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Der reiche Grundstücksmakler Wyatt Sawyer hatte bisher nie Hemmungen, sich auf ein erotisches Abenteuer einzulassen. Doch bei der zauberhaften Grace Talmadge, die sich so liebevoll um seine kleine Nichte kümmert, ist er zum ersten Mal tief verunsichert. Ihre stürmischen Küsse zeigen ihm zwar, dass sie zu allem bereit wäre, wenn er nur wollte. Trotzdem zögert Wyatt, denn diesmal geht es um viel mehr: Sein Herz ist beteiligt! Bevor er mit Grace den letzten Schritt wagt, will er sie um ihre Hand bitten ...
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Seitenzahl: 205
IMPRESSUM
Diesmal muss es Liebe sein erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2003 by Sara Orwig Originaltitel: „The Rancher, The Baby & The Nanny“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1345 - 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Andrea Cieslak
Umschlagsmotive: GettyImages_Deagreez, Benjamin_Lion
Veröffentlicht im ePub Format in 02/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733729820
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Stallion Pass
„Oh, nein!“ Mit einem Baby auf dem Arm stand Wyatt Sawyer am Fenster seiner Ranch in Texas und beobachtete eine Frau beim Aussteigen aus ihrem Auto. Während sie auf das Haus zuging, betrachtete er sie abschätzend. Er suchte ein Kindermädchen, aber diese junge Frau kam nicht infrage. Das sah er auf den ersten Blick. Sie wirkte selbst noch wie ein Kind. Ihr lockiges rotes Haar war am Hinterkopf aufgesteckt. Ein paar Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihr ins Gesicht. In ihrem lässigen grauen Trägerkleid und der weißen Bluse erschien sie ihm wie sechzehn.
„Wie viele Kindermädchen muss ich mir denn noch anschauen?“ Gedankenverloren wiegte er das schlafende Baby in seinen Armen. Voller Zärtlichkeit schaute er auf seine fünf Monate alte Nichte.
„Megan, meine Süße, wir werden schon die richtige Nanny für dich finden. Ich gebe mir die größte Mühe.“ Er hielt sie hoch und küsste sie sanft auf die Stirn. Dann sah er wieder zu der Frau, die sich nun der Tür näherte.
Die helle Maisonne schien in ihr frisches Gesicht. Sie war nicht geschminkt, was ihr junges Aussehen noch unterstrich. Wyatt würde sie nach ihrem Alter fragen müssen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie auch nur einen Tag älter als achtzehn war, wenn überhaupt. Er musterte sie nochmals von oben bis unten und registrierte nebenbei, dass sie lange Beine hatte. Dabei erinnerte er sich an zwei Bewerberinnen, die echte Schönheiten gewesen waren. Beim Anblick der beiden hatte sein Herzschlag einen Moment ausgesetzt. Doch bereits nach drei Minuten Vorstellungsgespräch war ihm klar gewesen, dass er Megan mit keiner von beiden allein lassen würde.
Er seufzte. Warum war es nur so kompliziert, eine gute Kraft zu finden? Die Bezahlung, die er bot, war spitze. Aber er ahnte, was die Frauen zögern ließ – sie müssten hier draußen auf seiner Ranch leben. Die meisten würden nicht einmal für ein fürstliches Gehalt diese Abgeschiedenheit auf sich nehmen, egal, ob sie vom Land oder aus der Stadt waren. Dann gab es noch die Kandidatinnen, die einen wohlhabenden Ehemann suchten, und Wyatt hatte absolut keine Lust zu heiraten.
Das Klingeln an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Er öffnete und schaute in große grüne Augen, die ihn mit überraschender Schärfe fixierten. Sekundenlang starrten sie sich schweigend an. Eine seltsame Erfahrung für Wyatt. Er blinzelte und betrachtete sie eingehender. Lange Wimpern, lustige Sommersprossen auf der Nasenspitze …
„Mr. Sawyer, ich bin Grace Talmadge.“
„Kommen Sie herein. Nennen Sie mich Wyatt“, sagte er und fühlte sich auf einmal viel älter als dreiunddreißig. Wie lange würde er brauchen, um sie loszuwerden? Er hatte zwanzig Minuten für jede Bewerberin eingeplant, aber dieser wollte er nur zehn geben. Sie konnte unmöglich über einundzwanzig sein.
„Ist das Ihre Kleine?“, fragte sie.
„Meine Nichte, Megan. Ich bin ihr Vormund.“
Grace Talmadge sah auf das schlafende Baby in seinen Armen. „Ein hübsches Kind.“
„Danke, das finde ich auch. Kommen Sie herein“, wiederholte er.
Als Grace an ihm vorbeiging, spürte er den Duft von Zitronen. Ihr Parfüm? Er schloss die Tür und führte Grace durch einen breiten Flur. Die Absätze seiner Stiefel hallten auf dem harten Holzfußboden. Er blieb stehen und ließ ihr den Vortritt in das Wohnzimmer.
Grace blickte sich um, als wäre sie noch nie in einem solchen Raum gewesen.
Wyatt schaute sich ebenfalls in dem Zimmer um, dem er sonst kaum Beachtung schenkte. Es war der einzige Raum, in dem seit seiner Kindheit nichts verändert worden war. Vertäfelte Decke, ein ausgestopfter Luchs, Köpfe von Hirschen und Antilopen an den Wänden, alles Tiere, die sein Vater geschossen hatte. Regale voller Bücher, Bärenfelle auf dem Fußboden, ein altes Gewehr über dem Kamin.
„Sie müssen Jäger sein“, meinte sie und wandte sich zu ihm um.
„Nein, mein Vater war Jäger. Er liebte es, wilde und starke Kreaturen zu erlegen“, antwortete Wyatt mit Bitterkeit in der Stimme. „Setzen Sie sich bitte“, forderte er sie auf, während er sich selbst in einem Schaukelstuhl niederließ. Er bettete das Baby in seiner Armbeuge und fing behutsam zu schaukeln an.
Grace nahm ihm gegenüber in einem dunkelblauen Ohrensessel Platz. Sie schlug die Beine übereinander und faltete die Hände im Schoß.
„Also, Miss Talmadge, können Sie irgendwelche Referenzen als Kindermädchen vorweisen?“
„Nein, kann ich nicht“, erwiderte sie. „Ich bin seit fünf Jahren Buchhalterin in einer Schilderfirma in San Antonio. Der Inhaber möchte sich zur Ruhe setzen und die Firma schließen, daher bin ich auf der Suche nach einem neuen Job.“
Fünf Jahre, das überraschte ihn. Wyatt schloss daraus, dass sie unmittelbar nach der Highschool zu arbeiten angefangen hatte. „Warum bewerben Sie sich als Kindermädchen? Sie wissen, Sie müssten dann hier draußen auf meiner Ranch leben?“
„Ja, das habe ich der Anzeige entnommen.“
„Wenn Sie noch nie als Kindermädchen gearbeitet haben, was qualifiziert Sie dann für diesen Job? Haben Sie viel mit Kindern zu tun?“ Wyatt beugte sich vor. Er war kurz davor, aufzustehen und Grace hinauszubegleiten. Sie hatte keine Erfahrung und kam daher sowieso nicht infrage.
„Nein, das habe ich nicht, aber ich denke, ich kann alles Nötige lernen.“ Ihre Stimme war sanft und beruhigend zugleich, doch Wyatts Geduld war erschöpft. Die vielen Vorstellungsgespräche in den vergangenen Tagen hatten ihn ermüdet.
Er erhob sich. „Danke, dass Sie sich die Mühe gemacht haben und hier herausgekommen sind. Ich weiß, es ist ein langer Weg. Aber ich brauche nun mal jemanden mit Erfahrung.“
Grace stand ebenfalls auf und sah ihn an. „Haben Sie denn viel Erfahrung mit der Rolle als Vater?“, fragte sie mit einem leichten Lächeln, das ein Grübchen in ihrer rechten Wange sichtbar werden ließ.
Irritiert schaute Wyatt sie an. „Nein, ich hatte nur keine andere Wahl. Ich bin ein enger Verwandter.“ Er hielt inne, als ihm bewusst wurde, was er damit gesagt hatte. Verwandtschaft war schließlich keine Garantie für Liebe oder Fürsorge.
„Geben Sie mir wenigstens eine Chance, bitte“, drängte sie ihn.
„Warum wollen Sie diesen Job, wenn Sie keinerlei Erfahrung haben? Vielleicht liegt es Ihnen überhaupt nicht, Kindermädchen zu sein.“
Sie warf einen Blick auf das Baby. „O doch. Ich würde liebend gern für ein kleines Kind sorgen.“
„Können Sie denn überhaupt mit Kindern umgehen?“
„Ich habe Cousins, die noch ziemlich jung sind und mit denen ich früher viel zusammen war. Doch sie leben in Oregon, sodass ich sie nicht mehr so oft sehe.“
Wyatt begann, ungeduldig zu werden. „Sie sind nicht zufällig auf der Suche nach einem Ehemann, oder? Denn dafür stehe ich nicht zur Verfügung.“
Sie lachte. Ihre grünen Augen blitzten. „Keinesfalls! Ich kannte Sie ja nicht einmal, als ich mich auf diese Stelle bewarb. Ich habe eine Freundin in Stallion Pass, die mir einiges über Sie erzählt hat. Daher vermute ich, dass wir beide nicht das Geringste gemeinsam haben.“
Da musste er ihr zustimmen. „Verzeihen Sie meine Direktheit, aber einige der Frauen, die sich hier vorgestellt hatten, waren ganz offensichtlich auf Männerfang. Sie dagegen kennen sich weder mit Kindern aus, noch suchen Sie einen Ehekandidaten. Warum also wollen Sie mit mir und meiner Nichte in dieser Einsamkeit leben? Warum wollen Sie diesen Job?“
„Ich bin aufs College gegangen und muss noch mein Ausbildungsdarlehen abzahlen. Inzwischen habe ich zwar meinen kaufmännischen Abschluss, doch ich möchte irgendwann weiterstudieren. Mit diesem Job könnte ich ein paar Dollar sparen. Sobald Ihre Kleine dann in die Vorschule kommt, kann ich in der Zeit, die sie nicht zu Hause ist, Kurse belegen.“
„Sie planen auf Jahre hinaus. Megan ist noch ein Baby.“
„Die Zeit fliegt, und wenn es so weit ist, werde ich Geld übrig haben. Jetzt bin ich noch dabei, das Darlehen zurückzuzahlen.“
„Das heißt also, wenn Sie Ihren Uni-Abschluss haben, bin ich auch mein Kindermädchen los?“
Grace lächelte und schüttelte den Kopf. „Nein, bestimmt nicht. Ich möchte das Diplom nur zur Sicherheit. Vielleicht finde ich einen Teilzeitjob, während Megan ganztags in der Schule ist. Sollte sich das nicht ergeben, kann ich trotzdem Nutzen aus dem Studium ziehen und für meine Familie und mich die Finanzen regeln.“
„Erzählen Sie mir von Ihrer Familie. Leben Ihre Eltern in San Antonio?“, fragte Wyatt. Nebenbei stellte er fest, dass sie volle, rosige Lippen hatte. Er musste sich anstrengen, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.
„Nein. Sie sind Missionare in Bolivien. Ich habe zwei Schwestern. Prudence arbeitet als Sprachtherapeutin in Austin, und Faith, die Älteste von uns dreien, ist Krankenschwester und betreut ehrenamtlich schwere Fälle in der Psychiatrie.“
Die Warmherzigkeit, mit der sie von ihrer Familie sprach, berührte Wyatt. Er dachte an seine Jugendfreunde Josh Kellogg und Gabe Brant, die ihre Eltern und Geschwister geliebt hatten und wiedergeliebt wurden. Es war für ihn geradezu wie ein Schock gewesen, als er als Kind zum ersten Mal bei Gabe zu Besuch war und entdeckt hatte, dass eine Familie auch herzlich und liebevoll sein konnte.
„Hier habe ich ein Bild von ihnen“, fuhr Grace fort. Sie holte eine Fotografie aus ihrer Tasche.
„Sie tragen ein Foto von Ihrer Familie mit sich herum?“, fragte er überrascht.
„Ja, ich sehe es mir immer wieder gern an.“
Als er das Foto nahm, streiften seine Finger ihre Hand, und er spürte ein leises Kribbeln. Das Bild zeigte ein lächelndes Paar, Händchen haltend, und zwei brünette junge Frauen, ebenfalls lächelnd.
„Das sind Ihre Eltern?“ Wyatt betrachtete den großen, dunkelhaarigen Mann und die schlanke, rothaarige Frau, die für drei erwachsene Töchter viel zu jung wirkte.
„Ja. Tom und Rose Talmadge. Sie haben früh geheiratet.“
„Mit fünfzehn?“
Grace schmunzelte. „Beinahe. Sie waren achtzehn. Also haben Sie sich nur um drei Jahre verschätzt. Es war eine Kinderliebe. Mein Großvater väterlicherseits ist Pfarrer in Fort Worth.“
„Nette Familie“, bemerkte Wyatt.
Grace deutete nun auf die beiden jungen Frauen auf dem Foto. „Das sind meine Schwestern. Sie haben unsere Eltern letztes Jahr besucht, aber ich konnte leider nicht mitfahren.“
„Sie stammen aus einer Familie von Wohltätern, doch Sie selbst machen ein betriebswirtschaftliches Studium und streben einen gut bezahlten Job an?“
„Richtig. Ich bin eher praktisch veranlagt. Jedenfalls habe ich einen guten Sinn für Zahlen, und ich verdiene gerne Geld.“
„Nun, dann haben wir ja doch etwas gemeinsam“, stellte Wyatt trocken fest. „Auch ich verdiene gerne Geld. Allerdings glaube ich nicht, dass Ihnen Ihr Sinn für Zahlen bei der Babypflege nützlich sein wird.“ Er gab ihr das Foto zurück. „Ihre Eltern sehen sehr sympathisch aus.“
„Das sind sie auch“, bestätigte Grace und steckte das Bild wieder in ihre Tasche. „Ich nehme an, Sie halten nicht viel von mir, aber ich komme aus einer soliden, hart arbeitenden Familie, und ich habe gute Zeugnisse. Ich glaube, ich kann es lernen, für das Baby zu sorgen.“
Wyatt war sehr fasziniert von ihr. Dieses sommersprossige Mädchen mit der sanften Stimme bezauberte ihn. Er wusste auch, warum. Abgesehen von der Bindung, die er zu seinem älteren Bruder Hank gehabt hatte, kannte er keine Art von Nähe in seiner Familie. Die Liebe, die Grace in ihrem Elternhaus erfahren hatte, war ihm fremd.
„Okay, setzen Sie sich. Wir reden weiter“, schlug er dann vor.
Sie nahm nun Platz und faltete dann erneut die Hände im Schoß.
„Der Job bedeutet, dass Sie ständig bei mir und Megan auf der Ranch leben müssten“, erinnerte er sie.
Grace nickte. „Gibt es einen Grund, weshalb mich das beunruhigen sollte?“
„Zum einen ist da die Einsamkeit.“
„Die macht mir nichts aus.“
„Für jemanden, der so jung ist wie Sie, ist das ungewöhnlich. In Ihrem Alter geht man doch gern aus und sucht sich einen Partner.“
Sie lächelte ihn an. Das Grübchen in der Wange tauchte wieder auf, und ihre Augen blitzten. „Ich bin nicht auf Männerfang. Und dank Ihrer Nichte werde ich keine Zeit haben, mich isoliert zu fühlen.“
„Sie möchten nicht heiraten?“, hakte er nach.
„Wenn es sich eines Tages ergibt, warum nicht. Aber wenn nicht, ist das auch in Ordnung.“
Wyatt glaubte ihr nicht eine Minute, dennoch wechselte er das Thema. „Ich habe eine Köchin, die auch auf der Ranch lebt. Doch Sie als Kindermädchen müssten hier im Haupthaus wohnen.“
Sie nickte zustimmend.
„Da dies während der Woche Ihr Zuhause sein würde, möchte ich wissen, ob Sie einen Freund haben.“
„Nein, habe ich nicht. Ich habe mich bisher ausschließlich um mein Studium und meinen Beruf gekümmert, und auch jetzt fehlt mir die Zeit für Verabredungen.“
„Viel zu tun zu haben schließt nicht aus, auch einmal mit einem Mann auszugehen.“
Grace zuckte mit den Schultern. „Na schön. Bisher habe ich niemanden gefunden, der mich wirklich interessiert hat.“
„Wann haben Sie die Highschool beendet?“, fragte er, um diskret ihr Alter herauszufinden.
Sie lächelte. „Ich bin fünfundzwanzig und habe vor sieben Jahren meinen Schulabschluss gemacht.“
Das Baby auf seinem Arm war aufgewacht und begann zu weinen.
„Wie geht es meinem Mädchen?“, fragte Wyatt zärtlich. Er stand auf und klopfte Megan auf den Rücken. „Würden Sie mich bitte für einen Moment entschuldigen? Ich muss die Kleine wickeln und ihr die Flasche holen.“
„Selbstverständlich.“
Wyatt verließ den Raum, und Grace schaute ihm mit gemischten Gefühlen nach. Ihre beste Freundin, Virginia Udall, hatte sie eindringlich vor Wyatt gewarnt und ihr von seinen wilden Jugendjahren erzählt. Wie er von der Highschool geflogen war und wegen seines schlechten Rufs die Stadt hatte verlassen müssen. Grace hatte von seinen Ausschweifungen als Halbstarker gehört, von den Mädchen, die er verführt hatte, von seinen Schlägereien in Kneipen. Das alles wusste Virginia von ihrer älteren Schwester, die mit Wyatt in eine Klasse gegangen war. Grace hatte daraufhin in ihrem Highschool-Jahrbuch geblättert und ein Bild von Wyatt als Schulanfänger entdeckt. Trotz seiner wüsten Mähne war er damals der bestaussehende Junge der ganzen Schule gewesen.
Ohne Zweifel, Wyatt war der attraktivste Mann, den sie kannte. Als er ihr die Tür aufgemacht hatte, war sie einen Moment lang wie erstarrt gewesen. Er hatte dunkelbraune Augen, hohe Wangenknochen, die ihm einen etwas verwegenen Ausdruck verliehen, eine gerade Nase, einen sinnlichen Mund und ein kantiges Kinn. Sein schwarzes Haar war immer noch lockig und hing ihm wirr in die Stirn. Der Mann hatte einfach eine umwerfende Ausstrahlung. Kein Wunder, dass er den Ruf eines Frauenhelden hatte.
Es war schwierig, die Geschichten von einst mit dem fürsorglichen Onkel von heute in Einklang zu bringen. Sie betrachtete die Tierköpfe an der Wand, das Gewehr über dem Kamin, die schweren Ledermöbel und die Bärenfelle. Man sah, dass hier ein Mann lebte, obwohl man ihr erzählt hatte, dass Wyatts Bruder eine Zeit lang mit seiner Frau auf der Ranch gewohnt hatte. Es war sehr seltsam, sich vorzustellen, wie ein Baby über die Bärenfelle krabbelte. Grace überlegte, ob der Raum bereits in Wyatts Kindheit so ausgesehen hatte. Wobei es ihr noch schwerer fiel, sich Wyatt als Kind vorzustellen.
Begab sie sich in die Höhle des Löwen, wie ihre Freundin sie gewarnt hatte? Wenn sie den Job bekäme, müsste sie hier leben, allein mit Wyatt Sawyer und dem Baby. Als sie auf das Haus zugegangen war, hatte sie kurz mit dem Gedanken gespielt, sich einfach umzudrehen und zurück in die Stadt zu fahren. Doch sie wusste, dass Wyatt trotz des hohen Gehaltes, das er bot, schon lange vergeblich nach einem Kindermädchen suchte. Das war für sie Grund genug, ihre Bedenken beiseitezuschieben.
Wyatt kam wieder in das Zimmer zurück. Er hielt das Baby im Arm und gab ihm die Flasche. Vorsichtig ließ er sich im Schaukelstuhl nieder. Zärtlich beobachtete er seine Nichte beim Trinken. Die Liebe, die er für das Kind empfand, war offensichtlich.
„Warum erzählen Sie mir nicht etwas mehr über den Job?“, schlug sie vor.
Er hob den Kopf, als ob er ihre Anwesenheit vergessen hätte. Grace fragte sich, ob er immer noch vorhatte, sie abzuservieren.
„Sie würden hier im Haus wohnen und sich um Megan kümmern. Ich bin tagsüber meistens unterwegs, daher muss ich der Frau, die ich einstelle, voll vertrauen können. Es muss jemand sein, der mit einem Säugling umzugehen weiß und sich liebevoll um ihn kümmert.“
„Ich glaube, das kann ich.“
„Das Leben hier wird ziemlich einsam sein. Vielleicht wären Sie stattdessen viel lieber mit Freunden zusammen oder möchten ausgehen.“
Grace lächelte ihn an. „Sicher werde ich doch auch etwas Freizeit haben?“
„Ja, an den Wochenenden. Dann werde ich mich um Megan kümmern. Ehrlich gesagt, Miss Talmadge, Sie sind mir etwas zu jung. Ich hatte eher an eine reifere Person gedacht, vielleicht eine Großmutter mit viel Erfahrung. Und noch etwas. Falls Sie einen Freund haben, möchte ich nicht, dass Sie ihn hier auf der Ranch empfangen. Ich glaube, ich …“
Plötzlich schob Megan die Flasche weg und begann aus voller Kehle zu schreien. Wyatt versuchte, sie weiter zu füttern, aber sie wehrte ihn ab. Da drückte er sie an seine Brust, klopfte ihr auf den Rücken und redete besänftigend auf sie ein. Als sie jedoch nur noch lauter weinte, erhob er sich und ging mit ihr auf und ab. Doch sie ließ sich einfach nicht beruhigen.
Grace stand nun auf und bot dann ihre Hilfe an. „Lassen Sie mich die Kleine eine Weile halten. Möglicherweise hilft es, wenn sie mal bei jemand anders auf dem Arm ist. Vielleicht sollten Sie ihr auch ein neues Fläschchen warm machen.“
„Ich glaube nicht, dass sie noch etwas will“, meinte er mit einem Blick auf die fast leere Flasche. „Sie trinkt nie ganz aus.“
Grace nahm ihm Megan ab. Sie legte das Baby an ihre Schulter, ging mit ihm umher und klopfte ihm auf den Rücken, wie Wyatt es getan hatte. Megan schrie unaufhörlich. Schließlich begann Grace, ihr leise etwas vorzusingen. Nach ein paar Minuten wurde Megan still, und Grace wanderte weiter mit ihr auf und ab und tätschelte sie.
Inzwischen hatte Wyatt ein neues Fläschchen geholt. Jetzt beobachtete er die Szene. Megan kuschelte sich an Grace, die sich vorsichtig mit ihr in den Schaukelstuhl setzte. „Geben Sie mir die Flasche.“
Sie rückte das Baby in ihrem Arm zurecht und gab ihm die Flasche. Zu Wyatts Erstaunen begann Megan zu trinken, während Grace schaukelte und ihr etwas vorsang.
Wyatt stand da und musterte die beiden. „Für eine Frau, die nichts von Babys versteht, machen Sie Ihre Sache erstaunlich gut“, stellte er fest. „Manchmal dauert es eine Stunde, bis ich sie beruhigt habe.“
„Vielleicht möchte sie mich als Nanny“, sagte Grace und lächelte ihn an. Wyatt musste lachen.
„Ich muss Zeugnisse von Ihnen sehen, bevor wir darüber weiter verhandeln.“
„Ich habe sie in meiner Tasche“, erwiderte sie.
„Bleiben Sie bloß sitzen!“, bat Wyatt hastig. Er genoss die Ruhe und freute sich, dass das Baby zufrieden trank.
„Erzählen Sie mehr darüber, was mich hier erwarten würde“, ermunterte ihn Grace.
„Ich bin abwechselnd hier auf der Ranch oder in meinen Büros in Stallion Pass und San Antonio. Manchmal bin ich für ein paar Tage auf Geschäftsreise. Ich weiß nicht, ob Sie etwas über meinen familiären Hintergrund wissen …“ Er hielt inne und sah sie fragend an.
„Nur sehr wenig“, antwortete sie.
„Ich werde Ihnen kurz etwas über meine Familie erzählen, damit Sie wissen, wie ich zu Megan gekommen bin. Meine Mutter starb, als ich noch ein Kind war. Mein Vater zog mich und meine beiden Brüder alleine groß. Ich bin der Jüngste. Jake, mein ältester Bruder, verunglückte tödlich mit dem Auto, als er noch auf der Highschool war. Mein Vater ist letztes Jahr verstorben.“
„Das tut mir leid“, sagte Grace.
„Wir standen uns nicht besonders nahe“, erklärte Wyatt. „Megan ist die Tochter meines Bruders Hank. Er und seine Frau Olivia sind kürzlich beim Absturz ihres Privatflugzeugs ums Leben gekommen. Sie hinterließen ein Testament, das mich zum Vormund bestimmt.“
„Ich bin froh, dass Megan Sie als Ersatzvater gefunden hat“, meinte Grace. Unwillkürlich horchte Wyatt auf.
„Sind Sie eigentlich hier in der Gegend aufgewachsen?“, erkundigte er sich. Niemand, der seine Vergangenheit kannte, hätte sich spontan so lobend über ihn geäußert. Wyatt kannte seinen Ruf nur zu gut.
„Ja. Ich habe tatsächlich mein ganzes bisheriges Leben in San Antonio verbracht.“
„Und Sie haben eine Freundin in Stallion Pass, die Ihnen von mir erzählt hat?“
„Ja. Virginia Udall.“
„Ich kann mich an keine Virginia erinnern, aber Sie müssen den Job wirklich bitternötig haben“, bemerkte er zynisch. „Die meisten Leute in Stallion Pass sind durchaus nicht glücklich darüber, dass ich Megans Vormund bin. Die Familie meiner verstorbenen Schwägerin droht sogar mit rechtlichen Schritten, um mir Megan wegzunehmen.“
Grace hob den Kopf und sah ihn unverwandt an. Der Ausdruck ihrer Augen verwirrte ihn. „Für mich ist es offensichtlich, dass Sie Ihre Nichte lieben und nur das Beste für sie wollen.“
„Nun, Sie sind eine Ausnahme. Außerdem können Sie nicht wissen, wie ich mit ihr umgehe. Vielleicht nehme ich sie mit in Kneipen. Sie wissen das doch gar nicht.“
Grace schmunzelte. „Sie würden dieses Baby niemals mit in eine verräucherte Kneipe nehmen. Ich wette, Megan kommt in Ihrem Leben an erster Stelle. Stimmt’s?“
Diese Frau forderte ihn auf ihre ruhige Art heraus. Er erkannte, dass er sie falsch eingeschätzt hatte – etwas, das ihm bei Frauen selten passierte.
„Sie haben recht. Natürlich würde ich das nicht tun. Ich liebe die Kleine jetzt schon so, als wäre sie meine eigene Tochter. Übrigens, für eine Anfängerin machen Sie das sehr gut.“
Grace schaute Megan an, die mit großen braunen Augen zu ihr aufblickte. „Sie ist ein hübsches Baby.“
„Ja, das ist sie“, pflichtete ihr Wyatt mit einem zärtlichen Unterton bei. „Soll ich sie wieder nehmen?“
„Danke, Megan scheint sich bei mir wohlzufühlen. Setzen Sie sich ruhig wieder.“
Wyatt amüsierte sich im Stillen. Grace Talmadge klang, als wäre sie hier zu Hause und er derjenige, der unter die Lupe genommen werden sollte. Er nahm Platz und musterte sie. „Wir sind beide jung. Wenn Sie den Job bekommen und hier einziehen, wird es Gerede geben. Haben Sie das schon bedacht?“
Sie lächelte nachsichtig, so als wären seine Einwände absurd. „Ich kümmere mich nicht um dummes Gerede.“
„Dann haben Sie also keine wilden Gerüchte über mich gehört, bevor Sie hierher kamen?“
„Ich habe natürlich einiges gehört. Aber Sie haben sich ganz im Gegenteil wie ein perfekter Gentleman benommen.“
Wyatt musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut loszulachen. „Ich kann das Gentleman-Getue auch lassen. Doch ich muss an Megan denken und mich daher unpersönlich und distanziert geben. Noch ein Grund mehr, weshalb ich ein älteres Kindermädchen zu finden hoffte. Um gar nicht erst in Versuchung zu geraten zu flirten.“
„Oh, darüber brauchen Sie sich wohl keine Gedanken zu machen. Männer wie Sie können mit Frauen wie mir nichts anfangen“, versicherte Grace ihm.
„Wenn ich sachlich bleiben wollte, müsste ich über diese Bemerkung hinweggehen, aber irgendwie sind wir vom Thema abgekommen. Männer wie ich?“
„Sie sind erfahren und weltgewandt. Ich nehme an, Sie bevorzugen Frauen, die Ihre Interessen teilen. Ich bin eine Leseratte, ernsthaft und noch einiges mehr, was Männer nicht reizt. Flirten wird also kein Problem sein, weder für Sie noch für mich. Also, wann soll das Kindermädchen anfangen?“
„So bald wie möglich“, antwortete Wyatt, immer noch amüsiert. Auf ihre besonnene Art behielt Grace das Gespräch in der Hand und lenkte es wieder in sachliche Bahnen.
„Ich möchte jemanden, der an einer langfristigen Anstellung interessiert ist, damit nicht noch mehr Unruhe in Megans Leben kommt“, fuhr er fort.
„Dafür kann Ihnen eine ältere Frau auch keine Garantie geben. Ich bin verlässlich, habe Zeugnisse mit sehr guten Noten und hatte weder im College noch bei der Arbeit Fehlzeiten“, erwiderte Grace, während sie mit Megan im Arm behutsam schaukelte.
„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mit Ihrem jetzigen Arbeitgeber spreche?“
„Er weiß zwar nicht, dass ich mich um diese Stelle bewerbe, aber das geht trotzdem in Ordnung. Ich lasse Ihnen mit meinen Zeugnissen auch seine Telefonnummer da.“