Draußen vor der Tür - Wolfgang Borchert - E-Book + Hörbuch

Draußen vor der Tür Hörbuch

Wolfgang Borchert

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Beschreibung

Rowohlt E-Book Theater Die Geschichte des jungen Kriegsheimkehrers Beckmann, der im zerbombten Deutschland keine Heimat mehr findet und an sich und der Welt verzweifelt, ist einer der Klassiker des Theaters nach 1945. Eindringlich und authentisch rechnet das Stück mit den Nachwirkungen von Krieg und Faschismus ab und untersucht eine Gesellschaft, in der der Schrecken nie zu Ende geht. Borchert, 1921 geboren, starb schwer krank einen Tag vor der Uraufführung seines Dramas, das im Untertitel heißt: «Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will». Seither wurde es in aller Welt in weit über 300 Inszenierungen gezeigt. In einem Nachwort erläutert Michael Töteberg die Entstehung des Stückes und die Editionsgeschichte der verschiedenen Fassungen des Stoffes.

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Zeit:1 Std. 55 min

Sprecher:Friedrich Frieden
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Wolfgang Borchert

Draußen vor der Tür

Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

WidmungPersonenVorspannVorspielDer Traum1. Szene2. Szene3. Szene4. Szene5. SzeneNachwort
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Hans Quest

gewidmet

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BECKMANN, einer von denen

seine FRAU, die ihn vergaß

deren FREUND, der sie liebt

ein MÄDCHEN, dessen Mann auf einem Bein nach Hause kam

ihr MANN, der tausend Nächte von ihr träumte

ein OBERST, der sehr lustig ist

seine FRAU, die es friert in ihrer warmen Stube

die TOCHTER, gerade beim Abendbrot

deren schneidiger MANN

ein KABARETTDIREKTOR, der mutig sein möchte, aber dann doch lieber feige ist

FRAU KRAMER, die weiter nichts ist als Frau Kramer, und das ist gerade so furchtbar

der ALTE MANN, an den keiner mehr glaubt

der BEERDIGUNGSUNTERNEHMER mit dem Schluckauf

ein STRASSENFEGER, der gar keiner ist

der ANDERE, den jeder kennt

die ELBE.

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Ein Mann kommt nach Deutschland.

Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging. Äußerlich ist er ein naher Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel (und abends manchmal auch die Menschen) zu erschrecken. Innerlich – auch. Er hat tausend Tage draußen in der Kälte gewartet. Und als Eintrittsgeld mußte er mit seiner Kniescheibe bezahlen. Und nachdem er nun tausend Nächte draußen in der Kälte gewartet hat, kommt er endlich doch noch nach Hause.

Ein Mann kommt nach Deutschland.

Und da erlebt er einen ganz tollen Film. Er muß sich während der Vorstellung mehrmals in den Arm kneifen, denn er weiß nicht, ob er wacht oder träumt. Aber dann sieht er, daß es rechts und links neben ihm noch mehr Leute gibt, die alle dasselbe erleben. Und er denkt, daß es dann doch wohl die Wahrheit sein muß. Ja, und als er dann am Schluß mit leerem Magen und kalten Füßen wieder auf der Straße steht, merkt er, daß es eigentlich nur ein ganz alltäglicher Film war, ein ganz alltäglicher Film. Von einem Mann, der nach Deutschland kommt, einer von denen. Einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draußen vor der Tür. Ihr Deutschland ist draußen, nachts im Regen, auf der Straße.

Das ist ihr Deutschland.

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Vorspiel

Der Wind stöhnt. Die Elbe schwappt gegen die Pontons. Es ist Abend. Der Beerdigungsunternehmer. Gegen den Abendhimmel die Silhouette eines Menschen.

DER BEERDIGUNGSUNTERNEHMER

(rülpst mehrere Male und sagt dabei jedesmal) Rums! Rums! Wie die – Rums! Wie die Fliegen! Wie die Fliegen, sag ich.

Aha, da steht einer. Da auf dem Ponton. Sieht aus, als ob er Uniform anhat. Ja, einen alten Soldatenmantel hat er an. Mütze hat er nicht auf. Seine Haare sind kurz wie eine Bürste. Er steht ziemlich dicht am Wasser. Beinahe zu dicht am Wasser steht er da. Das ist verdächtig. Die abends im Dunkeln am Wasser stehn, das sind entweder Liebespaare oder Dichter. Oder das ist einer von der großen grauen Zahl, die keine Lust mehr haben. Die den Laden hinwerfen und nicht mehr mitmachen. Scheint auch so einer zu sein von denen, der da auf dem Ponton. Steht gefährlich dicht am Wasser. Steht ziemlich allein da. Ein Liebespaar kann es nicht sein, das sind immer zwei. Ein Dichter ist es auch nicht. Dichter haben längere Haare. Aber dieser hier auf dem Ponton hat eine Bürste auf dem Kopf. Merkwürdiger Fall, der da auf dem Ponton, ganz merkwürdig. (Es gluckst einmal schwer und dunkel auf. Die Silhouette ist verschwunden.) Rums! Da! Weg ist er. Reingesprungen. Stand zu dicht am Wasser. Hat ihn wohl untergekriegt. Und jetzt ist er weg. Rums. Ein Mensch stirbt. Und? Nichts weiter. Der Wind weht weiter. Die Elbe quasselt weiter. Die Straßenbahn klingelt weiter. Die Huren liegen weiter weiß und weich in den Fenstern. Herr Kramer dreht sich auf die andere Seite und schnarcht weiter. Und keine – keine Uhr bleibt stehen. Rums! Ein Mensch ist gestorben. Und? Nichts weiter. Nur ein paar kreisförmige Wellen beweisen, daß er mal da war. Aber auch die haben sich schnell wieder beruhigt. Und wenn die sich verlaufen haben, dann ist auch er vergessen, verlaufen, spurlos, als ob er nie gewesen wäre. Weiter nichts. Hallo, da weint einer. Merkwürdig. Ein alter Mann steht da und weint. Guten Abend.

DER ALTE MANN

(nicht jämmerlich, sondern erschüttert) Kinder! Kinder! Meine Kinder!

BEERDIGUNGSUNTERNEHMER

Warum weinst du denn, Alter?

DER ALTE MANN

Weil ich es nicht ändern kann, oh, weil ich es nicht ändern kann.

BEERDIGUNGSUNTERNEHMER

Rums! Tschuldigung! Das ist allerdings schlecht. Aber deswegen braucht man doch nicht gleich loszulegen wie eine verlassene Braut. Rums! Tschuldigung!

DER ALTE MANN

Oh, meine Kinder! Es sind doch alles meine Kinder!

BEERDIGUNGSUNTERNEHMER

Oho, wer bist du denn?

DER ALTE MANN

Der Gott, an den keiner mehr glaubt.

BEERDIGUNGSUNTERNEHMER

Und warum weinst du? Rums! Tschuldigung!

GOTT

Weil ich es nicht ändern kann. Sie erschießen sich. Sie hängen sich auf. Sie ersaufen sich. Sie ermorden sich, heute hundert, morgen hunderttausend. Und ich, ich kann es nicht ändern.

BEERDIGUNGSUNTERNEHMER

Finster, finster, Alter. Sehr finster. Aber es glaubt eben keiner mehr an dich, das ist es.

GOTT

Sehr finster. Ich bin der Gott, an den keiner mehr glaubt. Sehr finster. Und ich kann es nicht ändern, meine Kinder, ich kann es nicht ändern. Finster, finster.

BEERDIGUNGSUNTERNEHMER

Rums! Tschuldigung! Wie die Fliegen! Rums! Verflucht!

GOTT

Warum rülpsen Sie denn fortwährend so ekelhaft? Das ist ja entsetzlich!

BEERDIGUNGSUNTERNEHMER

Ja, ja, greulich! Ganz greulich! Berufskrankheit. Ich bin Beerdigungsunternehmer.

GOTT

Der Tod? – Du hast es gut! Du bist der neue Gott. An dich glauben sie. Dich lieben sie. Dich fürchten sie. Du bist unumstößlich. Dich kann keiner leugnen! Keiner lästern. Ja, du hast es gut. Du bist der neue Gott. An dir kommt keiner vorbei. Du bist der neue Gott, Tod, aber du bist fett geworden. Dich hab ich doch ganz anders in Erinnerung. Viel magerer, dürrer, knochiger, du bist aber rund und fett und gut gelaunt. Der alte Tod sah immer so verhungert aus.

TOD

Na ja, ich hab in diesem Jahrhundert ein bißchen Fett angesetzt. Das Geschäft ging gut. Ein Krieg gibt dem andern die Hand. Wie die Fliegen! Wie die Fliegen kleben die Toten an den Wänden dieses Jahrhunderts. Wie die Fliegen liegen sie steif und vertrocknet auf der Fensterbank der Zeit.

GOTT

Aber das Rülpsen? Warum dieses gräßliche Rülpsen?

TOD

Überfressen. Glatt überfressen. Das ist alles. Heutzutage kommt man aus dem Rülpsen gar nicht heraus. Rums! Tschuldigung!

GOTT

Kinder, Kinder. Und ich kann es nicht ändern! Kinder, meine Kinder! (Geht ab)

TOD

Na, dann gute Nacht, Alter. Geh schlafen. Paß auf, daß du nicht auch noch ins Wasser fällst. Da ist vorhin erst einer reingestiegen. Paß gut auf, Alter. Es ist finster, ganz finster. Rums! Geh nach Haus, Alter. Du änderst es doch nicht. Wein nicht über den, der hier eben plumps gemacht hat. Der mit dem Soldatenmantel und der Bürstenfrisur. Du weinst dich zugrunde! Die heute abends am Wasser stehen, das sind nicht mehr Liebespaare und Dichter. Der hier, der war nur einer von denen, die nicht mehr wollen oder nicht mehr mögen. Die einfach nicht mehr können, die steigen dann abends irgendwo still ins Wasser. Plumps. Vorbei. Laß ihn, heul nicht, Alter. Du heulst dich zugrunde. Das war nur einer von denen, die nicht mehr können, einer von der großen grauen Zahl … einer … nur …

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Der Traum

In der Elbe. Eintöniges Klatschen kleiner Wellen. Die Elbe. Beckmann.

BECKMANN

Wo bin ich? Mein Gott, wo bin ich denn hier?

ELBE

Bei mir.

BECKMANN

Bei dir? Und – wer bist du?

ELBE

Wer soll ich denn sein, du Küken, wenn du in St. Pauli von den Landungsbrücken ins Wasser springst?

BECKMANN

Die Elbe?

ELBE

Ja, die. Die Elbe.

BECKMANN

(erstaunt) Du bist die Elbe!

ELBE

Ah, da reißt du deine Kinderaugen auf, wie? Du hast wohl gedacht, ich wäre ein romantisches junges Mädchen mit blaßgrünem Teint? Typ Ophelia mit Wasserrosen im aufgelösten Haar? Du hast am Ende gedacht, du könntest in meinen süßduftenden Lilienarmen die Ewigkeit verbringen. Nee, mein Sohn, das war ein Irrtum von dir. Ich bin weder romantisch noch süßduftend. Ein anständiger Fluß stinkt. Jawohl. Nach Öl und Fisch. Was willst du hier?

BECKMANN

Pennen. Da oben halte ich das nicht mehr aus. Das mache ich nicht mehr mit. Pennen will ich. Tot sein. Mein ganzes Leben lang tot sein. Und pennen. Endlich in Ruhe pennen. Zehntausend Nächte pennen.

ELBE

Du willst auskneifen, du Grünschnabel, was? Du glaubst, du kannst das nicht mehr aushalten, hm? Da oben, wie? Du bildest dir ein, du hast schon genug mitgemacht, du kleiner Stift. Wie alt bist du denn, du verzagter Anfänger?

BECKMANN

Fünfundzwanzig. Und jetzt will ich pennen.

ELBE

Sieh mal, fünfundzwanzig. Und den Rest verpennen. Fünfundzwanzig und bei Nacht und Nebel ins Wasser steigen, weil man nicht mehr kann. Was kannst du denn nicht mehr, du Greis?

BECKMANN

Alles, alles kann ich nicht mehr da oben. Ich kann nicht mehr hungern. Ich kann nicht mehr humpeln und vor meinem Bett stehen und wieder aus dem Haus raushumpeln, weil das Bett besetzt ist. Das Bein, das Bett, das Brot – ich kann das nicht mehr, verstehst du!

ELBE

Nein. Du Rotznase von einem Selbstmörder. Nein, hörst du! Glaubst du etwa, weil deine Frau nicht mehr mit dir spielen will, weil du hinken mußt und weil dein Bauch knurrt, deswegen kannst du hier bei mir untern Rock kriechen? Einfach so ins Wasser jumpen? Du, wenn alle, die Hunger haben, sich ersaufen wollten, dann würde die gute alte Erde kahl wie die Glatze eines Möbelpackers werden, kahl und blank. Nee, gibt es nicht, mein Junge. Bei mir kommst du mit solchen Ausflüchten nicht durch. Bei mir wirst du abgemeldet. Die Hosen sollte man dir strammziehen, Kleiner, jawohl! Auch wenn du sechs Jahre Soldat warst. Alle waren das. Und die hinken alle irgendwo. Such dir ein anderes Bett, wenn deins besetzt ist. Ich will dein armseliges bißchen Leben nicht. Du bist mir zu wenig, mein Junge. Laß dir das von einer alten Frau sagen: Lebe erst mal. Laß dich treten. Tritt wieder! Wenn du den Kanal voll hast, hier, bis oben, wenn du lahmgestrampelt bist und wenn dein Herz auf allen vieren angekrochen kommt, dann können wir mal wieder über die Sache reden. Aber jetzt machst du keinen Unsinn, klar? Jetzt verschwindest du hier, mein Goldjunge. Deine kleine Handvoll Leben ist mir verdammt zu wenig. Behalt sie. Ich will sie nicht, du gerade eben Angefangener. Halt den Mund, mein kleiner Menschensohn! Ich will dir was sagen, ganz leise, ins Ohr, du, komm her: Ich scheiß auf deinen Selbstmord! Du Säugling. Paß gut auf, was ich mit dir mache. (Laut) Hallo, Jungens! Werft diesen Kleinen hier bei Blankenese wieder auf den Sand! Er will es nochmal versuchen, hat er mir eben versprochen. Aber sachte, er sagt, er hat ein schlimmes Bein, der Lausebengel, der grüne!

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1. Szene

Abend. Blankenese. Man hört den Wind und das Wasser. Beckmann. Der Andere.

BECKMANN

Wer ist da? Mitten in der Nacht. Hier am Wasser. Hallo! Wer ist denn da?

DER ANDERE

Ich.

BECKMANN

Danke. Und wer ist das: Ich?

DER ANDERE

Ich bin der Andere.

BECKMANN

Der Andere? Welcher Andere?

DER ANDERE

Der von gestern. Der von früher. Der Andere von immer. Der Jasager. Der Antworter.

BECKMANN

Der von früher? Von immer? Du bist der Andere von der Schulbank, von der Eisbahn? Der vom Treppenhaus?

DER ANDERE

Der aus dem Schneesturm bei Smolensk. Und der aus dem Bunker bei Gorodok.

BECKMANN

Und der – der von Stalingrad, der Andere, bist du der auch?

DER ANDERE

Der auch. Und auch der von heute abend. Ich bin auch der Andere von morgen.

BECKMANN

Morgen. Morgen gibt es nicht. Morgen ist ohne dich. Hau ab. Du hast kein Gesicht.

DER ANDERE

Du wirst mich nicht los. Ich bin der Andere, der immer da ist: Morgen. An den Nachmittagen. Im Bett. Nachts.

BECKMANN

Hau ab. Ich hab kein Bett. Ich lieg hier im Dreck.

DER ANDERE

Ich bin auch der vom Dreck. Ich bin immer. Du wirst mich nicht los.

BECKMANN

Du hast kein Gesicht. Geh weg.

DER ANDERE