Drei Phantome 1 - Gänsehaut für Kids - Martin Clauß - E-Book

Drei Phantome 1 - Gänsehaut für Kids E-Book

Martin Clauss

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Beschreibung

Ein seltsames Gespann sind sie schon, die verträumte Serafina, die mutige Marie und der witzige Alkan. Jedenfalls sind sie dicke Freunde, und das müssen sie auch sein, wenn sie all den schaurigen Geheimnissen auf den Grund gehen wollen. Gegen unheimliche Gegner müssen sie bestehen, und da geht es schon mal auf Leben und Tod. Denn das Schicksal macht die drei Zehnjährigen unverhofft zu echten Geisterjägern, und da draußen wartet schon das ganze Programm auf sie: Hexen, Mumien, Monster, Vampire, Werwölfe … Äh, habe ich jemanden vergessen? "Drei Phantome" ist eine Gruselserie für junge Leute, die Spaß an der Gänsehaut haben. Jeder Band enthält zwei abgeschlossene Abenteuer zum Nägelkauen und Licht-Anlassen. Nicht zu lasch und nicht zu blutig. Du bist eigentlich keine Leseratte? Keine Sorge, "Drei Phantome" wird dich trotzdem fesseln. Wetten?

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Martin Clauß

Drei Phantome 1 - Gänsehaut für Kids

enthält die Grusel-Abenteuer "Der Mann mit den Flammenaugen" und "Der graue Vampir"

 

 

 

Dieses eBook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Serie:

EPISODE 1 – DER MANN MIT DEN FLAMMENAUGEN

Ein Vorfall im Paketzentrum

Geheimnis am Totenbett

General Dunkel macht Ärger

Ein unheimlicher Stein

Die verbotene Insel

Die Inselvilla

Nur ein Spiel?

Am Ende des dunklen Korridors

Kein Ausweg

Flammenhölle

Zurück in den Keller

EPISODE 2 – DER GRAUE VAMPIR

Bleich wie der Tod

Zu Geisterjägern bestimmt?

Beunruhigende Gedanken

Vermutlich Vampir

Ein echter Vampir!

Blutstropfen

Eine furchtbare Entdeckung

Stachelige Verfolger

Alleine mit den Blutsaugern

Klingen und Scherben

Über den Autor

Impressum

Über die Serie:

Ein seltsames Gespann sind sie schon, die verträumte Serafina, die mutige Marie und der witzige Alkan. Jedenfalls sind sie dicke Freunde, und das müssen sie auch sein, wenn sie den schaurigen Geheimnissen auf den Grund gehen und gegen unheimliche Gegner bestehen wollen. Denn das Schicksal macht sie unverhofft zu Geisterjägern, und da draußen wartet schon das ganze Programm auf sie: Hexen, Mumien, Monster, Vampire, Werwölfe … Äh, habe ich jemanden vergessen?

DREI PHANTOME ist eine Gruselserie für junge Leute, die Spaß an der Gänsehaut haben. Jeder Band enthält zwei abgeschlossene Abenteuer zum Nägelkauen und Licht-Anlassen. Aber nicht zu brutal (zumindest erzählt ihr das euren Eltern – das wird sie ungemein beruhigen).

Aber jetzt sind wir unter uns. Es geht los …

EPISODE 1 – DER MANN MIT DEN FLAMMENAUGEN

Ein Vorfall im Paketzentrum

Seinem Boss hätte er es nie ins Gesicht gesagt, aber Heiner fand seine Arbeit stinklangweilig. Nie passierte etwas im Paketzentrum, absolut nie! Wenn er die Pakete und Päckchen von den Wagen lud und sie aufs Laufband legte, rollten sie einfach auf Nimmerwiedersehen davon. Die automatische Sortiermaschine verteilte sie auf verschiedene Bahnen, und Heiner würde nie erfahren, was aus ihnen wurde. Die Rollen der Transportbänder rumpelten den ganzen Tag dumpf vor sich hin. Sie murmelten eine geheime Sprache, und er verstand kein Wort davon.

Frustrierend und öde.

In den letzten Tagen beobachtete er allerdings etwas Seltsames. Eine sehr dicke Frau mit einer großen Sonnenbrille war in der Firma aufgetaucht. Sie bewegte sich langsam zwischen den Bändern hindurch, stundenlang, ohne dass sie irgendetwas Bestimmtes tat. Es war, als würde sie im Paketzentrum spazieren gehen. Sie berührte die Pakete nicht einmal, und sie sah sie auch nicht an. Wahrscheinlich konnte sie durch die dunklen Brillengläser ohnehin nicht viel erkennen.

Heiner wagte nicht, sie anzusprechen. Er fragte nur seine Kollegen, aber die hatten auch keinen Funken Ahnung, was die Frau da trieb.

Und dann geschah es!

Er kriegte alles genau mit, denn sie kam gerade ganz in seiner Nähe vorbei. Nur ein Laufband trennte sie von ihm. Sie gab ein merkwürdiges Geräusch von sich, als würde sie nach Luft schnappen. Dann schwankte sie. Sie versuchte sich an dem Laufband festzuhalten, doch auf den Rollen fand ihre Hand keinen Halt. Sie kippte mit dem Oberkörper auf das Band, ihre Sonnenbrille fiel hinunter. Panisch riss sie die Augen auf, starrte auf das Etikett eines großen Pakets, rutschte ab und stürzte.

Mit einem Stöhnen blieb sie auf dem Rücken liegen. Ihr rundes, schwabbeliges Gesicht war rot geworden, ihre dicken Backen zitterten, ihre Augen waren jetzt geschlossen, doch ihre Lider flatterten.

Sofort warf Heiner das Paket, das er eben mit einem leisen „Hau-ruck“ vom Wagen genommen hatte, wieder dorthin zurück. Er duckte sich unter dem Fließband hindurch, um der Frau zu Hilfe zu eilen.

Als er sich neben sie kniete, beobachtete er, wie etwas Unglaubliches geschah.

Ihre fleischigen Hände schienen ein Eigenleben zu führen. Obwohl die Frau ansonsten reglos auf dem Fußboden lag, krabbelten die Hände über ihren Körper. Die roten Wurstfinger krochen in die Handtasche, die auf ihrem Bauch lag, und kramten vier Dinge heraus: zwei Blatt Papier und zwei Kugelschreiber.

Die Hände breiteten das Papier auf ihrem prallen Bauch aus, rechts und links von der Handtasche. Dann ergriff jede Hand einen Stift und begann auf eines der Blätter zu schreiben. Die rechte Hand malte auf das rechte Blatt, die linke auf das linke, und jede malte etwas völlig Unterschiedliches.

„Ich glaube, ich träume“, flüsterte Heiner.

Während die rechte Hand der Frau eine Adresse notierte, malte die linke Hand ein Bild aufs Papier. Was genau es werden sollte, war im Moment noch schwer zu sagen. In der Mitte gab es einen runden Kreis, eine Art Gesicht vielleicht, und davon gingen Strahlen ab wie bei einer Sonne oder einem Stern. Die ganze Zeit über hielt die Frau die Augen geschlossen. Es schien, als schlafe sie. Nur ihre Hände waren wach.

„Hilfe!“, schrie Heiner. „Einen Arzt!“

Einer seiner Kollegen hörte ihn und tippte auf dem Diensthandy die 112.

Als der Notarzt fünf Minuten später eintraf, kniete Heiner noch immer neben der Frau. Ihre Hände hatten aufgehört zu malen, hielten jetzt die Blätter fest. Sieben Kollegen standen im Kreis um ihn und die Dicke herum, und die Retter mussten sich einen Weg durch die Gaffer bahnen.

„Hallo“, sagte einer der Weißgekleideten zu der Frau. „Können Sie mich hören?“

Sie atmete ruhig und gleichmäßig, doch sie reagierte nicht.

Zwei kräftige Sanitäter und ein Arzt schafften es nicht, sie auf die Bahre zu hieven. Schließlich musste jeder der Umstehenden mit anpacken. Die Bahre mit der schweren Patientin in gebückter Haltung unter dem Laufband durchzutragen, war eine Tortur. Irgendwie schafften sie es, doch einige von ihnen hielten sich danach das Kreuz und konnten minutenlang nicht aufrecht gehen.

Alle erzählten sich ausführlich, welche grässlichen Rückenschmerzen sie hatten, und keiner merkte, wie der Frau eines der beiden Blätter entschlüpfte und zu Boden flatterte.

Keiner außer Heiner.

Er hob das Papier auf und betrachtete es, während die anderen die Sanis zum Krankenwagen begleiteten. Die Zeichnung füllte das gesamte Blatt. Sie zeigte eine Art Maske mit vielen Stacheln. Die Maske streckte dem Betrachter die Zunge heraus und sah ziemlich schlecht gelaunt aus. Nein, nicht schlecht gelaunt, sondern abgrundböse. Heiner erinnerte das Bild an Reliefs von indianischen Gottheiten, die man in Mexiko gefunden hatte. Er hatte so etwas einmal in einer Zeitschrift gesehen.

Er wollte es den Sanitätern bringen, doch sie waren beschäftigt und hörten ihm nicht zu. Als der Krankenwagen schließlich abfuhr, stand Heiner mit der Zeichnung in der Hand da wie ein begossener Pudel.

„Heute“, murmelte er geistesabwesend, „heute ist endlich mal etwas passiert.“ Er faltete die Zeichnung zusammen, steckte sie in seine Hosentasche und machte sich wieder an die Arbeit.

Geheimnis am Totenbett

„Hey Finchen, du machst ja ein Gesicht, als ob jemand gestorben wäre.“ Mit diesen Worten begrüßte Alkan seine Mitschülerin Serafina im Klassenzimmer. Er saß schon mit ausgepackten Büchern an seinem Tisch in der letzten Reihe, als sie durch die Tür kam. Sie hatte den Kopf gesenkt, ihre Arme hingen schlaff an ihren Schultern, als wären sie aus Gummi.

„Es ist jemand gestorben, du Dummkopf“, fauchte das Mädchen zurück.

„Was?“ Alkan sprang so hastig auf, dass er den Stuhl dabei umwarf. „Um Gottes Willen, das tut mir leid. Ich … wollte nicht …“ Er hatte sie necken wollen, einfach nur so, wie er es immer tat, wenn sie morgens verschlafen zur ersten Stunde kam. Serafina war kein Morgenmensch – sie wachte erst in der großen Pause so richtig auf. Er lief auf sie zu, stolperte dabei über seine eigene Schultasche, ruderte mit den Armen und hätte sich fast vor ihr flachgelegt.

„Schon gut“, gab sie leise zurück. „Du konntest es ja nicht wissen.“

Alkan schluckte. „Wer … wer ist es, ich meine, wer war es denn, der … du weißt schon …“

Das Mädchen ging um ihn herum, steuerte ihren Tisch an und zog ihren Stuhl vor, setzte sich aber nicht darauf. Wie eine Statue stand sie daneben, und es sah aus, als hätte sie vergessen, wozu ein Stuhl gut war. „Ein Großonkel von mir“, sprach sie nach einer langen Stille weiter. „Onkel Richard. Du kennst ihn nicht.“

„Doch“, widersprach Alkan sofort. „Er hat bei deiner letzten Geburtstagsparty kurz vorbeigeschaut. Der hagere Mann mit den buschigen Augenbrauen, stimmt’s? Er hatte diese komischen Drops dabei. Jedem von uns hat er eins geschenkt, aber keiner hat seins gegessen.“

„Salmiak-Bonbons“, murmelte Serafina abwesend. „Scheußliches Zeug. Er hat immer eine Tüte davon in der Westentasche. Hatte.“

„Hast du ihn sehr gemocht?“

Das Mädchen starrte ihn an, als hätte er etwas Verbotenes gefragt. „Natürlich, was denkst du denn!“, kläffte sie. Dann wurde sie wieder still, und nach einer Weile gestand sie: „Er war mir ziemlich unheimlich. Eigentlich habe ich mir nicht viel aus ihm gemacht, als er noch lebte. Aber jetzt, wo er tot ist, ist das irgendwie anders. Er tut mir so leid, weißt du? Das macht mich total fertig.“

„Das ist völlig normal, Fina“, tröstete Alkan sie. Fina, das war der übliche Spitzname, mit dem er sie immer rief. Finchen nannte er sie nur, wenn er sie ärgern wollte.

Bisher waren die beiden alleine im Klassenzimmer gewesen, doch nun trudelte eine Gruppe von drei Schülern ein. Serafina blickte Alkan scharf an und legte kurz den Finger auf den Mund. Bitte erzähl den anderen nichts, hieß das. Ich möchte es nicht allen erklären müssen. Jetzt nicht.

Sie ließen zwei Stunden Mathe und eine Stunde Geografie über sich ergehen, und Serafina war geistig so abwesend, dass es den Lehrern bestimmt auffiel, aber sie schimpften nicht und löcherten sie auch nicht, was mit ihr los sei. Wahrscheinlich hatten Serafinas Eltern die Klassenlehrerin über den – wie sagte man? – Trauerfall in der Familie informiert. Ja, so musste es sein, denn die Lehrer fassten das Mädchen heute mit Samthandschuhen an, lächelten ständig und lobten sie, ohne dass sie etwas Lobenswertes getan hätte.

Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl, dabei zuzusehen, wie man sie verwöhnte und verhätschelte. Normalerweise sah das Verhältnis der Lehrer zu Serafina nicht so rosig aus. Da flogen öfters mal die Fetzen. Serafina galt als schwierig. Sie war eine gute Schülerin, aber sie konnte sehr stolz und empfindlich sein und ließ sich nicht gerne etwas sagen. Außerdem ging bisweilen ihre Fantasie mit ihr durch, und sie verwechselte ihre Traumwelt mit der Wirklichkeit. Lehrer schätzen so etwas nicht.

In der großen Pause trafen sich Alkan und Fina in ihrem Versteck. Natürlich war es kein richtiges Versteck, denn Schulhöfe werden nicht so angelegt, dass die Schüler sich irgendwo vor den Blicken der Lehrer verbergen können. Trotzdem: Die Stelle neben dem Geräteschuppen war ziemlich abgelegen, und man kam sich wenigstens ein bisschen vor, als wäre man alleine. Zu den beiden gesellte sich sofort Marie. Außer Marie hätten sie alle weggejagt, aber sie gehörte fest zu ihrer kleinen Clique von drei Freunden beziehungsweise Freundinnen dazu. Alkan wurde schon mal dafür gehänselt, dass er am liebsten mit zwei Mädchen abhing, doch das prallte an ihm ab. Er hatte nichts gegen Jungs als Freunde – in seiner Nachbarschaft gab es einige, mit denen er ab und zu Fußball spielte –, aber in seiner Klasse waren nun einmal Marie und Fina mit Abstand die coolsten.

„Was ist mit dir los?“, erkundigte sich Marie, die noch von nichts wusste. „Hast du schlecht geschlafen?“ Marie war ein schlankes Mädchen mit vielen Sommersprossen und roten Wuschellöckchen, und ihre leuchtend blauen Augen funkelten sehr besorgt.

Serafina berichtete vom Tod ihres Großonkels. Kaum waren die Worte draußen, nahm Marie sie gleich in den Arm und drückte sie an sich. Vielleicht erwartete sie, dass ihre Freundin sich gleich an ihrer Brust ausheulen würde. Doch Fina drehte den Kopf zur Seite und warf Alkan einen verzweifelten Blick zu.

Er verstand zuerst nicht, was der Blick ihm sagen wollte, doch allmählich dämmerte ihm, dass der Tod ihres Großonkels vielleicht nicht das einzige war, was Fina bedrückte. Da schien es noch etwas zu geben, wovon sie beide noch keine Ahnung hatten.

Die Pause war zur Hälfte vorbei, als Fina endlich mit der Sprache herausrückte. Danach wünschte Alkan, sie hätte geschwiegen.

„Wisst ihr“, begann Serafina, „als Onkel Richard im Sterben lag, waren wir bei ihm, meine Eltern und ich. Mein Cousin hatte uns angerufen. Er lag in einem Hospital drüben in Rathsburg. Man hatte ihn in ein Einzelzimmer gelegt, zum Sterben. Wie wir gerade reinkommen, da dreht er den Kopf, unendlich müde und schwach, und sieht mich an, nur mich alleine. Er sagt etwas, aber ich verstehe es nicht, weil er zu leise spricht. Seine Stimme ist nur ein Hauch. Also gehe ich näher hin, halte mein Ohr an seinen Mund, und er wiederholt es noch einmal. Oh Gott, wenn ich dran denke, läuft es mir eiskalt den Rücken runter.“ Sie schüttelte sich. Es musste ein ansteckender Schauer sein, denn Alkan spürte, wie sich die feinen Härchen auf seinem Unterarm ebenfalls aufstellten.

„Was hat er denn gesagt?“, wollte Marie wissen.

„Ja“, drängelte Alkan. „Was hat er gesagt?“

Serafina blickte an ihren Freunden vorbei und wirkte plötzlich unruhig. Die beiden drehten sich um und erkannten Frau Sonnenschein, ihre Klassenlehrerin. Sie näherte sich ihnen mit schnellen Schritten von der Mitte des Schulhofs her. Sicher wollte sie mit Serafina reden. Aber Serafina ganz sicher nicht mit ihr.

„Was sagte dein Onkel?“, spornte Alkan Fina noch einmal an. Und diesmal wirkte es.

„Er sagte: Verzeih mir, Serafina! Es ist viel zu früh. Du bist noch nicht reif dafür. Geh nicht hin, hörst du? Du darfst auf keinen Fall hingehen. Versprich mir, dass du nicht hingehst!“

Alkan klappte das Kinn herunter. Er hörte Frau Sonnenscheins Absätze klickend näherkommen, und er hörte auch, wie Marie flüsterte: „Und dann? Was hast du gesagt?“

„Nichts“, antwortete Fina. „Ich hatte keine Zeit mehr für eine Frage. Er ist gestorben, ehe ich auch nur ein Wort sagen konnte.“

„Nein!“, schrie Marie.

„Hallo, Serafina!“, rief ihre Klassenlehrerin von hinten. „Ich wollte nur fragen, ob alles in Ordnung ist, und ich wollte dir mitteilen, ich habe mit dem Rektor gesprochen. Du darfst heute früher nach Hause gehen, wenn du möchtest. Es ist in Ordnung.“

„Nichts ist in Ordnung“, flüsterte Fina ihren Freunden zu. Zu Frau Sonnenschein sagte sie laut und deutlich etwas anderes, nämlich: „Ich würde gerne noch bis zur fünften Stunde bleiben. Der Unterricht lenkt mich ab – das tut mir gut.“

„Wie du willst.“ Die Lehrerin schien beleidigt zu sein. Wahrscheinlich machte die trauernde Fina sie nervös, und vermutlich hatte sie mit dem Rektor eine halbe Stunde lang verhandeln müssen, bis sie die Erlaubnis bekommen hatte, das Kind nach Hause zu schicken. Vielleicht hatten sie sich sogar gestritten. Und nun besaß Serafina auch noch die Unverfrorenheit, ihren gutgemeinten Vorschlag einfach abzulehnen. Fina war wirklich ein unbequemes Kind. Niemals tat es, was die Erwachsenen von ihr erwarteten.

Obwohl das Gespräch zwischen Frau Sonnenschein und den Kindern eigentlich beendet war, machte die Lehrerin keine Anstalten wegzugehen und die drei Freunde wieder alleine zu lassen. Mit einem aufgesetzten Lächeln blieb sie neben ihnen stehen und tat so, als würde sie eine winzig kleine Unsauberkeit im Verputz der Schulhauswand begutachten. Als die Kinder gemeinsam ihr Versteck verließen, folgte sie ihnen wie ein gut erzogenes Hündchen.

Alkan gingen Finas Worte nicht aus dem Sinn. Was hatte ihr sterbender Großonkel gemeint? Wofür war sie noch nicht reif? Wohin sollte sie auf keinen Fall gehen? Meinte er, sie dürfe nicht zu seiner Beerdigung kommen, weil sie noch zu klein dafür war? Nein, das machte keinen Sinn. Fina war zehn Jahre alt, wie Alkan auch, und Alkan hatte man schon als Kleinkind zu den Beerdigungen seiner zahlreichen Tanten und Onkel mitgeschleppt. Dazu kam, dass Fina neben einem Friedhof wohnte und sich ein bisschen für unheimliche und gruselige Dinge interessierte. Sie war auch sehr erwachsen für ihr Alter, das sagten alle, die sie kannten.

Wovon also hatte der Mann gesprochen?

Wenn jemand starb und in den Sekunden vor seinem Tod noch etwas loswerden wollte, musste es doch etwas enorm Wichtiges sein.

In der Englisch-Stunde, die auf die große Pause folgte, schrieb Alkan ein Briefchen an Fina: WOHIN SOLLST DU NICHT GEHEN?, stand auf dem vierfach gefalteten Blatt, das er mit einem geschickten Wurf auf Finas Tisch beförderte.

Fina antwortete auf der Stelle, ohne sich zu ihm umzudrehen. Ihre Antwort fiel länger aus, als Alkan erwartet hatte. ICH WEISS NICHT, hatte sie mit ungewöhnlich schludrigen Buchstaben auf die Rückseite eines Arbeitsblatts geschrieben. ABER ES MACHT MIR ANGST. ONKEL RICHARD KANN ICH JA NICHT MEHR FRAGEN. WAS SOLL ICH TUN? DIESER ORT, AN DEN ICH NICHT GEHEN DARF, DER KÖNNTE ÜBERALL SEIN, SOGAR MEIN EIGENES HAUS.

General Dunkel macht Ärger

Alkan und Marie hatten schon damit gerechnet, Fremde auf Onkel Richards Beerdigung zu sein. Sie gingen nur hin, weil sie Serafina irgendwie beschützen wollten. Aber wenn man die kleine Trauergemeinde so ansah, konnte man meinen, alle seien Fremde. Keiner redete mit dem anderen, die schwarzgekleideten Menschen starrten die ganze Zeit über auf die Erde und hatten die Hände in den Manteltaschen vergraben. Und das, obwohl es eigentlich ein freundlicher Märztag war. Ein milder Wind trug frühlingshafte Gerüche von den Wiesen herüber, und tapsige Bienen brummten auf ungeschickten, halsbrecherischen Flugbahnen zwischen den Menschen hindurch.

Die Beisetzung fand nicht auf dem Friedhof von Niederblau statt, sondern in einem dreißig Kilometer entfernten Dorf, dessen Namen zu langweilig ist, um ihn hier zu nennen. Serafinas Großonkel war erst vor einigen Jahren aus Niederblau hierhergezogen.