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Ein moderndes Märchen von Bestsellerautorin Tania Konnerth. Elli Schmitt glaubt natürlich nicht an Wahrsagerinnen oder sprechende Frösche. Sie ist Ende 30, arbeitet als erfolgreiche Journalistin und hat ihr Leben fest im Griff . Als aber auf einer ihr zuvor prophezeiten Wanderung nicht nur Frösche, sondern auch Bäume, Schmetterlinge und sogar die Berge und der Wind wichtige Fragen für sie bereithalten, wird ihr bewusst, dass es viel mehr im Leben gibt als Terminpläne und Erfolgskontrollen. So stößt sie auf ihrer Reise unerwartet nicht nur auf die Fragen ihres Lebens, sondern sie lernt auch zuzuhören – dem Leben und sich selbst.
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Für Christina Kastning, die mir zeigte, wie wegweisend Wanderungen sein können.
© 2019 Tania Konnerth,
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Edition Auszeit, Auerbach Verlag und Infodienste GmbH,
Oststraße 40 – 44, 04317 Leipzig, www.av.de
Covermotiv: © Artlana – Fotolia.com, © Artur – Fotolia.com, © Kateina – Fotolia.com, © pingebat – Fotolia.com
Satz: Kim Trank
ISBN 978-3-948537-00-5
ISBN EPUB: 978-3-948537-22-7
1. Auflage 2022
– www.auszeit-webshop.de –
Der Besuch bei der Wahrsagerin war eigentlich nur ein Gag gewesen, aber als ich wieder aus der kleinen Holzbude trat, war mir überhaupt nicht zum Lachen zumute. Judith, Merle und ich waren an unserem Mädelstag zum Straßenfest gegangen. Das war leider nicht so unterhaltsam gewesen, wie wir uns das erhofft hatten, denn es gab fast nur Fressbuden und es war viel zu voll. Dann entdeckten wir etwas abseits einen wunderschön aufgemachten Bauwagen. Er war bunt bemalt und mit ebenso bunten Tüchern behangen. Windspiele trugen ihre zarten Töne selbst durch den Lärm der lachenden und plaudernden Festbesucher und ein exotisches Duftgemisch aus Räucherstäbchen und ätherischen Ölen griff wie eine Hand nachdrücklich nach uns und zog uns zu dem Wagen hin. Wir gingen also näher heran und lasen auf dem handgeschriebenen Holzschild: Alles, was du wissen möchtest ... (Alinaleilara, Wahrsagerin)
»Was ist das denn für ein Name?«, fragte ich. »Der sieht ja aus, als seien alle Buchstaben durcheinandergeraten. Alinaleilara, so heißt doch niemand wirklich …« Aber Judith und Merle interessierten sich nicht für den Namen, sondern für das Angebot.
»Hey, lass uns das machen, ja? Sie soll uns die Zukunft vorhersagen«, schlug Merle vor.
»Au ja!«, rief Judith. Ach nö, dachte ich. Die beiden merkten natürlich, wie wenig begeistert ich von der Idee war, und als ich sagte, dass sie gerne reingehen könnten, ich aber verzichten würde, zogen sie mich auf, von wegen dass ich Angst vor der Wahrheit hätte und dass das doch nur ein Spaß sei und überhaupt. Und sie gingen tatsächlich beide nacheinander zu Alinaleilara hinein. Eine Spielverderberin wollte ich nun auch nicht sein. Aber wenn ich ehrlich war, graute es mir vor der Vorstellung, meine Zukunft vorhergesagt zu bekommen.
Vielleicht sollte ich kurz etwas zu meiner Person sagen. Mein Name ist Elena Schmitt, aber fast jeder nennt mich Elli. Der Name Elena kam von meiner Mutter, die ihre russischstämmige Herkunft gerne in mir weiterleben lassen wollte. Und der Name Elena entsprach hundertprozentig ihr: ernsthaft, aufrecht und kühl. Eigentlich hätte sie so heißen sollen, und nicht ich. Aber ich trug diesen Namen und wie das mit Namen so ist, ein bisschen prägen sie einen durchaus. Der Elena-Teil in mir war der pflichtbewusste und vernünftige Teil, der große Bereiche meines Lebens steuerte. Elena war immer gut in der Schule gewesen, hatte ihr Studium schnell durchgezogen und erfolgreich abgeschlossen, arbeitete erfolgreich als Journalistin und Elena war seit vielen Jahren mit Andi zusammen, von dem alle sagten, dass er bestens zu ihr passte. Elli war die Ausgehversion von Elena – netter, fröhlicher und auch witziger, wenngleich beim Humor durchaus auch Elena immer wieder mit ihrem Zynismus durchkam. So wie auch jetzt, wo es darum ging, eine Wahrsagerin zu befragen.
»Meine Mutter würde mich einweisen lassen, wenn sie das sehen würde«, sagte ich, bevor ich den Bauwagen betrat, und das war nicht mal übertrieben. Als ich wieder herauskam, schauten mich Merle und Judith erwartungsvoll an. Ich rang mich zu einem Grinsen durch und sagte: »Freut euch, Mädels, ich gewinne eine Million im Lotto«, womit ich das erhoffte Lachen der beiden erntete, denn ich hatte in meinem ganzen Leben noch nicht ein einziges Mal Lotto gespielt. Nie würde ich auch nur einen Cent für ein Glücksspiel ausgeben, das ist bei mir ein Prinzip und jeder, der mich kannte, wusste das.
»Und jetzt hab ich Hunger!«, sagte ich. »Aber da ich noch keine Millionärin bin, muss Pizza reichen.« Wir hakten uns beieinander unter und machten uns auf die Suche nach einem Italiener.
Die Prophezeiungen der Wahrsagerin waren natürlich das Hauptthema beim Essen und ich war sehr froh, dass Judith und Merle so viel von dem erzählten, was ihnen die Wahrsagerin gesagt hatte, denn das ermöglichte mir, mich zurückzuhalten.
»Ich fand es schon ziemlich unheimlich, als sie meine Hand hielt, mir direkt in die Augen sah und zu mir sagte, dass ich besser auf meinen Körper achten solle, er sei nicht so unverwundbar, wie ich glaube. Da hat sie mich natürlich voll erwischt, wirklich gut sorgen tue ich ja nicht für mich …«, räumte Judith ein und biss herzhaft von ihrer Pizza mit doppeltem Käse ab.
»Na ja, aber das kann man doch zu jedem sagen, oder?« Ich wollte gar nicht so zickig klingen, wie der Satz herauskam. »Ich meine, klar ist es gut, wenn du besser auf dich aufpasst, aber eigentlich sollten wir doch alle etwas besser zu uns selbst sein. Wir hätten zum Beispiel auch Salat statt Pizza bestellen können.« Wir guckten alle drei betont schuldbewusst, um dann in ein Prusten auszubrechen.
»Ja, aber dann hätten wir viel weniger Spaß gehabt!«, rief Merle.
»Stimmt«, sagte ich und biss in mein Pizzastück.
»Mir hat sie dafür einen wichtigen beruflichen Wechsel vorhergesagt«, berichtete Merle. »Das freut mich natürlich, denn ich hoffe ja schon lange, dass ich endlich da wegkann.«
»Na, aber ganz von allein wird das wohl nicht passieren«, sagte ich und klang wieder viel zickiger, als ich es wollte. »Aber vielleicht ist das ja genau der Schub, den du brauchtest!«, setzte ich nach.
»Warum bist du eigentlich so fies?«, fragte mich Merle.
»Ich bin nicht fies, ich denke nur, dass die alte Dame raffiniert ist und genau weiß, was sie sagen muss, damit man sich verstanden fühlt. Ich halte einfach nicht viel von diesem ganzen Hokuspokus, tut mir leid.«
»Wieso alte Dame? So alt war sie ja nun wirklich nicht!«
»Wie …, nicht alt?«
»Na ja, ein bisschen älter als wir, aber deshalb ist sie ja noch keine alte Frau.«
Ich schluckte herunter, was ich hatte sagen wollen, denn ich hatte das runzelige Gesichtchen der zierlichen, aber unglaublich zäh wirkenden Greisin genau vor mir. Auch wenn ihre Augen vom Ausdruck her noch so wach gewirkt hatten wie die eines jungen Mädchens, so hatte das Alter sie bereits zu einem fahlen Blau ausgewaschen. Sie war definitiv so alt gewesen, dass es mir schwergefallen war, sie überhaupt zu schätzen. Hätte man mir gesagt, dass sie 120 wäre, hätte ich das sofort geglaubt. Umso mehr verwunderte mich nun Merles Beschreibung der Frau: Mitte vierzig, höchstens fünfzig, langes rotblondes Haar, das zu einem lockeren Zopf geflochten war. Große, dunkle Augen, helle, samtige Haut und volle Lippen, schmale Hände mit langen Fingern und einigen wunderschönen Ringen und Armreifen. Merle wirkte fast verliebt, während sie die Wahrsagerin beschrieb.
Wie seltsam, dachte ich bei mir. Die Greisin hatte keinen Schmuck getragen und ihre Haare waren schlohweiß gewesen. Stattdessen hatte sie einige Gesichtstattoos gehabt. Ob da zwei Frauen in der Bude gewesen waren? Aber hätte ich die andere dann nicht sehen müssen? Es war schließlich nur ein kleiner Raum gewesen. Wie hatten die beiden den Wechsel hinbekommen, ohne dass ich es gemerkt hatte? Die alte Frau, die mir gegenübergesessen hatte, war zwar sicher noch fit genug gewesen, sich schnell zu bewegen, aber der Zeitraum zwischen Merles Verlassen der Bude und meinem Hineinklettern war extrem kurz gewesen.
»Na, ich fand ihre Haare eher braun und ihre Augen waren grün«, riss mich Judith aus meinen Gedanken. »Und was hat sie nun wirklich zu dir gesagt, Elli?« Beide schauten mich wieder erwartungsvoll an. »Das mit dem Lottogewinn glaubt dir doch keiner.«
»Doch, genau das hat sie mir vorhergesagt, vorausgesetzt, ich kaufe mir auch einen Lottoschein, natürlich …«, lachte ich, aber die beiden sahen noch nicht wirklich zufrieden aus. »Okay, okay. Sie hat was von einer Reise erzählt, die ich machen werde.« Das war zumindest nicht gelogen, wenn auch nicht die ganze Wahrheit.
»Na, das ist ja nichts wirklich Neues, du bist doch ständig unterwegs.« Merle schaute enttäuscht. »Das war alles?«
»Ja, das war alles. Eine wichtige Reise, sagte sie. Aber hey, das lief genau so, wie ich es immer vermutet hatte. Solche Wahrsagerinnen«, dabei malte ich mit meinen Fingern zwei Anführungszeichen in die Luft, »sagen immer nur das, was nahe liegend ist oder was die Leute hören wollen. Überlegt doch mal: Wer sollte nicht auf seine Gesundheit achten? Wie viele Leute wünschen sich berufliche Veränderungen? Und wer macht nicht hin und wieder eine Reise? Na, wenn ich mal einen neuen Job brauche, werde ich auch Wahrsagerin, das scheint nicht so schwer zu sein.«
»Okay, dann machen wir das aber zu dritt.«
»Ja, genau, wir kündigen einfach alle unsere Jobs, kaufen uns einen Bauwagen und tingeln als Wahrsagerinnen durchs Land!«
»Und wir nennen uns Merlelenajudith!«
»Na, wenn das nicht eine tolle Zukunftsvision ist!« Wir lachten und alberten noch ein Weilchen über unsere Zukunft als wahrsagendes Trio herum. Dann verabredeten wir uns für nächste Woche und fuhren heim.
Als ich abends im Bett lag, ging ich noch einmal in Gedanken durch, was die alte Frau zu mir gesagt hatte, denn ich hatte meinen Freundinnen nicht alles erzählt. Warum ich die eigentliche Botschaft für mich behalten hatte, konnte ich nicht sagen.
Die Wahrsagerin hatte tatsächlich zu mir gesagt, dass ich eine Reise machen würde, eine ganz besondere Reise. Ich würde sie nicht ganz freiwillig antreten, aber, hatte sie gekichert, wer mache das schon, nicht wahr? Und sie hatte hinzugefügt, dass es bei dieser Reise vor allem um mich gehen würde, darum, mich selbst zu finden. Das war wieder genau so ein Beispiel dafür, dass man, um so etwas vorherzusagen, nicht gerade eine Wahrsagerin sein muss, schließlich traf das ja mehr oder weniger auf jeden von uns zu, mindestens metaphorisch, wenn nicht auch real. Die Reise als Symbol für den Lebensweg war doch ein alter Hut, kaum ein Lebenshilfe-Ratgeber, der nicht darauf zurückgreift.
»Na, dann hoffe ich mal, dass es in die Karibik geht, da wollte ich immer schon mal hin«, sagte ich.
Sie ignorierte meine Bemerkung und hielt weiter meine Hand. Dabei blickte sie mir so tief in die Augen, dass ich das Gefühl hatte, dass sie gar nicht mich ansah, sondern vielmehr in mich hinein und wer weiß in welche Tiefen. Als ich ihr gerade meine Hand entziehen wollte, da mir dieser Blick ziemlich unangenehm wurde, sprach sie weiter. Auf dieser Reise würde ich verschiedene Wesen treffen und Erlebnisse haben, was auch keine große Vorhersagekunst war, denn klar, auf Reisen traf man alles Mögliche. Jedes von ihnen, sagte sie, würde eine Frage für mich haben. Und das würden die Fragen meines Lebens sein.
Ja, alles klar, hatte ich bei mir gedacht, Reise, Fragen … was für ein Eso-Kram. Ich hatte genügend Ratgeber studiert und Workshops besucht, denn mein Chef Lutz hatte mir immer gerne Artikel zu Themen der Lebensgestaltung aufgedrückt. Ich war in der Redaktion schon so zur Psychotante geworden, dass mich tatsächlich einige um Rat fragten. Jule zum Beispiel wollte von mir wissen, ob ich Tipps hätte, wie sie sich besser gegen ihre übergriffige Schwester durchsetzen konnte, Michaela wollte Rat für ihre Beziehung und sogar der stille Ingo hatte mich am Kopierer angesprochen, ob ich einen Tipp für ein Retreat hätte, in dem Meditationskurse angeboten würden. Ich war also eine anerkannte Expertin. Ich hatte sogar Bücher vom Dalai-Lama gelesen und von Thich Nhat Hanh – wenn jemand über die Fragen des Lebens etwas wusste, dann sicher ich.
Deshalb sagte ich zu der Frau: »Ach, glauben Sie mir, ich habe schon so ziemlich jede Frage meines Lebens gefunden, da gibt es keine Überraschungen mehr. Und reisen muss ich dafür auch nicht. Fragen gibt’s auch hier in Hülle und Fülle.« Ich wollte ihr klarmachen, dass ich sie durchschaute.
Sie sah mich wieder so durchdringend an, dass ich ihrem Blick auswich. Noch immer hielt sie meine Hand fest in ihren beiden und sagte:
»Deine Aufgabe ist, zuhören zu lernen.« Sie machte eine gewichtige Pause und sprach weiter: »Lerne, dem Leben zuzuhören. Nur wenn du wirklich zuhören lernst, wirst du die Fragen deines eigenen Lebens finden können. Du brauchst die Fragen deines Lebens, um auch die Antworten finden zu können. Aber dafür musst du zuhören lernen.« Das waren ihre Worte zum Abschied – Trommelwirbel und Tusch.
»Lerne, dem Leben zuzuhören«, den Spruch hätte man auch in einem chinesischen Glückskeks finden können, versuchte mein Verstand die ganze Sache herunterzuspielen. Er hatte langsam genug von dem Hokuspokus gehabt. Und doch waren die Worte tief in mich gesunken, wie ich jetzt hier im Bett schlaflos und unruhig feststellte. Was für eine Reise die Frau wohl gemeint hatte? Ich hatte nichts geplant, nicht mal ein aktuelles Wunschreiseziel hatte ich im Moment. Den Sommer wollte ich in der Stadt verbringen und weiter als Herbst hatte ich eh noch nicht gedacht.
Andi hatte ich nichts von der Wahrsagerin erzählt. Meist erzählte ich sowieso nicht viel über unsere Mädelsabende. Und irgendwie auch sonst immer weniger, aber das war eine andere Geschichte …
In der Nacht träumte ich davon, dass ich mich hoffnungslos in einer Gegend verlief, die ich nicht kannte. Ich irrte auf der Suche nach jemandem, den ich nach dem Weg fragen konnte, herum, aber es war niemand da. Ich war vollkommen allein. Schweißgebadet wachte ich auf und schwor mir, nie wieder zu einer Wahrsagerin zu gehen.
Es sollten noch einige Monate vergehen, bis ich wieder an die Weissagung dachte. Diese Monate waren nicht leicht, denn irgendwie war ich durchgehend übel gelaunt, was unter anderem daran lag, dass meine eh schon nicht ganz einfache Beziehung mit Andi immer schwieriger wurde.
Andi und ich waren schon viele Jahre zusammen. Wir hatten uns auf der Uni kennen gelernt und waren schnell Freunde geworden. Ich hatte eine aufreibende Beziehung hinter mir mit einem Menschen, der immer bedrohlich nah am Abgrund getanzt hatte, und sehnte mich vor allem nach Ruhe.