Drehbuch reloaded - Katharina Bildhauer - E-Book

Drehbuch reloaded E-Book

Katharina Bildhauer

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Beschreibung

Was haben 'Memento', 'Fight Club', 'Magnolia' und 'Adaption' gemeinsam? Sie Setzen sich – so wie manch andere Kinofilme der letzten Jahre – über Erzählkonventionen hinweg, die in zahlreichen Drehbuchratgebern als Muss angeführt werden. Trotzdem (oder gerade deswegen?) erfreuen sich solche Filme, die mit den Regeln des klassischen Hollywoodkinos brechen, einer wachsenden öffentlichen Aufmerksamkeit, wie das jüngste Beispiel 'Babel' zeigt. Ausgehend von der existierenden Ratgeberliteratur entwickelt die Autorin die konventionellen Dramaturgiekonzepte weiter und ergänzt sie auf erhellende Art und Weise. Anhand von insgesamt über 30 zeitgenössischen Drehbüchern, die ein breites Genrespektrum abdecken, arbeitet sie Merkmale des Erzählens abseits der Norm heraus. Nicht starre Schemata, mit denen sich Geschichten in eine festgelegte Form pressen lassen, sondern alternative, dem jeweiligen Inhalt angemessene Erzählweisen stehen im Vordergrund, so beispielsweise unzuverlässiges oder nonlineares Erzählen. Auch rückt Katharina Bildhauer nicht die Filme und ihre Regisseure, sondern die Drehbücher und ihre Autoren in den Fokus der Betrachtung. Das Buch vermittelt dabei sowohl fundierte Theorie als auch unterhaltsame, praxisnahe Analyse.

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INHALT

Danksagung

Zum Geleit: Thomas Schäffer (Geschäftsführer nordmedia Fonds GmbH)

1. Einführung: Das Drehbuch, die unbekannte Spezies?.

1.1 Vorhaben und Vorgehensweise – Der Plan

1.2 Auswahl der Drehbuchratgeber – Die unvermeidlichen Klassiker.

1.3 Auswahl der Drehbücher – Die Regelbrecher

1.4 Das Drehbuch als Interessengegenstand oder »Weißt du, wo die Geschichten sind?«

2. Was war: Die gängigen Drehbuchmodelle

2.1 Der dramaturgische Aufbau

2.1.1 Die Dreiteilung

2.1.2 Die dramatischen Handlungspunkte

2.1.3 Figur, Konflikt und Ziel

2.1.4 Die dramaturgischen Mittel

2.1.5 Zwischenergebnis

2.2 Aller Anfang ist schwer – und das Ende umso mehr Darstellung zweier Problemfelder (unter Berücksichtigung dramentheoretischer Ansätze)

2.2.1 Das Problem des Anfangs

2.2.2 Das Problem des Endes

2.2.3 Zwischenergebnis

3. Die Ursprünge der Drehbuchmodelle: Das alte Drama mit dem neuen Drehbuch oder Aristoteles für alle(s)?

3.1 Antike vs. Hollywood: Zwei traditionelle Regelwerke im Vergleich mit den Drehbuchratgebern

3.2 Beurteilung der Ergebnisse

4. Lücken füllen: Das Drehbuch und der Rezeptionsprozess.

4.1 Der kognitive Teil des Rezeptionsprozesses – Mitdenken hilft

4.2 Die Informationsvergabe – Was, wann, wo

4.3 Die Spannung – Ich sehe was, was du nicht siehst

4.4 Der emotionale Teil des Rezeptionsprozesses – Empathie erwünscht

4.5 Zwischenergebnis

5. Über dem Tellerrand: Erweiterungen der Drehbuchmodelle (unter Berücksichtigung erzähltheoretischer Ansätze)

5.1 Die Drehbucherzählung als Transformationsprozess

5.2 Die Trennung von Fabula und Plot

5.3 Die Behandlung der Zeit

6. Schwer vermittelbar: Erzählmöglichkeiten im Drehbuch

Exemplarische Analysen und Drehbuchlektüren

7. Was ist: Merkmale alternativer Erzählkonzepte anhand von zeitgenössischen Drehbuchbeispielen

7.1 Fiktive Fakten – Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.

7.1.1 Achronologisches Erzählen – Be Kind, Rewind

M

EMENTO

I

RRÉVERSIBLE

und 5x2

7.1.2 Verdeckt-Unzuverlässiges Erzählen – Der nichtsahnende Protagonist

F

IGHT

C

LUB

T

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S

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S

ENSE

,

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THERS

,

A B

EAUTIFUL

M

IND

,

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I I

NSIDE

und T

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AME

7.1.3 Vorsätzlich-Unzuverlässiges Erzählen – Die bewusste Täuschung (

T

HE

U

SUAL

S

USPECTS

,

W

HERE

T

HE

T

RUTH

L

IES

,

H

ERO

)

7.1.4 Unentscheidbares Erzählen – Inkonsistenz, Traum und virtuelle Realität (

D

ONNIE

D

ARKO

,

A

BRE

L

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O

JOS

,

T

OTAL

R

ECALL

)

7.1.5 Meta-Erzählen – Die Fiktion in der Fiktion (

S

WIMMING

P

OOL

,

R

ECONSTRUCTION

)

7.2 Der Gebrauch von Wiederholungen – Play It Again

7.2.1 Parallelentwürfe – Inhaltliche Variation/Alternativen (

L

OLA

R

ENNT

,

S

LIDING

D

OORS

,

M

ELINDA

& M

ELINDA

)

7.2.2 Multiperspektivität – Perspektivische Variation/Puzzle (11:14, G

O

)

7.3 Multiprotagonistisch-Mehrsträngiges Erzählen – Die Vielfalt des Themas

M

AGNOLIA

C

RASH

, P

LAYING BY

H

EART

, T

RAFFIC

und S

YRIANA

8. Die Handschrift des Autors

8.1 Guillermo Arriaga – Das Schicksal, die Liebe und der Verlu.s.t

8.1.1 A

MORES PERROS

8.1.2 21 G

RAMS

8.1.3 B

ABEL

8.2 Charlie Kaufman – Inside the Mind

8.2.1 B

EING

J

OHN

M

ALKOVICH

8.2.2 A

DAPTATION

8.2.3 E

TERNAL

S

UNSHINE OF THE

S

POTLESS

M

IND

9. Schlussbetrachtung oder Wir können auch anders.

9.1 Auswertung der Analysen

9.2 Ein Erklärungsversuch – Drehbücher im Kontext ihrer Zei.t.

9.3 Schlussbetrachtung und Ausblick

Anmerkungen

Anhang

Strukturschemata aus den Drehbuchratgebern

Übersicht 11:14

Szenenabfolge M

AGNOLIA

Strukturschema E

TERNAL

S

UNSHINE OF THE

S

POTLESS

M

IND

Schaubild: Erzählerische Merkmale in den analysierten Drehbüchern

Literatur- und Quellenverzeichnis

Drehbücher (nach Titel).

Weitere genannte Drehbücher (nach Titel).

Drehbuchratgeber

Literatur

Filmkritiken, Interviews und weitere Textezu den ausgewählten Drehbüchern.

Register

DANKSAGUNG

Mein herzlicher Dank gebührt auf Seiten der Universitäten Prof. Annette Simonis, Prof. Marion Gymnich und Prof. Günter Blamberger; auf Seiten des Verlages Béatrice Ottersbach und Sonja Rothländer; auf verschiedensten Seiten Dr. Dennis Eick, Manuela Guddait, meiner Schwester, meinen Eltern und Lars.

ZUM GELEIT

Mit »Drehbuch reloaded« begleitet nordmedia Fonds – Die Film- und Medienförderung für Niedersachsen und Bremen – nach Phil Parkers »Die Kreative Matrix« und »Drehbuchtheorien« von Dennis Eick nunmehr eine dritte Publikation der UVK Verlagsgesellschaft.

»Drehbuch reloaded« komplettiert dabei als logisches Pendant zu den Büchern von Eick und Parker einen Dreiklang an Drehbuchpublikationen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung von Katharina Bildhauer mit der tradierten Drehbuchtheorie einerseits sowie der aktuellen Praxis des Schreibens andererseits trägt nachdrücklich dazu bei, das Verständnis des Drehbuchschreibens und -analysierens zu professionalisieren und fortzuentwickeln.

»Drehbuch reloaded« trifft dabei das deutliche Interesse von Autoren und Filmemachern, die traditionellen Ausprägungen der Filmdramaturgie zu verlassen.

Die vorliegende Arbeit bietet hierzu die ideale Verbindung aus fundiertem Theoriewissen und praxisnaher Drehbuchanalyse. Es wird eine detaillierte und breit gefächerte Übersicht der traditionellen Drehbuchkonzepte vermittelt und somit einerseits eine differenzierte Darstellung der gängigen Drehbuchratgeber gegeben. Andererseits gelingt es, über die Analyse von derzeit aktuellen Filmbeispielen sehr lebendig und nachvollziehbar darzustellen, welche alternativen Konzeptionen sich deutlich von der gängigen Drehbuchtheorie abheben.

Beispielhaft anschaulich wird dies für mich bei einem meiner derzeit favorisierten Filme: BABEL ist meines Erachtens als packender und virtuos montierter Episodenfilm ein Beleg für einen anderen Weg der Dramaturgie, der eben nicht dem nahe liegenden Schema einer zeitlich linearen Ereignisstruktur entspricht, sondern – dem konstruierten Zufall folgend – verschiedene Handlungsstränge kunstvoll aufeinander zulaufen lässt und so miteinander verknüpft.

Die weitere Auswahl der analysierten Filme – von u. a. MEMENTO über FIGHT CLUB, ADAPTATION bis LOLA RENNTund MAGNOLIA – ist bestens geeignet, dem Leser eindrücklich vor Augen zu führen, welche Vielfalt neuer Formen und Konzepte es zu entdecken gilt. So gelingt es, über die Erweiterung des Repertoires an Analysekriterien die Lücke der in der konventionellen Ratgeberliteratur zu oft vernachlässigten Aspekte zu schließen.

Wenn dies dazu führt, dass die gängigen Beurteilungsmethoden von Drehbüchern und Filmen neu überdacht werden, dann leistet das Buch einen außerordentlich wertvollen Beitrag.

Thomas Schäffer

Geschäftsführer nordmedia Fonds GmbH

1. EINFÜHRUNG: DAS DREHBUCH, DIE UNBEKANNTE SPEZIES?

Das Drehbuch ist wichtig. Punkt. Ohne Drehbuch keinen Film. Trotzdem beschäftigt sich kaum jemand mit Drehbüchern, wenn sie einmal verfilmt sind. Dann werden die Filme analysiert und rezensiert und nach dem Drehbuch fragt keiner. Dies musste ich jetzt erst wieder schmerzlich erfahren, als ich versuchte, die Abdruckgenehmigungen für die in diesem Buch verwendeten Drehbuchauszüge zu bekommen… Bevor die Drehbücher verfilmt sind, beschäftigen sich diverse Berufsgruppen damit; dem öffentlichen Publikum sind sie dann jedoch noch nicht zugänglich. Für den Drehbuchautor interessiert sich ebenfalls in den seltensten Fällen jemand. Auch das ist angesichts seiner kreativen Leistung und der Wichtigkeit, die das Drehbuch im Prozess der Filmherstellung hat, kaum gerechtfertigt.

Meine Motivation für dieses Buch war zum einen, mehr Aufmerksamkeit für das Drehbuch und den Drehbuchautor zu erzeugen – sei es im akademischen Bereich oder in der Praxis –, und zum anderen, einen Gegenpol zu schaffen zu einer rein erfolgsorientierten, reglementierten Ratgeberliteratur. Ich liefere keine Schreibtipps oder Erfolgsgeheimnisse; ich erfinde auch nicht das Rad neu. Ich schaue mir lediglich Texte an, die es verdienen, ins Rampenlicht gestellt zu werden. Es geht mir um Erzählmöglichkeiten in Drehbüchern, die leider viel zu oft unerwähnt bleiben und dennoch so bemerkenswert und vielfältig sind –, obwohl oder gerade weil sie ein wenig »anders« sind.

1.1 Vorhaben und Vorgehensweise – Der Plan

»Drehbuchschreiben bedeutet nichts weniger als Filmemachen auf dem Papier.«

(Frank Daniel)1

»Das Schreiben von Drehbüchern stammt in erster Linie vom Stückeschreiben ab.« (David Howard)2

»Ein Drehbuch ist eine in Bildern erzählte Geschichte.« (Syd Field)3

Bei dem Versuch, anhand dieser Zitate4 auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, stellen sich bereits die ersten Fragen: Film, Drama oder Erzähltext – zu welcher Erzähloder Darstellungsform lässt sich das Drehbuch rechnen?5 Ist es eine Symbiose aus allen dreien oder konstituiert es eine eigenständige Gattung? Ist es eine Kunstform mit unzähligen Variationen und Möglichkeiten oder ist es eher das Ergebnis eines handwerklichen Prozesses mit festen Normen? Für den Anfang lässt sich vielleicht festhalten, dass es »keine andere literarische Gattung [gibt], bei der so ausführlich über Handwerk, Technik und Methode geredet und geschrieben wird wie beim Drehbuch«.6

Ausgangspunkt für dieses Buch ist die Untersuchung, wie das Drehbuch strukturiert und die Handlung dramaturgisch aufgebaut ist, aus welchen Bestandteilen es sich zusammensetzt und welche Wirkungen dies auf den Rezipienten hat sowie die Bezüge, die das Drehbuch zu Drama und narrativem Text aufweist. Das so erörterte Drehbuchkonzept soll daraufhin anhand ausgewählter Drehbuchbeispiele auf seine Vor- bzw. Nachteile überprüft und bei Bedarf ergänzt werden. Ziel ist ein umfassendes Drehbuchkonzept, mit dem auch von der Norm abweichende Strukturen und Erzählweisen erfasst werden können.

Ich habe bewusst ausschließlich das Drehbuch als Untersuchungsgegenstand gewählt, wobei die hier gewonnenen Erkenntnisse durchaus auf die Filmversion übertragbar sind. Der Hintergrund für die Beschränkung auf die Drehbuchversion ist die Intention, zu zeigen, dass das Drehbuch die im Folgenden zu beleuchtenden Merkmale bereits enthält – und sie nicht etwa allein durch Regie, Kamera oder Schauspieler entstanden sind. Dieses Buch stellt keine filmwissenschaftliche Abhandlung, sondern eher eine Textanalyse dar. Das Drehbuch soll dabei jedoch keinesfalls generell mit dem Film gleichgesetzt werden. Es handelt sich um zwei verschiedene Medien, die jeweils spezifische Eigenschaften haben. Das audiovisuelle Endprodukt ist selbstverständlich komplexer als die Textvorlage und bedient sich verschiedener Kanäle, dennoch sind beide hinsichtlich der hier in Bezug auf das Drehbuch zu behandelnden Merkmale vergleichbar.

Bisher gibt es über das Drehbuch nur sehr wenige wissenschaftliche Untersuchungen. Eine Auswahl an Monografien über berühmte Regisseure mit Betrachtungen ihrer Filme lässt sich hingegen ebenso finden wie Filmanalysen, die sich einem bestimmten Aspekt widmen, sei es Gender, Psychoanalyse oder Gattungsmerkmale. Arbeiten, die sich mit einer breit gefächerten Auswahl an zeitgenössischen Werken unter einem dramaturgischen, erzähltheoretischen und strukturellen Ansatz beschäftigen, existieren dagegen kaum.

Was der Markt bietet, ist eine Vielzahl von Drehbuchratgebern, die sich mit dem Drehbuchschreiben und in diesem Zusammenhang auch mit dem Aufbau des Drehbuchs beschäftigen.7 Einige dieser Ratgeber dienen hier als Ausgangspunkt für die Erarbeitung eines Drehbuchkonzepts – nicht zuletzt aus dem Grund, weil sie in der Filmpraxis weit verbreitet sind und Einfluss auf zeitgenössische Produktionen haben. Ihre Dramaturgiekonzepte sollen dargestellt, kritisch betrachtet und bei Bedarf ergänzt werden, wobei ihr Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu überprüfen ist. Die Drehbuchratgeber haben einen praxis- und anwendungsorientierten Blickwinkel, die bestehenden Literatur- und Filmtheorien einen analyseorientierten. Beide aber beschäftigen sich mit der Frage, was die Merkmale von (Film)Geschichten sind und wie diese auf den Rezipienten wirken. Sowohl Praktiker als auch Theoretiker entwickeln Konzepte, die Antworten liefern können, scheinen sich darüber allerdings nicht auszutauschen. Diese Lücke will ich mit einem poetologischen Versuch über das Drehbuch schließen. Darüber hinaus soll ein Anfang für die bisher kaum stattfindende, umfassende Beschäftigung mit außergewöhnlichen zeitgenössischen Drehbüchern gemacht werden.

Wird der praxisorientierte Ansatz der Drehbuchmanuale mithilfe der hier ausgewählten Theorien fundiert und präzisiert, lässt sich daraus eine Basis für detaillierte Drehbuchanalysen schaffen, mit der auch von den Ratgebern vernachlässigte Merkmale erfasst werden können. Die aus den Drehbuchratgebern herausgearbeiteten Konzepte können als Kontrastfolie verwendet werden, um Besonderheiten einzelner Drehbücher zu ermitteln und Möglichkeiten für unkonventionellere Drehbuchkonzepte aufzuzeigen.

Bevor sich jedoch mit alternativen Dramaturgiekonzepten befasst werden kann, müssen die Grundlagen erörtert werden – mit anderen Worten: Erstmal gibt es graue Theorie. In Kapitel 2.1 werden zunächst die Drehbuchratgeber auf die von ihnen erhobenen Anforderungen an die Struktur des Drehbuchs untersucht. Dabei geht es im Wesentlichen um die Einteilung und den Aufbau der Handlung sowie um das Wesen der Hauptfigur und ihres Zieles. Hierbei wird sich bewusst auf eine Darstellung der Ratgeber-Inhalte beschränkt, um die Dimension der bisher existierenden Texte über das Drehbuch begreiflich zu machen. Durch die im Weiteren durchzuführenden Untersuchungen soll die Begrenztheit der verbreiteten Konzepte aufgezeigt werden. Bleiben die in den Ratgebern vertretenen Konzepte zu vage oder unzureichend, werden in Kapitel 2.2 dramentheoretische Ansätze mit einbezogen, um erstere sinnvoll zu ergänzen.

Da die Drehbuchratgeber mitunter auf Aristoteles’ Poetik verweisen, wird in Kapitel 3 ein Vergleich zwischen den Regelwerken aufgestellt. Zusätzlich wird auf Gustav Freytags Technik des Dramas zurückgegriffen, da dessen damalige Rezeption vergleichbar mit der heutiger Drehbuchratgeber ist. Bei dem Vergleich dieser beiden Dramenpoetiken mit den Drehbuchratgebern soll herausgearbeitet werden, inwieweit sich traditionelle Konzepte in den heutigen Ansätzen wiederfinden lassen bzw. ob letztere diese gemäß ihres modernen Zielmediums modifizieren und ergänzen.

Um den der Drehbuch- und Dramenansätze immanenten wirkungsästhetischen Aspekt zu vertiefen, beschäftigt sich Kapitel 4 mit den Auswirkungen der Drehbuchdramaturgie auf den Rezipienten.8 Hierbei finden sowohl emotionale als auch rationale Prozesse Berücksichtigung. Da in den Drehbuchratgebern die Wirkungsästhetik teilweise ungeklärt bleibt bzw. unzulängliche Begründungen geliefert werden, wird in diesem Kapitel der Wahrnehmungs- und Konstruktionsprozess filmischer Erzählungen näher erläutert.

In Kapitel 5 werden die konventionellen Drehbuchkonzepte mithilfe erzähltheoretischer Ansätze erweitert, da so wichtige Erkenntnisse über in den Ratgebern nicht dargestellte Konstruktionsmethoden gewonnen werden können. Hierzu zählen insbesondere die differenzierte Trennung der Konzeptbegriffe von Fabula und Plot sowie die Gestaltung der Zeit im Drehbuch.

Ein weiteres Untersuchungsgebiet, das in Bezug auf das Drehbuch bisher kaum Beachtung findet, obwohl es diverse Möglichkeiten zur Gestaltung des filmischen Erzählens eröffnet, ist jenes der erzählerischen Vermittlung, auf das in Kapitel 6 eingegangen wird. Die damit erreichte Aufdeckung des erzähltheoretischen Diskurses im Drehbuch liefert eine alternative Lesart für das Drehbuch, die im weiteren Verlauf überprüft werden soll.

Im Anschluss an den Theorieteil werden dann (endlich!) auf dessen Grundlage Analysen konkreter Beispiele vorgenommen. Es wird ausgeführt, inwieweit die Beispiele unter Zuhilfenahme der gängigen Drehbuchratgeber erfasst werden können, ob sie mit ihnen konform gehen bzw. bezüglich welcher Aspekte die ausgewählten Drehbücher Besonderheiten aufweisen und wo dementsprechend die Grenzen und Schwierigkeiten der bestehenden Konzepte liegen.

In Kapitel 7 werden die bislang erarbeiteten Ansätze anhand mehrerer ausgewählter Drehbücher vertieft. Dabei sollen verschiedene Merkmale herausgearbeitet werden, die charakteristisch für diese zeitgenössischen, unkonventionellen Drehbücher sind. Zu MEMENTO, FIGHT CLUB und MAGNOLIA werden in diesem Rahmen ausführliche Analysen geliefert, da sie zu den komplexesten und dichtesten aktuellen Drehbüchern gehören. Die anderen Drehbücher des Korpus können hier nicht umfassend analysiert, jedoch zur Verdeutlichung gewisser Gestaltungsmerkmale auszugsweise herangezogen werden. Hierbei liegt der Fokus auf nonlinearen, unzuverlässigen und multiperspektivischen sowie multiprotagonistischen Erzählformen, da diese in den gängigen Publikationen weitgehend unbeachtet bleiben.

Kapitel 8 widmet sich dem Werk zweier erfolgreicher zeitgenössischer Drehbuchautoren: Charlie Kaufman und Guillermo Arriaga. Ziel ist hierbei die Untersuchung einiger ihrer Drehbücher im Hinblick auf spezifische Eigenheiten der beiden Œuvres.

Die gesammelten Beispiele in Kapitel 7 und 8 bieten einen breit gefächerten Überblick über aktuelle unkonventionelle Formen der Drehbuch- bzw. Filmproduktion sowohl in Europa als auch in Amerika. Die diversen Ausprägungen der von herkömmlichen Drehbuchmodellen abweichenden Erzählformen werden hier nach Merkmalen zusammengefasst. Eine vollständige Entwicklung einer an literaturwissenschaftliche Modelle angelehnten Theorie kann und soll im Rahmen dieses Buches nicht geleistet werden. Vielmehr geht es darum, eine offene Matrix zu skizzieren, die lohnenswerte Anstöße zu einer Weiterentwicklung gibt. Die gewählten Beispiele lassen sich nicht trennscharf abgrenzen, sondern weisen zahlreiche Überschneidungen hinsichtlich einzelner Merkmale auf. Ein Anspruch auf eindeutige Kategorien lässt sich nicht erfüllen.

In Kapitel 9 werden die Drehbuchanalysen ausgewertet. Darüber hinaus soll ein Erklärungsansatz für die sich besonders in den letzten Jahren herausgebildeten, neuen Strukturen in Drehbüchern gegeben werden. Mit einer Schlussbetrachtung samt Ausblick (und hoffnungsvollen Wünschen für die Zukunft der Drehbuchproduktion) schließe ich ab.

Da es, wie erwähnt, bisher nur sehr wenige Arbeiten gibt, die einen Bezug zwischen praxisorientierter Drehbuchliteratur und theoretisch begründeten literatur- und filmwissenschaftlichen Konzepten herstellen, möchte ich das Potenzial einer Synthese dieser unterschiedlichen Herangehensweisen aufdecken: die Möglichkeit eines umfassenderen Modells für eine theoretisch fundierte und gleichzeitig auf praktische Anwendbarkeit orientierte Drehbuchanalyse zu schaffen und dabei weniger einschränkende Konzepte zu vermitteln. Dass diesbezüglich hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erfüllt werden kann und soll, versteht sich von selbst – dennoch wird im Folgenden der Versuch unternommen, einige Schritte in Richtung eines nützlichen und fruchtbaren Verständnisses des Drehbuchs und seiner erzählerischen und strukturellen Möglichkeiten zu gehen.

1.2 Auswahl der Drehbuchratgeber – Die unvermeidlichen Klassiker

»Es ist unmöglich, ein Lehrbuch zu schreiben, dem man Punkt für Punkt nur zu folgen braucht, um das perfekte Drehbuch zu bekommen.« (Linda Seger)9

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Publikationen zum Thema Drehbuchschreiben, die sich in ihrem Niveau stark voneinander unterscheiden. Im Rahmen dieses Buches sollen einige der angesehenen US-amerikanischen ›Klassiker‹ sowie zwei der wenigen originär deutschsprachigen Werke berücksichtigt werden. Diese Auswahl bietet zwar keinen vollständigen, aber nichtsdestoweniger einen durchaus umfassenden Überblick, da die hier zu behandelnden herkömmlichen Aspekte in nahezu allen Drehbuchratgebern aufgegriffen werden. Das bedeutet nicht, dass sich die Autoren unbedingt einig über diese Aspekte sind – im Gegenteil: Es finden sich diverse Widersprüche. Allerdings würde die Berücksichtigung einer weit größeren Zahl von Publikationen in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn stehen.10 Auch können nicht alle der in den ausgewählten Ratgebern angesprochenen Merkmale des Drehbuchs behandelt werden – daher wird sich auf die Aspekte beschränkt, die sich auf Struktur und Dramaturgie beziehen und somit für das Vorhaben der vorliegenden Untersuchung relevant sind. Die hier ausgewählten Werke haben eine weite Verbreitung in Bildungseinrichtungen, Drehbuchkreisen und Filmproduktionen gefunden.11 Sie zählen hierzulande zu den geläufigsten und ausführlichsten Drehbuchratgebern.

Als deutsche Vertreter der Drehbuchliteratur werden Oliver Schüttes Die Kunst des Drehbuchlesens und Claus Peter Hants Das Drehbuch in das Korpus aufgenommen. Oliver Schütte ist Dramaturg, Drehbuchautor, Leiter der Master School Drehbuch und Mitbegründer der Development Agentur Script House in Berlin. Sein Buch richtet sich weniger an angehende Autoren als an professionelle Leser, die Analysen von Drehbüchern vornehmen. Claus Peter Hant ist preisgekrönter Drehbuchautor und ehemaliger Mitarbeiter des American Film Institutes sowie der Produktionsfirma Warner Brothers.

Syd Fields Das Drehbuch und Das Handbuch zum Drehbuch gelten als die Standardwerke zum Drehbuchschreiben. Sein Drehbuchparadigma wird vielfach kopiert und hat starken Einfluss auf die Drehbuch- und Filmproduktion.12 Als einer der ersten, der eine einfache, schematische Anleitung für ein Drehbuch zu Papier gebracht hat, ist er immer noch der wohl bekannteste Autor, dessen Seminare sich großer Beliebtheit erfreuen. Field tritt offen für kommerzielle Formen ein.

Linda Seger erreicht einen ähnlichen Popularitätsstatus. Auch sie hält Drehbuchseminare ab. Ihr Buch Das Geheimnis guter Drehbücher basiert auf ihrer Doktorarbeit zur Analyse von Theaterstücken. Sie arbeitet seit Jahren als Drehbuchberaterin für namhafte US-amerikanische Produktionen und hat mehrere Bücher über das Drehbuchschreiben verfasst.13

Einen sehr umfassenden, analytischen Ansatz bietet Robert McKees Story. McKee gibt weltweit Seminare zum Drehbuch und blickt auf eine langjährige Tätigkeit als Schauspieler, Autor und Theaterregisseur zurück.

Einen weniger plakativen Ansatz verfolgt auch Drehbuchhandwerk. Dieses Werk ist eine Veröffentlichung David Howards, Dozent für Film und Fernsehen an der University of Southern California, der hier Edward Mableys Untersuchungen über das Theater mithilfe seiner eigenen Überlegungen zum Drehbuch ergänzt. Howard nimmt zusätzlich einige Ansätze seines ehemaligen, tschechisch-amerikanischen Drehbuchlehrers und Leiters der Filmabteilung der USC sowie des Sundance Institutes, Frank Daniel, in sein Buch auf.

Ein für die Verhältnisse der Drehbuchliteratur älteres Werk stammt von dem Schweizer Autor Eugen Vale: Die Technik des Drehbuchschreibens für Film und Fernsehen. 1944 zunächst in den USA veröffentlicht, liegt es nun bereits in seiner 5. Auflage in deutscher Sprache vor.

Als letztes findet sich im vorliegenden Korpus ein Buch, das einen weniger vergleichbaren Ansatz wählt, Die Odyssee des Drehbuchschreibers des Dramaturgen Christopher Vogler. Er präsentiert sein Modell der ›Reise des Helden‹, das auf mythologische Forschungen des US-amerikanischen Psychologen Joseph Campbell zurückzuführen ist und teilweise mit anderen Kategorien arbeitet als die übrigen Drehbuchratgeber.14

1.3 Auswahl der Drehbücher – Die Regelbrecher

Die hier getroffene Auswahl an Drehbüchern erlaubt es, die Möglichkeiten des zeitgenössischen filmischen Erzählens abseits der Norm wenigstens ansatzweise zu erfassen. (Denn auch hier würde ein Versuch der vollständigen Darstellung den Rahmen dieser – wenn nicht sogar jeglicher – Untersuchung sprengen.) Vor allem der ungewöhnliche Umgang mit Struktur und Erzählperspektive war Auswahlkriterium für MEMENTO, IRRÉVERSIBLE, 5X2, FIGHT CLUB, THE SIXTH SENSE, THE OTHERS, A BEAUTIFUL MIND, THE I INSIDE, THE GAME, THE USUAL SUSPECTS, WHERE THE TRUTH LIES, HERO, DONNIE DARKO, ABRE LOS OJOS, TOTAL RECALL, SWIMMING POOL, RECONSTRUCTION, LOLA RENNT, SLIDING DOORS, MELINDA & MELINDA, 11:14, GO, MAGNOLIA, CRASH, PLAYING BY HEART, TRAFFIC, SYRIANA, AMORES PERROS, 21 GRAMS, BABEL, BEING JOHN MALKOVICH, ADAPTATION und ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND.15 An den Beispielen kann einerseits untersucht werden, inwieweit die Allgemeingültigkeitsansprüche der Drehbuchratgeber geltend zu machen sind, bis zu welchem Maße die hier getroffene Auswahl also dem verbreiteten Muster entsprechend funktioniert, welche Merkmale der gängigen Drehbuchkonzepte auf diese Drehbücher übertragen werden können, und andererseits, inwiefern sie sich über Konventionen hinwegsetzen. Darüber hinaus wurde durch die Auswahl versucht, nicht die Tradition der Standardwerke über Drehbuch/Film zu verfolgen, die die zwar passenden (bzw. passend gemachten), aber auch immer gleichen, teilweise unzeitgemäßen Beispiele anbringen.16 Gerade die ungewöhnlichen Drehbücher eignen sich dazu, die Drehbuchkonzepte zu überprüfen, da es mit einem praktikablen, funktionierenden Ansatz möglich sein sollte, auch die weniger eindeutigen Fälle zu erfassen.

Bei MEMENTO handelt es sich um einen komplexen Thriller aus der Feder des bis dahin international unbekannten Filmemachers Christopher Nolan.17 Der gebürtige Engländer entwickelte das Drehbuch nach einer Kurzgeschichte seines Bruders Jonathan und führte selbst Regie. Für die US-amerikanische Independentproduktion aus dem Jahre 2000 kam der internationale Erfolg unerwartet. Nolans komplizierter Neo-filmnoir wurde wegen seiner erstaunlichen Konstruktion mit positiver Kritik überhäuft und 2002 für den Oscar für das beste Originaldrehbuch nominiert.

FIGHT CLUB ist eine wegen der Darstellung brutaler Gewaltszenen recht umstrittene US-Produktion. Das Drehbuch von Jim Uhls basiert auf dem gleichnamigen Roman von Chuck Palahniuk und wurde 1999 unter der Regie von David Fincher, der maßgeblich an der Drehbuchentwicklung beteiligt war, verfilmt.18 Trotz einiger Kritik wurde FIGHT CLUB aufgrund seiner ausgefallenen Erzählweise und des überraschenden Endes sehr gelobt.

Das Drehbuch zu MAGNOLIA stammt von Paul Thomas Anderson, der auch Regie geführt hat.19 Für diese aufgrund ihrer Überlänge und mehrsträngigen Struktur etwas sperrige, nichtsdestotrotz emotional berührende, mit hochkarätigen Hollywoodstars besetzte Produktion von 1999 erhielt Anderson mehrere Auszeichnungen. MAGNOLIA wurde u. a. 2000 für den Oscar in der Kategorie ›Best Writing, Screenplay Written Directly for the Screen‹ nominiert und gewann den Goldenen Bären auf der Berlinale.

Zu MEMENTO, FIGHT CLUB und MAGNOLIA wird aufgrund ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit jeweils eine ausführlichere Analyse geliefert. Die anderen, für Kapitel 7 und 8 ausgewählten Drehbücher werden dagegen nur ausschnitthaft betrachtet. Hier bestimmt jeweils eine erzählspezifische oder strukturelle Besonderheit den Fokus der Untersuchung. Die aufgeführten Drehbücher/Filme habe ich aufgrund ihrer Beispielhaftigkeit und Aussagekraft ausgewählt, um einen systematischen Überblick über aktuelle alternative Erzählweisen zu bieten.20 Die Tatsache, dass bei den hauptsächlich aus Nordamerika und Europa stammenden Drehbüchern nur ein deutsches Beispiel zum Tragen kommt, hat den einfachen Grund, dass es kaum neuere deutsche Kinofilme gibt, die sich auf eine erzähltechnisch solch herausfordernde Weise für eine Bearbeitung anbieten. Dies mag vielleicht daran liegen, dass das deutsche Kino meist figurenorientierte Werke hervorbringt, die sich eher für eine inhaltliche als eine formale Diskussion anbieten.

Die Analysen erheben weder den Anspruch, vollständige Drehbuch-, noch Filmanalysen zu sein, noch beschränken sie sich auf den dramaturgischen Aufbau, der im Drehbuch bereits enthalten ist. Als Bezugstext für die Analysen dient jeweils die im Handel oder in Internetdatenbanken erhältliche Drehbuchversion, meist das sogenannte Shooting Script, das als Grundlage für die Dreharbeiten fungiert.

1.4 Das Drehbuch als Interessengegenstand oder »Weißt du, wo die Geschichten sind?«

»Das Drehbuch ist mit Sicherheit eine der schwierigsten und am meisten mißverstandenen Textsorten in der gesamten Literatur.« (David Howard)21

»For the basic art of motion pictures is the screenplay; it is fundamental, without it there is nothing. Everything derives from the screenplay, and most of that which derives is an applied skill which, however adept, is artistically not in the same class with the creation of a screenplay.« (Raymond Chandler)22

Die Filmschaffenden, insbesondere die deutschen, beklagen mit einer gewissen Regelmäßigkeit die ›schlechte Lage‹ im Allgemeinen und das Fehlen guter Geschichten im Besonderen. Mit diversen Maßnahmen wird in den letzten Jahren versucht, hier Abhilfe zu schaffen. Es werden Filmschulen, Drehbuchwerkstätten und Autorenseminare gegründet und organisiert in der Hoffnung, damit den Nachschub an geeigneten Filmstoffen garantieren zu können. Darüber hinaus sind in den vergangenen Jahren auch in Deutschland vermehrt Werke auf den Markt gekommen, die sich mit dem Drehbuchschreiben beschäftigen.

Angesichts dieser Maßnahmen entsteht der Eindruck, dass man sich in Deutschland bei der Suche nach einem Ausweg aus der misslichen Lage einfach am erfolgreichen, marktbeherrschenden US-amerikanischen Vorbild orientiert. In den USA wird davon ausgegangen, dass das Drehbuchschreiben lern- und lehrbar sei.23 Die in Deutschland verbreitete Skepsis in Bezug darauf, eine kreative Betätigung nicht als Kunst, sondern als erlernbares Handwerk anzusehen,24 scheint durch besagte Maßnahmen in den Hintergrund gedrängt, wenn nicht sogar revidiert.

Sowohl in Deutschland als auch in den USA gab es bereits Anfang des 20. Jahrhunderts einige Veröffentlichungen zum Thema Drehbuchschreiben. Diese Handbücher entstanden hauptsächlich aufgrund einer großen Nachfrage, die daher rührte, dass die Öffentlichkeit sich unverhältnismäßig hohe Verdienstmöglichkeiten beim Film versprach.25 In den USA hielt diese Einschätzung des Drehbuchschreibens als mögliches Sprungbrett zu Reichtum und Erfolg (gemäß dem Mythos ›vom Tellerwäscher zum Millionär‹) an, was sich an dem kontinuierlichen Angebot an Drehbuchliteratur auf dem US-amerikanischen Buchmarkt ablesen lässt. Ein anderer Grund für die konstante Publikation von Handbüchern liegt sicherlich darin, dass das Drehbuch(schreiben) in den USA als Unterrichtsgegenstand weit verbreitet und beliebt ist.26

In Deutschland dagegen rückte das Drehbuch nach anfänglichem Interesse in den frühen Jahren (1910–1930) im Laufe der Zeit in den Hintergrund, was zur Folge hatte, dass abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen kaum noch Bücher zum Thema verlegt wurden.27 Eine der Hauptursachen für diese Entwicklung ist gewiss die bereits erwähnte Einstellung vieler deutscher Autoren, die ihre Tätigkeit als Kunst ansehen. Dies schließt in ihren Augen eine Beschäftigung mit der Vermittlung handwerklicher Grundlagen aus, da sie fürchten, dass ein Bewusstsein über ihre Tätigkeit ihre Spontaneität lähmen würde.28 Ein weiterer Faktor sind die bis vor einigen Jahren kaum vorhandenen Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland, die wiederum durch das fehlende Interesse bedingt waren.

Seit Anfang der neunziger Jahre lässt sich allerdings eine gegenläufige Tendenz bemerken. Bestärkt durch die Einsicht, dass ohne ein gutes Drehbuch als Grundlage die Produktion eines guten Films schwierig ist, wird das Drehbuch wieder mehr in das Zentrum des Interesses gestellt und ihm eine größere Bedeutung für das Endprodukt Film beigemessen als es in den vorhergehenden Jahren der Fall war. Die im Zuge dieser Entwicklung gewachsene Anzahl von in Deutschland erhältlichen Büchern über das Drehbuch besteht allerdings nur zu einem geringen Teil aus originär deutschsprachigen Werken. Die meisten dieser Veröffentlichungen stammen aus dem Umfeld Hollywoods oder von Leuten, die beruflich mit Drehbüchern zu tun haben wie Dramaturgen, Lektoren, Produzenten und Redakteuren.29 Neben dieser Gruppe gehören natürlich auch die Regisseure, Schauspieler, Ausstatter etc. zu den so genannten Blueprint-Lesern, die das Drehbuch als Vorlage für einen Film rezipieren.30

Die Gruppe der Drehbuchleser hat sich in den letzten Jahren ein wenig über die Grenzen der in die Produktion involvierten Leser hinweg auf privat Rezipierende erweitert. Als Indikator für das gestiegene Interesse der Öffentlichkeit am Drehbuch lässt sich die (wenn auch geringe) Anzahl der mittlerweile in Buchform vorliegenden Drehbücher sehen.31 Insgesamt bleibt die Beschäftigung mit Drehbüchern jedoch noch immer eine Randerscheinung. Als Gegenstand literaturwissenschaftlicher Untersuchungen konnte das Drehbuch sich bislang noch nicht angemessen etablieren – im Gegenteil: Es stellt vielmehr eine Forschungslücke dar.

Der durchaus problematische Charakter einer Formulierung dessen, was zu einem ›guten‹ Drehbuch gehört und wie es zu erreichen ist, sowie die damit einhergehenden normativen oder präskriptiven Tendenzen sind eine poetologische Problematik, die es rechtfertigt, das Drehbuch analog zur Literatur zu besprechen. Einerseits wollen die Drehbuchratgeber nicht normativ sein, andererseits ist dies implizit, was bereits an ihren Einleitungen selber erkennbar ist.32 Weiterhin stellt sich die Frage, wieso trotzdem noch Flops entstehen, wenn doch angeblich das Geheimrezept für ›gute‹ Drehbücher vermittelt wird. Wie jeder andere Wirtschaftszweig ist auch die Filmindustrie auf rentable Projekte angewiesen, allerdings sollte überlegt werden, ob in diesem Fall das Angebot die Nachfrage bestimmt oder durch Berücksichtigung der Nachfrage, also der Zuschauerwünsche, das Angebot beeinflusst wird. In der Drehbuchpraxis bedeutet dies, dass die Leser (Produzenten, Redakteure, Lektoren33), die über die Realisierung eines Skriptes entscheiden, gewisse Anforderungen an ein Drehbuch stellen, die einerseits von den Drehbuchratgebern und andererseits vom derzeitigen Markt geprägt sind. Durch die jeweiligen Entscheidungen wird jedoch erneut der aktuelle Markt geprägt, was wiederum Auswirkungen auf die Publikumserwartungen sowie die Schreibpraxis hat. Dieses Wechselverhältnis und die Dominanz der Drehbuchkonventionen erschweren innovative Projekte.

Aufgrund der Eigenschaft des Films, Produkt einer profitorientierten Unterhaltungsindustrie und nicht allein Kunst zu sein, richten die Drehbuchratgeber ihre Ansätze nach den Zuschauererwartungen aus. Generell ist diese Herangehensweise sicherlich fruchtbar und sinnvoll, ist einem am Verständnis des Publikums und an kommerziellem Erfolg gelegen. Allerdings darf nicht der Fehler gemacht werden, die Zuschauer zu unterschätzen.34 Der Wunsch, ein möglichst breites Publikum anzusprechen, muss nicht zwangsläufig eine anspruchslose, leicht zu verfolgende Handlung bedeuten, die eher schon Dagewesenes reproduziert, als mit Neuerungen aufzuwarten.

2. WAS WAR: DIE GÄNGIGEN DREHBUCHMODELLE

»In order to use new strategies, however, you have to know the conventions of scriptwriting.« (Ken Dancyger)1

Im Folgenden sollen die bereits angeführten Ratgeber des Korpus auf ihre Dramaturgiekonzepte hin untersucht werden. Dabei stehen die Anforderungen an den strukturellen Aufbau der Handlung im Vordergrund. Zunächst wird sich der Einteilung in Akte und den dramatischen Handlungspunkten gewidmet, um dann den Komplex von Figur, Konflikt und Ziel zu beleuchten und auf die dramaturgischen Mittel einzugehen.

2.1 Der dramaturgische Aufbau

»›Begin at the beginning‹, the king said gravely, ›and go on till you come to the end: then stop.‹« (Lewis Carroll, Alice in Wonderland)

2.1.1 Die Dreiteilung

Die in einem Drehbuch dargestellte Handlung soll einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Über diese Forderung, die erstmals in Aristoteles’ Poetik formuliert wurde, sind sich alle Drehbuchratgeber einig.2 Die Handlung beginnt, baut sich über einen gewissen Zeitraum auf und endet mit einer Auflösung. Diese Dreiteilung wird in der Drehbuchliteratur mit einer Einteilung in drei Akte gleichgesetzt.3 Die Akte lassen sich in Sequenzen und diese wiederum in die Grundbausteine des Drehbuchs, die Szenen, aufteilen, wobei auch jede einzelne Szene eine Struktur von Anfang, Mitte und Ende besitzen soll.4

Der erste Akt wird von den meisten Autoren als »Exposition« bezeichnet. Er dient der Einführung in die Geschichte, in die dramatische Situation und deren Schauplatz sowie der Vorstellung der Hauptfigur(en).5 Die Exposition soll dem Rezipienten alle entscheidenden Informationen geben, die er braucht, um die Geschichte zu verstehen, also den Ereignissen folgen zu können. Um die Geschichte ins Rollen zu bringen, bedarf es eines Ereignisses, welches das Leben der Hauptfigur durcheinander bringt, und in dieser den Wunsch nach einer Beendigung des dadurch gestörten Zustandes hervorruft. Daraufhin soll der Protagonist ein Ziel ins Auge fassen, das er zur Auflösung dieses Zustandes erreichen muss.6

Im zweiten Akt, der »Entwicklung«, »Komplikation« oder »Konfrontation«, geht es hauptsächlich um den Weg der Hauptfigur zum Ziel sowie um die Hindernisse, die sich ihr dabei in den Weg stellen. Die motivierte Verfolgung des Ziels und die zu überwindenden Hindernisse sollen den Protagonisten immer auch in einen Konflikt mit antagonistischen7 Kräften stürzen. In diesem längsten der drei Akte ist Raum für die Entwicklung eventueller Nebenhandlungen.8

Die Konfrontation mit den konfliktverursachenden Kräften findet ihren Höhepunkt im dritten Akt, der »Auflösung«. Hier sollen, wie der Name schon sagt, sämtliche Konflikte und Handlungsstränge aufgelöst werden, ohne offene Enden zu lassen, und die Geschichte zu einem für den Rezipienten befriedigenden Abschluss geführt werden.9

In seinem an Untersuchungen über Mythen und Märchen angelehnten Modell bezeichnet Vogler die drei Teile der Handlung als Aufbruch, Initiation und Rückkehr. Voglers Modell beinhaltet die Auffassung, dass sich der Protagonist (gezwungenermaßen oder freiwillig) aus seiner vertrauten in eine ihm unbekannte Welt bewegt, am Ende jedoch wieder in seine gewohnte Welt zurückkehrt.10 Vale spricht von vier Phasen: einem ungestörten Zustand, einer Störung, einem Konflikt und einem beruhigten Zustand, was sich ebenfalls als dreiteilig auffassen lässt, da die Störung eher ein punktuelles Ereignis denn eine Phase darstellt.11 Der amerikanische Filmwissenschaftler David Bordwell fasst diese Modelle in einer Formel des »canonic story format« zusammen: »The classical film respects the canonic pattern of establishing an initial state of affairs which gets violated and which must then be set right.«12 Hier lässt sich gleichfalls die Dreiteilung in einen anfänglichen Zustand, einen gestörten Zwischenzustand und einen beruhigten Endzustand erkennen. Mit der Bezeichnung »Dreiaktstruktur« kann sowohl ein allgemeines dramaturgisches Grundschema gemeint sein, wie die kanonische Geschichtenform, als auch eine spezielle Variante von ihr, die »restaurative Dreiaktstruktur«, die sich in den Drehbuchratgebern findet. Beides sind konventionelle Erzählmodelle, wobei ersteres weiter gefasst ist und auch für dramatische Erzählungen, die mehr oder weniger als drei Akte haben, gilt.13

Die restaurative Dreiaktstruktur ist das am häufigsten genutzte Modell im klassischen Hollywoodfilm. Es hat seinen Ursprung im sogenannten »well-made play« (»pièce bien faite«), das von dem französischen Autor Eugene Scribe im 19. Jahrhundert perfektioniert wurde und zur populärsten dramatischen Form der französischen und englischen »middle class« avancierte. Charakteristisch für dieses Modell sind eine klare und logische Auflösung sowie eine komplette Wiederherstellung der Ordnung, so dass Fantasien von Regelbrechungen zwar ausgelebt werden können, jedoch ohne den gesellschaftlichen Rahmen zu gefährden, was im Europa nach den Napoleonischen Kriegen von Bedeutung war.14

Nach diesem knapp zusammengefassten Handlungsaufbau lassen sich bereits einige, für die Drehbuchdramaturgie charakteristische Merkmale festhalten: ein final ausgerichteter, linearer Handlungsablauf in drei Akten, der von kausalen Beziehungen bestimmt wird.

Im Folgenden soll der Aufbau der Drehbuchhandlung im Detail dargelegt werden.

2.1.2 Die dramatischen Handlungspunkte

Neben den Akten oder Handlungsphasen als Bestandteilen des Drehbuchs führen die Ratgeber verschiedene Handlungspunkte an, die für die Geschichte von zentraler Wichtigkeit sind. Der erste dieser Handlungspunkte, das »auslösende Ereignis«, wie McKee ihn treffend nennt, bringt das Kräftegleichgewicht des Protagonisten durcheinander und zwingt ihn, zu reagieren. Damit soll es die Hauptursache für alles, was folgt, darstellen und die Komplikationen, die Krise, den Höhepunkt und die Auflösung in Bewegung setzen.15 Dieses auslösende Ereignis kann auch eine Entscheidung oder Information sein, weshalb Schütte und Seger es allgemeiner als »Anstoß« bezeichnen.16 Hant betont, dass durch diesen (von ihm so genannten) »Plot-Beginn« etwas in Bewegung gebracht werde, das nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, und der Protagonist somit gezwungen sei, alle seine Fähigkeiten auszuschöpfen, um das Ziel zu erreichen und sein Leben so in einen neuen Zustand des Gleichgewichts bzw., laut Vale, der Beruhigung zu bringen.17 Damit der Rezipient die Störung im Leben des Protagonisten auch als solche wahrnehmen kann, sei es – wie in der Exposition gefordert – notwendig, zunächst den Protagonisten im ungestörten Zustand, in seiner alltäglichen Welt zu etablieren.18 Der Begriff der Störung bedarf hier insofern einer Klärung, als es sich durchaus auch um eine Störung im positiven Sinne handeln kann oder um ein Ereignis, das lediglich eine Veränderung einer Situation auslöst anstatt ein Gleichgewicht zu stören.

Der Rezipient soll durch das auslösende Ereignis veranlasst werden, sich die »dramatische Hauptfrage« oder »zentrale Frage«, eine Variante von »Wie wird das ausgehen?« zu stellen.19 Laut Hant enthält die zentrale Frage immer schon das Ziel des Protagonisten, was bedeutet, dass bezüglich des Ausgangs der Geschichte die Frage besteht, ob der Protagonist sein Ziel erreicht oder nicht. Wie er dorthin gelangt und wie die Situation letztendlich ausgeht, sei ungewiss, aber dass es eine letzte Konfrontation zwischen dem Protagonisten und den antagonistischen Kräften geben muss, stehe fest.20

Diese letzte Konfrontation soll im Höhepunkt stattfinden. Der Höhepunkt ist der abschließende, wichtigste Handlungspunkt, der sich am Ende des dritten Akts befindet. Er soll den Protagonisten entweder zum Sieg oder zur Niederlage gegenüber den antagonistischen Kräften führen und so die Antwort auf die anfangs gestellte zentrale Frage liefern. Nach Seger hat die Klimax mehrere Aufgaben: Sie ist der Moment, in dem das Problem gelöst, die Frage beantwortet ist und die Spannung nachlässt.21

Innerhalb der Geschichte gibt es den Ratgebern zufolge mehrere dramatische Handlungspunkte, von denen zwei allerdings unabdingbar für den Aufbau der Geschichte sind.22 Diese beiden Wendepunkte, auch Plot Points genannt, definiert Field jeweils als einen »Vorfall oder ein Ereignis, das in die Handlung eingreift und sie in eine andere Richtung lenkt«.23 Auch Seger erwähnt deren richtungsändernden Charakter und fügt hinzu, dass sie oft einen Moment der Entscheidung darstellen und eine neue Perspektive auf die Handlung vermitteln.24 Ihre Funktion sieht Schütte darin, die Vorhersagbarkeit der Geschichte zu unterbrechen, was Hant mit einer spannungserhaltenden Funktion gleichsetzt. In Voglers Modell kennzeichnen die beiden Punkte jeweils den Übergang in die andere Welt.25 Die Plot Points beeinflussen die dramatische Handlung nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell, indem sie jeweils eine Aktgrenze markieren. Nach einem Wendepunkt soll der nächste Akt mit einer kurzen Entspannungsphase beginnen, um dann bezüglich der Spannungssteigerung den vorherigen Akt zu übertreffen.26 Die Wendepunkte müssen allerdings nicht notwendigerweise direkt als solche erkannt werden, da sie teilweise unauffällig in die Handlung verwoben sind und sich ihre verändernde Bedeutung erst später erschließt.

Field und Schütte heben zusätzlich einen weiteren Handlungspunkt hervor, der in der Mitte des zweiten Aktes stattfindet: den »zentralen Punkt« bzw. »ersten Höhepunkt«, auf den in Kapitel 3.1 näher eingegangen wird.27

Von allen Drehbuchratgebern werden die Zusammenhänge betont, die zwischen den einzelnen Teilen der Struktur bzw. der Handlung bestehen.

»Der Plot Beginn löst eine Kette von Ereignissen aus, die sich bis zum Höhepunkt am Schluß der Geschichte im 3. Akt fortsetzen. Eine Folge von Aktion-Reaktion entsteht, die den Ablauf der Geschichte als etwas Zwangsläufiges erscheinen läßt […]. Diese Kette von Ereignissen schafft eine direkte kausale Verbindung zwischen dem Plot Beginn und dem Höhepunkt am Ende.«28

Hier zeigt sich neben der Verbindung der Ereignisse durch einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang29 auch, dass sämtliche Bestandteile der Drehbuchhandlung auf eine einzige Geschichte hin orientiert sein sollen, die sich von der Stellung eines Problems bis zu seiner vollständigen Auflösung erstreckt.

2.1.3 Figur, Konflikt und Ziel

Ein Ereignis, eine Information und/oder eine Entscheidung soll eine Motivation für den Protagonisten schaffen, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Dieses Ziel muss den Protagonisten in einen Konflikt stürzen, d. h. im Gegensatz zu einer anderen Kraft stehen und somit nicht ohne weiteres zu erreichen sein. Der Protagonist muss sich genötigt sehen, sich dem Konflikt samt seinen Unannehmlichkeiten und Hindernissen auszusetzen, anstatt ihm auszuweichen. Die Erreichung des Ziels soll eine Notwendigkeit für die Figur haben, d. h., es steht etwas auf dem Spiel, so dass »etwas Wesentliches verloren ist, wenn die Hauptfigur ihr Ziel nicht erreicht«.30 Um das Ziel erreichen zu können, muss der Protagonist den Willen und die Fähigkeit haben, sein Wunschziel gegen alles, was sich ihm in den Weg stellt, bis zum Ende zu verfolgen, wobei die Stärke des Motivs und die Intensität der Absicht in einem ausgewogenen Verhältnis stehen sollen.31 Dementsprechend definiert Schütte die Hauptfigur als die »Person, die ein Ziel hat und darum kämpft, es zu erreichen«.32 Sie versucht aktiv, ihr Ziel zu erreichen, was möglich, aber schwierig sein soll – so schwierig, dass die Figur sich ändert, wenn sie sich darauf zubewegt.33 Auf dem Weg zum Ziel muss der Protagonist also einen Veränderungsprozess durchlaufen, um in der Lage sein zu können, die sich steigernden Hindernisse zu überwinden und sein Ziel erfolgreich zu erreichen. Er soll neue Fähigkeiten entwickeln und/ oder Einsichten über seinen Charakter gewinnen.34 In diesem Zusammenhang spricht Seger von einem »Charakter-Bogen«, der bestimmt wird durch die Beziehung zwischen Motivation, Aktion und Ziel und der klar umreißt, wer die Figuren sind, »was sie wollen, warum sie es wollen und welche Aktionen sie unternehmen, um es zu erreichen«. Diesen Bogen vergleicht sie mit dem »Rückgrat«, das die »Storyline« ihr zufolge durch Einführung, Wendepunkte und Klimax ebenfalls besitzt.35

Die Motivation der Figur zu kennen, ist für den Rezipienten eine wichtige Hilfe, um sich auf die Geschichte einlassen zu können. Die Beschaffenheit des Ziels bestimmt laut Howard zu einem großen Teil die Haltung, die das Publikum dem Protagonisten gegenüber einnimmt. So muss der Protagonist auch nicht unbedingt sympathisch sein, sondern lediglich ein nachvollziehbares Bedürfnis besitzen.36 Das Bedürfnis soll als ein grundlegendes menschliches Verlangen verstanden werden, das dem Protagonisten nicht unbedingt bewusst ist, ihn aber antreibt.37 Es gibt einen Mangel im Charakter der Figur, »etwas, das ihr fehlt, um ›vollständig‹ und eins mit sich und der Welt zu sein«.38 Am Ende soll der Mangel durch die Lösung des Problems und durch eine Veränderung des Anfangszustandes ausgeglichen sein. Das Ziel muss nicht die logische Konsequenz aus dem Bedürfnis sein – im Gegenteil: »Das Drama der Figur ist am stärksten, wenn das Ziel das falsche Mittel ist, um das Bedürfnis zu erfüllen.«39 Ihr wahres Bedürfnis kennt die Figur meist nicht bzw. sie versucht, ihr Bedürfnis mit einer falschen Methode zu befriedigen. Zwischen dem, was die Figur will, und dem, was sie braucht, zwischen ihrem want und ihrem need, soll eine Diskrepanz bestehen.40

Das Ziel soll »vor den Augen des Publikums« am Anfang der Handlung entstehen, und zwar durch das Motiv, das durch die Störung geliefert wird.41 Der Wille, das Ziel zu erreichen, ist also nicht schon vor Beginn der Geschichte in der Figur vorhanden. »Wie Ihre Figur das Ziel erreicht oder nicht, das wird die Handlung Ihrer Geschichte.«42 Das Ziel bestimmt die Bewegungsrichtung der Handlung sowie deren Ende, denn »ist erst einmal entschieden, ob die Hauptfigur das Ziel erreicht hat, dann ist für den Zuschauer der Film beendet.«43 Wenn die Störung – und somit die Veranlassung für den Protagonisten zu handeln – beseitigt ist, besteht für die Handlung kein Vorwärtsdrang mehr; sie kann zum Ende kommen.

Der Konflikt hat bei allen Ratgebern eine ganz zentrale Stellung. Er gilt als wesentlicher Bestandteil einer jeden wirkungsvollen dramatischen Geschichte. »Drama entsteht dadurch, daß zwei unvereinbare Gegensätze miteinander in Konflikt geraten«, wobei ein Kompromiss unmöglich ist.44 Laut Seger tritt ein Konflikt dementsprechend dann ein, wenn zwei Figuren gleichzeitig Ziele haben, die sich gegenseitig ausschließen. So stehen Hindernisse und antagonistische Kräfte dem Protagonisten bei einem (zu) einfachen Erreichen des Ziels im Wege. Es gibt jedoch nicht nur Konflikte zwischenmenschlicher Natur, sondern, wie Seger selbst darstellt, auch innere, soziale, situationsbezogene und kosmische Konflikte.45

Am wirkungsvollsten ist der Konflikt den Ratgebern zufolge dennoch, wenn die antagonistische Kraft personifiziert ist; deshalb werden gerade innere Konflikte bevorzugt durch eine Projektion nach außen auf einen zwischenmenschlichen Konflikt ausgeweitet.46 Der äußere Konfliktstoff mache den zentralen inneren Konflikt nachvollziehbar und »lebendig«; im umgekehrten Fall des zentralen äußeren Konflikts mache ein innerer Konflikt den Protagonisten zu einer »vielschichtigen, interessanteren Figur«.47 Daher soll der Protagonist eben neben seinem äußeren (bewussten) Wunsch einen sich selbst widersprechenden, inneren (unbewussten) Wunsch, also ein Bedürfnis haben.48

Wenn es sich um einen Konflikt mit einem personifizierten Antagonisten handelt, soll dieser – genau wie der Protagonist – eine klare Bestimmung haben, d. h., auch für ihn gibt es eine Motivation, ein Ziel und etwas, das auf dem Spiel steht. »Wie intellektuell faszinierend und emotional überzeugend ein Protagonist und seine Geschichte sind, hängt allein von den antagonistischen Kräften ab.«49 In Frank Daniels Formulierung der grundlegenden dramatischen Konstellation: »Jemand will etwas unbedingt haben und hat Schwierigkeiten, es zu bekommen«, ist dieser »Jemand« der Protagonist und die »Schwierigkeit« die antagonistische Kraft, die den Bemühungen des Protagonisten, sein Ziel zu erreichen, aktiv Widerstand leistet.50 »Diese beiden gegeneinander gerichteten Kräfte bilden den Konflikt der Geschichte.«51

McKee liefert eine allgemeine Definition einer Drehbuchgeschichte, die inhaltlich in etwa den Ansichten der anderen Autoren entspricht:

»Ob zum Besseren oder Schlechteren, ein Ereignis bringt das Leben einer Figur aus dem Gleichgewicht und erweckt in ihr den bewussten und/oder unbewussten Wunsch nach etwas, wovon sie glaubt, es könne das Gleichgewicht wiederherstellen. Das Ereignis katapultiert die Figur in eine Suche nach dem Wunschobjekt, wobei sie auf antagonistische Kräfte stößt. Die Figur erreicht ihr Ziel oder nicht.«52

Der Vorwärtsdrang der Handlung sowie die Aktivität und Entwicklung des Protagonisten gehen mit einer generellen Forderung der Drehbuchratgeber nach Aktion und Bewegung anstelle von statischer Beschreibung einher. Die Figur zeigt sich durch Handlung; was sie ausmacht, ist das, was sie unternimmt. Sie soll nicht passiv bleiben oder nur reden anstatt zu handeln.53 Im Drehbuch liegt also bevorzugt implizite Charakterisierung vor; in der Figurenrede sollen explizite Selbst- und Fremdcharakterisierungen vermieden werden. Selbst die im Szenentext gelieferte explizite Charakterisierung einer Figur bei ihrem ersten Auftritt beschränkt sich in der Regel auf eine Beschreibung ihrer physischen Erscheinung. Die Figur wird bevorzugt durch ihr Verhalten und ihre Reaktionen und Handlungen charakterisiert. Am eindeutigsten enthüllt sie ihren »wahren Charakter« in Entscheidungssituationen, besonders in einem Dilemma.54

Auch das Innere der Figur soll durch die performative Ausführung einer Handlung offenbart werden. Die Darstellung des Innenlebens einer Figur stellt ein für den Film und somit auch für das Drehbuch spezifisches Problem dar. Sind im Roman die Ausformulierungen von Gedanken die Regel, so findet auf der Leinwand nur das statt, was ›sichtbar‹ gemacht werden kann.55 Die einzige Möglichkeit, Gedanken explizit auszudrücken, besteht jedoch in ihrer sprachlichen Formulierung. In einer Dialogsituation kann eine Figur einer anderen ihre Gedanken offenbaren, was allerdings von den Drehbuchratgebern als zu wenig dramatisch, als zu statisch und handlungsarm angesehen wird. Ist die Figur alleine, müsste ihre innere Stimme hörbar gemacht werden – durch eine Voice Over, die jedoch (im Sinne der Ratgeber) wiederum zu sehr diegetisch und zu wenig mimetisch ist. Da es sich schwerlich ganz vermeiden lässt, Gedanken einer Figur einzubeziehen, tauchen diese natürlich in der einen oder anderen Form im Drehbuch auf. Hier erwecken sie jedoch oftmals den Eindruck, dass die Figuren sich »ohne Zurückhaltung und im vollkommenen Bewusstsein dessen, was sie sind und was sie fühlen« mitteilen,56 womit eine gewisse Künstlichkeit einhergehen kann.

Die Ratgeber verfolgen keine Dichotomie von Handlung vs. Figur, sondern betrachten die Handlung als Ergebnis der Aktionen der Figur. Figur und Handlung stehen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Ohne Figur gibt es keine Handlung, die Handlung definiert die Figur. Struktur der Handlung und Charakter der Figur gelten als untrennbar.57 Dennoch geht die starke Handlungsbezogenheit der in den Ratgebern vermittelten Konzepte teilweise zulasten der Differenziertheit in der Figurendarstellung. Hier findet keine Betonung der Wichtigkeit der Figur um der Figur willen statt, was in starkem Gegensatz zur Praxis vieler (besonders deutscher) Drehbuchautoren steht, für die die Figur »zum Leben erwacht« und sie durch die Geschichte leitet.58

Im Zuge der Funktionalität eines jeden Elements im Plot haben auch die Figuren gewisse Funktionen zu übernehmen. Um die Figuren begreifbar zu machen, werden sie teilweise sehr vereinfacht bzw. eben auf gewisse funktionelle Eigenschaften reduziert.59 Mahnen die meisten Ratgeber an, dabei nicht zu typisieren, so stellt Vogler eine Reihe von Archetypen auf, wobei eine Figur nicht unbedingt nur einem Archetypus entsprechen muss, sondern auch entweder mehrere Archetypenrollen übernehmen oder die Funktion eines Archetyps auf mehrere Figuren verteilt werden kann. Basierend auf den Forschungen des US-amerikanischen Psychologen Joseph Campbell, der sich – ähnlich wie Vladimir Propp mit Volksmärchen – mit Mythen und Legenden beschäftigt hat, formte Vogler sein Zwölf-Stationen-Schema für das Drehbuch.60 Mit dieser strukturalistischen Herangehensweise wird im Wesentlichen versucht, mehrere Erzähltexte respektive Filme auf eine vereinfachte und einheitliche Geschichte zu reduzieren, indem bestimmte Archetypen und Handlungsfunktionen, die den untersuchten Erzählungen gemein sind, herauskristallisiert werden. Vogler präsentiert mit den Archetypen und Phasen der Heldenreise natürlich ein Modell, das bereits altbewährt ist. Das Vorkommnis eines ähnlichen Modells in Texten aus diversen Kulturen und Zeiten spricht für einen Universalitätsanspruch, an dem Vogler gelegen ist. Er behauptet, sein Modell träfe auf jede Geschichte zu.61 Auch Seger stellt den Heldenmythos vor, den sie als »Suchfahrt« nach äußeren und inneren Werten beschreibt, und ergänzt ihn durch den Heilungsmythos.62 McKee greift das Thema der Suche ebenfalls auf: »Im wesentlichen haben wir seit Anbeginn der Menschheit auf die ein oder andere Weise einander dieselbe Geschichte erzählt, und diese Geschichte könnte zweckmäßig die Suche genannt werden. Alle Geschichten nehmen die Gestalt einer Suche an.«63

2.1.4 Die dramaturgischen Mittel

Neben den bisher dargestellten Strukturmerkmalen behandeln die Drehbuchratgeber einige dramaturgische Mittel, die zusätzliche Verknüpfungen im Drehbuch schaffen und interne Bezugnahmen verstärken. Zu den beliebtesten gehört eine von den Drehbuchratgebern – mit leichter inhaltlicher Abweichung – als Vorgabe und Einlösung (foreshadowing und payoff ), Andeuten und Ausführen bzw. Säen/Platzieren und Ernten (planting und payoff ) bezeichnete dramaturgische Technik.64 »›Vorgabe‹ meint einen visuellen Hinweis oder Dialogsatz, durch den eine Aktion vorbereitet wird, oder eine Information, die erst zu einem späteren Zeitpunkt eingelöst wird.«65 Die erste Hälfte dieser Erklärung von Seger bezieht sich auf eine allgemeine Verwendung von Ankündigungen, die einfach als eine Vorbereitung für den Rezipienten zu sehen sind; die zweite Hälfte meint eine etwas andere Verwendung, die im Folgenden geklärt wird. Beide hängen mit der Forderung der ›geschlossenen‹ Drehbuchdramaturgie zusammen, dass »alles, was notwendig ist, um die Geschichte zu einem befriedigenden Ende zu bringen, […] irgendwann vorher eingeführt«66 werden muss, um zu vermeiden, dass sich eine Wirkung nicht notwendig aus der vorherigen Ursache in der Handlung ergibt. Das spätere Einlösen einer Information setzt zwei Schritte voraus: (erstens) die Vergabe der Information, die im jeweiligen Zusammenhang zunächst für sich selbst steht, um (zweitens) später in einen anderen Zusammenhang gestellt zu werden und so eine andere Bedeutung zu bekommen. Zwischen diesen beiden Teilen soll der Rezipient eine Verbindung herstellen.67 Howard sieht den Sinn einer solchen vorbereitenden Technik darin, die Information, an deren Stelle auch eine Dialogzeile, eine Geste oder ein Requisit stehen kann, zu wiederholen, um das jeweilige Element »in den Köpfen der Zuschauer lebendig zu halten« und es am Ende zu »ernten«, indem es eine neue Bedeutung bekommt. Damit verspricht er sich eine stärkere Einbindung des Rezipienten in die Erzählung, da dieser so das Gefühl habe, »Geheimnisse zu erfahren und einen neuen oder verborgenen Sinn in der Struktur der Geschichte zu entdecken«.68 Dieser Sinn erschließt sich dem Rezipienten somit im Rückblick. Die Einlösung treibt ihn McKee zufolge »auf der Suche nach Antworten durch die Story zurück«69 bis zum entsprechenden Punkt der Vorbereitung. Im Nachhinein soll der Rezipient die tiefere, wichtigere oder andere Bedeutung der gesäten Information, Dialogzeile oder des Requisits erkennen. Diese Technik fordert also einerseits eine antizipatorische, in die Zukunft gerichtete, andererseits eine rückwärts gerichtete Aktivität des Rezipienten. Gleichzeitig stellt dieses Verfahren eine Form von erweiterter Expositionstechnik dar. Die Einführung erfolgt zunächst nicht vollständig, was so jedoch nicht unbedingt wahrzunehmen ist, und wird erst zu einem späteren Zeitpunkt vollendet, an dem die vorherige Unvollständigkeit entweder ausgeglichen wird oder mitunter erst auffällt. Die Herausforderung des »Säens« besteht – wenn es sich um ein Requisit oder eine Information handelt, die erst später auffallen soll – darin, sie im Moment des ersten Auftauchens zwar darzustellen, allerdings ohne ihr ein besonderes dramaturgisches Interesse zu geben, damit sie den kommenden Effekt nicht schon vorwegnimmt. Es gibt also zwei Arten von planting und payoff: Die eine wird angekündigt, indem das Detail wiederholt und offensichtlich »gepflanzt« wird, um nachher noch etwas anderem dienen zu können; bei der anderen wird ein Hinweis auf einen späteren Effekt bewusst vermieden. In den Drehbuchratgebern wird jedoch letztere Problematik nicht erläutert.

Das dramaturgische Mittel der Vorankündigung verweist weniger zurückhaltend auf noch Ausstehendes: Ein Ereignis, das einer Figur möglicherweise bevorsteht, wird angekündigt. Dadurch soll der Rezipient dazu veranlasst werden, »sich vorzustellen, was passieren könnte, ohne daß er genau weiß, was passieren wird«,70 also seinen Blick in die Zukunft zu richten, zu antizipieren. Dabei ist es – laut Howard – wichtig, dass die Figur mit dem zukünftigen Ereignis rechnet und es erleben will. Durch diese Einschränkung werden jedoch sowohl die Vorankündigungen außen vor gelassen, die sich nur dem Rezipienten als solche erschließen, als auch die Ereignisse, die eventuell gerade nicht von der Figur erlebt werden wollen.

Eine weitere Technik ist die der Vorbereitung und Nachlese. Steht den Figuren (und dem Rezipienten) eine sehr dramatische, emotionale oder schwierige Szene bevor, wird sie vor- und nachbereitet, damit für den Rezipienten die Möglichkeit besteht, diese zu »verdauen«.71

Die Einführung einer »Deadline«, also die Setzung eines zeitlichen Rahmens innerhalb der Handlung sieht Howard als ein dramaturgisches Hilfsmittel, »um dem Publikum eine Art Schema zur Einteilung seiner […] Energie zur Verfügung zu stellen«.72 Ihre Etablierung soll zeitliche Klarheit schaffen und die Vorwärtsbewegung der Handlung unterstreichen. Der wirkungsvolle Druck, den die Deadline ausüben kann, wird allerdings in den Ratgebern nicht thematisiert, obwohl er dazu dienen kann, die Phase der Hindernisse und Prüfungen, der die Hauptfigur ausgesetzt ist, zu verkomplizieren und zu dramatisieren.

Die meisten der dramaturgischen Mittel haben neben ihrer jeweiligen speziellen Funktion auch diejenige, dem Drehbuch Einheit zu verleihen. Durch die Verbindung von plantings und payoffs, von Andeutungen und ihren Ausführungen soll sich die Struktur zu einem homogenen Ganzen verdichten. Bestimmte Motive, die über die Handlung verteilt sind, schaffen ebenso Einheit wie Wiederholungen. Wird eine Situation, Dialogzeile oder Ähnliches durch Wiederholung etabliert, so soll der Rezipient dies wiedererkennen und aufgrund der vorherigen, bereits bekannten Situation leichter Unterschiede feststellen können. Somit bietet eine Wiederholung die Möglichkeit einer Kontrastierung, die wiederum mit der Herstellung von Zusammenhängen einhergeht. Kontrastierungen sind auch bezüglich des Wesens von Figuren möglich, indem auf ein Merkmal hingewiesen wird, in dem die Charaktere sich unterscheiden.73

Die Verwendung der dramaturgischen Elemente wird in den Drehbuchratgebern nur in der Hinsicht angesprochen, dass diese der Handlung zu Einheitlichkeit und einer besseren Verständlichkeit verhelfen sollen. Dass diese Techniken jedoch auch zur Lenkung des Rezipienten in eine ›falsche‹ Richtung verwendet werden können bzw. mit den Erwartungen des Rezipienten gespielt werden kann, wird höchstens am Rande erwähnt. Generell lässt sich in den Drehbuchratgebern eine Tendenz zur Überdeutlichkeit feststellen, die von Redundanz geprägt ist.

2.1.5 Zwischenergebnis

Obwohl die im Korpus enthaltenen Drehbuchratgeber versuchen, die grundlegende Struktur einer Drehbuchhandlung herauszuarbeiten, bleiben die Konzepte mit einem einfachen Dreiaktmodell im Vergleich zu Voglers Zwölf-Stationen-Schema scheinbar offen und stellen meist eher weitläufig interpretierbare Angaben auf anstatt spezielle Schlüsselhandlungen zu postulieren. Je weniger spezifisch die Bestandteile formuliert werden, desto eher erscheint ihr Anspruch auf Allgemeingültigkeit gerechtfertigt. Dieser lässt sich allerdings meist nur für den Preis von nicht immer hilfreichen oder aussagekräftigen Allgemeinplätzen halten. Auf der anderen Seite beinhalten gerade diese Ratgeber Vorgaben bezüglich der Funktionalität, Kausalität und Finalität bis ins kleinste Detail, die wiederum von einem Modell wie Voglers nicht in einer solch strikten Form aufgestellt werden. Während sich Vogler auf archetypische, mythologische Bestandteile bezieht, stützen sich die anderen Ratgeber auf vermeintlich universelle, angeblich in der menschlichen Natur liegende Aspekte, die jedoch nicht weiter erklärt, geschweige denn belegt werden. In ihrer Einfachheit erscheinen sie nachvollziehbar, lassen aber genau dadurch komplexere Darstellungsformen vermissen. Bei beiden Konzepten besteht die Gefahr, Universalität mit Uniformität zu verwechseln und durch strikte Konstruktionsprinzipien eine gewisse Künstlichkeit hervorzurufen.

Bei Field, Schütte, Seger, Hant, McKee und Vogler finden sich Schaubilder, die die Einteilung des Drehbuchs schematisch darstellen (s. Anhang). Die Aktgrenzen werden ebenso markiert wie die Punkte, die Einfluss auf den Verlauf nehmen – samt Seitenangaben bezüglich der Länge der einzelnen Akte und der Positionierung der dramatischen Handlungspunkte.74 In Segers und Hants Schaubildern wird der Verlauf der Handlung von ihrem Ausgangspunkt bis zum Ende in einer Kurve aufgezeichnet, welche die Spannung bzw. die dramatische Intensität symbolisiert, die sich bis zum Kulminationspunkt steigert und danach stark abfällt.75 Ein Ereignis baut auf das andere auf bzw. beeinflusst den Fortgang der Geschichte. Alle Teile und Geschehnisse sollen sich aufeinander beziehen. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich die Funktionalität der einzelnen Elemente und erhält damit einen Sinn.76 Die ganze Handlung ist auf den Höhepunkt ausgerichtet, auf das Ziel, das im ersten Teil der Geschichte etabliert wurde. Korrespondierend mit dieser Norm der linearen Handlungskonstruktion, die nach dem Prinzip der Kausalität funktioniert, ist die sich dynamisch entwickelnde Figur mit festem Ziel. Diesen in den Ratgebern propagierten Typ der canonic narration beschreibt Bordwell zusammenfassend:

»The classical Hollywood film presents psychologically defined individuals who struggle to solve a clear-cut problem or attain specific goals. In the course of this struggle, the characters enter into conflict with others or with external circumstances, the story ends with a decisive victory or defeat, a resolution of the problem and a clear achievement or nonachievement of the goals.«77

Damit die Handlung nicht zu geradlinig auf den Endpunkt zuläuft, werden Wendepunkte eingebaut, die neue Entwicklungen in der Geschichte auslösen. Die Notwendigkeit der Erreichung des Ziels sowie die Unausweichlichkeit der Konfrontation, ob diese nun mit einem Sieg oder einer Niederlage endet, sind typische Merkmale des Handlungsaufbaus im Drehbuch. Auch der Transformationsprozess sowohl der Situation als auch des Protagonisten lassen sich dazu zählen. Dem liegt zugrunde, dass durch den Prozess der Konfliktentstehung und -lösung in jedem Fall eine Veränderung stattgefunden haben muss, damit die Geschichte ein Ergebnis und einen klaren Abschluss hat.

2.2 Aller Anfang ist schwer – und das Ende umso mehr Darstellung zweier Problemfelder (unter Berücksichtigung dramentheoretischer Ansätze)

Im Zuge der bisher dargestellten Bestandteile des Drehbuchs sind bereits einige begriffliche Differenzen aufgetaucht, die unter dem Problem des Anfangs und dem Problem des Endes zusammengefasst werden sollen. Da diese beiden Problemfelder anhand der in den Drehbuchratgebern enthaltenen Konzepte nicht ausreichend erörtert werden können und auch in Bezug auf das Drama Erwähnung finden, sollen dazu dramentheoretische Betrachtungen herangezogen werden.

2.2.1 Das Problem des Anfangs

Der Begriff »Exposition«78 wird in der Drehbuchliteratur auf zwei verschiedene Arten verwendet: Zum einen, wie gesagt, als Bezeichnung für den ersten Akt, der hauptsächlich einführende und informative Funktionen hat; zum anderen als Bezeichnung für die Vergabe der für den Rezipienten wichtigen Informationen im Allgemeinen.79 Der Dramentheoretiker Manfred Pfister definiert Exposition als »die Vergabe von Informationen über die in der Vergangenheit liegenden und die Gegenwart bestimmenden Voraussetzungen und Gegebenheiten der unmittelbar dramatisch präsentierten Situation«,80 woran deutlich wird, dass die Exposition sich über die Anfangsphase des Textes hinaus erstrecken kann. Dieses Verständnis der Exposition korrespondiert nicht mit der Forderung Segers, die die Exposition in der Mitte des ersten Aktes, an dem Punkt, wo die zentrale Frage gestellt wird, beendet wissen will. In ihrem Fall besteht nur die Hälfte des ersten Aktes, der jedoch in seiner Gesamtheit als »Exposition« bezeichnet wird, aus Exposition.81

Hier muss also unterschieden werden zwischen der Vergabe von Informationen über die Voraussetzungen der Eingangssituation und der weiteren Informationsvergabe, die im Laufe der Handlung stattfindet. Pfister differenziert dementsprechend zwischen initial-isolierter und sukzessiv-integrierter Exposition im Drama.82 Im Drehbuch steht zwar der Großteil der Informationen in einer Initialposition, jedoch ist diese nicht isoliert, wie es z. B. im Theater im Prolog üblich war, sondern immer Teil der Handlung. So fordert McKee eine »unsichtbare Exposition«, die sich durch Dramatisierung auszeichnet anstatt offensichtlich eine Erklärung für den Rezipienten zu sein.83 Asmuth zitiert in diesem Zusammenhang Johann Wolfgang von Goethe, der »das den besten dramatischen Stoff nennen [möchte], wo die Exposition schon ein Teil der Entwicklung ist«.84 Allerdings ist die Exposition im Drehbuch hauptsächlich Teil der Handlung, die vor dem auslösenden Ereignis liegt, also der Phase der Entwicklung bzw. Komplikation vorausgeht. Schütte räumt ein, dass die in die fortschreitende Handlung integrierte, in kleinere Teile aufgelöste Exposition zwar im Drehbuch auftreten kann, jedoch eher selten und wenn, dann mit der Einschränkung, dass sie gegen Ende der Handlung abnehmen bzw. spätestens mit dem Ende des zweiten Aktes schließen soll.85 McKee macht darauf aufmerksam, dass auch nicht zu früh zu viel verraten werden darf, damit die Rezipienten die Höhepunkte nicht schon »voraussehen, lange bevor sie stattfinden«. Daher gilt für ihn als wichtiges Entscheidungskriterium zur Informationsvergabe, dass die Information an der Stelle geliefert wird, an der sie den größten dramatischen Effekt erzielt und dass sie nur geliefert werden soll, »wenn die Information unumgänglich ist, um Verwirrung zu verhindern«.→ Die Exposition soll so viele Einzelheiten wie nötig enthalten und dabei möglichst kurz und knapp bleiben: »Das Interesse der Zuschauer wird nicht wachgehalten, indem ihnen Informationen dargeboten werden, sondern indem ihnen Informationen vorenthalten werden – außer solchen, die für das Verständnis unerlässlich sind.«87

Ein Mittel, das Interesse der Rezipienten überhaupt erst zu wecken, ist der »dramatische Auftakt« bzw. der Hook, wie er in der Drehbuchliteratur genannt wird.88