Drachenschüsselnacht - Dill McLain - E-Book

Drachenschüsselnacht E-Book

Dill McLain

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Beschreibung

Ein überraschender Rausschmiss aus seiner Wohnung führt Kurt durch den prasselnden Regen ans Bellevue. In seiner Verzweiflung hilft ihm ein Fremder, der zufällig einen Gegenstand von Kurt auf der Strasse gefunden hat. Im bekannten Bratwurststand am Bellevue stellt sich der hilfsbereite Fremde als Gion Cantieni vor. Nach einem kurzen Gespräch lädt Cantieni Kurt spontan zu sich nach Hause ein und bietet ihm eine Schlafgelegenheit. Am nächsten Morgen steht die Polizei vor der Tür und verhaftet sowohl Cantieni, wie auch Kurt. Die beiden sind sich keiner Schuld bewusst. Der Vorwurf, die beiden (oder einer von ihnen) hätten Bruno, den Ex-Partner von Kurt umgebracht, lastet schwer. Wird sich ein Weg aus dem Gefängnis finden lassen? Dill McLain versteht es, die wirren Fäden dieser Geschichte geschickt zusammen zu führen. Ob es ein Happy End gibt? Finden Sie es heraus!

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Seitenzahl: 250

Veröffentlichungsjahr: 2021

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© 2020

Alle Rechte vorbehalten

Titelbild: © Ilustrabeatriz.webnode.es

E-Book: Heinz Kasper, www.printundweb.com

ISBN: 978-3-9525313-0-3

Herausgegeben von Dill McLain

in Zusammenarbeit mit Edition Lagarto

www.edition-lagarto.ch

Boa Constrictor

Die prall gefüllte Puma-Sporttasche schlug ihm hart ans Schienbein und hintendrein flogen Laptop sowie Tennis Racket. Dann fiel die Tür laut ins Schloss. Benommen stand Kurt im Korridor vor der Eingangstür zu der Wohnung, in der er seit über zwei Jahren wohnte. Er machte intuitiv einen Schritt in Richtung auf die Tür zu, strauchelte dabei jedoch über seine Sporttasche und verlor beinahe das Gleichgewicht. In diesem Moment wurde die Tür wieder aufgerissen. Auf der Schwelle erschien Bruno mit einem faltbaren Kleidersack in Händen und wütend schreiend:

«Und hier hast du auch gleich noch dein nobles Reisegepäck, vielleicht brauchst du es in besseren Zeiten wieder!»

Kurt konnte den Kleidersack gerade noch auffangen, bevor dieser zu Boden fiel, und fragte völlig entgeistert:

«Sag mal, was geht hier eigentlich vor, was um alles in der Welt ist denn in dich gefahren?»

Er erhielt keine Antwort. Die Wohnungstür schlug wieder zu.

Regungslos stand er da und fühlte die Welt über seinem Kopf zusammenbrechen. Jetzt ging auch noch die automatisch gesteuerte Treppenhausbeleuchtung aus und die Dunkelheit überfiel ihn wie ein kalter Schlag, während er immer noch wie angewurzelt vor dem geschlossenen Wohnungseingang verharrte. Er tastete sich langsam vorwärts und klopfte sanft an die hölzerne Tür, die sofort aufgerissen wurde, sodass er fast hinfiel. Bruno stand da, den rechten Arm in die Hüfte gestemmt, und erklärte mit hämischem Gesichtsausdruck:

«Mach jetzt ja keine Szene hier. Du hast haargenau gewusst, was passiert, wenn du unsere Abmachungen nicht einhältst. In meinem Leben ist absolut kein Platz für Versager. Ich will da nicht mit hineingezogen werden in dieses elende Jammern und Zaudern!»

Kurt stand fassungslos da und blickte auf den Mann, mit dem er seit über zwei Jahren zusammengelebt hatte. Allmählich begann er zu begreifen. Eine grosse Übelkeit stieg in ihm hoch, und es verschlug ihm die Stimme. Er blickte konsterniert auf die Füsse von Bruno. In die Augen mochte er ihm nicht mehr schauen. Bruno fuhr fort, in einem höchst überheblichen Ton:

«Ich erwarte wichtigen Besuch heute Abend und kann mich jetzt nicht weiter mit dir herumschlagen. Es ist ohnehin alles klar: Wir zwei passen nicht wirklich zusammen. Ich will nach oben, verstehst du, ganz nach oben, und dabei kann ich keine Bremsklötze brauchen. Jetzt habe ich die grosse Chance und ich will sie packen. Cantieni kommt zu mir heute Abend, um ein von mir organisiertes Objekt zu besichtigen – eine äusserst seltene und daher sehr wertvolle Antiquität. Ich weiss, dass er diese unbedingt für seine nächste Ausstellung haben will. Eben, Cantieni und sein Umfeld, das ist die Welt, die mir gefällt, da gehöre ich hin. Wenn jetzt alles klappt, bin ich bereits am Ziel. Nimm es nicht tragisch, du warst ohnehin immer eine Schuhnummer zu klein!»

Die Wohnungstür schlug mit lautem Knall zu. Kurt stand da wie festgenagelt. Irgendwann ging die Treppenhausbeleuchtung erneut aus. Wirre Gedanken schossen in ihm hoch, ungeordnete Bilder zogen in grellen Farben durch seinen Kopf, schneller und immer schneller. Viele kleine Bilder auf verschiedenen Bahnen, wie Filmstreifen liefen sie vorbei, dann geradeaus von seinem Kopf weg, wurden immer kleiner, sausten davon und verloren sich schliesslich ganz. Nun waren es nur noch Farben und Lichtblitze. Unter seinen Füssen schien sich der Boden in Bewegung zu setzen. Und er glaubte auf einer Bahn zu stehen, die sich immer rascher, ja rasender bewegte. Doch der Körper konnte nicht mithalten. Die Beine versagten. Kurt kauerte sich nieder. Es war bestimmt bloss ein wilder Traum. Gleich würde er aufwachen.

Die Wohnungstür wurde wieder aufgerissen, und wie von weither vernahm er erneut die Stimme von Bruno:

«Hier hast du noch dein berühmtes Lieblingsbild, und nimm bitte auch gleich dieses unsäglich dämliche Sofa-Tier mit. Alles andere lasse ich dir zukommen, sobald du mir eine Adresse bekannt gibst. Es ist vorbei, bitte geh jetzt endlich!»

Mit diesen letzten Worten stellte Bruno ein grosses, in Holz gerahmtes Bild neben den Kleidersack, warf Kurt mit einer verächtlichen Grimasse eine bunt geringelte Boa Constrictor aus Wolle über die Schulter, und ging ohne ein weiteres Wort in die Wohnung zurück. Die Tür fiel zu. Der Schlüssel wurde zügig zweimal im Schloss umgedreht.

Langsam und wie in Trance raffte Kurt sich auf, griff nach den Gepäckstücken, nach dem Bild und dem Tennis Racket. Dann ging er mit zögerlichen Schritten den Korridor entlang bis zum Lift. Endlos schien ihm das Warten vor der Lifttür. Er versuchte, sein Gepäck in eine sinnvolle Trageordnung zu bringen, doch das riesige Bild rutschte immer wieder weg. Unten angekommen, verliess er das Haus ohne einen Blick nach rechts oder links zu werfen. Das Bild stiess ständig gegen den Boden. Er merkte es kaum und ging wie ferngesteuert den Plattenweg entlang zur Strasse. Es war kalt und regnete in Strömen, typisches Novemberwetter. Kurt überquerte die Strasse und steuerte auf die Bushaltestelle zu. Unter dem kleinen Dach warf er sein Gepäck vor die Sitzbank, lehnte das Bild an den Abfallkorb, und liess sich auf die Bank fallen. Er hatte das Gefühl, in einen riesigen und unendlich tiefen, feuchtkalten Bottich zu sinken. Noch hatte er dessen Grund nicht erreicht.

Kurt sass da auf der Bank mit ausgestreckten Beinen inmitten seines Gepäcks und schaute starr geradeaus auf den Strassenbelag hinter dem Rinnstein. Er sah den aufprallenden Regentropfen zu. Wasser spritzte hoch, grosse Räder kamen in sein Blickfeld. Ein Bus hielt an, fuhr wieder ab. Unaufhörlich prasselte der Regen auf den Asphalt vor ihm. Erneut fuhr ein Bus vor, wieder fuhr er ab.

Und dann, als gerade wieder ein Bus vor ihm anhielt, ertönte plötzlich eine fröhliche Stimme:

«Wir helfen Ihnen mit dem Gepäck!»

Eine junge Frau mit halblangem Haar und schönem Profil stand vor ihm und griff nach dem Bild, während ihr Begleiter, ein bleicher junger Mann mit sehr kurzem Haar den Türknopf gedrückt hielt. Kurt packte den grossen Kleidersack und die Puma-Sporttasche, das Tennis Racket hatte er immer noch unter dem Arm geklemmt, und stieg mit in den Bus. Die junge Frau stellte das Bild vor die nächste freie Sitzbank, quetschte sich an Kurt vorbei und stieg aus dem Bus. Kurt konnte sich gerade noch bedanken, bevor die Bustür sich schloss. Die beiden winkten ihm von draussen freundlich lächelnd zu.

Der Bus fuhr los. Irgendwo hatte er diesen jungen Mann schon gesehen, dachte Kurt. Er starrte nun reglos auf sein Gepäck gegenüber auf der Bank. Nach drei Stationen hielt der Bus auf dem Kehrplatz der Endstation. Der Fahrer stellte den Motor ab und verliess das Fahrzeug. Kurt sah ihn draussen in Richtung der Toilette neben dem Kiosk verschwinden. Dann kam er zurück und rief Kurt lachend zu:

«Sie sind wohl in die falsche Richtung gefahren und wollten eigentlich stadteinwärts, ja, das kommt ab und zu vor!»

Kurt nickte gedankenverloren und zog sein Abonnement aus der Innentasche des Mantels. Der Fahrer winkte ab und ging grinsend zu seinem Sitz. Nach einer Weile stiegen drei weitere Fahrgäste zu und der Bus fuhr los in Richtung Innenstadt.

Kurt sass da, ans Fenster gelehnt, den Kopf in die linke Hand gestützt. Langsam beschlich ihn eine grosse, dumpfe Traurigkeit. Sie begann von den Füssen hoch über den Rücken emporzusteigen, und über dem Kopf hängenzubleiben, wie eine riesige, schwere Wolke, die ihn erdrücken wollte. Er fühlte sich elend, entwurzelt und kraftlos.

Und dann hielt der Bus am Bellevue. Hier herrschte tosendes Leben verglichen mit den ruhigeren Wohnquartieren von vorher. Wie automatisch betrieben, raffte Kurt sein Gepäck zusammen und stieg aus.

Nun stand er da auf dem Trottoir im strömenden Regen, das Bild an seine Hüfte gelehnt, die Kleidertasche über die andere Schulter gehängt, und vor sich auf dem Asphalt die Puma-Sporttasche, darauf lag das Tennis Racket. Immer noch prasselte der Regen hernieder, sodass er schliesslich seine Habseligkeiten vom Boden aufhob und alles hinübertrug zur grossen Traminsel, die überdacht war. Ein paar Meter vor der Kaffee-Bar in der Mitte der Traminsel stellte er seine Sachen ab und wartete. Er hatte keine Ahnung, wo er hin sollte. Es war alles derart unverhofft und schnell gegangen. Er blieb einfach da stehen und wartete.

Ein Tram fuhr vor, Leute stiegen aus und gingen zügig ihres Weges. Kurt stand da und wartete. Eine Ewigkeit. Eine Gruppe lachender Menschen stieg aus einem Tram, einer zeigte auf Kurt und sagt etwas zu den anderen. Nun schauten sie alle her, lachten und winkten. Wie ferngesteuert hob Kurt den Arm und winkte flüchtig zurück. Aber dieser kurze Moment von Aufmerksamkeit holte ihn aus seiner Versenkung und brachte ihn in die Realität zurück. Er musste irgendwo hin, aber wohin? Weg von den Leuten, weg von dem Lärm. Weg an einen ruhigen Ort, wo er sich fallenlassen konnte. Fallenlassen bis auf den Grund des grossen, feuchtkalten Bottichs. Aber wo war ein solcher Ort? Er war unfähig seine Gedanken zu ordnen.

Aber dann plötzlich gab er sich einen Ruck, nahm sein Gepäck auf und bewegte sich erst nach links, dann nach rechts, und nach einigem Zögern ging er geradeaus auf die Strasse zu. Er überquerte die Tramschienen und schleppte sich mit seiner Equipage von dort weiter über die Strasse. Es goss immer noch in dichten Strömen. Auf dem Zebrastreifen kurz vor der Strassenmitte rutschte ihm das Bild aus der Hand. Er liess die Pumatasche fallen, bückte sich und konnte das Bild gerade noch auffangen, bevor es in Richtung der Kühlerhaube eines vor dem Zebrastreifen wartenden Autos fiel. Irgendetwas verhedderte sich kurz, er fühlte ein Zerren hinten an seinem Mantel. Es blieb aber keine Zeit zurückzublicken, nun wechselte die Ampel auf Grün und der Verkehr brauste hinter ihm wieder los.

Kurt hielt vor dem stadtbekannten Bratwurststand und blickte durch das Fenster auf den Grillrost voller Würste. Dann drängte er sich samt Gepäck durch die Wartenden vor der Theke, ging weiter bis nach hinten. Der letzte Tisch in der Ecke war frei. Irgendwie kam Kurt bis dorthin, verstaute seine Habseligkeiten unter dem Tisch und vor der Wand dahinter, und sank dann völlig erschöpft auf den Stuhl. Das Lokal war voll, vor allem im vorderen Teil – er hatte Glück gehabt. Die Gedanken kreisten wie wild in seinem Kopf:

«Um Himmelswillen! Wo bin ich überhaupt? Was mache ich hier? Wieso habe ich all das Gepäck?»

Vom Buffet her rief ein Kellner: «Was darf ich bringen?»

In dem Moment ging eine Bewegung durch die Kundschaft an den Stehtischen vorne beim Eingang. Man machte Platz. Ein grossgewachsener, gutaussehender Mann in einem karierten Jackett stürmte herein, machte drei Schritte und schaute sich suchend um. Er schien in Eile und hielt etwas in den Händen, das er vor sich hin streckte. Nun drehte er sich um und ging weiter in Richtung des Tisches von Kurt. Einige der Gäste reckten ihre Köpfe und lächelten, andere schüttelten den Kopf oder rollten die Augen. Die meisten blieben teilnahmslos. Der grossgewachsene Mann zwängte sich durch die letzte Tischreihe und blieb schliesslich vor Kurt stehen.

«Sie müssen Kurt sein!»

Mit diesen Worten streckte er Kurt eine bunt geringelte Boa Constrictor aus Wolle entgegen. Und fuhr dann mit freundlicher Stimme weiter:

«Sie haben dies auf dem Zebrastreifen verloren vorhin, als Ihnen das Bild herunterrutschte!» Er legte die Boa Constrictor auf den Tisch und lächelte.

Völlig überrumpelt und wie aus einer anderen Welt fragte Kurt mit staunendem Gesichtsausdruck:

«Wieso kennen Sie meinen Namen?»

Die unglaublichen Geschehnisse dieses Tages schienen nicht enden zu wollen. Es wurde Kurt zu viel. Der grossgewachsene Mann beugt sich über den Tisch:

«Ach, das ist ganz einfach, die gestrickte Boa trägt ein Schildchen am Halsband und darauf steht ‚für min Götti Kurt‘!»

Der Fremde streckte Kurt die Hand entgegen, und stellte sich freundlich lächelnd vor:

«Hallo, ich bin Gion Cantieni!»

Kurt sah die ihm entgegengestreckte Hand nicht und hörte auch nicht den Namen des Fremden. Tränen rollten nun über seine Wangen. Er hielt den Kopf mit beiden Händen. Die Tränen tropften auf den Tisch.

Gion stand immer noch vor dem Tisch und bemerkte die neugierigen Blicke der Gäste an den Nebentischen. Er setzte sich und überlegte, was er jetzt hier angerichtet hatte. Sein Blick fiel auf das Gepäck unter dem Tisch und neben dem Stuhl. Eine etwas sonderbare Mischung wie ihm schien: Ein Kleidersack, eine Pumatasche, ein Tennis Racket, ein riesiges Bild und eine bunt gestrickte Riesenschlange.

«Kann ich etwas für Sie tun, kann ich Sie irgendwohin fahren, wo wohnen Sie?»

Kurt blickte kurz auf und sagt mit leiser Stimme:

«Nirgends, ich habe heute erst meinen Job verloren, und anschliessend wurde ich aus der Wohnung geworfen, es scheint der Tag meines persönlichen Untergangs zu sein!»

Das Aussprechen dieser Worte hatte eine ungeheure Wirkung auf Kurt. Stechender Schmerz fuhr ihm den Rücken hinauf und blieb im Genick stecken. Er sass da, biss die Zähne in die Lippen. Er wollte laut aufschreien, aber es ging nicht. Ein Tränenvorhang versperrte ihm die Sicht. Seine Hände tasteten nach der Boa Constrictor, verkrallten sich darin. Dann beugte er sich langsam vornüber, bis der Kopf auf seinen Händen ruhte, und liess den Tränen freien Lauf.

Gion verharrte betroffen auf seinem Stuhl und überlegte krampfhaft, was jetzt zu tun sei. Der Mann ihm gegenüber schien völlig verzweifelt zu sein. Nach kurzem Nachdenken winkte er den Kellner heran:

«Bringen Sie uns bitte zwei Cognac!»

Der Kellner nickte verständnisvoll und verschwand in Richtung Buffet.

Gion sprang auf und schlängelte sich durch die Reihen der Gäste an den diversen Stehtischen bis zur Theke und bestellte zwei Bratwürste. Mit den Bratwürsten in der einen und mit Brot und Senf in der anderen Hand eilte er wieder durch die dicht stehenden Gästegruppen hindurch zurück zum Tisch in der Ecke. Die beiden Gläser mit Cognac standen bereits auf dem Tisch. Er rückte seinen Stuhl ganz dicht an den Tisch heran, stützte seine Ellenbogen auf die Tischplatte und beobachtete sein Gegenüber. Er sah die bebenden Schultern und den zuckenden Nacken und es war ihm klar, dass der Mann weinte. Gion streckte langsam seinen Arm aus, legte ganz sachte seine Hand auf Kurts Schulter, und flüsterte über den Tisch:

«Komm, jetzt essen wir erst eine Bratwurst, spülen mit dem Cognac nach und dann habe ich eine Idee!»

Wie von weither vernahm Kurt diese Worte. Er hob leicht den Kopf und sah das Cognacglas direkt vor seinem Gesicht – aus dieser Perspektive schien es riesengross. Licht reflektierte in dem Glas und liess den Cognac wie Bernstein funkeln. Gion drückte ihm eine Bratwurst in die linke Hand und meinte mit munterer Stimme:

«Nimm erst einen kräftigen Bissen!»

Dann legte er eine Serviette auf die Boa Constrictor. Kurt richtete sich auf, blickte kurz um sich, bevor er schliesslich in die Bratwurst biss, um dann weiter auf das Cognacglas zu starren, während er kaute. Gion schob ihm noch ein ‚Bürli‘ – das war hier das berühmte, knusprige Brot, das zu den Würsten serviert wurde – über den Tisch, wandte sich seiner eigenen Bratwurst zu und biss herzhaft hinein. Er liess sein Gegenüber nicht aus den Augen. Etwa zur selben Zeit waren sie mit der Wurst und dem Brot fertig. Gion wischte die Brotkrümel vom Tisch, ergriff das Cognacglas und hob es hoch, mit den Worten:

«Auf dein Wohl und auf bessere Zeiten!»

Kurt hob sein Glas, blickte Gion einen Moment lang direkt in die Augen und nahm ganz bedächtig einen tiefen Schluck. Dann noch einen und stellte das Glas zurück auf den Tisch. Nach einem kurzen Augenblick ergriff er das Glas erneut und leerte es in einem Zug. Danach lehnte er sich zurück. Gion legte eine Banknote auf den Tisch, machte dem Kellner ein Zeichen und erhob sich. Er griff nach dem Kleidersack, der neben dem Tisch stand, packte die grellbunte Boa Constrictor unter seinen linken Arm, und sagte zu Kurt:

«Du nimmst den Rest. Los, wir gehen jetzt an die frische Luft!»

Kurt gehorchte und folgte ihm zum Ausgang, ohne einen Blick nach rechts oder links zu werfen. Draussen angekommen, machte er einen tiefen Atemzug. Der Regen hatte aufgehört.

«Komm, mein Wagen ist gleich um die Ecke parkiert!»

Wortlos schritten sie nebeneinander her, bogen am Ende des Gebäudes um die Ecke und gingen dann die leicht ansteigende Strasse hinauf. Nach ein paar Metern stellte Gion den Kleidersack ab und öffnete die Tür eines grossen Jeeps, der offensichtlich in Eile halb auf dem Trottoir stehend, halb auf der Strasse parkiert worden war. An der Windschutzscheibe unter dem Scheibenwischer steckte ein gefaltetes Papier. Gion deutete Kurt, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen und verstaute dann die Gepäckstücke im Kofferraum. Danach eilte er mit Riesenschritten um den Wagen herum nach vorne, zerrte etwas ungeduldig den Zettel unter dem Scheibenwischer hervor, und meinte sarkastisch:

«Aha, eine Parkbusse, das war ja zu erwarten!»

Eine Grimasse schneidend installierte er sich auf dem Fahrersitz. Sein Blick fiel auf die Uhr und er öffnete die Wagentür nochmals, stieg aus und beugte sich zurück ins Wageninnere:

«Ich muss noch ein Telefongespräch erledigen!»

Er schlug die Tür zu, zog sein Mobiltelefon aus der Tasche und wählte eine Nummer. Nach dreimaligem Klingeln meldete sich Roth am anderen Ende. Cantieni teilte ihm mit, dass ein dringender Termin dazwischengekommen sei und er die Verabredung für diesen Abend leider nicht einhalten könne. Roth schien ausserordentlich enttäuscht und schlug hartnäckig vor, die Verabredung um eine Stunde zu verschieben. Cantieni willigte schliesslich ein, ihn eventuell später nochmals anzurufen. Er stieg wieder in den Wagen und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Bevor er den Motor anliess, verharrte er einen Augenblick und schaute zu Kurt, der bewegungslos und zusammengesunken dasass, kreidebleich und irgendwie geistesabwesend. Seine beiden Hände umklammerten den Sitzgurt, als ob er irgendwo Halt suchen müsste. Gion seufzte:

«Ja, manchmal spielt einem das Leben üble Passagen und macht es sehr schwer, die Bahn zu finden. Wir fahren jetzt zu mir, ich habe genug Platz und ein freies Zimmer. Da bist du ganz für dich. Und morgen schauen wir weiter!»

Gion startete den Wagen und sie fuhren los. Bei der nächsten Ampel wechselte das Licht auf Rot und Gion hielt an. Kurt rappelte sich plötzlich etwas auf und wandte sich zu Gion, fast hektisch flüsternd:

«Ich kann auch in irgendein Hotel, ich möchte dir nicht zur Last fallen!»

«Kommt überhaupt nicht infrage, ich habe genug Platz und ich weiss, wie es ist, wenn es einem trostlos zumute ist. Man kann eine Dosis Motivation sowie gewissen Beistand gebrauchen!»

Das Licht wechselte auf Grün und Gion fuhr wieder weiter. Nach etwa zehn Minuten hielten sie vor einem vierstöckigen Gebäude, das frisch renoviert schien. Die beiden luden das Gepäck aus, es kamen noch zwei Einkaufstüten mit Esswaren dazu, und trugen alles zum Eingang. Gion schloss die Türe auf. Kurt agierte ohne nach links oder rechts zu schauen, ging einfach geradeaus zum Lift. Sie fuhren hoch in den vierten Stock und Gion stiess die Lifttüre auf, stellte die Pumatasche als Stopper davor, und schloss die linke Wohnungstüre auf. Kurt trat in einen elegant eingerichteten Vorraum. Gion ging an ihm vorbei zur zweiten Türe rechts und rief mit fröhlicher Stimme über die Schulter:

«Komm, hier ist dein Zimmer, Bad und WC sind gegenüber. Das Zimmer nebenan ist eigentlich das Büro meiner Sekretärin. Im Moment, besser gesagt seit einem Monat, habe ich leider keine mehr!»

Zögernd trat Kurt in das sehr geräumige, äusserst geschmackvoll eingerichtete Zimmer und stellte seinen Kleidersack vor den Schrank. Es schien ihm alles beinahe unfassbar. Erst war er plötzlich verstossen worden und hatte heimatlos im strömenden Regen gestanden, und schon war er wieder in höchst angenehmer Umgebung unter Dach und Fach. Gion klopfte ihm auf die Schulter und erklärte:

«Im Schrank findest du Morgenmantel und Pyjama. Badetücher und alles Weitere gibt es im Badezimmerschrank. Richte dich etwas ein, ich gehe kurz hinüber ins Atelier und verstaue die Esswaren. In zehn Minuten treffen wir uns hier nebenan im Wohnzimmer. Wir nehmen noch einen Gute-Nacht-Drink und plaudern eine Weile, wenn du willst!»

Kurt öffnete den Schrank und hängte sein Jackett auf einen Bügel. Er stellte das Gepäck aus dem Weg und trat auf den Korridor hinaus. Es war angenehm hier. Irgendwie tat es ihm gut. Es war für ihn wie eine Rettung im Katastrophenstrudel. Oder war er etwa am Boden des Bottichs angelangt und fantasierte bloss? Er hatte das Gefühl, eine zweite Person zu sein und neben sich selbst zu stehen. Gion trat fröhlich in den Korridor mit zwei riesigen Gläsern und einer Flasche Cognac und ging an ihm vorbei. Kurt folgte ihm langsam und trat nun in ein mit ausgefallenen Möbeln bestücktes Wohnzimmer mit zwei Alkoven. In der Mitte des Raumes standen Rücken an Rücken zwei riesige, tomatenrote Ledersofas. Sass man auf dem einen, führte der Blick in Richtung Alkoven und Fensterfront. Sass man auf dem anderen, fiel der Blick auf zwei grossartige Landschaftsbilder, offenbar gigantische Vergrösserungen von Fotografien. In der einen Ecke war eine Bar eingerichtet, Hocker und Theke waren im toskanischen Stil gefertigt. An der kürzeren Wand stand eine prächtige Holztruhe mit kunstvollen Intarsien.

«So, jetzt machen wir erst noch etwas Musik!»

Gion stellte Flasche und Gläser auf die Theke und ging hinter die Bar. Dort öffnete er eine Schublade und beugte sich für einen Moment über deren Inhalt. Kurt beobachtete den Mann, der in dieser bisher fürchterlichsten Phase seines Lebens wie ein rettender Engel aufgetaucht war: Gion war grossgewachsen, dichtes, dunkelbraunes Haar umspielte sein gut geschnittenes Gesicht in sanften Wellen, er hatte elegant fliessende Bewegungen und trug tadellos sitzende Kleidung. Insgesamt eine sehr gewinnende Erscheinung, dachte Kurt. Gion schob eine CD in das in der Theke installierte Abspielgerät. Angenehme Klaviermusik erfüllte den Raum. Kein Zweifel, es war Beethoven. Die Musik tat gut. Jetzt setzte das Orchester ein. Kurt drehte sich langsam um und liess sich auf eines der Ledersofas fallen. Er seufzte, lehnte den Kopf zurück und streckte die Beine. Die Musik strömte ihm entgegen, flutete durch seinen Körper. Als wollte sie ihn trösten am Ende dieses grauenhaften Tages, an dem ein Sturm von Ungerechtigkeiten über ihn hinweggefegt war und ihn schliesslich geknickt und zutiefst gedemütigt mit ein paar wenigen Habseligkeiten zurückgelassen hatte. Ein Tag, der sein Leben völlig zerstört hatte. Der schwärzeste Tag seines bisherigen Lebens. Keine Arbeit, kein Zuhause, kein Dazugehören. Einfach nichts mehr. Fallengelassen. Ein Tag, an dem er gleich doppelt erfahren musste, wie eiskalt berechnend Menschen sein konnten. Ohne Rücksicht. Ohne Verständnis. Der Schmerz der Enttäuschung über die abgewürgte, zerbrochene Beziehung, die vielleicht gar nie diejenige war, die er zu haben geglaubt hatte, stach tief in seiner Brust. Tränen rollten langsam über seine Wangen. Er wischte sie mit dem Handrücken weg und atmete tief durch.

Er spürte einen sanften Schubs an seinem rechten Fuss und schaut auf. Vor ihm stand Gion und streckte ihm lächelnd ein riesiges Cognacglas entgegen, mit der Aufforderung:

«Komm, lass uns anstossen, und dann erzählst du mir, was geschehen ist!»

Er zog ein kleines Beistelltischchen vor das Sofa, stellte einen Teller mit marinierten Oliven sowie kleinen, gefüllten Pfefferschoten darauf und liess sich neben Kurt auf dem Sofa nieder.

«Prosit auf die neue Zukunft!»

Kurt nahm einen Schluck Cognac. Gion hielt ihm die Platte mit Oliven und Pfefferschoten vor die Nase und forderte ihn auf:

«Du musst unbedingt die Pfefferschoten probieren, sie sind mit Trüffelkäse gefüllt, wunderbar!»

Dankbar für die Ablenkung biss Kurt in eine Pfefferschote und sogleich zog ihn der Trüffelgeschmack angenehm in den Bann.

«Oh ja, die sind in der Tat köstlich!»

Er griff nach einer zweiten Pfefferschote und begann mit seiner Erzählung, erst stockend, denn er genierte sich und war es überhaupt nicht gewohnt, seine privaten Sorgen vor anderen auszubreiten. Doch Gion munterte ihn fröhlich auf:

«Lass einfach voll Dampf ab, das tut gut. Und morgen besprechen wir eine Strategie!»

Kurt erzählte ausführlich, was vorgefallen war bis zum Treffen der beiden im Bratwurststand. Ab und zu stellte Gion eine Frage, nickte oder schüttelte teilnahmsvoll den Kopf. Nach Beendigung der Schilderung sassen die beiden eine ganze Weile schweigend vor der Platte mit den restlichen Oliven und Pfefferschoten, bis diese schliesslich leer gegessen war. Gion stand auf, schenkte Cognac nach und sagte mit nachdenklichem Unterton:

«Absolut grauenhaft ist das alles, unmenschlich, fürchterlich, unglaublich. Erst wirst du jetzt ausgiebig ausschlafen. Und morgen besprechen wir den Anfang deiner Zukunft. Glaube mir, es findet sich ein Weg. Es gibt immer einen Weg. Immer. Ich habe auch schon eine Idee!»

Sie tranken die Gläser leer. Kurt kam alles vor wie in einem Traum. Inzwischen kroch eine bleierne Müdigkeit seinen Körper hoch. Es war alles zu viel gewesen und doch fühlte er hier nun einen winzigen Funken Hoffnung aufsteigen, aber richtig einordnen konnte er seine Gedanken nicht mehr. Er stellte sein Glas auf das kleine Tischchen, erhob sich langsam und wandte sich zu Gion:

«Ich bin dir zu grossem Dank verpflichtet, du bist aufgetaucht wie ein Rettungsboot, das plötzlich vor einem Schiffbrüchigen, der nicht mehr an Rettung glaubt, aus den riesigen Wellenbergen gleitet. Danke!»

Er dreht sich um und schritt langsam zum Gästezimmer. Gion rief ihm nach:

«Schlaf tief und gut, vielleicht kannst du mir auch einmal helfen, wer weiss, was uns das Leben noch beschert!»

Kurt zog sachte die Türe zu, streifte die Schuhe ab und begann sich zu entkleiden. Er fühlte sich erneut wie in Trance, von allen Seiten drohten Wände auf ihn einzustürzen. Er zog eines der Pyjamas aus dem Schrank über, sank auf den Bettrand und versuchte nochmals die Gedanken zu ordnen. Es ging nicht mehr. Wieder liefen diagonale Bahnen auf seinen Körper zu, andere von ihm weg. Immer schneller. Und doch hatte der Cognac seine Wirkung getan und er spürte auch eine bleierne Ruhe in sich. Er tastete nach dem Lichtschalter, löschte das Licht und liess sich in die Kissen fallen. Eine Weile noch rasten die Bilder in und um seinen Kopf. Dann tauchte er ab in tiefen Schlaf.

*****

Irgendwo, wie von weit her, surrte ein Wecker. Langsam öffnete Kurt die Augen und rappelte sich hoch. Verwundert blickte er um sich. Das Surren kam aus dem Schrank. Er stieg aus dem Bett, ging schnurstracks zum Schrank und öffnete die Schranktür. Dort hatte er gestern Nacht die Puma-Sporttasche versorgt und sein Jackett aufgehängt. Hastig öffnete er den Reissverschluss der Sporttasche und griff hinein, um den Wecker abzustellen. Aber er konnte ihn nicht gleich finden und dann hörte das Surren auf, die Alarmzeit war offenbar abgelaufen. Kurt zog die Tasche auf den Boden vor dem Schrank, um mit besserer Sicht weiterzusuchen. Der Inhalt war zweifellos flüchtig hineingestopft worden. Mit einem Schlag fiel die Erinnerung an die Geschehnisse vom Vortag auf ihn herab und raubte ihm fast den Atem. Er richtete sich auf, stand einen Augenblick da und starrte auf die Tasche. Dann drehte er sich abrupt um, ging zurück zum Bett, warf sich hinein, zog die Decke über den Kopf und schloss die Augen. Er fiel wieder in Schlaf.

Stunden später wachte er auf, verspürte Hunger und stieg aus dem Bett. Behutsam öffnete er die Tür und ging über den Korridor ins Badezimmer. Vor dem Badezimmerspiegel blieb er stehen und starrte eine ganze Weile gedankenverloren auf sein Spiegelbild. Er stand da und blickte suchend in sein eigenes Gegenüber, als würde er auf Antworten warten auf die Fragen, die in seinem Kopf rumorten. Dann beugte er sich vor, drehte den Wasserhahn auf, liess beide Hände mit Wasser volllaufen und klatschte sich das Nass ins Gesicht, zwei-, dreimal. Daraufhin drehte er den Wasserhahn zu und trocknete sich das Gesicht mit einem der bereitliegenden Gästetücher. Sein Blick fiel auf die Dusche. Er öffnete den Badezimmerschrank, nahm ein Badetuch heraus und begann langsam die Jacke seines Schlafanzugs aufzuknöpfen. In diesem Moment hörte er draussen im Treppenhaus kurz laute Stimmen, die sich dann wieder verloren. Er trat in den Korridor hinaus und lauschte angestrengt. Von irgendwoher vernahm er eine Stimme, die etwas auszurufen schien, dann folgten gedämpft andere Stimmen, aber er konnte nicht verstehen, um was es ging. Kurt öffnete die Wohnungstür. Es war niemand da, aber die Eingangstür gegenüber zum Atelier von Gion stand weit offen. Er ging über den Gang im Treppenhaus und trat in den Vorbereich des Ateliers. Sein Blick fiel linker Hand in eine geräumige Küche. Es duftete verführerisch nach frischem Kaffee. Kurt trat näher, schaute sich um und fand den Kaffee auf dem Küchenbuffet. Tassen standen auf einem Servierbrett bereit, sowie ein Körbchen mit kleinen Brötchen, daneben Butter und Marmelade.

Selten hatte sich Kurt derart auf einen Frühstückskaffee gefreut. Er goss Kaffee in eine der Tassen, zog einen Stuhl heran und nahm genüsslich einen grossen Schluck des edlen Getränks. Gerade als er die Hand nach einem der Brötchen ausstreckte, ertönte hinter ihm eine Stimme:

«Und wer sind Sie? Kommen Sie doch bitte mit nach drüben!»

Kurt erhob sich langsam vom Stuhl. In der rechten Hand die Kaffeetasse, in der linken Hand ein Brötchen folgte er dem Mann, der ihm bereits wieder den Rücken zuwandte und zügig aus der Küche schritt. Zeit zum Nachdenken gab es nicht.

Nun betrat er einen grossen, hellen Raum, fast ein Saal, eine enorme Fensterfront spendete grosszügig Licht, an den Wänden hingen wunderbare Bilder, es waren vergrösserte Fotografien, verteilt über den Raum standen drei grosse Arbeitstische, an der Wand waren zwei riesige Bildschirme auf beweglichen Stahlträgern montiert. Weiter kam Kurt nicht mit seiner Betrachtung. Um den mittleren Arbeitstisch standen mehrere Personen: Zwei in Zivilkleidung, zwei in Polizeiuniform und auf einem Stuhl sass Gion, die Hände vor das Gesicht geschlagen. War das jetzt wieder ein Traum? Oder war es immer noch die Tiefe des Bottichs? Oder war es gar Wirklichkeit? Er stand auf der Schwelle zu einem fremden Atelier, trug ein Gästepyjama, dessen Oberteil aufgeknöpft war, vor ihm an dem grossen Arbeitstisch sass der Mann, der ihn letzte Nacht gerettet hatte, darum herum alles unbekannte Gesichter. Und was sollten diese Uniformen? Was sollte das alles überhaupt, was war da los? Regungslos standen die vier Männer da und starrten ihn an. Die Szene war an und für sich unheimlich, aber Kurt hatte am Tag zuvor eine derart schreckliche Folge von Turbulenzen erlebt, dass er einfach gelassen dastand und wartete.