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Ein 11-jähriges Mädchen verschließt sich gegenüber ihrers besten Freundes, weil sie ihr KIndheitstrauma vor ihm verbergen will. Welches schwere Geheimnis hütet sie? Ein junger Mann - Boss einer Sprayer-Gang - verliebt sich in eine rätselhafte, junge Frau und will um alles in der Welt sein Geheimnis vor ihr verbergen. Ein Junge wird in der Schule gemobbt und von seiner Familie drangsaliert. Kann er mithilfe seiner Freundin einen Ausweg finden? 3 Dramen, wie sie packender nicht sein können, in einem Sammelband. Aus der Feder von Elias J. Connor.
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Inhaltsverzeichnis
BUCH 1
Widmung
Kapitel 1 - Neuanfang in der Brookstraße
Kapitel 2 - Der Spielplatz hinter dem Haus
Kapitel 3 - Das erste Wort
Kapitel 4 - Im Gefängnis
Kapitel 5 - Heimliches Treffen
Kapitel 6 - Verbote
Kapitel 7 - Willst du auf meine Party kommen?
Kapitel 8 - Der Klang der traurigen Seele
Kapitel 9 - Trennung
Kapitel 10 - Ist alles verloren?
Kapitel 11 - Die Flucht
Kapitel 12 - Das Eingreifen des Jugendamts
Kapitel 13 - Hilf mir, irgendjemand
Kapitel 14 - Daryls Familie
Kapitel 15 - Die offizielle Konfrontation
Kapitel 16 - Enthüllungen
Kapitel 17 - Daryls Sorgen um Svantje
Kapitel 18 - Ein verzweifeltes Entkommen
Kapitel 19 - Die Gleichgültigkeit der Mutter
Kapitel 20 - Alleine in der Mitte von Menschen
Kapitel 21 - Die Tat der Verzweiflung
Kapitel 22 - Die Stimmen der Engel
Kapitel 23 - Die einzig wahre Familie
Hilfe für betroffene Kinder häuslicher Gewalt
BUCH 2
Widmung
Disclaimer
Kapitel 1 - Nachts an der Brücke
Kapitel 2 - Der Rausschmiss
Kapitel 3 - Das einsame Mädchen
Kapitel 4 - Die Osteria
Kapitel 5 - S 11
Kapitel 6 - Flucht nach Luxemburg
Kapitel 7 - Du wirst nie vergessen sein
Kapitel 8 - Die Rivalen
Kapitel 9 - Wir rennen wieder weg
Kapitel 10 - Das Ende der 124
Kapitel 11 - Wahre Liebe
Kapitel 12 - Raus von Zuhause
Kapitel 13 - Der Wettbewerb
Kapitel 14 - Weit, weit weg
Kapitel 15 - Alleine in der Ferne
Kapitel 16 - Sams neues Leben
Kapitel 17 - Zur Hölle mit dir
Kapitel 18 - Leonies Besuch
Kapitel 19 - Ich lasse dich nicht alleine
BUCH 3
Widmung
Kapitel 1 - Traum oder Wirklichkeit?
Kapitel 2 - Ellis hat Geburtstag
Kapitel 3 - Im Schwimmbad
Kapitel 4 - Die schlechte Note in Deutsch
Kapitel 5 - Die Nacht woanders
Kapitel 6 - Warum musst du gehen, Natalie?
Kapitel 7 - Karens Freunde
Kapitel 8 - Cereon
Kapitel 9 - Ist Natalie wirklich da?
Kapitel 10 - Gedemütigt
Kapitel 11 - Herbstferien
Kapitel 12 - Natalie spricht wieder
Kapitel 13 - Der geheime Clan
Kapitel 14 - Die Flucht
Kapitel 15 - Krieg im Haus Cereon
Kapitel 16 - Gewinner und Verlierer
Kapitel 17 - Die ersten Worte nach langer Zeit
Kapitel 18 - Bei Natalie zu Hause
Kapitel 19 - Zurück auf Cereon
Kapitel 20 - Brenne, Tagebuch, brenne
Kapitel 21 - Weihnachten in Miami
Kapitel 22 - Wir bleiben Freunde für immer
Kapitel 23 - Der erste Albtraum nach 2 Jahren
Kapitel 24 - Das Jugendzentrum
Kapitel 25 - Das Lied der Feen
Kapitel 26 - So finster wie die Nacht
Kapitel 27 - Der Boss der coolen Clique
Kapitel 28 - Bilder aus der Vergangenheit
Kapitel 29 - Innigkeit
Kapitel 30 - Natalies Schwur
Kapitel 31 - Wird sie sterben?
Kapitel 32 - Gegen den Strom
Kapitel 33 - Wo ist Natalie?
Kapitel 34 - Die Erinnerung an die Austausch-Schüler
Kapitel 35 - So weit, wie die Flügel dich tragen
Kapitel 36 - Nadjas Worte
Kapitel 37 - Ellis und Nadja
Kapitel 38 - Natalies Bekenntnis
Kapitel 39 - Wieder Bilder aus der Vergangenheit
Kapitel 40 - Willst du nicht mehr leben?
Kapitel 41 - Zurück im Heim Cereon
Kapitel 42 - Neuanfang in einer anderen Stadt
Über den Autor Elias J. Connor
Impressum
SVANTJE – SCHREI IN DER DUNKELHEIT
Für Jana.
Meine Freundin und Vertraute.
Du kennst alles an mir, begleitest mich durch alle Höhen und Tiefen meines Lebens.
Danke, dass du da bist.
Das große Mietshaus, ein Plattenbau aus den 1970er Jahren, thront schwer und grau inmitten einer endlosen Betonwüste. Seine kantigen Fassaden ragen hoch in den Himmel und werfen lange Schatten auf den tristen Parkplatz davor. Die Sonne kämpft sich mühsam durch die Wolkendecke und wirft vereinzelte, blasse Strahlen auf das Gebäude, die den Beton in einem fahlen Licht erstrahlen lassen.
Die graue Fassade des Hochhauses wirkt, als hätte sie schon unzählige Jahre des Schicksals erlebt. Große, betonierte Balkone erstrecken sich über die gesamte Breite des Gebäudes und zeugen von einer Zeit, in der die Menschen dachten, sie könnten das Grau der Stadt mit ein paar Topfpflanzen verschönern. Doch die meisten dieser Balkone sind mittlerweile verwaist, ihre Blumenkästen längst verblasst, und nur vereinzelte Bewohner haben noch den Willen, ihre kleinen grünen Oasen zu pflegen.
Die Fenster des Mietshauses sind rechteckig und nüchtern. In ihnen spiegelt sich der Himmel, der an diesem Tag von einem schweren Grau beherrscht wird. Hier und da hängen Vorhänge, die entweder zugezogen sind, um den Blick auf die Tristesse der Außenwelt zu verbergen, oder die in verblichenen Blumenmustern und verwaschenen Farben erstrahlen, als ob sie schon Jahrzehnte auf dem Buckel hätten.
Der Eingangsbereich des Plattenbaus ist schmucklos und funktional. Eine große Doppeltür aus Holz, Metall und Glas führt in das Innere des Gebäudes. Über der Tür prangt ein verblasstes Schild mit der Aufschrift „Wohnpark Brookstraße“. Die Beschriftung wirkt wie ein schlechter Witz angesichts der Tatsache, dass die Sonne an diesem Ort nur selten ihr Gesicht zeigt. Auf beiden Seiten der Tür stehen einige Briefkästen, von denen mehrere mit Zetteln überhäuft sind. Die Namen auf den Zetteln sind meist kaum lesbar, und es scheint, als würden die Bewohner sich nicht mehr die Mühe machen, ihre Post abzuholen.
Der Boden im Eingangsbereich besteht aus abgenutztem Linoleum, das in den 70er Jahren sicher einmal modern war, heute jedoch nur noch trist und fleckig wirkt. Ein mäßig erfolgreicher Versuch, den Raum etwas aufzuhellen, besteht aus einigen Kunstpflanzen in grellen Farben, die in hohen Töpfen aufgestellt sind. Ihre Blätter sind staubig, und das Grün ist längst verblasst.
Ein großer, schmuddeliger Teppich führt weiter in das Innere des Mietshauses. Er ist mit diversen Flecken und Fußspuren übersät, die im Laufe der Jahre ihre Geschichten erzählt haben. Am Rand des Teppichs stehen abgenutzte Schuhschränke, in denen die Bewohner ihre Schuhe verstauen. Hier und da hängen Jacken und Mäntel an den Haken, als ob ihre Besitzer sie jeden Moment wieder anziehen könnten, um hinauszugehen.
An den Wänden hängen alte, vergilbte Fotografien, die Szenen aus längst vergangenen Zeiten zeigen. Gruppen von Menschen in 70er-Jahre-Kleidung, die fröhlich in die Kamera lächeln, als ob die Welt damals noch in Ordnung gewesen wäre. Doch die Gesichter auf den Fotos sind längst gealtert, und die Freude ist einem müden Lächeln gewichen.
Der Flur erstreckt sich endlos in die Tiefe des Gebäudes. Hier und da führen Türen zu den Wohnungen der Bewohner. Die Türen sind alle unterschiedlich gestaltet, einige frisch gestrichen und mit neuen Klingelschildern, andere verwittert und von den Jahren des Verschleißes gezeichnet. Einige Türen sind mit Kinderzeichnungen verziert, andere mit handgeschriebenen Zetteln, auf denen „Bitte nicht klingeln!“ steht.
Im Flur herrscht eine Stille, die von den Gedanken der Bewohner erfüllt ist. Man hört kaum ein Geräusch, abgesehen vom gelegentlichen Quietschen einer Tür oder dem Summen eines Aufzugs, der sich langsam nach oben oder unten bewegt. Doch unter dieser Stille schwingt eine Melancholie, die die Atmosphäre des Mietshauses durchdringt.
Einige der Bewohner sind schon seit Jahrzehnten hier in der Brookstraße in Frechen zu Hause, haben ihre Kinder großgezogen, sind alt geworden. Andere sind vor kurzem eingezogen, auf der Suche nach einer bezahlbaren Unterkunft in der Großstadt. Sie alle teilen ein Stück ihres Lebens mit diesem Plattenbau, diesem grauen Koloss.
Das große Mietshaus mag äußerlich trist und abweisend erscheinen, aber es birgt Geschichten und Leben in seinen grauen Mauern. Es ist ein Ort, an dem die Zeit stillzustehen scheint, während das Leben der Bewohner unaufhörlich weitergeht. In den engen Fluren und den schmucklosen Wohnungen werden Träume geträumt, Geschichten geschrieben und Schicksale gelebt. Und so bleibt der Plattenbau nicht nur ein Gebäude aus Beton und Stahl, sondern ein Ort, an dem das Leben in all seinen Facetten seinen Platz gefunden hat.
Svantje schlüpft leise aus der alten Holztür des großen Mietshauses und betritt die Straße. Sie wirft einen flüchtigen Blick nach links und rechts, bevor sie sich schüchtern umsieht. Die Hektik der Stadt um sie herum scheint sie zu überwältigen, und sie zieht sich noch weiter in sich selbst zurück. Ihre zierliche Gestalt wirkt verloren zwischen den hohen Gebäuden und dem ständigen Strom der Passanten, die an ihr vorbeiströmen.
Vorsichtig setzt sich Svantje auf eine einsame Bank am Straßenrand. Ihr Blick ist gesenkt, und ihr blondes Haar fällt in unordentlichen Strähnen über ihr Gesicht. Sie zieht ihre Beine eng an den Körper, als ob sie sich in dieser kleinen Geste vor der Welt da draußen verstecken könnte. Svantje ist erst elf Jahre alt, aber sie trägt die Last der Welt auf ihren schmalen Schultern.
Ihre Mutter, eine desinteressierte Frau, hat kaum Zeit für sie. Wenn sie nicht bei der Arbeit ist, vergräbt sie sich in ihre eigenen Sorgen und Probleme. Svantje vermisst die Geborgenheit und Wärme, die andere Kinder von ihren Eltern bekommen. Ihre Mutter ist überfordert und ausgebrannt, und Svantje fühlt sich oft wie ein lästiger Störfaktor in ihrem Leben.
Die Traurigkeit hat sich in Svantjes Herz eingenistet, und sie fühlt sich einsam, auch wenn sie von Menschen umgeben ist. Sie sehnt sich nach jemandem, der ihr zuhört, der ihre Sorgen ernst nimmt und ihr Geborgenheit schenkt. Doch bisher hat sie niemanden gefunden, der sich die Zeit nimmt, sie kennenzulernen.
Svantje starrt auf den Boden vor sich und versinkt in ihre Gedanken. Sie denkt an die Schule, wo sie sich immer bemüht, still und unauffällig zu sein. Die anderen Kinder lachen und spielen miteinander, während sie am Rand des Geschehens steht. Sie ist zu schüchtern, um auf sie zuzugehen, und sie hat gelernt, sich in ihre eigene kleine Welt zurückzuziehen.
Ihre Mutter hat ihr beigebracht, stark zu sein und ihre Gefühle zu verbergen, aber manchmal bricht die Einsamkeit über sie herein wie eine Welle. Svantje sehnt sich nach einem Freund, nach jemandem, der sie so akzeptiert, wie sie ist. Doch bislang ist sie zu schüchtern gewesen, um auf andere zuzugehen, und die anderen Kinder scheinen sie kaum wahrzunehmen.
Die Menschen auf der Straße eilen an Svantje vorbei, ohne sie zu beachten. Sie ist wie ein Schatten in der Menge, fast unsichtbar. Die Stadt lebt ihr eigenes Leben, und Svantje fühlt sich abgekapselt von dieser Welt. Es ist, als ob sie gar nicht existiert, als ob sie in einer Blase der Unsichtbarkeit gefangen ist.
Svantje schließt die Augen und atmet tief durch. Sie versucht, die Traurigkeit und Einsamkeit in ihrem Inneren zu verdrängen, aber es ist schwer. Die Tränen brennen in ihren Augen, doch sie kämpft dagegen an, sie herauszulassen. Sie ist so gewohnt, stark zu sein, dass sie sich nicht erlauben kann, schwach zu wirken.
Ihr Blick wandert zu den Passanten, die eilig an ihr vorbeigehen. Sie beobachtet die glücklichen Gesichter, die lebhaften Unterhaltungen und die Hände, die sich liebevoll berühren. Svantje wünscht sich, ein Teil dieser Welt zu sein, ein Teil von etwas, das größer ist als sie selbst.
Doch sie weiß nicht, wie sie diesen Schritt wagen soll. Die Angst vor Zurückweisung ist zu groß, und so bleibt sie auf ihrer Bank sitzen, allein und unsichtbar. Svantje sehnt sich nach Verbindung und nach einem besseren Leben, aber der Weg dorthin erscheint ihr steinig und schwer.
Die Zeit verstreicht, und die Stadt pulsiert um sie herum. Svantje bleibt still auf ihrer Bank sitzen, in ihrer eigenen Welt gefangen. Sie weiß, dass sie stark sein muss, dass sie nicht aufgeben darf, aber manchmal fühlt sie sich so verloren und hilflos.
Vielleicht wird eines Tages jemand ihre Einsamkeit bemerken, vielleicht wird jemand auf sie zukommen und ihr die Hand reichen. Bis dahin wird sie weiterhin still und reserviert auf ihrer Bank sitzen, ein unsichtbares Mädchen in einer belebten Stadt.
Als es schon dunkel wird, geht Svantje traurig in das große Mietshaus hinein und läuft zielstrebig zu ihrer Wohnung. Die Abenddämmerung legt sich schwer über die kleine Stadt, und die Straßenlichter beginnen, sich zaghaft zu entfalten. Svantje betritt ihre Wohnung, ein Ort, der normalerweise für Trost und Sicherheit steht, doch heute lastet etwas Schwermütiges in der Luft.
Der Flur erwartet sie mit einem unschuldigen Käfig, in dem ein kleiner Hase sitzt, der mit seinen wachsamen Augen neugierig in die Welt hinausblickt. Doch ein schneller Blick auf die leeren Futterschalen sagt Svantje, dass er noch nicht gefüttert wurde. Sie seufzt leise und fühlt sich schuldig, dass sie in ihrer Eile vor der Schule vergessen hat, sich um ihren pelzigen Freund zu kümmern.
Gerade als sie sich daran macht, die Hasenschale mit frischem Futter zu füllen, ertönt der schwere Schritt ihrer Mutter im Flur. Ihre Mutter, überfordert und gereizt von einem langen Arbeitstag, stürmt in die Wohnung. Svantje zuckt zusammen und dreht sich zu ihrer Mutter um, das Herz klopft wild vor Angst.
„Wieso ist der Hase noch nicht gefüttert?“, schreit ihre Mutter, ohne eine Begrüßung oder ein Lächeln. Die Worte schneiden durch die Stille des Raumes wie scharfe Messer.
Svantje stammelt entschuldigend: „Es tut mir leid, Mama. Ich war nur für einen Moment draußen, um frische Luft zu schnappen, und dann habe ich es vergessen.“
Ihre Mutter rollt mit den Augen und schnaubt, bevor sie sich daran macht, den hungrigen Hasen zu füttern. Doch der Zorn in ihr brodelt weiter. Mit ungeduldigen Bewegungen hantiert sie mit dem Futter und dem Wassernapf, während sie ihren Zorn an dem kleinen Tier auslässt.
„Du kannst doch nicht einmal eine einfache Aufgabe erledigen. Immer vergisst du alles. Du bist so nutzlos, Svantje!“
Ihre Mutter hebt den Kopf, die Augen glühend vor Wut. Ihre Stimme übertönt das sanfte Plätschern des Hasen beim Trinken.
„Wozu tu ich alles für dich?“, beschwert sich die Mutter. „Wozu arbeite ich mich jeden verdammten Tag ab?“
Svantje fühlt sich klein und verletzlich. Tränen sammeln sich in ihren Augen, aber sie beißt die Lippen zusammen und weigert sich, vor ihrer Mutter zu weinen. Sie will nicht noch mehr Ärger.
Die Mutter gibt dem Hasen einen letzten Hieb auf den Kopf und wendet sich ihrer Tochter zu.
„Du sitzt nur hier und tust nichts, als würdest du den ganzen Tag nur herum trödeln. Du bist so faul. Kannst du nicht wenigstens einmal im Leben etwas Vernünftiges tun?“
Svantje möchte sich verteidigen, doch ihre Stimme versagt ihr den Dienst. Sie senkt den Blick zu Boden und wünscht sich, unsichtbar zu sein.
„Komm her und hol diese Rassel aus dem Kinderzimmer“, befiehlt die Mutter barsch. „Damit der Hase nicht den ganzen Abend nur herum zappelt.“
Svantje gehorcht still, fast wie ein Roboter, der keine andere Wahl hat. Sie rennt ins Kinderzimmer und findet die Rassel, die sie als kleines Mädchen geliebt hat. Sie kann immer noch das klingende Lachen hören, das sie und ihre Mutter teilten, als sie damit spielten. Doch heute ist nichts mehr wie damals.
Mit zitternden Händen kehrt sie in das Wohnzimmer zurück und übergibt die Rassel ihrer Mutter. Ihre Mutter nimmt sie ohne ein Wort des Dankes und wirft einen missbilligenden Blick auf ihre Tochter.
„Jetzt geh auf dein Zimmer und mach keine weiteren Probleme“, zischt sie. „Wenn du nicht in der Lage bist, vernünftig zu handeln, dann bleib einfach dort.“
Svantje nickt, obwohl sie sich am liebsten gegen die Ungerechtigkeit aufgelehnt hätte. Doch sie hat gelernt, dass es in solchen Momenten besser ist, den Kopf zu senken und zu gehorchen. Sie dreht sich um und macht sich auf den Weg zu ihrem kleinen Zimmer.
Die Tür fällt leise hinter ihr ins Schloss, und sie lässt sich auf ihr Bett sinken. Tränen strömen über ihre Wangen, und sie wünscht sich, sie könnte der Welt entfliehen. Der Hase in seinem Käfig und die Rassel in der Hand ihrer Mutter sind die einzigen Zeugen ihres stillen Leidens.
Die Stunden verstreichen, während Svantje allein in ihrem Zimmer sitzt. Die Stimme ihrer Mutter dringt durch die Tür, gedämpft und trotzdem quälend, während sie am Telefon mit einer Freundin streitet. Svantje würde alles dafür geben, ihre Mutter glücklich zu sehen, aber sie weiß nicht, wie sie das ändern soll.
Schließlich wird es still im Haus, und Svantje hört, wie ihre Mutter ins Bett geht. Der Abend ist nun so dunkel wie ihre Stimmung. Sie legt sich unter die Decke und schluchzt leise in ihr Kissen.
Irgendwann schläft sie ein, und im Traum findet sie sich in einer Welt wieder, in der sie fliegen kann. In dieser Welt ist sie mutig, stark und frei. Doch der Traum endet viel zu früh, und Svantje erwacht in der Dunkelheit ihres Zimmers.
Der Schmerz in ihrem Herzen ist noch immer präsent, aber sie weiß, dass sie weitermachen muss. Svantje wischt sich die Tränen aus den Augen und denkt an den kleinen Hasen im Flur. Sie weiß, dass sie sich um ihn kümmern muss, egal wie schwer es ist.
Leise und vorsichtig steht sie auf, öffnet die Tür zu ihrem Zimmer und geht in den Flur. Der Hase schläft friedlich in seinem Käfig. Svantje lächelt, als sie ihn betrachtet. Sie nimmt sich vor, immer für ihn da zu sein, selbst wenn niemand für sie da zu sein scheint.
Hinter dem großen Mietshaus in der Brookstraße befindet sich ein kleiner Spielplatz. Dieser grüne Fleck inmitten der urbanen Betonlandschaft ist von hohen Bäumen umgeben, die im Sommer dichten Schatten spenden. Ein Gitterzaun begrenzt das Areal, und überfüllte Mülleimer stehen strategisch an den Ecken des Spielplatzes, wobei ihre Gerüche von vergangenen Abenteuern und Picknicks zeugen.
Ein lauer Frühlingsnachmittag umhüllt den Spielplatz mit einer warmen Atmosphäre. Einige Kinder haben den Weg hierher gefunden und sind tief in ihr Spiel vertieft. Ein kleines Mädchen schaukelt hoch in den Himmel, ihr Lachen mischt sich mit dem Zwitschern der Vögel. Neben ihr sitzt ein Junge in der Sandkiste, und seine Augen strahlen vor Entdeckerfreude, während er versucht, den größten Sandburgturm zu bauen, den die Welt je gesehen hat.
In der Ecke des Spielplatzes haben sich zwei Mädchen eine der schattigen Ecken erobert. Sie spielen Seilhüpfen und singen dabei ein fröhliches Lied. Das Geräusch der Seile, die auf den Boden prallen, bildet den Rhythmus, zu dem sie hüpfen, als wären sie in einer eigenen Welt gefangen, die nur aus Glückseligkeit besteht.
Die Szenerie mag auf den ersten Blick trist erscheinen, und die alten, rostigen Schaukeln und verwitterten Rutschen sind längst nicht mehr die modernsten. Doch für die Kinder, die hier spielen, ist der Spielplatz ein Zufluchtsort, ein kleines Paradies inmitten des städtischen Chaos. Hier vergessen sie die Sorgen und Nöte des Alltags, sie tauchen ein in eine Welt der Fantasie und Unbeschwertheit.
Eine Gruppe von Jungen tobt sich auf dem Basketballplatz aus. Ihr lautes Lachen und die schallenden Aufprallgeräusche des Balls auf dem Boden vermischen sich zu einem fröhlichen Chaos. Einer der Jungen dribbelt geschickt um die anderen herum und wirft den Ball in den Korb. Ein Jubelsturm bricht aus, als der Ball sein Ziel trifft.
Die Eltern, die in den umliegenden Wohnungen wohnen, beobachten das bunte Treiben auf dem Spielplatz mit einem Lächeln. Sie wissen, dass dieser Ort für ihre Kinder von unschätzbarem Wert ist. Hier lernen sie nicht nur das Miteinander, sondern auch die Werte von Kreativität, Ausdauer und Teamarbeit.
In einer der Schatten spendenden Baumhöhlen sitzt ein älterer Mann. Seine grauen Haare wehen im Wind, während er still die Szenerie beobachtet. Er trägt den Ausdruck eines Menschen, der sich an vergangene Zeiten erinnert, als er selbst hier auf diesem Spielplatz spielte. Die Erinnerungen an all die Abenteuer, die er mit seinen Freunden erlebte, zaubern ein Lächeln auf sein Gesicht.
Ein kleines Mädchen, das sich von der Gruppe der Seilhüpferinnen gelöst hat, nähert sich dem alten Mann. Ihr Name ist Emma, und sie ist erst fünf Jahre alt. Mit großen neugierigen Augen betrachtet sie den Fremden und spricht ihn schließlich an.
„Warum sitzt du hier alleine, Opa?“, fragt sie unschuldig.
Der alte Mann lächelt herab und nimmt Emma auf seinen Schoß.
„Nun, kleines Mädchen, ich sitze hier und erinnere mich an die alten Zeiten, als ich selbst hier gespielt habe. Dieser Spielplatz war mein zweites Zuhause, und ich habe hier so viele Abenteuer erlebt.“
Emma schaut sich um und nickt verständnisvoll.
„Ich liebe diesen Spielplatz. Hier kann man so viel Spaß haben!“
Der alte Mann nickt und erzählt Emma von seinen Abenteuern auf diesem Spielplatz. Er erzählt ihr von den geheimen Verstecken, den Schatzsuchen und den Geschichten, die sie sich unter dem Sternenhimmel erzählten.
Emma lauscht gespannt und stellt viele Fragen, die der alte Mann geduldig beantwortet.
Während die beiden miteinander plaudern, nähert sich eine Gruppe von Kindern, die Emmas Gespräch mit dem alten Mann beobachtet haben. Neugierig setzen sie sich um die beiden herum und lauschen den Geschichten des alten Mannes.
Die Sonne neigt sich langsam dem Horizont entgegen, und die Stimmung auf dem Spielplatz wird ruhiger. Die Kinder haben genug getobt und gespielt und lassen sich nun von den Geschichten des alten Mannes verzaubern. Die Erinnerungen an vergangene Zeiten vermischen sich mit den Träumen der Kinder von zukünftigen Abenteuern.
Der Spielplatz in der Brookstraße ist an diesem Nachmittag mehr als nur ein einfacher Ort zum Spielen. Er ist ein Ort der Erinnerungen, der Geschichten und der Träume. Ein Ort, an dem die Vergangenheit auf die Gegenwart trifft und die Zukunft in den Augen der Kinder aufleuchtet. Es ist ein Ort, der zeigt, dass auch inmitten des Großstadtlebens, in all seiner Tristesse, die Freude, die Fantasie und die Unbeschwertheit der Kindheit einen Platz finden können.
Niemand hat das junge, blonde Mädchen bemerkt, die nachdenklich und alleine auf der anliegenden Bank sitzt. Traurig blickt sie auf die Menschen um sich herum, auf den alten Mann, der den Kindern Geschichten erzählt.
Svantje sitzt alleine auf der Bank am Spielplatz. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages streicheln ihre Wange, während sie die spielenden Kinder beobachtet. Ein leichter Windhauch weht durch ihre schulterlangen, blonden Haare, als sie einen etwa zwölfjährigen Jungen bemerkt, der sich immer wieder zu ihr umdreht.
Seine dunklen Augen fixieren sie, und ein schüchternes Lächeln spielt um seine Lippen.
Der Junge wagt den ersten Schritt und kommt langsam auf Svantje zu.
„Hey, du bist doch in meiner Klasse“, stellt er fest, als er schließlich vor ihr steht. Svantje nickt und sieht ihn schweigend an. Die Worte scheinen in ihrer Kehle zu stecken, unfähig, ihren Weg nach draußen zu finden.
Der Junge setzt sich neben sie und betrachtet sie neugierig.
„Warum hast du noch nie ein Wort gesprochen?“, fragt er mit einem Hauch von Verwunderung in der Stimme. Svantje zuckt nur mit den Schultern und richtet ihren Blick wieder auf die spielenden Kinder.
Der Junge gibt nicht so leicht auf.
„Ich bin Daryl, übrigens“, sagt er. „Ich wohne nicht hier, aber ich besuche hier meine Freunde schon eine ganze Weile. Wir gehen seit Jahren in die gleichen Klassen.“
Er versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen.
Svantje schaut ihn an und scheint sich für einen Moment zu überlegen, ob sie antworten soll. Schließlich hebt sie eine Hand und zeigt auf sich selbst, als ob sie sagen wollte, dass sie ebenfalls hier wohnt.
Daryl nickt verständnisvoll.
„Das ist ja interessant“, meint er daraufhin. „Ich habe dich hier noch nie gesehen, aber vielleicht bin ich einfach nur nie zur richtigen Zeit am Spielplatz gewesen.“
Er versucht, die Atmosphäre zu lockern und erzählt weiter.
„Ich spiele gerne Basketball. Das ist mein Ding, verstehst du? Ich träume davon, eines Tages ein erfolgreicher Sportler zu werden.“
Svantje verfolgt seine Worte aufmerksam, und ihre Augen sind voller Interesse, auch wenn sie selbst noch keinen Ton von sich gegeben hat. Ihr Schweigen scheint Daryl nicht zu stören. Er fährt fort: „Es ist so aufregend, wenn man auf dem Feld steht und den Ball in den Korb wirft. Du solltest es mal ausprobieren, wenn du möchtest.“
Die Sonne neigt sich dem Horizont zu, und die Schatten werden länger. Svantje beobachtet den farbenprächtigen Himmel, während Daryl weiter erzählt.
„Die Abende hier im Wohnpark sind oft am schönsten. Ich sitze oft auf dieser Bank, spiele Gitarre und singe. Das beruhigt mich, verstehst du?“
Er schaut Svantje erwartungsvoll an.
Wieder bleibt Svantje stumm, aber ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie nickt leicht, als ob sie Daryl versteht und seine Worte schätzt. Die Kommunikation findet auf einer anderen Ebene statt, eine, die über Worte hinausgeht.
Daryl spürt, dass sie sich wohlfühlt und setzt sich näher an sie heran.
„Es ist nicht schlimm, wenn du nicht sprichst. Aber wir können uns gerne morgen wieder hier auf der Bank treffen. Dann erzähle ich dir noch mehr Geschichten. Oder ich bringe mal meine Gitarre mit, dann mache ich ein bisschen Musik.“
Die beiden schweigen eine Weile und genießen die letzten Momente des Tages auf der Bank am Spielplatz. Als die Dunkelheit langsam einbricht und die Laternen den Park erleuchten, steht Daryl auf.
„Ich sollte langsam nach Hause gehen. Es wird schon spät, und die Kinder müssen in ihre Wohnungen“, gibt er zu verstehen.
Svantje schaut Daryl an und nickt langsam. Sie steht ebenfalls auf und begleitet ihn ein Stück, bis sie vor der großen Eingangstüre des Betonbaus stehen. Daryl bleibt stehen und lächelt sie an.
„Bis morgen“, sagt er erwartungsvoll.
Dann dreht er sich um und geht.
Svantje beobachtet ihn, wie er verschwindet, und fühlt sich zum ersten Mal seit Langem verstanden und akzeptiert. Sie freut sich auf morgen und darauf, Daryls Geschichten zu lauschen und vielleicht sogar seiner Musik zu lauschen. Und wer weiß, vielleicht wird sie eines Tages selbst die Worte finden, um zu sprechen.
Still und schweigend geht Svantje dann auch in ihre Wohnung. Die Mutter ist noch nicht da, und so verkriecht sich Svantje in ihrem Zimmer. Sie macht das Radio an und hört leise Musik, während sie sich auf das Bett legt und die Geschehnisse des Tages Revue passieren lässt.
Svantje hat heute nichts gegessen. Der Magen knurrt leise, doch sie kann nicht herausgehen, um sich etwas zu besorgen. Ihre Mutter ist schon den ganzen Tag nicht zu Hause gewesen, und so bleibt Svantje in ihrer kleinen Wohnung, eingesperrt von der Welt da draußen. Es war ein sonniger Tag heute, doch für Svantje fühlt er sich düster an.
Die Zeit verstreicht langsam, und Svantje vertreibt sich die Stunden mit Lesen und Fernsehen. Aber die Gedanken an das leere Kühlschrankregal lassen sich nicht vertreiben. Ihre Mutter hatte versprochen, rechtzeitig zurückzukommen, um gemeinsam zu essen, doch davon fehlt jede Spur. Svantje sorgt sich und fühlt sich einsam.
Als die Sonne längst hinter den Häusern verschwunden ist und die Dunkelheit hereinbricht, hört sie endlich das Geräusch von Schlüsseln in der Tür. Die Mutter ist zurück. Svantje tut so, als würde sie in ihrem Bett schlafen, die Augen geschlossen und den Atem ruhig. Sie möchte ihrer Mutter keine Vorwürfe machen, möchte nicht, dass sie sieht, wie hungrig und verletzt sie ist.
Die Mutter betritt leise das Zimmer, das Radio plärrt leise vor sich hin. Sie geht zur Kommode, schaltet das Radio aus und setzt sich kurz auf Svantjes Bett. Sie streicht ihrer Tochter sanft über die Stirn und flüstert: „Es tut mir leid, dass ich so spät nach Hause gekommen bin, Schatz. Wie war dein Tag?“
Svantje ist total verdutzt. So ein Verhalten kennt sie von ihrer Mutter nicht. Irgendetwas muss hier nicht stimmen, denkt sie bei sich. Normalerweise ist ihre Mutter stark gereizt und lässt all ihre schlechte Laune an ihr aus. Aber heute? Heute ist sie so freundlich. Warum?
Svantje öffnet langsam die Augen und lächelt schwach.
„Es war in Ordnung, Mama“, erwidert sie, obwohl sie sich nach einer warmen Mahlzeit sehnt.
Ihre Mutter küsst sie auf die Stirn und steht auf.
„Ich habe heute Besuch mitgebracht. Ich hoffe, das macht dir nichts aus“, sagt sie.
Daher weht also der Wind, denkt Svantje bei sich. Ihre Mutter hat wieder einmal einen fremden Mann hierher gebracht, der nichts darüber wissen soll, wie es hier normalerweise zugeht.
Schwach nickt Svantje und dreht sich daraufhin wieder zur Seite. Sie zieht ihre Decke fester über sich, so als wolle sie sich schützen vor der Kälte des Herzens ihrer Mutter.
Die Mutter lächelt und verlässt das Zimmer. Svantje hört, wie sie in der Küche Geräusche macht und hört schließlich Stimmen von draußen. Es ist eine fremde Männerstimme, die sie hört. Wieder bringt ihre Mutter einfach jemand Fremden mit, denkt Svantje bei sich. Es geht ihr so auf die Nerven, dass ihre Mutter mehr Zeit mit fremden Männern verbringt, als sich um Svantje zu kümmern. Sie fühlt sich vernachlässigt und allein gelassen.
Die Stunden ziehen sich hin, und Svantje hört das laute Lachen und die Gespräche von ihrer Mutter und ihrem Besuch. Sie liegt allein in ihrem Zimmer, den Hunger im Magen und die Traurigkeit im Herzen. Es fühlt sich an, als würde ihre Mutter sie vergessen haben.
Svantje fühlt sich nicht mehr wichtig. Eigentlich hatte sie sich noch nie wichtig gefühlt, ihr ganzes Leben lang.
Tränen laufen über Svantjes Gesicht, als sie sich in ihrem Bett zusammenrollt. Sie vergräbt ihr Gesicht im Kissen, um das Schluchzen zu ersticken. Sie vermisst die Zeiten, als ihre Mutter noch mehr Zeit mit ihr verbracht hat, als sie in der Lage war, mit ihr zu reden und sie zu trösten. Doch diese Zeiten scheinen vorbei zu sein.
Irgendwann wird es still im Wohnzimmer, und Svantje hört, wie ihre Mutter und der Besuch ins Schlafzimmer gehen. Die Tür fällt leise ins Schloss. Svantje ist allein in der Dunkelheit. Ihr Magen schmerzt vor Hunger, und die Traurigkeit in ihr scheint unendlich. Sie kann nicht verstehen, warum ihre Mutter so viel Zeit mit diesem fremden Mann verbringt und sie vernachlässigt.
Schließlich übermannt die Erschöpfung sie, und Svantje schläft ein. Die Tränen sind längst getrocknet, aber die Leere in ihrem Herzen bleibt. Sie träumt von besseren Zeiten, von Zeiten, als ihre Mutter für sie da war und sie sich geliebt fühlte.
Als der neue Tag anbricht, wird Svantje von den Sonnenstrahlen geweckt, die durch das Fenster scheinen. Sie erinnert sich an die Ereignisse der letzten Nacht und fragt sich, ob sich etwas ändern wird. Ihre Mutter ist bereits aufgestanden und aus dem Schlafzimmer gegangen, und der fremde Mann ist verschwunden. Svantje fühlt sich allein und hungrig, aber sie weiß, dass sie weiterhin auf ihre Mutter warten wird, in der Hoffnung, dass sich etwas ändert, dass ihre Mutter wieder mehr Zeit für sie hat und dass sie sich nicht länger vernachlässigt fühlt.
Svantje sitzt in ihrem Schulzimmer, das Herz klopft so laut in ihrer Brust, dass sie glaubt, die anderen Schüler könnten es hören. Mrs. Johnson, ihre Englischlehrerin, verteilt die Tests.
„So, sechste Klasse, heute bekommt ihr eure Englischarbeiten wieder“, sagt die Lehrerin. „Ich bin sehr zufrieden mit euren Resultaten. Bis auf einige wenige Ausnahmen hat die Klasse gut abgeschnitten.“
Mrs. Johnson, eine gebürtige Engländerin, spricht in ihrem Akzent und ruft die Namen einzeln auf.
Bei Svantje angekommen, legt sie das Arbeitsblatt stumm auf ihren Tisch.
Svantje schließt die Augen und atmet tief ein und aus, als sie das Blatt mit ihrer Note in den Händen hält. Ihr Herz rast, als sie die Augen öffnet und auf die große, fette "5" starrt. Eine Fünf.
Panik kriecht in Svantje hoch, und sie kann das Brennen der Tränen in ihren Augen spüren. Sie hat so hart für diesen Test gelernt, sich stundenlang mit Vokabeln und Grammatik gequält, und jetzt das. Ihr Blick wandert umher, und sie sieht, wie die anderen Schüler ihre Tests begutachten. Die meisten haben bessere Noten als sie, einige sogar eine Eins.
Svantje senkt den Kopf und lässt sich in ihren Stuhl sinken. Wie wird sie das ihrer Mutter beibringen? Ihre Mutter hat immer hohe Erwartungen an sie, hat immer gesagt, dass gute Noten wichtig sind. Svantje kann sich schon vorstellen, wie ihre Mutter reagieren wird, wenn sie von dieser Fünf erfährt. Wahrscheinlich wird sie schreien und schimpfen, so wie beim letzten Mal, als Svantje eine Drei nach Hause brachte.
Sie kann das Bild vor sich sehen: ihre Mutter wird enttäuscht sein und sie als Versagerin beschimpfen.
Der Rest des Schultages vergeht wie in einem Nebel. Svantje kann sich nicht auf den Unterricht konzentrieren, sie starrt nur auf ihren Test und fühlt sich elend. Als die Schule endlich vorbei ist, schleicht sie sich aus dem Gebäude, ohne mit jemandem zu sprechen. Sie hat nicht den Mut, ihren Klassenkameraden zu begegnen, nicht jetzt.
Stattdessen schlendert sie ziellos durch die Straßen, den Test immer noch in der Hand. Sie weiß, dass sie nach Hause gehen sollte, aber sie kann es einfach nicht. Die Angst davor, was ihre Mutter sagen wird, ist übermächtig. Also beschließt sie, sich auf den nahegelegenen Spielplatz zu begeben, der gerade verlassen scheint.
Als sie den Spielplatz erreicht, bemerkt sie, dass die Schaukeln leer sind und die Kinder, die normalerweise hier spielen, bereits nach Hause gegangen sind. Svantje sucht sich eine abgelegene Ecke, hinter den Büschen, wo sie hofft, nicht entdeckt zu werden. Sie lässt sich auf den Boden sinken und starrt auf den Test in ihren Händen.
Die Sonne steht tief am Himmel, und langsam beginnt die Welt um sie herum in ein warmes Abendlicht zu tauchen. Svantje hat das Gefühl, als wäre sie in einer anderen Welt, einer Welt, in der sie niemand beurteilen kann. Sie überlegt, wie sie ihrer Mutter entkommen kann, wie sie die Wut und Enttäuschung vermeiden kann, die sie erwartet.
Die Minuten verstreichen, und Svantje grübelt über die verschiedenen Ausreden nach, die sie verwenden könnte. Vielleicht könnte sie sagen, dass die Lehrerin den Test falsch bewertet hat, oder dass sie sich nicht wohl gefühlt hat und deshalb nicht ihr Bestes geben konnte. Aber sie weiß, dass ihre Mutter das durchschauen würde.
Leise sitzt Svantje da und weint in sich herein.
Draußen wird es allmählich dunkler, und der Spielplatz wird stiller. Svantje spürt Hunger in ihrem Magen, aber sie kann nicht nach Hause gehen. Die Vorstellung, wie ihre Mutter auf sie reagieren wird, lähmt sie. Sie fragt sich, wie sie in dieser Ecke des Spielplatzes die Nacht verbringen kann, ohne dass jemand nach ihr sucht.
Ihre Gedanken schweifen ab, und sie erinnert sich an die Zeit, als sie noch ein kleines Mädchen war. Damals konnte sie ihre Probleme immer mit ihrer Mutter teilen, und ihre Mutter würde sie in den Arm nehmen und trösten. Doch in letzter Zeit hat sich ihre Mutter verändert. Sie ist gestresst von der Arbeit und den finanziellen Sorgen. Svantje hat das Gefühl, dass sie nicht mehr zu ihr durchdringen kann.
Plötzlich hört Svantje ein Rascheln im Busch. Erschrocken zuckt sie zusammen.
„Svantje? Bist du da?“, ruft die Stimme eines Jungen.
Svantje reagiert nicht.
„Svantje“, ruft der Junge wieder.
Svantje zittert am ganzen Körper. Wer ist dieser Junge, und warum sucht er nach ihr? Svantjes Herz rast wie der Flügelschlag eines Kolibris. Sie klammert sich enger an den Busch und versucht, einige Zweige um sich herum zu legen, fast so, dass sie eins wird mit dem Busch. Unsichtbar und nicht auffindbar.
„Hier bist du“, sagt die Stimme des Jungen plötzlich, als er verwundert vor ihr steht. In seiner Hand hält er eine Gitarre. Seine dunklen Locken wehen im Wind, und er streift sich geschickt eine Haarsträhne aus seinem Gesicht. Sein Blick ist besorgt, aber gleichzeitig erleichtert, dass er Svantje gefunden hat.
Vorsichtig blickt Svantje sich um, dann kommt sie leise aus dem Busch heraus und blickt in die Augen von Daryl, dem Jungen aus ihrer Klasse, dem sie neulich hier auf dem Spielplatz begegnet ist.
„Bitte sage niemandem, dass ich hier bin“, traut sie sich daraufhin zu sagen. Ihre Stimme ist leise und gebrochen, man merkt ihr das Zittern noch an.
„Ich habe dich heute Nachmittag gesucht“, erklärt Daryl. „Du warst nach der Schule plötzlich weg. Was ist passiert?“
Svantje zuckt nur mit den Schultern.
„Woher weißt du denn meinen Namen?“, möchte Svantje daraufhin wissen.
Der Junge kichert leicht.
„Ein Klassenkamerad hat ihn mir verraten“, sagt er lächelnd. „Ich habe nicht locker gelassen. Ich wollte gerne wissen, wie du heißt.“
Svantje sieht den Jungen ernst an.
„Ich heiße Svantje“, sagt Svantje zu ihm.
„Hallo, Svantje“, entgegnet Daryl freundlich. „Sollen wir uns ein bisschen auf die Bank setzen?“
Zögerlich nickt Svantje. Daraufhin gehen Daryl und sie zu der abseits gelegenen Bank am Spielplatz. Jetzt, da die Sonne fast untergegangen ist, ist es hier sehr leer, und die Möglichkeit, dass Svantje und er von irgendjemandem gesehen werden, ist sehr gering. Svantje fühlt sich unsicher, aber sie folgt dem Jungen.
Auf der Bank setzt Daryl sich nah an Svantje heran, wobei er beachtet, dass er einen gewissen Abstand zu ihr einhält, denn Daryl hat die Vermutung, dass Svantje Schwierigkeiten damit hat, Nähe zuzulassen.
„Ich werde dir ein Lied singen“, sagt Daryl nach Minuten.
Daraufhin nimmt er seine Gitarre und singt ein fröhliches, aber auch etwas melancholisches Lied. Svantje hört ihm begeistert zu. Als er fertig ist, rutscht sie ein bisschen näher in seine Richtung.
„Das war sehr schön, Daryl“, sagt sie dann leise.
Daryl nickt und sieht Svantje stolz und dankbar an.
„Danke für dein Lob“, flüstert er.
Svantje blickt nachdenklich und traurig zu Boden. Daryl bemerkt sofort, dass es ihr nicht gut geht und legt vorsichtig einen Arm um ihre Schulter.
„Svantje, wenn du etwas hast, irgendein Problem, dann kannst du es mir gerne sagen“, versucht er sie zu trösten.
Svantje blickt ihn verängstigt an.
„Wirklich“, sagt Daryl. „Du kannst mir vertrauen.“
Svantje atmet tief aus.
„Ich habe eine 5 in Englisch zurück bekommen“, berichtet sie leise. „Meine Mutter wird durchdrehen, wenn sie es erfährt.“
„Hast du dich deswegen nicht nach Hause getraut?“, fragt Daryl nach.
Svantje nickt.
„Dabei habe ich so sehr gelernt und wollte mein Bestes geben“, flüstert sie.
„Aber wenn man mal eine schlechte Note hat, ist es doch nicht schlimm“, entgegnet Daryl. „Dann wird es beim nächsten Mal eben besser.“
Nachdenklich schnauft Svantje aus. Ihre Haare fallen ihr ins Gesicht, und sie wischt sie sich von ihrer Schweiß getränkten Stirn.
„Du musst keine Angst haben“, sagt Daryl mitfühlend.
Sachte streichelt er über Svantjes Schulter. Als sie dies zulässt, macht er damit weiter und rutscht noch ein bisschen näher an sie heran.
Daryl nimmt seinen ganzen Mut zusammen.
„Möchtest du, dass wir Freunde sind?“, fragt er dann.
Fast unmerklich nickt Svantje.
„Ich möchte es auch“, sagt Daryl lächelnd. Sein Blick ist freudig und erwartungsvoll. Und Svantje ist in dieser Sekunde sichtlich froh, einen lieben Freund gefunden zu haben.
Minuten lang sitzen Svantje und er noch am Spielplatz. Sie schweigen und genießen den kostbaren Moment dieser neuen Freundschaft. Es ist für Svantje ein vollkommen neues Gefühl, sich so aufgehoben und verstanden zu fühlen. Am Liebsten würde sie noch die ganze Nacht hierbleiben. Aber das geht ja leider nicht.
„Ich muss leider jetzt nach Hause“, meint Daryl daraufhin, als er aufsteht. „Du solltest auch nach Hause gehen. Nachts kann es hier ein bisschen gefährlich sein, man weiß ja nie, wer hier herumläuft.“
Svantje nickt ihm zu. Daryl winkt ihr noch mal, dann geht er langsam zur Straße, die in die naheliegende Siedlung führt.
Svantje bleibt alleine auf der Bank zurück und vergräbt sich in ihre Gedanken. Noch immer hat sie Angst – Angst vor der Reaktion ihrer Mutter, Angst vor der Diskussion und den Streitereien, die daraufhin folgen mögen. Svantje hat einfach Angst.
Schließlich wird es zu dunkel, um auf dem Spielplatz zu bleiben. Svantje steht zögerlich auf und geht langsam in Richtung ihres Elternhauses. Ihr Herz schlägt immer noch schnell, als sie die Straße überquert und die Haustür öffnet. Sie betritt die Wohnung und hört die Stimme ihrer Mutter aus dem Wohnzimmer. Sie diskutiert lautstark mit jemandem am Telefon.
Svantje bleibt in der Tür stehen und lauscht. Ihre Mutter ist zu sehr mit dem Gespräch beschäftigt, um sie zu bemerken. Svantje zögert, dann legt sie den Test auf den Küchentisch und geht leise in ihr Zimmer. Sie schließt die Tür hinter sich und setzt sich auf ihr Bett.
Ihre Gedanken drehen sich immer noch um die Fünf auf dem Test. Sie weiß, dass sie sich früher oder später ihrer Mutter stellen muss. Aber im Moment fühlt sie sich sicher in ihrem Zimmer. Sie wünschte, sie könnte einfach für immer hier bleiben und den Konsequenzen entkommen. Aber sie weiß, dass das keine Lösung ist.
Svantje liegt Gedanken verloren auf ihrem Bett, als plötzlich die Zimmertüre aufgerissen wird. Tobend und wütend kommt ihre Mutter in ihr Zimmer und blickt Svantje mit einem Mark erschütternden Blick an.
„Ist das dein Test, der da auf dem Küchentisch lag?“, sagt sie mit einer tiefen Stimme. In der Hand hält sie Svantjes Englischarbeit.
„Ich... ich...“, schluchzt Svantje ängstlch.
„Wo warst du den ganzen Nachmittag?“, fragt die Mutter streng. „Wo zum Teufel warst du gewesen? Hast du dich vor mir versteckt?“
Svantje wischt sich eine kleine Träne aus ihren Augen. Sie weiß, wie sehr ihre Mutter sich aufregt, wenn Svantje nicht das tut, was sie sagt.
„Ich habe dich gefragt, wo du heute Nachmittag warst“, schreit die Mutter ihre Tochter an.
„Ich war draußen“, sagt Svantje und legt dabei beide Arme schützend um sich, so als würde sie fast erwarten, was jetzt folgt.
„Du machst nichts richtig“, flucht die Mutter. „Du bringst eine 5 nach Hause, und dann verpisst du dich auch noch den ganzen Nachmittag. Was sollen die Leute von uns denken? Was sollen sie sagen, wenn sie sehen, was für eine missratene Tochter ich habe? Ich habe einen Ruf zu verlieren.“
Die Mutter stürmt auf Svantje zu. Svantje zuckt zusammen. Sie vergräbt ihren Kopf in ihren beiden Armen. Zitternd und ängstlich sitzt sie da, auf ihrem Bett, mehr alleine als sie jemals zuvor war. Einsamer und hilfloser als jemals vorher. Svantje fühlt sich so schuldig und gleichzeitig so verlassen. Und es ist niemand da, der ihr helfen kann. Die Person, die ihr jetzt eigentlich zur Seite stehen sollte, steht wütend vor ihr und schreit auf sie ein.
Arme Svantje. Ein hilfloses Kind in einer traurigen, trostlosen Welt. Was hat man dir nur angetan, Svantje? Was tut man dir nur an?
Svantje sitzt still in ihrem Zimmer, die dünnen Vorhänge vor dem Fenster verwehren den Blick auf die Welt draußen. Ihr Herz pocht rasend, während sie versucht, die Gefühle und Schmerzen auszublenden, die sie so oft gequält haben. Es ist, als würde sie sich in einen dunklen, schützenden Kokon hüllen, um der Realität zu entkommen.
Tief im Dunkeln, aus weiter Ferne, hört sie die schrille Stimme ihrer Mutter, die in ihrem Kopf widerhallt. „Du bist nichts Wert. Du bist zu nichts zu gebrauchen. Du bist Abfall.“ Die Worte bohren sich in ihr Innerstes, und sie fühlt sich wieder wie das hilflose Kind, das sie ist.
Svantje versucht, sich von dieser grausamen Realität zu befreien, indem sie sich in ihre Gedanken flüchtet. Sie stellt sich vor, dass sie mit Daryl, ihrem neuen Freund, auf einer einsamen Insel ist, wo ihr nichts geschehen kann. Die Insel ist von Palmen gesäumt, der weiße Sand unter ihren Füßen ist warm und weich. Das Rauschen des Meeres wiegt sie in eine heile Welt.
Daryl, der an ihrer Seite sitzt, nimmt ihre Hand und lächelt sie sanft an.
„Svantje, du bist stark. Du bist mehr wert, als sie dir einreden will. Du bist nicht allein. Ich bin hier für dich, und ich werde immer für dich da sein.“
Svantje schenkt ihm ein dankbares Lächeln und spürt, wie seine Worte sie ermutigen.
„Danke, Daryl. Du bedeutest mir so viel. Hier, auf dieser Insel, sind wir frei und glücklich.“
Die beiden verbringen Stunden miteinander, lachen, erzählen sich Geschichten und vergessen die Welt da draußen. Doch auch auf der Insel kann die Realität nicht ewig verdrängt werden.
Svantjes Mutter verlässt das Zimmer, und die Tür fällt mit einem dumpfen Knall ins Schloss. Erst jetzt bemerkt Svantje, wie sehr sie in ihre Flucht in die Vorstellungswelt vertieft war. Als sie sich wieder in ihrem Zimmer umsieht, realisiert sie, dass sie geschunden und am Arm verletzt ist. Sie liegt am Boden, weinend, traurig, alleine. Tränen laufen ihre Wangen hinab, und sie spürt den stechenden Schmerz, der sie wieder in die harte Wirklichkeit zurückholt.
Die Erinnerungen an die Worte ihrer Mutter und die körperlichen Verletzungen sind schmerzhaft und unerträglich. Doch sie weiß, dass sie nicht für immer in ihren Gedanken fliehen kann. Sie kämpft sich mühsam auf die Beine, der Schmerz in ihrem Arm ist kaum auszuhalten.
Schließlich legt sich Svantje weinend ins Bett, umarmt ihr Kissen fest und versucht, die Gedanken an die Vergangenheit zu verdrängen. Sie weiß, dass sie in Daryl jemanden gefunden hat, der ihr Halt und Liebe gibt. Und vielleicht, ganz vielleicht, kann sie eines Tages aus diesem Albtraum entkommen und sich selbst von den Ketten der Vergangenheit befreien.
Daryl wacht an diesem Morgen mit einem breiten Lächeln auf. Die Vorfreude auf den Schultag durchströmt ihn wie ein wohltuender Sonnenstrahl. Es ist nicht der Unterricht, der ihn so freut, sondern die Aussicht darauf, Svantje wiederzusehen. Sie ist in den letzten Tagen krank gewesen, und Daryl hat sie schmerzlich vermisst. Die Gedanken an die schönen Stunden mit ihr zaubern ihm ein Lächeln auf das Gesicht. Ihre Worte, ihr Dasein fehlen ihm sehr.
Nachdem er sich angezogen und gefrühstückt hat, schnappt Daryl sich seinen Ranzen und macht sich auf den Weg zur Schule. Die Straßen sind noch ruhig, die Stadt erwacht langsam. Sein Gang ist beschwingt, seine Schritte leicht wie Federn. Die Vorfreude treibt ihn voran, und er kann es kaum erwarten, Svantje wiederzusehen.
Als er die Schule erreicht, steigt seine Aufregung noch weiter. Das Gebäude wirkt im Morgengrauen majestätisch und einladend. Mit einem freudigen Herzklopfen betritt er das Schulgebäude und eilt die Treppe zu seiner Klasse hinauf. Sein Blick sucht sofort nach Svantje, doch sie ist nicht da. Die Tische stehen leer, und es herrscht eine gespenstische Stille.
Daryl spürt, wie sein Lächeln langsam verblasst. Wo ist Svantje? Sie sollte doch heute wieder in der Schule sein. Seine Gedanken rasen, und er beschließt, in der Pause nach ihr zu suchen. Vielleicht ist sie einfach noch nicht angekommen.
Die Stunden ziehen sich quälend langsam hin, und Daryl kann seine Ungeduld kaum im Zaum halten. Endlich läutet die Pausenglocke, und er sprintet aus dem Klassenzimmer, als ginge es um sein Leben. Er eilt den Flur entlang, doch von Svantje keine Spur. Verzweifelt sucht er die verschiedenen Ecken der Schule ab, die sie in der Vergangenheit als Verstecke oder Treffpunkte genutzt haben. Doch auch hier ist sie nicht.
Sein Herz schlägt schneller, und eine unangenehme Ahnung kriecht in ihm hoch. Wo kann sie nur sein? Warum ist sie nicht da? Panik steigt in ihm auf, und er beschließt, zum Sekretariat zu gehen. Vielleicht wissen sie, wo Svantje steckt.
Der Gang zum Sekretariat fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Er betritt den Raum, in dem die Schulsekretärin gerade am Telefonieren ist. Mit einem hilfesuchenden Blick wartet er, bis sie auflegt.
„Entschuldigung, Frau Müller, wissen Sie, wo Svantje ist?“, stammelt er. Seine Stimme zittert, und die Sorge steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Die Sekretärin betrachtet ihn mit einem aufmerksamen Blick. „Svantje? Du meinst Svantje Novak, oder? Sie ist heute nicht in der Schule, Daryl. Sie hat sich krankgemeldet.“
Krank? Daryl kann es kaum fassen.
„Aber... aber sie hat gestern noch gesagt, dass sie heute wieder zur Schule kommt“, stammelt Daryl.
Frau Müller nickt verständnisvoll.
„Manchmal ändern sich die Pläne, Daryl. Ich weiß, wie sehr du dich gefreut hast, sie wiederzusehen. Aber es sieht so aus, als müsstest du dich noch gedulden.“
Daryl bedankt sich bei der Sekretärin und verlässt das Büro mit hängendem Kopf. Die Gewissheit, dass Svantje heute nicht da sein wird, wiegt schwer auf ihm. Er schlendert zurück in sein Klassenzimmer und lässt sich auf seinen Platz sinken. Die Stunden ziehen sich quälend in die Länge, und er vermisst Svantje mehr, als er es je für möglich gehalten hätte.
Die Mittagspause bricht an, und Daryl beschließt, die Suche nach Svantje noch nicht aufzugeben. Vielleicht ist sie ja doch in der Schule und hat sich nur irgendwo versteckt. Er verlässt das Schulgebäude und beginnt systematisch die verschiedenen Ecken des Schulgeländes abzusuchen. Er ruft ihren Namen, doch es kommt keine Antwort.
Während er verzweifelt nach Svantje sucht, ziehen dunkle Wolken am Himmel auf. Der Wind wird stärker, und erste Regentropfen fallen. Daryl spürt, wie die Kälte sich in seine Kleider schleicht, doch er achtet nicht darauf. Svantje muss gefunden werden, koste es, was es wolle.
Die Stunden verstreichen, und Daryl gibt nicht auf. Er durchkämmt das Schulgebäude erneut und fragt Mitschüler, ob sie Svantje gesehen haben. Doch niemand hat sie heute gesehen, und das Gefühl der Verzweiflung lässt nicht nach. Hat sie sich vielleicht verletzt? Ist ihr etwas Schlimmes zugestoßen?
Schließlich nähert sich die letzte Schulstunde des Tages. Daryl sitzt in seinem Klassenzimmer, unfähig, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Seine Gedanken sind nur bei Svantje, bei der ungewissen Gewissheit, dass sie nicht hier ist. Der Lehrer spricht von Mathematik und Gleichungen, doch Daryl hört nichts davon. Sein Herz schlägt in seinen Ohren, und er kann es kaum erwarten, endlich aus der Schule zu fliehen und erneut nach Svantje zu suchen.
Als die letzte Stunde vorbei ist, stürzt Daryl aus dem Klassenzimmer und rennt zum Lehrerzimmer. Er klopft aufgeregt an die Tür und betritt das Zimmer, ohne auf eine Antwort zu warten.
„Entschuldigung, Herr Schmidt, wissen Sie, wo Svantje ist?“, fragt er atemlos. Seine Augen sind weit aufgerissen, und sein Gesicht strahlt eine Mischung aus Sorge und Frustration aus.
Der Lehrer sieht Daryl besorgt an.
„Svantje? Sie ist heute nicht in der Schule, Daryl. Sie hat sich krank geschrieben. Hast du nicht im Sekretariat gefragt?“
Daryl nickt mit dem Kopf.
„Ich habe überall nach ihr gesucht, aber sie ist nirgends zu finden. Ich mache mir solche Sorgen, Herr Schmidt.“
Der Lehrer legt mitfühlend eine Hand auf seine Schulter.
„Es tut mir leid, Daryl. Manchmal passieren unerwartete Dinge. Aber ich bin sicher, dass Svantje bald wieder hier sein wird. Sie wird sich freuen, dich wiederzusehen.“
Daryl nickt und bedankt sich bei Herrn Schmidt. Doch die Gewissheit, dass Svantje krank ist und nicht da sein wird, drückt schwer auf seine Seele. Mit einem traurigen Herzen verlässt er die Schule und macht sich auf den Heimweg.
Der Regen hat zugenommen, und die Tropfen prasseln auf ihn herab. Doch Daryl kümmert sich nicht darum. Seine Gedanken sind bei Svantje, und er hofft inständig, dass es ihr bald besser geht und sie wieder zur Schule kommen kann.
Während er durch die nassen Straßen geht, weiß er, dass er geduldig sein muss. Svantje wird wieder in sein Leben treten, und dann wird er ihre Gesellschaft umso mehr schätzen. Doch in diesem Moment kann er nicht anders, als sie schmerzlich zu vermissen.
Svantje sitzt alleine auf der verlassenen Bank am Spielplatz, der von der Dunkelheit umhüllt ist. Ihr Blick ist auf den Boden gerichtet, während der kühle Abendwind ihr ungebändigtes Haar sanft umspielt. Der Spielplatz ist still und einsam, die Schaukeln und Rutschen wirken wie verlassene Schatten ihrer fröhlichen Tagesform.
Ihre Mutter ist an diesem Abend ausgegangen, ohne zu bemerken, dass ihre Tochter sich heimlich davongeschlichen hat. In ihren Händen hält Svantje eine Zeichnung, die sie heute gemacht hat. Sie beobachtet das Kunstwerk, das ihren verletzten Arm zeigt – der Gips ist kunstvoll mit Blumen und Herzen verziert.
Ein Ausdruck von Unruhe und Traurigkeit spiegelt sich in ihren Augen wider.
Der Spielplatz ist Svantjes Zufluchtsort. Hier kann sie für eine Weile dem unheimlichen Schweigen zu Hause entkommen. Doch heute ist ein besonderer Abend, denn Daryl, ihr Freund, hat versprochen, sie hier zu treffen. Die Dunkelheit hat längst Besitz von diesem Ort ergriffen, und Svantje beginnt, sich Sorgen zu machen, dass er sie vielleicht nicht finden wird.
Schließlich taucht eine vertraute Silhouette am Horizont auf. Daryl nähert sich mit schnellen Schritten, sein Gesicht von Sorge gezeichnet. Svantje blickt auf und lächelt schwach, als sie ihn erkennt.
„Daryl“, flüstert sie und versucht, sich aufzurappeln, doch der Gips an ihrem Arm hindert sie daran.
Daryl erreicht die Bank und setzt sich neben sie.
„Svantje, wo warst du den ganzen Tag?“, sagt er besorgt. „Ich habe dich überall gesucht. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.“
Svantje senkt ihren Blick erneut und fummelt nervös an der Zeichnung herum.
„Ich ... ich musste alleine sein“, antwortet sie leise, als ob sie es selbst kaum glauben kann.
Daryl schaut sie besorgt an und bemerkt den Gipsarm.
„Was ist mit deinem Arm?“, fragt er. „Wie ist das passiert? Warum hast du dich verletzt?“
Svantje zögert einen Moment, bevor sie antwortet.
„Ich habe mich beim Spielen verletzt,“ murmelt sie und blickt auf den Boden.
Daryl runzelt die Stirn und sagt: „Das ist seltsam. Du sitzt normalerweise nur hier auf der Bank und beobachtest die anderen. Was ist passiert, Svantje? Gibt es zu Hause Probleme?“
Die Worte von Daryl bringen Svantje aus dem Konzept. Sie beginnt nervös zu zittern, ihre Augen werden feucht, und die Worte drohen zu ersticken. Doch sie kämpft darum, sich zu öffnen.
„Ich ... ich kann nicht darüber sprechen“, stammelt sie. Tränen treten in ihre Augen. „Es ist kompliziert.“
Daryl nimmt ihre unverletzte Hand sanft in seine und drückt sie beruhigend.
„Svantje, du kannst mir vertrauen“, versucht er ihr klar zu machen. „Wenn du Probleme hast, bin ich hier, um zuzuhören und zu helfen. Du bist nicht allein.“
Svantje kämpft gegen ihre Angst an, aber die Worte bleiben stecken. Sie hat so lange geschwiegen und ihre Gefühle unterdrückt, dass es schwer ist, sie jetzt plötzlich herauszulassen. Ein einsamer Tränentropfen fällt auf ihre Zeichnung.
In der Ferne hören sie Schritte und Svantje erstarrt vor Angst. Ihre Mutter ist auf dem Weg zum Spielplatz. Panik ergreift sie, und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, steht sie auf und rennt davon, Daryl auf der Bank sitzen lassend.
Daryl sieht ihr verzweifelt nach, aber er versteht, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Fragen ist. Er hat eine Ahnung, dass Svantje vor etwas flieht, das sie nicht auszusprechen vermag. Er steht auf und seufzt, bevor er sich auf den Heimweg macht.
Unterdessen erreicht Svantje das hohe Wohnhaus, in dem sie mit ihrer Mutter lebt. Ihre Schritte sind hastig, und sie ist entschlossen, vor ihrer Mutter in der Wohnung zu sein, um unangenehme Fragen zu vermeiden. Als sie die Tür öffnet, ist die Dunkelheit in den Fluren so erdrückend, dass sie fast stolpert.
Schließlich erreicht sie ihre Wohnung und atmet erleichtert auf, als sie die Tür hinter sich schließt. Die erleichterte Atmosphäre in ihrem Zuhause ist wie eine Tarnkappe für die geheimen Wunden, die Svantje mit sich herumträgt. Sie schaut sich in der kleinen Wohnung um und fühlt sich gleichermaßen erstickt und sicher. Aber eins ist gewiss: Sie wird diesen Abend und das Gespräch mit Daryl nicht so leicht vergessen.
Svantje schleicht sich leise, wie ein Schatten, durch die engen Gänge der Wohnung. Die Tür fällt mit einem gedämpften Klicken ins Schloss, und sie weiß, dass ihre Mutter von der Arbeit nach Hause gekommen ist. Ihr Herz schlägt schnell, denn sie hat etwas zu verbergen, etwas, das sie nicht entdecken darf. Sie muss vorsichtig sein.
Die Mutter, erschöpft von einem langen Arbeitstag, betritt das Wohnzimmer und legt ihre Tasche auf das abgewetzte Sofa. Sie ahnt nicht, dass ihre Tochter sich in ihrem Zimmer versteckt hat. Svantje hat gelernt, wie man unsichtbar sein kann, wie man sich im Schatten der eigenen Existenz verbergen kann. Das ist ihre Art zu überleben, in einer Welt, die für sie so oft unverständlich und ungerecht ist.
Als sie die Schritte ihrer Mutter näherkommen hört, bekommt sie einen Kloß im Hals. Sie kann nicht verhindern, dass ihr Herz schneller schlägt und der Schweiß auf ihrer Stirn perlt. Svantje weiß, dass sie keine andere Wahl hat, als sich zu verstecken. Ihre Mutter darf nicht erfahren, was sie getan hat.
Svantje huscht in ihren kleines, dunkles Zimmer und schließt die Tür leise hinter sich. Sie wirft einen letzten Blick auf das Chaos, das sie hinterlassen hat. Bücher, Klamotten und Zeichnungen liegen verstreut auf dem Boden. Sie kann nur hoffen, dass ihre Mutter nichts bemerkt. Die Sekunden vergehen wie Stunden, und dann hört sie die Tür des Wohnzimmers aufgehen.
Ihre Mutter geht in die Küche, den Blick müde und abwesend. Sie hat keine Ahnung, was sich in diesem Moment hinter der geschlossenen Tür abspielt. Svantje presst sich an die Wand, den Atem anhaltend. Sie hört das leise Klappern von Geschirr, das Geräusch, wenn ihre Mutter sich einen Tee zubereitet. Dann hört sie die Schritte näherkommen, und ihr Herzschlag wird lauter, lauter als Trommelschläge.
Plötzlich wird die Tür ihres Zimmers aufgerissen, und ihre Mutter steht in der Türöffnung. Ihr Gesicht ist eine Mischung aus Überraschung und Wut.
„Svantje, was zur Hölle machst du hier?“ Ihre Mutter starrt auf das Chaos in Svantjes Zimmer.
Svantje starrt ihre Mutter an, wie gelähmt. Sie hat keine Worte, keine Erklärung. Sie hat gehofft, dass sie es rechtzeitig aufräumen könnte, aber sie hat sich geirrt.
Ihre Mutter zieht die Stirn in Falten und schüttelt den Kopf.
„Ich kann nicht glauben, was ich hier sehe“, schreit sie. „Was ist in dich gefahren, Svantje? Du solltest dich um deine Sachen kümmern und nicht immer diese Unordnung hinterlassen.“
Svantje schluckt schwer, doch sie kann keinen Laut von sich geben. Ihre Mutter hat keine Ahnung, was sie wirklich getan hat. Sie hat keine Ahnung, dass Svantje den ganzen Tag nicht zu Hause war.
Die Mutter seufzt und tritt weiter ins Zimmer. Ihre Blicke wandern über die Skizzenbücher, die auf dem Boden liegen.
„Ich weiß nicht, was ich mit dir anfangen soll, Svantje. Du bist alt genug, um Verantwortung zu übernehmen.“
Svantje findet endlich ihre Stimme und flüstert: „Ich war den ganzen Tag zu Hause, Mama. Ich habe wirklich nichts angestellt.“
Ihre Mutter lacht spöttisch auf.
„Ach ja? Und warum sollte ich dir das glauben? Du warst doch bestimmt wieder draußen unterwegs, oder?“
Svantje spürt deutlich, dass ihre Mutter ihr nicht glauben will. Sie hat doch nichts getan. Tränen sammeln sich in ihren Augen, und sie wünscht sich, dass sie stark genug wäre, um sich zu verteidigen. Doch sie ist es nicht.
„Ich war wirklich zu Hause, Mama. Ich habe den ganzen Tag gezeichnet und gelesen“, sagt sie mit zitternder Stimme.
Ihre Mutter schüttelt den Kopf.
„Das glaube ich dir nicht, Svantje. Du bist so eine Lügnerin, immer auf Abenteuersuche. Du kannst es einfach nicht lassen, Unsinn im Kopf zu haben.“
Svantje kann die Tränen nicht mehr zurückhalten, und sie rollen über ihre Wangen.
„Warum glaubst du mir nicht? Warum denkst du immer das Schlechteste von mir?“
Ihre Mutter starrt sie finster an.
„Weil du es immer wieder beweist, Svantje“, sagt sie mit einem tiefen Unterton. „Du bist und bleibst ein Problemkind. Ich frage mich manchmal, warum ich dich überhaupt bekommen habe.“
Die Worte ihrer Mutter treffen Svantje wie ein Schlag. Sie fühlt sich ohnmächtig und verletzt.
„Warum redest du so mit mir? Ich versuche nur, das Richtige zu tun.“
Ihre Mutter wird wütender.
„Das Richtige? Du hast keine Ahnung, was das ist. Du verschwendest deine Zeit mit nutzlosen Dingen und machst unser Leben nur schwerer.“
Ein erbitterter Streit bricht aus, in dem die Mutter Svantje anschreit und beschimpft. Svantje versucht verzweifelt, sich zu verteidigen, aber ihre Mutter hört nicht auf. Die Worte schneiden wie Messer durch Svantjes Seele, und sie kann nur noch weinen.
„Warum kannst du nicht einfach normal sein? Warum musst du immer so sein, wie du bist?“, schreit ihre Mutter. Ihr Blick ist eiskalt und emotionslos. Die Wut steht ihr ins Gesicht geschrieben.
„Hast du mit irgendjemandem geredet?“, fragt ihre Mutter schließlich.
Svantje schüttelt hilflos ihren Kopf.
„Du wirst mit niemandem über unsere Familie reden“, befiehlt die Mutter in einem dem Militär gleichen Ton. „Was hier passiert, geht niemanden etwas an, hast du verstanden?“
Ihre Mutter will ausholen und erhebt die Hand. Aber Svantje wirft schnell ihren Gipsarm schützend vor ihr Gesicht. Die Mutter hält inne.
„Das Beste wäre, du sprichst gar nicht mehr“, schreit die Mutter.
Svantje weiß, dass sie nichts sagen kann, um ihre Mutter zu beruhigen. Sie hat es schon oft versucht und ist immer gescheitert. Also bleibt sie still und lässt die Worte über sich ergehen, bis der Sturm in ihrer Mutter endlich abebbt.
Als der Streit sich gelegt hat, legt Svantje sich weinend in ihr Bett. Ihr Gesicht ist blass, und ihre Augen sind geschwollen vor Tränen. Sie fühlt sich klein und verletzlich, aber sie weiß, dass sie stark sein muss. Stark, um in dieser Welt zu überleben, die für sie so oft ein Ort der Einsamkeit und des Schmerzes ist.