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Ein weiteres Buch über den weltberühmten Tierfreund Doktor Dolittle: Zurück aus Afrika, muss Doktor Dolittle Geld verdienen. Er findet einen Wanderzirkus, in dem er das afrikanische Stoßmich-Ziehdich zeigen kann. Doch viele der Tiere im Zirkus leiden und erzählen Doktor Dolittle von den nicht artgerechten Zuständen im Zirkus. Natürlich hilft der Doktor ihnen. In einer spektakulären Fluchtaktion bringen sie zunächst die Seehundfrau Sophie zurück ins Meer...-
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Seitenzahl: 302
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Hugh Lofting
E.L. Schiffer
Saga
Doktor Dolittles Zirkus ÜbersetztE.L. Schiffer OriginalDoctor Dolittles's CircusCopyright © 1924, 2020 Hugh Lofting und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726583885
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
— a part of Egmont www.egmont.com
Dieses Buch erzählt von den Abenteuern, die Doktor Dolittle bei einem Wanderzirkus erlebte. Anfangs hatte er nicht beabsichtigt, viel Zeit an dieses Unternehmen zu verschwenden. Er hatte nur das Stoßmich-Ziehdich so lange zur Schau stellen wollen, bis er genug Geld erworben hätte, um dem Seemann das geliehene Schiff zu bezahlen, das an der Küste von Afrika zerschellt war.
Aber Tuh-Tuh hatte mit ihrer Bemerkung ganz recht: es fiel Johann Dolittle gar nicht so schwer, reich zu werden — wenn es sich um Gelddinge handelte, war er wahrhaftig leicht zufriedenzustellen — aber ganz etwas anderes bedeutete es für ihn, auch reich zu bleiben. Dab-Dab sagte immer, während der Zeit, die sie ihn kannte, sei es ihm schon fünf- oder sechsmal gut gegangen; aber je reicher er war, desto schneller war zu erwarten, er würde wieder arm werden.
Dab-Dab dachte, wenn sie so sprach, natürlich nie an ein großes Vermögen. Der Doktor hatte jedoch während seines Zirkuslebens oft so viel Geld in der Tasche, um für recht wohlhabend zu gelten. Aber pünktlich wie eine Uhr stand er am Ende der Woche oder des Monats stets ohne einen Pfennig da.
Wir wollen nun zu der Zeit zurückkehren, als Doktor Dolittle und seine Tiere: Jip, der Hund, Dab-Dab, die Ente, Tuh-Tuh, die Eule, Göb-Göb, das Schwein, das Stoßmich-Ziehdich und die weiße Maus endlich von ihrer langen Reise aus Afrika zu ihrem kleinen Haus in Puddleby auf der Marsch zurückgekommen waren. Eine große Familie mußte verpflegt werden, und der Doktor besaß keinen Pfennig und machte sich große Sorgen, wie er sie alle nur während der kurzen Zeit — bis er einen passenden Zirkus gefunden hatte — durchfüttern sollte. Auf alle Fälle hatte die vorsorgliche Dab-Dab die Vorräte, die sich nach Beendigung der Reise noch in der Speisekammer des Piratenschiffes befanden, ins Haus tragen lassen.
So konnten sie es bei großer Sparsamkeit wenigstens ein paar Tage lang aushalten. Die Tiere waren so froh, wieder zu Hause zu sein, daß sie sich zuerst, ausgenommen Dab-Dab, jeden Gedanken an die Zukunft aus dem Kopf schlugen. Die gute Haushälterin war schnurstracks in die Küche geeilt und hatte sich ans Töpfesäubern und Kochen gemacht. Die andern waren mit dem Doktor in den Garten gelaufen, um alle wohlbekannten Stellen wieder aufs neue zu entdecken. Sie stöberten noch immer in jedem Winkel und jeder Ecke ihres geliebten Heims herum, als plötzlich Dab-Dabs Mittagsglocke ― eine Bratpfanne, die mit einem Löffel geschlagen wurde — zum Essen rief, worauf sich alle auf einmal durch die Hintertür drängten und sich begeistert ausmalten, wie schön es sein würde, wieder in der guten, lieben, alten Küche zu essen, wo sie früher so viele schöne Stunden miteinander verlebt hatten.
„Es ist kühl genug, um heute abend zu heizen“, sagte Jip, als sie ihre Plätze am Tisch eingenommen hatten. „Dieser Septemberwind bringt eine tüchtige Kälte mit sich. Wollen Sie uns nicht nach dem Abendessen eine Geschichte erzählen, Doktor? Wir haben alle so lange nicht um den Herd herumgesessen.“
„Oder lesen Sie uns doch bitte etwas aus Ihrem Tiergeschichtenbuch vor“, rief Göb-Göb, „vielleicht das, wo der Fuchs versucht, des Königs Gans zu stehlen.“
„Ja, ja, vielleicht“, sagte der Doktor. „Woll’n sehen, woll’n sehen. Was für ausgezeichnete Sardinen diese Piraten gehabt haben! Sie schmekken, als wären sie aus Bordeaux; echte französische Sardinen erkennt man immer am Geschmack.“
In diesem Augenblick wurde der Doktor ins Sprechzimmer zu einem Patienten gerufen — einem Wiesel, das sich eine Kralle gebrochen hatte. Kaum war er mit ihm fertig, als ein Hahn mit einem rauhen Hals von dem Nachbargehöft hereingeflogen kam. Er war so heiser, sein Krähen hörte sich wie ein Flüstern an und niemand wachte auf seinem Gehöft morgens auf. Dann kamen zwei Fasanen, um dem Doktor ein schwächliches Junges zu zeigen, das von Geburt an nie imstande gewesen war, die Körner ordentlich aufzupicken.
Hatten auch die Menschen in Puddleby noch nichts von des Doktors Ankunft erfahren, so hatte sich diese Neuigkeit doch unter den Tieren und Vögeln bereits verbreitet. Den ganzen Nachmittag war er damit beschäftigt, Verbände anzulegen, Ratschläge zu erteilen und Rezepte zu schreiben, während eine riesige Menge von Tieren aller Art geduldig vor seiner Sprechzimmertür wartete.
„Ach herrje! — genau wie früher“, seufzte Dab-Dab. „Keine Ruhe! Patienten, die ihn morgens, mittags und abends sprechen wollen.“
Jip hatte recht gehabt, bei Einbruch der Dunkelheit wurde es kalt. Man fand genug Holz im Keller für ein behagliches Feuer im großen Kamin, um den sich nach dem Abendbrot die Tiere versammelten und den Doktor quälten, ihnen eine Geschichte zu erzählen oder ein Kapitel aus einem seiner Bücher vorzulesen.
„Aber denkt doch lieber einmal nach“, sagte er, „was mit dem Zirkus werden soll! Wenn wir Geld verdienen wollen, um dem Schiffer sein Boot zu bezahlen, müssen wir uns jetzt daran machen. Bisher haben wir noch nicht einmal einen Zirkus gefunden, dem wir uns anschließen können. Ich möchte nur wissen, wie man so etwas auf die beste Art und Weise anfängt. Wanderzirkusse reisen immer umher, wie Ihr wißt. Bei wem könnte ich mich nur danach erkundigen?“
„Pst!“ sagte Tuh-Tuh. „Hat’s nicht an der Vordertür geklingelt?“
„Was!“ rief der Doktor und stand auf, „sollte etwa Besuch kommen?“
„Vielleicht ist es die alte Dame mit dem Rheumatismus“, meinte die weiße Maus, als der Doktor in die Halle hinaustrat. „Wahrscheinlich ist der Arzt in Oxendorf doch nicht so gut gewesen.“
Nachdem Johann Dolittle die Kerzen in der Halle angezündet hatte, öffnete er die Vordertür, und auf der Schwelle stand der Katzenfuttermann.
„Nanu, Matthäus Mugg!“ rief er. „Kommen Sie herein, Matthäus, kommen Sie herein. Woher wissen Sie denn, daß ich da bin?“
„Hab’s in meine Knochen gespürt, Doktor“, sagte der Katzenfuttermann und stolperte in die Halle. „Grade heute morgen habe ich noch zu meine Frau gesagt:,Theodosia‘, habe ich gesagt,,mich ist, als ob der Doktor zurückgekommen ist. Ich werde heute abend einmal zu seinem Haus gehen und nachsehen‘.“
„Ich freue mich sehr, daß Sie gekommen sind“, rief Johann Dolittle. „Wir wollen in die Küche gehen, dort ist es warm.“
Obgleich der Katzenfuttermann gesagt hatte, er wäre nur zufällig vorbeigekommen, um nachzusehen, ob der Doktor schon da sei, hatte er doch Geschenke mitgebracht: einen Hammelknochen für Jip; ein Stück Käse für die weiße Maus; eine Rübe für Göb-Göb und einen Blumentopf mit Geranien für den Doktor.
Nachdem der Besucher es sich in dem Armsessel vor dem Feuer bequem gemacht hatte, reichte ihm Johann Dolittle die Tabaksdose vom Kaminsims und bat ihn, sich seine Pfeife zu stopfen.
„Werden Sie diesmal lange zu Hause bleiben?“ fragte Matthäus.
„Ja und nein“, antwortete der Doktor. „Mir wäre nichts lieber, als hier ein paar ruhige Monate zu verleben und meinen Garten in Ordnung zu bringen, denn er ist schrecklich verwahrlost. Aber unglücklicherweise muß ich erst etwas Geld verdienen.“
„Hm“, sagte Matthäus und stieß Rauchwolken aus. „Ich habe das mein ganzes Leben versucht — und hab’s niemals nich fertig bekommen. Aber ich habe mich fünfundzwanzig Schilling gespart, wenn die Sie helfen Können — — —.“
„Sehr freundlich von Ihnen, Matthäus, sehr freundlich, aber ich brauche eine ganze Masse Geld. Ich muß Schulden bezahlen. Aber hören Sie: ich habe ein seltsames neues Tier mitgebracht, ein Stoßmich-Ziehdich. Es hat zwei Köpfe. Die Affen in Afrika haben es mir geschenkt, nachdem ich ihre Krankheit geheilt hatte, und mir geraten, es in einem Wanderzirkus zur Schau zu stellen. Wollen Sie es einmal sehen?“
„Aber natürlich“, sagte der Katzenfuttermann. „Das hört sich mächtig interessant an.“
„Es grast drußen im Garten“, sagte der Doktor. „Aber starren Sie es nicht so an. Es ist noch nicht daran gewöhnt und gerät dadurch in große Verlegenheit. Wir werden einen Eimer Wasser mitnehmen und so tun, als wollen wir ihm zu trinken geben.“
Als Matthäus mit dem Doktor in die Küche zurückkam, strahlte er begeistert übers ganze Gesicht.
„Johann Dolittle“, sagte er, „bei Ihrem Leben, Sie werden damit ein Vermögen verdienen! Niemals nich seit die Welt steht, hat man so etwas gesehen. Ich habe überhaupt immer schon gedacht, daß Sie zum Zirkus sollen — Sie, der einzige Mensch, der die Tiersprache kann. Wann wollen Sie damit anfangen?“
„Das ist es ja gerade: Vielleicht können Sie mir helfen: Ich möchte nur mit einem netten Zirkus herumziehen — mit Leuten, die mir gefallen.“
Matthäus Mugg beugte sich vor und tippte dem Doktor mit seiner Pfeife aufs Knie.
„Ich weiß das Richtige für Ihnen“, sagte er, „in Grimbledon befindet sich augenblicklich der netteste Zirkus, den man sich denken kann. Der Grimbledoner Jahrmarkt dauert noch diese Woche, und der Zirkus bleibt bis Freitag dort. Ich und Theodosia sind gleich am ersten Tage drin gewesen. Es ist kein großer Zirkus nich, aber ein sehr guter — eine piekfeine Sache. Was würden Sie dazu sagen, wenn ich Ihnen morgen früh mit hinübernähme, um erst einmal mit dem Besitzer zu sprechen?“
„Ausgezeichnet“, sagte der Doktor, „aber sagen Sie inzwischen niemandem etwas von meinem Vorhaben. Bevor das Stoßmich-Ziehdidi dem Publikum öffentlich gezeigt wird, darf man nichts von seinem Vorhandensein erfahren.“
Matthäus Mugg war ein seltsamer Mensch. Er fing immer gern etwas Neues an, und das war vielleicht der Grund, warum er nie viel Geld verdiente. Alle seine Versuche, eine neue Arbeit zu beginnen, endeten gewöhnlich damit, daß er wieder zurückkehrte, Katzenfutter verkaufte und für die Bauern und Müller von Puddleby Ratten fing.
Matthäus hatte bereits versucht, auf dem Jahrmarkt von Grimbledon eine Anstellung bei dem Zirkus zu bekommen und war abgewiesen worden. Aber jetzt, wo der Doktor zum Zirkus gehen wollte und dazu mit einem so wundervollen Schaustück wie dem Stoßmich-Ziehdich, hoben sich seine Hoffnungen wieder, und als er abends nach Hause ging, sah er in seiner Phantasie bereits, wie sein geliebter Doktor und er den größten Zirkus der Welt leiteten.
Am nächsten Morgen war Matthäus schon früh wieder in Johann Dolittles Haus. Fürs Frühstück steckte Dab-Dab dem Doktor und ihm ein paar Sardinenbrote in die Tasche, und so machten sie sich auf die Reise. Von Puddleby nach Grimbledon war es ein langer Weg, aber als der Doktor und der Katzenfuttermann eine Zeitlang die Landstraße hinuntergetrottet waren, hörten sie Hufschläge hinter sich. Sie wandten sich um und sahen, ein Bauer kam mit seinem Kutschwagen hinter ihnen her gefahren. Der Bauer wollte die beiden Wandersleute gern in seinem Wagen mitnehmen, doch seiner Frau gefiel das zerlumpte Äußere des Katzenfuttermannes nicht, und so verbot sie ihm, anzuhalten.
„Das nennt man nun christliche Nächstenliebe“, sagte der Katzenfuttermann, als der Wagen an ihnen vorüberfuhr, „sich bequem in den Sitz zurücklehnen und uns hinterher laufen zu lassen. Das war Isidor Stiles, der größte Kartoffelbauer von die ganze Gegend — ich fange oft Ratten für ihm — und seine Frau, diese alte eingebildete Vogelscheuche. Haben Sie gesehen, wie sie mir angeguckt hat? Ein Rattenfänger scheint ihr als Reisegesellschaft nich fein genug zu sein.“
„Aber sehen Sie nur“, rief der Doktor. „Sie halten an und drehen um.“
Das Bauernpferd kannte den Doktor gut vom Sehen und Hören, und beim Vorübertraben hatte es in dem kleinen Mann auf der Landstraße den berühmten Johann Dolittle erkannt. Es freute sich sehr über seine Rückkehr, drehte auf eigene Faust um und trabte zurück, obgleich der Bauer die Zügel fest anzog, um den Doktor zu begrüßen und sich nach seinem Wohlergehen zu erkundigen.
„Wohin wollen Sie?“ fragte das Pferd, als es herankam.
„Zum Jahrmarkt von Grimbledon“, antwortete der Doktor.
„Wir auch“, sagte das Pferd. „Warum steigen Sie nicht in unsere Kutsche und setzen sich neben die Alte?“
„Man hat mich nicht dazu aufgefordert“, antwortete der Doktor. „Dein Bauer versucht, nach Grimbledon umzudrehen. Reiz ihn lieber nicht zu sehr. Lauf los und sorg dich nicht um uns, wir werden schon hinkommen.“
Sehr unwillig gehorchte das Pferd endlich seinem Herrn, drehte um und machte sich nochmals auf den Weg zum Jahrmarkt. Es war aber noch keine halbe Meile getrabt, als es zu sich sagte: Es ist eine Schande, den großen Mann laufen zu lassen, während diese Bauerntölpel fahren. Zum Henker, ich muß ihn holen!
Dann tat es so, als ob es vor irgend etwas auf der Landstraße scheue, schwenkte den Wagen plötzlich herum und galoppierte zum Doktor zurück. Die Bauersfrau kreischte, und ihr Mann legte sich mit seinem ganzen Gewicht in die Zügel. Doch das Pferd beachtete das überhaupt nicht. Als es den Doktor erreicht hatte, begann es sich zu bäumen, auf die Hinterbeine zu stellen und wie ein wildes Füllen aufzuführen.
„Steigen Sie ein Doktor, oder ich werfe diese Dummköpfe in den Graben“, flüsterte es.
Der Doktor, der einen Unfall befürchtete, faßte das Pferd am Zügel und klopfte ihm auf die Nase. Sofort wurde es ruhig und sanft wie ein Lamm.
„Ihr Pferd ist ein bißchen unruhig“, sagte der Doktor zu dem Bauern. „Darf ich es vielleicht einen Augenblick kutschieren? Ich bin Tierarzt.“
„Aber gern“, sagte der Bauer. „Ich habe mir eingebildet, etwas von Pferden zu verstehen, aber heute werde ich mit diesem hier durchaus nicht fertig.“
Nachdem der Doktor auf den Wagen geklettert war und die Zügel in die Hand genommen hatte, stieg der Katzenfuttermann hinter ihm ein und setzte sich vergnügt schmunzelnd neben die entrüstete Bäuerin.
„Schönes Wetter heute, Frau Stiles“, sagte Matthäus Mugg, „wie gehts den Ratten in der Scheune?“
Sie kamen ungefähr in der Mitte des Vormittags nach Grimbledon. In der Stadt war ein großes Gedränge und lebhafte und festtägliche Stimmung. Auf dem Viehmarkt füllten schöne Ochsen, preisgekrönte Schweine, fette Schafe und Zugpferde mit bunten Bändern in der Mähne die Stände.
Durch die gutgelaunte Menge, die sich in den Straßen drängte, bahnten sich der Doktor und Matthäus geduldig ihren Weg zu dem Platz, wo der Zirkus stand. Der Doktor fürchtete, man würde Eintrittsgeld von ihm verlangen, er hatte nämlich keinen Pfennig in der Tasche.
Am Eingang des Zirkus war eine erhöhte Plattform mit Vorhängen auf der Rückseite errichtet. Es sah wie ein kleines Freilufttheater aus. Auf dieser Bühne stand ein Mann mit einem riesigen schwarzen Schnurrbart. Von Zeit zu Zeit traten verschieden kostümierte Zirkusleute durch den Vorhang, und der große Mann stellte sie der erstaunten Menge vor und erzählte Wunder von ihren Fähigkeiten. Was sie auch waren: Clowns, Akrobaten oder Schlangenbeschwörer, immer sagte er, sie seien die besten der Welt. Dies machte auf die Menge einen großen Eindruck und in einem fort schoben sich Leute allein oder paarweise durchs Gedränge, zahlten an der kleinen Kasse ihr Eintrittsgeld und begaben sich in das Innere des Zirkus.
„Habe ich Sie nich gesagt“, flüsterte der Katzenfuttermann dem Doktor ins Ohr, „es ist eine gute Aufführung, die Leute gehen scharenweise hinein.“
„Ist der große Mann der Direktor?“ fragte der Doktor.
„Ja, natürlich, Blossom selbst — Alexander Blossom, der Mann, den wir sprechen wollen.“
Der Doktor begann, sich durch die Menge zu winden, und Matthäus folgte ihm auf den Fersen. Endlich hatten sie sich bis zur ersten Reihe durchgearbeitet und versuchten, dem großen Mann durch Zeichen deutlich zu machen, daß sie mit ihm sprechen wollten. Aber Herr Blossom brüllte die Wunder seines Zirkus so laut in die Welt hinaus, daß der Doktor — ein kleiner Mann in einer großen Menge — seine Aufmerksamkeit nicht erregen konnte.
„Klettern Sie auf die Plattform“, rief Matthäus. „Klettern Sie hinauf und sprechen Sie mit ihm.“
Der Doktor kletterte also an einer Ecke auf die Bühne und wurde plötzlich sehr verwirrt, als er sich einer so großen Ansammlung von Menschen gegenübersah. Aber trotzdem nahm er seinen Mut zusammen, tippte dem schreienden Schaubudenbesitzer auf den Arm und sagte:
„Entschuldigen Sie, bitte.“
Herr Blossom hörte mit seinem Gebrüll über,den größten Zirkus der Welt‘ auf und starrte auf den kleinen dicken Mann hinunter, der plötzlich neben ihm erschienen war.
Der Doktor räusperte sich, worauf Ruhe eintrat und das Publikum zu kichern anfing.
Wie die meisten Zirkusleute, war Blossom nie um Worte verlegen und er versäumte selten eine Gelegenheit, sich auf Kosten eines Andern lustig zu machen. Während Johann Dolittle sich noch immer besann, womit er beginnen sollte, hatte sich der Direktor schon wieder der Menge zugewandt. Er wies auf den Doktor und rief:
„Dies, meine Damen und Herren, ist der bekannte Original-Humpty-Dumpty. Bezahlen Sie Ihr Billett und kommen Sie herein, um ihn von der Mauer fallen zu sehen!“
Die Menge bog sich vor Lachen, und der arme Doktor wurde verlegener als je.
„Sprechen Sie mit ihm, Doktor, sprechen Sie mit ihm!“ rief der Katzenfuttermann von unten herauf.
Und als das Gelächter sich gelegt hatte, machte der Doktor einen neuen Versuch. Er hatte gerade seinen Mund geöffnet, als ein scharfer Schrei aus der Mitte der Menge erscholl — „Johann!“ rief es, der Doktor drehte sich um und schaute über die Köpfe der Menge hinweg, um zu sehen, wer ihn bei seinem Namen gerufen hätte. Am Rand des Gedränges sah er eine Frau, die ihm heftig mit ihrem grünen Sonnenschirm zuwinkte.
„Wer is das?“ fragte der Katzenfuttermann.
„Der Himmel bewahre uns!“ rief der Doktor und kletterte beschämt von der Tribüne herab. „Was machen wir jetzt, Matthäus? — es ist Sarah!“
„Guten Tag, Sarah“, sagte Johann Dolittle, als er sich endlich zu ihr durchgewunden hatte. „Wie gut und rund du aussiehst!“
„Aber ganz und gar nicht, Johann“, antwortete Sarah streng. „Bitte, sei so freundlich und teile mir mit, was du dir dabei denkst, dich wie ein Clown auf dieser Bühne herumzutreiben? Genügt es dir nicht, die beste Praxis der westlichen Provinzen wegen weißer Mäuse, Frösche und dergleichen wegzuwerfen? Besitzest du denn gar keinen Stolz? Was hast du dort oben zu suchen?“
„Ich will zum Zirkus gehen“, sagte der Doktor.
Sarah schnappte nach Luft und führte ihre Hand zur Stirn, als ob sie in Ohnmacht fallen wollte. Da trat ein langer, magerer, wie ein Pfarrer gekleideter Mann hervor, der neben ihr gestanden hatte, und nahm ihren Arm.
„Was ist denn geschehen, meine Liebe?“ fragte er.
„Lancelot“, antwortete Sarah schwach, „dies ist mein Bruder Johann Dolittle. Johann, dies ist Seine Hochwürden Lancelot Dingle, Rektor von Grimbledon, mein Gatte. Johann, du kannst dich nie anständig benehmen. Zum Zirkus gehen, wie abscheulich! Du scherzest wohl — und wer ist dieser Mensch da?“ fügte sie hinzu, als Matthäus Mugg herbeigeschlurft kam und sich der Gesellschaft anschloß.
„Das ist Matthäus Mugg“, antwortete der Doktor. „Du erinnerst dich doch noch an ihn, nicht wahr?“
„Pfui! Der Rattenfänger!“ sagte Sarah und schloß vor Entsetzen die Augen.
„Aber durchaus nicht, er ist Fleischverkäufer“, sagte der Doktor. „Herr Mugg, Hochwürden Lancelot Dingle.“ Und der Doktor stellte seinen zerlumpten, schmierigen Freund vor, als sei er der König in Person. „Herr Mugg ist mein bester Patient“, fügte er noch hinzu.
„Aber Johann, höre“, rief Sarah, „wenn du diesen verrückten Beruf ergreifst, versprich mir, daß du es unter einem anderen Namen tun wirst. Denk doch nur, wie es uns schaden würde, wenn man hört, des Rektors Schwager ist ein gewöhnlicher Schaubudenmann!“
Der Doktor dachte einen Augenblick nach und versprach Sarah lächelnd, unter einem andern Namen aufzutreten. Wenn ihn aber trotzdem jemand erkennen würde, könnte er nichts dafür.
Nachdem sie sich von Sarah verabschiedet hatten, gingen der Doktor und Matthäus wieder zu dem Zirkusdirektor, der jetzt am Eingang saß und in aller Ruhe sein Geld zählte.
Johann Dolittle beschrieb das Stoßmich-Ziehdich und sagte, er wolle sich mit diesem wunderbaren Tier dem Zirkus anschließen. Alexander Blossoms Bitte, ihm das Tier hier vorzuführen, schlug der Doktor ab. Er meinte, es wäre einfacher und besser, wenn der Direktor nach Puddleby käme, um es sich dort in seiner eigenen Behausung anzusehen.
Blossom willigte ein, und so machten sich der Doktor und Matthäus, sehr zufrieden mit ihrem Erfolg, wieder auf den Heimweg.
„Wenn Sie mit Blossoms Zirkus herumziehen“, bat Matthäus, als sie, ihre Sardinenschnitten kauend, die Landstraße hinuntertrotteten, „müssen Sie mir bitte mitnehmen, Doktor. Ich kann mir dort sehr nützlich machen, die ganze Gesellschaft versorgen, füttern, säubern und so weiter.“
„Sie sind mir sehr willkommen, Matthäus“, sagte der Doktor. „Aber was wird aus Ihrem eignen Geschäft?“
„Ach das“, sagte Matthäus und biß gereizt in ein neues Brot. „Darin steckt doch kein Geld nich. Außerdem ist es eine zu zahme Angelegenheit, Fleischstücke auf Holzstäbchen an überfütterte Pudel zu verabreichen. Darin steckt kein, wie heißt es doch?“ (und er schwenkte sein Brot zum Himmel empor) — „darin steckt kein Abenteuer nich. Ich habe eine abenteuerliche Ader — eine direkt leichtsinnige — seit je her, schon von der Wiege an. Zirkusleben! Ja, das ist das Wahre für einen echten Mann!“
„Aber was wird aus Ihrer Frau?“ fragte der Doktor.
„Theodosia? Ach, die kommt mit. Die hat auch so eine abenteuerliche Ader. Sie kann Kleider flicken und andre Arbeiten machen.“
Am späten Abend, als der Grimbledoner Jahrmarkt schon geschlossen war, besuchte Direktor Blossom den Doktor in Puddleby. Nachdem man ihm beim Schein einer Laterne das Stoßmich-Ziehdich gezeigt hatte, das grade auf dem Rasenplatz graste, kehrte er mit dem Doktor in die Bibliothek zurück und fragte ihn, wieviel er für das Tier haben wolle.
„Nichts“, sagte der Doktor, „ich verkaufe es nicht.“
„Ach Unsinn“, antwortete der Direktor, „Sie können ja gar nichts damit anfangen, jeder Mensch sieht, daß Sie kein richtiger Schaubudenbesitzer sind. Ich zahle Ihnen vierhundert Schillinge dafür.“
„Nein“, sagte der Doktor.
„Sechshundert“, rief Blossom.
Der Doktor schlug auch dieses Angebot ab.
„Achthundert — tausend“, steigerte der Direktor sich und ging höher und immer höher hinauf, schließlich bot er ihm einen Preis, der des Katzenfuttermanns Augen vor Erstaunen größer und größer werden ließ.
„Es hat keinen Zweck“, sagte Johann Dolittle endlich. „Entweder müssen Sie das Tier und mich in Ihren Zirkus hereinnehmen oder das Tier dort lassen, wo es sich befindet. Ich habe versprochen, selbst darauf zu achten, daß es ordentlich behandelt wird.“
„Was wollen Sie damit sagen?“ fragte der Schaubudenbesitzer, „wem haben Sie das versprochen? Gehört es Ihnen denn nicht?“
„Es gehört sich selbst“, antwortete der Doktor. „Es ist aus Gefälligkeit gegen mich mitgekommen. Dem Stoßmich-Ziehdich selbst habe ich es versprochen.“
„Was, sind Sie verrückt?“ rief der Schaubudenmann.
Matthäus Mugg wollte schon Blossom auseinandersetzen, daß der Doktor die Tiersprache spräche, als Johann Dolittle ihm einen Wink gab, den Mund zu halten.
„Sie müssen also entweder mich und das Tier nehmen, oder das Tier lassen, wo es ist“, wiederholte er.
Auf eine solche Abmachung wollte sich aber Blossom nicht einlassen, und zu Matthäus großer Enttäuschung nahm er seinen Hut und ging.
Er hatte nämlich erwartet, der Doktor würde seine Meinung ändern und nachgeben; aber nicht mehr als zehn Minuten waren vergangen, als die Türglocke wieder läutete, und Blossom von neuem um das Stoßmich-Ziehdich zu handeln begann. Das Ende vom Liede war, der Schaubudenbesitzer bewilligte alles, was der Doktor verlangte. Das Stoßmich-Ziehdich bekam einen neuen Wagen ganz für sich, und galt das Tier und seine Begleitung auch als ein Teil des Zirkus, so blieben sie doch vollkommen frei und unabhängig. Das für die Besichtigung des Stoßmich-Ziehdich eingenommene Geld wurde zu gleichen Teilen zwischen dem Doktor und dem Zirkusdirektor geteilt. Das Stoßmich-Ziehdich bekam einen freien Tag, wann immer es einen haben wollte, und Blossom versprach, jede Art Futter, die es verlangte, heranzuschaffen.
Nachdem alle Abmachungen getroffen waren, sagte Blossom, er würde am nächsten Tage den Wagen schicken, dann stand er auf, um zu gehen.
„Übrigens“, fragte er, „wie heißen Sie eigentlich?“
Der Doktor wollte es ihm gerade sagen, als er sich an Sarahs Bitte erinnerte.
„Ach, nennen Sie mich nur Johann Smith“, sagte er.
„Gut, Herr Smith“, antwortete der Schaubudenbesitzer, „halten Sie Ihre Gesellschaft für morgen früh um elf Uhr bereit. Guten Abend.“
Sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, kamen Dab-Dab, Göb-Göb, Jip, Tuh-Tuh und die weiße Maus, die sich in verschiedenen Ecken des Hauses versteckt und gehorcht hatten, in die Halle gelaufen und fingen alle auf einmal aus voller Kehle zu schreien an.
„Hurra!“ grunzte Göb-Göb. „Es lebe der Zirkus!“
„Meiner Seel“, sagte Matthäus zum Doktor, „schließlich und endlich sind Sie doch kein so schlechter Geschäftsmann nich. Sie haben Blossom dazu bekommen, Ihnen in allem nachzugeben. Er wollte sich die Sache nich durch die Lappen gehen lassen. Haben Sie gesehen, wie schnell er zurückkam, als er fürchtete, das Geschäft würde ihm entgehen? Ich wette, er glaubt durch uns eine Menge Geld zu verdienen.“
„Liebes altes Haus“, seufzte Dab-Dab und staubte zärtlich den Hutständer ab, „daß wir dich so schnell wieder verlassen müssen!“
„Hurra!“ rief Göb-Göb und versuchte, auf den Hinterbeinen zu stehen und des Doktors Hut auf seiner Schnauze zu balancieren. „Es lebe der Zirkus! Hurra! Morgen geht’s los. Quiek!“
Am nächsten Morgen hatte Dab-Dab das ganze Haus bereits sehr früh auf die Beine gebracht. Sie sagte, es müsse schon vor sieben Frühstück gegessen und der Tisch abgeräumt sein, wenn alles zur Abreise um elf fertig werden sollte.
Tatsächlich hatte die emsige Haushälterin es erreicht, schon Stunden, bevor der Zirkuswagen kam, war das Tor verschlossen, und alle Insassen saßen auf den Stufen davor und warteten. Allein der Doktor war die ganze Zeit über beschäftigt; denn bis zum letzten Augenblick waren aus allen Gegenden Tierpatienten gekommen, deren verschiedene Leiden kuriert werden mußten.
Endlich kam Jip, der Ausschau gehalten hatte, zu den andern, die im Garten warteten, zurückgerast.
„Der Wagen kommt“, keuchte er — „er ist gelb und rot angemalt — jetzt biegt er gerade um die Straßenecke.“
Alle wurden sehr aufgeregt und begannen, nach ihren Paketen zu greifen. Göb-Göbs Gepäck bestand aus einem Bündel mit weißen Rüben, und grade als es die Stufen herabwollte, riß die Schnur, und die runden weißen Knollen rollten hinaus.
Als der Wagen endlich in Sicht kam, war er wirklich wunderschön. Er hatte wie ein Zigeunerwagen ein paar Fenster, eine Tür und einen Schornstein, und alles war buntbemalt und funkelnagelneu.
Aber das Pferd war sehr alt. Der Doktor sagte, er hätte nie ein so ausgemergeltes Tier gesehen. Er fing an, sich mit ihm zu unterhalten und erfuhr bald, daß es schon 35 Jahre im Zirkus arbeite und dies sehr satt hätte. Es hieß Beppo. Der Doktor beschloß im Stillen, Blossom zu sagen, es wäre höchste Zeit, daß man Beppo pensioniere und ihm erlaube, seinen Lebensabend in Frieden zu verbringen.
Obgleich der Wagen funkelnagelneu war, fegte ihn Dab-Dab nochmals aus, bevor sie das Gepäck hineintat. Sie hatte des Doktors Bettzeug wie ein großes Wäschebündel in ein Laken gebunden und achtete sorgsam darauf, daß es nicht schmutzig würde.
Als die Tiere und das ganze Gepäck untergebracht waren, fürchtete der Doktor, die Last würde für das alte Pferd zu schwer sein, und er wollte von hinten schieben, aber das Pferd sagte, es könne ganz gut damit fertig werden. Trotzdem wollte der Doktor sein eigenes Gewicht nicht noch hinzufügen, und nachdem man die Tür geschlossen und die Fenstervorhänge zugezogen hatte, so daß niemand das Stoßmich-Ziehdich auf seiner Reise beobachten konnte, machten sie sich auf den Weg nach Grimbledon. Der Mann, der den Wagen hergebracht hatte, kutschierte, während der Doktor und der Katzenfuttermann hinterhergingen.
Auf dem Puddlebyer Marktplatz hielt der Kutscher an, um verschiedene Einkäufe in einem Laden zu machen. Während die Reisenden draußen warteten, scharte sich eine Menge Menschen um den Wagen, um zu erfahren, wohin er fuhr und was sich in ihm befand. Matthäus Mugg hätte es ihnen nur allzu gern mit vor Stolz geschwellter Brust erzählt, aber der Doktor erlaubte es ihm nicht.
Gegen zwei Uhr nachmittags kamen sie zum Grimbledoner Jahrmarkt und betraten den Zirkus durch einen Hintereingang, im Innern erwartete sie der große Blossom zur Begrüßung.
Er schien sehr erstaunt zu sein, als er in dem Wagen die seltsame Tiersammlung entdeckte, die der Doktor mitbrachte, und sein ganz besonderes Erstaunen erregte Göb-Göb, das Schwein. Aber er war so froh, das Stoßmich-Ziehdich zu haben, daß er sich nichts merken ließ.
Er führte sie sofort zu dem, was er ihren Stand nannte, und den er am Vormittag extra für sie hatte bauen lassen. Es war eine ähnliche Plattform wie die, auf der Johann Dolittle Blossom zuerst erblickt hatte. Sie war drei Fuß über dem Fußboden, so daß die Bretterbude auf ihr gut gesehen werden konnte. Stufen führten zu ihr hinauf, und ein kleines Stück hinter der vordem Kante der Plattform bedeckten Vorhänge den Eingang, so daß niemand etwas sehen konnte, wenn er nicht Eintritt bezahlte.
Auf der Vorderseite war ein Schild angebracht:
Das Stoßmich-Ziehdich
Kommt und seht das wunderbare
zweiköpfige Tier
aus dem afrikanischen Urwald!
Eintritt sechs Groschen
Der rot und gelbe Wagen, in dem des Doktors Truppe mit Ausnahme des Stoßmich-Ziehdich wohnen sollte, wurde hinter den Stand gefahren, und Dab-Dab fing sofort an, Betten zu machen und das Wageninnere gemütlich zu gestalten.
Blossom wollte das Stoßmich-Ziehdich gleich zur Schau stellen, aber der Doktor erlaubte es nicht. Er sagte, jedes Tier der Wildnis müsse sich nach einer so langen Reise erst einmal ausruhen. Das schüchterne Geschöpf Sollte sich zuerst an den lärmenden Wirrwarr des Zirkuslebens gewöhnen, bevor es von einer Menge Nichtstuer angestarrt wurde.
Blossom war sehr enttäuscht, aber er mußte nachgeben. Dann bot er dem Doktor zum Entzücken der Tiere an, sie im ganzen Zirkus herumzuführen und den Gauklern und Artisten vorzustellen. Nachdem man das Stoßmich-Ziehdich in sein neues Heim gebracht und der Doktor gesehen hatte, daß es mit Heu, Wasser und Streu versorgt worden war, begann die Puddlebyer Truppe unter der Führung des Direktors den Zirkus zu besichtigen.
Die Hauptvorstellung fand nur zweimal täglich — um zwei Uhr nachmittags und um halb sieben Uhr abends — in einem großen Zelt in der Mitte der Einfriedung statt. Aber rundherum standen kleine Zelte und Buden, und für die meisten mußte man noch ein besondres Eintrittsgeld bezahlen. Auch des Doktors Truppe sollte eine Extrabude werden. Die Zelte und Buden enthielten alle möglichen wunderbaren Sachen: Schießund Rätselbuden, wilde Männer aus Borneo, Damen mit Bart, Karusselle, Athleten, Schlangenbeschwörer, eine Menagerie und vieles andre mehr.
Blossom zeigte dem Doktor und seinen Freunden zuerst die Menagerie. Es war eine schmierige, drittklassige Sammlung, die meisten Tiere machten einen schmutzigen und unglücklichen Eindruck. Den Doktor betrübte das sehr, er hätte Blossom gerne deswegen zur Rede gestellt. Aber der Katzenfuttermann flüsterte ihm ins Ohr:
„Schlagen Sie nicht gleich Lärm, Doktor, warten Sie noch etwas. Wenn der Chef erst weiß, wie viel ihm die Vorführung ihrer Tiere einbringt, können Sie ihn um den Finger wickeln. Wenn Sie jetzt gleich Krach machen, verlieren wir wahrscheinlich unsre Stellung, und dann können Sie später gar nichts ausrichten.“
Dieser Rat leuchtete Johann Dolittle ein, und er gab sich für den Augenblick damit zufrieden, den Tieren durch die Gitterstäbe ihrer Käfige zuzuflüstern, er hoffe, später etwas für sie tun zu können.
Kurz nach ihrem Eintritt führte ein schmutziger Mensch einen Trupp Landleute herum, um ihnen die Sammlung zu zeigen. Er blieb vor einem Käfig stehen, in dem ein kleines Pelztier gefangengehalten wurde und rief:
„Und dies, meine Damen und Herren, ist das berühmte Hurri-Gurri aus den patagonischen Wäldern. Es hängt sich mit seinem Schwanz an den Bäumen auf. Bitte zum nächsten Käfig.
Der Doktor, gefolgt von Göb-Göb, sah sich das berühmte Hurri-Gurri an.
„Nanu“, sagte er, „das ist ja nichts weiter als ein gewöhnliches Opossum aus Amerika. Eins aus der Familie der Beuteltiere.“
„Es trägt aber gar keinen Beutel am Arm?“ meinte Göb-Göb. „Es hat sicher nur eine kleine Tasche im Pelz.“
„Und dies hier“, brüllte der Mann vor dem nächsten Käfig, „ist der größte in Gefangenschaft lebende Elefant.“
„Fast der kleinste, den ich je gesehen habe“, murmelte der Doktor.
Dann schlug Herr Blossom vor, sie wollten sich zum nächsten Zelt begeben, zur Prinzessin Fatima, der Schlangenbeschwörerin. Und er führte sie aus der engen, übelriechenden Menagerie ins Freie hinaus. Als der Doktor an den Käfigen vorbeiging, ließ er seinen Kopf hängen und seufzte betrübt. Die Tiere hatten alle den großen Johann Dolittle erkannt und machten ihm Zeichen, er solle stehen bleiben und mit ihnen sprechen.
Als sie das Zelt der Schlangenbeschwörerin betraten, befand sich dort außer ihnen im Augenblick kein Besucher. Auf der kleinen Bühne sahen sie nur Prinzeß Fatima, die sich ihre große Nase puderte und im Londoner Dialekt vor sich hinfluchte. Neben ihrem Stuhl stand eine große flache Schachtel voller Schlangen.
Als Matthäus Mugg einen Blick hineinwarf, fuhr er erschrocken zurück und wollte aus dem Zelt rennen.
„Fürchten Sie sich nicht, Matthäus“, rief der Doktor ihm nach, „sie sind ganz harmlos.“
„Was sagen Sie, harmlos?“ schnaubte Prinzeß Fatima und starrte den Doktor an. „Es sind Königskobras aus Indien, die giftigsten Schlangen, die es gibt.“
„Das sind sie durchaus nicht“, antwortete der Doktor. „Es sind ungiftige amerikanische Schwarznattern.“ Und er kitzelte eine unterm Kinn.
„Lassen Sie die Schlangen in Ruh“, kreischte Fatima und stand auf, „oder ich schlage Sie Ihren dussligen Deetz ein.“
In diesem Augenblick trat Blossom dazwischen und stellte Herrn Smith der aufgeregten Prinzessin vor.
Die folgende Unterhaltung — Fatima war noch zu wütend, um sich daran zu beteiligen — wurde durch die Ankunft von ein paar Leuten unterbrochen, die sich die Vorstellung der Schlangenbändigerin ansehen wollten. Blossom führte des Doktors Gesellschaft in eine Ecke und flüsterte:
„Sie ist ausgezeichnet, Smith, eine der besten Nummern, die ich habe. Beobachten Sie sie nur.“
Hinter dem Vorhang begann jemand zu trommeln und zu pfeifen. Fatima erhob sich, nahm zwei Schlangen aus der Schachtel und wand sie sich um Hals und Arme.
„Würden die hochverehrten Damen und edlen Herren die großmütige Güte haben, etwas näher zu treten“, redete sie die Zuhörerschaft schmeichelnd und wie geschmiert an, „dann können Ihre strahlenden Himmelslichter das schwarze Gewürm der Unterwelt besser erspähen.“
„Warum spricht sie so?“ flüsterte Göb-Göb dem Doktor zu.
„Pst“, sagte Johann Dolittle, „ich nehme an, sie hält das für eine orientalische Sprechweise.“
„Hört sich eher wie eine Bratkartoffelsprechweise an“, murmelte Göb-Göb, „wie fett und wabblig sie ist!“
Da der Zirkusdirektor sah, diese Schau machte keinen guten Eindruck auf den Doktor, führte er ihn zu anderen Zelten.
Als sie zur Bude des Athleten hinübergingen, bekam Göb-Göb etwas vom Kasperle-Theater zu sehen. Im Augenblick spielten sie grade die Szene, wo der Hund Toby Kasperle in die Nase beißt. Göb-Göb war begeistert, man konnte es kaum von der Stelle bekommen, und die ganze Zeit, während sie mit dem Zirkus herumzogen, blieb das Kasperletheater sein größtes Vergnügen. Es versäumte keine einzige Vorstellung, und obgleich immer das gleiche Stück aufgeführt wurde und es bald jedes Wort auswendig kannte, wurde ihm das Zuhören nie langweilig.
Vor der nächsten Bude hatte sich viel Publikum versammelt, und Bauernjungen sahen erstaunt dem starken Mann zu, der riesige Gewichte in die Luft stemmte. Bei dieser Vorführung war keine Betrügerei, und Johann Dolittle schloß sich sehr interessiert dem Händeklatschen der erstaunten Menge an.
Der Athlet war ein ehrlich aussehender Bursche mit starken Muskeln, und der Doktor gewann ihn sofort lieb. Eine seiner Nummern bestand darin, sich auf den Rücken zu legen und riesige Hanteln mit den Füßen in die Luft zu stemmen. Dazu war sowohl Gleichgewicht wie Kraft nötig, denn fielen die Hanteln herunter, verletzte man sich schwer. Als der starke Mann seine Beine endlich in eine aufrechte Stellung gebracht hatte und die Menge vor Bewunderung zu flüstern begann, gab es auf einmal einen lauten Krach. Ein Dielenbrett der Bühne hatte nachgegeben, und die riesigen Hanteln waren dem Mann auf die Brust gefallen.
Die Menge schrie, und Blossom sprang aufs Podium. Nur der gemeinsamen Kraft von zwei Männern gelang es, die Hanteln von des starken Mannes Brust zu entfernen, aber selbst dann stand er nicht auf. Er blieb bewegungslos mit geschlossenen Augen und totenblassem Gesicht liegen.
„Hol’ einen Doktor!“ rief Blossom dem Katzenfuttermann zu, „mach schnell, er ist schwer verletzt und bewußtlos, schnell einen Arzt!“
Aber Johann Dolittle war bereits auf die Bühne geklettert und beugte sich über den Direktor, der neben dem verletzten Mann kniete.
„Machen Sie mir bitte Platz, und lassen Sie mich ihn untersuchen“, sagte er ruhig.
„Sie können ihm doch nicht helfen! Er ist schwer verletzt. Er atmet ganz schwer. Wir brauchen einen Arzt.“
„Ich bin Arzt“, sagte Johann Dolittle. „Matthäus, laufen Sie zum Wagen und holen Sie mir meine schwarze Tasche.“
„Sie, ein Arzt?“ rief Blossom und stand auf. „Ich dachte, Sie seien ein Herr Smith.“
„Natürlich ist er Arzt“, rief jemand aus der Menge. „Es hat eine Zeit gegeben, wo er der beste in den ganzen westlichen Provinzen war. Ich kenne ihn. Er heißt Dolittle — Johann Dolittle aus Puddleby auf der Marsch.“