Digitale Depression - Sarah Diefenbach - E-Book

Digitale Depression E-Book

Sarah Diefenbach

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Beschreibung

Ein wunderschöner Strand im Abendlicht, die Sonne verschwindet am Horizont. Ein ganz besonderer Moment, den man genießen sollte, im Hier und Jetzt. Doch immer mehr Menschen zerstören solche unmittelbaren Glücksmomente, indem sie ihr Smartphone zücken, um das perfekte Foto zu schießen – während der magische Augenblick vorbeizieht. Anschließend wird das Foto in den sozialen Medien gepostet. Das Ziel: möglichst viele Likes und damit Selbstbestätigung zu bekommen. Wer hingegen zu Hause auf dem Sofa sitzt und die vielen tollen Urlaubsfotos, ausgefallenen Essen und sportlichen Erfolge seiner Kontakte verfolgt, fragt sich, wieso das eigene Leben so viel langweiliger ist als das der anderen. Beim Versuch, das Glück zu intensivieren (zu tracken, zu posten, zu teilen), verlernen wir, es direkt zu erleben. Eine Reise in das Seelenleben der Generation Smartphone.

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Seitenzahl: 271

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Originalausgabe

1. Auflage 2016

© 2016 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktionelle Betreuung: Franz Kotteder, München

Redaktion: Antje Steinhäuser, München

Umschlaggestaltung: Verena Frensch, München

Umschlagabbildung: © Adina Huber, München

Satz: Carsten Klein, München

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-86882-664-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-924-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-925-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Inhalt

Impressum

Einleitung

Wo ist der Glücksschutzbeauftragte?

Technik als Entscheider über Glück und Unglück

Die Geister, die ich rief … Facebook als Frustrationsmaschine

Totale Überforderung bei unbegrenzten Möglichkeiten

Philosophie der Technikgestaltung – vom Werkzeug zum »Well-being«

Warum der Kampf ums Glück jetzt richtig losgeht

Unsere Glücksdefinition und Motivation

Technik verdrängt das direkte Glück – Wenn wir zwischen digitaler Dokumentation und virtueller Bereicherung den Moment verpassen

Verluste für die Wahrnehmung

Verluste für die Bedeutsamkeit

Verluste für die soziale Interaktion

Erlebnisse dokumentieren statt erleben

Wo sind all die Momente hin? Keine Gnade für Leerräume

Konsum versus Kreation

Versöhnlicher Abschluss

Technik bestimmt, was zählt – Selbst­optimierung bis zum Selbstverlust

Die Ironie des quantifizierten Selbst

Selbstoptimierung bis zum Selbstverlust

Warum der Drang nach Mehr ins Unglück führt

Selbstpräsentation nach Schablone

Technikvermittelte Ideale oder Wer bestimmt das eigentlich?

Ist mein Glück Facebook-tauglich? – Soziale Netzwerke als Schablone für das erfolgreiche Leben

Vielfalt als das Maß der Dinge

Facebook als Glücks-Schablone

Facebook durch die Brille historischer Glücksvorstellungen

Facebook durch die Brille der Glücksforschung

Fähigkeiten zurückerobern: Die Freude am Bekannten

Immer in Verbundenheit – Wenn die digitale Nähe uns gefangen nimmt

Das Aus für den Erholungseffekt

Grundrecht ständige Erreichbarkeit

Moderner Kommunikationsstress – von klein auf

Dramen in Paarbeziehungen des Handy-­Zeitalters

Digitale Verbundenheit oder echte Nähe

Soziale Normen und die (Un-)Möglichkeit des Ausschaltens

Einladung zum Experiment

Technik als Freifahrtschein – Wenn Technik uns von der Verantwortung für Respekt und Rücksichtnahme befreit

Technik schafft Vorrechte

Eine neue Diskussionskultur: Du, ich und die Netzgemeinde

Ewige Unverbindlichkeit

Knigge reloaded: Umgangsformen im digitalen Zeitalter

Paradoxe Erwartungen und der Teufelskreis der Rücksichtslosigkeit

Online-Modus in der Offline-Welt – Wenn die Regeln des Internets uns überallhin verfolgen

Immer im Kommentar-Modus

»I did it for the lulz«

Urteilen ohne Grenzen

Das Internet als Einladung zum Hassen

Offline ok, Online ein Problem!

Psychologischer Mechanismus

Die Zukunft unserer Offline-Welt

Technik schafft eine neue Spezies – Denken, Fühlen und Handeln des Homo technologicus

Kommunikation

Denken und Wahrnehmung

Handeln und Rituale

Produktbeziehung und Qualitäts­maßstäbe

Einstellungen zu Zeit und Ablenkung, Arbeit und Freizeit

Selbstwahrnehmung und Selbst­darstellung

Zukunftsvisionen – Wie es weiter­gehen könnte …

Technologische Trends und Entwicklungen

Wege zum Glück

Schlussgedanken

Literatur

Interviews, Reden, Blogbeiträge, Videos

Einleitung

Tobi ist über das Wochenende zu Besuch, wir haben uns ewig nicht gesehen. Doch die Wiedersehensfreude ist von kurzer Dauer. Seitdem sich seine Freundin per WhatsApp gemeldet hat, ist er faktisch nicht mehr bei uns. Er ist damit beschäftigt, Fotos zu machen, die er ihr schicken kann. Ihr zu berichten, was er gerade macht – oder machen würde, wäre er nicht ständig am Tippen. Während unseres Stadtspaziergangs haben Sehenswürdigkeiten keine Chance, das Display ist interessanter. Auch später in der Kneipe will kein intensiveres Gespräch in Gang kommen, denn der nächste Plington kommt garantiert. Wir sind genervt, Tobi wirkt gestresst, aber kann es andererseits auch nicht lassen. »Ich antworte nur kurz«, heißt es. Auf seine Antwort folgt ihre Antwort …

Am Sonntagabend reist Tobi wieder ab und war irgendwie gar nicht wirklich da. Aber aus dem Zug ruft er dann noch mal an – wie erfreulich, so viel haben wir das ganze Wochenende nicht geredet!

Schön, dass die Technik die Menschen heute überall miteinander verbindet. Nicht schön, dass sie gleichzeitig Menschen voneinander trennt. Tobis Freundin wollte vielleicht gar nicht stören. Ihr war nicht bewusst, dass sie durch ihre interessierten Nachfragen die Stimmung bei Tobi und seinen Gastgebern ziemlich vermiest. Vielleicht sogar Aggressionen ihr gegenüber entstehen lässt, bevor man sie jemals persönlich kennengelernt hat. Sie kann nichts dafür und Tobi wollte es auch nur richtig machen. Die Freundin teilhaben lassen. Und eine kleine Nachricht zwischendrin, so hat er vielleicht gedacht, stört ja auch nicht weiter. Dass es nicht bei einer Nachricht bleiben würde, dass ein oder zwei Telefonanrufe am Tag insgesamt viel weniger störend gewesen wären, war für ihn anscheinend nicht abzusehen. Dass sein Smartphone, das er beim Tippen auch noch in Augenhöhe hält, gleich als doppelte Barriere zum Gesprächspartner ziemlich respektlos wirkt, war ihm wahrscheinlich auch nicht bewusst. Es gibt wohl kein eindeutigeres Signal, dem Gesprächspartner Desinteresse zu signalisieren, als neben der offensichtlich gedanklichen Ablenkung auch noch den Blickkontakt unmöglich zu machen. Aber er selbst sieht sich ja nicht in dieser Haltung. Vielleicht hätten wir in der Situation ein Foto machen sollen, um es ihm aufs Handy zu schicken. Das wäre eventuell eine Chance gewesen, auch etwas Aufmerksamkeit zu bekommen.

Was müsste wohl passieren, damit wir wieder so unbeschwert wie früher mit Freunden zusammen sein können? Brauchen wir noch mehr Technik, um die Technik um uns herum zu kontrollieren? Vielleicht einen Störsender in der Hosentasche, um unsere Freunde zurück in die reale Welt zu holen? Oder müssen wir uns an die eigene Nase fassen, uns zu einem anderen Umgang mit Technik erziehen?

Uns allen geht es manchmal wie Tobi. Ohne böse Absicht rutscht man in Verhaltensweisen, die mehr Ärger als Freude stiften und auch dem eigenen Glück im Wege stehen. Technik begünstigt häufig ebensolche Verhaltensweisen: Dem digitalen Kommunikationspartner mehr Aufmerksamkeit zu schenken als den physisch anwesenden Mitmenschen. Zu verlernen, das Glück im Moment zu erleben und erst durch entsprechende Likes zu einem Post auf Facebook vermeintlich glücklich zu werden. Positive Gefühle von Fortschrittsbalken unserer Fitness-Gadgets abhängig zu machen, statt von unserem Vorankommen im realen Leben. Vor lauter Konzentration auf die Technik das eigene Glück aus den Augen zu verlieren.

Jeder Leser wird in diesem Buch solche »Glücksfallen« entdecken, in denen er das eigene Verhalten oder das seiner Mitmenschen wiedererkennt. Niemals durch Technik in Konflikte zu geraten, grenzt an ein unmögliches Kunststück angesichts der ständigen Präsenz von Technik und digitalen Medien in unserem Alltag.

Technik ist heute schließlich überall und immer dabei. Angefangen bei der elektrischen Zahnbürste über den Kaffee aus dem Vollautomaten und jederzeit abrufbare Ratschläge zu allen Lebenslagen per YouTube bis hin zur Überwachung der Trainingsfortschritte via Fitness-Armband, dabei immer die Kopfhörer auf den Ohren. Und auch der Austausch mit anderen läuft technikvermittelt. Kontakte knüpft man über Facebook, Instagram zeigt, wer ich wirklich bin – oder sein will. Via WhatsApp bleibt man immer in Verbindung mit Freunden und Familie, wer noch mehr News aus meinem Leben will, kann meinem Blog folgen. Soziale Medien sind auch ein Kanal für Kommunikation und Meinungsbildung in unserer Gesellschaft. Politiker twittern, Stars werden auf YouTube geboren, Prominente werden auf Facebook noch prominenter – oder schießen sich mit fragwürdigen Kommentaren selbst ins Aus. Es gibt viele Möglichkeiten, um das Leben aufregender, interaktiver, schneller, lauter, bunter zu machen – aber auch glücklicher?

Kritische Stimmen zur technischen Durchdringung unseres Alltags gibt es viele. Berechtigte Sorgen um Datenschutz und Privatsphäre beispielsweise. Sorgen um gesundheitliche Gefahren, wie die böse Handystrahlung oder den Mausarm. Oder auch Sorgen um die Degeneration unserer kognitiven Fähigkeiten, wie Manfred Spitzer sie in seinem Buch »Digitale Demenz« diskutiert.

Aber was ist damit, wie wir uns fühlen? Was ist mit der Glücksdimension? Ist nicht Glück alles, was zählt?

Natürlich, in manchen Fällen verrichtet Technik praktische Dienste, die Frage nach Glück steht nicht im Vordergrund. Das Glück ist in diesem Fall, dass es mit Technik einfacher geht als ohne. Ich bin froh, den Spüldienst an die Spülmaschine delegieren zu können; ich bin froh, mit dem Auto fahren zu können statt im Regen zu Fuß gehen zu müssen – auch hier ließe sich ja darüber diskutieren, ob ein Regenspaziergang nicht etwa auch glücklich machen könnte. In vielen Fällen aber ist die Ursprungsidee, dass Technik eine Bereicherung für unser Glück darstellt und eine wünschenswerte, zusätzliche Möglichkeit schafft. Facebook zum Beispiel. Ein Netzwerk, um in Kontakt zu bleiben, mitzubekommen, was passiert, kurz: um Freunde zu verbinden. Was, wenn nicht Glück, soll hier geschaffen werden? Warum sollte ich Facebook beitreten, wenn ich nicht glaube, dass mich dieser neue Kontaktkanal glücklich macht? Wie die in diesem Buch geschilderten Studienergebnisse und eigenen Alltagserfahrungen zeigen, kann das Glück durch die Technik oftmals beeinträchtigt werden. Bei allen Vorteilen und offensichtlichen Benefits werden auch bestimmte Potenziale, Glück zu erleben, zerstört – oft ohne dass man es merkt.

Ich will meine Freude teilen. Voller Stolz präsentiere ich meine erste selbst gebackene, leicht schiefe Geburtstagstorte meinen Freundinnen in der WhatsApp-Gruppe – und dann schickt mir meine liebe Bekannte ein Foto zurück: »Hihi, Torte backen, das habe ich letzte Woche auch mal versucht …« Dazu ein Foto mit perfekter zehnstöckiger Torte. Hätte ich es doch bloß dabei belassen, die Torte meiner Familie beim Kaffeeklatsch zu präsentieren.

Ich kann auf Facebook Likes kassieren und mich gut fühlen. Aber die Likes können auch einfach ausbleiben, und ich fühle mich schlechter als zuvor. Ich kann auf WhatsApp sehen, dass mein Schwarm gerade online ist, aber ich kann auch sehen, dass er online ist und irgendjemandem schreibt – aber nicht mir!

Oftmals können wir uns der Technik ja gar nicht entziehen, schon der Arbeitsplatz verlangt in den allermeisten Fällen eine Allianz mit ihr. Gerade aber bei der freiwilligen Nutzung, auf die wir uns doch einlassen, weil wir glauben (oder einmal geglaubt haben), dass sie uns guttut, sollte das Gesamtergebnis am Ende auch stimmen. Mehr positive als negative Gefühle sollte die Bilanz ergeben. Implizit wird ja auch angenommen, dass dem so ist, sonst würde die Technik nicht so erfolgreich alle Lebensbereiche durchdringen. Würden wir um unser Glück fürchten, würden wir die Technik nicht derart widerstandslos in alle Nischen unseres Lebens hineinlassen. Im Gegenteil: Wir alle tun es freiwillig und geben darüber hinaus noch eine Menge Geld für allerlei Technik-Gadgets aus. Jedes Jahr wieder freut sich zu Weihnachten der Branchenverband Bitkom über Umsatzsteigerungen: Smartphones, Tablets und Wearables wie Smartwatches oder Fitnesstracker zählen zu den beliebtesten Gaben unter dem Weihnachtsbaum. Apple-Fans campieren vor den gläsernen Verkaufsstellen, sobald die neueste Generation ihres Smartphones oder Tablets verfügbar ist, um die begehrten Geräte als Erste in den Händen zu halten. Ist es etwa nicht das Glück pur, für das man hier Schlange steht?

Genau darum geht es: Tut es uns gut, was wir da tun?

Wir wollen an dieser Stelle bereits klarstellen, dass wir keine Technikfeinde sind. Wir wollen die Technik aus unserem Alltag nicht abschaffen und niemandem etwas wegnehmen. Es gibt viele wunderbare Erlebnisse, die erst durch Technik möglich werden: Kinoabende, Motorradtrips, mit Menschen quer über den Globus telefonieren und vieles, vieles mehr. Wir wollen hier aber bewusst den Blick auf paradoxe Phänomene richten – Fälle, in denen die Nutzung der Technik über das ursprüngliche Ziel hinausschießt, und unser Glück gefährdet.

Wo ist der Glücksschutzbeauftragte?

Egal, ob es um die Laptops im Klassenzimmer geht, die kontaktlose Zahlung via Smartphone oder andere technische Neuerungen. Im Zentrum der Diskussion über gut oder schlecht stehen oft Effektivität (können die Schüler ohne die gute alte Tafel noch richtig lernen?) und Sicherheit (welche Datenspuren hinterlasse ich beim Einkauf?), aber seltener subjektive Empfindungen und die Konsequenzen daraus. Anders als der Datenschutz lässt sich Glück auch weniger leicht objektivieren oder durch Vorgaben und Regularien schützen. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Bundesregierung noch keinen Glücksschutzbeauftragten ernannt hat. Gut möglich auch, dass der Beauftragte mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe schnell überfordert wäre. Denn so banal die Glücksfrage erscheinen mag, so komplex sind doch die dahinterstehenden psychologischen Mechanismen, und so schwer fällt die Bewertung. Unverständlich bleibt dennoch, dass das Glück bei der Nutzung von Technik und neuen Medien bislang so wenig beachtet wird, wenn man die Relevanz bedenkt.

Ein glückliches Leben führen, das ist doch, worum es uns am Ende allen geht. Und worum es auch der Gesellschaft gehen sollte – man sieht das daran, wie oft ein Schulfach »Glück« gefordert wird. Herausfinden, was uns glücklich macht und was wir für unser Glück tun können, ist eine der kompliziertesten Aufgaben im Leben. Aber es lohnt sich. Es tut den Glücklichen und auch der Gesellschaft gut. Beispielsweise verursachen glückliche Menschen seltener Verkehrsunfälle1, sind hilfsbereiter, großzügiger2, leben gesünder3 und arbeiten effizienter4. Bedenkt man die vielen positiven Nebeneffekte des Glücklichseins, lässt sich Glück nicht nur als individualpsychologisches, sondern auch als gesellschaftspolitisches Ziel begreifen5.

Umso wichtiger scheint es zu sein, die Glücksdimension auch in unserem alltäglichen Umgang mit Technik und neuen Medien genauer zu beleuchten. Auch hier rücken nun Forschungsfragen zu Wohlbefinden und Glücklichsein langsam in den Vordergrund – mit insgesamt eher besorgniserregenden Einblicken: Facebook beispielsweise ist gerade für Personen mit geringem Selbstbewusstsein alles andere als ein Heilsbringer, dies ergab vor Kurzem eine Studie zum Einfluss sozialer Netzwerke auf Glück und Wohlbefinden6. Wie allgemein bekannt, ist Facebook neben einem Netzwerk zur Kontaktpflege für viele vor allem eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung. Gerade Personen mit geringem Selbstbewusstsein nutzen sie gerne – und ernten dabei aber vorrangig negatives Feedback. Die erhoffte Bestätigung bleibt aus, am Ende sind sie noch weniger glücklich als vorher. Der Schuss ging nach hinten los, kann man da nur sagen. Eine vielleicht gut gemeinte Idee – Technik als Mittel zur Vernetzung und Raum für positive Kommunikation – kann sich schnell einmal ins Gegenteil verkehren. Die realen Konsequenzen sehen oft ganz anders aus als in der Werbung.

In ihrem Plädoyer für Medienbildung im Sächsischen Landtag im April 2015 postulierte die Grünen-Abgeordnete Claudia Maicher, dass Technik an sich nicht gut oder schlecht sein kann. Entscheidend ist der Umgang des Menschen mit der Technik. Gerade Kinder und Jugendliche sollen laut Maicher dabei unterstützt werden. Da hat sie nicht ganz unrecht. Der Umgang mit Technik spielt eine wichtige Rolle, fraglich bleibt aber, wie eine angemessene Unterstützung für Jugendliche aussehen könnte. Nimmt man das konkrete Beispiel der Facebook-Studie, ist es natürlich schwierig zu sagen, was man wenig selbstbewussten, bestätigungshungrigen Jugendlichen nun mitgeben sollte: Wie man sich selbst möglichst positiv darstellt etwa? Oder soll man sie ganz von Facebook fernhalten? Wichtig ist zumindest zu vermitteln, welche Herausforderungen der Eintritt in soziale Netzwerke mit sich bringt: Man muss aufpassen, dass man es nicht der Technik überlässt, wann man glücklich oder unglücklich ist. Ungeachtet dessen, ob Technik die »Kompetenz« hat, das zu entscheiden, lassen wir allzu schnell Facebook oder Instagram bestimmen, ob heute ein guter oder ein schlechter Tag wird.

Technik als Entscheider über Glück und Unglück

Die Technik schafft die Grenzen, innerhalb derer wir uns bewegen können. Die Rahmenbedingungen der Technik bestimmen, was erlaubt ist, und unserer Meinung nach lassen sich hierbei auch gut und schlecht unterscheiden. Insofern können wir der Politikerin Maicher doch nicht ganz zustimmen, wenn sie sagt, es gebe keine per se gute oder schlechte Technik und allein der Umgang damit sei entscheidend: Es finden sich im Internet Webseiten, in denen man Sexvideos seiner Expartner hochladen kann, um sie bloßzustellen. Es existieren Denunziationsplattformen, auf denen man Menschen anonym und ungeprüft beschuldigen kann, Straftaten begangen zu haben. Bei solchen Plattformen ist nur schwer vorstellbar, wie eine Gesellschaft sie seriös, geschweige denn »gut« nutzen könnte. Der Kontext und die Handlungsmöglichkeit, die die Technik hier vorgibt, lassen einen solchen Umgang mit ihnen praktisch nicht zu. Der Nutzer kann hier nichts mehr retten, die Weichen wurden bereits mit der Entscheidung gestellt, bestimmte Technologien zu entwickeln und sie den Menschen zur Verfügung zu stellen.

Smarte Technik ist nicht immer wirklich smart. Technik stellt Möglichkeiten bereit, aber ohne zu prüfen, ob diese uns wirklich weiterbringen. Denn gut gemeinte Unterstützung beraubt uns oftmals auch unserer Fähigkeiten. Wir verlernen es, ohne Technik zu funktionieren. Das beginnt bei den kleinen Hilfen im Alltag – das Navigationssystem, die Word-Autokorrektur. Ich fahre zehnmal die gleiche Strecke (mit Navi) und kenne den Weg immer noch nicht. Den Schreibfehler, den mir Word automatisch korrigiert, nehme ich gar nicht wahr. Meine Finger lernen, Wörter falsch zu schreiben, ein fehlerhaftes motorisches Programm wird gespeichert. Fähigkeiten, auf die ich früher stolz sein konnte, spielen heute keine Rolle mehr: Bevor ich, dank meiner guten Allgemeinbildung, meinem Gesprächspartner erläutern könnte, was der Talkshow-Gast wohl mit »konstruktivistische Perspektive« meinen könnte, erklärt mir mein Kumpel schon, was Wikipedia dazu sagt. Bevor ich, ganz Pfadfinder, meinen Freunden anhand des Sonnenstands sagen kann, ob wir von der U-Bahnhaltestelle aus nun rechts oder links laufen müssen, um das gesuchte Restaurant zu finden, quäkt es aus dem Smartphone neben mir schon: »Das Ziel liegt in 300 Metern rechts vor Ihnen.« Matthias Laschke und Kollegen – ein Forscherteam aus Designern und Psychologen – haben die Auswirkungen solcher Smart Technologies auf unseren Alltag näher beleuchtet. In ihrem Artikel »Raus aus der Komfortzone: Smarter als Smart Technologies« (2014) kommen sie zu dem Schluss: »Je komfortabler Produkte und Dienstleistungen werden, umso weniger denken Nutzer über die Folgen der Nutzung nach […] letztendlich haben die ›smarten‹ Produkte das Potenzial ›dumb users‹ hervorzubringen.«

Die obigen Beispiele zeigen den permanenten Einfluss der Technik und ihrer Seiteneffekte auf unser Handeln. Ständig formt Technik unser Denken und Tun, oftmals ohne dass wir es mitbekommen. Und wie die motorischen Programme ändern sich auch die Glücksprogramme in unserem Gehirn. Wenn wir nicht aufpassen, beraubt uns Technik auch der Fähigkeit, Glück direkt zu empfinden. Schaut man sich die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken, Videoportalen und Blogs an, dann sieht es in den Köpfen vieler Menschen wohl so aus: Was ist eine Wandertour noch wert, wenn der Ausblick nicht mit Followern und Friends geteilt wird? Was ist ein perfektes Menü, das nicht abgelichtet wurde? Was eine Party, wenn die Ausgelassenheit und Lebensfreude nicht in einem kleinen Videoclip dokumentiert wird? Auch eine Radtour, die nicht getrackt wurde, hat faktisch nicht stattgefunden. So gut das Essen schmecken mag, so schön der Sonnenuntergang ist, so beeindruckend die Natur – richtig genießen kann man dies erst, wenn der Moment mit anderen online geteilt wird – und wenn man dann auch noch die entsprechenden Likes kassiert!

Digitale Aufbereitung eines Glücksmoments (Maridav/Fotolia.com)

Statt um den Moment im Hier und Jetzt dreht sich alles um die Aufbereitung des Moments für die Online-Welt. Unser persönliches Glück geben wir damit ein Stück weit aus der Hand. Statt meiner selbst entscheidet das Internet, wie bedeutsam mein Sonnenuntergangs-Moment ist. Blöd nur, dass mein Sonnenuntergang hier in Konkurrenz steht zu Tausenden anderen noch perfekter in Szene gesetzten Sonnenuntergängen. Plötzlich ist mein persönlicher Glücksmoment nur noch banal.

Entwertung des persönlichen Glücksmoments (oben links) durch vielfache Konkurrenz in der digitalen Welt

Die Geister, die ich rief … Facebook als Frustrationsmaschine

Und schlimmer noch, Facebook und andere soziale Netzwerke zeigen mir vielleicht auch Dinge, die mir gar nicht guttun, die vielleicht ein Nährboden für bohrende Eifersucht sind. Frisch verliebt stöbert man durch das Profil des möglichen neuen Partners – und zu sehen bekommt man womöglich erst mal Tausende Fotos mit der Exfreundin aus glücklichen Tagen. Oder aber – eine persönliche Erfahrung noch aus StudiVZ-Tagen – die Schulfreundin, die auf meine Nachricht nicht reagiert, ist seit meiner Mail sehr wohl online gewesen! Schlimmer noch, sie hat sich sogar mit einer Bekannten getroffen, die ich auch kenne, und ihr einen netten Gruß auf der Pinnwand hinterlassen: »… Ach, war das ein toller Abend gestern, bald wieder, kussi!« Ich fühle mich ausgeschlossen von der Welt. Na danke, get frustrated with Facebook.

Diese Erfahrung deckt sich auch mit wissenschaftlichen Studien. Die Motivation zur Nutzung ist ein Stimmungs-Boost: Nutzer erwarten, dass es ihnen nach dem Besuch auf der Plattform besser gehen wird. Tatsächlich geht es ihnen aber schlechter. Je länger man dort verweilt, umso mehr sinkt die Stimmung7. Der Besuch auf Facebook führt zu Stress und weniger Selbstwertgefühl8, positive Posts anderer erzeugen Neid9, wer sich einsam fühlt und im Internet Hilfe sucht, fühlt sich am Ende noch einsamer10.

Wir wollen natürlich nicht abstreiten, dass viele Leute auch positive Erlebnisse auf Facebook haben. Aber viele eben auch nicht. Ohne es zu merken, schlagen sie Wege ein, die ihnen nicht guttun. Facebook wird zum Glücksspielautomaten, jedes Mal glaubt man wieder, heute könnte es ein Gewinn sein. So wird Facebook zur Frustrationsmaschine, zum Abo für negatives Feedback und Zeitverschwendung.

Aber zum Glück hilft auch hier die Community weiter: Unter der Überschrift »Frustrated with Facebook? 5 Tips to Reclaim Your Sanity« gibt die Bloggerin Briallyn Smith im April 2015 wertvolle Hinweise. Beispielsweise einen Hinweis auf die unfollow-Option – eine abgemilderte Variante der unfriend-Option –, durch die es sich vermeiden lässt, tagtäglich zu verfolgen, wie wunderbar erfolgreich das Leben der Klassenkameraden verläuft, mit denen man schon zu Schulzeiten nicht viel anfangen konnte. Der wichtigste Hinweis aber folgt am Ende des Artikels: auf keinen Fall solle man in Erwägung ziehen, Facebook zu verlassen. Das Löschen des Facebook-Accounts könnte zu signifikanten persönlichen und beruflichen Nachteilen führen. Schade, es hätte so einfach sein können. Eine schwierige Welt, in der wir leben.

Totale Überforderung bei unbegrenzten Möglichkeiten

Warum eigentlich ist es so kompliziert geworden, sein Glück zu behaupten? Technik ist in unserem Alltag doch kein neues Phänomen. Aber die Konsequenzen sind weitaus vielfältiger als noch vor einigen Jahren und die sich überlagernden Effekte für unser Denken, Fühlen, Tun und soziales Miteinander kaum mehr zu überblicken. Schon mit dem Einzug des Fernsehers in die Wohnzimmer machten sich viele Leute große Sorgen. Bereits 1957 kritisierte der Soziologe Arnold Gehlen das Fernsehen als »Erfahrung aus zweiter Hand«, bei der mediale Meldungen zunehmend an die Stelle von realen Erlebnissen treten. Zahlreiche medienkritische Werke wie beispielsweise »Die Droge im Wohnzimmer« (Marie Winn, 1979) oder »Schafft das Fernsehen ab! Eine Streitschrift gegen das Leben aus zweiter Hand« (Jerry Mander, 1979) folgten. Mit dem Einzug der Computer in die Wohnzimmer in den Achtzigerjahren wurde gar »Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit« (Hartmut von Hentig, 1985) befürchtet, und schließlich, mit der immer stärker expandierenden Medienumwelt in den Neunzigerjahren, der Verbreitung von Mobiltelefonen und Internet, die Feststellung: »Die neuen Medien machen uns krank« (Werner Glogauer, 1999).

Allerdings dachte Glogauer damals wohl noch nicht an die inflationäre Entwertung von Sonnenuntergängen, an Minderwertigkeitsgefühle durch Facebook oder Beziehungsdramen wegen Statusanzeigen in Chats. Was ihn beunruhigte waren vorrangig körperliche Beeinträchtigungen durch Bildschirmarbeit und Elektrosmog, oder auch gesellschaftliche Konsequenzen wie der (behauptete) Anstieg von Drogenhandel und Prostitution durch die Mobiltelefone.

Trotz aller Kritik und Gefahren: Was die Effekte für das kleine Glück auf persönlicher Ebene angeht, waren die Auswirkungen der Technik damals noch vergleichsweise einfach zu überblicken. Es ging ja um Inhalte und das Zeitinvestment. Es ging darum, wie viel Fernsehkonsum oder Tetris spielen mir oder meinem Kind guttut, welchen Inhalten ich mich dabei aussetze, wie viel Zeit ich dem widmen möchte und was ich stattdessen sonst tun könnte. Freunde treffen zum Beispiel, Sport treiben oder andere »sinnvolle« Dinge. Dabei war der Umgang mit der Technik damals noch ziemlich eindimensional: Man beschäftigte sich damit und war dabei oft allein und ungestört.

Was Technik heute aber so interessant und herausfordernd macht, ist die interaktive Komponente. Im Austausch mit anderen sein, das Programm mitgestalten, Rückmeldung erfahren. Aus einseitigem Konsum ist wechselseitige Interaktion in viele, kaum überblickbare Richtungen geworden. Internet-User erfahren oft mehr Rückmeldung als ihnen lieb ist, die sogenannten Shitstorms. Oder sie sind sich gar nicht bewusst, von wie vielen Leuten das gelesen wird, was sie da fabrizieren. Wundern sich, wenn sie sich plötzlich für spaßige Facebook-Posts vor dem Arbeitgeber rechtfertigen müssen oder tausend Leute statt zwanzig zur Party kommen.

Jedes System wird viel komplexer, sobald es nicht mehr nur eine Richtung gibt. Dann vervielfältigen sich die Möglichkeiten der Teilnahme und des Berühmtwerdens – aber auch die Möglichkeiten, in Dinge hineinzurutschen, die man so nie gewollt hatte. Hinzukommt natürlich, dass sämtliche Lebensbereiche betroffen sind. Unsere Welt verspricht so viele Möglichkeiten für neues Glück: Get connected with Facebook. Erreiche die beste Form deines Lebens mit Freeletics. Be a star on Youtube. Get rich with blogging. Natürlich wollen wir uns das nicht entgehen lassen! Schlau sein, die grenzenlosen Möglichkeiten der modernen Medien ausschöpfen, das Glück maximieren – oder es verlieren.

Moderne Glücksbotschaften (Quelle: Freeletics.com)

Philosophie der Technikgestaltung – vom Werkzeug zum »Well-being«

Die Idee, Technik als Weg zu Glück und Wohlbefinden zu begreifen, ist noch relativ neu. Lange Zeit wurde Technik recht pragmatisch betrachtet: als ein Hilfsmittel, um komplexe Prozesse zu automatisieren und unseren Alltag zu vereinfachen. Spülmaschine statt Abspülen. Waschmaschine statt mühevolles Schrubben am Waschbrett. Alles muss möglichst schnell gehen, idealerweise mit einem einzigen Knopfdruck – Effizienz lautete jahrelang die einzige Maxime.

Wenn man nun den Anspruch dazunimmt, Technik so menschengerecht zu gestalten, dass sie Glück und persönliche Erfüllung verspricht, wird es sehr viel komplizierter. Es sind nicht nur zusätzliche Ansprüche, die es zu berücksichtigen gilt. Die Effizienz-Maxime und die Glücks-Maxime stehen häufig sogar im Konflikt miteinander. Wer überall die Maxime der Hochgeschwindigkeit und des kühlen Funktionierens anlegt, verliert den Genuss aus dem Blick. Effizientes Genießen gibt es nicht.

Das Problem sind natürlich nicht die lästigen Aufgaben des Alltags, die man sich gerne von der Technik abnehmen lässt. Wir wollen aus dem Abwasch ja kein genussvolles Event machen. Aber ehe man sich versieht, hat man mehr an die effiziente Technik abgegeben, als eigentlich gut wäre. Manche Fälle sind offensichtlich. Wenn jemand nur noch dem Navi folgt und dann samt Auto im Fluss landet, ist es wohl offensichtlich, dass das Technikvertrauen zu weit ging.

Aber wie ist es beispielsweise bei der Kaffeezubereitung – ein Ritual, das in Tausenden Haushalten täglich stattfindet –, wie viel sollten wir uns hier von der Technik abnehmen lassen? Dank immer besserer Kaffeemaschinen reicht in der Regel ein einziger Knopfdruck aus, um den vermeintlich perfekten Kaffee zu erhalten. Allerdings wird die Zubereitung dadurch auch zu einer profanen Handlung, was viele auf den ersten Blick nicht einmal stören wird. Kaffee auf Knopfdruck? Ist doch toll! Eine Studie ging 2014 der Frage nach, ob dies tatsächlich uneingeschränkt »toll« ist: Forscher des Fachbereichs Industrial Design an der Folkwang Universität Essen11 verglichen, welche Emotionen bei der altertümlichen Kaffeezubereitung mittels Espressokocher auf der Herdplatte entstehen und welche beim Tastendruck auf den modernen Vollautomaten. Die Ergebnisse zeigen deutlich, womit man die Automatisierung bezahlt: die Knopfdruck-Zubereitung lenkt den Fokus auf das Ergebnis, die Zeit, bis man den Kaffee trinken kann, wird zur sinnlosen Wartezeit. Das Kaffeekochen von Hand macht glücklicher. Dies liegt vor allem daran, dass man dabei die eigene Kompetenz erlebt, man fühlt sich am Prozess beteiligt und ist stolz auf »seinen« Kaffee. Wir nutzen Technik eben nicht nur, um etwas einfacher zu haben. Auch psychologische Bedürfnisse wie Kompetenz und Gefühle wie Stolz spielen eine Rolle. Das zeigte sich auch deutlich an den Protesten unter Technik-Fans bei der standardmäßigen Einführung grafischer Benutzeroberflächen in den Neunzigerjahren. »Jeder Depp«, hieß es, könne jetzt Windows bedienen, jahrelang erlernte DOS-Befehle waren plötzlich unwichtig.

Beispiele wie diese lassen die Fortschritte der Technik in einer neuen Perspektive erscheinen. Wieder einmal zeigt sich: Man muss gar nicht erst nach Gefahren für Gesundheit oder Datenschutz durch technische Neuerung suchen, schon die Frage nach dem psychologischen Wert einer Tätigkeit stellt so manchen »Fortschritt« in Frage. Unsere Antwort ist natürlich nicht, auf technischen Fortschritt zu verzichten, zurück zu den Espressokochern auf der Herdplatte, zurück zur Kommandozeilen-Eingabe. In der Kaffee-Studie wurden beispielsweise mögliche geschmackliche Unterschiede gar nicht beleuchtet, auch die zu hohe Brühtemperatur und der Energieverbrauch der Herdplatten-Geräte sollte man bedenken.

Was wir uns vielmehr wünschen ist, dass Hersteller nicht nur die Vorteile, sondern auch die Verluste durch technische Neuerungen betrachten. Dass Hersteller ihre Kunden ernst nehmen und nach Wegen suchen, wie man das Lästige ersetzen kann, aber auch das Gute an der bisherigen Lösung bewahren. Im Falle der Kaffeezubereitung könnte dies eine moderne Siebträgermaschine mit vielen Einstellmöglichkeiten sein: Hier kann jeder mit der Standardeinstellung einen Kaffee zubereiten, und wahre Liebhaber können die Funktionen voll ausreizen und den Kaffeegenuss bereits bei der Produktion beginnen lassen.

Der unschuldige Knopfdruck auf den Kaffeevollautomaten als Angriff auf unser Glück mag manch einem ein wenig weit hergeholt erscheinen. Tatsächlich ist es auch nicht die Methode der Kaffeezubereitung, in der wir aktuell die größten Gefahren für unser Glück sehen. Aber sie ist ein gutes Beispiel für die oftmals unbemerkten Neben- und Zusatzeffekte moderner Technik – und bis zu welcher Ebene die Überlegungen gehen müssten, wenn man sich wirklich zum Ziel setzt, Technik für den Benutzer zu gestalten, wie es das sogenannte »User Centered Design« vorsieht.

In noch extremerer Weise verdeutlicht dies die Philosophie der Technikgestaltung, die sich am Wohlbefinden orientiert. Ansätze wie Positive Design (Desmet & Pohlmeyer, 2013) oder ­Experience Design (Hassenzahl, 2010) nehmen das positive Erlebnis zum Ausgangspunkt für Designentscheidungen. Die Lösungen sind oft ungewöhnlich, manch einer würde vielleicht auch sagen provokativ. Slow Design (Fuad-Luke, 2002) beispielsweise will Prozesse absichtlich verlangsamen, dem Nutzer Einblick, Beteiligung und Reflexion ermöglichen. Der Saftbereiter JuicyMo, entwickelt von der Designerin Barbara Große-Hering, ermöglicht dies durch ein transparentes Gehäuse, das es dem Nutzer erlaubt, die einzelnen Schritte des Entsaftungsprozesses nachzuvollziehen. Transparent wird das Gehäuse allerdings erst, wenn das Gerät eingeschaltet wird, möglich macht dies die sogenannte »E-Skin-Technology«. Zuvor präsentiert es sich als ästhetisches Designobjekt in klassischem Weiß – dies soll vermeiden, dass JuicyMo wie viele andere »hässliche« Küchengeräte im Schrank verschwindet und letztendlich kaum genutzt wird. Weitere Special-Features sind die Doppelsieb-Technologie zur Dosierung des gewünschten Maßes an Fruchtfleisch im Saft sowie das »Second-Life-for-Pulp«-Konzept, wodurch die Designerin einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten möchte. Das im Sammelbehälter aus Kork anfallende Rest-Fruchtfleisch kann der Nutzer weiterverarbeiten, beispielsweise lässt sich aus gedörrtem Fruchtfleisch Brot backen.

JuicyMo (Große-Hering, 2013)

Ziemlich viele Gedanken um ein Glas Saft? Auch die Frage, ob JuicyMotatsächlich Glück in unser Leben bringt, ist noch unbeantwortet. Was das Beispiel aber zeigt, sind die vielen Bedürfnisse, die es zu beachten gilt, wenn man Technik für Menschen gestaltet. Selbst wenn es um einfache Alltagsaufgaben wie die Zubereitung von Saft oder Kaffee geht: Eine Maxime wie Effizienz, die sich in vielen Bereichen als sinnvoll erwiesen hat, macht bei der Kaffeezubereitung auch vieles kaputt. Damit ein Saftbereiter uns zu gesünderen Menschen macht, muss er gut aussehen. Nur dann wird er auch benützt.

Wie kompliziert wird es da erst, wenn es um interaktive Produkte wie Facebook oder WhatsApp geht, die mich nicht nur permanent im Alltag begleiten, sondern auch meine Interaktion mit anderen bestimmen. Auch die aufgeführten Studienergebnisse zu den möglichen negativen Auswirkungen von Facebook und Co zeigen es: Technik so zu gestalten, dass sie die Menschen wirklich glücklich macht, ist tatsächlich eine große Herausforderung. Technikgestaltung kann sich gar nicht genug Gedanken über das Wohl des Nutzers machen.

Abseits von Forschungskonzepten ist davon jedoch leider oft nicht viel zu erkennen. Anscheinend sind den Herstellern die Bedürfnisse der Nutzer nicht wichtig genug. Oder aber, die Nutzerforschung stellt die falschen Fragen, und die wahren Bedürfnisse gehen unter. Beides ist fatal, gerade in Hinblick auf die steigenden Auswirkungen von Technik auf unsere Gesellschaft.

Warum der Kampf ums Glück jetzt richtig losgeht

Der Einzug der Technik in alle Lebensbereiche und das hohe Maß an Interaktivität führen dazu, dass auch die Auswirkungen auf unser Glück immer deutlicher und allgegenwärtiger werden. Dazu kommt, dass Technik zu einem Medium geworden ist, dem sich die breite Masse aussetzt, und damit das technikbestimmte Glücksempfinden zu einem Massenphänomen. Dadurch werden die Überlegungen, die wir hier anstellen, so relevant. Früher hatte der viel Technik, der sich mit Technik auskannte. Einen Computer besitzen, hieß auch programmieren können. Und sich ungefähr vorstellen können, wie das alles funktioniert und welchen Effekt meine Eingaben haben. Heute bedeutet es gar nichts mehr, ein ganzes Arsenal an technischen Geräten zu besitzen. Der Umgang mit ihnen ist so einfach geworden, dass es jeder kann, ohne sie verstehen zu müssen. Wahres Technik-Verständnis (Technik-Nerds) und Technik-Besitz (auch alle anderen) klaffen heute immer weiter auseinander.

Durch die immense Verbreitung hat die Technik natürlich ganz andere Macht, unsere Gesellschaft zu formen, und ebnet den Weg für viele seltsame Phänomene in unserem Alltag: etwa, dem gegenübersitzenden »Gesprächspartner« eine Nachricht aufs Handy zu schicken, um endlich wieder seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Oder bei nicht ganz idealen Wetterverhältnissen lieber aufs Joggen zu verzichten: Der Gegenwind könnte mir den Schnitt in meiner Fitness-App versauen.

Viele dieser Phänomene sind im Kern nicht neu. Auch ganz ohne Technik gab es schon rücksichtsloses Verhalten, Egozentrismus, Neid und Eifersucht oder die Tendenz, sich stärker an letztendlich bedeutungslosen Zahlen statt an den eigenen Gefühlen zu orientieren. Aber Technik wirkt als zusätzlicher Katalysator, sie verstärkt die Effekte. Wer vorher schon parallel zum Gespräch die Zeitung durchgeblättert hat, legt das Smartphone gar nicht mehr zur Seite. Wer den Bekanntenkreis schon zu Zeiten der Analog-Fotografie mit ausführlichen Erläuterungen beim gemeinsamen Betrachten der Urlaubsfotos unterhalten hat (ein bis zwei Filme), kann heute mühelos mehrstündige Vorträge dazu halten (auf so ein iPhone passen Tausende Fotos …). Auch intime Momente werden erst dann richtig schön, wenn das Smartphone dabei war.

Nur wir beide – und das Smartphone (Jushua Resnick/Fotolia.com)

Technik schafft eine Bühne für diese Verhaltensweisen, stellt bestimmte Weichen, macht es leichter, das Glück zu sabotieren. Umso wichtiger wird es, hier einmal innezuhalten.

Unsere Glücksdefinition und Motivation