Die wissenschaftlichen Werke von Goethe (Übersetzt) - Rudolf Steiner - E-Book

Die wissenschaftlichen Werke von Goethe (Übersetzt) E-Book

Rudolf Steiner

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Beschreibung

In den Jahren 1884-1897 gab Rudolf Steiner Goethes wissenschaftliche Schriften für Kürschners Reihe "Deutsche Nationalliteratur" heraus.

In Goethes Werken ist jede einzelne Erfahrung kein Selbstzweck, sondern dient dazu, eine einzige, große Idee zu unterstützen: das unaufhörliche harmonische Werden des Universums, das sich in diesem Band offenbart.

"Der dominierende Einfluss in Steiners Leben war der von Goethe. Im Jahr 1833 wurde er eingeladen, Goethes wissenschaftliche Schriften für die geplante kanonische Ausgabe zu bearbeiten, und seine ersten Veröffentlichungen aus dem Jahr 1866 sind über Goethe. 1890 verließ er Wien und arbeitete sechs Jahre lang im Goethe-Archiv in Weimar, ausgerüstet nicht nur mit einer orthodoxen Kultur, die ihm im folgenden Jahr ein Philosophiestudium in Rostock einbrachte, sondern auch mit einem sehr großen Allgemeinwissen über alle bekannten Disziplinen".
James Webb

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DIE WISSENSCHAFTLICHEN WERKE VON GOETHE

 

Rudolf Steiner

 

Übersetzung und 2022 Ausgabe von ©David De Angelis

Alle Rechte vorbehalten

 

INDEX

EINFÜHRUNG

I. Die Entstehung der Metamorphose-Lehre

II. Die Entstehung von Goethes Vorstellungen über die Entstehung der Tiere

III. Das Wesen und die Bedeutung von Goethes Schriften zur organischen Bildung

IV. Fazit zu Goethes morphologischen Konzeptionen

V. Goetheanisches Wissen

VI. Zur Ordnung der wissenschaftlichen Werke Goethes

VII. Von der Kunst zur Wissenschaft

VIII. Die goetheanistische Erkenntnistheorie

IX. Wissen und Handeln im Lichte des goetheschen Denkens

1. - Methodik

2. - Dogmatische und immanente Methode

3. - System der Wissenschaft

4. - Von den Grenzen des Wissens und der Hypothesenbildung

5. - Ethische und historische Wissenschaften

X. Beziehung zwischen dem goetheschen Denken und anderen Konzeptionen

XI. Goethe und die Mathematik

XII. Goethes geologisches Grundprinzip

XIII. Goethes meteorologische Auffassungen

XIV. Goethe und der wissenschaftliche Illusionismus

XV. Goethe als Denker und Wissenschaftler

1. - Goethe und die moderne Naturwissenschaft

2. - Das "Urphänomen

3. - Das System der Naturwissenschaften

4. - Das System der Farbenlehre

5. - Der Begriff des Raumes nach Goethe

6. - Goethe, Newton und die Physiker

XVI. Goethe gegen den Atomismus

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

XVII. Goethes Weltbild in den "Prosaischen Sprüchen" des Dichters

EINFÜHRUNG

 

Am 18. August 1787 schrieb Goethe aus Italien an Knebel: "Nach dem, was ich in der Nähe von Neapel und in Sizilien an Pflanzen und Fischen gesehen habe, wäre ich, wenn ich zehn Jahre jünger wäre, sehr versucht, eine Reise nach Indien zu machen, nicht um neue Dinge zu entdecken, sondern um die bereits entdeckten auf meine Weise zu betrachten". Mit diesen Worten ist der Gesichtspunkt angegeben, von dem aus wir Goethes wissenschaftliche Werke betrachten müssen. In seinem Fall geht es nie um die Entdeckung neuer Tatsachen, sondern um die Übernahme eines neuen Standpunkts, einer bestimmten Art der Naturbeobachtung. Es stimmt, dass Goethe eine Reihe wichtiger Einzelentdeckungen gemacht hat, wie die des Zwischenkieferknochens und der Wirbeltheorie des Schädels in der Osteologie, und auf dem Gebiet der Botanik die der Identität aller Pflanzenorgane mit dem Blattkranz usw. Aber als den belebenden Atem dieser Einzelheiten müssen wir eine grandiose Vorstellung von der Natur betrachten, von der sie alle getragen werden; und vor allem müssen wir in der Theorie der Organismen eine grandiose Entdeckung sehen, die alles andere in den Schatten stellt: die des Wesens des Organismus selbst. Goethe hat das Prinzip dargelegt, nach dem ein Organismus das ist, was er uns offenbart, die Ursachen, als deren Folge uns die Erscheinungen des Lebens erscheinen, und alle prinzipiellen Fragen, die wir in dieser Hinsicht zu stellen haben [1] Dies ist, was die organischen Wissenschaften betrifft, von Anfang an das Ziel aller seiner Bemühungen, bei deren Verfolgung sich ihm die oben erwähnten Einzelheiten geradezu aufdrängen. Er musste sie finden, wenn er nicht in seiner weiteren Arbeit behindert werden wollte. Vor ihm kannte die Naturwissenschaft das Wesen der Lebenserscheinungen nicht und untersuchte die Organismen nur nach der Zusammensetzung ihrer Teile und äußeren Merkmale, wie man auch die anorganischen Gegenstände untersucht: daher wurde sie oft dazu verleitet, die Einzelheiten falsch zu interpretieren und sie in ein falsches Licht zu stellen. Aus den Einzelheiten als solchen ist ein solcher Irrtum natürlich nicht zu erkennen; wir erkennen ihn erst, wenn wir den Organismus verstehen; denn die Einzelheiten, isoliert betrachtet, tragen ihr Erklärungsprinzip nicht in sich. Nur das Wesen des Ganzen erklärt sie, denn es ist das Ganze, das ihnen Wesen und Bedeutung verleiht. Erst als Goethe das Wesen des Ganzen enthüllt hatte, stellte er diese Fehlinterpretationen fest; sie waren mit seiner Theorie der Lebewesen unvereinbar, ja sie widersprachen ihr. Wenn er seinen Weg fortsetzen wollte, musste er solche Vorurteile beseitigen; dies geschah im Fall des Zwischenkieferknochens. Der ältesten Naturwissenschaft waren bestimmte Tatsachen unbekannt, die nur für diejenigen von Wert und Interesse sind, die im Besitz einer Theorie sind, wie z. B. die der vertebralen Natur der Schädelknochen. Ein solches Hindernis mußte durch Einzelerlebnisse beseitigt werden; aber diese Einzelerlebnisse erscheinen uns bei Goethe nie als Selbstzweck; sie werden z.B. immer zur Untermauerung einer großen Idee, zur Bestätigung der grundlegenden Entdeckung gemacht. Es ist unbestreitbar, dass Goethes Zeitgenossen früher oder später zu denselben Beobachtungen kamen und dass sie heute wahrscheinlich auch ohne Goethes Bemühungen alle bekannt wären; aber noch unbestreitbarer ist es, dass seine große Entdeckung, die die gesamte organische Natur umfasst, bisher von niemandem unabhängig von ihm und in ebenso vollkommener Weise dargelegt worden ist; Tatsächlich fehlt bis heute eine Bewertung dieser Entdeckung, die ihrer Bedeutung auch nur annähernd gerecht wird [2] Denn es scheint gleichgültig zu sein, ob eine Tatsache von Goethe entdeckt oder nur wiederentdeckt wurde: die Tatsache erhält ihre wahre Bedeutung erst durch die Art und Weise, wie er sie in seine eigene Vorstellung von der Natur einfügt. Das war bisher unentdeckt geblieben. Die Betonung lag zu sehr auf diesen Fakten, was zu Kontroversen führte. Es ist zwar oft auf Goethes Glauben an die Kohärenz der Natur hingewiesen worden, aber ohne zu bedenken, dass damit nur ein völlig sekundäres und unbedeutendes Merkmal von Goethes Vorstellungen aufgezeigt wurde, und dass es z. B. in der Wissenschaft von den Organismen vor allem darauf ankommt, zu zeigen, was die Natur dessen ist, was diese Kohärenz bewahrt. Wenn in diesem Zusammenhang von Typus die Rede ist, ist es notwendig, darauf hinzuweisen, worin das Wesen des Typus nach Goethe besteht. Das Bedeutendste an der Metamorphose der Pflanzen ist nicht etwa die Entdeckung der einzigen Tatsache, dass Blatt, Kelch, Sehne usw. identische Organe sind, sondern das daraus resultierende grandiose Gedankengebäude eines lebendigen Komplexes von zusammenwirkenden Formungsgesetzen, der aus eigener Kraft die Details, die einzelnen Entwicklungsstufen bestimmt. Die Größe dieses Gedankens, den Goethe später auch auf die Tierwelt auszudehnen versuchte, erschließt sich uns erst, wenn wir versuchen, ihn in uns lebendig werden zu lassen, wenn wir uns vornehmen, ihn selbst neu zu denken. Wir erkennen dann, dass es die Natur der Pflanze selbst ist, die in eine Idee übersetzt in unserem Geist lebt, so wie sie im Objekt lebt; wir erkennen auch, dass wir auf diese Weise einen lebendigen Organismus bis in seine kleinsten Partikel hinein darstellen, und nicht ein totes, definiertes Objekt, sondern etwas im Prozess der Entwicklung, ein Werden in unaufhörlicher Unruhe. Während wir auf den folgenden Seiten versuchen werden, das hier nur Angedeutete im Detail darzustellen, wird auch das wahre Verhältnis von Goethes Naturauffassung zu der unserer Zeit und insbesondere zur Evolutionstheorie in ihrer modernen Form deutlich werden.

 

[1] Wer ein solches Ziel a priori für unerreichbar erklärt, wird Goethes Naturvorstellungen nie verstehen; wer sich dagegen unvoreingenommen an ihre Erforschung macht, ohne diese Frage vorwegzunehmen, wird sie bejahen, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist. Manche mögen durch Goethes eigene Äußerungen zu Skrupeln veranlasst werden, z.B. durch folgende: "Ohne uns anzumaßen, die ersten Triebfedern natürlicher Handlungen entdecken zu wollen, hätten wir unser Augenmerk auf das Ausströmen jener Kräfte gerichtet, durch welche die Pflanze allmählich ein und dasselbe Organ umwandelt". Aber solche Aussagen richten sich bei Goethe nie gegen die generelle Möglichkeit, das Wesen der Dinge zu erkennen; sie sind nur Ausdruck seiner Vorsicht bei der Beurteilung der physikalisch-mechanischen Bedingungen, die dem Organismus zugrunde liegen, denn er wusste sehr wohl, dass solche Probleme nur mit der Zeit gelöst werden können.

[2] Damit wollen wir keineswegs behaupten, dass Goethe nie unter diesem Gesichtspunkt verstanden wurde. Im Gegenteil: In der vorliegenden Ausgabe haben wir mehrfach Gelegenheit gehabt, eine Reihe von Gelehrten zu erwähnen, die sich uns als Fortsetzer und Weiterentwickler der goetheschen Ideen präsentieren, wie Voigt, Nees von Esnbeck, d'Alton (serior und junior), Schelver, C. G. Carus, Martius usw. Aber alle diese Gelehrten bauten ihre eigenen Systeme auf der Grundlage der in Goethes Schriften dargelegten Konzepte auf, und man kann von ihnen nicht sagen, dass sie auch ohne Goethe zu ihren Ideen gekommen wären; während andererseits einige seiner Zeitgenossen, wie Josephy in Cöttinga, unabhängig von Goethe den Zwischenkieferknochen und Oken die Wirbeltheorie des Schädels entdeckten.

I. Die Entstehung der Metamorphose-Lehre

 

Verfolgt man die Entstehungsgeschichte von Goethes Vorstellungen über die Bildung von Organismen, so wird man leicht von Zweifeln ergriffen, welcher Teil der Jugendzeit des Dichters, also der Zeit vor seiner Ankunft in Weimar, zuzurechnen ist. Goethe selbst schätzte seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse damals sehr gering ein: "Ich hatte weder einen Begriff von dem, was man eigentlich äußere Natur nennt, noch die geringste Kenntnis ihrer sogenannten drei Reiche". Aufgrund dieser Aussage wird allgemein angenommen, dass Goethes wissenschaftliches Denken nach seiner Ankunft in Weimar begann. Und doch müssen wir noch weiter zurückgehen, wenn wir den ganzen Geist seiner Vorstellungen nicht unerklärt lassen wollen: denn schon in seiner frühesten Jugend sehen wir die lebensspendende Kraft, die seine Studien in die Richtung lenkte, die wir darlegen werden. Als Goethe an die Universität Leipzig kam, herrschte in den Naturwissenschaften noch jener Geist, der für einen großen Teil des 18. Jahrhunderts charakteristisch war, der alle Wissenschaften in zwei Extreme spaltete und es nicht für nötig hielt, sie miteinander zu versöhnen. Auf der einen Seite stand die Philosophie Christian Wolfs (1679-1754), die sich in einer völlig abstrakten Sphäre bewegte, auf der anderen Seite die einzelnen Wissenschaftszweige, die sich in der äußeren Beschreibung unendlicher Einzelheiten verloren, während ihnen das Streben nach einem höheren Prinzip in der Welt ihrer Gegenstände völlig fehlte. Diese Philosophie konnte den Übergang von der Sphäre ihrer allgemeinen Begriffe zum Bereich der unmittelbaren Wirklichkeit, der individuellen Existenz, nicht finden. Sie behandelte die offensichtlichsten Dinge mit äußerster Sorgfalt; sie lehrte, dass das Ding ein Quid ist, das keinen Widerspruch in sich selbst hat, dass es endliche Substanzen und unendliche Substanzen gibt, usw. usw. Aber wenn man sich mit solchen allgemeinen Aussagen an die Dinge selbst wandte, um ihr Handeln und Leben zu verstehen, wusste man nicht, wo man anfangen sollte, und war nicht in der Lage, diese Konzepte auf die Welt anzuwenden, in der wir leben und die wir verstehen wollen. Was die Dinge selbst anbelangt, so wurden sie eher willkürlich, ohne Prinzipien, nur nach dem Aussehen und den äußeren Merkmalen beschrieben. Sie standen dann ohne jede Möglichkeit der Versöhnung einer Prinzipienlehre gegenüber, der der lebendige Inhalt, das liebevolle Festhalten an der unmittelbaren Wirklichkeit fehlte, und einer prinzipienlosen Wissenschaft ohne idealen Inhalt: beide waren für den anderen fruchtlos. Goethes gesunde Natur fühlte sich von diesen Einseitigkeiten ebenso abgestoßen, und im Gegensatz zu ihnen entwickelten sich in ihm Vorstellungen, die ihn später zu jener fruchtbaren Naturauffassung führten, in der sich Idee und Erfahrung in völliger Durchdringung gegenseitig beleben und zu einem Ganzen werden. So entwickelte sich bei Goethe der Begriff, der von diesen extremen Gesichtspunkten aus am wenigsten zu fassen war, nämlich der Begriff des Lebens, als erster. Die Beschreibung dieser Teile, ihre Form, ihre gegenseitige Lage, ihre Größe usw. kann Gegenstand einer umfassenden Behandlung sein, und die zweite der erwähnten Strömungen war diesem Thema gewidmet. Auf diese Weise kann man aber auch jede mechanische Verbindung von anorganischen Körpern beschreiben. Es wurde völlig vergessen, dass man im Organismus vor allem berücksichtigen muss, dass in ihm die äußere Erscheinung von einem inneren Prinzip beherrscht wird und dass in jedem Organ das Ganze wirkt. Diese äußere Erscheinung, die räumliche Zusammengehörigkeit der Teile, kann auch nach der Zerstörung des Lebens beobachtet werden, denn sie bleibt eine Zeit lang bestehen. Was aber in einem toten Organismus vor uns steht, ist in Wahrheit kein Organismus mehr; das Prinzip, das alle Einzelteile durchdringt, ist verschwunden. Dieser Art der Beobachtung, die das Leben zerstört, um es zu erkennen, stellt Goethe die Möglichkeit und Notwendigkeit einer anderen, höheren Beobachtung gegenüber. Dies zeigt sich bereits in einem Brief aus der Straßburger Zeit vom 14. Juli 1770, in dem er von einem Schmetterling spricht: "Das arme Tier zittert im Netz, so seiner schönsten Farben beraubt; und selbst wenn es gelingt, es unversehrt zu fangen, liegt es am Ende steif und leblos da; der Leichnam ist nicht das ganze Tier, es fehlt etwas, es fehlt ein Hauptteil, der in diesem Fall wie in jedem anderen Fall wesentlich ist: das Leben...". Auch die Worte von Faust entspringen demselben Konzept:

 

Wer sehnt sich nach Wissen

etwas Lebendiges zu finden und es zu beschreiben,

versucht von vornherein, den Geist zu vertreiben;

Die Parteien halten sie also fest,

und es fehlt leider nur das Wesentliche:

der geistige Nexus!

 

Doch Goethe lehnte, wie bei seinem Wesen nicht anders zu erwarten war, nicht nur die Vorstellungen anderer ab, sondern suchte mehr und mehr seine eigenen herauszuarbeiten; und in den Andeutungen, die wir von seinem Denken in den Jahren 1769-1775 besitzen, erkennen wir oft die Andeutungen seines weiteren Schaffens. Schon damals entwickelte er die Idee eines Wesens, in dem jeder Teil die anderen belebt und ein Prinzip alle Einzelteile durchdringt. Im Faust heißt es:

 

Wie alles zu einem Ganzen verwoben ist,

alles im anderen funktioniert und lebt,

 

und die Satyros:

 

Wie vom ungeschaffenen

kam die Entität zuvor heraus,

die Macht des Lichts

schallte durch die Nacht,

alle Lebewesen

tief im Inneren durchdrungen,

aus Lust

großartiges Exemplar keimt auf

und, aufgefaltet, die Elemente

mit gegenseitigem Hunger

überschwappen könnte,

die alles durchdringt,

von allem durchdrungen.

 

Diese Einheit wird so gedacht, dass sie im Laufe der Zeit ständigen Transformationen unterworfen ist, sich aber über alle Transformationsschritte hinweg immer als einzigartig erweist und sich als beständig, als stabil in der Mutation erweist. Im Satyros heißt es weiter:

 

Und drehte sich auf und ab

das Urgebilde

dass alles darin

und ist allein und ewig,

ständig wechselndes Aussehen,

immer das Gleiche.

 

Man vergleiche mit diesen Worten, was Goethe 1807 als Einleitung zu seiner Theorie der Metamorphose schrieb: "Wenn wir aber alle Formen, und besonders die organischen, beobachten, so werden wir nie etwas Beständiges, Ruhiges und Begrenztes finden; im Gegenteil, alles schwankt in ständiger Bewegung. In dieser Passage kontrastiert er dieses Schwanken als konstantes Element mit der Idee, d. h. mit einem Pfund, das nur einen Augenblick lang in der Erfahrung stillsteht". Aus der zitierten Passage aus Satyros lässt sich leicht ableiten, dass die Grundlagen der morphologischen Ideen von Goethe bereits vor seiner Ankunft in Weimar gelegt wurden.

Man muss sich jedoch vor Augen halten, dass diese Vorstellung eines Lebewesens nicht unmittelbar auf einen einzelnen Organismus angewandt wird, sondern dass das gesamte Universum als ein Lebewesen konzipiert ist. Es stimmt, dass die alchemistischen Arbeiten in Zusammenarbeit mit Fräulein von Klettenberg und die Lektüre von Theophrastus Paracelsus nach Goethes Rückkehr aus Leipzig (1768-69) die Annahme dieser Sichtweise begünstigt haben. Es wurde versucht, dieses Prinzip, das das gesamte Universum durchdringt, in einem Experiment zu stoppen, in einer Substanz darzustellen. Aber diese fast mystische Art, die Welt zu betrachten, war nur eine vorübergehende Episode in Goethes Entwicklung und wich bald einer vernünftigeren und objektiveren Auffassung. Dennoch bleibt die Vision des Universums als großer Organismus, die in den oben erwähnten Passagen aus Faust und Satyros angedeutet wird, bis etwa 1780 bestehen, wie wir später im Essay über die Natur sehen werden. Wir begegnen ihm wieder im Faust, und zwar genau dort, wo der Erdgeist als jenes vitale Prinzip dargestellt wird, das das Organismus-Universum durchdringt:

 

In den Wogen des Lebens,

im Wirbelwind der Fakten,

Ich steige auf und steige ab,

Ich bin am Weben! Geburt und Tod,

ewige Meer,

alternativer Betrieb,

Leben durch Verbrennen!

 

Während sich solche konkreten Vorstellungen in Goethes Geist entwickelten, stieß er in Straßburg auf ein Buch, das ein Weltbild vertrat, das dem seinen genau entgegengesetzt war: Holbachs Système de la nature. Hatte Goethe bis dahin nur die Tatsache zu kritisieren gefunden, dass das Lebendige als mechanische Anhäufung von Einzeldingen beschrieben wurde, so sah er nun in Holbach einen Philosophen, der das Lebendige wirklich als einen Mechanismus betrachtete. Was dort nur der Unfähigkeit entsprang, das Leben an seiner Wurzel zu erkennen, führte hier zu einem Dogma, das das Leben selbst tötete. Goethe spricht davon in "Dichtung und Wahrheit" wie folgt: "Sollte die Materie von Ewigkeit her bestehen und von Ewigkeit her in Bewegung sein, und mit dieser Bewegung unzweifelhaft links und rechts und in jeder Richtung die unendlichen Erscheinungen des Daseins hervorbringen? Wir hätten das alles vielleicht sogar akzeptieren können, wenn der Autor aus seinem bewegenden Stoff tatsächlich die Welt vor unseren Augen hätte entstehen lassen. Aber er weiß von der Natur so viel wie wir: denn nachdem er dort einige allgemeine Begriffe gepflanzt hat, gibt er sie sogleich wieder auf, um das, was der Natur übergeordnet ist (oder was wenigstens als übergeordnete Natur in der Natur erscheint), in eine materielle, schwere, sich bewegende Natur zu verwandeln; ja, aber ohne Richtung, ohne Form: und damit glaubt er, einen großen Schritt getan zu haben. Goethe konnte darin nichts anderes finden als "Materie in Bewegung". Im Gegensatz zu diesen Konzepten wurden seine eigenen Vorstellungen von der Natur immer deutlicher. Wir finden sie in dem um i 780 geschriebenen Aufsatz La Natura vollständig dargelegt: und da wir darin alle Vorstellungen Goethes über die Natur, die vorher nur angedeutet waren, koordiniert finden, hat dieser Aufsatz eine ganz besondere Bedeutung. Dort begegnet uns die Idee eines Wesens, das sich ständig verändert und doch immer mit sich selbst identisch ist: "Alles ist neu und doch immer dasselbe. "Sie (die Natur) wandelt sich ewig, und es gibt keinen Moment des Stillstands in ihr", aber "ihre Gesetze sind unabänderlich". Wir werden später sehen, wie Goethe in der Unendlichkeit der Pflanzenformen die pflanzliche Urform suchte. Und schon damals wird dieser Gedanke angedeutet: "Jedes Werk der Natur hat sein eigenes Wesen, jede ihrer Erscheinungen ihren eigenen Begriff, und doch ist alles eins". Aber auch die spätere Position, die er einnimmt, wenn er mit Ausnahmefällen konfrontiert wird, nämlich sie nicht einfach als Irrtümer der Bildung zu betrachten, sondern sie mit den Naturgesetzen zu erklären, ist klar umrissen: "Auch das Unnatürlichste ist Natur" und "ihre Ausnahmen sind selten". Wir haben gesehen, dass Goethe schon vor seiner Ankunft in Weimar ein bestimmtes Konzept des Organismus entwickelt hatte. Tatsächlich enthält der oben zitierte Aufsatz, obwohl er erst viel später verfasst wurde, größtenteils Meinungen aus seiner früheren Zeit. Er hatte dieses Konzept noch nicht auf eine bestimmte Art von natürlichen Objekten, auf einzelne Lebewesen, angewandt: die unmittelbare Realität der konkreten Welt der Lebewesen war gefragt. Das Spiegelbild der Natur, das durch den menschlichen Geist weitergegeben wird, war sicher nicht das Element, das Goethe anregte. Botanische Gespräche mit dem Hofrat Ludwig in Leipzig blieben ebenso ohne tiefgreifende Wirkung wie gesellige Unterhaltungen mit medizinischen Freunden in Straßburg. Was die wissenschaftlichen Studien betrifft, so scheint sich der junge Goethe nach der Frische der unmittelbaren Naturbetrachtung zu sehnen, wie Faust, der seine Sehnsucht in Worten ausdrückt:

 

Ach, wenn ich doch nur für Berggipfel könnte

Geh, o Mond, zu deinem lieben Licht,

mit Geistern durch Höhlen fliegen,

In deiner Dämmerung über den Wiesen schwebend!