wurden und damit der Weg für das praktische Wirken des laissez faire offen stand. Aus dem gesunden Menschenverstand und Bellocs eindeutiger Aussage ergibt sich, zusammen mit der jüngsten historischen Forschung, daß der Übergang von einer traditionellen Wirtschaftsordnung hin zu einer, in der im Namen des Kapitalismus dem Großteil der Menschen und Familien der Besitz von wirklich produktivem Eigentum verweigert wird, durch »eine gewisse Stimmung – eine Geisteshaltung« hervorgerufen wurde.5 Es handelt sich dabei um eine Geisteshaltung, die sich offen gegen »eine öffentliche Meinung [richtet], die wohlverteiltes Eigentum unterstützt, ein Gesellschaftszustand, wo wohlverteiltes Eigentum für selbstverständlich genommen wird.«6 Auf genau diese Stimmung oder Einstellung bezieht sich Mike Merrill, wenn er schreibt:
Vor dem Sezessionskrieg hatten die meisten Amerikaner kein Interesse daran, die unbegrenzte Anhäufung von privatem Vermögen zu begünstigen, die abhängigsten Formen der Lohnarbeit auszuweiten, die finanziellen Möglichkeiten der Wohlhabenden zu vergrößern oder alles und jeden zu einer Ware zu machen. Was sie hingegen wollten, war die relativ weitverbreitete Verteilung des Privateigentums zu schützen und dafür Sorge zu tragen, daß die Lohnarbeit auch weiterhin als Sprungbrett ins selbstständige Unternehmertum dienen konnte, um dadurch die finanziellen Möglichkeiten vieler Menschen zu vergrößern. Außerdem lag ihnen daran, sich durch nichtkommerzielle Formen des Handels, wie Tauschgeschäfte und Erbschaft, gegen die Unwägbarkeiten des Marktes abzusichern.7
Als Reaktion auf den Zusammenbruch institutioneller Absicherungsmaßnahmen zur weitgehenden Verteilung des Produktivvermögens – wie es die Zünfte in Europa waren und wie sie ähnliche Gesetze und Bräuche in den Vereinigten Staaten von Nordamerika vor dem Sezessionskrieg bildeten – besteht die offenkundigste, wenn auch zugleich schwierigste Abhilfemaßnahme für den Einzelnen und seine Familie darin, wieder das zusammenzuführen, was der Kapitalismus getrennt hat und was der Sozialismus dauerhaft zu trennen versucht, nämlich Arbeit und Kapital. Das ist durch den Besitz produktiven Eigentums wie Grund und Boden oder die Mittel und das Fachwissen zur Ausübung eines Handwerkes oder Gewerbes möglich. Zugleich ist es die Bemühung in der Gemeinschaft – selbst im kleinen Rahmen, der höchstwahrscheinlich auch der Ort sein wird, an dem die von Merrill beschriebenen Gebräuche und Ansichten wiederhergestellt werden können – dem sich der Einzelne und seine Familie, die die Zeit, die Fähigkeit und die Bereitschaft dazu besitzen, widmen sollten.
Ein kleiner Baustein in diesem Unterfangen – dem unerschrockenen Versuch, eine wirkliche ideologische Revolution zu ermöglichen, die das Ethos des Industriekapitalismus unterminiert – ist die bescheidene, aber, so Gott will, nutzbringende Publikationsarbeit. Gleichzeitig ist, wie Bellocs mahnt: »Doch wenn man untersucht, wie eine Festung mit den verfügbaren Kräften angegriffen werden kann, so ist die erste Aufgabe, sich zu fragen, wo ihre schwachen Punkte zu finden sind«8, das wahrscheinlichste Schlachtfeld für einen unmittelbaren Sieg nicht das der Ideologie. Viel mehr gibt es, wie Belloc weiter ausführt, Dinge, »[…] die selbst jetzt, sogleich, mit einiger Chance für einen Teilerfolg, einen begrenzten Erfolg, getan werden können«9. Und es sind genau diese Dinge, mit denen Männer der Tat und des guten Willens beginnen müssen, und zwar sofort.
John F. Sharpe
6. Januar 2021
Erscheinung des Herrn
1Belloc, Hilaire: Economics for Helen, Norfolk 2004, S. 163 [Aus dem Englischen übertragen].
2 Anm. d. Übers.: Gemeint ist das sog. Joint-Strike-Fighter-Programm. Die US-Regierung rief dieses Programm Anfang der 90er-Jahre zur Entwicklung eines neuen Kampfflugzeuges ins Leben. Kritiker bemängelten, daß der neue Flugzeugtyp nicht den modernen Anforderungen des US-Militärs gerecht werde.
3Pfaff, William: International Finance Pillaging Poor Nations, 2. März 2010, http://www.williampfaff.com/modules/news/article.php?storyid=454 [Aus dem Englischen übertragen].
4Vgl. S. 82.
5 Ebd.
6 Ebd.
7Merrill, Mike: Putting ›Capitalism‹ in Its Place, erschienen in: The William and Mary Quarterly, 2. April 1995, S. 322f. [Ins Deutsche übertragen].
8Vgl. S. 84.
9Vgl. S. 85.
Der Mensch lebt und arbeitet nicht für den Erwerb von Aktien.
– The Nation, 19. August 2002
Soweit der Name Hilaire Belloc in unseren modernen Tagen überhaupt ein Begriff ist, dann allein durch seine Bekanntheit als Autor von Kindergeschichten. Bekannt ist er für seine unverfänglichste und ungefährlichste Perspektive – ein bequemer Ausweg für all diejenigen, die nicht wollen, daß ihr bequemes Leben und die ihnen genehmen Vorstellungen hinterfragt und in Zweifel gezogen werden. Doch selbst eine angemessene Würdigung von Bellocs Kindergeschichten, ist, für sich genommen, letztlich eine verfehlte Beurteilung von Belloc selbst. Diesen scharfen Kritiker der Moderne als bloßen Kinderbuchautor zu betrachten, bedeutet, ihm nicht wirklichgerecht zu werden. Es würde bedeuten, nur eine Seite an ihm zu erfassen, ähnlich wie er nichtkatholischen Historikern vorwarf, lediglich diesen oder jenen Aspekt europäischer Geschichte zu verstehen. Nur wer seinen Kampf für die Wahrheitversteht, der kann Bellocs Wirken vollumfänglich würdigen. Denn Belloc führte auf allen Gebieten, zu jeder Zeit und in allen Disziplinen einen Kreuzzug für die Wahrheit, in der Belletristik, der Religion, der Politik und der Wirtschaft.
Ja, auch auf wirtschaftlichem Gebiet.
Die modernen Vertreter der »dismal science« würden Belloc natürlich nur ungern den Status eines »Ökonomen« zugestehen. Auch Belloc selbst hätte eine solche Zuschreibung nicht gewollt. Denn die modernen Ökonomen entstammen einer Tradition, die derjenigen, die Belloc kultivierte, fremd ist und ihr feindlich gegenübersteht. Sie stehen in der Tradition einer materialistischen Philosophie und sind davon besessen, alles einer rein technischen Analyse zu unterziehen. In der Analyse ist heute meist ein Erklärungsversuch für das zu sehen, was nicht existiert (z.B. Unternehmenswerte oder der Wert eines Bestandes an Terminwaren). Belloc hingegen vertritt eine Wissenschaft der Sachhaltigkeit, die nicht nur auf der Vorstellung von dem beruht, was im irdischen Jammertal ist, sondern vor allem darauf, was nach dem göttlichen Gesetz und dem Naturrecht sein sollte.
Man wird daher in Bellocs Schriften nicht auf die geringste Spur jener Skepsis stoßen, die von der »Politik als Kunst des Möglichen« und von der Ökonomie als Wissenschaft der Hypothesen spricht, die ausschließlich auf beobachtbaren Vorgängen beruht und in einer Ansammlung von Gleichungen, Diagrammen und Kurven festgeschrieben ist. Als integraler Katholik trat Belloc in die Fußstapfen des Realisten Thomas von Aquin, der von der Politik als Sittenlehre sprach, die die »Ordnung unter den Menschen untersucht«1, und von der politischen Ökonomie als der Wissenschaft von der »Verwaltung [der] Güter in der Hausgemeinschaft, wie es [für das Leben der Menschen] erforderlich ist«2.
So befaßt sich Bellocs Betrachtung wirtschaftlicher Fragen im Essay über die Wiederherstellung des Eigentums, in Economics for Helen3 und im Sklavenstaat sowohl mit der Realität im tieferen Sinne als auch in ihrer praktischen Form. Tiefgründig daher, weil Belloc immer das Wissen um den Zweck der Wissenschaften vor Augen hat, das Wissen, daß allen Werkzeugen, Techniken und Mitteln, die in den Wissenschaften zu Anwendung kommen, durch ihre unterschiedlichen Verwendungszwecke klare und exakt definierte Tendenzen und Richtungen vorgegeben sind. Und praktisch deshalb, weil es Belloc, wenn er sich mit wirtschaftlichen Fragen befaßt, nicht um die phantastischen Tortendiagramme moderner Wirtschaftstheoretiker geht, sondern darum, wie sich das Problem der materiellen Lebensbedürfnisse des Menschen auf eine Weise lösen läßt, die sowohl seiner Würde als freiem Menschen als auch der Erhabenheit seiner Seele gerecht wird, die für den Himmel bestimmt ist. Daran ist nichts Neues. Belloc folgt dabei einfach dem heiligen Thomas von Aquin, der die Anhäufung von Reichtum den wahren Bedürfnissen des Menschen unterordnet: »Damit ein einzelner ein gutes Leben führt, wird zweierlei gefordert: Das eine, Hauptsächliche, ist das Handeln nach der Tugend […] und das zweite, mehr Nebensächliche und gleichsam als Hilfsmittel Anzusehende, das genügende Vorhandensein materieller Güter, deren Gebrauch zu einem Akt der Tugend notwendig ist.«4
Solch eine Herangehensweise schien in einer Gesellschaft, die damit beschäftigt ist, das »Endergebnis« zu erreichen und »mehr fürs Geld« zu bekommen, lange Zeit kurios und »unrealistisch« zu sein. Es erschien kurios, bis vor kurzem.
Heutzutage wird ein solcher Ansatz von vielen, die plötzlich – wenn auch unbewußt – erkennen, daß der heilige Thomas von Aquin bei der Rangfolge der wirtschaftlichen Zielsetzungen absolut richtig lag, fast schon als »Offenbarung« angepriesen. In einem Leitartikel aus The Nation, der sich gegen die Dominanz der Finanzwirtschaft und die Gesetzlosigkeit amerikanischer Konzerne richtet, heißt es: »Der übergeordnete Zweck der Wirtschaftsordnung, einschließlich der Wall Street, besteht darin, die materiellen Bedürfnisse der menschlichen Existenz zu decken.« Wie herrlich gleich kommt dieses Konzept dem klassischer und katholischer Nationalökonomen, Männern, die seit Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. bis hin zu Charles Devas Anfang des 20. Jahrhunderts eine beständige und stimmige Tradition bilden, die sich über 2.200 Jahre erstreckt.
Im Leitartikel heißt es weiter:
Während der letzten zwei Jahrzehnte hat sich eine tiefgreifende Umkehr bei den vorherrschenden Wertevorstellungen im US-amerikanischen Wirtschaftsleben vollzogen, die wiederum die Politik und den Diskurs innerhalb der Eliten erfaßt hat – das ist der Sieg der Finanzen über die Realwirtschaft. Innerhalb der natürlichen Ordnung des Kapitalismus ist es Aufgabe des Finanzsystems, der produzierenden Wirtschaft– Waren, Dienstleistungen, Arbeitsplätzen und Einkommen – zu dienen. Zum beherrschenden Faktor sind jedoch die simplen Wertmaßstäbe der Wall Street geworden.
Solch eine Feststellung bedeutet sowohl einen Schritt vor als auch einen zurück. Einen Schritt vorwärts insofern, als sie bestätigt, daß es Einigen gelungen ist, sich genug gesunden Menschenverstand zu bewahren, um zu erkennen, das die ganze weltweite Finanzzauberei letztlich nichts wert ist, wenn sie nicht eine Umsetzung in eine sichere Versorgung der durchschnittlichen Familie mit denjenigen Gütern und Dienstleitung findet, die für eine gesundes und auskömmliches Leben notwendig sind.
Ein Rückschritt liegt vor, wenn verlangt wird, daß die »natürliche Ordnung des Kapitalismus« das Finanzwesen den Wertvorstellungen der Realwirtschaft unterwirft. Denn dies bedeutete, etwas zu fordern, das so niemals vorgesehen war. Von einem System, das ausschließlich auf dem freien Wettbewerb beruht, kann man unmöglich erwarten, daß es aus sich selbst heraus die Unterordnung von Finanzen und Kapital unter die menschlichen Bedürfnisse herbeiführt. Eben gerade weil diese »kleinen« Bedürfnisse nicht die wirtschaftliche Macht besitzen, die es ihnen ermöglichen würde, erfolgreich im Wettbewerb mit den riesigen Konglomeraten aus Unternehmen und Geld zu konkurrieren. Der Spruch »It’s a jungle out there« ist keine drollige Anspielung auf einen Familienausflug in den Zoo. Dieses Klischee beschreibt das moderne Wirtschaftsleben, wie es heutzutage von den Menschen im »zivilisierten« Westen praktiziert und hingenommen wird, nur zu gut. Das »Überleben des Stärkeren« führt keineswegs zu Ordnung, Harmonie und wohlverteiltem Glück, wenn das entscheidende Prinzip nicht die »gleichgültige« und leblose Mutter Natur ist, sondern vielmehr die Fähigkeit des gefallenen Menschen, eine nie enden wollende Menge an Reichtum zu begehren, ungeachtet der Folgen für sich selbst und seinen Nächsten.
Ganz gleich, wie offensichtlich eine solche Feststellung erscheinen mag, selbst die herausragendsten modernen Ökonomen verharren überrascht im Schockzustand darüber, daß ein System, welches von sich aus die menschliche Habsucht nicht einschränkt, solche verheerende Folgen zeitigt: »Ich kann nur sagen«, so John K. Galbraith5 im Gespräch mit der britischen Zeitung The Independent, »ich hätte nicht erwartet, dieses Problem in einem solchen Ausmaß wie in den letzten Monaten zu erleben – die Trennung von Eigentum und Management, die völlige Inanspruchnahme der Kontrolle durch verantwortungslose private Geldmacher.«
Es stellt sich die Frage, was genau Mr. Galbraith erwartet hatte. Solch »ein Schockzustand« kann nur dem –absichtlichen oder unabsichtlichen – Versäumnis zugeschrieben werden, nicht auf die Zahlen, sondern auf die Fakten zu schauen. Dabei geht es sowohl um historische als auch logische Tatsachen, die offenbaren, daß der Ruhm und die Größe des christlichen Abendlandes nicht darin bestand, »dass du kannst, was dir beliebt«, wie der große Papst Leo XIII. es in seiner herrlichen Enzyklika Libertas ausdrückte, »denn daraus würde ja nur die größte Verwirrung und Unordnung entstehen«. Es war im Gegenteil die Unterwerfung des Einzelnen und der Gesellschaft unter das ewige Gesetz Gottes, ein Gesetz, das dem Menschen auch heute noch ins Herz geschrieben steht und das sich einst auch verschriftlicht in seinen Verfassungen, Statuten, Gesetzbüchern und Urkunden fand.
»Wer Ohren hat zu hören, der höre!« (Mt 11,15) hat unser Herr gesagt. Selbst unter Katholiken gab es nur wenige, die hörten. In der Retrospektive ist die Voraussicht der Kirche bemerkenswert:
Am auffallendsten ist heute die geradezu ungeheure Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschgewalt in den Händen einzelner, die sehr oft gar nicht Eigentümer, sondern Treuhänder oder Verwalter anvertrauten Gutes sind, über das sie mit geradezu unumschränkter Machtvollkommenheit verfügen.6
Das stammt nicht aus einem besonderen Börsenbericht von CNN, sondern aus der siebzig7 Jahre alten Enzyklika Quadragesimo anno Papst Piusʼ XI. Die Menschheit wird es irgendwann begreifen. Und nur, weil sie es ablehnt, die überlieferte Weisheit vorhergehender Generationen anzunehmen, macht sie sie dadurch nicht ungültig. Die Menschen verdammen sich lediglich dazu, sie am eigenen Leibe wieder und wieder durch immer schrecklichere Erlebnisse selbst zu erfahren.
⁂
Die Zeit war also niemals zuvor so günstig wie jetzt, um die Aufmerksamkeit wieder auf die Weisheit der Distributisten zu lenken – jene Herren wie Pater Vincent McNabb, G.K. Chesterton, Arthur Penty und andere. Zu ihnen gehört natürlich auch Hilaire Belloc, der konsequent versuchte, schlüssig und unumwunden die Soziallehre der Kirche auf die Probleme des 20. Jahrhunderts anzuwenden. Die Menschen von heute scheinen einen außergewöhnlichen, wenn auch zweifellos flüchtigen – fast schon verbissenen – Willen zur Befassung mit all den wirtschaftlichen Angelegenheiten zu besitzen. Diese Gelegenheit nutzen wir daher, um dem Leser Bellocs klassischen Essay über die Wiederherstellung des Eigentums vorzulegen.
Daß der vorliegende Essay keine ausführlichen Zahlen und Statistiken enthält, wie es bei Studien auf dem weiten Feld des Wirtschaftslebens üblich ist, dürfte ob seines Umfanges klar sein. Für die meisten Leser wird das zweifellos eine willkommene Neuigkeit sein. Bei anderen, die versucht sein könnten zu fragen: »Was gibt es auf dem Gebiet der Wirtschaft noch zu diskutieren?« verhält es sich vielleicht nicht so. Solch eine Frage ergibt sich aus der Tatsache, daß es heutzutage nur wenige Menschen gibt, die mit einer Denkmethode vertraut sind, die »am Anfang beginnt«, wie Belloc es in seinem berühmten Essay über den Industriekapitalismus schreibt. Es ist eine Methode, die den Zweck des Wirtschaftslebens, so wie ihn weise Männer immer verstanden haben und wie ihn selbst weniger Weise in letzter Zeit widerwillig eingestanden haben, an den Anfang setzt. Sie untersucht diesen Zweck und schlägt zu seiner Erreichung geeignete Mittel vor. Sie setzt sich mit Tatsachen auseinander – Tatsachen der menschlichen Natur, historischen Tatsachen, den harten Fakten des wirtschaftlichen Lebens, wie Grund und Boden, Unterkunft, Kleidung, Werkzeugen und Gewerken. Was sie außer Acht läßt, sind lebensferne Datenbits, die nach Belieben manipuliert und hübsch verpackt präsentiert werden können, um jenes Maß an Wirklichkeit – oder Unwirklichkeit – widerzuspiegeln, das die jeweilige Situation gerade erfordert.
Eine solche Methode setzt also implizit voraus, dass der Mensch der Herr über sein Schicksal ist und dass dies gleichermaßen auch für die wirtschaftlichen Belange gilt. Der Mensch verfügt über einen freien Willen. Und die Frage, die Belloc seiner Beweisführung in der Wiederherstellung des Eigentums zugrunde legt – genau wie es der heilige Thomas von Aquin und all diejenigen, die ihm nachfolgen, in ihrer Argumentation tun – kreist darum, wie der Mensch seinen freien.Willen.nutzen.sollte,.um.dem.Zweck.des.wirtschaftlichen Lebens, nämlich der »Verwaltung [der] Güter in der Hausgemeinschaft«, zu entsprechen.
Die Freiheitsfrage ist von zentraler Bedeutung für die Wiederherstellung, implizit und explizit.
Implizit, weil der Essay und die Wissenschaft der politischen Ökonomie im Allgemeinen davon ausgehen, dass es dem Menschen obliegt, im Rahmen seiner Entscheidungsfreiheit die wirtschaftlichen Kräfte und Aktivitäten zu regulieren, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Der Nationalökonom geht nicht davon aus, daß ein unantastbares und unabänderliches wirtschaftliches »Gesetz« existiert, dem man sich zu unterwerfen hat, so wie der Mensch den Gesetzen des leblosen Kosmos gehorcht. Obwohl einige Katholiken – denen es möglicherweise darum geht, sich bei den hergebrachten »Liberalen« im Scheingewand des Konservatismus, die für den »freien Markt« schwärmen, beliebt zu machen – eben genau diese Position vertreten, und zwar auf Grundlage von aus dem Kontext gerissenen Zitaten scholastischer Theologen, denen fälschlicherweise (und skandalöserweise!) nachgesagt wird, die Grundlagen für den modernen Kapitalismus gelegt zu haben. Solch eine Konzeption ist der echten Wirtschaftswissenschaft fremd. Es handelt sich dabei um eine Auffassung, die dem »Rationalismus« entsprang und »bald eine Wirtschaftswissenschaft [entstehen ließ], die es unterließ, sich an der wahren Sittennorm zu orientieren.«8, wie Pius XI. erklärte. Die wahre Wirtschaftswissenschaft befaßt sich mit echten Menschen, die fähig sind, Entscheidungen zu treffen, seien sie richtig oder falsch, oder von einer Entscheidung abzusehen. Und so stellt sich für Wirtschaft und Politik die zentrale Frage, wie die Dinge geordnet werden sollten. Belloc selbst führt uns in seinem Aufsatz diesen Punkt vor Augen:
Ich sage, es ist überaus wichtig, zwischen den beiden Tendenzen zu unterscheiden: denn sie müssen ganz verschieden behandelt werden. Die Verteidiger des Industriekapitalis- mus – die wenigen nämlich, die von ihnen noch übrig sind – und solche von demselben Geistestypus, welche den Sozialismus oder dessen einzige logische Form, den Kommunismus, verteidigen, haben uns wieder und wieder vorgepredigt, daß die Fusion unvermeidlich sei. Sie nennen das »wirtschaftliche Notwendigkeit«, weil sie denken, daß jede billigere oder bessere Maschine oder Methode für Produktions- oder Transportzwecke die etwas weniger billigen oder guten mit Notwendigkeit verdrängen muß. Darin schließen sie auch noch stillschweigend ein, daß der gierigere und listigere Mensch den großmütigeren und weniger unterrichteten auffressen muß.
Die so sprechen, vermengen, was sie hier »Notwendigkeit« nennen, mit jener echten Notwendigkeit, die uns durch universelle physikalische Gesetze unabhängig vom menschlichen Willen auferlegt wird.