Dr. Stefan Frank Großband 30 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank Großband 30 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

10 spannende Arztromane lesen, nur 7 bezahlen!

Dr. Stefan Frank - dieser Name bürgt für Arztromane der Sonderklasse: authentischer Praxis-Alltag, dramatische Operationen, Menschenschicksale um Liebe, Leid und Hoffnung. Dabei ist Dr. Stefan Frank nicht nur praktizierender Arzt und Geburtshelfer, sondern vor allem ein sozial engagierter Mensch. Mit großem Einfühlungsvermögen stellt er die Interessen und Bedürfnisse seiner Patienten stets höher als seine eigenen Wünsche - und das schon seit Jahrzehnten!

Eine eigene TV-Serie, über 2000 veröffentlichte Romane und Taschenbücher in über 11 Sprachen und eine Gesamtauflage von weit über 85 Millionen verkauften Exemplaren sprechen für sich:
Dr. Stefan Frank - Hier sind Sie in guten Händen!

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2490 bis 2499 und umfasst ca. 640 Seiten.

Zehn Geschichten, zehn Schicksale, zehn Happy Ends - und pure Lesefreude!

Jetzt herunterladen und sofort eintauchen in die Welt des Dr. Stefan Frank.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 1237

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Stefan Frank
Dr. Stefan Frank Großband 30

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2019 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Wavebreakmedia/IStockphoto

ISBN: 978-3-7517-6489-6

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Dr. Stefan Frank Großband 30

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Dr. Stefan Frank 2490

Visite in der Waldner-Klinik

Dr. Stefan Frank 2491

Verlass uns nicht, kleine Helena!

Dr. Stefan Frank 2492

Jetzt bist du mein!

Dr. Stefan Frank 2493

Nur ein guter Freund fürs Leben?

Dr. Stefan Frank 2494

Wie ausgelöscht

Dr. Stefan Frank 2495

Nach dem großen Irrtum

Dr. Stefan Frank 2496

Der Sonnenschein der Waldner-Klinik

Dr. Stefan Frank 2497

Was ich niemandem erzählte

Dr. Stefan Frank 2498

Und unsere Träume werden wahr

Dr. Stefan Frank 2499

Feld der Träume

Guide

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Contents

Visite in der Waldner-Klinik

Wie Dr. Frank einem jungen Kollegen half

Dr. Stefan Frank ist gerade in der Waldner-Klinik unterwegs, als er Zeuge eines Gesprächs wird. Eric, ein Medizinstudent, welcher zurzeit sein praktisches Jahr an der Klinik absolviert, führt ein angespanntes Gespräch mit einer Bekannten. Offenbar geht es darum, dass der junge Mann völlig überarbeitet ist und kaum noch auf seine eigene Gesundheit achtet.

Dr. Frank erinnert sich noch gut daran, wie schwer seine eigene Zeit als Student und angehender Mediziner war. Spontan beschließt er, Eric unter seiner Fittiche zu nehmen. Sicher kann er ihm helfen, indem er ihm wertvolle Tipps gibt, wie sich der Stress auf ein erträgliches Maß minimieren lässt.

Als Dr. Frank Eric anbietet, ein Praktikum in seiner Grünwalder Praxis zu absolvieren, stimmt der Student gerne zu. Tatsächlich ist er erstaunt, wie viel er von dem Allgemeinmediziner lernen kann. Doch Stefan Frank hat auch noch ein anderes Ziel im Kopf: Er ahnt, wer die richtige Frau für Eric sein könnte, und er möchte nichts unversucht lassen, um seinen Schützling glücklich zu verkuppeln …

Müde öffnete Eric die Wohnungstür. Es roch nach Ingwer, Knoblauch und Curry. Die Musik in der Küche war voll aufgedreht. Offenbar waren seine WG-Mitbewohner beide zu Hause.

Navid, ein junger Informatiker aus Indien, liebte das Kochen. Und Corinna, die nach ihrer Ausbildung zur Schreinerin in der Werkstatt eines Münchner Theaters gelandet war, beschallte die Wohnung nur zu gerne mit Michael Bublé.

Für einen Moment blieb Eric gähnend in der offenen Tür der Küche stehen. Wie er vermutet hatte, stand Navid über seine große gusseiserne Pfanne gebeugt und briet Gemüse in zischendem Öl. Corinna tänzelte durch die gemeinsame Wohnküche und sang ausgelassen dazu.

Als sie Eric erblickte, stoppte sie abrupt. Eine verlegene Röte zauberte sich in ihr sympathisches und offenes Gesicht. Sie stellte augenblicklich die Musik leiser.

Navid am Herd drehte sich um.

„Eric, mein Freund!“, begrüßte er den Mitbewohner freudig. „Nimm dir ein Sektglas. Wir haben etwas zu feiern!“

Eric konnte sich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten. Der fünfundzwanzigjährige Sohn einer Supermarkt-Verkäuferin und eines Elektrikers hatte als Erster in seiner Familie studiert. Die letzten Jahre hatte er wie verrückt gebüffelt und jede freie Sekunde an der Uni verbracht.

Nachts hatte er hinter der Theke einer Tankstelle gejobbt. Das Geld seiner Eltern hatte nicht ausgereicht, um die hohen Lebenshaltungskosten in München zu decken. Seit diesem Jahr nun neigte sich das Studium endlich dem Ende entgegen: Eric befand sich im praktischen Jahr.

Damit aber fing die Arbeit erst richtig an. In zwölf langen Monaten musste Eric auf drei verschiedenen Stationen einer Klinik sein erlerntes Wissen erproben.

Sein Ziel war es, irgendwann Kardiologe zu werden. Das bedeutete, dass er nach diesen zwölf Monaten Mitarbeit noch weitere fünfeinhalb Jahre als Assistenzarzt die Facharztausbildung durchlaufen musste. Mit Anfang dreißig wäre er dann endlich fertiger Arzt. Aber all das war im Moment Zukunftsmusik. Nun ging es erst einmal darum, das praktische Jahr zu überstehen.

Zum Glück war er in einem erstklassigen Krankenhaus gelandet. Der Ruf der Münchner Waldner-Klinik war ausgesprochen positiv. Das Krankenhaus hatte Patienten, die von weit her anreisten, um sich dort behandeln zu lassen. Aber nichtsdestotrotz war es ein Krankenhaus. Und die Anforderungen, die dort an ihn gestellt wurden, waren kaum zu bewältigen.

Seit Wochen schlief Eric nachts nur noch wenige Stunden. Tagsüber versuchte er sich mit Energy-Drinks und Unmengen Kaffee wach zu halten. Die erschütternde Wahrheit war: Das praktische Jahr überforderte ihn. Aber nie würde er es wagen, das seinem Vorgesetzten oder gar seinen Eltern gegenüber zu äußern.

Er hatte es dank seines Fleißes und seiner Disziplin bis hierher geschafft. Nun würde er doch nicht kurz vor dem Ziel das Handtuch werfen!

Dieses Jahr noch. Und dann noch mal fünfeinhalb Jahre. Eric schluckte trocken. Wenn er mit der gleichen Verbissenheit weitermachte wie in den letzten drei Wochen, war er mit spätestens Anfang dreißig ein Wrack.

Navid schien von Erics Grübeleien nichts zu bemerken. Fröhlich hielt der Inder ihm ein randvoll gefülltes Sektglas entgegen.

Corinna trat zu ihnen.

„He, du Stoffel!“ Liebevoll sah sie ihren Mitbewohner Eric an. Schon wieder trieb es ihr die Röte ins Gesicht. Ihre Augen funkelten seltsam. „Du hast noch nicht mal gefragt, was wir zu feiern haben.“

Nun war es Eric, der rot wurde. Corinna hatte ihn kalt erwischt.

„Tut mir echt leid …“, stammelte er ausweichend. „Aber einer meiner Patienten ist heute gestorben. Er war so fit, dass wir ihn eigentlich morgen entlassen wollten. Aber dann hatte er plötzlich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen eine Lungenembolie. So was passiert. Wir Ärzte sind keine Götter, und manchmal entscheidet das Schicksal.“

Betroffen musterten ihn seine beiden WG-Mitbewohner. Sie wussten, dass Eric jeder Todesfall in der Klinik extrem an die Nieren ging. Der junge Medizinstudent war keiner, der sich mit dem Schicksal abfinden konnte. Auch sogenannte „hoffnungslose Fälle“ hielten ihn die halbe Nacht wach. Und er suchte in seinen dicken Medizinbüchern nach Rettung für die Patienten.

„Du musst abschalten lernen, mein Freund!“, gab Navid ihm einen gut gemeinten Rat. Aber das war leichter gesagt als getan.

Navid räusperte sich.

„Eric, ich habe es Corinna schon gesagt: Meine Eltern haben endlich die richtige Braut für mich gefunden!“ Er strahlte.

Verdutzt hob Eric den Kopf. Mit dieser Neuigkeit hätte er nicht gerechnet. Er wusste, dass Navid sich schon länger nach einer Partnerin sehnte. Und mehr als einmal hatte Eric ihm geraten, sich doch bei einer der zahlreichen Dating-Portale im Internet anzumelden. Aber amüsiert hatte Navid jedes Mal abgewunken, und er war auch auf keinen Disco-Flirt eingegangen.

Also hatte Eric irgendwann angenommen, dass es Navid doch nicht so ernst mit der Suche war. Wie ihm jetzt klar wurde, hatten diesen Part einfach Navids Eltern übernommen!

„Das heißt, deine Eltern haben eine Freundin für dich ausgesucht?“, schlussfolgerte er sprachlos. Sein Blick verlor sich irritiert in den Tiefen seines Sektglases.

„Nein, keine Freundin, mein Freund!“, sagte Navid mit seinem unverkennbaren indischen Akzent in der Stimme. „Sie haben eine Ehefrau für mich gesucht. Nila und ich werden nächsten April in Indien heiraten. Corinna und du, ihr seid natürlich herzlich eingeladen. Ihr wisst ja hoffentlich, indische Hochzeiten sind ein großes Spektakel und dauern mehrere Tage lang.“

Corinna schien im Gegensatz zu Eric überhaupt nicht geschockt von Navids Eröffnung zu sein. Dabei hätte Eric die Hand dafür ins Feuer gelegt, dass Corinna heimlich in Navid verliebt war.

Die lebensfrohe und tanzwütige Corinna hatte eine tiefgründige und mitfühlende Seite. Nur zu gerne tauschte sie sich mit Navid und Eric über deren Probleme aus. Sie verbrachte wahnsinnig gerne Zeit mit dem Inder.

Wann immer Navid und Eric gemeinsam ausgingen, war Corinna mit von der Partie. Letztes Jahr waren sie drei sogar zusammen auf Teneriffa gewesen! Und sie betonte nur allzu oft, wie schön sie das WG-Leben mit Navid und Eric fand.

Jetzt aber schien Corinna sich ehrlich über Navids arrangierte Ehe zu freuen.

Unsicher stieß Eric mit den beiden Freunden an. Der kalte Sekt rüttelte ihn wieder wach. Beinahe wäre er im Stehen eingeschlafen.

„Hast du keine Angst, dass deine Eltern die falsche Frau für dich ausgesucht haben könnten?“, fragte Eric unsicher. Er ließ sich auf einem freien Küchenstuhl nieder.

Geschäftig belud Navid die Teller mit Essen. Corinna stellte eine Portion vor Erics Nase und lächelte ihn sehnsüchtig an. Er nickte dankbar, aber geistesabwesend.

Dann schnappte sie sich selbst einen Teller und setzte sich Eric gegenüber. Endlich kam auch Navid dazu.

„Ich vertraue meinen Eltern voll und ganz!“, beteuerte Navid. „Wer könnte mich besser kennen als die beiden? Sie haben ein gutes Gespür dafür, welche Frau perfekt zu mir passt. Und natürlich haben sie sich lange mit Nilas Eltern beratschlagt. Denn auch Nila muss mit mir glücklich werden. Das ist ja klar.“

Für einen Moment stellte Eric sich ein verschüchtertes indisches Mädchen vor, das von seinen Eltern an einen wildfremden Inder in Europa verscherbelt wurde. Für ihn klang das alles brutal und wie aus dem Mittelalter.

„Wie alt ist diese Nila eigentlich?“, fragte Corinna in dem Moment, als könnte sie Erics Gedanken lesen. „Und was macht sie? Geht sie noch in die Schule?“

Genüsslich löffelte Navid sein Curry.

„Sie ist fünfundzwanzig, also ein Jahr jünger als ich. Und sie hat ihr Architektur-Studium kürzlich beendet. Wir hatten ein wirklich nettes Telefonat. Nila kann sogar ein bisschen Deutsch. Sie war in ihrer Jugend auf einem Internat in der Nähe von Zürich.“

Vor Überraschung blieb Eric beinahe das Essen im Hals stecken. Mit seiner kleinen, schüchternen Inderin hatte er sich wohl ziemlich verschätzt.

„Und sie will das auch?“, fragte er kritisch.

„Was meinst du?“, erwiderte Navid. „Mich heiraten?“

Eric nickte stumm.

Navid grinste. „Aber natürlich. Sie ist genauso zufrieden wie ich, dass unsere Eltern uns einander ausgesucht haben, mein Freund. Wie gesagt, ich habe heute lange mit ihr telefoniert. Sie ist es. Sie ist die Frau meines Lebens.“

Unwillkürlich schüttelte Eric den Kopf.

„Navid, ich bitte dich! Du kennst diese Frau doch überhaupt nicht.“

Ein angespanntes Schweigen entstand am Abendtisch. Traurig musterte Navid seinen Mitbewohner.

„Glaubst du, irgendwer kennt irgendjemanden wirklich, mein Freund?“, fragte er leise. „Was war mit deiner Partnerin? Mona. Hast du sie wirklich gekannt?“

Der Hieb hatte gesessen. Eric war drei Jahre mit Mona zusammen gewesen. Sie beide waren als Jugendliche gemeinsam zur Schule gegangen. Doch irgendwann hatte sich herausgestellt, dass Mona schon ein halbes Jahr mit Erics bestem Freund Marc eine Affäre hatte. Mit einem Schlag hatte er seine zwei wichtigsten Bezugspersonen verloren.

Ja, damals hatte er sich diese Frage selbst gestellt: Hatte er seine Partnerin und seinen besten Freund eigentlich jemals wirklich gekannt? Sie waren ihm schlagartig vorgekommen wie Fremde.

Corinna erhob sich.

„Nun verbreite mal nicht so eine miese Stimmung, Eric!“, tadelte sie ihn. „Es ist eben ein anderer Kulturkreis. Navid ist es von klein auf gewohnt, dass Ehepartner von den Eltern ausgewählt werden. Akzeptiere, dass es auf der Welt unterschiedliche Versuche gibt, die Liebe zu finden.“

„Aber das ist es ja gerade!“, sagte Eric trotzig. Er war ungewohnt laut geworden. „Was hat das denn mit Liebe zu tun? Das klingt alles völlig unromantisch und wie ein eiskaltes Geschäftsmodell. Als ginge es kein bisschen um Gefühle.“

Navid seufzte. „Du sprichst uns Indern also ab, dass wir zu großer Liebe fähig sind?“, fragte er enttäuscht. „Weißt du, meine Eltern sind seit dreißig Jahren sehr glücklich verheiratet. Mein Vater trägt meine Mutter auf Händen. Und meine Mutter liebt meinen Vater von ganzem Herzen. Auch sie beide wurden damals von ihren Eltern einander versprochen. Corinna hat recht. Es ist einfach eine Tradition, die sich für uns Inder bewährt hat. Die Scheidungszahlen in Indien sind wesentlich niedriger als die in Europa.“

„Aber doch nur, weil die sozialen und finanziellen Folgen einer Scheidung für eine Inderin fürchterlich wären!“, beharrte Eric auf seinem Standpunkt.

„Auch in Deutschland bedeutet eine Scheidung meist den finanziellen Abstieg, und das speziell für Frauen!“, erinnerte ihn Navid. „Und trotzdem lassen sich Frauen und Männer hier von ihrer vermeintlich großen Liebe scheiden. Glaubst du, ihr Europäer hat die Liebe erfunden? Seid ihr die Einzigen, die wissen, wie es funktioniert?“

Eric musste an seine gescheiterte Beziehung mit Mona denken. Er hatte sich seither voll und ganz auf sein Studium konzentriert. Von Frauen hatte er fürs Erste genug.

Nun ja. So ganz stimmte das nicht. Es gab in der Klinik eine Assistenzärztin, die es ihm angetan hatte. Pamela war genauso strebsam wie er. Sie hatte vor, Anästhesistin zu werden.

„Kommst du noch mit?“ Corinna riss ihn aus seinen Gedanken.

„Wohin denn?“ Eric verputzte rasch die letzten Reste auf seinem Teller. Trotz des Streits mit Navid: Das Curry war köstlich.

„Navid und ich wollten in den Siebten Himmel , ein bisschen feiern! Es ist doch Freitagabend, und in dem Club gibt es heute Cocktails zum halben Preis.“

„Was denn feiern?“, fragte Eric widerspenstig.

Corinna verdrehte die Augen, und Navid gab ein schnaubendes Geräusch von sich.

„Wir feiern, dass Nila in mein Leben getreten ist. Und dass ich sie nächstes Jahr in Indien heiraten werde.“

Eric seufzte. „Ich muss eigentlich noch lernen. Im praktischen Jahr wird man einfach ins kalte Wasser geschubst. Jahrelang sitzt du über deine Lehrbücher gebeugt, und plötzlich sollst du echte Patienten behandeln. Ich habe wortwörtlich vierundzwanzig Stunden am Tag Panik, dass mir ein Fehler passiert. Wenn ich jetzt scheitere, war alles umsonst.“

Er erhob sich mit zitternden Knien. Im Vorbeigehen nahm er sich eine Dose aus dem Kühlschrank. Der Energy-Drink würde ihn über die nächsten Stunden retten.

An die Tür seines Zimmers hatte Corinna ein Post-it geklebt.

Arbeite nicht so viel! hatte sie in auffordernden schwarzen Buchstaben vermerkt. Daneben hatte sie ein winziges Herz gekritzelt.

***

„Mein lieber Ulrich, du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich für dich freue!“ Dr. Stefan Frank nahm seinen guten Freund Dr. Ulrich Waldner erfreut in den Arm und drückte ihn an sich.

Die beiden Männer ließen einander lachend wieder los. Dr. Waldner nickte zufrieden.

„Schön, dass du es spontan einrichten konntest, Stefan. Du wirst es nicht bereuen. Das Catering ist der Wahnsinn. Das Team hat das Buffet in unserem Reha-Raum aufgebaut. Übrigens ist natürlich alles aus biologischem Anbau und regional. Darauf hat unsere strenge Marketing-Chefin bestanden.“

Entspannt schlenderten die zwei Ärzte den Krankenhaus-Flur entlang. Immer wieder kamen ihnen Menschen mit Sektgläsern und Häppchentellern entgegen. Offenbar gab es bayerische Schmankerl. Wie es schien, hatte Ulrich halb München dazu eingeladen.

„Wie war denn die Preisverleihung in Berlin?“, fragte Stefan interessiert. „Wen hast du zur Veranstaltung am Wochenende in die Hauptstadt mitgenommen?“

Ulrich gab ein beglücktes Seufzen von sich.

„Es war wie ein Traum, Stefan!“, beschrieb er ihm das einmalige Erlebnis. „Du weißt ja, dass der KlinikAward als Oscar meiner Branche gilt. Und ungefähr genauso pompös war auch die Preisverleihung. Es war natürlich das Team der Presse- und Öffentlichkeits-Abteilung mit dabei. Schließlich ist der Preis eine Auszeichnung für hervorragende Marketing-Arbeit.“

Dr. Waldner blieb kurz stehen, um einem bärtigen Mann die Hand zu schütteln. Es war der Chefarzt einer anderen Klinik. Dann wandte er sich wieder an Stefan.

„Meine Frau wollte sich das Spektakel natürlich auch nicht entgehen lassen. Wir haben wirklich auf den Putz gehauen und zur Feier des Tages am Samstag fürstlich bei KaDeWe gefrühstückt!“

Die beiden hatten den lichtdurchfluteten Reha-Raum im Erdgeschoss erreicht. Die vorbereiteten Tische bogen sich nur so vor Köstlichkeiten.

Beglückt belud sich Stefan einen Teller. Der Tag in der Praxis war anstrengend und lang gewesen. Am Montag rannten ihm die Patienten für gewöhnlich die Bude ein. Seine Freundin Alexandra war heute Abend sowieso mit einer Freundin unterwegs. Umso gelegener war ihm die Einladung zu der Feierlichkeit in der Waldner-Klinik gekommen.

Neben der dampfenden Wurst frisch aus dem Kessel hatte noch eine Portion Krautsalat Platz auf dem Teller. Stefan schnappte sich außerdem eine knusprige Brezel. Zur Krönung drapierte er einen Spieß mit Cocktail-Tomaten darauf.

Den Obatzden, die Mini-Reibekuchen mit Apfelmus und das bayerische Rettich-Radieschen-Carpaccio würde er später probieren.

Dr. Ulrich Waldner hatte in der Zwischenzeit das kleine Podest bestiegen und fing an, eine donnernde Rede zu halten. Er bedankte sich überschwänglich bei der Marketing-Chefin für ihren unermüdlichen Einsatz. Dann präsentierte er dem Publikum stolz die aus Berlin heimgebrachte Trophäe.

Freundlicher Applaus flutete den Raum. Als er geendet hatte und sein Rednerpult verließ, war der Klinikleiter sofort von einer Traube Journalisten umzingelt.

Stefan entschied, ein paar Schritte durch die Krankenhausflure zu laufen. Er hatte den ganzen Tag sitzend hinter seinem Schreibtisch verbracht. Es tat gut, die Glieder endlich ein bisschen zu bewegen.

Mit seinem Teller bewaffnet, spazierte er in Richtung Eingangshalle. Es stimmte schon, die Marketing-Abteilung der Waldner-Klinik machte wirklich einen erstklassigen Job. Zurzeit gab es im Foyer eine beeindruckende Foto-Ausstellung aus den Anfangsjahren der Klinik. Auch das Logo der Klinik hatte kürzlich dank der neuen Marketing-Chefin einen frischen Anstrich erhalten.

Es gab außerdem seit Neuestem auffällige Aufsteller neben den Aufzügen. Hier lagen Flyer und Broschüren griffbereit, die über Behandlungsmöglichkeiten im Haus informierten. Die Druckerzeugnisse wirkten ansprechend, modern und sehr professionell. Fast wünschte man sich, auch einmal in der Waldner-Klinik behandelt zu werden.

„Irgendwann fällst du noch tot um!“, hörte Stefan eine erhitzte Frauenstimme aus dem Nichts. „Oder schlimmer noch, dir passiert ein Fehler. Stell dir nur mal vor, wenn dir wegen Übermüdung irgendein ärztlicher Kunstfehler passiert. Was ist, wenn ein Patient stirbt, nur weil du zu stolz warst, dich ein paar Tage krankschreiben zu lassen?“

Stefan Frank wollte nicht neugierig sein, aber es ging ganz offenbar nicht um eine Privatangelegenheit, sondern um die beruflichen Belastungen eines seiner Berufsgenossen. Vermutlich war das der Grund, weshalb er nun vor dem Aquarium stehen blieb und dem Wortgefecht weiter lauschte.

Die Stimmen drangen aus der kleinen Nische hinter der wuchtigen Bananen-Staude. Hier lud ein Kaffeeautomat dazu ein, eine kurze Pause zu machen.

„Du hast von meinem Berufsalltag einfach keine Ahnung!“, wehrte eine junge Männerstimme den Angriff ab. „Corinna, ich habe dich nicht hergebeten, damit du mir eine Standpauke hältst. Alles, was ich wollte, war mein Rasierzeug und mein Namensschild.“

Die Frau, die offenbar Corinna hieß, lachte erheitert.

„Eric, hör dich doch selber mal reden. Es ist Montagabend, und dir fällt jetzt auf, dass du vergessen hast, dich heute Morgen zu rasieren? Dir fällt jetzt auf, dass du schon seit Stunden ohne Namensschild durch die Gegend marschierst? Was du brauchst, ist kein Namensschild, sondern eine Mütze voll Schlaf! Geh heim und leg dich ins Bett. Niemand ist unersetzlich!“

„Ich muss noch bis zehn Uhr durchhalten!“, beharrte die Männerstimme schwach. „Ich kann den Chef und die Kollegen nicht hängen lassen.“

Eine ferne Erinnerung wirbelte durch Stefans Gedächtnis. Ja, auch er war einmal Student gewesen. Damals hatte es für junge Ärzte nach dem Studienabschluss noch ein verpflichtendes Jahr an der Klinik gegeben. Ausgebildete Mediziner hatten zwölf Monate lang für einen Hungerlohn Dienst in einem Krankenhaus ableisten müssen. Es war eine reine Ausbeute gewesen, und zum Glück hatte man diese Vorschrift in der Zwischenzeit abgeändert.

Nach wie vor gab es ein praktisches Jahr. Aber es fand nun während des Studiums statt und war der letzte Ausbildungs-Abschnitt für die Studenten. In dieser Zeit sollten zukünftige Ärzte Einblicke in die tatsächliche Arbeit mit Patienten erhalten und ihr erlerntes Wissen zum Einsatz bringen.

In den Krankenhäusern und Arztpraxen wurden die Studierenden allerdings oft als billige oder gar kostenlose Mitarbeiter ausgenutzt. Zudem liefen sie meist unter dem Radar. Dem restlichen Klinikpersonal fiel nicht auf, dass sie völlig überfordert oder übermüdet waren. Diesem Eric schien es exakt so zu ergehen.

„Wenn du es nicht machst, mache ich es. Ich lasse mir einen Termin geben und rede mit deinem Chef!“, warnte die junge Frau mit wackliger Stimme. Es war wohl beiden klar, dass es eine leere Drohung war, die die junge Frau nie wahr machen würde.

Eine bildschöne Assistenzärztin bog mit wehendem Kittelsaum um die Ecke. Just in dem Moment, da der übermüdete Eric und seine Freundin Corinna die kleine Kaffee-Nische verließen.

Dr. Frank sah vom Aquarium auf und nickte den jungen Kollegen freundlich zu. Am liebsten hätte er diesen Eric getröstet.

Aber die junge Ärztin kam ihm zuvor. Mit einer abschätzigen Geste fuhr sie sich durch ihr blondes Haar und sah gelangweilt zu Corinna hinüber.

„Was willst du mit unserem Chef besprechen?“, fragte sie süffisant. „Du bist doch keine Kollegin von uns? Oder?“

Eric wurde knallrot.

„Das ist Corinna“, erklärte er stotternd. „Sie hat mir nur schnell was vorbeigebracht. Sie geht gleich wieder.“

Die hübsche Kollegin zog ihre Stirn in Falten.

„Wir werden nicht für Flirts in der Kaffee-Ecke bezahlt, lieber Eric!“, mahnte sie ihn augenzwinkernd. „Sollte ich dich nicht mit in OP 1 nehmen? Du wolltest doch sehen, wo und wie ich meine herrlichen Arbeitstage verbringe.“

„Doch, unbedingt!“ Eric klang schlagartig wieder geschäftig. „Pamela, echt toll, dass du mich dir über die Schulter schauen lässt. Ich habe sowieso gerade Pause.“ Verliebt starrte er die Blondine an.

Pamela hatte das Studium bereits hinter sich und steuerte darauf zu, Fachärztin zu werden. Corinna schien hingegen abgeschrieben. Enttäuscht sah sie von Eric zu seiner Kollegin. Dann verließ sie wortlos die Klinik.

Wie ein verliebtes Kalb trottete Eric hinter Pamela her, und auch Dr. Frank machte sich auf den Weg zurück zur Feier.

Ulrich kam ihm entgegengehastet.

„Da steckst du, Stefan!“, sagte er erleichtert. „Ich habe schon befürchtet, du hättest dich bereits auf den Heimweg gemacht! Dabei wurde der Nachtisch noch gar nicht aufgetragen!“

Stefan schüttelte entrüstet den Kopf.

„Doch nicht, ohne mich von dir zu verabschieden, Ulrich!“

Er schob sich den kleinen Spieß mit Cocktailtomaten in den Mund. Die Tomaten hatten ein herrliches Aroma.

„Ehe ich gehe, wollte ich dir noch einen Rat unter Freunden geben …“, rutschte es ihm dann doch noch heraus. „Versteh mich nicht falsch, Ulrich. Ich freue mich über euren KlinikAward!“

Er beugte sich vertrauensvoll zu seinem alten Freund hinunter. Sie hatten ein so gutes Verhältnis, dass sie einander kritisieren konnten, ohne Angst haben zu müssen, ihre Freundschaft aufs Spiel zu setzen.

„Ich habe eben im Foyer ein Gespräch eines Studenten belauscht“, gestand Stefan. „Wie es scheint, macht er sein praktisches Jahr hier an der Klinik.“

Ulrich schmunzelte selbstbewusst.

„Stefan, wir haben zig Studenten im praktischen Jahr hier beschäftigt. Du weißt, die Waldner-Klinik hat einen guten Ruf. Die Studenten lecken sich die Finger danach, hier erste berufliche Erfahrungen sammeln zu dürfen!“

Stefan nickte wissend.

„Das glaube ich nur zu gerne, Ulrich!“, beteuerte er. „Es ist klar, bei euch kann man einiges lernen. Und dir ist auch bewusst, dass ich gerne meine Patienten an dein Haus überweise. Einfach weil ich weiß, dass meine Patienten bei euch in besten Händen sind.“

Nun wurde seine Stimme leiser.

„Trotzdem will ich dich darauf aufmerksam machen, dass ihr ein Auge auf eure Studenten haben solltet. Das sind sehr junge, oft überforderte Menschen. Sie scheuen sich davor, Schwächen zuzugeben oder ihre Grenzen klar zu benennen. Der KlinikAward sollte nicht nur eine Auszeichnung für gutes Marketing sein. Genauso erstklassig sollte auch eure Mitarbeiter-Führung sein. Ich weiß, dass ihr das leisten könnt, Ulrich.“

Nachdenklich sah Dr. Waldner ihn an.

„Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, Stefan!“, murmelte er ehrlich verblüfft. „Meine Mitarbeiter wirken alle mehr als zufrieden! Wir haben erst kürzlich eine Mitarbeiter-Befragung gemacht. Da kam mir nicht eine Klage zu Ohren.“

***

„Kann ick die nächste Patientin schon reinschicken?“, fragte Schwester Martha drängend. Sie stand ungeduldig im Türrahmen und sah ihren Chef auffordernd an.

Stefan nickte lächelnd. Der letzte Patient war erst vor fünf Sekunden aus dem Zimmer verschwunden. Schwester Martha schien ihm heute keine Ruhepause zu gönnen. Ja, seine treuen Arzthelferinnen führten in Stefans Grünwalder Praxis ein strenges Regiment. Sie sorgten dafür, dass es keine Engpässe, aber auch keinen Leerlauf gab. Manchmal übertrieben sie es ein bisschen.

Nur einen Atemzug nachdem Martha Giesecke Richtung Sprechzimmer verschwunden war, betrat auch schon die nächste Patientin das Zimmer.

Dr. Frank kannte die junge Frau nicht. Vielleicht war sie neu hergezogen.

„Frau Diesler“, las er laut aus ihrer frisch angelegten Akte vor. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Die junge Frau lehnte sich mit angespanntem Gesicht im Besucherstuhl zurück.

„Ich brauche eine Überweisung zum Kardiologen“, sagte sie seufzend. „Oder vielleicht muss ich auch sofort ins Krankenhaus. Ich habe wohl so was wie Vorhofflimmern! Meine Kollegin auf der Arbeit sagt, das kann langfristig zu einem Schlaganfall führen.“

Stefan Frank konnte sich ein überraschtes Lächeln nicht verkneifen. Die Frau sah kerngesund aus. Aber sie würde ihre Gründe für ihre gewagte Selbstdiagnose haben. Wahrscheinlich war jemand in ihrem Umfeld an einer Herzerkrankung verstorben.

„Sind denn Herzleiden in Ihrer Familie bekannt?“, bohrte Stefan also vorsichtig nach. „Ist jemand aus Ihrem näheren Umfeld kürzlich an einem Schlaganfall oder Herzinfarkt verstorben?“

Die Frau schüttelte den Kopf.

„Nein, nein“, erwiderte sie kurz angebunden. „In meiner Familie sind alle kerngesund. Umso erstaunlicher, dass ich derart aus der Reihe tanze.“ Sie kramte nach ihrem Handy. „Ich habe seit Neuestem so eine App. Mein Handy hat mich über meine Herzprobleme informiert. Und wie Sie sehen, nehme ich so was nicht auf die leichte Schulter.“

Stefan blieb der Mund offen stehen. Ja, er hatte auch ein Handy. Aber was waren noch mal Apps? Hatte das nicht etwas mit Handyspielen zu tun?

Die Frau gegenüber durchschaute seine Verwirrung. Sie schaltete ihr Smartphone an. Dann öffnete sie das digitale Fenster.

„Eine App ist eine Art Dienstleistung, die man sich aufs Handy laden kann!“, erklärte sie fachmännisch. „Das kann eine Koch-App sein, mit der Sie Rezepte auf Ihrem Handy nachschlagen können. Oder eine Wetter-App, die Ihnen voraussagt, ob morgen die Sonne scheint …“

Die Finger der jungen Frau fuhren gekonnt über das Display.

„Es kann eine App sein, die Ihnen jeden Morgen einen aufbauenden Spruch als Tagesmotto schickt. Oder eine App, die Ihnen Wörter aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Es gibt Apps, die Musik abspielen, Apps, mit denen Sie Singvögel in der freien Natur bestimmen können, oder Apps, die Ihnen Ernährungstipps geben. Es gibt sogar Apps, die Ihnen verraten, wohin das Flugzeug fliegt, das Sie gerade am Himmel sehen. Wirklich, es gibt Apps für so ziemlich alles.“

Stefan kratzte sich überfordert an der Schläfe. Apps waren also so etwas wie Bücher, Informationsschalter, Spiele, Musikgeschäfte und Diätassistenten in einem. Und all das steckte in diesem kleinen Gerät? Beeindruckt nickte er.

Er fühlte sich auf einmal alt. Es kam ihm unmöglich vor, mit den technischen Entwicklungen dauerhaft Schritt halten zu können. Was kam als Nächstes?

So mussten sich die Menschen Mitte des letzten Jahrhunderts gefühlt haben, als sich das Telefon und der Fernseher in rasender Geschwindigkeit in den Haushalten verbreitet hatten. Aber es half nichts, in Verzweiflung zu versinken. Er musste sich um seine Patientin kümmern, Apps hin oder her.

„Und welche App hat behauptet, dass Sie Herzrhythmusstörungen haben?“ Stefans Stimme klang wieder laut und fest. Die plötzliche Unsicherheit war schlagartig vorüber.

„Meine Herzrhythmus-App natürlich!“, sagte die Patientin wie selbstverständlich. Ihr Zeigefinger fuhr über die Oberfläche des Handys. Dann hielt sie es Stefan vor die Nase. Die Augen des erfahrenen Hausarztes wurden tellergroß.

Dies war tatsächlich das Angebot eines medizinischen Instituts. Man wurde aufgefordert, die Fingerkuppe des kleinen Fingers auf die Kameralinse des Handys zu legen. Nach sechzig Sekunden wurde einem rückgemeldet, ob das Herz stolperte. Es war faszinierend und verstörend zugleich.

Es gab auch die Möglichkeit, sich gegen Zuzahlung einen Report mit der gemessenen Pulskurve und den registrierten Unregelmäßigkeiten zumailen zu lassen.

Frau Diesler demonstrierte es ihm. Tatsächlich zeigte das Programm auf dem Handy nach der Messung ein rotes Ausrufezeichen an. Der Patientin wurde geraten, einen Arzt aufzusuchen.

„Ich fühle mich gerade wie in einem Science-Fiction-Roman!“, murmelte Stefan Frank. Er erhob sich, um sein Blutdruckmessgerät und das Stethoskop zu holen. Dann legte er der jungen Frau die Manschette um den Oberarm. Das Handy hatte recht: Sie hatte wirklich Herzrhythmusstörungen und gehörte ins Krankenhaus, um das abklären zu lassen.

„Ich überweise Sie direkt in die Kardiologie der Waldner-Klinik!“, entschied der Grünwalder Arzt. „Dort sollen sich Experten genau ansehen, was nicht in Ordnung ist. Aber Ihr Gerät da hat mich gerade wirklich in Erstaunen versetzt. Ich wusste, ehrlich gesagt, gar nicht, dass es so etwas gibt.“

Verdutzt sah die junge Frau ihn an. Vermutlich hielt sie ihn nun endgültig für den letzten Neandertaler.

Über Schwester Martha ließ er der Patientin einen Krankenwagen rufen. Sie schwebte nicht wirklich in Lebensgefahr, aber es galt, die Auffälligkeit schnellstmöglich abzuklären. Dr. Frank würde sich besser fühlen, wenn Frau Diesler bis zur Untersuchung unter Beobachtung stand.

Als die Patientin verschwunden war, gönnte Stefan sich die erste Tasse Kaffee des Tages. Sie hatten Mittagspause, und das Sprechzimmer war endlich leer.

„Chef, Sie wirken irgendwie geknickt!“, stellte Martha Giesecke fest.

Marie-Luise Flanitzer, seine zweite Arzthelferin, nickte.

„Schwester Martha hat recht“, beteuerte sie. „Ist Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen?“

„Nein, keine Laus …“, brummte Stefan verdrießlich. „Aber eine neumodische App.“

„Was soll det denn sein?“, schnaubte Martha Giesecke kopfschüttelnd.

Aber Marie-Luise Flanitzers Gesicht hellte sich merklich auf. Sie war wesentlich jünger als ihre Kollegin und konnte offenbar mehr mit dem Begriff anfangen.

„Na, mit diesen Apps kann man tolle Sachen machen!“, schwärmte sie. „Es gibt eine Baby-App, die man als Babyphon nutzen kann. Eine Freundin von mir hat das kürzlich gemacht. Es gibt eine App, die einem sofort ausrechnet, wie viel Zucker in den Lebensmitteln aus dem Supermarkt ist. Und Apps, die genau messen, wie viele Schritte man am Tag gegangen ist und die direkt den Kalorienverbrauch berechnen.“

„Überflüssiger Quatsch!“, befand Schwester Martha und winkte gleichgültig ab.

„Es gibt offenbar auch Apps, die versuchen, mir meinen Job wegzunehmen!“, seufzte Stefan gequält. „Die Patientin eben ist wegen ihrer Herz-App hierhergekommen.“

Verdutzt sahen seine zwei Mitarbeiterinnen ihn an. „Wie jetzt?“, fragte Marie-Luise Flanitzer verblüfft.

„Wie will denn ein Handy den Herzschlag messen?“, erkundigte sich Martha Giesecke amüsiert. „Muss ick mir mein Smartphone in Zukunft etwa auch noch gegen det Herz drücken, Chef? Es reicht doch, det jeder nur noch über dieses Whats-Apple erreichbar ist.“

„WhatsApp!“, korrigierte Marie-Luise Flanitzer leise.

Zerknirscht schüttelte Stefan Frank den Kopf.

„Nein. Es funktioniert offenbar über Helligkeitsschwankungen, die durch den Pulsschlag ausgelöst werden. Man legt seine Fingerkuppe auf die Kamera-Linse.“

„Verrückt, das will ich auch!“, entfuhr es Marie-Luise Flanitzer verzückt.

„Gibt es auch Apps, die meine Arbeit machen?“, brummte Schwester Martha leidenschaftslos. Fragend sah sie ihren Chef an. Als der den Kopf schüttelte, warf sie ihrer Kollegin Marie-Luise einen auffordernden Blick zu. „Solange es keine Schwester-Martha-App gibt, wirst du mich weiterhin hier in der Praxis finden! Und jetzt lass uns endlich Mittagessen gehen!“

***

Das Klingeln des Handys riss Eric so unsanft aus dem Schlaf, dass sein Herz für einen Moment erschrocken stolperte.

Verwirrt saß der Medizinstudent auf dem schmalen Schlafsofa im Pfleger-Raum. Auf der Abteilung grassierte gerade ein Magen-Darm-Infekt, und er hatte sich breitschlagen lassen, die Nachtschicht für einen der krankgeschriebenen Assistenzärzte zu übernehmen.

Man hatte ihm gesagt, dass er nichts zu befürchten habe. Es ginge nachts nur darum, bei den schlafenden Patienten nach dem Rechten zu sehen. Jetzt aber schien es doch einen Notfall zu geben.

„Der Patient auf der 5 krampft!“, sagte Nachtschwester Hedi mit professioneller Gelassenheit ins Telefon. „Kannst du rasch rüberkommen?“

Im nächsten Augenblick war Eric auch schon auf den Beinen. Es gab verschiedene Gründe, warum ein Patient plötzlich krampfen konnte. Kalte Panik brach in dem jungen Mann aus. Den Patienten auf der 5 hatte Eric noch vor drei Stunden behandelt. Er hatte ihm ein leichtes Schlafmittel verabreicht, weil der Kranke über Ruhelosigkeit geklagt hatte.

Während er über den menschenleeren nächtlichen Krankenhausflur raste, schlugen Erics Gedanken Purzelbaum. Hatte er das Medikament etwa zu hoch dosiert? Hatte er irgendetwas in der Patientenakte übersehen?

Zerebrale Krampfanfälle klangen in der Regel meist von selbst wieder ab. Aber manchmal wurde der Zustand lebensbedrohlich. Was, wenn Eric Schuld an dem plötzlichen Anfall war?

Er hatte das Zimmer endlich erreicht. Atemlos kam er vor dem Bett des Patienten zum Stehen. Der Mann krampfte immer noch. Sein Gesicht war wegen der unregelmäßigen Atmung bläulich verfärbt. Schaum quoll ihm aus dem Mund. Eric wusste, dass das von dem starken Speichelfluss rührte, der typisch bei Krampfanfällen war.

Der Medizinstudent rief sich selbst zur Ruhe. Er musste jetzt schnell und bedacht handeln. Er war im letzten Abschnitt seines Studiums angelangt und verfügte über ein umfassendes Wissen zum Thema „Krampfanfälle“.

Sie mussten den Anfall schnellstmöglich medikamentös unterbrechen.

„Wir brauchen einen venösen Zugang!“, entschied er. Auf einmal war er ganz ruhig. Gemeinsam mit Nachtschwester Hedi versorgte er den Patienten und verabreichte ihm zusätzlich ein Beruhigungsmittel. So oder so würde der Mann die nächsten Stunden tief und fest schlafen.

Ein Grand-mal-Anfall bedeutete Höchstanstrengung für Gehirn und Körper. Es gehörte zum Krankheitsbild dazu, dass die Patienten nach solch einem Anfall erst mal in einen tiefen Schlaf sanken.

Schweißgebadet verließ Eric eine halbe Stunde später das Patientenzimmer. Dem Mann ging es wieder gut, und er war stabil. Wie die Krankenschwester in der Zwischenzeit in Erfahrung gebracht hatte, hatte der Patient in der Vergangenheit schon häufiger gekrampft. Es hatte also nichts mit Erics Medikamentengabe zu tun gehabt.

Hedi hatte sich bei Eric für sein rasches und beherztes Eingreifen bedankt. Offenbar hatte er alles richtig gemacht und konnte zufrieden mit seiner Leistung sein.

Eric lehnte schwer atmend an der Flurwand. Erleichterung überkam ihn. Sein Herz klopfte zum Zerspringen, gleichzeitig war er todmüde. Sollte es heute Nacht noch einen Notfall geben, würde er sich mit Hilfe von Energy-Drinks wach halten müssen.

Pamela kam den Flur heruntergeschwebt. Offenbar hatte auch sie Nachtschicht.

„Na, wen haben wir denn da?“, fragte sie in ihrem üblichen spöttischen Tonfall. „Was machst du denn mitten in der Nacht hier auf dem Flur, Eric? Du solltest schlafen. Oder im Pflegerzimmer ein paar uralte Folgen von Emergency Room anschauen!“ Sie grinste.

Eric verspürte bei Pamelas Anblick eine sonderbare Wärme. Diese Frau war einfach nur umwerfend schön. Er sehnte sich danach, in ihren Armen zu liegen.

„Einer meiner Patienten hatte einen Krampfanfall“, erklärte er, immer noch außer Atem. „Das war eben ein ganz schöner Schreck. Es sieht schockierend aus, wenn einer vor dir liegt und minutenlang krampft. Zum Glück habe ich nicht die Nerven verloren.“

Pamela hob die linke Augenbraue.

„Ich bitte dich, Eric. So etwas wirft dich schon aus der Bahn? Jedes Helferlein beim Roten Kreuz hat tagtäglich mit Krampfanfällen zu tun. Eric, du willst ernst zu nehmender Arzt werden! Also reiß dich zusammen.“

Eric sah die Kollegin fragend an. Was wollte sie ihm mit ihren scharfen Worten sagen? Er nahm die Leistung von Ersthelfern durchaus ernst. Und die Sache gerade hatte ihn wirklich mitgenommen. Was wäre er für ein Arzt, wenn ihn alles kaltlassen würde?

„Hast du die Leute vom Roten Kreuz beleidigt?“, fragte er verunsichert. „Oder hast du mich beleidigt? Es ist einfach zu spät in der Nacht, ich kann nicht mehr klar denken.“

Pamela spielte mit dem glitzernden Ring an ihrem Finger.

„Ich habe dich nur daran erinnert, für was du hier angetreten bist, Eric. Du willst irgendwann Facharzt sein. Womöglich willst du eine Station leiten. Vielleicht hast du ja sogar einen Oberarzt- oder Chefarzt-Posten im Sinn. Dann solltest du irgendwann anfangen, dich auch wie ein Arzt zu verhalten.“

Sie stand nun ganz nah neben ihm. Ihr aufdringliches Parfüm kitzelte seine Nase.

„Und das bedeutet?“ Mit pochendem Herzen sah er sie an.

„Das bedeutet: Du fällst nicht in Ohnmacht, wenn jemandem Blut abgenommen wird. Und dir wird nicht schlecht beim Anblick eines offenen Bruchs. Ein Krampfanfall ist Routine für dich. Und übrigens brauchst du eine andere Freundin.“

Perplex öffnete Eric den Mund. Was meinte sie denn jetzt damit?

„Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon du redest!“, erwiderte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

Pamela zog ihre Nase kraus.

„Ich rede von dieser grauen Maus, die kürzlich hier war, um dir deine vergessenen Sachen zu bringen. Als Arzt brauchst du eine Partnerin, die dir ebenbürtig ist. Es muss ja nicht unbedingt eine Ärztin sein. Eine Apothekerin oder Juristin lass ich auch gelten.“

Ganz offenbar sprach Pamela von Corinna.

„Corinna ist meine WG-Mitbewohnerin und nicht meine Freundin“, stellte Eric müde klar. „Davon abgesehen ist sie total nett. Sie ist eine ausgebildete Schreinerin. Ich wüsste nicht, inwiefern sie damit in der Hierarchie irgendwie unter mir wäre. Im Übrigen ist meine Mutter Verkäuferin und mein Vater Elektriker. Beide haben kein Abitur. Ich halte nichts von solchen Standesdünkeln. Entscheidend ist, was für einen Charakter ein Mensch hat.“

Missbilligend sah Pamela ihn an. Seine Antwort schien ihr nicht zu gefallen.

„Na ja, es kann nicht jeder aus einer Arztfamilie kommen wie ich!“, sagte sie mit plötzlichem Verständnis. „In meiner Familie gibt es Ärzte seit vier Generationen.“

„Glückwunsch“, brummte Eric genervt. Auf einmal war sie ihm unsympathisch.

Pamela schien seinen plötzlichen Stimmungsumschwung zu spüren. Sie legte versöhnlich eine Hand auf seine Schulter.

„Nimm mir meine frechen Sprüche nicht krumm, hübscher Kollege!“, sagte sie schmeichelnd. „Ich hatte einen langen Tag. Und jetzt noch die Nachtschicht! Ich weiß ja selbst, wie hart der Dienst in der Klinik ist. Aber ich meine es ernst, Eric: Du musst einfach abgebrühter werden und dir ein dickeres Fell zulegen.“

Eric nickte bedrückt. Sie hielt ihn also für ein Weichei.

„Wollen wir die nächsten Tage mal einen Cocktail zusammen trinken?“, fragte Pamela zum Abschied.

Erics plötzliche Abneigung gegen sie verflog. Er starrte in ihr bildschönes Gesicht, sein Blick verharrte auf ihren hübsch geschwungenen Lippen.

„Ja, gerne!“, stammelte er erfreut. „Ich weiß nur nicht, wann. Der Dienstplan wechselt gerade täglich.“

„Stimmt!“ Pamela seufzte. „Dann lass uns einfach spontan ausgehen. Es gibt hier im Viertel eine großartige Bar. Es verkehren dort hauptsächlich Promis. Berühmte Schauspieler geben sich die Klinke in die Hand. Hin und wieder trifft man dort auch Profi-Fußballer.“

Innerlich verdrehte Eric die Augen. Wollte sie nun mit ihm ausgehen, oder ging es ihr darum, die Reichen und Schönen der Stadt zu bewundern? Oder zählte sie sich gar selbst dazu?

Da war es wieder, das bohrende Gefühl, dass Pamela womöglich doch nicht die Richtige für ihn war. Für einen Moment sehnte sich Eric heim zu Navid und Corinna.

***

„Stefan, was machst du da schon die ganze Zeit? Du hast doch hoffentlich keine Geheimnisse vor mir?“

Stefan sah ertappt auf. Seine Freundin Alexandra stand vor ihm. Offenbar stand sie schon eine ganze Weile so da. Er war so vertieft in sein Smartphone gewesen, dass er sie überhaupt nicht bemerkt hatte.

Verlegen legte er das Handy zur Seite.

„Jetzt mal im Ernst, Stefan …“ Alexandras Stimme klang verunsichert. „Mit wem schreibst du da die ganze Zeit? Es dauert manchmal einen ganzen Tag, bis du auf eine SMS von mir antwortest! Und jetzt hängst du schon seit Stunden über dem Ding und bekommst gar nicht mit, was um dich herum geschieht.“

Sie hatte es tatsächlich geschafft, dass Stefan rot wurde. Er machte Alexandra auf dem Sofa Platz.

„Ich schreibe keine Nachrichten mit irgendjemandem“, stellte er klar. „Aber ich sehe mich auf dem Markt der magischen Apps um. Mich interessiert, was es auf dem medizinischen Sektor so alles gibt.“

Verblüfft ließ sich Alexandra neben ihn fallen.

„Apps?“, fragte sie zweifelnd. „Sind das nicht Handyspiele?“

Fachmännisch schüttelte Stefan den Kopf.

„Nein. App ist einfach eine Bezeichnung für eine Anwendung. Etwas, was dein Handy kann. Viele dieser Apps sind kostenfrei und finanzieren sich durch Werbung. Es gibt aber auch kostenpflichtige Apps. Schau mal hier, ein Gebärdensprach-Lexikon! Es werden kleine Videos abgespielt. Pfiffig, oder?“

Alexandra runzelte die Stirn.

„Klingt sinnvoll …“, gab sie zu. „Aber ich habe bislang auch ganz gut ohne diese Apps überlebt.“

Stefan nickte.

„Ganz meine Rede!“, beteuerte er. „Trotzdem dürfen wir uns nicht dem technischen Fortschritt verschließen. Heute in der Praxis kam eine Patientin zu mir, weil eine Herz-App auf ihrem Handy ihr eröffnet hat, dass sie Herzrhythmusstörungen hat!“

„Ernsthaft?“ Ungläubig sah Alexandra ihren Partner an.

Er nickte. „Ich habe sie zu Ulrich in die Klinik überwiesen. Vor Praxis-Schluss habe ich mit ihm telefoniert. Es handelte sich keineswegs um falschen Alarm. Das EKG hat eindeutig bewiesen, dass die Patientin eine Herzmuskelentzündung hat. Offenbar hat sie eine Erkältung verschleppt. Bis auf Müdigkeit gab es aber keinerlei weitere Symptome. Es handelte sich also um einen Zufallsbefund. Ein Zufallsbefund, der von einem stinknormalen Handy geliefert wurde!“

Die beiden Ärzte schwiegen nachdenklich.

Schließlich räusperte sich Stefan.

„Ich habe mich ernsthaft bei dem Gedanken ertappt, ob zukünftig Computer und Roboter die Arbeit von uns Ärzten machen. Eine virtuelle Intelligenz ist in der Lage, sämtliche Symptome der Medizingeschichte innerhalb von Sekunden gegenzuchecken. Wenn schon ein Handy eine Herzerkrankung diagnostizieren kann – was wird dann in Zukunft noch auf uns zukommen? Werden wir Ärzte irgendwann überflüssig sein?“

Entgeistert sah seine Partnerin ihn an.

„Aber, Stefan! So pessimistisch kenne ich dich ja überhaupt nicht!“ Sie kuschelte sich an ihn. „Ich gebe dir recht, vermutlich werden wir noch staunen, was für technische Fortschritte die Zeit bringen wird. Und vermutlich werden Ärzte irgendwann Hand in Hand mit Computern und Robotern arbeiten. Das machen sie ja zum Teil jetzt schon …“

Sie überlegte.

„Aber das bedeutet noch lange nicht, dass wir Mediziner vom Aussterben bedroht sind. Bei der Behandlung von Kranken geht es schließlich nicht nur um Analyse. Es geht um den direkten Patientenkontakt. Es geht darum, dass ein kranker Mensch sich einem anderen öffnet. Wir Ärzte sind wie Detektive. Wir müssen herausfinden, was die wahren Ursachen einer Beschwerde sind. Oft haben die Patienten keinen Schimmer von den Zusammenhängen …“

Stefan lauschte gebannt ihren Worten. Es gefiel ihm, dass sie eine Lanze für Ärzte brach. Trotzdem fühlte er sich sonderbar in seiner Berufsehre gekränkt. Diese Herz-App hatte ihn wirklich ernüchtert.

Aber dann entschied er, das Beste aus der Situation zu machen.

„Komm, lass uns gemeinsam schauen, was der Markt so zu bieten hat“, schlug er Alexandra vor.

Neugierig durchforsteten sie die Angebote.

„Aha, hier gibt es eine App, die einen daran erinnert, seine Medikamente regelmäßig zu nehmen!“, rief Stefan. „Offenbar gibt das Handy einen Erinnerungston ab.“

„Ob es das auch gibt, um einen daran zu erinnern, den Müll runterzubringen?“, scherzte Alexandra.

Sie tippte auf das Handy.

„Schau mal, da! Ein Anatomie-Quiz. Ob wir das heute noch hinbekommen würden? Das Studium liegt inzwischen so lange zurück.“

Stefan lachte. „Das will ich ja schwer hoffen!“, antwortete er heiter. Seine Miene verdunkelte sich. „Oje. Selbst das Ärzteblatt und das berühmte klinische Wörterbuch gibt es inzwischen als App. Womöglich werden die gedruckten Exemplare irgendwann vom Erdboden verschwinden.“

„Mal nicht gleich den Teufel an die Wand“, seufzte Alexandra. Sie nahm ihm das Smartphone aus der Hand. „Lass mich mal sehen. Medizinische Apps erinnern mich zu sehr an die Arbeit. Was passiert wohl, wenn ich das Stichwort Romantik in das Suchfeld eingebe?“

Amüsiert beobachtete Stefan sie dabei. Er würde später eine Flasche Wein öffnen, eine Kerze anzünden und Alexandra zuliebe im Fernsehen den Liebesfilm mit ihr anschauen. Sie freute sich schon die ganze Woche darauf. Stefan brauchte keine App, um Romantik in seine Villa zu zaubern.

Alexandra kicherte.

„Es gibt eine App für romantische Klingeltöne“, stellte sie fest. „Stefan, du könntest das bei dir einrichten. Und wann immer ich dich anrufe, erklingt die herzergreifende Melodie einer Boyband!“

„Und wenn mich Schwester Martha anruft, weil ich verschlafen habe, erklingt die Titelmelodie von Spiel mir das Lied vom Tod? Nein, danke!“ Die beiden lachten.

„Es gibt noch mehr. Zum Beispiel romantische Sätze für das erste Date. Und hier bietet eine App romantisches Kaminfeuer an. Das kann man dann offenbar auf dem Handy abspielen, während man beim romantischen Abendessen zusammensitzt!“

Stefan runzelte die Stirn.

„Kamingeknister aus dem Handy? Nein, das ist mir zu blöd. Weißt du was, wir brauchen das dumme Ding nicht, um unsere Zeit gemeinsam schön zu gestalten.“

Wild entschlossen schaltete er das Handy aus. Er erhob sich, um den Wein zu holen.

„Was haben wir heute Abend eigentlich vor?“, fragte Alexandra. Eigentlich hatte Stefan vorgehabt, heute endlich mal mit ihr zum Badminton spielen zu gehen. Sie beide machten viel zu selten Sport und saßen zu oft hinter ihren Tischen.

„Sport muss heute leider ausfallen!“, seufzte Stefan gequält. „Wir haben schließlich einen hoch romantischen Film anzuschauen. Worum ging es eigentlich noch genau?“

Erfreut sah Alexandra ihn an.

„Um die Liebe zwischen einem amerikanischen Soldaten und einer jungen Studentin. Oh, Stefan. Ich freue mich so darauf!“

„Danksagungen nimmt meine App entgegen!“, erwiderte Stefan trocken und holte endlich die Gläser. Verliebt sah er über seine Schulter zu Alexandra zurück.

***

Mit großen Augen starrte Navid auf den Bildschirm. Die junge Frau lachte herzlich und gestikulierte wild vor sich hin. Navid hätte das Video-Telefonat noch stundenlang fortführen können.

Nila war das bezauberndste Wesen, das ihm jemals begegnet war. Es ging ihm nicht nur darum, dass sie ausgesprochen hübsch war. Denn das war sie. Aber noch mehr interessierte ihn, dass sie ein humorvoller, einfühlsamer und ausgesprochen cleverer Mensch war.

Wie er wünschte sie sich Karriere und Familie gleichermaßen. Und sie konnte sich sogar vorstellen, mit ihm in die USA auszuwandern. Denn das war die berufliche Perspektive, die sein Arbeitgeber ihm bot.

„Ich habe mich sofort in dein Foto verliebt!“, gestand Nila. Obwohl er sie nur auf einem Bildschirm sah, konnte Navid erkennen, dass sie sanft errötete.

„Das ging mir umgekehrt genauso!“, gab er unumwunden zu. Meine Mutter hat mir dein Foto per E-Mail geschickt. Ich habe es aufgemacht, und in dem Moment blieb mein Herz für einen Augenblick stehen.“

Amüsiert lachte Nila. Auch ihr Lachen war hinreißend. Navid konnte es kaum erwarten, sie endlich vor den Traualtar zu führen.

„Wir werden ein glückliches Leben führen!“, wagte er eine Prophezeiung.

„Das werden wir!“, versprach seine fremde Braut.

Der Duft nach Sesamöl, Ingwer und Knoblauch kroch durch den Türschlitz seines Zimmers. Navid beugte sich vor.

„Meine Mitbewohnerin kocht heute zur Feier des Tages ein indisches Curry für mich!“, verriet er seiner Gesprächspartnerin im fernen Indien. „Ich werde es heimlich nachwürzen müssen. Falls du jemals nach Deutschland kommst, wirst du entsetzt sein über das fade Essen. Sie würzen wirklich überhaupt nicht.“

Nila kicherte. „Stimmt es, dass die Deutschen schon Paprikapulver für scharf halten?“

Navid nickte betrübt.

„Wenn ich das Essen auch nur ein bisschen schärfer mache, gibt es großes Geschrei. Viele Deutsche empfinden scharfes Essen regelrecht als Folter.“

„Ich liebe es, zu kochen …“, verriet Nila. „Ich werde dich mit wunderbarer tamilischer Küche verwöhnen.“

Nun war es Navid, der vor Freude rot wurde. Auch er liebte es, zu kochen. Im Geiste sah er sie beide schon nebeneinander vor einem Herd stehen. In Deutschland? In Indien? In den USA? Navid war alles egal. Hauptsache, er war irgendwann richtig mit Nila zusammen.

Es klopfte. „He, du verliebter Bräutigam!“ Corinna streckte ihren Kopf zur Tür herein. „Der Reis ist fertig. Ich habe das Essen extra scharf gemacht. Damit du nicht wieder lästerst.“

Rasch übersetzte Navid für seine indische Braut, und sie lachte erheitert. Die beiden Turteltauben beendeten ihr Telefonat, und Navid ging in die Küche. Eric saß bereits mit gesenktem Kopf dort. Er wirkte abwesend und müde.

Gedankenverloren surfte Eric mit seinem Handy im Internet. Wie es schien, war er auf Facebook gelandet. Das Foto einer bildschönen Blondine ploppte auf. Verlegen legte Eric das Handy zur Seite.

„Das ist meine Kollegin Pamela …“, murmelte er eine Erklärung in Richtung Navid. „Wir haben beruflich viel miteinander zu tun.“ Corinna servierte ihm mit verschlossenem Gesicht sein Essen. Er bedankte sich mit einem angedeuteten Nicken.

„Habt ihr nur beruflich oder auch privat viel miteinander zu tun?“ Navid blinzelte Eric verschwörerisch zu. Jetzt, da er verliebt war, wollte er auch, dass seine besten Freunde auf Wolken schwebten.

„Na ja …“ Eric gähnte. „Pamela wollte mit mir ausgehen. Aber einer von uns hat zurzeit immer Nachtschicht oder muss noch was lernen. Vielleicht wird es in fünf Jahren was, wenn ihre Facharzt-Ausbildung zu Ende ist.“ Er lachte trocken.

„Auf Navid und Nila!“, sagte Corinna feierlich. Sie hatte eine Flasche Weißwein geöffnet. Die drei WG-Bewohner stießen miteinander an.

„Sie ist einfach nur zauberhaft!“, schwärmte Navid. „Eric, mein Freund. Du solltest dir auch endlich wieder eine Partnerin suchen. Es ist nicht gut, wenn der Mensch allein ist.“

Dann wandte er sich an Corinna.

„Das Gleiche gilt auch für dich, Corinna! Du bist eine so wunderbare Frau. Warum verabredest du dich nicht mit einem deiner Arbeitskollegen?“

Ertappt starrte Corinna auf ihr Essen hinunter. Lustlos stocherte sie mit ihrer Gabel im Reis herum.

„Ich wäre ja langsam wieder bereit für die Liebe!“, beteuerte Eric. „Aber ich will auch nichts überstürzen. Es muss schon die Richtige sein.“ Sein Blick glitt gedankenverloren über Corinna. „Eine Frau wie Pamela. Oder noch besser: Pamela selbst. Ich fürchte, ich bin wirklich ein bisschen verschossen!“

Schweigend aß Corinna das Gemüse-Curry. Dann trank sie ihren restlichen Wein in einem Zug.

„Oh, oh. Das klingt nach einer ernsten Angelegenheit, mein Freund!“, scherzte Navid. „Wie sieht es bei dir aus, Corinna?“

Unglücklich sah seine Mitbewohnerin ihn an.

„Na ja …“, murmelte sie. „Es gibt da schon den ein oder anderen Arbeitskollegen, der mit mir flirtet. Und ein oder zwei finde ich auch richtig attraktiv und nett. Aber der Richtige war trotzdem noch nicht dabei. Ich fürchte, ich bin zu wählerisch, Navid! Deshalb bleibe ich den Rest meiner Tage Single.“

Mitleidig sah der indische Informatiker sie an. Er wünschte ihr so sehr, dass sie ihr Glück fand. So, wie er sein Glück bei Nila gefunden hatte.

„Wir wollen nicht mehr von der Liebe sprechen!“, entschied Corinna. „Navid, steht unsere Verabredung fürs Kino noch? Der Film läuft nur noch dieses Wochenende. Wenn ich ihn heute nicht schaue, habe ich keine Gelegenheit mehr dazu.“

Navid warf einen Blick auf die Uhr. Die Vorstellung begann in einer Stunde. Das konnten sie gerade noch schaffen.

„Klar. Ich will den Film selbst unbedingt sehen! Eric, hast du Lust, Corinna und mich zu begleiten?“ Auffordernd sah er den Medizinstudenten an.

Eric rieb sich die Augen.

„Du weißt ja, dass ich heute den ganzen Tag in der Klinik war …“, antwortete er müde. „Und gestern Nacht habe ich stundenlang medizinische Aufsätze gewälzt. Mir fehlt ganz dringend Schlaf. Geht besser ohne mich. Ich würde wohl nur im Kino einschlafen und die Vorführung durch mein nerviges Schnarchen stören.“

Corinna fing an, das Geschirr abzuräumen. Sie drehte sich zu Eric um.

„Dein Leben besteht wirklich nur noch aus Arbeit. Das Wochenende ist dafür da, den Kopf frei zu bekommen. Du kannst nicht den gesamten Samstag nur arbeiten. Komm mit, der Film dauert nur eineinhalb Stunden. Und danach gehst du heim und legst dich ins Bett.“

Unglücklich starrte Eric zur Uhr. Er hatte den Tag nur überstanden, weil er drei Dosen Energy-Drink getrunken hatte. Um im Kino nicht gnadenlos einzuschlafen, würde er eine vierte Dose benötigen. Er kratzte sich an der Stirn.

„Du hast mich überredet!“, stellte er dann mit einem angedeuteten Lächeln fest. Dann ging er zum Kühlschrank, um sich einen weiteren Energy-Drink zu holen.

***

„Ich fühle mich fast wie im Urlaub …“, schwärmte Alexandra. Sie hakte sich beschwingt bei Stefan unter. „Gestern haben wir diesen wunderbar romantischen Liebesfilm im Fernsehen geguckt, und heute schauen wir einen großartig besprochenen Thriller im Kino! Wenn es nach mir ginge, könnte unser Leben so weitergehen. Unterhaltung und Müßiggang – unterbrochen nur durch kurze Ausflüge ins Restaurant!“ Sie lachte.

„Tja, meine Liebe – am Montag warten aber unsere Patienten wieder auf uns!“, erinnerte Stefan Frank sie zärtlich. „Außerdem glaube ich dir kein Wort. Drei Tage ohne deinen geliebten Job als Augenärztin, und du würdest in eine schwere Sinnkrise fallen. Aber lass uns nicht von der Arbeit reden. Genießen wir lieber den Samstagabend.“

Sie hatten das Kino in der Münchner Altstadt erreicht und reihten sich in der Schlange ein. Ein paar Meter vor ihnen entdeckte Stefan ein vertrautes Gesicht. War das einer seiner Patienten? Stefan überlegte angestrengt, aber es wollte ihm nicht einfallen. Der junge Mann kam ihm seltsam bekannt vor. Aber all das Grübeln half nichts.

Nein, aus Grünwald war der Mann nicht. Er musste ihn aus einem anderen Zusammenhang kennen. Dann plötzlich fiel es ihm ein: Es war der Medizinstudent aus der Waldner-Klinik. Es war der junge Mann, der offenbar an Überarbeitung litt. Und dessen Streitgespräch Stefan Anfang der Woche mitbekommen hatte.

Offenbar war die Situation des jungen Mannes doch nicht so schlimm. Immerhin gönnte sich der Student einen freien Samstagabend mit Freunden. Nun erkannte Stefan auch die junge Frau, die damals mahnend auf diesen Eric eingeredet hatte. Die beiden waren in Begleitung eines gut gelaunten Inders.

Stefan zog Alexandra enger an sich heran. Sie waren an der Kassentheke angelangt, und Stefan zückte sein Portemonnaie.

„Darf es ein Love-Seat sein?“, fragte die junge Kassiererin mit Blick auf das Paar.

Irritiert sahen Stefan und Alexandra sich an.

„Das ist ein Doppelsitz ohne trennende Armstützen“, erklärte die Kino-Mitarbeiterin geduldig. „Für junge und ältere Verliebte eben!“ Sie lächelte freundlich.

Perplex nickte Stefan. Auch in den Kinosälen hatte die Romantik inzwischen Einzug gefunden. Und das ganz ohne Apps!

Sie gingen in den Saal und suchten nach ihrem Doppelsitz. Genüsslich kuschelte sich Alexandra in Stefans Arm.

„Fast wie zu Hause auf dem Sofa!“, flüsterte sie amüsiert.

„Aber daheim raschelt niemand mit der Popcorn-Tüte!“, flüsterte Stefan zurück. Ein paar Sitze weiter vorne konnte er das Dreiergespann entdecken. Eric hatte eine Dose geöffnet und kippte den Inhalt in sich hinein. Offenbar war das ein Energy-Drink. Die grelle Farbe der Dose ließ das vermuten.

Es wurde dunkel im Saal, und die Werbung begann. Auf der Leinwand pries ein junges, cooles Großstadt-Pärchen die Vorzüge eines neuen Smartphones. Der Ton im Kinosaal war zu laut eingestellt. Kein Wunder, dass immer mehr junge Menschen an Schwerhörigkeit litten. Die Bilder auf der riesigen Kinoleinwand wechselten in so rasender Geschwindigkeit, dass es Stefan schwindelig wurde.

War das die gute, neue Zeit, auf die alle so sehnsüchtig gewartet hatten? Manchmal sehnte er sich in die Vergangenheit zurück.

Endlich fing der Film an. Schon die erste Szene war vielversprechend. Es würde ein spannender Kinoabend werden. Die Schauspieler waren gut ausgewählt, die Dialoge klangen spannend. Und im Gegensatz zu der Werbung eben, hatte der Regisseur sich um ein gemächliches Tempo bemüht.

Vorne im Saal tat sich etwas. Vielleicht war einem Besucher das Getränk umgekippt. Auf jeden Fall sprang jemand auf. Im nächsten Moment rief eine junge Frauenstimme um Hilfe.

Handys wurden gezückt und deren Licht eingeschaltet. Es drohte Panik auszubrechen.

Auch Alexandra hatte sich neben Stefan erschrocken erhoben.

„Wir brauchen einen Arzt!“, hörte Dr. Frank einen ängstlichen Ruf. „Ich glaube, er atmet nicht mehr. Kann jemand helfen?“

In der Zwischenzeit hatte zum Glück jemand das Personal des Kinos informiert. Das Licht im Saal ging an, der Film wurde gestoppt. Überall sah Stefan in verwirrte Gesichter.

„Ich sehe mal nach, was da vorne los ist …“, entschied er. Eilig kämpfte er sich aus seiner Reihe. Er hastete den Gang nach vorn. Es war ausgerechnet die Freundin von Eric, die um Hilfe gerufen hatte. Und es war ausgerechnet Eric selbst, der bewusstlos im Sitz neben ihr zusammengebrochen war.

Mit Unterstützung des indischen Freundes trug Stefan den Bewusstlosen aus der Reihe. Sie legten ihn hin.

Mit professioneller Routine checkte Stefan die Lebenszeichen. Der junge Mann atmete, aber sein Puls ging unregelmäßig. Offenbar hatte er Probleme mit dem Herzen.

„Nimmt Ihr Freund Drogen?“, fragte Stefan in genau der Direktheit, die der Situation angemessen war.

Verstört schüttelte Corinna den Kopf.

„Nein, nicht, dass ich wüsste …“ Ängstlich streichelte sie die Wange ihres Mitbewohners.

Alexandra war zu ihnen getreten. Sie hatte in der Zwischenzeit einen Rettungswagen bestellt.

„Was haben Sie zu Abend gegessen?“ Fragend sah Stefan Corinna an. Er hielt immer noch das Handgelenk des Patienten. Es drohte jederzeit ein Herzstillstand, aber noch atmete Eric.

„Ich habe ein Curry gekocht …“ In Corinnas Augen schwammen ängstliche Tränen.

„Und wir haben Weißwein getrunken!“, fiel dem indischen Mitbewohner ein.

„Außerdem ernährt sich Eric fast ausschließlich von Energy Drinks“, ergänzte Corinna. „Keine Ahnung, ob das der Auslöser sein könnte.“

Stefan Franks Gesicht verriet ihr, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.

Im gleichen Moment stürmten auch schon die Sanitäter in den Saal. Stefan erteilte ihnen knappe Anweisungen und betete ein paar medizinische Begriffe herunter, die Corinna nicht verstand. Er bat die Kollegen, den Patienten direkt in die Waldner-Klinik zu bringen.

Als Eric im Krankenwagen verstaut war und das Auto mit Blaulicht davongefahren war, ging Dr. Frank mit Alexandra, Corinna und Navid in Richtung seines Autos.

Im Wagen herrschte bedrücktes Schweigen.

„Und Sie denken wirklich, dass es mit den Energy-Drinks zusammenhängt?“, fragte Corinna betroffen.

„Ja, mit großer Wahrscheinlichkeit“, erwiderte Stefan.

Er brauchte für seine Diagnose keine App. Die Informationen, die er erhalten hatte, genügten. Die vielen Jahre als Hausarzt hatten ihm ein enormes Wissen beschert. Gleichsam wusste er, dass Eric unbeschadet aus der ganzen Sache herauskommen würde.

„Ich bringe euch beide heim, in Ordnung?“ Er wandte sich an seine Freundin Alexandra und an Navid. „Danach fahre ich Corinna ins Krankenhaus.“ Er sah die junge Frau fragend an. „Ich denke, Sie wollen mit Ihrem Partner reden, sobald er wieder ansprechbar ist?“

Corinna errötete. „Eric ist nicht mein Partner“, stellte sie richtig. „Wir sind lediglich Mitbewohner.“

„Und wir sind seine besten Freunde!“, ergänzte Navid von der Rückbank.

„Trotzdem würde ich gerne noch in der Klinik vorbeischauen und mich vergewissern, dass alles in Ordnung ist“, entschied Corinna. „Je nachdem, wie lange Eric bleiben muss, braucht er ja sicher auch einige Sachen. Ich packe ihm seinen Schlafanzug und die Zahnbürste ein. Alles andere kann ich ihm dann auch morgen bringen.“

Stefan hatte das Haus erreicht, in dem die WG lebte. Die beiden jungen Menschen verließen eilig das Auto, und er war mit Alexandra allein.

„So viel zu unserem gemütlichen Kinoabend!“, sagte Alexandra seufzend.

Stefan legte den Arm um sie.

„Ach, so ein Notfall-Einsatz ist doch viel spannender als jeder Thriller es sein könnte!“, behauptete er versöhnlich.

Alexandra schmunzelte.

„Du hast recht!“, gab sie unumwunden zu. „Und weißt du was? Ärzte im Einsatz sind einfach unglaublich anziehend!“

Stefan lachte. „Flirtest du etwa mit mir?“, fragte er spitzbübisch.

Corinna kam bepackt mit Erics Sporttasche zurück zum Auto gehastet.

„Hast du bemerkt, wie traurig sie klang, als sie erwähnt hat, dass dieser Eric nicht ihr Partner ist?“, fragte Alexandra, ehe Corinna die Türe zum Rücksitz aufriss.

„Natürlich habe ich es bemerkt!“, erwiderte Stefan leise. „Und auch dafür brauchte ich keine App!“

***

In der Notaufnahme trafen Stefan und Corinna auf einen völlig aufgelösten Dr. Ulrich Waldner. Der Chefarzt sah die beiden nächtlichen Besucher zerknirscht an.

„Stefan, du hast dich als Orakel von Delphi bewiesen!“, sagte er ungläubig. „Es ist keine Woche her, dass du mich darauf hingewiesen hast, dass manche meiner studentischen Mitarbeiter überlastet sind. Ich habe deine Warnung, ehrlich gesagt, überhaupt nicht ernst genommen.“

Stefan klopfte dem Freund tröstend auf die Schulter.

„Mach dir nichts daraus, Ulrich. Sicherlich unterläuft auch mir im Umgang mit Martha Giesecke oder Marie-Luise Flanitzer hin und wieder ein Fehler.“

„Ja, aber deine Mitarbeiterinnen wurden noch nicht mit Kammerflimmern in die Notaufnahme eingeliefert!“, erwiderte Ulrich gequält.

Er lächelte Corinna entschuldigend an und schüttelte ihr zur Begrüßung die Hand.

„Die Kollegen im Rettungswagen haben auf der Fahrt hierher eine Defibrillation bei Ihrem Mitbewohner durchgeführt“, erklärte er ihr. „Jetzt wird Eric auf Herz und Nieren untersucht. Es muss einen Grund für seinen Zusammenbruch geben. Aber ganz bestimmt hat es indirekt mit seiner beruflichen Überlastung zu tun …“

Dr. Waldner wirkte wie ein begossener Pudel.

„Ich denke, den Grund kann ich dir auch direkt zwischen Tür und Angel verraten“, sagte Stefan. „Wie mir Corinna verraten hat, konsumiert der fleißige Eric Unmengen von Energy-Drinks. Du weißt, wie gefährlich das werden kann. Die Folgen sind unter jungen Menschen leider wenig bekannt. Nicht einmal Medizinstudenten bedenken die Risiken.“

Bestätigend nickte Dr. Waldner.

„Wir hatten erst gestern ein Nierenversagen bei einer Fünfzehnjährigen“, stellte er fest. „Eine Kombination aus exzessivem Konsum von Energy-Drinks und übertriebener sportlicher Aktivität steckte dahinter. Besonders Jugendliche haben nicht den blassesten Schimmer, was sie ihrem armen Körper mit diesen Aufputschmitteln antun.“

Die Tür zum OP öffnete sich, und die behandelnde Ärztin kam heraus. Corinna trat ängstlich auf sie zu.

„Ist alles in Ordnung mit Eric?“, fragte sie angespannt.

Die Ärztin nickte.

„Ja, sein Herz klopft wieder im Takt. Aber er wird seinen Lebensstil drastisch ändern müssen. Beim nächsten Mal kommt der Krankenwagen sonst womöglich zu spät.“

„Ich rede schon seit Wochen auf ihn ein!“, platzte es wütend aus Corinna heraus. „Er arbeitet zu viel und schläft zu wenig. Alle Sorgen frisst er in sich hinein, ohne sich darüber auszutauschen. Seine Ernährung ist alles andere als gesundheitsfördernd. Wie schon erwähnt, ist sein liebstes Nahrungsmittel inzwischen ein eisgekühlter Energy-Drink. Manchmal trinkt er am Tag vier oder fünf Dosen.“

Stefan bekam Mitleid mit dem jungen Kollegen. Es war ja keine Nachlässigkeit, die Eric dazu bewog, derartigen Raubbau mit seinem Körper zu betreiben. Die Anforderungen der Mediziner-Ausbildung ließen ihm kaum eine andere Wahl. Er musste im Klinikalltag einfach funktionieren. Und doch gab es Mittel und Wege, dem ganzen Stress Herr zu werden und trotz allem auf sich selbst zu achten.