Dr. Stefan Frank Großband 28 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank Großband 28 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

10 spannende Arztromane lesen, nur 7 bezahlen!

Dr. Stefan Frank - dieser Name bürgt für Arztromane der Sonderklasse: authentischer Praxis-Alltag, dramatische Operationen, Menschenschicksale um Liebe, Leid und Hoffnung. Dabei ist Dr. Stefan Frank nicht nur praktizierender Arzt und Geburtshelfer, sondern vor allem ein sozial engagierter Mensch. Mit großem Einfühlungsvermögen stellt er die Interessen und Bedürfnisse seiner Patienten stets höher als seine eigenen Wünsche - und das schon seit Jahrzehnten!

Eine eigene TV-Serie, über 2000 veröffentlichte Romane und Taschenbücher in über 11 Sprachen und eine Gesamtauflage von weit über 85 Millionen verkauften Exemplaren sprechen für sich:
Dr. Stefan Frank - Hier sind Sie in guten Händen!

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2470 bis 2479 und umfasst ca. 640 Seiten.

Zehn Geschichten, zehn Schicksale, zehn Happy Ends - und pure Lesefreude!

Jetzt herunterladen und sofort eintauchen in die Welt des Dr. Stefan Frank.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 1226

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Stefan Frank
Dr. Stefan Frank Großband 28

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2018 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Gorodenkoff/shutterstock

ISBN: 978-3-7517-6487-2

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Dr. Stefan Frank Großband 28

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Dr. Stefan Frank 2470

Ich bleibe ich

Dr. Stefan Frank 2471

Halt mich, bis die Angst mich verlässt

Dr. Stefan Frank 2472

Vergiss ihn endlich!

Dr. Stefan Frank 2473

Mutter wider Willen

Dr. Stefan Frank 2474 - Arztroman

Kindermädchen für Papa gesucht

Dr. Stefan Frank 2475

Der geheime Schwur

Dr. Stefan Frank 2476 - Arztroman

Plötzlich ist es Liebe

Dr. Stefan Frank 2477

Vertraue nicht dem falschen Mann

Dr. Stefan Frank 2478

Der doppelte Weihnachtsmann

Dr. Stefan Frank 2479

Kannst du mich gesund machen, Dr. Frank?

Guide

Start Reading

Contents

Ich bleibe ich

Carina lässt sich von ihrer Krankheit nicht die Lebensfreude nehmen

„Was hast du denn da?“, fragt Carinas Kollegin und deutet auf den Arm der jungen Zahnarzthelferin.

Verwundert blickt diese auf ihr Handgelenk. Ein großer weißer, wellenförmiger Fleck zeichnet sich darauf ab. Nanu, was kann das nur sein?

Im Laufe der nächsten Tage und Wochen zeigen sich immer mehr von diesen Flecken auf Carinas Haut. Auch ihr Gesicht ist betroffen.

Ein Besuch bei ihrem Hausarzt Dr. Stefan Frank bringt eine furchtbare Erkenntnis: Carina leidet unter einer unheilbaren Krankheit, die nach und nach ihren gesamten Körper verändern wird.

Doch als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, zieht die Erkrankung für Carina weitere Schicksalsschläge nach sich. Kann sie in all dem Kummer trotzdem noch sie selbst bleiben und das Glück wiederfinden?

„Eigentlich habe ich kein Recht dazu, dich mit diesem Auftrag zu betrauen“, sagte Rudolf Eckstein und rollte seinen Rollstuhl näher an das Kaminfeuer heran. Nachdenklich blickte er in die zuckenden orangefarbenen Flammen.

„Du kannst mich um alles bitten“, versicherte Patrick seinem Kollegen und Mentor. Mit seinen achtundzwanzig Jahren hatte Patrick sich bereits über die Grenzen von München hinaus einen Ruf als Anwalt aufgebaut. Seine Fachgebiete waren Straf- und Erbrecht. Er galt als gnadenlos, aber fair.

Inzwischen gehörte er zu den Top-Anwälten seiner Heimatstadt. Ungerechtigkeit konnte er nicht ausstehen.

„Soll ich dir das Mandat für diesen Jungen abnehmen?“

„Nein, darum werde ich mich selbst kümmern. Dieser Apotheker kann keinen Teenager anfahren und sich dann mit einer Bestechung aus der Affäre winden. Ich werde mit einer Nebenklage dafür sorgen, dass der Fahrer ebenso zu Verantwortung gezogen wird wie der Polizeibeamte, der sich hat schmieren lassen. Und dafür, dass der junge Mann ein angemessenes Schmerzensgeld erhält.“

„Worum wolltest du mich dann bitten?“

„Nun, um ehrlich zu sein – meine Bitte sprengt den üblichen Rahmen.“

„Tatsächlich?“ Nun wurde Patrick wirklich neugierig.

Er hatte als Bote in der Kanzlei von Rudolf Eckstein angefangen, um sich sein Jurastudium zu finanzieren. Der ältere Anwalt hatte damals wohl etwas in ihm gesehen, was ihm gefallen hatte, und begonnen, ihn zu fördern: mit Büchern, Diskussionen über brisante Fälle und der Ermutigung, dass er auf einem guten Weg sei.

Geld hatte Patrick niemals von ihm angenommen, obwohl der Anwalt es ihm mehr als einmal angeboten hatte. Er hatte sich selbst durchgebissen und einen exzellenten Abschluss geschafft. Der Kampf hatte ihn härter und erfahrener gemacht, was ihm vor Gericht häufig einen Vorteil verschaffte. Das nächtelange Lernen, jahrein, jahraus, hatte sich bezahlt gemacht.

Seine Familie … nein, über sie mochte er lieber nicht nachdenken. Rudolf Eckstein war ihm mehr Familie, als seine eigene es jemals gewesen war. Er dankte es ihm mit unverbrüchlicher Loyalität.

Die Kanzlei seines Mentors beschäftigte zahlreiche Anwälte unter der Leitung von Rudolf Eckstein. Trotz seines Gebrechens, das ihn an den Rollstuhl fesselte, war der Anwalt einer der gefürchtetsten Gegner vor Gericht. Sein Verstand war messerscharf, und seine Vorbereitung auf jeden Fall umfassend. Er überließ nie etwas dem Zufall. Das war eines der vielen Dinge, die sich Patrick bei ihm abgeschaut hatte.

„Du sollst eine Frau finden“, erklärte er nun überraschend.

Verblüfft sah Patrick seinen Kollegen an.

„Du willst also wieder heiraten?“

„Was? Oh, aber nicht doch.“ Ein Lächeln huschte über das bärtige Gesicht des Älteren. „Du sollst diese Frau nicht für mich suchen, sondern für dich!“

„Für mich.“ Patrick hob abwehrend beide Hände. Der Schmerz war vertraut, traf ihn jedoch wie immer mit voller Wucht. Was er verloren hatte, war mit Worten nicht zu erfassen. „Eine Heirat ist für mich kein Thema mehr. Das weißt du.“

„Ja, das weiß ich, aber ich weiß auch, dass du auf keinen Fall für den Rest deines Lebens allein bleiben solltest. Willst du das etwa?“

Patrick presste die Kiefer so fest aufeinander, dass es in seinen Ohren knirschte. Ob er das wollte? Nun, das Schicksal fragte nicht immer nach den persönlichen Wünschen. In seinem Fall hatte es mit scharfer Klinge einen Schnitt gemacht, der endgültig war. Nein, nach seinem Wollen ging es nicht. Schon lange nicht mehr …

„Patrick.“ Die Stimme seines Mentors wurde sanfter. „In unserem Beruf geht es um mehr als Paragraphen und Präzedenzfälle. Es geht um Menschen. Ein Anwalt mit einer eigenen Familie hat für bestimmte Zusammenhänge und Verhältnisse ein besseres Verständnis als ein Single. Eine Heirat wird dich auf mehr als nur einem Gebiet voranbringen.“

„Das bezweifle ich.“ Bitterkeit schwang in Patricks Stimme mit. Er konnte es nicht verhindern.

„Ich werde diese Kanzlei nicht ewig leiten können. Früher oder später brauche ich einen Nachfolger. Dabei habe ich an dich gedacht, Patrick. Du wärst perfekt geeignet, das weiß ich. Alles, was du dafür noch brauchst, ist eine Frau.“

„Du willst mir die Kanzlei übergeben?“ Das verschlug Patrick sekundenlang den Atem. Natürlich wurde unter den Kollegen hin und wieder spekuliert, wem die Leitung eines Tages übertragen würde. Etliche Partner waren schon im Gespräch gewesen, aber niemals Patrick. Immerhin war er der Jüngste der Partner und stand damit trotz seiner Erfolge weit unten auf der Liste.

„Du bist wie ich vor vielen Jahren“, bekannte Rudolf Eckstein und rieb sich das bärtige Kinn. „Loyal, ehrgeizig und getrieben von dem unbedingten Wunsch nach Gerechtigkeit. Ich möchte dich als meinen Nachfolger. Heirate, Patrick, dann bekommen wir beide, was wir uns wünschen.“

Heiraten. Beinahe hätte er geschnaubt. Wie stellte sich sein Chef das denn vor? Selbst wenn er es wollte, hatte er nicht die Zeit, jemanden zu finden. Es war schließlich nicht so, als würde eine Frau so einfach vom Himmel fallen …

Mit einem Mal sah er in seiner Erinnerung einen blonden Engel mit leuchtend blauen Augen und einem hellen Lachen, das vom Himmel selbst zu kommen schien und ihm das Herz frei und leicht machte. Mit ihr hatte er den glücklichsten Sommer seines Lebens verbracht.

Oh, Himmel, es schien so lange her zu sein, als wäre es in einem anderen Leben gewesen. Carina … Etwas schnürte ihm die Brust zusammen. Sicherlich war sie längst vergeben und hatte eine Schar Kinder mit einem anderen Mann, der nicht so dumm war wie er und sie verlassen hatte.

Es gab Fehler, die ließen sich nicht rückgängig machen. Ihre Trennung war einer davon.

„Mit einer Heirat würde ich niemandem einen Gefallen tun“, argumentierte er.

„Warum glaubst du das?“

„Weil ich von früh bis spät bei der Arbeit bin. Welche Frau würde das mitmachen? Ich will meinen Beruf nicht zurückstellen. Jetzt jedenfalls noch nicht. Und ich habe kein Interesse daran, jeden Abend mit Zank und Streit empfangen zu werden, weil es wieder später geworden ist. Davon habe ich vor Gericht schon genug.“

„Du traust deiner Frau nicht allzu viel zu, scheint mir.“

„Ich habe keine Frau, und das ist auch besser so.“

„Mit der richtigen Partnerin wird sich einiges ändern. Womöglich auch deine Einstellung.“

„Darauf würde ich nicht wetten.“ Patrick schüttelte grimmig den Kopf. Die Aussicht auf die Leitung der Kanzlei war verlockend, aber nichts für ihn, wenn daran eine Heirat gebunden war. Er musste ablehnen.

„Ich wäre beruhigt, wenn ich meine Kanzlei in guten Händen wüsste. Ehrlich gesagt, kämpfe ich mich nur deshalb noch jeden Morgen hierher, weil ich noch keinen Nachfolger habe. Sonst würde ich längst meinen Ruhestand genießen.“

Patrick zerbiss einen Fluch auf den Lippen. Er verdankte seinem Mentor viel, um nicht zu sagen, alles. Seinen Wunsch konnte er nicht so einfach abtun und Nein sagen. Eine Zustimmung schien jedoch ebenso ausgeschlossen zu sein.

Er saß in der Klemme. Wie er sich auch entschied: Jeder Weg würde sein Leben völlig auf den Kopf stellen!

***

Der Herbst kündigte sich in München mit den ersten Stürmen an. Buntes Laub wirbelte durch die Straßen, und es wurde spürbar früher dunkel als noch vor wenigen Wochen. Carina liebte diese Jahreszeit.

Endlich konnte sie wieder ihre kuscheligen Stricksachen hervorkramen, Kerzen anzünden und sich abends mit einem schönen Buch im Schein der Leselampe in ihren Sessel kuscheln. Dazu ein Glas Tee und Zimtplätzchen …

Die Zahnarztpraxis ihres Chefs befand sich in einer Gasse unweit der Marienkirche. Die zentrale Lage bescherte ihnen reichlich Patienten. Die Praxis war auf ästhetische Behandlungen spezialisiert. Dazu gehörten Implantate, Bleachings und Korrekturen, Veneers sowie Zahnschmuck.

Die Praxis war ebenso modern wie exklusiv, weil überwiegend Privatpatienten behandelt wurden. Dr. Rothe schrieb Perfektion groß. Er gab sich nicht mit dem Mittelmaß zufrieden. Das sprach sich unter seinen Patienten natürlich herum.

Carina arbeitete seit zwei Jahren als Zahnarzthelferin für Dr. Rothe. Sie liebte den Kontakt zu den Patienten und half gern dabei, dass diese wieder unbeschwert essen und lächeln konnten.

Der letzte Patient für diesen Tag war bereits vor zehn Minuten gegangen. Carina hatte ihre weiße Arbeitskleidung gegen einen bunt geringelten Strickpulli und ihre Lieblingsjeans vertauscht. Dazu trug sie Stiefeletten. Sie dekorierte den Empfangstresen mit einer Blumenschale, die sie selbst zusammengestellt hatte. Zwischen den bunten Astern ragten Pilze, buntes Laub und ein Eichhörnchen aus Holz hervor.

„Süß sieht das aus“, bemerkte ihre Kollegin, die noch am Computer saß und Rechnungen tippte.

Nina war mit ihren fünfundzwanzig Jahren ein Jahr älter als Carina und arbeitete schon einige Monate länger in der Praxis. Ihre rötlichen Haare waren fransig geschnitten und frech in die Stirn gezupft. Ihre grünen Augen blitzten und verrieten Humor und Lebensfreude.

„Trotzdem bin ich heilfroh, wenn du wieder eine Schale mit Sommerblumen und Sand dekorieren kannst. Den Herbst und den Winter könnte man meinetwegen gern abschaffen.“

„Warum denn das?“

„Zu kalt. Zu nass. Zu dunkel. Muss ich noch mehr aufzählen?“

„Ich finde den Herbst herrlich. Dann kann man es sich drinnen wunderbar gemütlich machen.“

„Das meinst du nicht ernst, oder?“

„Doch, natürlich. Komm doch morgen früh einmal mit zum Joggen. Morgens ist die Luft jetzt herrlich klar und duftet nach Wald und Pilzen.“

„Und sie ist neblig und kalt. Obendrein ist es meistens noch dunkel, wenn du losläufst. Nee, du, ohne mich.“ Nina verzog das Gesicht, als hätte man ihr soeben eine Zahnextraktion ohne Betäubung angeboten. „Am liebsten würde ich mich wie meine Schildkröte für fünf Monate zurückziehen und Winterschlaf machen.“

„Und den ersten Flockenwirbel verpassen?“ Carinas Augen leuchteten. „Auf keinen Fall!“

„Was sagt denn dein Schatz zu deiner Vorliebe für die dunkle Jahreszeit?“

„Oh, die stört ihn nicht, solange er nicht früh im Dunkeln mit mir aufstehen muss.“

„Das kann ich mir denken.“ Nina schmunzelte. „Was habt ihr zwei denn heute Abend vor?“

„Wir haben Training.“

„Schon wieder? Wäre das nicht eigentlich erst morgen?“

„Eigentlich ja, aber die Tanzmeisterschaften stehen kurz bevor, deshalb haben wir unser Training von zwei- auf dreimal die Woche ausgedehnt.“

„Nur gut, dass ihr beide so verrückt nach Tanzen seid, sonst würdet ihr euch gar nicht mehr sehen.“

„Da sagst du was.“ Carina musste lächeln, als sie an ihren Freund dachte. Fabian und sie harmonierten auf so vielen Gebieten miteinander, dass sie ihr Glück manchmal kaum fassen konnte. Seit einer großen Enttäuschung war sie allein gewesen, bis der Mechaniker ihr Herz erobert hatte …

„Was werdet ihr denn bei den Meisterschaften tanzen?“

„Unter anderem Salsa.“

„Uuuhhh, heiß“, erwiderte Nina mit einem scherzhaften Augenzwinkern. „Ihr werdet die Herzen der Jury zum Schmelzen bringen. Da bin ich mir sicher.“

„Das ist auch der Plan“, ging Carina auf den heiteren Ton ihrer Kollegin ein und griff nach der Gießkanne, um ihre Blumenschale zu wässern. Sie musste sich ein wenig recken, um die Kanne zu erreichen. Dabei rutschte der Ärmel ihres Pullovers nach oben.

„Nanu? Was hast du denn da?“

„Wo?“

„Na, dort!“ Nina deutete auf ihr Handgelenk.

Carina blickte an sich hinunter und entdeckte einen weißen Fleck auf ihrer Haut, der sich deutlich abzeichnete. Er war wellenförmig begrenzt und ungefähr so groß wie zwei Briefmarken nebeneinander. Sie rubbelte mit einem Finger darüber, aber der Fleck hielt sich.

„Komisch. Was das ist, weiß ich auch nicht. Heute früh unter der Dusche war das noch nicht da, glaube ich.“

„Hast du dich heute beim Desinfizieren zu sehr geschrubbt?“

„Sieht fast so aus.“ Carina hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Ich habe schon gewischt und alles sterilisiert. Kann ich dir noch mit den Abrechnungen helfen?“

„Danke, aber ich bin fast fertig. Das hier ist die Letzte.“

„Prima, dann mache ich mich jetzt auf den Heimweg. Ich muss unbedingt noch etwas essen, ehe wir zum Training fahren. Ich bin am Verhungern.“

„Bis morgen dann.“

„Ja, bis morgen.“ Carina nickte ihrer Kollegin zu, nahm ihre Wolljacke aus dem Spind und verließ die Praxis.

Ihr Fahrrad war im Hinterhof an einen Baum angeschlossen. Sie löste das Schloss, schwang sich in den Sattel und radelte nach Hause.

Ihre Wohnung war zwanzig Minuten entfernt – ein hübsches Appartement mit zwei Zimmern und Zugang zum Garten. Carina hatte die Räume in ihren Lieblingsfarben eingerichtet: Blassgrün und Himmelblau. Nun erinnerten sie an den Wald an einem sonnigen Frühlingstag.

Daheim angekommen, duschte sie sich rasch und schlüpfte in einen langen beigen Stufenrock, ein hellblaues Top und eine blaue Strickjacke mit lustigen Fransen. Sie bürstete ihre Haare, bis sie glänzten, und war gerade fertig, als sie hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte und ihr Freund hereinkam.

Fabian teilte sich eine Dachgeschosswohnung mit seinem besten Freund Milan. Da Milan gern mal eine Frau mit heimbrachte und Fabian dann ungern das dritte Rad war, hielt er sich öfter bei Carina als bei sich daheim auf. Ihr war das gerade recht so, denn sie mochte sich am liebsten gar nicht von ihm trennen.

„Hey, du.“ Er beugte sich zu ihr und begrüßte sie mit einem liebevollen Kuss. „Du siehst wieder umwerfend aus. Da kann ich nicht mithalten.“

„Unter all dem Öl versteckt sich ein attraktiver Mann, das weiß ich genau“, neckte sie ihn.

„Meinst du?“ Er blickte auf seine Hände hinunter, die tatsächlich noch einige dunkle Flecken aufwiesen. Fabian arbeitete in einer Autowerkstatt, deshalb wurde er von seinen Freunden scherzhaft „Autodoktor“ genannt. Er war vier Jahre älter als Carina und hatte kurze, dunkelblonde Haare und blaue Augen, die stets ein wenig übermütig blitzten.

Carina hatte eine Autopanne gehabt, als sie sich eines Nachts auf der Heimfahrt von einem Besuch bei einer Freundin befunden hatte. Damals hatte Fabian hin und wieder für einen Automobilclub gearbeitet und war ihr zu Hilfe gekommen. Sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden, und so hatte sie seine Einladung zu einem gemeinsamen Abendessen gern angenommen.

Seine Tanzpartnerin war gerade fortgezogen, und da Carina gern tanzte, hatte sie eingewilligt, mit ihm zu trainieren. Inzwischen waren sie seit über zwei Jahren ein Paar – privat und auch auf der Tanzfläche.

„Wie war dein Tag, Spatz?“, erkundigte er sich.

„Eigentlich wie immer. Wir hatten einen Notfall zwischendurch. Ein Kind war in der Schule vom Stufenbarren gefallen und hatte sich einen Zahn ausgeschlagen. Es sah schlimm aus. Hat wie wild geblutet. Die Mutter der Kleinen ist uns im Vorzimmer umgekippt. Der Chef konnte den Zahn dann wieder einsetzen. Mit etwas Glück wächst er wieder an.“

„Das hat die Eltern sicherlich gefreut.“

„Und ob.“ Carina nickte. „Das arme Mädchen war zu Tode erschrocken.“

„Kann ich mir denken.“

„Und wie war es bei dir?“

„Ach, lang und anstrengend. Außerdem hat mir der Chef wieder damit in den Ohren gelegen, endlich meinen Meister zu machen. Er will mir die Leitung der Werkstatt übertragen.“

„Das ist doch großartig!“

„Großartig? Ich hätte jahrelang weder Freizeit noch Urlaub. Warum soll ich mir die Paukerei antun, wenn ich finanziell auch so gut über die Runden komme?“

„Weil es ein großer Schritt nach vorn wäre. Überleg nur: deine eigene Werkstatt! Du könntest so viel bewirken.“

„Darauf kommt es mir aber nicht an. Ich möchte mein Leben genießen. In ein paar Jahren denke ich vielleicht anders darüber, aber jetzt bin ich noch nicht bereit, so viel Freizeit zu opfern. Mein Gehalt ist nicht übel. Ich muss kein Chef sein. Echt nicht.“

„Aber du hast das Zeug dazu. In ein paar Jahren findet dein Chef vielleicht einen anderen Nachfolger. Was, wenn du dann bereust, nicht zugegriffen zu haben?“

„Ich glaube kaum, dass das passieren wird.“

„Und wenn doch?“

„Warum ist dir das denn so wichtig? Bin ich dir als kleiner Mechaniker etwa nicht gut genug?“ Er kniff die Augen zusammen.

„Unsinn. Ich bin glücklich, wenn du es bist. Ich möchte nur nicht, dass du etwas tust, was du hinterher bedauerst.“

„Das werde ich bestimmt nicht.“ Ein tiefer Atemzug entfuhr ihm, und seine Schultern sanken nach unten. „Hör mal, ich habe unser Outfit für den Wettkampf ausgesucht. Ich werde einen dunkelblauen Anzug tragen und du … Was hältst du davon?“ Er zog eine Fotografie aus seiner Tasche. Sie schien aus einem Katalog ausgerissen zu sein. Darauf war ein winziger Stofffetzen abgebildet.

Carina runzelte die Stirn.

„Der Bügel ist schön. Aber wo ist das Kleid?“

„Das ist ja der Clou! Es ist ein Hingucker, oder nicht? Man wird viel von deinen langen Beinen und deiner makellosen Haut sehen.“

„Ein wenig zu viel für meinen Geschmack.“

„Sei nicht so prüde, mein Spatz.“

„Lieber prüde als halbnackt. Ich möchte nicht gerade unbekleidet zu dem Wettbewerb erscheinen.“

„Das wirst du auch nicht. Alle sensiblen Stellen werden bedeckt sein. Was ist schon dabei? Du hast einen perfekten Körper und kannst es dir leisten, Haut zu zeigen. Ich bin so stolz auf meine bildschöne Freundin.“ Fabian strich ihr zärtlich über die Wange und küsste sie wieder. Etwas in ihr schien zu schmelzen.

Sie betrachtete das Foto noch immer zweifelnd. Das war kein Kleid, das waren nur ein paar Streifen, die durch glitzernde Schnüre zusammengehalten wurden. Sollte sie wirklich so zu dem Wettkampf auftauchen?

Fabian streichelte ihre Taille und tupfte einen glühend heißen Kuss auf ihre empfindliche Halsbeuge. Ein wohliger Schauer rieselte durch ihren Körper. Sie schlang ihm die Arme um den Hals. Dabei fiel ihr Blick auf einen weiteren weißen Fleck auf ihrer Haut. Er zeichnete sich an ihrem rechten Unterarm ab.

Wie merkwürdig! Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Was war das nur?

***

Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee begrüßte Carina am nächsten Morgen in der Praxis ihres Chefs. Nina saß bereits am Computer und nippte an einem Becher.

„Guten Morgen“, begrüßte Carina ihre Kollegin und ging in das Umkleidezimmer. Sie hängte ihre Jacke in den Spind und spähte durch die offene Tür. „Wunderbar, du hast schon Kaffee gemacht. Danke, du bist meine Lebensretterin.“

„Hast du auch nicht gut geschlafen?“

„Gar nicht. Ich war immer wieder wach.“

„Ich auch. Muss am Vollmond liegen. Oder an sonstigen nächtlichen ‚Störungen‘.“ Nina malte mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft und kniff verschmitzt ein Auge zu. „Ich nehme an, Fabian ist heute Morgen auch noch nicht ganz wach?“

„Weiß ich leider nicht. Er ist gestern nach dem Training nicht noch mal mit zu mir gekommen. Er erwartet heute früh eine Lieferung, deshalb ist er gleich zu sich nach Hause gefahren.“

„Ach so.“

Carina vertauschte ihre Straßenkleidung mit der weißen Praxis-Garderobe und kehrte zu ihrer Kollegin zurück, um sich einen Becher mit Kaffee und einem Spritzer Milch zu füllen.

„Das tut gut. Ohne Koffein funktioniere ich morgens einfach nicht richtig.“

„Es soll ja Menschen geben, die trinken ihren ersten Kaffee bei der Arbeit. Ich frage mich immer: Wie kommen die dann überhaupt dahin?“, scherzte Nina.

„Schlafwandler“, konstatierte Carina. „Alles Schlafwandler.“

„So muss es sein.“ Schmunzelnd wandte sich ihre Kollegin wieder dem Computer zu, und auch Carina begann mit ihrer gewohnten morgendlichen Runde. Sie bereitete im Behandlungszimmer alles vor, öffnete die Fenster, um frische Luft hereinzulassen, und schaltete ihren eigenen Rechner ein.

Dr. Roth traf wenig später ein und begrüßte seine Helferinnen wortkarg wie immer. Er war ein ausgezeichneter Zahnarzt, allerdings kein Morgenmensch. Richtig auftauen würde er erst kurz vor der Mittagspause.

Carina hatte einen frischen Strauß Herbstblumen mitgebracht. Den stellte sie nun in eine Vase und suchte dafür einen schönen Platz im Wartezimmer. Die leuchtend bunten Astern waren ein fröhlicher Farbtupfer.

Dann füllte sie den Wasserspender auf und schaltete den Fernseher ein, auf dem ein Nachrichtenkanal eingeschaltet war. Gerade wurden die Wetteraussichten gesendet. In den nächsten Tagen stand ihnen offenbar eine Mischung aus Regen, Sturm und Sonnenschein bevor.

Um kurz vor sieben traf der erste Patient ein. Er trug einen modischen dunklen Anzug und darüber einen Wollmantel. In der Hand hielt er eine Mappe aus dunklem Leder. Seine dunkelblonden Haare waren kurz geschnitten und rahmten ein markantes Gesicht ein, das von einem Paar stahlgrauer Augen dominiert wurde.

Seine rechte Wange war geschwollen, und er rieb sich unbehaglich darüber. Die Geste verriet, dass er starke Schmerzen hatte. Das war es jedoch nicht, was Carina überrascht nach Luft schnappen ließ.

Vor ihr stand niemand anders als Patrick Schwarze – ihr Exfreund!

Mit einem Mal schien die Uhr stillzustehen.

Fünf Jahre hatten sie einander nicht gesehen, aber die Zeit schien ihm nicht das Geringste angetan zu haben. Im Gegenteil. Sie hatte seine Ecken und Kanten geschärft und ihn nur noch attraktiver gemacht. Abgesehen von seiner geschwollenen Wange sah er aus, als würde er in einer Hollywood-Anwaltsserie mitspielen.

Carinas Herz vollführte einen Salto in ihrem Inneren. Sie konnte nicht atmen, nichts tun oder sagen. Erst, als er fragend eine Braue hochzog, dämmerte ihr, dass er sie etwas gefragt haben musste.

„Entschuldige“, riss sie sich zusammen. „Was hast du gesagt?“

„Könnte ich bitte bei deinem Chef mit drankommen? Die Zahnärztin, zu der ich sonst gehe, ist im Urlaub und noch zwei Wochen weg. So lange halte ich es auf keinen Fall aus. Ich könnte die Wände hochgehen vor Schmerzen.“

„Ich verstehe.“ Carina tauschte einen fragenden Blick mit Nina, die für die Koordination der Termine zuständig war und ihr zunickte. „Das sollte kein Problem sein. Füllst du bitte diesen Anamnesebogen aus? Wir brauchen deine Versicherungskarte und einige Angaben von dir.“ Sie reichte ihm ein Klemmbrett mit dem Fragebogen zu Vorerkrankungen, Allergien und Beschwerden.

„Vielen Dank.“ Patrick ließ sich auf einem der Stühle in der Nähe des Empfangs nieder und beugte sich über den Fragebogen. Das gab Carina Zeit, mit ihrer Überraschung fertigzuwerden. So leicht ging das jedoch nicht. Das Wiedersehen mit dem Mann, der ihre erste große Liebe gewesen war, wühlte zahlreiche Erinnerungen in ihr auf.

Es war bittersüß, wieder an ihr Glück zu denken. Einen Sommer lang hatte sie geglaubt, es könnte für immer sein. Bis Patrick sie verlassen hatte.

Er hatte noch mitten im Studium gesteckt und war nicht bereit für eine feste Bindung gewesen. Carina hatte keine Ahnung von seinen Vorbehalten gehabt und war aus allen Wolken gefallen, als er Schluss gemacht hatte.

Die Trennung hatte Carinas Vertrauen in andere Menschen nachhaltig erschüttert. Es hatte lange gedauert, bis sie sich wieder einem Mann hatte öffnen können. Erst mit Fabian war ihr das gelungen.

„Du, sag mal …“ Nina beugte sich zu ihr und senkte verschwörerisch die Stimme. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Sorge schwang in ihrer Stimme mit.

„Mir geht’s gut. Warum auch nicht?“

„Wegen dieser Flecken.“

„Was für Flecken?“ Carina trat vor den Spiegel an der Garderobe und schaute hinein. Dann sog sie bestürzt den Atem ein. An ihrer Kehle zeichneten sich links und rechts zwei beinahe handflächengroße weiße Stellen ab. Ähnlich wie die an ihren Händen. Du liebe Zeit! Vermehrten die sich etwa?

„Hast du dir kürzlich die Haare gefärbt, Carina? Bei Handtüchern hatte ich so etwas schon einmal. Das Zeug bleicht einfach alles aus.“

„Nein, ich färbe nicht.“ Carina strich über die weißen Flecken. Es tat nicht weh. Die Haut fühlte sich weich an, nicht anders als sonst. Allerdings wirkte sie tatsächlich irgendwie … entfärbt!

„Bist du vielleicht mit irgendeinem Putzmittel in Berührung gekommen?“

„Nicht am Hals. Ich habe auch nichts Neues verwendet. Kein anderes Duschgel oder so.“ Carina konnte sich das nicht erklären.

Sie huschte zur Toilette, zog zwei Papierhandtücher aus dem Spender, gab Wasser und Seife darauf und schrubbte ihren Hals ab. Die Haut rötete sich dadurch kurzzeitig, verblasste jedoch sofort wieder. Und die weißen Flecken blieben bestehen. Ihre ohnehin schon helle Haut schien völlig entfärbt zu sein. Es waren dieselben Flecken wie auf ihren Händen. Die übrigens auch größer geworden waren.

Sie breiten sich aus! Mein ganzer Körper könnte betroffen sein. Wenn sie bis zum Gesicht wandern … Oh nein!

Wie ein elektrischer Stromschlag zuckte die Erkenntnis durch sie hindurch.

Was konnte das denn nur sein?

Ratlos betrachtete sie sich selbst im Spiegel, aber eine Erklärung fand sie nicht. Die Flecken waren ihr unheimlich. Wahrscheinlich war es das Beste, wenn sie bei Gelegenheit ihren Hausarzt aufsuchte. Dr. Frank würde sicherlich eine Erklärung finden und sie behandeln können. Genau. So würde sie es machen.

Sie nickte sich selbst im Spiegel zu und kehrte ins Vorzimmer zurück.

Hier kam ihr Patrick entgegen.

„Bitte schön.“ Ein Lächeln huschte über sein ernstes Gesicht, als er ihr den Anamnesebogen zurückgab. „Ich bin fertig mit dem Ausfüllen.“

„Gut. Du kannst gleich zu Dr. Roth reingehen. Er ist schon da.“

„Wunderbar. Ich danke dir sehr.“

„Dafür sind wir ja da.“

„Es tut gut, dich wiederzusehen. Ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, dass du hier bist und wir beide …“ Er stockte.

„Du solltest jetzt zu Dr. Roth gehen. Der nächste Patient wird bald eintreffen.“

„Natürlich. Es ist nur … Wollen wir nicht einmal zusammen essen gehen?“

„Wir beide?“

„Und über alte Zeiten plaudern. Ich würde mich wirklich freuen, weißt du.“

„Patrick …“

„Ich lade dich ein!“

„Das geht nicht. Ich habe einen Freund, und dem wäre das bestimmt nicht recht.“

„Oh, natürlich. Das wusste ich nicht.“ Ein Schatten schien sich auf sein Gesicht zu legen. „Ich verstehe. Ja, natürlich.“ Er wandte sich um und betrat das Behandlungszimmer.

Carina war für die Stuhlassistenz zuständig und folgte ihm. Wie sich zeigte, hatte ihr früherer Freund eine entzündete Zahnwurzel, die bereits eiterte. An seinem Zahnfleisch zeigte sich eine gelbliche Beule, die äußerst druckempfindlich war.

Nach dem Röntgen stand fest, dass der Nerv nicht zu retten war. Ihr Chef musste eine Wurzelbehandlung ansetzen. Das bedeutete nicht nur eine langwierige Behandlung, sondern auch ein Wiedersehen mit Patrick. Und das schon bald …

***

Eine Woche lang suchte Carina nach einer freien Stunde, um ihren Hausarzt aufzusuchen, aber immer kam ihr etwas dazwischen: die Arbeit, das Tanztraining oder schlichte Erschöpfung, die sie abends auf der Couch einfach einschlafen ließ. Dabei wurden ihre Symptome ständig schlimmer: Immer neue weiße Flecken erschienen auf ihrer Haut. Betroffen waren vor allem ihre Hände und der Hals.

Eines Morgens entdeckte sie einen weißen Fleck an ihrer Schläfe. Er war kaum größer als ein Bonbon, aber ein sicheres Zeichen dafür, dass sich die Flecken weiter auf ihrem Körper ausbreiteten.

So geht das nicht weiter! Carina versuchte, die Stelle mit ihrem gewohnten Puder abzudecken, aber das war unmöglich. Das Weiß schimmerte durch. So fleckig, als hätte sie Scheuersand anstelle ihres Duschgels erwischt.

Was konnte das bloß sein?

Sie schaltete ihren Laptop ein und gab „Haut“ und „Flecken“ in die Suchmaschine ein. Wenig später erhielt sie rund elf Millionen Treffer. Sie scrollte durch die ersten Anzeigen. Altersflecken … Hautkrebs … Pigmentstörungen … Pilzinfektionen …

Carina seufzte leise. Das half ihr nicht wirklich weiter. Die Möglichkeiten waren zahlreich. Ein kurzer Blick in den Spiegel verriet ihr, dass die Flecken eher zu- als abnehmen würden. Ihr blieb also wirklich nur der Gang zum Arzt.

Kurz entschlossen rief sie ihren Chef an und sagte ihm, dass sie sich ein bis zwei Stunden verspäten würde, weil sie zum Arzt musste. Dann setzte sie sich auf ihr Fahrrad und radelte zur Praxis ihres Hausarztes.

Dr. Frank praktizierte in einer hübschen Villa in Grünwald, im Süden von München. Ein großer Garten umgab sein Haus. Am Zaun blühten Rosen und wippten leicht im Wind wie ein freundlicher Gruß.

Carina schloss ihr Fahrrad am Zaun an und strebte dann mit langen Schritten zu der Praxis, denn ein kühler Wind fauchte ihr entgegen und ließ sie frösteln. Erleichtert schloss sie die Eingangstür hinter sich und steuerte dann den Empfang an. Dahinter saß eine grauhaarige Frau in einem weißen Kittel. Ein Lächeln huschte über ihr rundes Gesicht, und als sie sprach, verriet ihr Dialekt ihre Berliner Herkunft.

„Guten Morgen, Carina. Ick glaube, du warst lange nicht mehr hier.“

„Das stimmt. Einen schönen guten Morgen, Schwester Martha.“

„Was kann ick denn für dich tun? Brauchst du einen Termin?“

„Am liebsten würde ich gleich mit drankommen, wenn es geht. Einen Termin habe ich aber leider nicht.“

„Det geht schon in Ordnung. Der Herr Doktor nimmt dich auf jeden Fall mit dran.“ Die Ältere nickte ihr lächelnd zu. „Du hast Glück, det du so früh hier bist. Es sind noch keine anderen Patienten hier.“

In diesem Augenblick wurde die Eingangstür geöffnet, und ein Postbote kam mit einem Stapel Briefe herein. Er schaute Carina an, dann weiteten sich seine Augen und hefteten sich auf ihre Kehle, als würden sie magnetisch davon angezogen.

Unbehaglich zupfte sie ihren Kragen höher. Daraufhin färbten sich die Wangen des Postboten rot. Er legte hastig die Briefe vor Schwester Martha ab, murmelte etwas, was nicht zu verstehen war, und war wenig später schon wieder verschwunden.

Schwester Martha blickte ihm tadelnd nach.

Carina wäre jedoch am liebsten im Boden versunken.

Diese Flecken waren aber auch zu auffällig! Ihr grauste ja inzwischen selbst davor. Wie musste ihre Haut dann erst auf Fremde wirken? Vermutlich dachte der Mann, die Flecken wären ansteckend. Kein Wunder, dass er einen Bogen um sie gemacht hatte.

Mit einem Mal fühlte sie sich hundeelend.

Schwester Martha deutete lächelnd zur Tür des Sprechzimmers.

„Dr. Frank ist schon da und wird sich gleich um dich kümmern. Geh ruhig zu ihm hinein.“

„Vielen Dank.“ Carina atmete auf. Sie klopfte an und betrat auf den Hereinruf ihres Hausarztes das Sprechzimmer.

Dr. Frank war ein warmherziger Mann in den Vierzigern. Carina war seit Jahren bei ihm in Behandlung. Meistens, wenn sie sich wieder einmal eine starke Erkältung oder eine Blasenentzündung zugezogen hatte. Auch zum Impfen kam sie zu ihm. Er stand hinter seinem Schreibtisch auf, um ihr die Hand zu geben und sie zu begrüßen.

„Was kann ich für Sie tun, Carina?“

„Ich habe seltsame weiße Flecken auf meiner Haut entdeckt. Zuerst dachte ich, es wäre … keine Ahnung, eine Allergie oder so etwas, aber sie gehen nicht weg. Stattdessen werden sie größer, und sie vermehren sich.“

Dr. Frank nickte. „Wie lange haben Sie diese Flecken schon?“

„Oh, so genau weiß ich das gar nicht. Anfangs waren sie nur an meinen Händen, da habe ich sie ignoriert. Ein paar Wochen vielleicht?“ Carina sah ihren Hausarzt unsicher an.

„Hatten Sie in letzter Zeit eine Verletzung oder einen Sonnenbrand?“

„Nein, beides nicht.“

„Was ist mit Stress? Oder einer schwierigen emotionalen Situation?“

„Eigentlich nicht. Ich habe viel Arbeit, das schon, aber in meiner Freizeit achte ich darauf, mich zu entspannen. Mein Freund und ich gehen viel tanzen, das tut mir gut.“

„Das glaube ich gern.“ Dr. Frank bat sie, ihre Bluse und die Jeans abzulegen, und inspizierte sorgsam ihre Haut. Er ging zügig, aber gründlich zu Werke, und so durfte sie sich bald wieder anziehen.

„Ist es Krebs, Herr Doktor?“

„Warum glauben Sie das? Gibt es Fälle von Hautkrebs in Ihrer Familie?“

„Das nicht, aber ich habe … na ja, ich habe im Internet nachgeschaut. Da stand, es könnte Krebs oder ein Pilz sein.“ Sie lächelte verlegen.

„Es ist nie ein Fehler, sich kundig zu machen. Allerdings liegt bei Ihnen kein Krebs und auch keine Pilzinfektion vor. Sie haben Vitiligo, Carina.“

„Vitiligo? Davon habe ich noch nie gehört.“ Ratlos schüttelte sie den Kopf.

„Man sagt auch Weißfleckenkrankheit dazu, und das trifft es eigentlich ziemlich genau. Passen Sie einmal auf. Ich kann es mit der Wood-Lampe sichtbar machen.“ Er richtete den Strahler einer Lampe auf ihre Hand. „Diese Leuchte sendet ultraviolettes Licht einer bestimmten Wellenlänge aus.“ Er knipste die Lampe an – und die weißen Flecken auf Carinas Haut leuchteten weißlich-gelb auf!

„Oh!“ Erschrocken schnappte sie nach Luft.

„Wir müssen noch ein paar Tests machen, um das Ausmaß der Erkrankung zu bestimmen. Ich werde eine Gewebeprobe entnehmen und im Labor untersuchen lassen. Wir machen Blut-Untersuchungen und noch einige andere Tests. Außerdem möchte ich Sie zu einem Augenarzt überweisen. Manchmal beeinträchtigt Vitiligo die Augen.“

„Die Augen?“ Entsetzt sah Carina ihren Hausarzt an.

„Die Überweisung ist nur vorbeugend, damit es gar nicht erst zu Beschwerden kommt“, begütigte Dr. Frank.

„Und können Sie mich behandeln? Ist diese Fleckenkrankheit heilbar?“

„Leider nein.“

„N-nein?“ Entsetzt riss sie die Augen auf.

„Heilbar ist die Erkrankung nicht, aber es gibt etliche Behandlungsmöglichkeiten, mit denen wir das Fortschreiten verzögern oder sogar rückgängig machen können.“

„Nur verzögern?“ Carina riss die Augen auf. „Heißt das, die Flecken bleiben mir für immer?“

„Vermutlich ja. Wir werden versuchen, an den betroffenen Hautstellen die Neubildung von Melanin anzukurbeln, aber der Erfolg ist ungewiss.“

Dr. Frank zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu Carina.

„Es ist leider so, dass man den Verlauf der Erkrankung nur schwer vorhersagen kann. Manchmal schreitet sie immer weiter fort, manchmal stoppt sie auch. Wir werden alles tun, damit sich die Symptome bei Ihnen nicht weiter ausbreiten.“

„Aber eine Garantie gibt es nicht.“

„Leider nicht. Man kann die Flecken mit Abdeckcremes kaschieren. Wir werden es mit einer Phototherapie versuchen und die betroffenen Hautstellen mit UV-Licht bestrahlen. Auch eine Lasertherapie kommt infrage. Damit lässt sich die Bildung von neuem Hautpigment anregen. Es gibt Salben, die helfen können. Auch eine Basisbehandlung mit Vitaminen und Spurenelementen ist ratsam. Wir werden das noch genau besprechen.“

Er lächelte zuversichtlich.

„Es ist also beileibe nicht aussichtslos. Allerdings werden Sie viel Geduld aufbringen müssen. Ob die Behandlungen anschlagen, sieht man erst nach Monaten.“

„Nach Monaten.“ Carina war wie vor den Kopf geschlagen. Die Diagnose war ein Schock für sie: eine unheilbare Krankheit! Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Die Flecken würden sich auf ihrem ganzen Körper ausbreiten und größer werden. Und die Wirkung von Gegenmaßnahmen war mehr als zweifelhaft.

Dr. Frank fuhr mit seinen Erläuterungen fort, aber Carina konnte ihm nicht mehr folgen. Ihre Gedanken wirbelten haltlos durch ihren Kopf und fanden weder einen Anfang noch ein Ende.

Sie fühlte sich nicht krank, aber ihr Körper trug die Male einer unheilbaren Erkrankung. Damit musste sie erst einmal fertigwerden. Es würde schlimmer und schlimmer werden, bis sie sich selbst nicht mehr wiedererkannte.

Sie hatte noch tausend Fragen und Bitten, aber nichts davon kam über ihre Lippen. Ihre Kehle war mit einem Mal wie zugeschnürt. Tränen sammelten sich hinter ihren Lidern – und brachen sich im nächsten Augenblick haltlos Bahn …

***

Carina konnte nicht schlafen.

Die Diagnose „Weißfleckenkrankheit“ hatte sie unvorbereitet getroffen. Natürlich waren ihr schon Menschen mit weißen Flecken auf der Haut aufgefallen. Der Nachbar ihrer Großmutter, zum Beispiel. Seine Hände waren von den Flecken befallen gewesen.

Sie erinnerte sich, das immer ein wenig unheimlich gefunden zu haben, aber weil er stets ein freundliches Wort auf den Lippen gehabt hatte, hatte sie ihn sehr gemocht.

Während ihr Freund friedlich schlief, stand sie leise auf, schlüpfte in ihren Morgenmantel und schlang den Gürtel in der Taille zusammen. Sie ließ ihren Laptop hochfahren, während sie einen Kakao kochte und sich wenig später mit dem Becher an den Computer setzte.

Sie wollte unbedingt wissen, woher ihre Erkrankung kam.

So gab sie Vitiligo in die Suchmaschine ein und erfuhr, dass eine Pigmentstörung der Haut die Erkrankung verursachte. Was genau der Auslöser war, wussten die Forscher noch nicht. Stress, aber auch eine genetische Veranlagung oder eine Autoimmunerkrankung kamen infrage.

Direkt vererbt wurde die Krankheit jedoch nicht. Wenn Carina eines Tages Kinder bekam, würden diese nicht unbedingt von der Krankheit betroffen sein. Das war immerhin ein kleiner Trost nach einem schmerzlichen Tag. Ansteckend war die Erkrankung ebenfalls nicht. Ihr Freund musste sich also keine Sorgen machen, ebenfalls daran zu erkranken. Aber eine Heilung war nicht möglich.

Carina nippte an ihrem Becher. In ihrer kleinen, gemütlichen Küche war es beinahe dunkel. Das Licht ihres Laptops bildete die einzige Lichtquelle, während draußen ein kräftiger Sturm um das Haus fauchte.

Carina las weiter. In der Haut gab es bestimmte Zellen, die das Hautpigment Melanin bildeten, welches der Haut ihren Farbton gab. Sonneneinstrahlung konnte die Bildung von Melanin verstärken und die Haut bräunen. Bei der Weißfleckenkrankheit versiegte die Produktion von Melanin an einigen Hautstellen.

Es war unmöglich, vorherzusagen, wo und wie weit sich diese Stellen ausbreiten würden. Dr. Frank hatte Carina ermutigt, durchzuhalten, aber sie fand im Internet Bilder von betroffenen Menschen und musste schlucken.

Einige sahen schlimm aus. Die Flecken hatten bizarre Muster auf ihren Körpern hinterlassen. Bei einem Mann hatten sich die Umrisse der Lippen weiß verbreitert. Er sah aus wie ein Clown.

Carina grub die Zähne in die Unterlippe.

Stand ihr das etwa auch bevor?

Zerstreut wollte sie sich mit der Hand durch das Haar fahren, doch dabei stieß sie mit dem Ellbogen an ihren Becher und stieß ihn vom Tisch. Klirrend zerbrach er auf dem Fliesenboden, und der restliche Kakao sickerte zwischen den Scherben hindurch.

„Oh nein!“ Erschrocken sprang Carina auf, riss einige Papierhandtücher ab und wischte die Bescherung auf. Halb blind vor Tränen schluchzte sie leise.

„Ja, sag einmal … Was veranstaltest du denn hier für einen Lärm?“ Fabian schlurfte in die Küche, mit nichts als blauen Boxershorts bekleidet. Er gähnte hinter vorgehaltener Hand und funkelte Carina mürrisch an.

„T-tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken.“

„Dein Lärm hätte Beethoven geweckt.“ Fabian trat vor den Kühlschrank und holte eine Flasche Cola heraus. Es zischte, als er sie öffnete. Mit der Flasche in der Hand trat er an den Laptop und musterte die Bilder. „Nicht gerade schön“, stellte er fest. „Warum schaust du dir das denn an? Willst du dich mal ordentlich gruseln?“

„Nein.“

„Warum denn dann?“

„Weil …“ Carina rieselte ein Schauer über den Rücken. „Weil ich auch bald so aussehen könnte“, gab sie leise zurück.

„So?“ Fabian lachte auf. „Das bezweifle ich aber stark, und das ist ein Glück.“

„Leider nicht. Ich … ich war heute bei Dr. Frank.“

„Ach. Warst du deshalb heute Abend so schweigsam? Hat er etwas gesagt, was dich beunruhigt?“

„Das hat er wirklich.“

„Erzähl.“ Fabian ließ sich auf die Eckbank sinken und nahm einen langen Schluck Cola. Dann sah er Carina fragend an.

Sie wusste nicht recht, wo sie anfangen sollte, aber nachdem die Diagnose Weißfleckenkrankheit erst einmal über ihre Lippen gekommen war, ging es wie von selbst.

Die Worte sprudelten aus ihr heraus, als wären sie froh, ein Ventil gefunden zu haben. Sie vertraute ihrem Freund ihren Kummer an, erzählt von den Symptomen und den Behandlungsmöglichkeiten, aber auch, dass kein Arzt sicher vorhersagen konnte, wie schlimm es werden würde und ob eine der Therapien anschlug.

„Dr. Frank hat mich zu einem Hautarzt überwiesen. Außerdem soll ich zum Augenarzt gehen, weil Vitiligo auch die Augen befallen kann.“

„Das hört sich doch an, als hätte er alles im Griff.“

„So einfach ist das leider nicht.“

„Mach dir nicht so viele Sorgen. Die Medizin ist so weit. Heutzutage ist fast alles behandelbar. Erst recht so eine Hautsache.“ Fabian nickte ihr ermutigend zu. „Lass dir deswegen nicht den Schlaf vermiesen, Liebes. Ich bin sicher, dass der Spuk bald vorbei sein wird.“

„Und wenn nicht? Die Krankheit ist nicht heilbar.“

„Dann gibt es immer noch Make-up und Selbstbräuner. Oder du gehst ins Sonnenstudio und lässt dich bräunen. Das ist wirklich kein Problem.“ Fabian stand auf und zog Carina in seine Arme. Leise murmelte er einen Trost. „Glaub mir, wir kriegen das hin.“

Und sie glaubte ihm. Vielleicht würde wirklich alles gar nicht so schlimm werden?

***

Doch es wurde schlimm.

Tage und Wochen gingen ins Land. Der Herbst schritt fort, ließ die Temperaturen sinken und die Blätter fallen. Morgens bedeckte Raureif wie eine hauchdünne weiße Decke die Wiesen und Bäume in den Vorgärten. In den Bergen fiel der erste Schnee, und die Menschen kramten bunte Mützen und Wollschals aus ihren Schränken und hüllten sich in warme Kleidung.

Carina hielt sich eisern an ihren Behandlungsplan. Sie wurde regelmäßig mit UV-B-Licht bestrahlt. Damit sollte die Pigmentierung ihrer Haut wieder angeregt werden. Das funktionierte auch, allerdings kehrte die Pigmentierung nicht vollständig wieder, sodass noch immer ein deutlicher Unterschied zwischen ihren Flecken und dem Rest ihrer Haut erkennbar war.

Der Hautarzt war zufrieden, weil sie auf die Behandlung ansprach, aber Carina war alles andere als glücklich. Was nutzte ihr das, wenn die Flecken noch immer deutlich als solche zu erkennen waren?

Anschließend bekam Carina eine Kombination aus Kortison und Bestrahlung. Doch das veränderte die Flecken kein bisschen.

Auch die Laser-Therapie brachte keinen Erfolg. Obendrein war sie teuer, weil Carinas Krankenversicherung sie nicht übernahm. Nach einigen Sitzungen war die junge Frau bereits am Ende ihres Limits und musste die Behandlung abbrechen, weil sie sich nicht verschulden wollte.

So sank ihre Hoffnung auf Besserung von Tag zu Tag.

Bald bedeckten weiße Flecken ihren Oberkörper und ihre Beine. Lediglich das Gesicht blieb halbwegs verschont. Hier zeigten sich lediglich an den Schläfen weiße Flecken, die die junge Zahnarzthelferin mit Abdeckcreme kaschierte. Das war jedoch aufwändig und verbarg die Flecken zudem nicht völlig.

Bei ihrer ohnehin schon hellen Haut durfte sie nicht zu viel Make-up nehmen, sonst sah es aus, als würde sie eine Maske tragen. Den Versuch mit dem Selbstbräuner hatte sie längst aufgegeben, weil das Ergebnis eine Katastrophe gewesen war. Es war unmöglich, die weißen Flecken so zu bräunen, dass sie sich nicht vom Rest der Haut abhoben.

Carina wusste keinen Ausweg mehr. Sie suchte im Internet nach Heilmitteln, fand jedoch nur dubiose Heilsalben, die zu horrenden Preisen feilgeboten wurden. Und Therapien, die sich alles andere als erfolgversprechend anhörten.

Ihre Symptome schritten sichtlich fort. Und ihre Verzweiflung wuchs.

Sie entdeckte ein Buch, das Heilung versprach und das sie in einer einzigen Nacht durchlas. Es versprach, dass Ruhe und eine gelassene innere Einstellung sie heilen würde. Doch das brachte sie nicht wirklich weiter.

Sie redete sich selbst zu, dass sie Geduld haben müsste. Doch jedes Mal, wenn sie von einer Lichtbestrahlung nach Hause kam und im Spiegel nach einem Zeichen von Erfolg suchte, wurde sie enttäuscht. Die Flecken hielten sich hartnäckig.

Allmählich dämmerte ihr, dass alles Sträuben vergebens war. Sie musste sich damit abfinden, dass sich ihre Haut für immer verändert hatte.

Mit dieser Erkenntnis fiel Carina in ein tiefes Loch.

Auf der Straße spürte sie die Blicke der Passanten auf ihrer Haut wie glühende Nadelspitzen. Sie glaubte, dass alle sie anstarrten. Ob das nun stimmte oder nicht – am liebsten hätte sie sich einen Schal vor das Gesicht gebunden, um sich unerkannt zwischen all den Menschen mit der intakten Haut bewegen zu können.

Solange das Wetter schön blieb, konnte sie mit dem Fahrrad zur Arbeit radeln. Das war halbwegs erträglich. An Regentagen musste sie jedoch auf den Bus ausweichen, was ihr zahlreiche fragende und bestürzte Blicke einbrachte. Der Weg zur Arbeit wurde zum Albtraum.

Fabian beteuerte ihr regelmäßig, dass sie sich das alles nur einbildete, und vielleicht stimmte das auch, aber ihre Beschwerden machten sie dünnhäutig – in mehr als nur einer Beziehung. Ihre Nerven lagen blank.

Sie brach beim kleinsten Anlass in Tränen aus. Und obendrein wurde ihre Haut durch die kortisonhaltige Salbe tatsächlich dünner und riss rasch ein, was schmerzhafte Wunden verursachte.

An einem regnerischen Morgen Anfang November blieb ihr Bus im Stau stecken, sodass sie sich verspätete. Atemlos hetzte sie zur Praxis ihres Chefs und kam dort mit durchnässten Hosen an.

Im Vorzimmer standen bereits zahlreiche Patienten und warteten darauf, angenommen zu werden. Die meisten hielten eine Versicherungskarte in der Hand. Einige verzogen schmerzerfüllt das Gesicht, weil ein Zahn rumorte.

Wo war denn Nina? Sie war sonst für den Empfang zuständig, jedoch nirgendwo zu sehen.

Carina versprach den Patienten hastig, sich sofort um ihre Aufnahme zu kümmern. Dann strebte sie zu dem Zimmer mit den Spinden und hielt die Türklinke noch in der Hand, als sie drinnen ihren Namen hörte.

„Das können Sie Carina nicht antun, Herr Dr. Roth!“

Nanu? Seit wann nannte Nina ihren Chef denn bei seinem Titel? Meistens nannte sie ihn „Chef“ oder einfach nur „Herr Doktor“. Aber Herr Dr. Roth ? Das klang förmlicher als sonst. Ninas Stimme hörte sich aufgebracht an.

Carina wollte nicht lauschen, aber etwas hielt sie auf der Schwelle.

Die beiden Menschen in dem kleinen Raum hatten sie noch nicht bemerkt. Ihr Chef stand breitbeinig vor seiner Helferin.

„Glauben Sie etwa, mir gefällt das, Nina? Was soll ich denn machen?“, schnaubte er.

„Carina Zeit geben. Ihre Erkrankung wird sich bessern, aber das geht nicht von heute auf morgen.“

„Als meine Assistentin ist sie ein Aushängeschild meiner Praxis. Ein gepflegtes Äußeres ist wichtig, damit sich die Patienten wohlfühlen.“

„Carina ist doch gepflegt!“

„Aber sie hat diese fürchterlichen Flecken überall. Manche Patienten haben mich schon darauf angesprochen, weil sie befürchten, es wäre ansteckend. Ich verliere Patienten, und das ist nicht akzeptabel.“

„Carinas Krankheit ist nicht ansteckend, das können Sie jedem sagen, der danach fragt.“

„Das reicht leider nicht. Ihr Zustand wird sich verschlimmern. Bald wird ihr äußeres Erscheinungsbild nicht mehr zum Image meiner Praxis passen. Von uns können und sollen die Patienten Perfektion erwarten. So leid es mir tut, aber Carina ist weit entfernt von diesem Zustand.“

Carina hatte genug gehört. Ihr Chef wollte sie entlassen! Rauswerfen, weil sie nicht mehr makellos war. Ein scharfer Schmerz fuhr ihr durch den Leib. Das konnte, nein, das durfte einfach nicht wahr sein!

Fassungslos ließ sie die Türklinke los und taumelte zurück.

In diesem Augenblick entdeckte Nina sie und schlug sich erschrocken eine Hand vor den Mund. Offenbar war die Unterhaltung nicht für ihre Ohren gedacht gewesen, aber nun war es zu spät. Ihre Kollegin hatte sich für sie eingesetzt, und Ninas hochrotes Gesicht verriet, dass sie mit der Entscheidung ihres Chefs nicht einverstanden war. Doch was konnte sie tun?

Christopher Roth war der Chef. Er bestimmte, wen er beschäftigte – und wen nicht.

Sie konnte nicht das Geringste dagegen tun.

In ihrem Kopf drehte sich alles. Es war, als wären ihre Gedanken ein undurchdringlicher Dschungel – und sie wäre zwischen den Lianen gefangen und hätte keine Machete, um sich einen Weg zu bahnen. Sie steckte fest in dem undurchdringlichen Grün ihrer Gedanken.

Was mache ich denn jetzt nur?

Was mache ich nur?

Der Chef schämt sich für mich. Er hält mich für unzumutbar. Mein Anblick … Ist er denn wirklich so schlimm?

Carina taumelte durch das Vorzimmer und zog etliche mitfühlende Blicke auf sich. Sie registrierte nicht, dass diese dem verletzten Ausdruck auf ihrem Gesicht galten – und nicht ihren Flecken. Alles in ihr schien in Auflösung begriffen zu sein. Sie konnte nicht bleiben. Sie hörte, wie ihre Kollegin ihren Namen rief, aber sie hielt nicht an.

Ohne darüber nachzudenken, wankte sie aus der Praxis. Getrieben von einem einzigen Wunsch: fort, nur fort!

Draußen mischte sich der Regen auf ihren Wangen mit ihren Tränen. Sie hatte das Gefühl, ihr Leben würde um sie herum zusammenbrechen. Zuerst die Diagnose, die sie völlig unvorbereitet getroffen hatte, und nun würde sie womöglich ihre Anstellung verlieren. Warum lief gerade alles so aus dem Ruder? Womit hatte sie das nur verdient?

Unter einer ausladenden Kastanie blieb sie stehen und lehnte sich mit dem Rücken an den schrundigen Stamm. Sie kämpfte um Atem und ihr inneres Gleichgewicht. So durfte sie sich doch nicht gehenlassen! Sie musste mit ihrem Chef sprechen und ihn bitten, sie nicht aufzugeben. Sie wollte ja gegen ihre Krankheit ankämpfen. Sie brauchte nur Zeit!

Allmählich ebbte der verzweifelte Schmerz in ihrem Inneren ab und wich einem entschlossenen Willen, zu kämpfen. Sie würde nicht aufgeben, sondern sich ihr Leben wiederholen. Ein paar Flecken konnten sie doch nicht aufhalten!

Energisch wischte sie sich ihre Tränen fort und straffte sich.

Dabei fiel ihr Blick auf das Café auf der anderen Seite der Straße. Licht fiel durch die großen Fenster heraus ins Freie. Die Tische drinnen waren allesamt besetzt. Eine Kellnerin balancierte mit einem Kuchentablett zwischen den Stühlen umher. Ein Paar saß händchenhaltend da und hatte nur Blicke füreinander. Sie schienen ihre Umgebung völlig ausgeblendet zu haben und tauschten zärtliche Küsse.

Carina stutzte. Ihr Verstand weigerte sich, zu erfassen, wen sie da drüben sah.

Doch dann erkannte sie, dass der Mann durchaus kein Unbekannter war. Seine Begleiterin war bildhübsch und besaß eine makellose Haut, die von ihren langen dunklen Haaren noch betont wurde. Ihr Lächeln war strahlend wie ein Sommermorgen. Das schien auch dem Mann an ihrem Tisch nicht zu entgehen. Er himmelte sie an, ehe er sie wieder küsste.

Fabian? Carina schüttelte dumpf den Kopf. Das war unmöglich. Der Mann dort drüben konnte nicht ihr Freund sein. Nicht Fabian. Er würde ihr nicht so wehtun und … O Gott! Nun drehte er den Kopf, als hätte er ihren Blick gespürt, und schaute zu ihr herüber. Betroffenheit zeichnete sich auf seinem markanten Gesicht ab, das ihr so vertraut war, dass sie es im Dunkeln hätte nachzeichnen können.

Er war es. Unverkennbar. Fabian saß dort drüben Hand in Hand mit einer fremden Frau am Tisch! Die Unbekannte war so bildschön, dass sie als Fotomodell hätte durchgehen können.

Das Gegenteil von mir, dachte Carina.

Der Kummer überrollte sie wie eine Schlammlawine und spülte jede wärmere, glückliche Emotion einfach weg.

Mit einem Mal schien etwas in Carina in tausend Scherben zu zerbrechen. Ihr Glück löste sich auf wie morgendliche Nebelschwaden, und in ihrer Hand blieb nichts als Leid zurück.

***

Ihr Leben war kaum noch wiederzuerkennen. Noch vor wenigen Wochen hatte sie einen liebevollen Freund gehabt, eine Arbeit, die sie ausfüllte, und einen scheinbar gesunden Körper, auf den sie sich verlassen konnte. Nun war all das hinfällig. Ihr Leben bröckelte ihr zwischen den Fingern hindurch, und sie schien nichts dagegen tun zu können.

Fabian war aus ihrer gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Er hatte sich weder in halbherzige Ausflüchte noch in Erklärungen geflüchtet, sondern ihr schlicht und einfach erklärt, dass er nicht zuschauen könne, wie es mit ihr bergab gehe.

Er bedauerte es, dass sie so von seiner neuen Beziehung erfahren hatte, aber nachdem es nun einmal heraus war, mochte er es nicht länger verstecken. Er hatte eine neue Partnerin gefunden – auch für den Tanz.

„Das mit uns ist nichts mehr“, hatte er argumentiert. „Man muss sich ja schämen, wenn die Leute ständig auf deine Flecken starren.“

Wie Gift tröpfelten die Worte durch ihren Verstand. Wieder und wieder. Sie konnte sie einfach nicht vergessen. Nachts schreckte sie aus dem Schlaf, weil sie Fabians Stimme in ihren Albträumen hörte, und wenn sie nach dem Laken auf der anderen Seite des Bettes tastete, war es leer und kalt.

Ihr Freund schämte sich für sie!

Oh, am liebsten wäre sie im Boden versunken und nie wieder aufgetaucht. Es tat so weh, dass sie keinen Fuß aus der Wohnung setzen konnte. Bei der Arbeit hatte sie sich vorerst krankgemeldet. Das gab ihr Zeit, sich zu überlegen, was sie nun tun sollte. Oder besser gesagt: Es hätte ihr Zeit zum Überlegen gegeben, wenn sie denn klar hätte denken können. Doch in ihrem Kopf ging es drunter und drüber.

Ihre Gedanken waren ein wirres Knäuel, von dem sie weder einen Anfang noch ein Ende fand. Sie verkroch sich daheim und weinte, bis ihre Augen schmerzten und keine Tränen mehr kamen. Sie aß kaum noch und ging allen Menschen aus dem Weg.

Draußen rieselte eine trübe Mischung aus Schnee und Regen vom grauen Himmel. Carina hatte keine Ahnung, wie lange sie schon nicht mehr auf der Arbeit gewesen war – oder bei ihrer Behandlung. Nichts schien noch wichtig zu sein. Die Therapie half ja doch nicht. Das wusste sie nun.

Einmal schaltete sie das Radio ein. Ein unerträglich fröhlicher Moderator kündigte für den kommenden Tag weitere Niederschläge an, die je nach Höhenlage als Regen oder Schnee herunterkommen würden. Anschließend brachte der Verkehrsfunk jede Menge Staus und Baustellen. Die Straßen und Autobahnen rund um München waren verstopft, und so brauchten die Autofahrer reichlich Geduld.

Nach einem Schlager spielte der Radiosender einen Bericht von den Tanzmeisterschaften ein. Carina zuckte zusammen, denn zu dem Wettkampf waren Fabian und sie zusammen angemeldet gewesen. Wochenlang hatten sie in jeder freien Minute trainiert. Und nun? Nun hatten sie nicht einmal teilgenommen … Bevor sie jedoch das Radio ausschalten konnte, wurde das Siegerpaar verkündet.

„ Fabian Gerster und seine bezaubernde neue Partner Jasmin!“

Vor Carinas Augen wurde kurzzeitig alles schwarz.

Fabian hatte den Wettbewerb mit seiner neuen Freundin besucht – und sogar gewonnen? So etwas gelang nicht von heute auf morgen. Dazu waren viele Stunden Training nötig. Wie lange hatte er schon mit der anderen Frau trainiert? Hinter ihrem Rücken? Lange genug. Offenbar.

Aufschluchzend presste sie eine Faust vor den Mund.

Sie knipste das Radio aus und versank in verzweifeltem Schweigen, während es vor den Fenstern gar nicht richtig hell werden mochte. Doch sie schaltete kein Licht an. Sie wollte am liebsten nichts mehr sehen und hören.

Niedergeschlagen überließ sie sich ihrer Verzweiflung, bis unvermittelt die Türklingel einen Besucher ankündigte.

Carina reagierte nicht.

Der Besucher ließ sich jedoch nicht einfach ignorieren.

Wieder schrillte die Klingel. Gefolgt von einem Klopfen.

Dann rief jemand draußen ihren Namen.

Nina! Die Kollegin stand vor ihrer Tür, und Carina kämpfte sich vom Sofa hoch und ging hin, um zu öffnen.

Als die Tür aufschwang, fiel Nina ihr anstelle einer Begrüßung einfach um den Hals.

„Ach, Süße, es tut mir so leid!“

„Nina.“ Carina rang sich ein zittriges Lächeln ab. „Was machst du denn hier? Musst du nicht arbeiten?“

„Am Sonntag? So weit ist es zum Glück noch nicht gekommen.“

Wir haben Sonntag? Carina versuchte auszurechnen, ob das möglich war. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, seitdem sie ihren Chef von ihrer Entlassung hatte reden hören – und sie hinter Fabians Affäre gekommen war. Sonntag. Nun, anscheinend stimmte das.

„Ich habe dir einen Auflauf mitgebracht.“ Nina deutete auf den Korb in ihrer Hand. „Und selbst gebackene Kekse.“

„Danke schön.“ Carina bat ihre Kollegin leise herein und führte sie in die gemütliche Küche, wo sie ihr einen Platz auf der Eckbank anbot. Einen Kaffee nahm Nina gern an, und so saßen sich die beiden Frauen wenig später gegenüber und hatten zwei dampfende Tassen vor sich. Nina knipste ungefragt das Licht an.

„Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dir zu sagen, wie sehr ich es bedaure, dass du meine Unterhaltung mit dem Chef mit anhören musstest. Das hätte nicht passieren dürfen.“ Nina blickte sie über ihre Tasse hinweg mitfühlend an. „Vor allem aber ist es nicht fair, dass er das mit dir abzieht.“

„Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Carina schüttelte kaum merklich den Kopf. „Um mich herum bricht alles zusammen, und ich kann nichts daran ändern.“

„Gib dich jetzt nicht auf, hörst du? Das ist ein Tiefpunkt, aber von nun an kann es nur noch aufwärtsgehen. Und das wird es auch. Versprochen.“

„Ich wüsste nicht, wie.“

„Das wird sich schon alles finden. Zuallererst musst du etwas essen. Du bist so dünn geworden, dass dich ein Windzug glatt umpusten könnte. Willst du den Auflauf probieren? Er müsste noch warm sein.“

„Später vielleicht.“

„Dann nimm wenigstens ein paar Kekse. Ich habe sie mit reichlich Schokosplittern und Kokos gebacken. Das ist die reinste Seelenmedizin. Glaub mir.“ Nina zwinkerte ihr über den Tisch hinweg zu, streckte einen Arm aus und griff nach ihrer Hand. „Alles wird wieder gut. Ganz bestimmt.“

„Das glaube ich nicht. Der Chef … Er hat mir die Kündigung geschickt.“

„Während du krank bist? Das ist eine bodenlose Schweinerei!“ Ninas Gesicht rötete sich. „So etwas ist bestimmt nicht rechtens. Du solltest dir einen Anwalt nehmen und dagegen ankämpfen.“

„Was würde das bringen? Der Chef will mich nicht mehr. Dagegen kann ich nichts tun.“

„Aber es ist nicht recht, dich zu entlassen, wenn du krank bist. Dafür sollte er bluten. Und das nicht zu knapp.“

Carina schüttelte abwehrend den Kopf.

„Lass dir von ihm wenigstens ein gutes Zeugnis ausstellen. Das schuldet er dir. Du bist eine Spitzen-Zahnarzthelferin. Es ist sein Verlust, wenn er dich gehen lässt. Du wirst im Nu eine neue Stellung finden. Ganz bestimmt.“

„Wenn ich so aussehe?“ Carina deutete an sich hinunter. Sie hatte jeden Mut verloren.

„Und Fabian?“, hakte Nina leise nach.

„Wir haben uns getrennt. Er hat … eine andere Frau. Ich glaube, das geht schon länger.“

„Ach, Carina, das ist ja furchtbar. Zurzeit kommt es knüppeldick, was?“

„Allerdings.“

„Männer“, schnaufte Nina. „Man kann nicht ohne sie leben, mit ihnen aber auch nicht. Habe ich dir schon von meiner Verabredung mit Jannes erzählt?“

„Jannes? Dein Physiotherapeut?“

„Genau. Er hat mich immer wieder mal eingeladen, und vor ein paar Tagen bin ich endlich mit ihm ins Kino gegangen. Ein böser Fehler. Er hat die ganze Zeit von seinem Garten erzählt und dass er seinen Sommerurlaub am liebsten dort verbringt und unbedingt eine Frau sucht, die seine Begeisterung für den Garten teilt.“

„Das klingt doch … nett.“

„Nett? Er sucht eine Frau, die ihm mit dem Unkraut hilft. Ich habe ihn zum Baumarkt geschickt. Dort kann er sich alles für seinen Garten holen. Ich habe absolut keinen grünen Daumen. Bei mir welken sogar Papierblumen.“ Sie lachte leise.

Carina musste trotz ihres Kummers mitlachen.

„Du übertreibst.“

„Aber nur ein bisschen.“ Ihre Kollegin kniff ein Auge zu. „Du, sag mal, was kann ich tun, um dir zu helfen?“

„Ich fürchte, niemand kann etwas tun. Mein Hausarzt sagt, ich muss Geduld haben. Es kann sein, dass die Behandlung die Symptome bessert oder wenigstens stoppt, aber dafür gibt es keine Garantie. Niemand kann sagen, ob oder wann das passiert.“

„Das ist hart. Und dann diese fiese Nummer unseres Chefs … Am liebsten würde ich auch kündigen. Es ist nicht richtig, was er mit dir macht.“

„Du darfst nicht kündigen. Der Job ist dein Leben.“

„Aber deins nicht. Wolltest du nicht immer selbst Zahnärztin werden?“

„Früher einmal, ja.“ Carina schlang die Finger um ihre Tasse. Es stimmte, auf dem Gymnasium hatte sie davon geträumt, Zahnmedizin zu studieren und Zahnärztin zu werden. Doch dann war ihr Vater schwerkrank geworden.

Sie hatte ihn gepflegt und sich für eine Ausbildung entschieden, die nicht so lange dauerte wie ein Studium, um rasch Geld zu verdienen und ihrem Vater unter die Arme greifen zu können.

Inzwischen schien ihr Traum zu lange her zu sein. Jetzt noch studieren? Mit vierundzwanzig? Und ohne nennenswertes Vermögen? Sie sparte eisern, aber lange würde ihr Geld nicht ausreichen, wenn sie keine Arbeit mehr hatte. Nein, ein Studium musste sie sich aus dem Kopf schlagen. Das war keine Möglichkeit mehr.

„Überleg es dir“, ermunterte Nina sie, ihr Zaudern offenbar richtig interpretierend.

„Dafür ist es zu spät. Ich bin schon vierundzwanzig …“

„Kurz vor der Rente. Ich verstehe schon.“

„Das nicht gerade, aber bis ich meinen Abschluss hätte, wäre ich über dreißig.“

„Na und? Dreißig ist das neue zwanzig. Mindestens. Ich bin mir sicher, dass du das Studium mit links schaffen würdest. Du hast Grips und durch deine Arbeit auch allerhand Erfahrungen, die andere Studenten nicht haben.“

„Wovon sollte ich das Studium bezahlen? Ich müsste mich ranhalten und hätte kaum Zeit, um nebenher zu jobben. Nein, diesen Traum muss ich mir aus dem Kopf schlagen.“

„Denk trotzdem noch mal darüber nach“, beharrte Nina und warf einen Blick auf ihre Uhr. „Ach du Schande, so spät schon? Ich muss los. Hab meiner Nachbarin versprochen, heute Abend auf ihre Zwillinge aufzupassen, damit ihr Mann und sie sich einen netten Hochzeitstag machen können.“

„Hast du Pläne mit den Kindern?“

„Sie sind erst drei. Ich werde ihnen vorlesen, bis ihnen die Augen zufallen, und dann fernsehen.“ Nina stand auf und umarmte Carina. „Ich komme morgen wieder vorbei, okay? Und iss bis dahin den Auflauf.“

„Ja, Mama.“

„Ich meine es ernst. Du schaust aus, als würdest du jeden Augenblick umkippen. Ruf mich an, wenn etwas ist. Ich habe das Handy immer griffbereit.“

Die Sorge ihrer Kollegin berührte etwas tief in Carina. Sie begleitete Nina noch zur Tür und bedankte sich leise. Daraufhin drückte die Besucherin sie noch einmal an sich, ehe sie wieder aufbrach.

Carina schloss die Wohnungstür hinter Nina und blieb kurz stehen, um sich zu sammeln. Ihre Gefühle waren aufgewühlt und völlig durcheinander.

Da klingelte es erneut.

Hatte Nina etwas vergessen?