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Eines der berühmtesten Dramen Friedrich Schillers: Vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit der Niederlande von Spanien während des beginnenden Achtzigjährigen Krieges im 16./17. Jahrhundert spielt das Drama am Hof des spanischen Königs Philipp II. Dessen Sohn, der Kronprinz Don Carlos, ist in Elisabeth von Valois verliebt, die jedoch mittlerweile seine Stiefmutter ist. Aber das ist nicht das einzige Problem innerhalb der Familie, denn am Hofe regieren einige Intrigen...-
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Seitenzahl: 239
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Friedrich Schiller
INFANT VON SPANIEN
Ein dramatisches Gedicht
Saga
Don CarlosCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1787, 2020 Friedrich Schiller und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726630886
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
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– a part of Egmont www.egmont.com
Mehrere Damen und Granden, Pagen, Offiziere,
die Leibwache und verschiedene stumme Personen
Der königliche Garten in Aranjuez.
Carlos, Domingo.
domingo:
Die schönen Tage in Aranjuez
Sind nun zu Ende. Eure Königliche Hoheit
Verlassen es nicht heiterer. Wir sind
Vergebens hier gewesen. Brechen Sie
Dies rätselhafte Schweigen. Öffnen Sie
Ihr Herz dem Vaterherzen, Prinz. Zu teuer
Kann der Monarch die Ruhe seines Sohns –
Des einz’gen Sohns – zu teuer nie erkaufen.
Carlos sieht zur Erde und schweigt.
Wär noch ein Wunsch zurücke, den der Himmel
Dem liebsten seiner Söhne weigerte?
Ich stand dabei, als in Toledos Mauern
Der stolze Karl die Huldigung empfing,
Als Fürsten sich zu seinem Handkuß drängten
Und jetzt in einem – einem Niederfall
Sechs Königreiche ihm zu Füßen lagen –
Ich stand und sah das junge stolze Blut
In seine Wangen steigen, seinen Busen
Von fürstlichen Entschlüssen wallen, sah
Sein trunknes Aug’ durch die Versammlung fliegen,
In Wonne brechen – Prinz, und dieses Auge
Gestand: Ich bin gesättigt.
Carlos wendet sich weg.Dieser stille
Und feierliche Kummer, Prinz, den wir
Acht Monde schon in Ihren Blicken lesen,
Das Rätsel dieses ganzen Hofs, die Angst
Des Königreichs, hat Seiner Majestät
Schon manche sorgenvolle Nacht gekostet,
Schon manche Träne Ihrer Mutter.
carlos dreht sich rasch um: Mutter?
– O Himmel, gib, daß ich es dem vergesse,
Der sie zu meiner Mutter machte!
domingo: Prinz?
carlos besinnt sich und fährt mit der Hand über die Stirne:
Hochwürd’ger Herr – ich habe sehr viel Unglück
Mit meinen Müttern. Meine erste Handlung,
Als ich das Licht der Welt erblickte, war
Ein Muttermord.
domingo: Ist’s möglich, gnäd’ger Prinz?
Kann dieser Vorwurf Ihr Gewissen drücken?
carlos:
Und meine neue Mutter – hat sie mir
Nicht meines Vaters Liebe schon gekostet?
Mein Vater hat mich kaum geliebt. Mein ganzes
Verdienst war noch, sein Einziger zu sein.
Sie gab ihm eine Tochter – O, wer weiß,
Was in der Zeiten Hintergrunde schlummert?
domingo:
Sie spotten meiner, Prinz. Ganz Spanien
Vergöttert seine Königin. Sie sollten
Nur mit des Hasses Augen sie betrachten?
Bei ihrem Anblick nur die Klugheit hören?
Wie, Prinz? Die schönste Frau auf dieser Welt
Und Königin – und ehmals Ihre Braut?
Unmöglich, Prinz! Unglaublich! Nimmermehr!
Wo alles liebt, kann Karl allein nicht hassen;
So seltsam widerspricht sich Carlos nicht.
Verwahren Sie sich, Prinz, daß sie es nie,
Wie sehr sie ihrem Sohn mißfällt, erfahre;
Die Nachricht würde schmerzen.
carlos: Glauben Sie?
domingo:
Wenn Eure Hoheit sich des letzteren
Turniers zu Saragossa noch entsinnen,
Wo unsern Herrn ein Lanzensplitter streifte –
Die Königin mit ihren Damen saß
Auf des Palastes mittlerer Tribüne
Und sah dem Kampfe zu. Auf einmal rief’s:
„Der König blutet!“ – Man rennt durcheinander,
Ein dumpfes Murmeln dringt bis zu dem Ohr
Der Königin. „Der Prinz?“ ruft sie und will –
Und will sich von dem obersten Geländer
Herunterwerfen. – „Nein! Der König selbst!“
Gibt man zur Antwort – „So laßt Ärzte holen!“
Erwidert sie, indem sie Atem schöpfte.
Nach einigem Stillschweigen.
Sie stehen in Gedanken?
carlos: Ich bewundre
Des Königs lust’gen Beichtiger, der so
Bewandert ist in witzigen Geschichten.
Ernsthaft und finster.
Doch hab ich immer sagen hören, daß
Gebärdenspäher und Geschichtenträger
Des Übels mehr auf dieser Welt getan,
Als Gift und Dolch in Mörders Hand nicht konnten.
Die Mühe, Herr, war zu ersparen. Wenn
Sie Dank erwarten, gehen Sie zum König.
domingo:
Sie tun sehr wohl, mein Prinz, sich vorzusehn
Mit Menschen – nur mit Unterscheidung. Stoßen
Sie mit dem Heuchler nicht den Freund zurück.
Ich mein es gut mit Ihnen.
carlos: Lassen Sie
Das meinen Vater ja nicht merken. Sonst
Sind Sie um Ihren Purpur 1 .
domingo stutzt: Wie?
carlos: Nun ja.
Versprach er Ihnen nicht den ersten Purpur,
Den Spanien vergeben würde?
domingo: Prinz,
Sie spotten meiner.
carlos: Das verhüte Gott,
Daß ich des fürchterlichen Mannes spotte,
Der meinen Vater seligsprechen und
Verdammen kann!
domingo: Ich will mich nicht
Vermessen, Prinz, in das ehrwürdige
Geheimnis Ihres Kummers einzudringen.
Nur bitt ich Eure Hoheit, eingedenk
Zu sein, daß dem beängstigten Gewissen
Die Kirche eine Zuflucht aufgetan,
Wozu Monarchen keinen Schlüssel haben,
Wo selber Missetaten unterm Siegel
Des Sakramentes aufgehoben liegen –
Sie wissen, was ich meine, Prinz. Ich habe
Genug gesagt.
carlos: Nein, das sei fern von mir,
Daß ich den Siegelführer so versuchte!
domingo:
Prinz, dieses Mißtraun – Sie verkennen Ihren
Getreusten Diener.
carlos faßt ihn bei der Hand:
Also geben Sie
Mich lieber auf. Sie sind ein heil’ger Mann,
Das weiß die Welt – doch, freiheraus – für mich
Sind Sie bereits zu überhäuft. Ihr Weg,
Hochwürd’ger Vater, ist der weiteste,
Bis Sie auf Peters Stuhle niedersitzen.
Viel Wissen möchte Sie beschweren. Melden
Sie das dem König, der Sie hergesandt.
domingo:
Mich hergesandt? –
carlos: So sagt ich. O, zu gut,
Zu gut weiß ich, daß ich an diesem Hof
Verraten bin – ich weiß, daß hundert Augen
Gedungen sind, mich zu bewachen, weiß,
Daß König Philipp seinen einz’gen Sohn
An seiner Knechte schlechtesten verkaufte
Und jede von mir aufgefangne Silbe
Dem Hinterbringer fürstlicher bezahlt,
Als er noch keine gute Tat bezahlte.
Ich weiß – O still! Nichts mehr davon! Mein Herz
Will überströmen, und ich habe schon
Zuviel gesagt.
domingo: Der König ist gesonnen,
Vor Abend in Madrid noch einzutreffen.
Bereits versammelt sich der Hof. Hab ich
Die Gnade, Prinz –
carlos: Schon gut. Ich werde folgen.
Domingo geht ab. Nach einem Stillschweigen.
Beweinenswerter Philipp, wie dein Sohn
Beweinenswert! – Schon seh ich deine Seele
Vom gift’gen Schlangenbiß des Argwohns bluten;
Dein unglücksel’ger Vorwitz übereilt
Die fürchterlichste der Entdeckungen,
Und rasen wirst du, wenn du sie gemacht.
Carlos. Marquis von Posa.
carlos:
Wer kommt? – Was seh ich? O ihr guten Geister!
Mein Roderich!
marquis: Mein Carlos!
carlos: Ist es möglich?
Ist’s wahr? Ist’s wirklich? Bist du’s? – O, du bist’s!
Ich drück an meine Seele dich, ich fühle
Die deinige allmächtig an mir schlagen.
O, jetzt ist alles wieder gut. In dieser
Umarmung heilt mein krankes Herz. Ich liege
Am Halse meines Roderich.
marquis: Ihr krankes,
Ihr krankes Herz? Und was ist wieder gut?
Was ist’s, das wieder gut zu werden brauchte?
Sie hören, was mich stutzen macht.
carlos: Und was
Bringt dich so unverhofft aus Brüssel wieder?
Wem dank ich diese Überraschung? Wem?
Ich frage noch? Verzeih dem Freudetrunknen,
Erhabne Vorsicht, diese Lästerung!
Wem sonst als dir, Allgütigste? Du wußtest,
Daß Carlos ohne Engel war, du sandtest
Mir diesen, und ich frage noch?
marquis: Vergebung,
Mein teurer Prinz, wenn ich dies stürmische
Entzücken mit Bestürzung nur erwidre.
So war es nicht, wie ich Don Philipps Sohn
Erwartete. Ein unnatürlich Rot
Entzündet sich auf Ihren blassen Wangen,
Und Ihre Lippen zittern fieberhaft.
Was muß ich glauben, teurer Prinz? – Das ist
Der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem
Ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet –
Denn jetzt steh ich als Roderich nicht hier,
Nicht als des Knaben Carlos Spielgeselle –
Ein Abgeordneter der ganzen Menschheit
Umarm ich Sie – es sind die flandrischen
Provinzen, die an Ihrem Halse weinen
Und feierlich um Rettung Sie bestürmen.
Getan ist’s um Ihr teures Land, wenn Alba,
Des Fanatismus rauher Henkersknecht,
Vor Brüssel rückt mit spanischen Gesetzen.
Auf Kaiser Karls glorwürd’gem Enkel ruht
Die letzte Hoffnung dieser edeln Lande.
Sie stürzt dahin, wenn sein erhabnes Herz
Vergessen hat, für Menschlichkeit zu schlagen.
carlos:
Sie stürzt dahin.
marquis: Weh mir! Was muß ich hören!
carlos:
Du sprichst von Zeiten, die vergangen sind.
Auch mir hat einst von einem Karl geträumt,
Dem’s feurig durch die Wangen lief, wenn man
Von Freiheit sprach – doch der ist lang begraben.
Den du hier siehst, das ist der Karl nicht mehr,
Der in Alkala 2 von dir Abschied nahm,
Der sich vermaß in süßer Trunkenheit,
Der Schöpfer eines neuen goldnen Alters
In Spanien zu werden – O, der Einfall
War kindisch, aber göttlich schön! Vorbei
Sind diese Träume. –
marquis: Träume, Prinz? – So wären
Es Träume nur gewesen?
carlos: Laß mich weinen,
An deinem Herzen heiße Tränen weinen,
Du einz’ger Freund. Ich habe niemand – niemand –
Auf dieser großen, weiten Erde niemand.
So weit das Zepter meines Vaters reicht,
So weit die Schiffahrt unsre Flaggen sendet,
Ist keine Stelle – keine – keine, wo
Ich meiner Tränen mich entlasten darf,
Als diese. O, bei allem, Roderich,
Was du und ich dereinst vom Himmel hoffen,
Verjage mich von dieser Stelle nicht.
Marquisneigt sich über ihn in spracbloser Rührung.
carlos:
Berede dich, ich wär ein Waisenkind,
Das du am Thron mitleidig aufgelesen.
Ich weiß ja nicht, was Vater heißt – ich bin
Ein Königssohn – O, wenn es eintrifft, was
Mein Herz mir sagt, wenn du aus Millionen
Herausgefunden bist, mich zu verstehn,
Wenn’s wahr ist, daß die schaffende Natur
Den Roderich im Carlos wiederholte
Und unsrer Seelen zartes Saitenspiel
Am Morgen unsres Lebens gleich bezog,
Wenn eine Träne, die mir Lindrung gibt,
Dir teurer ist als meines Vaters Gnade –
marquis:
O teurer als die ganze Welt.
carlos: So tief
Bin ich gefallen – bin so arm geworden,
Daß ich an unsre frühen Kinderjahre
Dich mahnen muß – daß ich dich bitten muß,
Die lang vergeßnen Schulden abzutragen,
Die du noch im Matrosenkleide machtest –
Als du und ich, zween Knaben wilder Art,
So brüderlich zusammen aufgewachsen,
Kein Schmerz mich drückte, als von deinem Geiste
So sehr verdunkelt mich zu sehn – ich endlich
Mich kühn entschloß, dich grenzenlos zu lieben,
Weil mich der Mut verließ, dir gleich zu sein.
Da fing ich an, mit tausend Zärtlichkeiten
Und treuer Bruderliebe dich zu quälen;
Du stolzes Herz gabst sie mir kalt zurück.
Oft stand ich da, und – doch das sahst du nie!
Und heiße, schwere Tränentropfen hingen
In meinem Aug’, wenn du, mich überhüpfend,
Geringre Kinder in die Arme drücktest.
Warum nur diese? rief ich trauernd aus:
Bin ich dir nicht auch herzlich gut? – Du aber,
Du knietest kalt und ernsthaft vor mir nieder:
Das, sagtest du, gebührt dem Königssohn.
marquis:
O stille, Prinz, von diesen kindischen
Geschichten, die mich jetzt noch schamrot machen.
carlos:
Ich hatt es nicht um dich verdient. Verschmähen,
Zerreißen konntest du mein Herz, doch nie
Von dir entfernen. Dreimal wiesest du
Den Fürsten von dir, dreimal kam er wieder
Als Bittender, um Liebe dich zu flehn
Und dir gewaltsam Liebe aufzudringen.
Ein Zufall tat, was Carlos nie gekonnt.
Einmal geschah’s bei unsern Spielen, daß
Der Königin von Böhmen, meiner Tante,
Dein Federball ins Auge flog. Sie glaubte,
Daß es mit Vorbedacht geschehn, und klagt’ es
Dem Könige mit tränendem Gesicht.
Die ganze Jugend des Palastes muß
Erscheinen, ihm den Schuldigen zu nennen.
Der König schwört, die hinterlist’ge Tat,
Und wär es auch an seinem eignen Kinde,
Aufs schrecklichste zu ahnden. – Damals sah ich
Dich zitternd in der Ferne stehn, und jetzt,
Jetzt trat ich vor und warf mich zu den Füßen
Des Königs. Ich, ich tat es, rief ich aus:
An deinem Sohn erfülle deine Rache!
marquis:
Ach, woran mahnen Sie mich, Prinz!
carlos: Sie ward’s!
Im Angesicht des ganzen Hofgesindes,
Das mitleidsvoll im Kreise stand, ward sie
Auf Sklavenart an deinem Karl vollzogen.
Ich sah auf dich und weinte nicht. Der Schmerz
Schlug meine Zähne knirschend aneinander;
Ich weinte nicht. Mein königliches Blut
Floß schändlich unter unbarmherz’gen Streichen;
Ich sah auf dich und weinte nicht – Du kamst;
Laut weinend sankst du mir zu Füßen. Ja,
Ja, riefst du aus, mein Stolz ist überwunden.
Ich will bezahlen, wenn du König bist.
marquis reicht ihm die Hand:
Ich will es, Karl. Das kindische Gelübde
Erneur’ ich jetzt als Mann. Ich will bezahlen.
Auch meine Stunde schlägt vielleicht.
carlos: Jetzt, jetzt –
O zögre nicht – jetzt hat sie ja geschlagen.
Die Zeit ist da, wo du es lösen kannst.
Ich brauche Liebe. – Ein entsetzliches
Geheimnis brennt auf meiner Brust. Es soll,
Es soll heraus. In deinen blassen Mienen
Will ich das Urteil meines Todes lesen.
Hör an – erstarre – doch erwidre nichts –
Ich liebe meine Mutter.
marquis: O mein Gott!
carlos:
Nein! Diese Schonung will ich nicht. Sprich’s aus
Sprich, daß auf diesem großen Rund der Erde
Kein Elend an das meine grenze – sprich –
Was du mir sagen kannst, errat ich schon.
Der Sohn liebt seine Mutter. Weltgebräuche,
Die Ordnung der Natur und Roms Gesetze
Verdammen diese Leidenschaft. Mein Anspruch
Stößt fürchterlich auf meines Vaters Rechte.
Ich fühl’s, und dennoch lieb ich. Dieser Weg
Führt nur zum Wahnsinn oder Blutgerüste.
Ich liebe ohne Hoffnung – lasterhaft –
Mit Todesangst und mit Gefahr des Lebens –
Das seh ich ja, und dennoch lieb ich.
marquis: Weiß
Die Königin um diese Neigung?
carlos: Konnt ich
Mich ihr entdecken? Sie ist Philipps Frau
Und Königin, und das ist span’scher Boden.
Von meines Vaters Eifersucht bewacht,
Von Etikette ringsum eingeschlossen,
Wie konnt ich ohne Zeugen mich ihr nahn?
Acht höllenbange Monde sind es schon,
Daß von der hohen Schule mich der König
Zurückberief, daß ich sie täglich anzuschauen
Verurteilt bin und wie das Grab zu schweigen.
Acht höllenbange Monde, Roderich,
Daß dieses Feu’r in meinem Busen wütet,
Daß tausendmal sich das entsetzliche
Geständnis schon auf meinen Lippen meldet,
Doch scheu und feig zurück zum Herzen kriecht.
O Roderich – nur wen’ge Augenblicke
Allein mit ihr –
marquis: Ach! Und Ihr Vater, Prinz –
carlos:
Unglücklicher! Warum an den mich mahnen?
Sprich mir von allen Schrecken des Gewissens,
Von meinem Vater sprich mir nicht.
marquis:
Sie hassen Ihren Vater?
carlos: Nein! Ach, nein!
Ich hasse meinen Vater nicht – doch Schauer
Und Missetäters Bangigkeit ergreifen
Bei diesem fürchterlichen Namen mich.
Kann ich dafür, wenn eine knechtische
Erziehung schon in meinem jungen Herzen
Der Liebe zarten Keim zertrat? Sechs Jahre
Hatt ich gelebt, als mir zum erstenmal
Der Fürchterliche, der, wie sie mir sagten,
Mein Vater war, vor Augen kam. Es war
An einem Morgen, wo er stehnden Fußes
Vier Bluturteile unterschrieb. Nach diesem
Sah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehn
Bestrafung angekündigt ward. – O Gott!
Hier fühl ich, daß ich bitter werde – Weg –
Weg, weg von dieser Stelle!
marquis: Nein, Sie sollen,
Jetzt sollen Sie sich öffnen, Prinz. In Worten
Erleichtert sich der schwer beladne Busen.
carlos:
Oft hab ich mit mir selbst gerungen, oft
Um Mitternacht, wenn meine Wachen schliefen,
Mit heißen Tränengüssen vor das Bild
Der Hochgebenedeiten mich geworfen,
Sie um ein kindlich Herz gefleht – doch ohne
Erhörung stand ich auf. Ach, Roderich!
Enthülle du dies wunderbare Rätsel
Der Vorsicht mir – Warum von tausend Vätern
Just eben diesen Vater mir? Und ihm
Just diesen Sohn von tausend bessern Söhnen?
Zwei unverträglichere Gegenteile
Fand die Natur in ihrem Umkreis nicht.
Wie mochte sie die beiden letzten Enden
Des menschlichen Geschlechtes – mich und ihn –
Durch ein so heilig Band zusammenzwingen?
Furchtbares Los! Warum mußt es geschehn?
Warum zwei Menschen, die sich ewig meiden,
In einem Wunsche schrecklich sich begegnen?
Hier, Roderich, siehst du zwei feindliche
Gestirne, die im ganzen Lauf der Zeiten
Ein einzig Mal in scheitelrechter Bahn
Zerschmetternd sich berühren, dann auf immer
Und ewig auseinanderfliehn.
marquis: Mir ahnet
Ein unglücksvoller Augenblick.
carlos: Mir selbst.
Wie Furien des Abgrunds folgen mir
Die schauerlichsten Träume. Zweifelnd ringt
Mein guter Geist mit gräßlichen Entwürfen;
Durch labyrinthische Sophismen kriecht
Mein unglücksel’ger Scharfsinn, bis er endlich
Vor eines Abgrunds gähem Rande stutzt –
O Roderich, wenn ich den Vater je
In ihm verlernte – Roderich – ich sehe,
Dein totenblasser Blick hat mich verstanden –
Wenn ich den Vater je in ihm verlernte,
Was würde mir der König sein?
marquis nach einigem Stillschweigen: Darf ich
An meinen Carlos eine Bitte wagen?
Was Sie auch willens sind zu tun, versprechen Sie,
Nichts ohne Ihren Freund zu unternehmen.
Versprechen Sie mir dieses?
carlos: Alles, alles,
Was deine Liebe mir gebeut. Ich werfe
Mich ganz in deine Arme.
marquis: Wie man sagt,
Will der Monarch zur Stadt zurückekehren.
Die Zeit ist kurz. Wenn Sie die Königin
Geheim zu sprechen wünschen, kann es nirgends
Als in Aranjuez geschehn. Die Stille
Des Orts – des Landes ungezwungne Sitte
Begünstigen –
carlos: Das war auch meine Hoffnung.
Doch, ach, sie war vergebens!
marquis: Nicht so ganz.
Ich gehe, mich sogleich ihr vorzustellen.
Ist sie in Spanien dieselbe noch,
Die sie vordem an Heinrichs 3 Hof gewesen,
So find ich Offenherzigkeit. Kann ich
In ihren Blicken Carlos’ Hoffnung lesen,
Find ich zu dieser Unterredung sie
Gestimmt – sind ihre Damen zu entfernen –
carlos:
Die meisten sind mir zugetan. – Besonders
Die Mondekar hab ich durch ihren Sohn,
Der mir als Page dient, gewonnen. –
marquis: Desto besser.
So sind Sie in der Nähe, Prinz, sogleich
Auf mein gegebnes Zeichen zu erscheinen.
carlos:
Das will ich – will ich – also eile nur.
marquis:
Ich will nun keinen Augenblick verlieren.
Dort also, Prinz, auf Wiedersehn!
Beide gehen ab zu verschiedenen Seiten.
Die Hofhaltung der Königin in Aranjuez.
Eine einfache ländliche Gegend, von einer Allee durchschnitten,
vom Landhause der Königin begrenzt.
Die Königin. Die Herzogin von Olivarez. Die Prinzessin von Eboli und die Marquisin Von Mondekar, welche die Allee heraufkommen.
königin zur Marquisin:
Sie will ich um mich haben, Mondekar.
Die muntern Augen der Prinzessin quälen
Mich schon den ganzen Morgen. Sehen Sie,
Kaum weiß sie ihre Freude zu verbergen,
Weil sie vom Lande Abschied nimmt.
eboli: Ich will es
Nicht leugnen, meine Königin, daß ich
Madrid mit großen Freuden wiedersehe.
mondekar:
Und Ihro Majestät nicht auch? Sie sollten
So ungern von Aranjuez sich trennen?
königin:
Von – dieser schönen Gegend wenigstens.
Hier bin ich wie in meiner Welt. Dies Plätzchen
Hab ich mir längst zum Liebling auserlesen.
Hier grüßt mich meine ländliche Natur,
Die Busenfreundin meiner jungen Jahre.
Hier find ich meine Kinderspiele wieder,
Und meines Frankreichs Lüfte wehen hier.
Verargen Sie mir’s nicht. Uns alle zieht
Das Herz zum Vaterland.
eboli: Wie einsam aber,
Wie tot und traurig ist es hier! Man glaubt
Sich in la Trappe 4 .
königin: Das Gegenteil vielmehr.
Tot find ich es nur in Madrid. – Doch was
Spricht unsre Herzogin dazu?
olivarez: Ich bin
Der Meinung, Ihro Majestät, daß es
So Sitte war, den einen Monat hier,
Den andern in dem Pardo 5 auszuhalten,
Den Winter in der Residenz, solange
Es Könige in Spanien gegeben.
königin:
Ja, Herzogin, das wissen Sie, mit Ihnen
Hab ich auf immer mich des Streits begeben.
mondekar:
Und wie lebendig es mit nächstem in
Madrid sein wird! Zu einem Stiergefechte
Wird schon die Plaza Mayor zugerichtet,
Und ein Auto da Fe 6 hat man uns auch
Versprochen –
königin: Uns versprochen! Hör ich das
Von meiner sanften Mondekar?
mondekar: Warum nicht?
Es sind ja Ketzer, die man brennen sieht.
königin:
Ich hoffe, meine Eboli denkt anders.
eboli:
Ich? – Ihro Majestät, ich bitte sehr,
Für keine schlechtre Christin mich zu halten
Als die Marquisin Mondekar.
königin: Ach! Ich
Vergesse, wo ich bin. – Zu etwas anderm. –
Vom Lande, glaub ich, sprachen wir. Der Monat
Ist, deucht mir, auch erstaunlich schnell vorüber.
Ich habe mir der Freude viel, sehr viel
Von diesem Aufenthalt versprochen, und
Ich habe nicht gefunden, was ich hoffte.
Geht es mit jeder Hoffnung so? Ich kann
Den Wunsch nicht finden, der mir fehlgeschlagen.
olivarez:
Prinzessin Eboli, Sie haben uns
Noch nicht gesagt, ob Gomez hoffen darf?
Ob wir Sie bald als seine Braut begrüßen?
königin:
Ja! Gut, daß Sie mich mahnen, Herzogin.
Zur Prinzessin.
Man bittet mich, bei Ihnen fürzusprechen.
Wie aber kann ich das? Der Mann, den ich
Mit meiner Eboli belohne, muß
Ein würd’ger Mann sein.
olivarez: Ihro Majestät,
Das ist er, ein sehr würd’ger Mann, ein Mann,
Den unser gnädigster Monarch bekanntlich
Mit ihrer königlichen Gunst beehren.
königin:
Das wird den Mann sehr glücklich machen. – Doch
Wir wollen wissen, ob er lieben kann
Und Liebe kann verdienen. – Eboli,
Das frag ich Sie.
eboli steht stumm und verwirrt, die Augen zur Erde geschlagen,
endlich fällt sie der Königin zu Füßen:
Großmüt’ge Königin,
Erbarmen Sie sich meiner. Lassen Sie –
Um Gottes willen, lassen Sie mich nicht –
Nicht aufgeopfert werden.
königin: Aufgeopfert?
Ich brauche nichts mehr. Stehn Sie auf. Es ist
Ein hartes Schicksal, aufgeopfert werden.
Ich glaube Ihnen. Stehn Sie auf. – Ist es
Schon lang, daß Sie den Grafen ausgeschlagen?
eboli aufstehend:
O, viele Monate. Prinz Carlos war
Noch auf der hohen Schule.
königin stutzt und sieht sie mit forschenden Augen an:
Haben Sie
Sich auch geprüft, aus welchen Gründen?
eboli mit einiger Heftigkeit: Niemals
Kann es geschehen, meine Königin,
Aus tausend Gründen niemals.
königin sehr ernsthaft: Mehr als einer ist
Zuviel. Sie können ihn nicht schätzen – Das
Ist mir genug. Nichts mehr davon.
Zu den andern Damen. Ich habe
Ja die Infantin heut noch nicht gesehen.
Marquisin, bringen Sie sie mir.
olivarez sieht auf die Uhr: Es ist
Noch nicht die Stunde, Ihro Majestät.
königin:
Noch nicht die Stunde, wo ich Mutter sein darf?
Das ist doch schlimm. Vergessen Sie es ja nicht,
Mich zu erinnern, wenn sie kommt.
Ein Page tritt auf und spricht leise mit der Oberhofmeisterin, welche
sich darauf zur Königin wendet.
olivarez: Der Marquis
Von Posa, Ihro Majestät –
königin: Von Posa?
olivarez:
Er kommt aus Frankreich und den Niederlanden
Und wünscht die Gnade zu erhalten, Briefe
Von der Regentin Mutter übergeben
Zu dürfen.
königin: Und das ist erlaubt?
olivarez bedenklich: In meiner Vorschrift
Ist des besondern Falles nicht gedacht,
Wenn ein kastilianischer Grande Briefe
Von einem fremden Hof der Königin
Von Spanien in ihrem Gartenwäldchen
Zu überreichen kommt.
königin: So will ich denn
Auf meine eigene Gefahr es wagen.
olivarez:
Doch mir vergönne Ihro Majestät,
Mich solang zu entfernen.
königin: Halten Sie
Das, wie Sie wollen, Herzogin.
Die Oberhofmeisterin geht ab, und die Königin gibt dem Pagen einen
Wink, welcher sogleich hinausgeht.
Königin. Prinzessin von Eboli. Marquisin von Mondekar und Marquis von Posa.
königin: Ich heiße Sie
Willkommen, Chevalier 7 , auf span’schem Boden.
marquis:
Den ich noch nie mit so gerechtem Stolze
Mein Vaterland genannt als jetzt. –
königin zu den beiden Damen: Der Marquis
Von Posa, der im Ritterspiel zu Reims
Mit meinem Vater eine Lanze brach
Und meine Farbe dreimal siegen machte –
Der erste seiner Nation, der mich
Den Ruhm empfinden lehrte, Königin
Der Spanier zu sein.
Zum Marquis sich wendend.
Als wir im Louvre 8
Zum letztenmal uns sahen, Chevalier,
Da träumt’ es Ihnen wohl noch nicht, daß Sie
Mein Gast sein würden in Kastilien.
marquis:
Nein, große Königin – denn damals träumte
Mir nicht, daß Frankreich noch das einzige
An uns verlieren würde, was wir ihm
Beneidet hatten.
königin: Stolzer Spanier!
Das einzige? – Und das zu einer Tochter
Vom Hause Valois?
marquis: Jetzt darf ich es
Ja sagen, Ihro Majestät – denn jetzt
Sind Sie ja unser.
königin: Ihre Reise, hör ich,
Hat auch durch Frankreich Sie geführt. – Was bringen
Sie mir von meiner hochverehrten Mutter
Und meinen vielgeliebten Brüdern?
marquis überreicht ihr die Briefe:
Die Königin-Mutter fand ich krank, geschieden
Von jeder andern Freude dieser Welt,
Als ihre königliche Tochter glücklich
Zu wissen auf dem span’schen Thron.
königin: Muß sie
Es nicht sein bei dem teuern Angedenken
So zärtlicher Verwandten? bei der süßen
Erinnrung an – Sie haben viele Höfe
Besucht auf Ihren Reisen, Chevalier,
Und viele Länder, vieler Menschen Sitte
Gesehn – und jetzt, sagt man, sind Sie gesonnen,
In Ihrem Vaterland sich selbst zu leben?
Ein größrer Fürst in Ihren stillen Mauern,
Als König Philipp auf dem Thron – ein Freier!
Ein Philosoph! – Ich zweifle sehr, ob Sie
Sich werden können in Madrid gefallen.
Man ist sehr – ruhig in Madrid.
marquis: Und das
Ist mehr, als sich das ganze übrige
Europa zu erfreuen hat.
königin: SO hör ich.
Ich habe alle Händel dieser Erde
Bis fast auf die Erinnerung verlernt.
Zur Prinzessin von Eboli.
Mir deucht, Prinzessin Eboli, ich sehe
Dort eine Hyazinthe blühen – Wollen
Sie mir sie bringen?
Die Prinzessin geht nach dem Platze.
Die Königin etwas leiser zum Marquis.
Chevalier, ich müßte
Mich sehr betrügen, oder Ihre Ankunft
Hat einen frohen Menschen mehr gemacht
An diesem Hofe.
marquis: Einen Traurigen
Hab ich gefunden – den auf dieser Welt
Nur etwas fröhlich –
Die Prinzessin kommt mit der Blume zurück.
eboli: Da der Chevalier
So viele Länder hat gesehen, wird
Er ohne Zweifel viel Merkwürdiges
Uns zu erzählen wissen.
marquis: Allerdings.
Und Abenteuer suchen ist bekanntlich
Der Ritter Pflicht – die heiligste von allen,
Die Damen zu beschützen.
mondekar: Gegen Riesen!
Jetzt gibt es keine Riesen mehr.
marquis: Gewalt
Ist für den Schwachen jederzeit ein Riese.
königin:
Der Chevalier hat recht. Es gibt noch Riesen.
Doch keine Ritter gibt es mehr.
marquis: Noch jüngst
Auf meinem Rückweg von Neapel war
Ich Zeuge einer rührenden Geschichte,
Die mir der Freundschaft heiliges Legat
Zu meiner eigenen gemacht. – Wenn ich
Nicht fürchten müßte, Ihre Majestät
Durch die Erzählung zu ermüden –
königin: Bleibt
Mir eine Wahl? Die Neugier der Prinzessin
Läßt sich nichts unterschlagen. Nur zur Sache.
Auch ich bin eine Freundin von Geschichten.
marquis:
Zwei edle Häuser in Mirandola,
Der Eifersucht, der langen Feindschaft müde,
Die von den Gibellinen und den Guelfen
Jahrhunderte schon fortgeerbt, beschlossen,
Durch der Verwandtschaft zarte Bande sich
In einem ew’gen Frieden zu vereinen.
Des mächtigen Pietro Schwestersohn,
Fernando, und die göttliche Mathilde,
Colonnas Tochter, waren ausersehn,
Dies schöne Band der Einigkeit zu knüpfen.
Nie hat zwei schönre Herzen die Natur
Gebildet füreinander – nie die Welt,
Nie eine Wahl so glücklich noch gepriesen.
Noch hatte seine liebenswürd’ge Braut
Fernando nur im Bildnis angebetet –
Wie zitterte Fernando, wahr zu finden,
Was seine feurigsten Erwartungen
Dem Bilde nicht zu glauben sich getrauten!
In Padua, wo seine Studien
Ihn fesselten, erwartete Fernando
Des frohen Augenblickes nur, der ihm
Vergönnen sollte, zu Mathildens Füßen
Der Liebe erste Huldigung zu stammeln.
Die Königin wird aufmerksamer. Der Marquis fährt nach einem kurzen Stillschweigen fort, die Erzählung, soweit es die Gegenwart der Königin erlaubt, mehr an die Prinzessin von Eboli gerichtet.
Indessen macht der Gattin Tod die Hand
Pietros frei. – Mit jugendlicher Glut
Verschlingt der Greis die Stimmen des Gerüchtes,
Das in den Ruhm Mathildens sich ergoß.
Er kommt! Er sieht! – Er liebt! Die neue Regung
Erstickt die leisre Stimme der Natur,
Der Oheim wirbt um seines Neffen Braut
Und heiligt seinen Raub vor dem Altare.
königin:
Und was beschließt Fernando?
marquis: Auf der Liebe Flügeln,
Des fürchterlichen Wechsels unbewußt,
Eilt nach Mirandola der Trunkene.
Mit Sternenschein erreicht sein schnelles Roß
Die Tore – ein bacchantisches Getön
Von Reigen und von Pauken donnert ihm
Aus dem erleuchteten Palast entgegen.
Er bebt die Stufen scheu hinauf und sieht
Sich unerkannt im lauten Hochzeitssaale,
Wo in der Gäste taumelndem Gelag