Die Wunder des Lebens - Stefan Zweig - E-Book
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Zweig Stefan

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Beschreibung

Die Geschichte findet Mitte des sechzehnten Jahrhunderts in Antwerpen statt. Ein reicher und frommer Mann will ein Gemälde seine Kirche schenken aus Dankbarkeit für die wundersame Heilung seiner Mutter. Bereits in dieser frühen Arbeit sind viele Themen von Stefan Zweig vorhanden: die Beleuchtung eines unwahrscheinlichen Begegnung, der Sinn des Lebens, der Religion und eine große Vorliebe für Geschichte. Aus dem Buch: Einige Wochen gingen seit jener Unterredung dahin, in welcher der Maler seinem Freunde die Vollendung des Bildes für den Altar der Gottesmutter zugesagt hatte, und noch immer blickte die unberührte Leinwand vorwurfsvoll den alten Meister an, der sie beinahe zu fürchten begann und die Stunden immer lieber auf der Straße zubrachte, um nicht die grausame Mahnung und den schweigenden Vorwurf seiner Mutlosigkeit fühlen zu müssen.

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Stefan Zweig

Die Wunder des Lebens

e-artnow, 2013
ISBN 978-80-87664-61-2

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

Die Wunder des Lebens

Hans Müllerdem lieben Freunde

 

Die graue Nebelfahne hatte sich tief über Antwerpen gesenkt und hüllte die Stadt ganz in ihr dichtes, drückendes Tuch. Die Häuser verflossen bald in einem feinen Rauch, und die Straßen führten ins Ungewisse; über ihnen aber ging wie ein Wort Gottes aus den Wolken ein dröhnendes Klingen und ein surrender Ruf, denn die Kirchtürme, aus denen die Glocken mit gedämpfter Stimme klagten und baten, waren zerronnen in diesem großen wilden Nebelmeer, das Stadt wie Land erfüllte und ferne im Hafen die unruhigen, leise grollenden Fluten des Ozeans umschlang. Hie und da kämpfte ein matter Lichtschein mit dem feuchten Rauche und suchte ein grelles Schild zu beleuchten, aber nur das verschwommene Lärmen und Lachen harter Kehlen verriet die Schenke, in der sich die Frierenden und die des Wetters Unlustigen zusammengefunden hatten. Die Gassen waren leer, und wenn Gestalten vorbeikamen, so war es nur wie ein flüchtiger Streif, der rasch in Nebel zerrann. Trostlos und müde war dieser Sonntagmorgen.

Nur die Glocken riefen und riefen ohne Unterlaß, wie verzweifelt, daß der Nebel ihren Schrei erstickte. Denn die Andächtigen waren spärlich; die fremde Ketzerei hatte Fuß gefaßt im Lande, und wer nicht abtrünnig geworden, war lässiger und matter im Dienst des Herrn, so daß eine morgendliche Nebelwolke genügte, um viele ihrer Pflicht zu entfremden. Alte, verhutzelte Frauen, die ihre Rosenkränze emsig surrten, arme Leute in schlichtem Sonntagsgewand standen wie verloren in den tiefen dunklen Hallen der Kirche, aus denen das schimmernde Gold der Altäre und Kapellen und das leuchtende Meßgewand wie eine milde und sanfte Flamme entgegenstrahlte. Wie durchgesickert durch die hohen Wände war der Nebel, denn auch hier wohnte die traurig-fröstelnde Stimmung der verlassenen, versponnenen Straßen. Und kalt, herbe, ohne den sonnigen Strahl war auch die Morgenpredigt: sie galt den Protestanten und war von wildem Zorn getragen, in dem sich Haß mit starkem Kraftbewußtsein vermählte, denn die Zeiten der Milde schienen vorbei, und von Spanien her kam den Klerikern die frohe Kunde, daß der neue König mit lobenswerter Strenge dem Werk der Kirche diente. Und mit den schildernden Drohungen des letzten Gerichtes vereinten sich dunkle Worte der Mahnung für die nächste Zeit, die vielleicht unter einer zahlreichen Hörerschar durch das raunende Gestühle weitergerauscht wären, so aber, in der dunklen Leere dröhnend und hohl zu Boden fielen, wie erfroren in der naßkalten schauernden Luft.

Während der Predigt waren zwei Männer rasch beim Hauptportal eingetreten, für den ersten Augenblick unkenntlich durch den hoch aufgeschlagenen hüllenden Mantel und das tief ins Antlitz verstürmte Haar. Der größere löste sich mit einem jähen Ruck aus der nassen Hülle: ein klares, nicht aber ungewöhnliches Gesicht, zu dessen wohlbehäbigem, bürgerlichen Schnitt die reiche Kaufherrntracht wohl paßte. Der andere war absonderlicher, wenn auch nicht phantastisch gekleidet: seine sanften und ruhigen Bewegungen harmonierten mit seinem etwas grobknochig-bäuerlichen, aber gutherzigen Gesicht, dem die weiße Wucht der herabwallenden Haare die Milde eines Evangelisten verlieh. Sie verrichteten beide eine kurze Andacht; dann winkte der Kaufherr seinem älteren Begleiter zu, ihm zu folgen, und sie gingen langsam und mit behutsamen Schritten in das Seitenschiff, das fast ganz im Dunkel lag, weil die Kerzen unruhig im feuchten Raume zitterten und vor den farbigen Scheiben die schwere Wolke lag, die sich noch immer nicht erhellen wollte. Vor einer der kleinen Seitenkapellen, die meist Stiftungen und Gelöbnisse der erbgesessenen Familien enthielten, blieb der Kaufherr stehen, und mit der Hand gegen einen der kleinen Altare hindeutend sagte er kurz: »Hier ist es.«

Der andere trat näher und legte die Hand über das Auge, um die Dämmerung besser zu durchdringen. Der eine Altarflügel trug ein lichtes Bild, das im Dunkel nur noch weicher und milder in seiner Tönung zu werden schien und den Blick des Malers sogleich fesselte. Es war die Muttergottes mit dem vom Schwert durchbohrten Herzen, ein Bild, ganz sanft und versöhnungsvoll trotz seines Schmerzes und seiner Traurigkeit. Ein seltsam süßer Kopf war die Maria, nicht so sehr Mutter Gottes wie träumerische blühende Jungfrau, der ein leiser schmerzlicher Gedanke die lächelnde Anmut spielender Sorglosigkeit nimmt. Schwarze, dicht herabfließende Haare umschlossen zärtlich angepreßt ein schmales, blaßbleuchtendes Gesicht, aus dem die Lippen rot entgegenbrannten, wie eine purpurne Wunde. Wundersam fein waren die Züge, und manche Linie, wie der schmale und sichere Schwung der Augenbrauen, legte einen fast begehrlichen Schein und eine spielerische Schönheit über das zarte Antlitz, aus dem die dunklen Augen versonnen träumten, wie aus einer andern vielfarbigeren und süßeren Welt, der sie ein banger Schmerz entführt. Die Hände waren sanft ergebungsvoll gefaltet, und die Brust schien noch leicht schreckhaft zu erbeben vor der kalten Berührung des Schwertes, dem entlang die blutende Spur ihrer Wunde verströmte. All dies war in wundersamen Glanz getaucht, der ihr Haupt golden überflammte, und selbst ihr Herz glühte nicht wie warmes rauschendes Blut, sondern wie das mystische Licht des Kelches im farbigen Scheine der sonnedurchleuchteten Kirchenscheiben. Und die fließende Dämmerung nahm noch den letzten Schein der Weltlichkeit dieses Bildes, so daß der Heiligenschein über diesem süßen Mädchenhaupte so lebendig glühte wie wahrhaftiges Schimmern der Verklärung.

Beinahe ungestüm raffte sich der Maler aus seiner nachhaltigen und bewundernden Betrachtung auf.

»Das hat keiner von den Unsrigen gemalt.«

Der Kaufherr nickte zustimmend mit dem Kopf.

»Ein Italiener war es. Ein junger Maler. Aber das ist eine ganze Geschichte. Ich will sie Euch von Anfang an beginnen, und Ihr selbst sollt es sein, wie Ihr wißt, der Ihr den Schlußstein setzt. Doch seht: die Predigt ist zu Ende, wir wollen für Historien andern Platz suchen als die Kirche, wiewohl ihr unser Bemühen und gemeinsam Werk gelten wird. Laßt uns gehn!«

Der Maler blieb noch zögernd einige Augenblicke stehen, ehe er sich vom Bilde abwandte, das immer leuchtender zu werden schien, in dem Maße, als die rauchige Finsternis sich zu erhellen strebte und der Dunst immer goldener um die Fenster sich wölbte. Und es war ihm fast, als würde, wenn er andächtig betrachtend zurückbliebe, die sanft-schmerzliche Falte dieser Kinderlippen sich in ein Lächeln verlieren und neue Holdseligkeit ihm offenbaren. Doch sein Begleiter war schon vorausgegangen, und er mußte seinen Schritt beschleunigen, um ihn noch beim Portale zu erreichen. Gemeinsam, wie sie gekommen waren, traten sie aus der Kirche.

Aus dem schweren Nebelmantel, den der Vorfrühlingsmorgen der Stadt umgehängt hatte, war ein matter, silberner Flor geworden, der wie ein Spitzengewebe sich an den gegiebelten Dächern verfangen. Das enggesteinte Pflaster glänzte feucht-atmend wie Stahl, und schon begann sich das erste Sonnenflimmern goldig darin zu spiegeln. Der Weg der beiden ging durch die schmalen verwinkelten Gassen dem hellen Hafen zu, wo der Kaufherr wohnte. Und da sie langsam dahinschritten, in Gedanken und Erinnerung verloren, führte des Kaufherrn Geschichte schneller hin zum Ziele als ihrer Schritte träumerischer Gang.

»Ich hab Euch schon erzählt«, begann er, »daß ich in jungen Jahren in Venezia war. Und um nicht lang zu zögern: ich trieb es nicht sehr christlich. Statt meines Vaters Kontor zu verwalten, saß ich in Schenken mit dem jungen Volk, das dort den lieben Tag in Saus und Braus verbringt, trank, spielte, wußte auch schon manches freche Lied und manchen bittern Fluch über den Tisch zu donnern, wie die andern. An Heimkehr dacht ich nicht. Das Leben war mir leicht, wie meines Vaters Worte, die er mir dringender und drohender von Hause schrieb: man kannte mich und hatte ihn gewarnt, daß mich das Luderleben noch verschlingen würde. Ich lachte nur, manchmal mit Ärgernis: ein rascher Schluck von diesem dunkelsüßen Wein schwemmte mir alle Bitterkeiten weg, und tat’s nicht er, so tat’s ein Dirnenkuß. Die Briefe riß ich auf und bald entzwei: mich hatte ganz der böse Rausch gefaßt, ich dachte nie mehr loszukommen. Doch eines Abends ward ich alles frei. Sehr seltsam war’s, und manchmal fühl ich’s heute noch so, als hätte sichtbarlich ein Wunder meinen Weg gebahnt. Ich saß in meiner Schenke: heut noch seh’ ich sie mit ihrem Qualm und Dunst und meinen Kneipgesellen. Auch Dirnen waren mit, und eine war sehr schön; wir trieben’s selten toller als in dieser Nacht, die stürmisch war und sehr unheimlich. Plötzlich, als eben eine unzüchtige Historie dröhnendes Lachen weckte, trat mein Diener ein und gab mir einen Brief, den der Kurier von Flandern gebracht hatte. Ich war sehr ärgerlich, weil ich die Briefe meines Vaters ungern sah, denn sie mahnten mich unablässig an meine Pflicht und an ein christlich Tun, zwei Dinge, die ich längst im Wein ersäuft hatte. Ich wollt’ ihn nehmen: da sprang der eine meiner Kneipgesellen auf, ein schöner Bursch, geschickt und aller ritterlichen Künste Meister. »Laß doch den Unkenschrei! Was geht’s dich an!« rief er und warf den Brief hoch, riß seinen Degen rasch heraus und stieß geschickt das niederflatternde Blatt tief in die Wand, daß die blaue geschmeidige Klinge zitterte. Er zog sie vorsichtig zurück – der geschlossene Brief blieb an seiner Stelle. »Da klebt die Fledermaus«, lachte er. Die andern schlugen in die Hände, die Dirnen sprangen freudig zu ihm auf, man trank ihm zu. Ich lachte selbst, trank mit, zwang mich zu toller Fröhlichkeit, in der ich Brief und Vater, Gott und mich vergaß. Wir gingen fort, ohne daß ich noch des Briefes dachte, zu einer andern Schenke, wo unsre Fröhlichkeit zur Torheit wurde. Ich war berauscht wie nie, und eine der Dirnen war schön wie die Sünde.« –

Der Kaufherr blieb unwillkürlich stehen und strich sich mit der Hand mehrmals über die Stirne, gleichsam, als wollte er ein unerfreuliches Bild von sich abstreifen. Der Maler merkte rasch die Peinlichkeit der Erinnerung und sah ihn nicht an, sondern ließ seinen Blick wie neugierig auf einer raschsegelnden Galeone ruhen, die sich mit vollen Segeln dem Hafen näherte, in dessen farbigem Gewirre die beiden langsam angelangt waren. Das Schweigen dauerte nicht lange, und der Erzähler fuhr mit Hastigkeit fort.