Die Zeitmaschine und ihr Bau - Mario A. Lorenz - E-Book

Die Zeitmaschine und ihr Bau E-Book

Mario A. Lorenz

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Beschreibung

Gibt es eine Zeitmaschine? Die Erzählung "Die Zeitmaschine und ihr Bau" beantwortet diese Frage mit "Ja" und gibt noch einen Bauplan hinzu. Dieser Bau hat jedoch nichts mit den bisher existierenden Pseudo-Zeitmaschinen aus Physik, Religion, Kunst, Psychologie oder Esoterik zu tun. Der Bau der Zeitmaschine erfolgt in dieser Erzählung auch nicht theoretisch, sondern praktisch und sehr konkret. Ein Mann nimmt sich diesen bisher unmöglichen Bau vor, da es für ihn die letzte Möglichkeit bedeutet, seinen Depressionen zu entfliehen. Nun halten auch seine massiven Selbstzweifel seine unglaubliche Geschichte nicht mehr auf. In den anschließenden Kurzgeschichten wird diese Stimmung weitergeführt. Mit zahlreichen Illustrationen des Autors.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Zeitmaschine

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Und andere Erzählungen

Kurzgeschichten

Vorwort

Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern

sowie Thomas Henke und Annette Kuhl, die sehr viel

zum Erscheinen dieses Buches beigetragen haben.

ZEITMASCHINE

Die Zeitmaschin voll Öl

Die rost im Unkraut rum

Ob sie mal gegangen ist?

Die Zeiten sind jedenfalls rum.

Mit ner Zeitmaschin

Grad über die Grenz

Seh‘n ob da das Geld noch gilt

Voll Hoffnung, daß wir bald

Wieder zu Hause sin.

Halbgeschenkte Einwegzeitmaschin

Da lenkste nur gradaus

Hüpfste rin, fährst erstmal hin

Reicht sie zum Mond noch aus?

Harte Bank

Schrott im Tank

Alles geht noch.

Gott sei Dank.

Da drin der Knall

Das macht den Schall

Die Uhr zeigt‘s an:

Die Zeit is all

Das Licht ist das Schnellste was wir kennen.

Danach kommt gleich der Schatten.

I

Es war die Zeit der großen Armut. Die einen litten unter der Erwerbslosigkeit im Land, und die anderen produzierten Dinge, mit denen niemandem geholfen werden konnte. Eigentlich eine sehr einfache Zeit. Vieles neutralisierte sich selbst. Nichts Rechtes wollte man einem mehr anraten in diesen Zeiten. Unsichtbarkeit. Am Besten, man machte was man wollte. Trat nun das Selbst hervor? Gleich jedoch was ich machte, vieles wurde unangenehm. Wollte ich denn wirklich das tun, was ich vor hatte? Ja, sicher. Früher sicher einmal. Werde ich es noch ein wenig wollen? Am Besten, ich ließ es fließen wie es war. Ich wußte nur: „Zukunft“. Die kam immer. Und dann? Ich aß, ich trank, immer so weiter.

Man mußte etwas tun, an das man nicht glaubte, um daran glauben zu können. Das war der Sprung über den eigenen Schatten. Das Licht war das Schnellste was wir kannten. Danach kam gleich der Schatten. Grundsätzlich konnte man die bisherige Wissenschaft vergessen. Der wissenschaftliche Konsens schwand nach langer Zeit. Physik und Philosophie verschmolzen oder tauschten sich gar aus. Der Ausspruch „das ist nur seine Unsicherheit“ wurde in modischer Häufigkeit gebraucht (etwa zwischen 1989 und 1993). Man fand sich wieder einmal an einer Wende.

Wenn die einen glauben, daß es etwas gibt, sagen Andere das Gegenteil, und beide Seiten bauen sozusagen ihren Glauben zu ihrer Realität aus. Sie glauben und denken so lange auf ihre Art - bis jeder von ihnen so viele Beweise für die Richtigkeit seines Denkens hat, daß sich der Begriff spaltet, der die Sache beschreibt, um die es geht.

Meine Möglichkeiten mehrten sich nicht dadurch, daß ich ein kleines Ziel hatte. Nach den Enttäuschungen der letzten Tage, die ich nicht alle wiedergeben will, nutzten mir meine alten Gedanken, die mir Sicherheit gegeben hatten, wenig, und ich dachte weniger an diese Sicherheit.

Wie oft geschah schon Unglaubliches, und jedesmal, wenn der Beweis für das Geschehene kam, als ich glaubte, hatte ich das Gefühl, es zu spät zu glauben. Warum immer mit dem Glauben hinter dem Geschehenen herhängen? Sicher, man kann es nicht einfach umkehren. Erst glauben, was dann überraschend passieren wird. Aber vorbereitet sein, völlig frei von Unglauben.

Ein unglaublich positives Gefühl überkam mich. Ja, es gibt alles! So etwas darf man sagen. So dicht sind die Begriffe nicht, daß man nicht in sie hineinreisen könnte. Alles schien sich schön wie Glas ineinanderzugeben. Nimm ein Stichwort, das unwirklich ist: Zeitmaschine! Zeitmaschine zum Beispiel. - Mach es wirklich! Was ist das schon, eine Zeitmaschine? Entgleitet mir der Begriff? Ist er abgeschlossen als Bezeichnung für eine Sache, die sich mir völlig verschließt, weil es sie nicht gibt?

Worum ging es da, bei dem Bau der Zeitmaschine? Es ging nicht darum, einen Sensationsrausch zu erleben oder sich in eine Fiktion zu flüchten.

Es ging um Selbsterfahrung. Etwas ganz anderes zu versuchen, Hoffnung zu spüren. Etwas angehen, von dem man selbst kaum glaubt, daß es geht. Den Glauben anwachsen lassen. Zweifel aushalten und locker bleiben falls alles abstürzt. Sich freimachen von äußeren Normen, die Wahrheit anlocken, einen Freund finden. Funktioniert dann die Maschine tatsächlich, so handelt es sich auch um eine Selbsterfahrung: eine andere Zeit um mich herum. Plötzlich eine ganz andere Zeit um mich herum, und ich noch immer in der Zeit, die eigentlich ist.

Ja. Ich wollte eine Zeitmaschine bauen. Ich machte mich von da an auf den Weg. Ich wollte erfahren, was mir bei diesem Vorhaben passieren würde. Eines jedoch war gewiß: Wollte ich vorankommen, so sollten die von mir unternommenen Schritte ähnlich gewagt sein wie das dadurch angestrebte Ziel.

Im Folgenden war alles, was ich anstellte, um die Lösung zu finden verdächtig fruchtbar. So viele, die ich traf, erzählten mir von Zeitreisen, und einige glaubten an die Zeitmaschine. Nach einem Monat bereits kam ich gar nicht mehr weiter. Was redeten die da eigentlich alle? Ich bekam Zeitmaschinen zu sehen, die fast alles andere waren als eine Zeitmaschine. Erfüllten sie ihre Funktion auch nur ansatzweise? Jedenfalls hübsch sahen sie aus, und ich bat wenigstens die Bastler und Spinner um Erlaubnis, alles zu fotografieren. Der Buchbinder Fritz Funk vor seinem Farbenbeschleuniger, dreihundert Arbeitsstunden. Die Farbscheiben. Fritz mit Jagdhut, die Farbscheiben zeigend. Die grünen Scheiben im Sonnenlicht. Fritz mit Frau und Antriebsmotor...

Vielleicht war es schwer, nach etwas zu suchen, während man nicht die geringste Vorstellung davon hatte, was es denn eigentlich war. Was war denn eine Zeitmaschine? Ich suchte und gab Anzeigen auf, bis ich mich von jeder weiteren Hilfsbereitschaft nur noch behindert sah.

Also was jetzt - dachte ich - auf dem Tisch dort: kostenlose Kleinanzeigen. Dort habe ich es mit dieser und jener Formulierung versucht, nach dem Motto, daß probieren kostenfrei sei: Wer baut eine Zeitmaschine und meint das ernst? Wer hat Neues zum Thema Zeitmaschinen erfahren? Wer hilft beim Aufbau einer Selbsthilfegruppe gegen Diskriminierung von Erfindern (Zeitmaschine u. a.)? Das Probieren... das war wohl nichts. Ein gewagter Schritt... na, ich werde Maschine, Zeit, Erfindung nicht mehr erwähnen. Einfach andere Anzeigen aufgeben. Welche Menschen könnten passend sein für meine Suche? Welches andere Thema könnte diese Menschen durch eine Anzeige mit mir verbinden? Die alte Werkzeugkiste dort? Nein, aber die muß weg. Also Anzeige gemacht: „Werkzeuge zu verkaufen“. Vielleicht schafft dies durch Zufall die richtigen Kontakte.

Weiter. Das Brot? Das Brot, warum das Brot, das wird schlecht. Ja sicher, ein spontaner Mensch wird es sich holen bevor es schlecht wird. Die Möglichkeit, daß sich jemand auf meine Anzeige hin bis morgen von mir einen Rest Brot schenken läßt, ist zwar gering... Zeitmaschine hin oder her... ich schreibe einfach, das Brot sei original aus den Zwanzigern von Oma, wird so etwas nicht gesammelt? Eingemachtes muß ich verkaufen. Aus den Vierzigern, als die Umwelt noch rein war. Das geht. Aber das ist ja gelogen. Ich habe doch gar kein Eingemachtes. Ich habe doch nur das Stück Brot. Kein Problem, wenn jemand antwortet, werde ich eben selbst das Eingemachte über Anzeigen suchen, um es mit Gewinn, genauer gesagt mit Freude, weiterzuverkaufen.

So entstanden neue Kontakte, und die, die mich näher kannten, wußten nach und nach von meiner Suche. Ich schrieb Artikel und Geschichten über das Thema Zeitmaschine, ließ sie ausdrucken, machte wahllos Zeichnungen dazu, die mir mit der Zeit wie von selbst immer sympathischer wurden, stellte sie auf Präsentationen vor und machte mich teilweise dabei lächerlich, ließ diese Präsentationen wiederum auf Video mitfilmen und schnitt Kurzfilme daraus, die stellte ich dann vor, machte mich teilweise wiederum lächerlich.

Ich weiß nicht mehr genau woher, aber immer hatte ich fast den sicheren Eindruck, einen kleinen Schritt voranzukommen. Mein Umkreis änderte sich mit der Zeit, und alle Welt, die ich sah, schien mehr und mehr meine eigene. Man kann ja fahren, wohin man will, und nur wenn man gerade an dem Platz ist, für den man gut ist, kann man von diesem Platz aus die Schönheit der Welt sehen. So freute ich mich besonders, mit Dingen und Menschen zusammenzukommen, die mir oft so entsprachen, daß ich meinte, andere müßten meinen, daß sie nicht zu dieser Welt gehörten. Da sollte doch auch jemand darunter sein mit einer Zeitmaschine im Keller - und seien es nur ein paar Pläne oder auch nur ein, zwei durchgestrichene Sätze, die aber den ernstzunehmenden Versuch eines Maschinenbaues andeuteten.

Bei Peter hatte ich einen Wasserhahn gesehen, den ich als Zeitmaschinenteil für meinen Fantasyfilm ausleihen wollte. Peter war nicht da. Eine Freundin öffnete, „Du mußt mal die Hühnerzunge fragen. Der macht das bestimmt,“ sagte sie nebenbei, als ich mich vorgestellt hatte. „Was macht der denn?“, fragte ich. „Zeitmaschine.“ “Wie? Zeitmaschine? Bauen? Oder was?“ „Echt“, sagte sie merklich süßer als vorhin ,“er erzählt davon nicht allen so oft, daß sie eine rechte Vorstellung davon bekommen könnten. Du suchst wohl nach solchen Maschinen? Dir wird er öfter davon erzählen. So oft, daß du bald weißt, ob er sie auch wirklich baut.“ An dem Geheimnis von diesem Maschinenbau schien sie Gefallen zu bekommen, und ob sie selbst daran glaubte, sah ich nicht. Wasserfallartig mündete ihr blondes Haar kornfeldfarben in einen Zopf. Meine Faszination könnte sie angesteckt haben.

„Seine Adresse?“, fragte ich nur. „Die Hühnerzunge? Ich schreibe sie dir auf.“

Ich sollte mit meiner Suche weiterkommen. Das wurde mir langsam klar. Viele Menschen sammeln nur Erfahrungen, um dadurch ihre alte festgefahrene Einstellung weiter zu festigen. Wer das Paradoxe offen lebte, hatte bei ihnen verloren. Im Prinzip machte ich das auch - mit der Zeitmaschine. Begann sich bei mir auch vieles zu festigen, so war mir doch aufgrund der absurden Art meines Zieles bisher stets klar, daß meine Suche und die Existenz dieses Zieles kein Muß waren. Mein Ziel beruhte lediglich auf einer Annahme.

Je mehr Hinweise ich bei meinen Forschungen fand, um so verwirrender gestaltete sich meine Materialsammlung. Wo war also wirklich der Ansatzpunkt? Betrachte die ganze Welt. Der Rest, das mußt du selber sein, dachte ich. Die Welt würde sogar eine Zeitmaschine bauen. Durch mich? An den eigenen Haaren sollte ich mich aus dem Sumpf ziehen. Aus dem Nichts. Riß ich mir die Haare dabei aus? Sollte das eine Hoffnung sein? Warum nicht. Wenn wenigstens die Haare schon aus dem Sumpf wären!

II

Höher als ein Schornstein standen zwei Sterne über dem Dach am Himmel. Als sich die Tür öffnete, stand ein Mann darin und bot mir die Hand: „Guten Tag. Hühnerzunge. Komm herein.“ War Hühnerzunges Maschine echt? Gab es sie überhaupt? Wenn ich etwas deutlich spüren konnte dann in Zusammenhang mit der Kunst. Das Erleben. Die Ästhetik. Das Schöne, von dem man so viel leicht „verkraften“ konnte, wie man zum Verständnis der Welt brauchte. Wahrheit. Ich sah nur mehr originelle und weniger originelle Dinge. Originell war das ja, was Hühnerzung anstellte... und teilweise seine „Vorgänger“.

Hatte mich das tägliche Aufstehen nicht mehr Hoffnung gekostet als das absurdeste Vorhaben? Was immer Hühnerzunge wollte, selbst wenn das mit der Maschine für ihn ganz klar wäre: Für mich war diese Zeitmaschine noch immer eine Art von Hoffnung. Wenn er schon Zeitreisen in bestimmte Situationen vorbereiten mochte, so war mein Ziel immer noch, meinen Glauben zu stärken. Auf dem Weg zum Bau einer Zeitmaschine konnte ich dies sehr gut. Das Ziel war weit genug entfernt, um Raum für Experimente zu haben. Die bekannten Filme mit den unrealistischen Maschinen. Der Grad der Unwahrscheinlichkeit eines Zeitmaschinenbaues schien nicht zu hoch und nicht zu niedrig, geeignet, um meinen Glauben zu schärfen.

Wir hatten uns einige wirklich schöne Abende gemacht. Einmal war ich gerade gut ins Erzählen gekommen, als Hühnerzunge merkte, daß ich mich nicht ganz traute, noch mehr von den Fakten hin zu meinen eigenen Gedanken zu schweifen. „Erzähl ruhig“. „Ich finde ja auch, daß all diese Antiquitäten und diese Dinge sich so wenig ändern sollten wie möglich. Nur so ist bei mir ein Gefühl für Vergangenes denkbar. Was eigentlich schon paradox ist. Aber da sind noch die abgetretenen Treppenstufen und abgenutzten Geländer mit den vielen Kratzern, Hühnerzunge, die erzeugen bei mir das Gefühl erst richtig. Ich denke, das liegt daran, daß der Blick in die Zeit eine Art Führung braucht: die Kratzer und Kerben, die über die Jahrhunderte nach und nach in Abständen in das Geländer kamen... Jeder Kratzer ist eine Markierung auf dem Weg durch die Zeit, den das Holz gegangen ist. Wie durch eine perspektivische Zeichnung wurden meine Blicke in diese Zeit gezogen. Und dann dein Kommentar, wie alt dein Haus schon sei (1906)! Das für ein Kind schwer Faßbare, daß es außer der Zeit, die man selbst erlebt hat, noch eine andere gibt. Ich habe von einem Gemälde eines alten Meisters gehört, das das Jenseits durch eine Röhre darstellt, die so gut gemalt ist, daß es den Blick in die Bilder hineinzieht.“ Hühnerzunge freute sich. „Vieles was du redest... das gehört zu meinen Erlebnissen. Es ist schon lange in meinem Kopf, und ich bin sehr glücklich, dich deine frisch entwickelten Gedanken formulieren zu hören.“ Ich durfte bei Hühnerzung wohnen.

Ich hatte damals etwas den Mut verloren, und so kam ich zu der Idee mit der Zeitmaschine, die doch eher von Menschen stammen kann, die schon dem eigentlichen Lebensgang etwas fern sind. Um zu glauben, daß es auch für mich noch etwas gibt, wollte ich sehen, ob es alles gibt. Nur einmal sehen... Über meinen Schatten springen - in diese Situation konnte ich nur kommen wenn ich mich um etwas bemühte, an das ich schwer glauben konnte, etwas, das nicht in meinem Blickwinkel lag und außer Sicht war.

Den Blick für das Ganze wollte ich zwar nie verlieren, aber für dieses eine Mal Sehen wurde ich schnell zu vielem bereit. Denn die Aussage, man erreiche alles, worauf man alle seine Kräfte konzentriere, schien mir plausibel. Nun saßen wir in unserem Maschinenbau, und je großartiger sich die Ereignisse ankündigten, um so mehr endeten unsere Überlegungen, um deren Realisierung Raum zu geben: Als ob nun die Realität auf all das zuvor Erträumte einging, empfand ich jedes Detail und jede Eigenschaft der möglichen Zeitmaschine intensiver als in der Vision - aber doch so anders.

Hühnerzunge hatte mich inzwischen in ein paar „Maschinen“-Pläne eingeweiht, die für mich aber noch keinen wesentlichen Zusammenhang mit einer Zeitmaschine erkennen ließen, und mich angewiesen, sie in bestimmter Weise zu bearbeiten.

Was hatte ich mir denn schon vorgestellt? Ein paar abstrakte Dinge. Wenn diese „Visionen“ zu Ende waren, hatte ich sie mit allerlei konkreten Vorstellungen illustriert, die eher zur Dekoration gedacht waren. Eisenteile und alte Sofas mit Schaltknüppeln in meinem Kopf oder auf Schrottplätzen antworteten meinem Verlangen nach Greifbarem. Was war die Zeit? Von Maschinen war bei dem Projekt nichts sichtbar. Und dennoch Maschinenbau. Ein ganzes Gebäude in dem „herumgebaut“ wurde, und die Funktion der Maschine - die konnte man hier schon beim Bau erleben: Das Zeitgefühl. Die Wirkung der Maschine schien teilweise ihrer Existenz vorangestellt. Ich hatte mir nie eine bestimmte Zeitmaschine vorgestellt und konnte so auch nie eine solche bekommen. Die Zeitmaschine wirkte im voraus. Wir konnten ja beim „Bau“ soviel erleben, in so vielen Variationen, teilweise auf mehrere Arten im gleichzeitigen Zusammenklingen.

Ich hatte nachts einen Traum: Ich wollte ins eigentliche Leben zurückkehren. Aber wo war es nur? Also ging ich zum Bahnhof, um fortzufahren, da mir unser Projekt zu extravagant schien. Der Schalterbeamte fragte nach der Richtung. Ich zählte Orte auf: „Da muß ich überall nicht hin. Einfach nur so ins normale Leben“. „Gehen sie heim, so kann ich ihnen keine Karte verkaufen“. So ging ich wieder zu Hühnerzunge und zu unserer Zeitmaschine. Ich erwachte.

Würde die Wissenschaft entdecken, daß es Gott gibt, so könnte sie auch dies erklären. Das fiel mir ein. Wenn mir dieser Gedanke auch jetzt nicht weiterhalf, so hatte ich doch dadurch etwas neues im Kopf für den nächsten Heimweg.

Selten hatte Hühnerzunge seine Nachhilfeschüler bei sich im Haus. „Ein neues Kreuz?“ „Das ist nicht beliebt. Mit Religion kannst du geil in der Klasse provozieren. Der Harald macht es noch geiler. Der hat eine Freundin, und die ist so häßlich. Der hat mir gesagt, er findet es geil, alle damit zu schocken. Die sieht aber so aus, daß es dem Harald nichts ausmacht. Cooler Trick. Okay, bei denen sind auch alle hart drauf. Seine Oma ist total hart. Der Harald muß auch Nachhilfe nehmen, und die Oma findet die vielen Freundinnen zu viel und da nervt sie den Harald immer. Gestern hat der Harald zur Oma gesagt, Einstein hätte doch auch so doofe Liebesbriefe geschrieben. Da hat sie gemeint, wer die Atombombe hat, kann sich so was erlauben“. Die Hühnerzunge ging zu Mathe über, und ich baute etwas lustlos an unserer Zeitmaschine weiter. Sein Leben war lebendiger als meines.

Einer, der ernsthaft eine Zeitmaschine bauen will und mit umwerfenden Erwartungen darüber meditiert, findet leichter einen Zweiten als er denkt; aber das gegenseitige Mißtrauen von Hühnerzunge und mir, der andere könnte gar keinen ernsthaften Zeitmaschinen-Plan im Kopf haben und könnte es auf einen groß angelegten Scherz oder gar Test angelegt haben, war äußerst intensiv spürbar. Die Kraft, mit der wir beide unseren Glauben ausstrahlten, zwang uns jedoch mehr und mehr, unserem gegenseitigen Vertrauen nachzugeben. Es ging um eine Sache, die uns leicht hätte besessen machen können, falls sie gelang, doch auch Hühnerzunge schien anzunehmen, daß alles, was hier gelingen konnte, nicht nur im Ergebnis, sondern im festen Glauben an das Unfaßbare enden würde.

Wo er wohl seine angefangene Konstruktion und die eigentlich wichtigen Pläne hatte? So hielt ich mich mehrere Tage in seinem Haus auf und - während wir redeten und uns näher kamen wuchs mein Verdacht, daß er von ganz konkreten Plänen sprach. Von bestimmten Plänen, die ihn wohl schon lange beschäftigt hatten. Hühnerzunge war für einen halben Tag unterwegs. Ich sollte in der Wohnung noch etwas helfen und lag zwischendurch auf dem Teppich, wo ich lange über meine vielen Erinnerungen nachdachte. Bisher hatte ich das Gefühl intensiver Stimmung beim Betrachten von Antiquitäten oder alten Gegenständen. Ich glaube, ich verstand vergangene Epochen besser als deren Zeitgenossen, da ich den Kontrast zum Neuen fühlen konnte. Dennoch war das Gefühl oft so stark, daß ich dachte, es schon einmal erlebt haben zu müssen.

Dann gab es noch Erinnerungen aus meinem eigenen Leben, deren Alter ich nicht hoch genug schätzte, um sie zu spüren. Dinge, die ich wenige Jahre nach meiner Geburt nicht mitbekommen hatte, zum Beispiel aus der Politik, empfinde ich als alt und die lebendigen Erinnerungen aus gleicher Zeit als neu.

So blickte ich in Hühnerzunges Wohnung umher und bekam plötzlich den Eindruck, der dem Auftauchen eines seltenen Tieres entsprach: Da war auf einmal der Türrahmen, der Boden, der Schrank und ließen mich nur an die Gegenwart denken. Sie waren einfach da: Gleich, wie lange und wie lange noch. Bei meinem nächsten Gedanken verschwand dieses seltene Tier blitzschnell.

Eigentlich arbeitete ich nun schon lange mit Hühnerzunge zusammen. Wir unterhielten uns seit Wochen über alles. Daß das zentrale Thema letztlich unser Projekt war, lag doch auf der Hand. Ab und zu kam uns dann eine großartige Idee. Irgendwie hatte ich den Verdacht, Hühnerzunge könnte als reiner Denker, so wie ich ihn nun recht gut kannte, nicht leben. Die Arbeiten in seinem Haus begannen mich mehr und mehr zu langweilen. Er mußte in seiner Abwesenheit an einem konkreten Projekt arbeiten. Er war nun immer häufiger abwesend und sagte, er wolle mich gerne bald mitnehmen, weil er dann länger dort bleiben wolle. Meine mitgebrachten Schreibarbeiten verloren ihren Reiz gänzlich, als ich das Nötigste erledigt hatte. Auch die Stadt, in die ich oft mit dem Zug fuhr, bot wenig Neues.

Hühnerzunge mochte mich. Es war angenehm, mein Leben ein Stück in seiner Gegenwart spielen zu lassen. Da hatte ich die meiste Zeit verbacken, erklärte ich am Ende, aber meine derzeitige peinliche Situation ist ja ausschließlich ein Produkt der Vergangenheit. Und die Vergangenheit gibt es nicht. Die Vergangenheit hat es einmal gegeben. Wichtig ist, zu betrachten, was ich jetzt tue. Ich habe auch gelernt, mich selbst für das Gute, für das ich nun motiviert bin, zu loben. Beurteilung von außen schlägt gerne auf mich ein. Warum kann ich mein Eigenlob noch nicht richtig genießen? Ist es mir wichtiger, in das Konzept von anderen zu passen und mir selbst im Weg zu stehen? Ich habe Selbstbeurteilungsbögen entwickelt und ausgefüllt, um mir zu beweisen, daß mein Wert vor Gott nicht einzustufen ist.

Hühnerzunge war ein bedenklicher Name. War das mit der Zeitmaschine nur eine interessante Vorstellung? Eine Lüge konnte ich mir von ihm nicht vorstellen. Der Genuß, jemandem seine Spinnereien zu lehren - seien sie auch noch so genial - indem man ihn anlügt, ist zu schwach. Viele haben sich da für das Lügen eine Hilfe geschaffen: Weil sie meinen, sich selbst zu belügen, wäre unmöglich und somit erlaubt, tun sie dies zuerst. Sie reden sich ihre Spinnereien so lange ein, bis sie selbst an sie glauben. Mit etwas Übung klappt das schon beim ersten Mal. So können sie jeden in ihren phantastischen Dingen unterrichten, ohne jemanden im geringsten anzulügen. Sie sagen nur das, was sie selbst aus tiefstem Herzen glauben. Dann kräht der Hahn.

„Ja,“ sagte ich, „alle Gegenstände gehen in die Zukunft. Aber das ist klar. Du meinst etwas anderes...Da war ich wieder an solch einem Punkt. Es wurde mir immer klarer: Hühnerzunge mußte ein Geheimnis im Kopf mitführen, das seine Worte und sein Verhalten so merkwürdig färbte, daß es sich nur um eine konkrete Idee handeln konnte. So konkret wie ein Projekt, das er vielleicht schon begonnen hatte. „In die Zukunft...“ er schaute mich an und war ganz konzentriert. „Nein, nein, ich meine schneller in die Zukunft als die Umwelt. Denn: in die Vergangenheit wäre schlecht vorstellbar. Oder wer hat Lust, etwas rückwärts zu erleben? Geht ja auch. Mußt du aber alles nur einstudieren. Schlecht zu improvisieren.“

Er konnte deutlich sehen, wie sehr ich bei der Sache war. „Mensch, das gibt es doch gar nicht. Willkommen am Ziel erstmal“,sagte ich zu mir selbst. Mein Gott, meine Hühnerzunge hier, mit der ich seit Wochen zusammenwohne, hat die Behauptung aufgestellt, man könne schneller in die Zukunft gehen als die Umwelt. Irgend einen konkreten Grund für die Aussage mußte er haben. So weit vertraute ich ihm natürlich inzwischen. Ich hatte also einen Menschen gefunden, der mich auf meiner Suche nach der Zeitmaschine eine Stufe weiterbringen konnte, und das in einer Zeit von nur wenigen Wochen. Es war ein wunderbares Gefühl, und ich denke, er ließ es mich in diesem Augenblick auch genießen, indem er sich die nächsten Stunden zurückhielt. Ich war an einem Punkt angelangt, der wie ein riesiger Platz voller Schönheit wirkte. Der Platz schien allerdings auf einer Wippe zu liegen, als meine Glücksgefühle nach einem ganzen Abend ansatzweise nachließen. Was, wenn mich alles täuschte? Wenn ich wer weiß welche Menschen traf und nur keinen Zeitmaschinenfreak, der auch nur einen einzigen realistischen Gedanken zustandebrachte?

Dennoch, ich war froh. „Mensch, das ist eine Sache,“ dachte ich; da hat er einmal gesagt in die Vergangenheit fahren sei nicht so interessant, und ich gebe diese Vergangenheit die ganze Zeit als Forschungsgegenstand auf. Daß die Reise auch vorwärts läuft, wenn sie in der Vergangenheit beginnt, hatte ich dummerweise vergessen. Er sagt noch immer viel mehr als ich höre! Wie konnte ich auch einen ganzen Forschungsgegenstand so einfach aufgeben. War das wohl ein weiteres Signal, lieber zehnmal umsonst aufzubrechen als einmal umsonst aufzugeben?

Häufig rätselte ich herum, was Hühnerzung bisher in Richtung Zeitmaschine wohl alles geschaffen hatte. Das ließ mich spüren, wo ich im jeweiligen Moment mental angelangt war - wie groß meine Hoffnung war, wie groß mein Vertrauen zu ihm war und vor allem mein Glaube an die Möglichkeit, eine Zeitmaschine zu bauen.

Ich hatte geringe Fähigkeiten, aus Hühnerzunges Lebenswandel zu kombinieren, welche Geheimnisse er hatte; ob die Häufigkeit und Dauer seiner Abwesenheit auf seine Teilnahme an diesem oder jenem mir unbekannten Projekt schließen ließ. Es war mir auch egal; ich ermüdete sofort bei solchen Fragen; dazu war ich nicht hier - sie verwischten nur das erhoffte klare Bild, das mir allen Ernstes und tatsächlich einen Ansatz zur Zeitmaschine zeigte und das ich mir von meinem eigenen Glauben an diese Maschine zu erhalten strebte.

War es möglich? Erstens, überhaupt eine solche Maschine zu bauen, zweitens, daß ich in Hühnerzunge jemanden vor mir hatte, der mir allen Ernstes und tatsächlich zur Zeitmaschine einen Ansatz gezeigt hat; und sei es nur im Kopf. Das war das wahre Rätsel!

Wenn er wirklich schon so weit gekommen war, würde er mir mehr vertrauen, als ich ihm, und der Zeitpunkt würde schon kommen, an dem ich vor seinem Projekt stehen dürfte, als wäre es wirklich das unsere. Hühnerzunge ging es um Gefühle. Die Zeitmaschine verkaufen, Beachtung, Freundschaft dadurch zu finden, waren Aspekte, die sicherlich nicht völlig von der Sache abgeschnitten waren; aber er wollte mehr. Die Entwicklung seiner Ideen, die uns beide faszinierte, waren für ihn keine Sensation. Die Zeitmaschine war für ihn einfach da. Das schien immer so, obwohl er noch nie wirklich ansprach, ob er an einen Bau von Menschenhand glaubte. Es ging ihm um Gefühle. Er wollte die Zeitmaschine genießen, nicht die Frage, ob sie möglich war, schien ihn zu interessieren. Er wollte damit durch die Zeit fahren, es erleben. Diesen Eindruck hatte ich von ihm.

Wahrscheinlich lag die Situation, in der ich war, bei ihm schon lange zurück. Vielleicht hatte er selbst jemanden gefunden, der ihm Ideen vererbte. Der abgelegenste Gedanke meiner Vorstellungen, es gäbe eine Zeitmaschine, war für ihn vielleicht Jahre alt, hat ihn damals so fasziniert wie mich, wenn ich ihn erst einmal richtig erfaßt haben würde, und er hat ihn im Lauf der Zeit zu einem faszinierenden Menschen gemacht, der sich mir mehr und mehr präsentierte. Ja, er wirkte nicht so umgehauen, als ob die Zeitmaschine für ihn neu gewesen wäre. Mein Aufbruch hingegen war frisch. Ich wußte, daß meine Ideen ebenso mein Beitrag zur Zeitmaschine sein könnten wie meine Assistenz bei irgendwelchen Nebenhandlungen oder daß vielleicht ein Zeuge gebraucht wurde. Nur, wenn Gott irgend jemanden hierher geschickt hatte, dann mußte ich es sein.

Am anderen Tag wachte ich auf wie gewöhnlich. Der Morgen hatte wieder alles gereinigt. Selbst meine glühenden Gefühle vom Vorabend waren ernüchtert. Seltsam, wie der Schlaf den Geist auf einen neutralen Stand brachte. Ich suchte nach einer Möglichkeit, ohne Grund aufzustehen, obwohl ich genug vor hatte.

Ich ging nach nebenan, wo wir angefangen hatten, zu renovieren. Hühnerzunge war unterwegs. Ich hatte die langweilig fortschreitende Arbeit und die Tätigkeit um diese Zeit oft gegen einen Halbschlaf eingetauscht, der mir mein Bewußtsein zerrührte. Endlich kamen wieder Gedanken: Die Zeitmaschine. Neue Gefühle.

Hühnerzunge ging oft irgendwo arbeiten. Mit seinem Kopf jedoch schien er stets bei einer anderen Aufgabe zu sein. Wenn er zurückkehrte, erzählte er manchmal von Schwierigkeiten mit Kollegen oder von Erlebnissen in der Stadt. Manchmal machte er auch den Eindruck, gerade von irgend einer ganz besonderen Tätigkeit heimgekommen zu sein. Er war dann voller Gedanken und seltsam nervös. Von einem neuen interessanten Job hätte er mir erzählt. Was also konnte es sein? Am meisten jedoch wunderte mich sein Haus. Er war kein Typ für diese Gegend. Die weit entfernt liegenden bürgerlichen Nachbarhäuser, die Landschaft, in der er nie spazieren ging, ständig zog es uns beide in die Stadt, die unser „Wald“ war. Wir fuhren hin und her, und nachts suchten wir nach Anregungen, die der unangenehmen Neonbeleuchtung in den Straßenbahnen entgegenwirkten. Beim Sitzen in der U-Bahn beschrieb ich einen Film über einen verschütteten Luftschutzkeller, in dem Wunder geschahen. Es war sehr lieb, mit welchem Ernst Hühnerzunge mich bei der Rückfahrt fragte, ob ich den Film besorgen wolle und wie er Kinobegeisterung entwickelte, als ich es später tat. Wir besuchten auch viele interessante Veranstaltungen.

Daß er überhaupt so alleine wohnte dort draußen...Es war gar nicht weit von der Stadt, aber irgendwie „daneben“. Ein geselliger Junge war er, diese Hühnerzunge, aber irgend etwas hatte er draußen ganz für sich.

Ich grübelte wieder mal zu viel. Die gegnerischen Stimmen waren laut in meinem Kopf: „Warum denn eine Zeitmaschine? Was willst du eigentlich? Sei doch einmal ruhig! Brauchst du das irgendwie?“ Wieso sollte ich diese Zeitmaschine nicht suchen? Sicher, ich kenne jemanden, der sogar den entgegengesetzten extremen Weg geht. Er fand eine Frau, bearbeitet sie seitdem jeden Tag sexuell und tut den ganzen Tag so gut wie nichts anderes. Er scheint auch noch einigermaßen zufrieden damit zu sein.

Das ist eben nicht mein Weg. Was unterscheidet mich denn von solchem „ewigen Frieden“? Daß ich die verschiedensten, immer neuen Dinge wage und tue.

Was ich auch beeindruckend finde, ist eine Idee, die mir vor einigen Jahren über abgenutzte Gegenstände in den Kopf kam: Ist etwas sehr abgenutzt, so kann man anhand der Abnutzungsstadien leicht eine Vergangenheit in die Dinge hineinfühlen. Ist aber die Abnutzung gering, oder sieht der Gegenstand wie neu aus und ist dennoch alt, so scheint sich das Alter zu verdichten, als ob es pur wäre, daß man es an keiner Eigenschaft mehr erkennen könnte. So rein wie der Glaube.

Was immer die Zeitmaschine auch war, die Hühnerzung verfolgte den Bau jedenfalls ernst. Ich hatte also einen Menschen entdeckt, der den Glauben daran besaß und diesen Besitz sogar mit mir teilen wollte. Selbst wenn er nur auf Spektakel aus wäre, dann jedoch höchstens durch irgend eine Art Leistungsstärke seiner Maschine. Glück stellte sich ein. Wie war das noch genau gewesen als ich begann, danach zu suchen? Als Interessierter der Wissenschaft zog mich nichts so an, wie die unendlich winzige Wahrscheinlichkeit, mit der das Unmögliche doch das Mögliche sein könnte. Also versuchte ich, meine ganze Fähigkeit, von dieser Möglichkeit auszugehen, zu entfalten.

Ich nahm diesen Glauben in die Hand und zog los. Seltsam, daß ich nicht bei den Physikern forschte; aber das lag wohl zu nah für eine Zeitmaschine. Das wäre vielleicht ein zu alter Weg. Ich machte viel. Hätte ich lieber glauben sollen, daß sie zu mir kommt, diese Maschine? Ist in Wirklichkeit sie zu mir gekommen, während ich planlos suchte? Da fiel mir ein, daß ich in der Kindheit etwas ähnliches schon gemacht habe. Wie beeindruckend, dieser Einfall: Eine christliche Frau wollte mich eifrig bekehren und das angeblich in Jedem vorhandene Samenkorn des Glaubens an Jesus wachsen lassen, worauf ich natürlich zeigte, wie schlecht ich mir vorkam, ohne Glauben zu beten. Sie sagte dann, ich solle körperlich auf die Knie gehen, was ich aus Höflichkeit ihr gegenüber auch tat. Sie forderte mich auf, Jesus aufzufordern, es mir zu zeigen falls er der Herr sei. Sollte die Zeitmaschine das Zeichen werden? „Für den Herrn oder für was?“ fragte Hühnerzunge, als ich das einmal fragte.

„Ich verstehe das nicht“, sagte Hühnerzunge; warum vergeht Zeit, wenn ich etwas mache? Schau mal, wenn ich zum Beispiel hier den Kugelschreiber ergreife und von diesem Tisch herunternehme: Das wird immer so als logisch empfunden. Je mehr Kulis ich nacheinander herunternehme, um so mehr Zeit brauche ich. Benötige ich für einen Kuli zwei Sekunden, brauche ich für drei Kulis sechs Sekunden.

Aber was ist denn der Vorgang überhaupt? Ich will den Vorgang jetzt einmal in Abschnitte einteilen, um dir mein Problem zu erzählen: Du nimmst die Hand aus der Tasche, führst sie zum Kuli, greifst zu und ziehst sie wieder zurück. Da kann ich die Zeitabschnitte zusammenzählen, und aus der Dauer der einzelnen Bewegungen ergibt sich der Zeitaufwand des gesamten Vorganges. Das summiert sich ja bei vielen Leuten so lange, bis sie dann wieder sagen, oh, wo ist nur die Zeit hin.“ Wenn man etwas tut, geht sie so schnell herum, dabei ist noch nicht einmal so viel erledigt heute! Nun möchte ich diesen Vorgang weiter in Abschnitte einteilen: Jede Bewegung deiner Hand in unendlich kleine Abschnitte einteilen... Wie rechnet man das? Sag mal, eine solche Einteilung... macht das nicht lauter Abschnitte, die alle nur eine unendlich kleine Zeit beanspruchen? Wenn so ein Abschnitt nur so unendlich wenig Zeit braucht, findet er dann überhaupt noch statt? Was heißt unendlich wenig Zeit? Weißt du, das hat mich oft unsicher gemacht. Natürlich kann man sagen, daß hier das unendlich Viele das unendlich Kleine aufhebt, aber bisher hat noch niemand das unendlich Kleine gemessen. Was ist, wenn es so klein ist, daß ein Mensch es mit dem Nichts verwechselt?

Dann könnte er nur noch das Nichts addieren und vervielfachen und würde an nichts mehr glauben können. Ich habe schon einmal einen Mann andauernd schreien hören: „Mich gibt es nicht, es gibt keinen Gott!“ Es belastet mich zur Zeit. Nur war es befreiend, dir zu berichten, wie leicht ich mich bewegen lasse. Das Versinken in Unendlichkeitsgedanken.“

Es war etwas schade, daß der interessante Hühnerzung nun zum gewöhnlichen Alltag gehörte. Es war eine wunderbare Zeit in seinem Haus, und die seltsame Öde, die seit zwei Tagen in mir war machte mich bereit und entschlossen, nun etwas ganz anderes zu erleben. Darauf hatte Hühnerzunge gewartet.

III

Als die Hühnerzung nun vor mir die Treppe seines Hauses hochstieg, um mir seine ganze(!) bisherige Arbeit an der Zeitmaschine in dem für mich neuen ersten Stock zu zeigen, zeigte sich bei mir bereits etwas Angst vor Enttäuschung. Würde er beispielsweise ein Styropor-Modell hervorholen und erst mal sagen „Das ist es“? Würde ich dann davor stehen und merken, daß ich lange, sehr lange brauchen würde, um es zu verstehen?

Vielleicht ein kleines Modell oder ein kleiner Plan, auf dem in groben Zügen die Zeitmaschine zusammengefaßt ist... hier eine Halbkugel, daneben ein Stab, nicht viele Teile, nun, was könnte ich damit anfangen, während Hühnerzunge mich erwartungsvoll anschaute? Kurz am Stab gezogen, am Fundament gewackelt, mit den Schultern gezuckt und die Kugel gestreichelt und nüchtern auf das bunt bemalte Zeug gestarrt.

Natürlich begann es ganz anders. Es war gar nichts „hinter dem Vorhang“ zu spüren. Das war sicher etwas seltsam, da ich doch jetzt meinen spannendsten Moment erleben sollte. Die Spannung zerstreute sich zunächst in verschiedene Räume, die mir sozusagen in sehr gemischter Reihenfolge gezeigt wurden. Es waren nur drei bis vier; erst gingen wir in die eine Ecke, dann kurz in den anderen Raum, dann wieder zurück und wieder auf den Flur. Hier und da eine Erklärung, dort eine aus einem Stapel herausgezogene Skizze und Geschichten hierzu und dazu passend... so verschaffte mir Hühnerzung den Zugang zu seinem Werk. Er zog eine große Schublade auf und holte einen Stapel Pläne und Gegenstände hervor, zwischen denen man leicht eine derartige Zusammenhanglosigkeit feststellen hätte können, daß der Eindruck erweckt würde, Hühnerzung sei ein Spinner, der viel Energie für Unfug zur Verfügung hat. Die Pläne waren durchweg gehaltvoll und intelligent gemacht - das alles sah jedoch sehr nach Theorie aus und weil unter dem Papierkram viele praktische Gegenstände lagen - nach Chaos! Gut, daß ich Hühnerzunge kannte. Der Junge war okay, und ein kleines Gefühl blieb mir, daß diese Räume etwas „Heiliges“ hatten. Eine Art Therapie vielleicht. Für wen? Doch nicht für Leichtgläubige oder gar Fehlgläubige? Unbewußt sehnte ich mich nun doch danach, ein zusammenfassendes Modell der Zeitmaschine zu entdecken.

Hatte Hühnerzunge denn nun schon mit einer Art Bau angefangen? Dann mußte ich den Bau ja gesehen haben, da wir überall hereingeschaut hatten. Viele Dinge dort waren recht alt, auf eine seltsame Art alt. Ja, doch, ihr Alter! Ihr Alter mußte ihnen ihre gemeinsame Struktur geben. Aber die Sachen waren doch gar nicht aus der selben Epoche; war es doch nur ein Trödelladen... Irgend etwas war eben mit dem Alter.

Erstaunlich, wie viele Spekulationen mir beim Heruntersteigen einer Haustreppe in den Kopf treten konnten. Endlich unten zur Ruhe gekommen, fragte ich Hühnerzunge, wie ich das da oben denn nun als Ganzes verstehen durfte. Mir wurde auch klarer, warum er es so lange abwarten konnte, mir die Maschine zu zeigen und daß unsere Gespräche und seine Erklärungen ein wichtiges Maschinenteil darstellten. Ich hatte mir etwas ganz anderes vorgestellt. Auch wurde endlich offensichtlich, warum er sich so viel mit mir unterhalten hatte und sein Geheimnis nicht zu Ende bauen und irgendwie groß herausbringen wollte. Die Maschine war so komplex, daß man sie nicht in klare Konturen zwängen konnte. Das Ding mußte eine Maschine sein, die sich nur aus der Situation heraus bewegen ließ. Und doch ständig „Maschine, Maschine, bauen, Teile konstruieren, Pläne, Papiere, Gegenstände ...“ Es kann sich da nicht nur um Philosophie handeln!

„Jetzt sage ich dir, was dieses Haus hier bringen soll“ antwortete mein Freund. Er begann oft zu sprechen, als ob wir uns gerade zum ersten Mal gesehen hätten. Wieder und wieder fing er auf eine ganz neue Art von vorne an. „Ich habe dieses Haus gekauft, weil es einen ganz besonderen Grundstock für die Zeitmaschine darstellt. Wir haben für die Zeitmaschine noch sechs Monate, da ich bis dahin noch keine Mieter hier draußen gefunden habe. Das hast du wohl schon gedacht, daß ich an dem straßendurchstreiften Wäldchen nicht wegen des Gemüsegartens wohnen will, den du mir so schön bearbeitet hast“. Daß er oft als Nachhilfelehrer umherjobte, hatte er mir schon seit einiger Zeit mitgeteilt. „Das Haus hat eine Besonderheit, es ist sozusagen historisch das wertvollste, was mir bekannt ist. Ja, ja, eine kluge aber unbedeutende Jugendstilarchitektur, das einzig bemerkenswerte Fenster ist nicht einmal original, ich habe es etwas hergerichtet. Bedeutende Persönlichkeiten haben hier auch nicht gewohnt, keine Geister gibt es in diesem Haus, noch witzreiche Anekdoten um dieses... Die Geschichte des Hauses liegt sogar zu einem großen Teil im Dunkeln. Also, wo ist der historische Wert? Für den Mitarbeiter des Wasserwerkes wurde es gebaut, und er hat es vier Jahre später verkauft. Seither war es an viele vermietet und stand meist leer.

Das ganz Besondere aber ist, daß über ein Jahr hinweg alle Vorgänge und soweit möglich alle Gedanken, die sich im Haus abgespielt haben genau schriftlich überliefert sind. Seit 1906! Das macht doch auch schon eine lange Zeit, und einzelne Handbewegungen, die damals hier geschehen sind, sind noch genauso bekannt, als hättest du sie gerade eben erst gemacht. Das hat mich fasziniert; ich fand es unglaublich. Alles ist fixiert in Tagebüchern, lauter unbrauchbare Informationen über Details, wann wer ein Messer auf welchen Streifen der Tischdecke gelegt hat; seitenweise“. Ständig kippte es mir im Kopf: Waren wir extrem begeistert von blödem Zeug, oder wurde ich mit dem Bericht einer „genialen“ Situation konfrontiert?

Einfach zuhören. Still!, befahl ich meinen Gedanken - “das Beste aber ist, daß das eine Zimmer seit 1906 nicht mehr verändert wurde. Wir hatten ja kurz reingeschaut. Vielleicht hast du die Schnur gesehen, die ich aufgehängt habe; hinter dieser fängt der Bereich an, in den seither niemand getreten ist. Nur im Türbereich stand manchmal jemand, um zu sehen, ob noch alles in Ordnung war. Das Klima, Mäuse, Ungeziefer und so... Man sagt, wenn der Blick über etwas geht, kann es sich dadurch ändern aber das habe ich nicht so streng gehandhabt, abgesehen davon, daß das Zeug da drin kaum angeschaut wird. Aber doch noch mal zurück zu den Tagebüchern. Warum schreibt jemand schier unendlich detailliert alles auf, was passiert, sozusagen Mikrodetails, Banalitäten? Die Frau, die in diesem Zimmer gewohnt hat, hatte eine Art Zwang, alles genau festzuhalten. Dadurch kam sie eine gute Periode lang kaum aus dem Haus, kaum dazu, etwas anderes zu tun, als zu schreiben und eben im Haushalt für ihr Überleben das Nötigste zu tun. Das hatte den Vorteil, daß Ruhe in dem Zimmer war. Das macht Vorgänge übersichtlicher. Ältere Nachbarn hier haben mir erzählt, die Dame sei bald in der Psychiatrie verschwunden. Ich habe keine Ahnung, warum sie das alles schrieb; aber ich weiß nur, daß es wertvolle Arbeiten sind. Die herausragenden Dinge besitzen wir aus vielen Zeiten in Überlieferungen, in vielen Details, aber bei der Volkskunde fängt die Wüste schon an. Vom Alltagsleben der Menschen kennt die Wissenschaft weniger.

Überhaupt, die Wissenschaft! Man will uns als Wissenschaftlern heute gerne Gott nahebringen, aber da tun sie etwas Überflüssiges bei mir, weil ich mit dem Glauben an Gott, wer immer das auch sein mag, weniger Probleme habe als mit dem Glauben an eine bestimmte Wissenschaft.

Um beim Thema zu bleiben, „Banalitäten“ sind doch so wichtig. Detaillierte Banalitäten, wie die genaue Beschreibung, wann welche Nußschale vom Tisch gefegt wurde und wie schnell, sind natürlich ganz und gar selten. Sicher, so was braucht Zeit.