Dr. Stefan Frank 2786 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2786 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Die heile Welt der Familie Volkner wird urplötzlich erschüttert, als der kleine Marlon von seinem geliebten Golden Retriever Cookie gebissen wird. Die Verletzung scheint zunächst eher harmlos. Doch schon bald wird klar, dass die Wunde weitaus gefährlicher ist, als es den Anschein hatte.
Dr. Stefan Frank kämpft mit all seinem Können um das Leben des Kindes, während die Ehe von Jannis und Luisa unter der Last der Schuldfrage zu zerbrechen droht. Während Jannis trotz allem an Hund Cookie festhält und herausfinden will, warum der sonst so friedfertige Hund einfach zugebissen hat, will Luisa nur eines: das Wohl und die Sicherheit ihres Sohnes.
Die Liebe der beiden wird auf eine harte Probe gestellt, während sie um das Leben ihres Kindes bangen - und um das, was sie einst als Familie verband ...

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Seitenzahl: 134

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Inhalt

Cover

Verloren im Sturm

Vorschau

Impressum

Verloren im Sturm

Nach einem Blitzschlag verliert Lina ihr Gedächtnis

Lina Landauer wird bei einem heftigen Gewitter von einem Blitz getroffen und schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Als sie Tage später erwacht, ist ihr Gedächtnis lückenhaft. Sie hat eine Amnesie. Die Ärzte erklären ihr, dass sie Glück hatte zu überleben, doch Lina spürt, dass etwas fehlt. Der Mann, der an ihrem Bett sitzt, kommt ihr zugleich fremd und vertraut vor.

Zu Hause erholt sie sich langsam und versucht, die Puzzleteiles ihres Leben wieder zusammenzusetzen. David und sie kommen sich zaghaft näher. Lina muss ihn völlig neu kennenlernen. Doch dann erfährt sie zufällig die schreckliche Wahrheit ...

Draußen wehten Blätter gegen die Fensterscheibe. Ein Potpourri unterschiedlicher Orangetöne tanzte in der Luft. Ab und an meldete sich der Wind mit einem Pfeifen, nur um zu demonstrieren, dass er noch immer da war. Die Menschen, die auf den Bordsteinen liefen, beugten ihre Häupter vor, um sich gegen das Wetter zu wappnen. An ihren quälenden Gesichtern ließ sich die Mühe ablesen, die sie hatten, um sich vorwärtszubewegen.

Dagegen war es im Inneren des Bürgerbüros drückend warm. Der Duft von Elektrosmog erfüllte den weiten Raum. Etliche Tische aus hellem Buchenholz standen dicht an dicht, um dem täglichen Andrang an Menschen gerecht zu werden, die wegen unterschiedlichster Anliegen herkamen.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Lina Landauer in ihrem routinierten Ton.

Das Grüßen hatte sie schon lange aufgegeben. Für sie galt es, die Besucher möglichst effektiv abzuarbeiten.

»Guten Tag«, grüßte eine milde Stimme.

Lina schaute auf, das Gesicht steif wie ihr Rücken vom langen Sitzen.

»Sie müssen lauter sprechen, da ich Sie sonst nicht verstehen kann«, erklärte sie der jungen Frau mit Kind, die nun beide auf den Stühlen vor ihr saßen.

»Ach so«, meinte diese in derselben milden Stimme.

»Lauter!«, forderte Lina sie in einem roboterhaften Ton auf.

»Gut. Wir sind hier, weil wir neue Pässe brauchen«, erklärte die Frau ihr Anliegen.

Dabei klang ihre Stimme schon etwas bestimmter. Und sachlicher. Vielleicht hatte sie erkannt, dass sie hier mit Freundlichkeit nichts erreichen konnte.

»Personalausweise oder Reisepässe?«, fragte Lina nach, wobei sie den Blick auf den PC-Bildschirm gerichtet ließ.

Die Kundin drehte sich zu ihrem Kind um, als könnte sie dort die Antwort finden. Dabei konnte das Kind nicht älter als sechs Jahre sein.

»Ähm, Personalausweise. Gibt es das denn schon für Kinder?«

»Ja«, antwortete die Angestellte einsilbig. »Also Personalausweise.«

Umgehend öffnete sie eine Datei, worin sich die passenden Formulare befanden.

»Ich dachte, für Kinder in dem Alter gibt es noch keinen Personalausweis«, gab die Frau zu bedenken.

Lina reagierte nicht. Sie hatte keine Zeit für Plaudereien. Würden im Vorraum nicht so viele Besucher sitzen, hätte sie der Frau vor sich ein Lächeln schenken können. Doch wenn sie heute einmal pünktlich das Büro verlassen wollte, musste sie effektiv arbeiten. Das bedeutete: ohne Störung.

»Dann hätte ich jetzt gerne Ihre alten Dokumente«, forderte sie auf und hielt ihre Hand auf.

Die Kundin stutzte. »Also für die Kleine habe ich ja noch keinen Ausweis. Sie hat nur einen Reisepass. Den habe ich jetzt aber nicht mitgenommen. Und meiner ist leider abgelaufen.«

Nach außen hin wartete Lina geduldig, während sie vom Nebentisch hörte, wie ihre Kollegin gerade von einem Mann mittleren Alters beleidigt wurde. Das war einer der Gründe, warum sie so geworden war, wie sie war.

Lina Landauer hatte damals als Mittzwanzigerin im Bürgerbüro ihre Stelle angetreten. Als junge Frau mit langen dunklen Haaren und einem hübschen Lächeln hatte sie geglaubt, ihre Arbeit erledigen und in jedem Menschen einen potenziellen Freund sehen zu können. Da sie aus einem Dorf stammte, hatte sie gelernt, stets freundlich und zuvorkommend zu sein. Oma hatte ihr einmal verraten, dass man genauso behandelt wurde, wie man andere behandelte und immer wieder das Sprichwort Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus verwendet.

Dass die Ratschläge ihrer Großmutter in der Großstadt wertlos waren, hatte Lina gleich an ihrem ersten Tag erfahren müssen. Da hatte nach Dienstschluss ein Mann mit einem Freund auf sie gewartet, um sie während ihres Heimwegs auf widerliche Weise zu belästigen. Die Belästigung blieb zwar auf derbe Sprüche beschränkt, doch erinnerte sich Lina noch gut an die Angst, die sie während ihres Heimwegs gehabt hatte.

Auch danach sollte sie aus ihrem ländlichen Schlummer gerüttelt werden. Beleidigungen, Beschimpfungen und Androhungen gehörten genauso zu ihrem beruflichen Alltag wie diese schüchterne Frau mit Kind, die gerade vor ihr saß.

Aus diesem Grund hatte sich Lina vorgenommen, in den Menschen vor ihnen nur noch Aufträge zu sehen, die abgearbeitet werden mussten. Freundlichkeit hatte sie aufgegeben. Nicht, weil sie dabei mehr Freude an der Arbeit hatte. Im Gegenteil. Es wäre ihr lieber gewesen, ihren Tag mit kleinen Sympathiebekundungen zu schmücken. Es war vielmehr ein Schutzpanzer, den sie sich zugelegt hatte, da sie befürchtete, andernfalls zu zerbrechen. Innerhalb der letzten Jahre hatte sie sich auf diese Weise zur Perfektionistin entwickelt. Menschlich wirkte sie kalt und abweisend. Aber niemand konnte ihr Fehler bei der Arbeit vorwerfen.

»Den Ausweis, bitte«, wiederholte sie.

Es wäre ein Leichtes gewesen, der Dame ein Lächeln zu schenken. Aber Lina wusste nur zu gut, dass selbst die zierlichsten Frauen zu Furien werden konnten, sobald der Sachbearbeiterin des Bürgerbüros aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen die Hände gebunden waren.

Die Frau fummelte nervös ihren Ausweis aus dem Portemonnaie.

»Bitteschön«, sagte sie dabei, wieder in diesem unerträglich milden Ton, der durch die Geräuschkulisse kaum zu hören war.

Lina begann, die Eingaben in das Formular zu tippen, fragte, ob Größe und Augenfarbe stimmten, und bat die Frau, auf einem digitalen Pad zu unterschreiben. Die Unterschrift war so akkurat, als käme es darauf an, in Schönschrift zu schreiben.

»Dann hätte ich jetzt gerne die Erklärung des Kindsvaters«, erklärte Lina das weitere Vorgehen.

»Entschuldigung?«, machte die Besucherin, deren Namen sie nun mittlerweile aufgrund des abgelaufenen Dokuments kannte.

»Ich benötige jetzt die Erklärung des Kindsvaters, Frau Zöller«, wiederholte Lina und hielt abermals die Hand auf. Doch das verdutzte Gesicht der Besucherin verriet ihr bereits, dass sie keine Ahnung hatte. »Das ist eine Erklärung, die der abwesende Erziehungsberechtigte unterschreiben muss, um sein Einverständnis für das auszustellende Dokument zu geben.«

»Das wusste ich nicht«, gestand Frau Zöller, und in ihren Augen spiegelte sich Ratlosigkeit wider.

Mit geübten Fingern zog Lina ein Formular aus ihrer Schublade und reichte es der Frau. Das Kind saß eingesunken auf dem Stuhl und wippte mit den Füßen. Mit neugierigen Blicken beobachtete es das Vorgehen am Nebentisch, wo ihre Kollegin noch immer einem Mann erklärte, dass er für ein Dokument bezahlen musste.

»Und was mache ich jetzt?«, fragte Frau Zöller, die das Blatt entgegennahm.

»Jetzt gehen Sie nach Hause und lassen den Vater des Kindes unterschreiben. Vorher darf ich Ihnen leider keinen Ausweis für das Kind ausstellen«, erklärte Lina mit ihrer reglosen Miene.

»Aber wir brauchen den Ausweis«, versuchte es die Frau. Und nun wurde Lina bewusst, worauf auch dieses Gespräch wieder hinauslief.

»Es tut mir leid, aber es ist von Gesetzes wegen verboten.«

»Aber wir wollen nächste Woche verreisen«, wurde die milde Stimme der Frau nun doch etwas lauter.

»In diesem Fall tut es mir noch einmal leid, denn bis die Personalausweise fertig sind, müssen Sie mit einer Bearbeitungszeit von mindestens zwei Wochen rechnen.« In ihrem Inneren schüttelte Lina den Kopf über so viel Naivität. Was erwarteten die Leute? Dass sie gleich am ersten Tag die Dokumente mitnehmen könnten?

»Aber wir wollen verreisen«, wiederholte die Kundin und betonte dabei jede Silbe. Ihr Gesicht hatte etwas Strenges angenommen.

»In diesem Fall kann ich Ihnen ein vorläufiges Dokument ausstellen, dass jedoch extra kostet.« Ihre Hand schwebte schon über der Tastatur. Da sie keine Lust hatte, dass dieses Gespräch weiter in eine Konfrontation abrutschte, hoffte sie, die Frau damit beruhigen zu können.

»Das ist ja mal wieder typisch, dass es wieder nur ums Geld geht«, gab Frau Zöller schnippisch zurück.

Lina musste sich zurückhalten, um die Augen nicht zu verdrehen. Typisch war, dass fast jeder zweite Besucher ausfallend wurde, sofern die Dinge nicht so liefen, wie er es sich vorgestellt hatte. Und die Angestellten bekamen all die Wut ab.

Sie schaute auf die große Wanduhr, die das Geschehen im Großraumbüro überblickte. Siebzehn Uhr zehn. Draußen tanzten die Blätter im Wind. Am Himmel zogen unheilverkündende Wolken auf. Warme Luft machte sich für den Kampf gegen kalte Luft bereit. Genauso wie im Bürgerbüro. Täglich gab es kleine Gewitter. Fragte sich nur, wann jemand schlussendlich zu Schaden kommen würde.

***

»Feierabend«, rief Timo durch die Werkstatt, die von den Metallwänden schallte.

Ein letztes Aufheulen der Säge erklang, bevor es erstarb. Poltern gab zu verstehen, dass Konstruktionen und einzelne Bretter beiseitegeräumt wurden. Schwere Schritte in noch schwereren Arbeitsschuhen marschierten durch die Halle, um sich in Richtung Pausenraum davonzumachen.

Auch David Solbacher, der mittlerweile zum Vorarbeiter befördert worden war, hatte seine letzte Arbeit in einen der riesigen Metallregale verstaut, um sie morgen wieder aufzunehmen. Aber nach achteinhalb Stunden Dienst war er froh, für heute Schluss machen zu können. Auch wenn die Ernüchterung ihn immer wieder auf dem Heimweg einholte.

»Hast du heute schon was vor?« Ein Schlag auf den Rücken ließ den Mann mit dem dunklen Haar und dem vollen Bart umdrehen. Seine Augen hatten etwas Geheimnisvolles an sich, da er selten lachte.

David galt als besonnen, da er nie voreilig urteilte oder überhaupt viel sprach. Doch wenn man ihn gefragt hätte, warum er so wortkarg war, hätte er geantwortet, dass ihn die meisten Dinge nicht interessierten. Trotzdem fiel auf, dass seine Antworten, sofern sie gefragt waren, von besonderer Vernunft zeugten. Daher gehörte er auch zu den beliebtesten Kollegen der Tischlerei. Seine ruhige Art vermochte es, stets schlichtend auf die anderen zu wirken. Es war nicht nur seinem handwerklichen Talent geschuldet, dass er befördert worden war. Timo, der Eigentümer der Werkstatt, hätte ihn lieber als Mitinhaber der Firma gehabt. Aber David wollte unabhängig bleiben. Derzeit gab es nichts mehr, was ihn in München weiter hielt. Wozu sich dann binden?

»Hoffst du auf ein romantisches Abendessen mit mir?«, gab David zurück. Trockener Humor war seine zweite Eigenschaft.

»Irgendwie schon«, antwortete sein Chef und grinste von einem Ohr zum anderen.

David zog eine Augenbraue in die Höhe, ein Maximum an Überraschungsdarbietung.

»Da muss ich dich enttäuschen. Du bist nicht mein Typ.«

Er ging weiter in Richtung Pausenraum, wo auch die Spinde der Arbeiter untergebracht waren.

»Da bin ich aber traurig«, gab Timo ironisch zurück. Er fuhr sich mit einer Hand über die kurzen Stoppeln seines Haars. »Aber jetzt mal im Ernst. Anita hat eine Freundin, die zufällig Single ist und noch zufälliger heute Abend zu uns zum Essen kommt. Und da habe ich gedacht...«

»..., dass ich auch zufällig Single bin und nichts anderes zu tun habe, als die Freundinnen deiner Frau kennenzulernen«, führte David die Überlegung weiter.

»Und? Kannst du?«

»Nein.«

»Wieso? Weil du dich heute wie jeden Abend in den Schlaf heulen willst?« Timos Eigenschaft war seine Schlagfertigkeit. Etwas, das er seinem Angestellten voraushatte.

Mit einem genervten Seufzer wandte sich David zu ihm um und legte den Kopf schief.

»Nenn mir einen Grund, warum ich diese Frau kennenlernen sollte.«

»Weil niemand mehr deine beschissene Laune aushält«, entgegnete Timo.

David machte ein Gesicht, als ließ er sich die Antwort durch seinen Kopf gehen. Er schaute mit ernstem Blick auf Timo, der ihm mit einem Grinsen standhielt.

»Wann soll ich da sein?«

Timo regte sich und schlug David auf den Arm.

»Das wollte ich hören. Neunzehn Uhr. Und sei pünktlich. Frauen wissen Zuverlässigkeit zu schätzen«, antwortete er.

Dann ließ er seinen Angestellten stehen und ging allein weiter.

David schaute ihm hinterher. In seiner Hand hielt er die Schutzhandschuhe, die er bei der Arbeit trug. Am liebsten hätte er sie auf den Boden geworfen, weil er sich hatte breitschlagen lassen, an diesem Essen teilzunehmen.

Eine Frau kennenlernen? Wozu, wenn er noch immer der letzten nachtrauerte?

***

Wie befürchtet, braute sich über München ein Gewitter zusammen. Dunkle Wolken vermischten sich mit helleren. Ihre ausgefransten Ränder warnten jeden, der die Möglichkeit hatte, sich ins Trockene zu retten. Der Wind hatte sich zu unsichtbaren Peitschenhieben angehoben. Regen fiel auf die Erde herab, als wollte er zu Sicherheit alles bewässern, um das Schlimmste zu verhindern. In der Ferne grollte es bereits unheilvoll.

Lina kämpfte sich durch das Wetter wie durch eine Front von Widerständen. Den blauen Schirm in der Hand und die dicke Wolljacke an ihrem Körper fühlte sie sich einigermaßen geschützt, auch wenn sie Mühe hatte, den Schirm in der Waage zu halten. Immer wieder zerrten Windböen daran, sodass sie sich mit der freien Hand gegen den Regen schützte.

Die Jacke sorgte dafür, dass ihr mittlerweile der Schweiß über den Rücken lief. Für Oktober war es ein ungewöhnlich warmer Tag. Überhaupt schien das Wetter seit einigen Jahren verrückt zu spielen.

Da sie erst vor Kurzem umgezogen war und nun allein lebte, hatte sie ihr Auto verkauft und war auf die öffentlichen Verkehrsmittel umgestiegen. Da die Mieten in München und Umgebung exorbitant hoch waren, war sie gezwungen gewesen, ihre Ausgaben zu reduzieren.

Anfangs war sie genervt davon gewesen, mit der Straßenbahn von Grünwald nach München zur Arbeit zu pendeln. Doch mittlerweile hatte sie die Vorzüge erkannt, sodass sie die Fahrten zum Lesen nutzte.

Allerdings fuhr keine S-Bahn in ihre Straße, die außerhalb des Ortskerns in einer ruhigen Wohngegend lag. Daher musste sie das letzte Stück ihres Arbeits- und Heimwegs zu Fuß nehmen.

Als eine weitere Böe den Schirm erfasste, packte sie ihn mit beiden Händen und kniff die Augen zusammen, da der Wind direkt von vorne kam. Ein Blitz zuckte auf und wurde gleich von einem dunklen Grollen beantwortet.

Lina wunderte sich, dass das Gewitter so nah war. Mit schnellen Schritten folgte sie der Straße und kam an eine Abzweigung. Keine Menschenseele war zu sehen. Vermutlich hatten sich schon alle in die Sicherheit ihrer Häuser retten können.

Kurz überlegte sie, ob sie die Abkürzung über einen Feldweg nehmen könnte, der sie geradewegs in den Garten ihrer Wohnung führen würde. Bei einem Gewitter war es nicht ungefährlich, im Flachen herumzulaufen. Oder sollte man den Wald meiden? So genau konnte sie sich nicht mehr an die Warnungen aus ihrer Kindheit erinnern. Andernfalls wollte sie nur auf schnellstem Weg nach Hause gelangen. Also bog sie in den Feldweg ein und beschleunigte ihren Schritt noch ein bisschen mehr.

Das Sausen des Windes begleitete Lina, die weiterhin mit ihrem Schirm kämpfte, von dem bereits zwei Stangen verbogen waren. Der Stoff flatterte nervös, sodass er kaum noch Schutz vor dem Regen bot. Wieder blitzte es auf. Der Weg vor ihr wurde in einem unnatürlich hellen Licht erstrahlt. Ein wenig erinnerte es sie an die Sonnenbank, die sie damals in ihren Zwanzigern immer wieder mal besucht hatte.

Das Donnern, das unmittelbar folgte, ließ die Neununddreißigjährige erschrocken zusammenfahren. Das Gewitter war nun direkt über ihr. Sie verfluchte den Tag, der mal wieder nichts gebracht hatte, als monotone Arbeit, genervte Besucher und dieses verfluchte Wetter zum krönenden Abschluss.

Linas Fuß versank plötzlich in einer Schlammpfütze, sodass sie angewidert ihren Fuß hob und einen Blick auf ihre Schuhe warf, die nun völlig hinüber waren.

In diesem Moment passierte es. In einem grellen Aufblitzen wurde Lina darauf hingewiesen, dass sie einen folgenschweren Fehler begangen hatte. Der Schirm fiel und wurde vom Wind fortgerissen. Irgendwo in der Ferne war der Aufschrei einer Frau zu hören, der von dem tiefen Brüllen des Donners beantwortet wurde. Aber das bekam Lina schon nicht mehr mit. Auf dem Feldweg war es still. Trotz des Unwetters. Denn da, wo sich vorher eine Frau gegen den Regen gestemmt hatte, war nichts mehr. Nur wer näher hinging, konnte einen Kleiderhaufen auf dem Boden erkennen. Und unter ihm regte sich nichts.

***

David Solbacher hatte darauf verzichtet, sich in irgendeiner Weise anders zu kleiden, als er es gewöhnlich tat. Da er keine Lust auf dieses Dinner und Doppeldate mit seinem Kollegen, dessen Frau und ihrer ledigen Freundin hatte, wollte er nicht noch schauspielern. Außerdem waren ihm inszenierte Treffen eh zuwider. David mochte es natürlich. Daher trug er einfache Jeans und ein Karohemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte. Eine Tätowierung schaute darunter hervor. Sie zeigte die Silhouette eines Nadelwaldes.