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Das Theater weiß um die Macht von Sprache. Nicht ohne Grund hat es den Dialog zum Kern seiner literarischen Identität gemacht - die Dramatik. Wenn das Gespräch das Herz des Theaters ist, dann ist die zeitgenössische Dramatik sein Blutkreislauf. In der Dramatischen Rundschau 03 geben Theatertexte von Caren Jeß, Fiston Mwanza Mujila, Yade Yasemin Önder, Falk Richter, Lukas Rietzschel und Olivia Wenzel davon Zeugnis. Folgende Stücke sind in der Dramatischen Rundschau 03 nachzulesen: Caren Jeß: Die Katze Eleonore / Fiston Mwanza Mujila: Der Garten der Lüste / Yade Yasemin Önder: Die Worte gehören uns / Falk Richter: Fünf gelöschte Nachrichten / Lukas Rietzschel: Widerstand / Olivia Wenzel: mais in deutschland & anderen galaxien.
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Seitenzahl: 305
Dramatische Rundschau 03
Herausgegeben von Friederike Emmerling, Oliver Franke, Stefanie von Lieven, Barbara Neu und Bettina Walther
FISCHER E-Books
Warum die deutschsprachige Dramatik so einzigartig ist, und nur die wenigsten sich dessen bewusst sind.
Deutschland ist – dramatisch betrachtet – eine echte Überraschung. Denn die vom Rest der Welt eher als spröde und sparsam wahrgenommenen Deutschen leisten sich eine Theaterlandschaft, die mindestens als opulent zu bezeichnen wäre. Die Opulenz bezieht sich dabei weniger auf den Prunk einzelner Inszenierungen als auf die üppige Vielzahl der zu sehenden Inszenierungen. Fast jede mittelgroße Stadt besitzt ein eigenes Theater, in größeren Städten sind gleich mehrere nebeneinander zu finden. Der Deutsche Bühnenverein zählte 2018 allein 140 Stadt-, Staats- oder Landestheater. Außerdem 220 Privattheater, 150 Theater ohne festes Ensemble, 100 Tourneetheater und darüber hinaus eine große Anzahl an freien Theatergruppen. Doch damit noch nicht genug: Ein Großteil der deutschen Theater spielt im Repertoirebetrieb. Das heißt, dass nicht »am Stück« – also zum Beispiel acht Wochen hintereinander – gespielt, sondern jeden Abend eine andere Vorstellung gezeigt wird. Erfolgreiche Inszenierungen können dadurch jahrelang im Programm bleiben, jede Spielzeit kommen zahlreiche Premieren und Uraufführungen dazu. Das deutsche Theaterpublikum kann aus einem prallen Reichtum unterschiedlichster und anspruchsvoller Theatererlebnisse schöpfen. Repertoiretheater ist eng verbunden mit dem Ensembletheater – einer weiteren Eigenart der deutschen Theaterlandschaft: Ensembletheater engagieren Spielerinnen und Spieler fest für ihre Ensembles, um sie mehrere Jahre an das Haus binden zu können. Erst dadurch kann die enge Taktung eines anspruchsvollen Repertoirebetriebs ermöglicht werden. Zum Ensemble im weiteren Sinne zählen auch Technik, Werkstätten und Administration. Nicht weniger als 39000 Menschen sind in Deutschland an Theatern und Opern direkt angestellt. Indirekt arbeiten noch weitaus mehr für das Theater, wie zum Beispiel Dramatikerinnen und Dramatiker. Ermöglicht wird dieses weltweit einmalige Modell durch Bund und Länder, die die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft mit großem Einsatz subventionieren. Mit sichtbarem Erfolg. 2021 soll darüber abgestimmt werden, ob diese kulturelle Ausnahmelandschaft ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wird. Und gerade deshalb muss das Theater auch bereit sein, sich und seine Strukturen radikal und immer wieder selbst zu befragen. Sind die gewachsenen Strukturen noch zeitgemäß, sind sie gleichberechtigt, respektvoll, transparent, machen sie sich auf den Weg in die Zukunft? Gerade das Theater besitzt ausreichend Erfahrung und Kreativität, um mit innovativen Modellen für Zusammenarbeit und Dialog arbeiten zu können. Jede Inszenierung entsteht aus einem Zusammenspiel der Künste. Kunst, die im Vertrauen auf ihr Gegenüber entsteht, erfordert Mut, Selbstbewusstsein und Flexibilität. Genau hier wird deutlich, was Theater so bemerkenswert macht: sein unermüdlicher Glaube an die Kraft des Miteinanders. Warum nicht die Idee des Gemeinsamen noch viel konsequenter und weit über künstlerische Zusammenhänge hinaus anwenden, das Publikum in Veränderungsprozesse miteinbeziehen und die Suche selbst zum Gegenstand des Gesprächs machen? Zahlreiche Theater haben sich bereits auf den Weg gemacht. Vieles wird ausprobiert. In der Luft liegt eine Aufbruchsstimmung, die neugierig auf das Theater der Zukunft macht.
Rein literarisch gesehen kann die deutschsprachige Dramatik aus dem Vollen schöpfen. Mit lustvoller Neugier – frei von streng wirtschaftlichen Zwängen – durchbricht sie sämtliche Gattungsgrenzen. Von der Lyrik übers Essay bis zur Prosa vermischen sich in der Dramatik die Formen des Literarischen. Die Übergänge sind fließend, es geht nicht mehr nur um Inhalte und auch nicht mehr nur um Sprache, sondern auch um das Experiment mit der Form. In der Dramatik passiert viel, und es entsteht auch viel. Dadurch besteht aber die Gefahr einer Durchlauferhitzung. Theater interessieren sich viel zu oft für das noch nicht Geschriebene, die Verheißung des noch Unbekannten, das Spiel mit der Möglichkeit. Uraufführungen versprechen pressewirksame Aufmerksamkeit, wohingegen das Nachspiel selten Aufmerksamkeit erregt. Doch seitdem das Theaterfeuilleton schrumpft, geht auch diese Rechnung kaum noch auf. Es ist gar nicht mehr möglich, von allen Uraufführungen zu berichten. Dem Publikum ist das Label Uraufführung ohnehin relativ egal. Und trotzdem wird ungerne nachgespielt. Das ist bedauerlich. Noch vor fünfzehn Jahren gab es aufregende Wettstreite unter den Theatern, welchem Haus es gelingen würde, die denkwürdigste Inszenierung rauszubringen. Heute ist daran kaum noch zu denken. Die Theater zucken förmlich zurück, wenn sie hören, dass die Uraufführung schon vergeben ist. Dabei wäre das erfolgreiche Nachspiel eine der unaufwendigsten und effektivsten Möglichkeiten zur Unterstützung deutschsprachiger Dramatik. Denn erst das wiederholte Nachspielen eines Stückes gäbe den Autorinnen und Autoren Zeit und Raum und finanzielle Sicherheit für das Schreiben neuer Werke. Wie überall geht es auch hier um Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. In dieser Hinsicht macht die Coronazeit Hoffnung. Es sind zarte Pflanzen des Miteinanders unter den Theatern gewachsen, die in dieser Form früher nicht denkbar gewesen wären. Uraufführungen werden geteilt, oder Theater spielen freiwillig nach, um einem anderen Theater die Möglichkeit einer früheren Uraufführung zu lassen. Vor Corona wäre das häufig ein Grund gewesen, das Stück gar nicht mehr auf den Spielplan zu setzen. Doch etwas hat sich verschoben. Es scheint, als ob eine Sorgfaltspflicht gegenüber den Autorinnen und Autoren entstanden ist. Es geht nicht mehr nur um die eigene Profilierung, sondern auch um die gemeinsame Sorge für den Fortbestand zeitgenössischer Dramatik. Viel zu lange konnten Autorinnen und Autoren im Lockdown gar kein Geld mehr verdienen, weil Tantiemen nur verdient werden können, wenn Theater offen sind. Vielleicht bedeutet diese Entwicklung ja einen Befreiungsschlag im Uraufführungstaumel? Vielleicht spielen in Zukunft viele Theater aufregende Stücke einfach nacheinander, nebeneinander, miteinander? Neuinterpretationen, starke Regiehandschriften, spektakuläre Bühnenbilder, Musik, Kostüme, Video können jede Inszenierung eines Stücks zu einem völlig anderen Erlebnis werden lassen. Gerade für die vielfältige Abbildung unterschiedlicher Inszenierungsansätze bietet die deutsche Theaterlandschaft mit ihrem Repertoire- und Ensembletheater optimale Voraussetzungen. Zeitgenössische Dramatik muss den Nischen entwachsen, um einen inhaltlich-diskursiven Nährboden für das Große und Spektakuläre bieten zu können. Dazu muss sie strapaziert werden und getestet und durch viele Körper an vielen Theatern wandern. Das wird sie groß machen und begehrenswert. Nach wie vor wird das Potenzial deutschsprachiger Dramatik an deutschen Theatern unterschätzt. Viele Theater denken, dass »das Internationale« im Zweifel mehr zu bieten habe, dass die Avantgarde aus dem Ausland komme. Was für ein Trugschluss. Es gibt noch immer zu wenig Bewusstsein für den außergewöhnlichen, unangepassten Reichtum und den avantgardistischen Charme deutschsprachiger Dramatik, für die Vielzahl vibrierender Theaterstücke, die beständig auf der Suche nach Visionen und Rhythmus, Klang, Dissonanz, Humor und Poesie sind, nach schmerzhafter Schönheit und kantiger Klarheit. Es gibt noch immer zu wenig Bewusstsein für deutschsprachige zeitgenössische Dramatik, die nicht einfach, sondern im besten Sinne irritierend ist, die erarbeitet werden muss – und erspielt. Vom Theater. Denn ohne Theater wäre Dramatik obsolet. Und ohne Dramatik bliebe das Theater still.
Was diese Stille bedeutet, haben wir 2020/21 erlebt, als die Theater geschlossen blieben. Das Spektrum der Farben im Kopf hat sich verringert. Dabei braucht es Anregungen und Auseinandersetzungen, Impulse, Diskussionen, Radikalität, Provokation und Spielfreude, Lust am Experiment, Tragik, Katharsis und viele, viele Komödien. Weil irgendwann einfach auch wieder laut gelacht werden muss – als Teil eines Publikums, das in der Lage ist, ein einfaches Lachen zu vertausendfachen. Es braucht diese Momente voll flüchtiger Schönheit, um zu verstehen, wie kostbar die lustvolle Verschwendung des Augenblicks ist. Es braucht die Gewissheit, dass Theater vergänglich ist und sich gleichzeitig immer wieder neu erschafft. Es braucht Theater, um zu wissen, dass wir nicht alleine sind. Und es braucht mutige Dramatik, um zu verstehen, dass das geformte Gespräch niemals aufhören darf, uns und unseren Geist im denkbar besten Sinne herauszufordern. Dafür bietet Deutschland die besten Voraussetzungen. Nutzen wir sie.
Friederike Emmerling
Caren Erdmuth Jeß, geboren 1985 in Eckernförde, studierte Deutsche Philologie und Neuere deutsche Literatur in Berlin. Seitdem sie 2017 zum ersten Mal dramatisch in Erscheinung trat, häufen sich ihre Preise und Auszeichnungen. Für Bookpink erhielt sie 2018 den Münchner Förderpreis für deutschsprachigeDramatik; ein Jahr später wurde sie damit für den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts nominiert und 2020 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Außerdem gewann sie 2018 den Publikumspreis des open mike Berlin, wurde 2019 für den Retzhofer Dramapreis nominiert und 2020 für Der Popper mit dem Else-Lasker-Schüler-Stückepreis ausgezeichnet. Darüber hinaus war sie 2020 Stipendiatin beim Literarischen Colloquium Berlin, nahm an der neugegründeten StückeWerkstatt der Mülheimer Theatertage teil und wurde 2021 als eine von zehn für den Dramatiker:innen-Fonds des Berliner Ensembles ausgewählt.
Die Katze Eleonore ist der Monolog einer Frau, die eines Tages erkennt, eigentlich eine Katze zu sein. Sie lässt sich ein Fellkostüm nähen und kehrt der Welt den Rücken. Während sich ihre Sinne zunehmend verfeinern, wird Zwischenmenschliches immer lästiger. Mit einer Sprache, die in ihrer filigran eleganten Genauigkeit dem Wesen einer Katze sehr nahe kommt, beschreibt die Figur Eleonore ihren verlockend-irritierenden Rückzug aus Gesellschaft und Verantwortung.
Caren Jeß
Monolog
Besetzung:
Zwar ist Die Katze Eleonore ein Monolog. Doch wird für seine Inszenierung zusätzlich eine männliche Stimme benötigt, die die Mailbox-Nachrichten des Psychologen Wildbruch (Szenen II/11 und III/6) einspricht. Eine weitere Stimme für die Nebentexte in AKT III ist optional. AKT III kann auch – bis auf den Mailboxtext – sprachlos eingerichtet werden. Die Zitate, die Eleonore in ihrem Monolog anbringt, werden von ihr selbst wiedergegeben.
Bühne:
Die Bühne bildet Eleonores Haus und Garten ab. In AKT I und AKT II befinden wir uns im Inneren des Hauses. Durch eine Klappe in der hinteren Wand gelangt man in den Garten, in dem AKT III spielt. Die hintere Wand muss sich öffnen oder die Bühne sich drehen können.
Das Haus ist clean, der Garten ist wild.
Die Katze Eleonore ist keine komische Figur.
/Im ersten Akt trägt Eleonore nur bei Nacht ihr Fell./
/Nacht. Anfang September./
/Eleonore sitzt im Lichtkegel einer Lampe auf dem Boden. Sie leckt sich das Fell./
/Tag. Einige Tage später, September./
/Eleonore bürstet ihren Mantel mit einer Fusselrolle. Sie geht dabei sehr bedacht vor./
Ich habe es erst vor einem Jahr richtig verstanden,
obwohl ich es schon immer wusste,
ich meine intuitiv,
ohne es in Worte fassen zu können.
Es war an einem Abend im September.
Ich sah aus dem Fenster
und beobachtete eine Katze.
Sie saß auf dem
gegenüberliegenden Trottoir
im Schein einer Straßenlaterne,
als hätte sie jemand für mich dort hingesetzt;
leckte sich die Pfote.
Und ich dachte an meine Mutter.
Und
wieso ich ihr passiert war.
Meine Gedanken an sie waren
ein autodynamisches Patchwork
ihres Geredes
über die Arbeit
die Nachbarn
die Wahl
der Spinat
das Ozonloch
Prozentzahl
war damals
die Modernisierung
als dürfte man nicht mehr
bin ich denn jetzt
nie gehört
Postpaket
Eitelkeit
Gruppenchat
einfach wegen Geld
ist das jetzt
macht jetzt ein Update
darf man doch
ich denn jetzt schuld daran?
Gisela
Anne-Helene
die geht auf die Straße
nicht Prostitution
nein Protest
haha, das ist doch dummdreist
komm ehrlich, ja?, ehrlich
und Klaus sagt das auch
wobei neulich, da hab ich
eins, zwei, eins, zwei, allez hopp
das war bestens, ich sag dir, du wärst
hin und weg
und am Flughafen
weißt ja, nie würd ich
der Tante
also deiner nicht meiner
hahahahaha
die wird sich noch wundern
die rechnet ja nun wirklich am allerallerwenigsten damit
ach, schau mal
aber ehrlich, das musst du ja selbst – na ja
Eleonore
das Hochzeits- guck an!
auf keinen Fall werden wir ihr das Haus
er sagte ja damals
der Fisch war
und Jodsalz
und Essig
und sagte ich schon?
igitt
wirklich ih
ih ih ih
ija
[v]ub
[w]ab
[w]ab[w]ab[w]ab [w]lab
[waʊ]
blaa blaa blaa
bääh bäääh
ääia
a.
Und dann,
unwillkürlich,
leckte ich mir den Teil meiner Hand
zwischen Daumen und Zeigefinger,
wo es weich ist,
wo Fleisch und Sehnen sind.
Und erst im Lecken
fiel mir auf, dass ich leckte.
Ich stutzte.
Die Worte im Kopf wurden breiig’breiiger’teigig’klebrig’hefig’eklig,
egal, waren
eigentlich völlig ereignislos.
Mein Magen knurrte.
Ich kreiste die Schultern und
sah geradeaus, und da blickte der Katze ich plötzlich direkt in die
Augen.
Sie saß auf dem Fenstergesims.
Uns trennte
die Scheibe aus Glas.
/Tag. Ein Tag später, September./
Am nächsten Tag kaufte ich mir ein Fell.
Es ist schwarz,
samtig glatt,
Echthaar.
Ich brachte es
zu einer Schneiderin,
die nestelte an ihrer
Brille herum,
(SCHNEIDERIN:) Darf man fragen, für welchen Anlass?
kicherte sie,
süß oder so, sagte sie, fände sie Katzen.
Ich legte ihr
für die wirklich herausragend gearbeitete Spezialanfertigung zwei-
tausendachthundertsechzig
Euro auf den Tisch und
sagte
Nein.
Ich trug das Fell heim
wie ein ohnmächtiges Tier,
das es zu reanimieren galt.
.
Ich dachte, es würde verwachsen
mit meiner erbärmlichen Menschenhaut.
Tut es aber nicht.
Nun gut,
man geht
Kompromisse ein.
Das bleibt auch als Katze nicht aus.
.
Es war unglaublich
wahr,
das erste Mal
in meinem
Fell und
ich leckte es,
schmiegte mich
reckte und
streckte und
lag in der Ecke
und dachte an nichts.
Da klingelte plötzlich das Telefon, klingelte’klingelte’klingelte
oh so erbarmungslos.
(WARANTSCHOW:) Eleonore?! In der Heinrichstraße 87 warten Kunden, was ist los, kommst du noch?
Warantschow,
sagte ich,
ruhig,
ich komme nie wieder.
/Nacht. Einige Nächte später, September./
/Eleonore liegt da in ihrem Fell. Sie döst./
/Tag. Einige Tage später, September./
Frau Erdigenbach schob einen Stift durch die Luft,
und ich folgte ihm
mit meinem Blick.
(ERDIGENBACH:) Schildern Sie mal den Verlauf Ihrer Schwindelattacken?
Und so schilderte ich
meinen Schwindel,
kein Schmerz, nur
kein Gleichgewicht,
dreht, alles dreht sich, nur
ich dreh mich nicht,
dann erbreche ich,
kommt einfach über mich,
aus mir,
im Ernst,
vorher kannte ich
Schwindel nicht, ach
und
er kommt nach dem
Schlaf.
Erdigenbach machte Notizen,
der Schwindel sei
gutartig,
danke,
wie schön, was
kann besser sein, als sich einem Taumel ausgeliefert zu sehen,
dessen Erträglichkeit spannt wie die Eihaut der
Fruchtblase kurz vor dem Riss, und ist gutartig,
gut, ist nicht böse dabei, gebt mir mehr
davon
Erdigenbach stellte die Krankschreibung aus,
könne wieder passieren.
Gut, noch was anderes,
sagte ich,
ja?,
fragte sie, und ich sah
ihre Nägel,
perfekt manikürt,
blass rosé auf bedrucktem Papier,
Befreiungsmanöver stand oben, darunter
war etwas, das aussah wie Yoga.
Sie schob es mir rüber,
(ELEONORE:) Ich bin eine Katze.
.
Erdigenbach, bass erstaunt saß sie da wie Gelee,
Sekunden
vergingen,
dann fragte sie,
(ERDIGENBACH:) Was?
Eine Katze.
.
Weiß auch nicht,
es war ein Versuch,
dieser Frau zu erzählen,
was los ist
mit mir.
Und so fragte ich,
ob unter den Voraussetzungen
meiner menschlichen Physis
ein Leben als Katze
bedenklich sei.
Frau Doktor Erdigenbach überlegte,
zumindest
sah es so aus.
.
So ich mich mit Nährstoffen reichlich versorgte viel tränke Banane
Brot Vitamin-C ist mein Eisengehalt denn in Ordnung
Bewegung Beruhigung mal Gurke aufs Auge heraus-
fordernd ja das Soziale das sei sicher sei
so so ist das da sehe sie nun und beruf-
lich wie wollen Sie das also ich
meine nur meine als Katze?
Erdigenbach stieß ein Lachen auf.
Dass ich kündige, sagte ich,
schaute sie an,
die sich sammelte,
sammelte sich wie die matschigen
Pflaumen
vom Rasen,
doch leider
gelang es ihr nicht und sie
fing an
zu faseln:
Nun ja Frau Garazzo ach so ja verstehe wie ist das denn dann wenn
dann äm also ja dann gut finanziell? für eine Er-
werbsminderungsrente hm sei kompliziert sei die
DRV pingelig Reha PT wird eventuell nun ja
eventuell wissen Sie das kann nicht jeder
für sich denn berufsunfähig das sei-
en streng genommen seien Ver-
sicherte deren Erwerbs-
fähigkeit wegen Krankheit bla
bla Behinderung körperlich geistig
und seelisch das nun der die das die
Erwerbsfähigkeit und da seh ich bei Ihnen
nun ja keinen Grund
.
Ich brauch keine Rente, ich
habe Vermögen,
das
reicht für ein
Leben als Katze.
Ich binde mir doch
keine Extralast
Bürokratie ans Bein.
Da sagte sie, sie
begegne der Bürokratie
mit Humor, ob ich die
Sonatine Bureaucratique kenne,
Erik Satie,
nein, sagte ich,
nur die
Musique d’ameublement kenne ich,
fände ich
aber nicht witzig.
.
Also gut,
Frau Garazzo,
wenn Schwindel Sie plagt,
kommen Sie einfach
zu mir,
und ihr Blick war so
matt wie ihr
Nagellack,
aber
eins noch,
ergänzte sie,
(ERDIGENBACH:) Ich überweise Sie zu einem Therapeuten, Gerald Wildbruch. Vielleicht kann der Ihnen helfen.
Denn der kenne sich aus
mit Identitäts-
hier stockte die Ärztin,
-themen.
Mein Mundwinkel
bog sich, ich
gab ihr die Hand,
sie mir
Schweigepflicht,
warte nur,
Erdigenbach,
mit dem
Wildbruch
hab ich was
gemeinsam.
.
Ich hatte den Eindruck, sie schwankte, als ich sie verließ – vielleicht hat sie ja
auch diesen benignen paroxysmalen
Lagerungsschwindel,
wer weiß.
/Nacht. Eine Nacht später, September./
/Eleonore schleckt – mehr zur Übung denn aus Hunger – Milch aus einem Napf./
/Tag. Einen Tag später, September./
Herr Wildbruch blickte mich an wie ein Hund.
(HERR WILDBRUCH:) Sie glauben – Sie sind eine Katze?
Ich blickte aus dem Fenster,
ignorierte ihn.
Ja, hatte ich
doch gerade gesagt.
.
(HERR WILDBRUCH:) Frau Garazzo – das müssen Sie mir erklären.
Ich will nichts erklären,
es reicht nicht und
langweilt mich.
Was sollen sie schon,
die Worte,
was können sie.
.
Wie anmaßend eitel wie altklug naiv ja wie wenig wie albern wie
lächerlich lächerlich lachhaft die Menschen meinen
sie würden Abwechslung schaffen durch ihre Worte
ihre ach ach! ihre ach so mannigfachen Worte
dabei erzählen sie immer das Gleiche
c’est tout
(HERR WILDBRUCH:) Aber das Leben einer Katze ist doch noch viel gleichförmiger.
Ein Katzenleben gleichförmig?
Nicht im Geringsten.
Meine zarten Vibrissen nehmen Schwingungen wahr,
davon träumen Sie nur,
meine Sinne sind fein,
filigran.
Sie zittern.
Sie schnurren.
Sie beben.
Sie
elektrisieren.
Mein Instinkt unbeirrbar,
ich wittere Gefahr,
ich fühle das Wetter.
Durch mein Blut rauscht ein Heersturm lebendiger Sinne sie bäumen
sich auf wie Satyrn deren feucht-süße Nüstern wie
Blütensaft lecken und scharf wie ein Gift der
Verführung sich ätzen wie Flusssäure tief in
die Haut und darunter die Knochen zer-
fressen und nagen an deinem
Verstand
Meine Sinne sind Gold.
Ich spüre, wie
Sie
sich
fühlen,
und wenn ich mich rege,
dann nimm dich in Acht.
Mein Instinkt ist
gewaltig,
ich fange die Maus
nicht mit Käse und Speck.
.
Das sagte ich ihm natürlich nicht so ausführlich.
Ein Blick
reicht da.
Er hat mich verstanden,
er saß da,
Herr Wildbruch,
und starrte mich an wie
eine Doku
über sein Lieblingstabu.
Wie er da
saß,
sich die Haut von den Nägeln und
mich nicht durchdrang.
Da hatte er sich doch gerade ein Bild von mir gemacht –
Immobilien Geld Geltung Geld Vaterkomplex –
und jetzt wischte sie seine Analyse einfach vom Tisch
wie eine aus unzähligen Scherben mühsam zusammengeklebte Vase,
[mi:aʊ]
(HERR WILDBRUCH:) Also lassen Sie es sich gutgehen? Oder – beschreiben Sie das doch mal, was fühlen Sie, wenn Sie auf der Heizung liegen und sich das Handgelenk lecken?
Ich seufzte.
Die Uhr ging,
er sprach und
ich schwieg mich
um Kopf und
um Kragen,
doch dann,
ganz am Ende der Stunde,
da sagte ich ihm,
ich sei nicht Privatiere,
sei Katze,
ja?, das sei ein Unterschied.
Was er wolle, wisse ich nicht,
ich jedenfalls schüttle die
Bürokratie
ab
wie getrocknete Molke.
/Tag. Einige Tage später, September./
Einmal war da dieser Junge,
da hätte ich es eigentlich schon merken können.
Er trat einem morschen Baum die Äste ab
und hatte
offenbar Spaß daran,
aggressiven Spaß.
Spaß und Aggression liegen oft ja nicht weit auseinander.
Der Junge zertrat den Baum,
er trat, und er trat.
Der letzte Ast war kantig gegabelt.
Der Junge trat zu, und
der eine Astarm brach ab, und
der andere stach sich ihm heftig ins Bein.
Er schrie,
äußerst laut.
Ich sah, wie das Blut rann.
.
Und da schoss mir sehr plötzlich eine Erinnerung in den Kopf,
ein Erlebnis aus meiner Kindheit.
Witzig,
das hatte ich
völlig vergessen.
Auf dem Weg zur Schule,
ich war acht,
kam ich immer
an einer morschen
Eiche vorbei.
In ihrem Schoß
lag einst ein
schwangeres Kätzchen,
wartend,
erwartend
das Leben.
Sie warf sieben Junge,
und eines davon
befasste ich
mit meinem Handschuh.
Da nahm die Mutter es
nicht mehr zurück,
sie verstieß es,
es starb,
und ich schämte mich
sechs Tage lang.
Am siebten dann kam ich zurück zu ihr,
sagte,
liebe Katze, es tut mir so leid, dass ich dir ein Kind genommen
hab, aber ich schwöre,
versprech dir, ich mach’s
wieder gut, du wirst sehn,
Katze, warte nur.
Warte.
/Nacht. Ein paar Nächte später, September./
/Eleonore steigt durch die Klappe aus dem Garten ins Innere ihres Hauses, schleicht ein paar Schritte nach vorn. Reglos wie eindringlich starrt sie geradeaus. Wenn sie dabei zufällig den Blick eines Menschen im Publikum trifft, wird es sicherlich dieser sein, der zuerst wegschaut./
/Tag. Ende September./
Mein Name ist Eleonore.
Dieses Jahr bin ich vierzig geworden.
Für eine Katze ist das sehr alt.
Ich habe zwölf Jahre als Maklerin gearbeitet,
Immobilien.
Mir hat der Job nie wirklich gefallen.
Aber andere,
da bin ich mir sicher,
In meinem Job ist mir niemand zu nah gekommen.
Bei einem hohem Aufkommen von Seriosität verhält sich der Mensch
meist wie ein kastrierter
Hund.
Ich sah immer gut aus,
ein Klischee
im Kostüm,
unter dem mich niemand erkannte.
Meine Nägel waren
immer lackiert
manchmal rot
rosa
beige
nude,
dass ich daran ja niemals kaute.
Es ist kein Jahr her,
da tat ich das noch.
Ich bog mit den Händen den Fuß an den Mund
und kaute mir sämtliche Nägel
ab.
Oft
war es blutig und manchmal entzündet sogar.
Doch meine Hände,
die musste ich schonen partout.
Was denken die Kunden, die
kaufen ja nichts
von einer mit krüppligen Nägeln.
Jetzt hab ich den Kratzbaum.
.
Mein Erscheinungsbild passte
zur Leere der Räume.
Ich hasste es,
belebte Räume zu vertreten
oder abzunehmen.
Und wenn da dann auch noch
Zeug herumlag,
Hefte
Geschirr
Zahnpasta
Druckerpapier
Haargummis
Tetrapaks
Mülleimer
Geige
Zigarettenfilter
Briefe mit Namen drauf
Hundenapf
Messer
Gabel
Blumentopf
.
Diese verzweifelten Dinge.
.
[w]ub
ist das komisch,
wenn ich daran denke,
wie albern das war,
diese Arbeit.
All die Verträge,
die Deals,
dieser Handschlag, der zwischen zwei Menschen ins Nichts fällt wie
ein Hammer, dem gleich ist,
ob er auf Stahl oder
pulswarme Herzen schlägt.
.
Mensch,
was machst du beruflich?
Ich tu so, als ob, und
du tust so, als ob, und dann
kommen wir ins Geschäft.
Wer sich umdreht oder lacht,
wird gerügt und schreibt
hundertmal
Authentizität
an die Tafel.
.
.
.
Es geht mir so gut.
.
Ich schlafe auch nicht mehr
acht Stunden am Stück.
Wie seltsam auch.
/Lacht./
.
(HERR WILDBRUCH:) Also was mir noch einfiel zu Katzen: Die sind ja sehr beliebt.
Was mir noch einfiel,
was dir noch einfiel,
was mir noch einfiel,
die Katze tritt die Treppe krumm, krumm tritt die Katze die
Treppe.
Die Katze verleiht dir Gefühle,
zum Beispiel die Zärtlichkeit.
Du gibst ihr Futter
aus Dosen,
glaub ja nicht,
sie wäre dir
dankbar
dafür,
Mensch, sie frisst das bloß,
kackt und
hat einfach nur
den
Mechanismus kapiert.
.
Ich sorge jetzt nur noch für mich.
Bei Licht mache ich es
mir schön,
sauge, wasche,
wische,
mal hier,
mal dort,
mal mehr, mal
weniger,
damit ich bei Nacht ich selbst sein kann.
Ich habe keinen Alltag mehr.
Für mich nur noch Allnacht.
/Ihr Fell trägt Eleonore jetzt immer öfter auch tagsüber. Ihre zivilisierte Betriebsamkeit wird schwächer./
/Tag. Mitte Oktober./
Die Objekte waren es nicht,
die mich an meinem Job störten.
Aber die ständigen Menschen
und ihr
Verhalten,
ich meine,
na ja,
wollen dies,
wollen das
und riechen komisch.
.
(HERR WILDBRUCH:) Wie geht es Ihnen denn ohne Arbeit, Frau Garazzo?
Ach Wildbruch,
ich bin eine Katze,
wie soll es mir gehen –
gut.
(HERR WILDBRUCH:) Aber vielleicht könnte die Arbeit Sie ablenken.
Ich will keine
Ablenkung, will
an den Spitzen
meiner Vibrissen
spüren,
was vorgeht.
(HERR WILDBRUCH:) Aber, ich weiß nicht, ob ich das mit der, ich nenne das jetzt mal beruflichen oder sozialen Abstinenz auf Dauer für gut befinde, Frau Garazzo.
Das müssen Sie auch nicht,
Wildbruch,
so dachte ich, holte
aus meiner Tasche
die Scherbe
aus Stein –
dieser Stein hat die Form eines Fisches,
eines scharfen und
kantigen Fisches –
und feilte mir daran die Nägel,
den Blick latent auf Wildbruch
gerichtet.
Er faltete krampfig die Hände.
Bald sah er es ein und
gab nach.
Und im Nachhinein war es mir klar, völlig
klar,
weshalb ich dieses Spiel
gewann.
.
Instinkt sticht Vernunft.
.
Trotzdem
bekomme die Arbeit ich nicht aus dem Kopf.
Die Erinnerungen daran belasten mich
wie schmutzige Wäsche.
.
Es gab diesen Abend,
da lud Warantschow uns ein
ins Perroquet,
der Franzose Sperling Ecke Chopin.
Der ganze Champagner ging
auf ihn,
und Michaela hatte diesen Cousin mitgebracht.
.
Wir sprachen über
das Objekt, in dem
die Schicke Lady wohnte.
So nannten sie sie.
Die Schicke Lady,
die lebte zur Miete
in dieser Mansarde,
diesem Kämmerlein unterm Dach;
schlecht isoliert,
kein Geld
hatte die Lady,
die gerade mal
zwanzig war.
Kauzig
nannten sie sie.
Die Wohnung wurde verkauft
an uns und die
Lady, die musste dann raus.
Sie lachten so
quirlig und busy
wie die Perlen im Glas
über die wollenen Röcke,
ihr Barett,
diesen Geruch nach
Getreide
Acrylfarbe
Früchtetee,
vor allem aber über ihre Naivität.
Wir kamen ständig mit Interessenten vorbei,
auch unangemeldet,
und die Schicke Lady hielt stets
den Damen und Herren im Anzug
die Tür auf,
sehr artig und
schüchtern,
als wäre das Ganze ein
Märchen,
das ihr in die Stube weht und sicher gut ausgeht
am Ende,
dass die Armen und Hässlichen, Einsamen schließlich
gewinnen lässt.
Was auch immer mit deren Fantasie nicht stimmte,
das Objekt wurde modernisiert exklusives Design dieses Grauen von
Teppich raus eins zwei drei Böden das Bad alle
Türen Komplettpaket Sticker drauf nobel reprä-
sentativ ein edles kleines Sahnehäubchen wie
heißt dein Baby Rita Rendite Schicke Lady
passé
und Warantschow
goss Champagner nach,
lachte,
wir lachten;
wenn das Gelächter
der Menschen
wie Urwald klingt,
Wilderness
zivilisiert.
Nur Elas Cousin
lachte nicht.
Er schaute sehr skeptisch,
und dann fing er an
über Dinge zu reden,
die Armut
die Künstler
und Autos
und Abgas
und Abgas
und Abgas
und Autos
Elektro
und Flieger
und Klima
und Heizung
die Künstler
und Erdgas
und Windkraft
und U-Bahn
und S-Bahn
und durch defekte Fahrstühle verursachte Einschränkung der
Barrierefreiheit
Polizeiauto
Rettungsdienst
Einsatzkommando
scheuchte uns über seinen imaginären Autoteppich, der
Junge, was willst du,
Feuerwehrmann werden?
Warantschow knackte Pistazien,
stand sein Gerede aus
wie einen Schauer,
und Ela bestellte Pernod.
.
(HERR WILDBRUCH:) Da ging es jetzt sehr plötzlich um Autos, Frau Garazzo. Aber noch einmal zurück zu der Mieterin. Sie sagen, Ihre Kollegen hätten sich lustig gemacht. Aber wie fanden Sie denn diese Frau? Diese Schicke Lady?
.
Mutter, ich stopfe mir
Moos
in die Scheide,
wenn ich meine Tage hab.
.
/Tag. Einen Tag später, Oktober./
/Eleonore telefoniert./
Korrekt. Ja.
Das Geld kann ich sofort überweisen, das ist überhaupt kein Problem. Genau. Ja, das ist meine Privatadresse. Fasanenweg 7, nicht 17, das Haus am Ende der Straße. Klein, sachlich gebaut, nicht zu verfehlen. Sicher, ja. Ein Teil der Paletten kann im Keller, ein Teil im Wohnraum untergebracht werden, das habe ich alles ausgemessen, Sie können das alles hier abladen./Lacht souverän./
Ja.
Prima, dann hätten wir das.
Ja. Auf Wieder- nein, Moment! Bringen Sie bitte noch einen Topf Katzenminze mit. Zur Pflege der Zähne. Danke.
Wiederhören./Eleonore beendet das Telefongespräch./
.
It’s all about the ingredients.
Zuerst fraß ich Tierfutter,
doch
welch Tier zöge
kein
salzarmes
Wildragout vor.
/Tag. Einen Tag später, Oktober./
Auf das Ende der Arbeit
folgte auch bald
das Ende der Therapie.
(HERR WILDBRUCH:) Ja, es ist im Grunde schade, dass wir das hier… abbrechen. Ich kann nur, ja. Also wenn Sie meine Hilfe brauchen. Melden Sie sich gern jederzeit, Frau Garazzo.
Hatte Herr Wildbruch mir
angeboten
und kritzelte auf ein Papier seine
Nummer,
privat.
Er rieb sich die Hand an der Jeans
und gab sie mir dann.
.
Ich rief ihn nie an.
.
/Nacht. Einige Nächte später, Oktober./
/Eleonore wetzt Finger- und Fußnägel an ihrem Kratzbaum./
/Tag. Einen Tag später, Oktober./
Es ging dann ganz schnell
nach jenem Septemberabend,
an dem der Gedankenstrom meiner Mutter in meinem Kopf
meiner Identität auf die Sprünge half,
ich ihr bald darauf sagte,
ich sei eine Katze,
da
ging es ganz schnell,
sie wurde dement.
.
/Eleonore fasst sich an die Ohren, sie erleidet leichten Schwindel, sammelt sich bald wieder./
.
Ich kann keine Kinder bekommen.
Ich meine,
wie soll das gehen.
Was soll es.
Man kann nicht alles
haben,
so ist das Leben,
man muss es nehmen,
wie’s ist,
aber ach.
.
Wem erzähle ich das.
.
Ich denke an Mutter,
ich denke
[v]ub
[w]ab [w]ab[w]ab[w]ab [w]lab
ah
ach Mutter.
(HERR WILDBRUCH:) Wie geht es Ihnen mit der Erkrankung Ihrer Mutter?
Fragte mich Wildbruch.
Gut.
(HERR WILDBRUCH:) Vielleicht ist da zwischen Ihnen etwas ungelöst.
Was sollte da ungelöst sein, fragte ich ihn und dachte
an Knäule aus Wolle.
Meine Mutter ist endlich
erlöst,
ist ein Wunder,
dass sie eine Katze gebar,
und größeres Wunder, dass sie sich an nichts
erinnert.
Ich, kann ich sagen, ich
bin noch nicht so weit.
(HERR WILDBRUCH:) Vielleicht hätten Sie ihr genau das gerne gesagt.
Herr Wildbruch immer
mit seinen Gedanken,
dass Mensch da jeder Mutter,
jedem Kind
so viel Bedeutung beimessen muss.
Was ist denn das Leben und Tod dieser Mensch und der Schädel auch
eine Blüte ist ein
Phänomen.
.
Ich mochte die Gespräche mit ihm
trotzdem.
Irgendwie waren sie,
weiß ich nicht –
nett.
Aber jetzt ist auch gut.
Ich finde, Herr Wildbruch,
er muss mich nicht andauernd
anrufen.
36 Anrufe
zählt meine Mailbox nun schon.
.
Ich verstehe das
nicht.
Ich will doch nicht viel.
Nur ein Wurf Junge,
das muss ich gestehn,
wäre schon schön.
/Nacht. Eine Nacht später, Oktober./
/Eleonore steigt durch die Klappe der Terrassentür ins Haus. Es ist still. Sie schleicht. Man kann sie kaum sehen, so schwach ist das Licht. Und doch erkennt man im Mondenschein den toten Vogel, den Eleonore aus ihrem Maul fallen lässt. Anschließend holt sie sich eine Dose Fleisch, das sie frisst, während sie den Vogel verschmäht./
/Tag. Einige Tage später, Oktober./
Ich habe im Juni Geburtstag.
Ich tanze als Kind durch den Garten,
die Tante ist da,
es gibt Küchlein
mit Erdbeeren,
ein weißes Laken
hängt an der Leine.
.
/Singt./ [uːːː]
.
Mein Vater pflegte zu sagen:
(VATER:) Rechne immer damit, dass andere klüger sind als du.
Er leitete einen Konzern,
Windkraftanlagen.
Und starb vor fünf Jahren an Krebs.
(VATER:) Ich hab mit den Bären getanzt.
Das erzählte er mir,
wenn er heimkam spätabends,
als ich noch ein Kind
war.
.
Ich mag diesen Laut.
[w]
.
[wa]
[waʊ̯]
[wa:ʊ̯]
.
(HERR WILDBRUCH:) Und haben Sie das Gefühl, dass Sie Ihrem Vater irgendetwas beweisen wollten?
Herr Wildbruch, come on,
mein Vater tanzte mit Bären, bis
einer ihn fraß,
was
hätte ich ihm
beweisen sollen.
.
.
Reis mit Rosinen
dampfte einmal bei ihr auf dem
Tisch, durch den sich die
Holzwürmer bohrten.
Die hätt ich ja auch noch
hineingegeben.
Mehr Protein.
Die Schicke Lady,
wie fand ich sie.
.
Ich mag diesen Laut.
[w].
.
/Es schwindelt Eleonore./
/Tag. Ende Oktober./
/Eleonore liegt da, mit Genuss in einer möglichst unbequemen Position. Sie masturbiert. In Eleonores Emanzipation vom sexuellen Abhängigkeitsverhältnis der Menschen einerseits, und der
Unmöglichkeit kopulativer Verhältnisse mit Artgenossen andererseits, liegt eine Spannung, die nur behelfsmäßig überbrückt werden kann./
/Tag. Anfang November./
Luk Warantschow,
mein Chef,
war mir zugeneigt.
Ich bin ein Verlust
auf der Arbeit,
das ist mir
bewusst.
Ela mit ihrer
Haus-
staub-
allergie
hätte er fast
gekündigt.
Die menschliche Schleimhaut
oftmals sensibler
als seine
Moral,
[ɐ] was soll’s, ist
egal.
.
Wir hatten dies Coaching,
Kommunikation.
Das war letztes Jahr,
es war
Mai, glaub ich.
Warantschow,
er hatte es anberaumt.
Als Upgrade
unserer Skills,
adressatengerecht und profitorientiert,
support your certain stewardship.
Der Coach,
sie hieß Maligk,
verteilte ihr Wissen
auf Kärtchen
und Whiteboards
auf Post-its
in Rot
Blau
Gelb
Grün
und dann sagte sie
(MALIGK:) Kommunikation ist nicht möglich.
Sie sei immer gestört
durch die Unmöglichkeit
intersub-
jektiven Konsenses.
Unter Einfluss diverser Gefühle und aufgrund der Unzulänglichkeit
unserer Sprache könnte der
Mensch nie genau in Worte
fassen, was er eigentlich
ausdrücken will, etwa so
sagte sie
lächelnd –
sicher kein Zahnstein
in diesem
Gebiss.
Bravo, Maligk,
sie hat es verstanden.
Wieso zieht sie nicht
Konsequenzen daraus,
give it up,
friss deine
Post-its.
.
.
/Das Telefon klingelt. Eleonore nimmt den Anruf entgegen./ Ja?
Ah, guten Tag.
M-hm.
M-hm.
.
/Seufzt./
Haben Sie –
.
Nun beruhigen Sie sich mal.
Haben Sie es denn schon mal mit einer Zimmerverlegung versucht?
A ha, ja,
dann machen Sie das doch einfach mal.
Meine Mutter liegt doch immer noch in der 32, dritte Etage, das Zimmer rechts hinter diesem blattarmen Ficus, richtig?
Ja. Auf der Etage, quasi als Nachbar meiner Mutter, liegt auch ein Herr Brenning-Schach, richtig?