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DIE SÜßE RACHE DES PLAYBOYS Eine nackte Venus in seiner Dusche! Wer ist diese hinreißende Fremde, die Russell McClain an eine erotische Göttin erinnert? Die Antwort: Die Tochter seines ärgsten Feindes. Nur um sich zu rächen, hat Russell dessen Anwesen in Sydney gekauft - und Nicole besitzt noch die Schlüssel! Und plötzlich ist da ein höchst verführerischer Plan: Was, wenn Russell diese Schönheit zu seiner Geliebten macht und sie dann fallen lässt? Wäre die Rache dann nicht perfekt? Doch zum ersten Mal in seinem Leben hat der Milliardär und Playboy die Rechnung ohne sein Herz gemacht ALLES - AUßER LIEBE? Jede Frau in Sydney könnte der attraktive Milliardär Hugh Parkinson haben! Aber er will nur eine: Seine schöne Assistentin Kathryn, die leider immer die Distanz wahrt. Was für eine bittersüße Provokation für den Playboy … Bis seine Stunde schlägt! Wegen einer Erbschaft braucht Kathryn dringend einen Ehemann. Hugh schlägt ihr eine Scheinehe für ein halbes Jahr vor. In 183 Nächten wird es ihm ja wohl gelingen, Kathryn zu erobern. Dann ist sein Jagdinstinkt befriedigt - und sie darf wieder gehen. Ein raffinierter Plan, bei dem er mit vielem rechnet. Nur nicht mit der Liebe … IN DEN ARMEN DES PLAYBOYS Megan kann ihr Glück kaum fassen! Ausgerechnet sie wird heiß von James Logan umworben. Mit zärtlicher Leidenschaft gewinnt der attraktive Playboy und Millionär ihr scheues Herz. Die Nächte in seinen Armen sind der Himmel auf Erden. Noch nie ist sie von einem Mann so sinnlich, so gut, so oft geliebt worden … und dann macht er ihr auch noch einen Heiratsantrag! Doch kaum trägt Megan seinen goldenen Ring, als ihre Welt in tausend Scherben zerbricht. Denn sie erfährt: Nicht etwa aus Liebe hat James sie geheiratet. Sondern nur um einen Erben zu bekommen …
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Seitenzahl: 589
Miranda Lee
Drei reiche Ehemänner - Playboys finden die große Liebe (3-teilige Serie)
Miranda Lee
Die süße Rache des Playboys
IMPRESSUM
JULIA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1
© 2008 by Miranda Lee Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 1906 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Helga Meckes-Sayeban
Fotos: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format im 02/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86295-445-2
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Russell umklammerte das Lenkrad fester. Er war bei der angegebenen Adresse angelangt.
„Mr. Power ist heute nicht im Büro“, hatte man ihm eine halbe Stunde zuvor bei Power Hypotheken erklärt, als er hereingestürmt war, um Alistair Power, den Chef der mächtigen Finanzierungsgesellschaft, zu sprechen.
Anfangs hatte die Empfangsdame sich geweigert, Russell zu sagen, wo er Power finden könnte. Sie schien zu ahnen, dass der aufgebrachte junge Mann vor ihrem Tresen Ärger machen würde. Doch nachdem Russell ihr versichert hatte, er müsse mit ihrem Chef dringend geschäftlich über den tragischen Tod eines Geschäftspartners sprechen, hatte sie ihm schließlich die gewünschte Auskunft gegeben. Mr. Power und seine Gattin seien auf der Baustelle ihres neuen Besitzes im exklusiven Vorort Belleview Hill außerhalb von Sydney.
Russell hatte sich ein Lächeln abgerungen, nachdem die Frau ihm die Adresse aufgeschrieben hatte.
Jetzt lächelte er nicht. Verbittert blickte er zu dem mächtigen Bau auf, der ein hochherrschaftliches Anwesen zu werden versprach. Erstaunlich, was man mit anderer Leute Geld kaufen konnte!
Russell steuerte seinen rostigen alten Wagen über die Kiesauffahrt bis direkt vor den Eingang des dreigeschossigen Herrenhauses. Der Rohbau war vollendet, Dach und Eingangsstufen waren fertig. Ein Mann mittleren Alters im eleganten Straßenanzug stand auf der Veranda, neben ihm eine langbeinige Blondine.
Offenbar Powers Trophäe – seine Frau.
Russell konnte nicht mehr klar denken. Beim Anblick des Mannes, dessen Gier seinen Vater zur Verzweiflung und in den Tod getrieben hatte, ging sein Hass mit ihm durch. Zu allem entschlossen, stieg er aus und stürmte, die Hände zu Fäusten geballt, die Stufen hinauf.
„Alistair Power!“, schrie er.
Der Mann betrachtete ihn mit seinen kalten grauen Augen. Russells Kampfbereitschaft schien ihn nicht weiter zu beunruhigen.
„Ja. Was kann ich für Sie tun?“ Nicht zu fassen! Der Mann wirkte völlig ruhig, obwohl er sehen musste, dass sein Gegenüber mörderischer Stimmung war.
Russell widerstand der Versuchung, Power auf der Stelle zusammenzuschlagen. Erst sollte der Kerl hören, wer er war, und warum er hier war.
„Ich dachte, Sie sollten erfahren, dass mein Vater sich vorige Woche das Leben genommen hat.“
Power zog die Brauen hoch. „Und wer ist Ihr Vater?“
„Keith McClain.“
„Der Name sagt mir nichts. Ich kenne keinen Keith McClain.“
„Meine Güte! Der Kerl kannte nicht einmal den Namen seines Vaters! Doch Russell wusste genau, dass sein Dad – sein scheuer, aber stolzer Dad –, persönlich zu Power gegangen war, ihn angefleht hatte, ihm mit der Rückzahlung des Darlehens noch etwas mehr Zeit zu lassen.
„Sie kannten ihn immerhin so gut, dass Sie ihn auf seine Farm zwei Hypotheken aufnehmen ließen, als er seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte“, brachte Russell mühsam beherrscht hervor. „Er hatte keine Aktien, keine Ernte, kein Einkommen. Daran war die zehnjährige Dürre schuld. Aber sein Land war wertvoll, stimmt’s? Da haben Sie es bewusst darauf angelegt, dass er sich verschuldete. Und als er seine Schulden nicht bezahlen konnte, haben Sie ihm sein Land abgenommen!“
„Junger Mann, ich zwinge niemanden, Hypotheken aufzunehmen.“
„Es ist gewissenlos, Geld zu verleihen, wenn Sie genau wissen, dass die Leute es nicht zurückzahlen können“, erwiderte Russell hitzig. „Ich habe Erkundigungen über Power Hypotheken eingezogen. So gehen Sie vor … das sind Ihre Geschäftspraktiken!“
Power zuckte mit keiner Wim per. „Ich habe nichts Ungesetzliches getan. Den Fehler hat Ihr Vater gemacht. Er hätte seinen Besitz verkaufen sollen, statt Geld aufzunehmen.“
„Aber die Farm befand sich seit Generationen im Besitz seiner Familie! Er hatte nichts anderes gelernt, als das Land zu bestellen.“
„Das ist nicht meine Schuld.“
„O doch, es ist Ihre Schuld! Ihre und die Schuld von Leuten wie Ihnen! Sie kennen keine Gewissensbisse, kein Mitgefühl. Sie denken nur ans Geldverdienen.“
„Im Geschäftsleben ist nun mal kein Platz für Mitgefühl, Sohn.“
„Ich bin nicht Ihr Sohn, Sie geldgieriger Finanzhai!“ Russell wollte sich auf Power stürzen.
Blitzschnell stellte die Blondine sich vor ihren Mann, um zu verhindern, dass Russell zuschlug.
„Nicht!“, schrie sie und hob abwehrend die Hände. „Damit machen Sie alles nur noch schlimmer, und es bringt Ihren Vater nicht zurück.“
Russell blickte ihr in die erstaunlich grünen Augen. Auch sie kannte kein Mitgefühl. Sie verteidigte nur ihren Lebensstil.
In diesem Moment nistete sich in Russells Herz die Saat der Rache ein –, einer Rache, die viel süßer war als Mord.
Er ließ die Blondine stehen, wirbelte herum und rannte die Stufen hinunter. Unten drehte er sich um und blickte hassvoll zu Power auf.
„Eines Tages werde ich Sie zerstören. Ich schwöre beim Grab meines Vaters, dass ich Ihnen alles nehmen werde, was Ihnen lieb ist – so wie Sie ihm alles genommen haben!“
Sechzehn Jahre später …
In Bangkok war es heiß. Sehr heiß. Und feuchtschwül. Nachdem Nicole den Kilometer von ihrem billigen Hotel zum Waisenhaus gelaufen war, klebte ihr das T-Shirt am Rücken.
Noch vor wenigen Monaten hätte sie sich über ihr ewig schlaffes Haar und die verschwitzte Kleidung beklagt. Damals hätte sie sich in Bangkok nicht aus ihrem klimatisierten Fünfsternehotel gerührt, höchstens, um sich im Swimmingpool zu aalen oder in einer kühlen Luxuslimousine durch die Gegend zu fahren.
Doch diese Nicole gab es nicht mehr. An einem schrecklichen Tag im letzten Juni hatte das verwöhnte Mädchen entdecken müssen, dass die drei wichtigsten Menschen in ihrem Leben nicht so edel waren, wie sie geglaubt hatte.
Erst hatte sie ihren Verlobten David mit seiner persönlichen Assistentin beim Sex auf dem Schreibtisch überrascht. Die beiden waren so miteinander beschäftigt gewesen, dass sie Nicole an der Tür nicht einmal bemerkt hatten.
Verstört war sie zu ihrer Mutter gerannt, die ihr auch noch klarzumachen versuchte, reiche, erfolgreiche Männer seien nun mal nicht treu. Nicole solle vernünftig sein und lernen, die sexuellen Abenteuer ihres Verlobten diskret zu übersehen.
„Das tue ich grundsätzlich, wenn Alistair mal wieder fremdgeht“, hatte ihre Mutter erklärt, ohne ihr durchgestyltes Blondhaar zu bewegen.
Die Enthüllung, dass ihr Stiefvater andere Frauen hatte und ihre Mutter seine Eskapaden einfach hinnahm, hatte Nicole möglicherweise noch mehr schockiert als Davids Untreue.
Alles das war zu viel für sie gewesen. Seit ihre Mutter Alistair geheiratet hatte, war sie, Nicole, wie eine Prinzessin verwöhnt worden, jedoch keineswegs ohne moralische Wertvorstellungen und Gefühle gewesen.
Am nächsten Tag hatte sie David den Verlobungsring zurückgegeben, worauf er ihr aufbrausend vorgehalten hatte, im Bett nicht sehr aufregend zu sein. Danach hatte es eine ebenso unerfreuliche Auseinandersetzung mit ihrem Stiefvater gegeben, der ihr prophezeit hatte, mit dieser naiven und engstirnigen Einstellung nicht sehr weit zu kommen.
„Die Gewinner dieser Welt halten sich nicht immer an Regeln“, hatte er ihr hochtrabend erklärt. „David ist ein Gewinner. Und als seine Frau, meine liebe Nicole, hättest du alles haben können. Jetzt muss ich dir einen anderen reichen Ehemann suchen, der dir den gewohnten Lebensstil bieten kann.“
Im ersten Moment war Nicole sprachlos gewesen. Ihr Stiefvater hatte David für sie ausgesucht?
Rückblickend war ihr klar, dass es wohl so gewesen sein musste.
Daraufhin hatte sie prompt ihren anspruchslosen Posten in der Public Relations-Abteilung von Power Hypotheken gekündigt, den sie sicher ebenfalls ihrem Stiefvater verdankte. Noch am selben Nachmittag hatte sie auf eine Zeitungsanzeige geantwortet, in der eine junge Frau eine Gefährtin für einen Rucksackurlaub suchte, weil ihre Freundin in letzter Minute einen Rückzieher gemacht hatte. Eine Woche später war Nicole mit ihrer Entlassungsabfindung in der Tasche vom Mascot Airport abgeflogen, in der Hoffnung, endlich unabhängig zu werden und Wichtigeres zu finden als ein Leben in Luxus.
Jetzt, vier Monate später, war Nicole ein anderer Mensch. Ein richtiger Mensch, sagte sie sich. Endlich lebte sie in der wahren Welt. „Nicoe, Nicoe!“, begrüßten die Waisenhauskinder sie im Chor, als sie den staubigen Spielplatz der Kleinen betrat.
Nicole lächelte. Die kleinen Thais konnten das „L“ nicht aussprechen, obwohl sie dank der fürsorglichen Heimleiterin recht gut Englisch sprachen. Nach Küsschen und Umarmungen baten die Kinder Nicole, ihnen etwas vorzusingen. Von jeher war sie musikalisch gewesen und besaß eine gute Stimme.
„Was soll ich denn singen?“ Sie streifte sich den Rucksack wieder über die Schulter und suchte Zuflucht im Schatten des einzigen Baums auf dem Hof.
„Warzing Matinda!“, rief ein kleiner Junge.
„Waltzing Matilda, meinst du wohl?“ Liebevoll zauste sie ihm das dichte schwarze Haar.
„Ja, Nicoe. Warzing Matinda.“
Sie lachte, und alle stimmten übermütig ein. Immer wieder erstaunte es Nicole, wie glücklich diese Kinder sein konnten, denen buchstäblich alles fehlte. Dabei hatte sie sich für arm gehalten, ehe ihre Mutter Alistair getroffen und geheiratet hatte. Verglichen mit diesen Waisen waren sie reich gewesen.
„Na gut. Dann setzen wir uns hier in den Schatten.“
Alle Kinder hockten sich unter dem Baum in den Staub und blickten erwartungsvoll zu ihr auf.
Fröhlich stimmte Nicole die berühmte australische Ballade an.
Keines der Kinder rührte sich, bis Nicole geendet hatte. Danach sprangen sie auf, klatschten begeistert in die Hände und baten sie, das Lied noch einmal zu singen. Gerade wollte sie beginnen, als ihr Handy klingelte.
„Entschuldigt mich“, bat sie die Kleinen und kramte das Gerät aus ihrer Tasche. „Geht mal eine Weile spielen, ja?“
Nicole ahnte bereits, wer sie anrief. Einmal wöchentlich meldete ihre Mutter sich bei ihr, als wäre zwischen ihnen nichts gewesen. Nicole brachte es einfach nicht über sich, die Frau ganz aus ihrem Leben zu verbannen. Sie liebte ihre Mutter und wusste, wie sehr auch sie an ihr hing.
„Ja?“, meldete Nicole sich.
„Nicole, ich bin’s, deine Mutter.“
Befremdet überlegte Nicole. Etwas stimmte hier nicht. So nannte ihre Mutter sich nie. Außerdem klang ihre Stimme seltsam angespannt.
„Hallo, Mum. Was gibt’s?“
„Ich … weißt du …“ Mrs. Power verstummte, dann platzte sie unvermittelt heraus: „Du musst nach Hause kommen.“
Nicole war beunruhigt. „Nach Hause? Warum?“ Blitzschnell dachte sie nach. „Mum … wo bist du?“
„Das kann ich dir nicht sagen.“
„Wie bitte? Und warum nicht?“
„Dein Vater will nicht, dass jemand weiß, wo wir sind.“
„Alistair Power ist nicht mein Vater“, betonte Nicole kühl.
„Er war dir ein besserer Vater als der Nichtsnutz, von dem ich schwanger wurde“, erklärte ihre Mutter scharf. „Nein, Alistair! Lass mich mit ihr reden.“
Im Hintergrund konnte Nicole so etwas wie Gerangel ausmachen.
„Und jetzt hör mir gut zu, du undankbares kleines Ding!“, mischte Alistair sich in befehlsgewohntem Ton ein. „Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir dich gar nicht angerufen. Aber deine Mutter liebt dich, der Himmel weiß, warum. Die Situation ist die: Meine Firma ist bankrott, und die Gläubiger wollen Blut sehen. Deshalb mussten wir Australien verlassen. Für immer. Die Bank hat unseren Besitz in Belleview beschlagnahmt und wird wohl nicht zögern, ihn mit allem Inventar an einen gierigen Schnäppchenjäger zu verkaufen.“
„Aber … im Haus sind alle meine Sachen!“, protestierte Nicole.
„Deswegen ruft deine Mutter dich an. Du musst sofort nach Sydney fliegen, ehe die Schlösser ausgewechselt werden und unser gesamter persönlicher Besitz bei einer wohltätigen Versteigerung oder auf der Müllhalde landet.“
„Das können sie doch nicht machen!“
„Wer könnte sie davon abhalten? Ich nicht.“
Nicole stöhnte auf. Ihre Designerkleider waren ihr gleichgültig. Doch sie hing an den Erinnerungsstücken aus ihrer glücklichen Kindheit, besonders an den unersetzlichen Fotoalben und Collagebänden. Der bloße Gedanke, sie könnten auf dem Müll landen, war einfach schrecklich.
„Hier ist deine Mutter wieder“, murrte Alistair.
„Wegen deines Schmucks brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Liebes. Den habe ich gerettet.“
„Der Schmuck bedeutet mir nichts, Mum.“ „Aber er ist ein Vermögenwert, Nicole!“ Das stimmte. Im Lauf der Jahre hatte ihr Stiefvater sie mit sehr kostbarem Schmuck förmlich überschüttet: Diamanten, Perlen, Smaragde …
„Passend zu deinen wunderschönen Augen“, hatte er ihr mehr als einmal auf seine aalglatte Art geschmeichelt.
Unvermittelt kam Nicole ein Gedanke. Wenn sie ihren Schmuck verkaufte, konnte sie mit dem Geld im Waisenhaus dringend nötige Verbesserungen vornehmen. Aus Stolz darauf zu verzichten, wäre schlichtweg dumm.
„Könntest du mir meinen Schmuck herschicken, Mum?“
„Natürlich. Aber wohin? Wann immer ich dich anrufe, lebst du schon wieder in einem anderen Land. Wo bist du gerade?“
„Immer noch in Thailand. Warte! Du könntest mir den Schmuck per Eilboten an Karas Adresse in Sydney schicken. Ich gebe ihr Bescheid, dass die Sendung kommt. Ihre Anschrift kennst du doch, oder?“
„Wie könnte ich sie vergessen? Schließlich habe ich dich oft genug hingefahren. Du fliegst also nach Hause und holst deine Sachen ab?“
„Ja. Sobald ich einen Flug nach Sydney bekomme“, entschied Nicole. Glücklicherweise hatte sie immer noch ihr Rückflugticket, denn sie war fast pleite.
„Fein. Es war schrecklich für mich, alle deine teuren Sachen zurücklassen zu müssen.“
Nicole seufzte. Gut zu hören, dass du dir deinen Sinn für die wahren Werte im Leben bewahrt hast, Mum!
„Tut mir leid, ich kann dir nicht verraten, wo wir sind. Aber keine Sorge“, nun flüsterte ihre Mutter, „wir haben noch genug Geld. Alistair hat letztes Jahr rechtzeitig eine stolze Summe auf einem Geheimkonto außerhalb Australiens versteckt. Wenn du etwas brauchst, sag es.“
Nicole schauderte. Das wäre das Letzte, was ich täte! „Ich muss jetzt auflegen, Mum.“
„Ruf mich an, sobald du in Sydney bist, ja?“
„Mach ich.“
Kopfschüttelnd schaltete Nicole das Handy ab. Ihre Mutter war hoffnungslos!
Rache bis zum letzten Blutstropfen zu nehmen, ist gar nicht so einfach, musste Russell sich eingestehen, als er nach Bellevue Hill zum Herrenhaus seines Erzfeindes fuhr.
Seit sechzehn Jahren hatte der Gedanke an Rache ihn aufrechterhalten, während er unermüdlich geschuftet und sich ein Vermögen aufgebaut hatte, um den Mann in die Knie zu zwingen, der den Tod seines Vaters auf dem Gewissen hatte. Power sollte büßen, was er mit Keith McClain gemacht hatte. Und mit Tau senden anderen verzweifelten Menschen.
Endlich hatte sich dann die lang ersehnte Gelegenheit dazu geboten, dank des Absturzes des Marktes für erstklassige Hypotheken in den Vereinigten Staaten. Genau rechtzeitig hatte Russel zugeschlagen und rücksichtslos alle Aktien von Power Hypotheken abgestoßen, die er im Lauf der Jahre heimlich aufgekauft hatte. Innerhalb von knapp einer Woche war es ihm gelungen, den morallosen Finanzhai um Millionen ärmer zu machen.
Als bekannt wurde, dass Power hohe Kredite aufgenommen hatte, um seinen üppigen Lebensstil aufrechterhalten zu können, und dass seine Bank das Multimillionenanwesen in Belleview Hill beschlagnahmt hatte, war Russell prompt auf den Plan getreten und hatte ein Gebot auf den Besitz abgegeben, bei dem er sicher war, dass die Bank es nicht ablehnen konnte. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, das Herrenhaus oder seine Einrichtungen zu besichtigen, die im Angebot eingeschlossen waren. Erst wenn das Anwesen ihm gehörte, wollte er es betreten.
Und jetzt befand er sich auf dem Weg dorthin, die Vertragsunterlagen waren unterzeichnet, die Schlüssel in seiner Jacketttasche.
Nun hätte er triumphieren müssen.
Doch er tat es nicht.
Warum nicht?
Weil der Kerl geflüchtet war. Er hatte sich abgesetzt, war zu einem geheimen Versteck im Ausland geflogen, wo er vermutlich Millionen auf Geheimkonten in Steuerparadiesen versteckt und seine Gläubiger in Australien um ihr Geld gebracht hatte.
Die Vorstellung, dass Alistair Power sich jetzt möglicherweise irgendwo auf den Bahamas ein schönes Leben machte, ließ Russell nicht zur Ruhe kommen. Männer wie dieser Finanzganove hatten kein Recht zu leben, geschweige denn in unermesslichem Luxus.
Dennoch stimmte es Russell zufrieden, dass der Ruf seines Erzfeindes ruiniert war. Kein Präsident oder Premierminister würde Power jetzt mehr feiern. Und auch das Fernsehen würde den aalglatten Gastgeber hochkarätiger Glamourpartys nie mehr umschmeicheln.
Das Anwesen, die Kulisse dieser gesellschaftlichen Glanzpunkte, kam in Sicht. Zum ersten Mal sah Russell das fertige dreigeschossige Herrenhaus, vor dessen Rohbau er Power an jenem schicksalsschweren Tag vor sechzehn Jahren gestellt hatte.
Erst vor einer Stunde hatte der Verkaufsmanager der Bank ihm, Russell, in höchsten Tönen vorgeschwärmt, das Anwesen läge buchstäblich in Spitzenlage auf der Anhöhe von Belleview Hill, mit zahlreichen Balkonen und Terrassen auf jeder Etage, alle mit einmaligem Blick auf die Stadt und den Hafen. Das oberste Geschoss bestünde aus miteinander verbundenen Salons und böte eine ideale Szenerie für unvergleichliche Feste.
Doch die Pracht des Baus mit seinen strahlendweißen Mauern und den zahllosen dunkelblau gerahmten Fenstern und Türen ließ sich mit Worten nur mangelhaft beschreiben.
Russell bog in die Zufahrt ein und brachte den Wagen vor einem geschlossenen Doppeltor zum Stehen.
Vor sechzehn Jahren hatte es hier kein Sicherheitstor gegeben. Damals hätte nichts Russell davon abhalten können, sein Vorhaben auszuführen.
Er seufzte.
Vielleicht würde er bis an sein Lebensende bereuen, dass er sich an jenem Tag mit Rachedrohungen begnügt hatte, statt zur Tat zu schreiten. Doch wenn er seinem Hass nachgegeben hätte, säße er jetzt hinter Gittern, die schmiedeeisernen Torflügel würden sich nicht vor ihm auftun. Und ganz sicher würde er nicht im maßgeschneiderten Anzug im schnittigen Sportwagen vorfahren.
Russell drückte auf die Fernbedienung und wartete geduldig, bis die Tore aufgeglitten waren, dann fuhr er langsam die runde Auffahrt hinauf, in deren Mitte eine prächtige italienische Marmorfontäne plätscherte, die einem Palast Ehre gemacht hätte. Das mächtige Anwesen lag inmitten weitläufiger Rasenflächen, die von sauber geschnittenen Hecken umgeben wurden, dazwischen erhoben sich strategisch gepflanzte schattenspendende Bäume. Der Garten auf der Rückseite sei noch eindrucksvoller, hatte man Russell versichert. Dort gäbe es eine große Terrasse, einen solarbeheizten Swimmingpool und Tennisanlagen mit synthetischem Rasen.
„Der Pool hat auch ein Badehaus mit eigener Küche, Bad, zwei Gästeschlafzimmern und einem geräumigen Salonbereich“, hatte der Mann von der Bank routiniert heruntergerattert. „Das Ganze ist größer als viele Apartments in Sydney.“
Wahrscheinlich auch größer als meine Zweizimmerwohnung am McMahon’s Point, dachte Russell. Er hatte einfach nicht das Bedürfnis gehabt, in größeren oder luxuriöseren Räumen zu wohnen. Schließlich hielt er sich dort bestenfalls zum Essen und Schlafen auf. Anders als die meisten erfolgreichen Immobilienmakler lud er kaum Gäste ein, und wenn, dann nicht zu sich nach Hause.
Doch in Powers Herrensitz schlief man nicht nur. Er war gebaut, um der Welt zu zeigen, was man war –, ein Denkmal für den eigenen materiellen Erfolg.
Russell atmete tief ein. Und jetzt gehörte alles das ihm.
Wieder vermisste er das Triumphgefühl, das er sich all die Jahre über in seinen geheimen Fantasien ausgemalt hatte. War es typisch, dass die Reise das Beste war, und nicht das Ziel? Oder lag es daran, dass er seine Genugtuung mit niemandem teilen konnte?
Komisch, aber seine Mutter hatte nie den Zorn, die Verbitterung an den Tag gelegt, die ihn nach dem Selbstmord seines Vaters zerfressen hatten. Sie hatte Power Hypotheken keine Schuld gegeben. Befremdet hatte Russell ihre Enthüllung aufgenommen, sein Vater habe bereits seit Jahren unter Depressionen gelitten und deshalb falsche Entscheidungen getroffen, die zu seinem Bankrott geführt hätten. Den Einwand, Power Hypotheken sei darauf spezialisiert, Leuten Darlehen zu gewähren, obwohl voraussehbar war, dass sie ihre Schulden nicht bezahlen können würden, hatte Frieda McClain im Fall ihres Mannes für bedeutungslos gehalten.
Nachdem sie ihren geliebten Mann zwei Jahre lang betrauert hatte, war ihr bewusst geworden, dass das Leben weitergehen musste, und sie hatte einen anderen Farmer geheiratet.
Doch Russell hatte die Einstellung seiner Mutter nie verstehen können. Ihre aus seiner Sicht viel zu kurze Trauerzeit war für ihn fast einem Verrat gleichgekommen. Der Selbstmord hatte seine Welt aus dem Angeln gehoben, außerdem hatten ihn tiefe persönliche Schuldgefühle gequält.
Vor allem die Vorstellung, sein Vater hätte sich so verschuldet, um seinem Sohn die Ausbildung zu ermöglichen, die ihm selbst versagt geblieben war. Obwohl Russell wegen seiner ausgezeichneten schulischen Leistungen ein Stipendium für ein Eliteinternat in Sydney gewonnen hatte, waren damit natürlich auch andere Ausgaben verbunden gewesen. Nach Russells erfolgreichem Schulabschluss hatte sein Vater ihn auf die Universität geschickt und den Mietanteil der kleinen Wohnung bezahlt, die Russell sich mit einem wohlhabenderen Kommilitonen teilte. Sogar einen klapprigen alten Wagen hatte sein Vater ihm finanziert.
Dennoch hätte er merken müssen, dass diese finanziellen Belastungen zu hoch für seinen Vater gewesen waren.
Am Tag, als sie seinen Vater begraben hatten, hätte Russell sich am liebsten auch das Leben genommen.
Nur der Gedanke an Rache hatte ihn aufrechterhalten. Dafür hatte er seitdem gelebt. Nach seinem Zusammenstoß mit Power hatte er sein Jurastudium an den Nagel gehängt und eine Stelle als Immobilienvertreter angenommen. Er hatte das Glück gehabt, bei einer der exklusivsten Maklerfirmen im eleganten Osten von Sydney anfangen zu können. In den darauffolgenden Jahren war kaum Zeit für seine Freunde und noch weniger für Freundinnen gewesen. Nur ein Gedanke hatte ihn vorangetrieben: So reich zu werden, dass er Alistair Power finanziell zerstören konnte.
Jetzt, mit sechsunddreißig, besaß Russell die erfolgreichste Immobilienfirma Sydneys, mit Zweigniederlassungen in den Nobelvororten der Stadt, außerdem persönliche Besitztümer, die es mit den luxuriösesten Immobilienobjekten Australiens aufnehmen konnten, darunter auch Herrensitze, die regelmäßig in Hochglanzmagazinen den Lifestyle der Superreichen bezeugten.
Russell erreichte das überdachte Eingangsportal des Anwesens und drehte sich um. Die Medien würden schnell Wind davon bekommen, dass er es gekauft hatte. Übernahmen der Spitzenklasse machten Schlagzeilen. Einen Moment erwog er, etwas zu tun, das er bisher verweigert hatte: einem Journalisten ein Interview zu gewähren, in der Hoffnung, Power würde es lesen und endlich begreifen, dass Russell McClain von McClain Immobilien der Junge war, der ihm vor Jahren Rache geschworen hatte.
Zeitvergeudung!, entschied Russell und schob den Schlüssel ins Messingschloss des doppelten Eingangsportals. Power würde ihn doch nicht wiedererkennen. Einmal waren sie sich bereits wiederbegegnet – wegen eines Immobiliengeschäfts –, aber der Mann hatte keine Miene verzogen. Menschen ohne Gewissen erinnerten sich nicht lange an ihre Opfer. Vermutlich, weil es zu viele waren.
Der kaltblütige Unmensch!
Als Russell die schweren Türen aufdrückte und die weitläufige Eingangshalle betrat, hörte er seltsame Geräusche.
Gesang.
Überrascht blieb er stehen und lauschte.
Ja. Oben sang jemand. Eine Frau.
Stirnrunzelnd überlegte Russell. War das ein Radio, das jemand vom Reinigungsdienst versehentlich eingeschaltet gelassen hatte, den die Bank gestern vorbeigeschickt hatte? Nein. Das war kein Radio. Da war nur die Frauenstimme. Keine Hintergrundmusik. Jemand, der kein Recht dazu hatte, hielt sich im Haus auf. Und die Frau musste oben sein.
Nun wusste Russell Bescheid.
Hausbesetzer.
Derartige Situationen kannte er.
Erstaunlich, wie oft solche Leute sich einfach in unbewohnten Häusern einquartierten, sogar in Luxusanwesen wie diesem. Egal, ob sie gesichert waren und wie viele Schlösser sie hatten, die gewieften Typen von der Straße fanden unweigerlich eine Möglichkeit, sich Zutritt zu verschaffen.
Russell legte sich zurecht, wie er vorgehen wollte, während er über die Treppe leise nach oben stieg.
Oft taten sich ganze Gruppen zusammen, meist Drogensüchtige. Seltener war es jemand auf der Flucht, der einen Schlafplatz suchte. Oder eine Dusche.
Hier dürfte eher Letzteres der Fall sein.
Als Russell den Treppenabsatz zum ersten Geschoss erreichte, hörte er schwaches Wasserrauschen – und das Singen. Die Frau schien tatsächlich zu duschen. Vorsichtig bewegte er sich über den breiten teppichbelegten Gang auf die Tür vor sich zu. Dann drehte er langsam den Knauf und spähte ins Duschbad.
Hier war sie nicht.
Kopfschüttelnd sah Russell sich im nächsten Raum um. Das musste das Hauptschlafzimmer sein. Hier hatte Power wirklich nicht gespart. Selbst wenn die französische Einrichtung nur imitiert sein sollte, dürfte sie ein Vermögen gekostet haben. Ebenso der kinogroße, in die Wand eingelassene Fernsehmonitor gegenüber dem Fußende des Bettes.
Erstaunt überlegte Russel. Zwanzig Millionen waren ein Schnäppchen für dieses palastähnliche Anwesen. Allein die Einrichtung musste ein Vermögenwert sein. Es dürfte dem Ganoven ziemlich wehgetan haben, sich von diesem Besitz zu trennen.
Hoffentlich!
Ein Jammer, dass Power vielleicht nie erfahren würde, wer seinen Prunkbesitz gekauft hatte. Noch mehr fuchste es Russell, dass er sich nie auf persönlichere Wei se würde an dem Mann rächen können.
Aber vielleicht schaffte er es irgendwie, sich Genugtuung zu verschaffen, nachdem er ins Haus eingezogen war. Und das gedachte er gleich morgen zu tun.
Doch erst musste er den ungebetenen Eindringling rauswerfen.
Russell schloss die Schlafzimmertür, bewegte sich geräuschlos nach links den Korridor entlang und spähte in den nächsten Raum.
Wieder ein Schlafzimmer. Sehr hübsch, sehr weiblich.
Das riesige Bett war benutzt, die goldene Seidensteppdecke zurückgeschlagen, die Kissen wirkten zerwühlt.
Hier wurden die Geräusche von laufendem Wasser eindeutig lauter, doch das Singen hatte unvermittelt aufgehört. Lautlos durchquerte Russell den Raum, dabei bemerkte er das achtlos auf den Boden geworfene Häufchen billiger Kleidungsstücke neben dem Bett.
Kopfschüttelnd betrachtete er es. Die Frau hatte Nerven!
Als er die Tür erreichte, hinter der das Badezimmer liegen musste, erwog er, ob er erst anklopfen sollte, dann beschloss er, die freche Einbrecherin ohne Vorwarnung zu stellen.
Ihr Pech, wenn sie splitternackt ist, dachte er wütend und griff nach dem Türknauf. Hausbesetzer verdienten weder Rücksicht noch Respekt.
Ohne an mögliche Folgen seines Handelns zu denken, drehte Russell den Knauf und stieß die Tür auf.
Sie war tatsächlich nackt – eine Frau mit einem Körper, der einem Mann den Atem stocken ließ: groß und schlank, endlos lange Beine, makellose Brüste, knackiger kleiner Po.
Sie bemerkte Russel nicht, der gebannt an der Tür stehen blieb, hielt die Augen fest geschlossen und wusch sich hingebungsvoll das lange blonde Haar.
Er rührte sich nicht, versuchte nicht, sich bemerkbar zu machen. Der Anblick hielt ihn völlig gefangen, obwohl es nicht seine Art war, Frauen heimlich zu beobachten oder sich an Playboyfotos zu erregen.
Doch jetzt war er mehr als erregt und erlag verbotenen Fantasien.
Vielleicht war er zu lange ohne Frau gewesen …
Im Allgemeinen war ihn sein vorwiegend mönchisches Leben nicht besonders hart angekommen. Seine Arbeit rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche nahm ihn fast ganz in Anspruch, und höchstens einmal im Monat begehrten seine männlichen Hormone auf.
Obwohl er kein schöner Mann im klassischen Sinn war, flogen Frauen auf ihn, erst recht in der richtigen Umgebung. In den Nachtklubs von Sydney tummelten sich mehr als genug junge, willige Schönheiten, die sich nur zu gern von ihm erobern ließen –, erst auf der Tanzfläche und dann im Bett.
Sicher hatten manche dieser Mädchen sich mehr erhofft als eine flüchtige heiße Affäre, wie sie Russell vorschwebte, doch er hatte stets von Anfang an klargestellt, dass eine dauerhafte Beziehung für ihn nicht infrage kam.
Und das stimmte. Engere Bindungen waren nichts für ihn, und dabei würde es bleiben. Nach dem Tod seines Vaters war er innerlich wie erstarrt, lieben oder vertrauen konnte er einfach nicht mehr. Sein Herz war wie versteinert.
Doch in diesem Moment wurde auch ein anderer Körperteil verräterisch hart.
Gebannt, innerlich zerrissen blickte er auf die nackte Nymphe unter der Dusche. Die Versuchung war groß!
Als sie die Hände hob, um sich das eingeschäumte Haar aus der Stirn zu streichen, und ihr Gesicht dem Duschstrahl entgegenhob, bewegte sie sich leicht nach links und rechts.
Nun hatte Russell Gelegenheit, auch ihr Gesicht zu betrachten. Sie war wunderschön, besaß zarte Züge und makellose Haut. Die Augen konnte er auch jetzt nicht sehen, weil das venusgleiche Geschöpf sie weiter geschlossen hielt. Aber eigentlich war es undenkbar, dass Mutter Natur so ein herrliches Wesen mit hässlichen Augen geschaffen hatte.
Nein, die Augen dieser Frau mussten so vollkommen sein wie alles andere an ihr.
Doch sobald die Schöne sie öffnete und ihn entdeckte, würde die Hölle los sein. Vielleicht würde sie sogar entsetzt zu schreien beginnen.
Ich hätte die Polizei rufen und hier nicht einfach hereinplatzen dürfen, wurde Russell reichlich spät bewusst.
Aus Erfahrung wusste er, dass Hausbesetzer und Flüchtige höchst unberechenbar sein konnten. Wenn er jetzt die Polizei rief, konnte die junge Frau eine Geschichte erfinden, vielleicht sogar behaupten, er hätte sie hergelockt … oder vergewaltigt. Und so wie dieses Geschöpf aussah, würde man ihm möglicherweise glauben.
Russell tat das unter den Umständen einzige Ratsame. Vorsichtig wich er zurück, verließ das Bad und zog die Tür lautlos hinter sich zu. Draußen wartete er, bis die Dusche abgedreht wurde und ließ genug Zeit verstreichen, damit die Venus sich abtrocknen und ankleiden konnte.
Dann tat er das Richtige.
Er klopfte an.
„Wer ist da?“, hörte er sie rufen.
„Das Gleiche könnte ich Sie fragen“, forderte er sie heraus. „Wer sind Sie?“
„Nicole Power.“
„Wer?“ Hatte er richtig gehört? Das durfte nicht wahr sein! Hatte sie wirklich behauptet, Nicole Power zu sein?
„Nicole Power“, wiederholte sie.
Russell war so schockiert, dass er kein Wort hervorbrachte.
Nicole Power! Ausgerechnet sie!
Er hatte sie nicht erkannt. Schon gar nicht nackt und mit geschlossenen Augen!
Am schlimmsten war, dass er sie bewunderte. Nein, das war glatt untertrieben. Er begehrte sie so heftig wie noch nie ein weibliches Wesen!
Einen Moment lang hatte er sie im Bad für eine Obdachlose auf der Flucht gehalten und erwogen, ihr ein Angebot zu machen, das so unmoralisch wie gefährlich und erregend war.
„Sie können bleiben“, hatte er ihr anbieten wollen. „Aber Sie müssen ins Hauptschlafzimmer umziehen und dürfen Ihren herrlichen Körper nie bekleiden.“
Doch unvermittelt beflügelte ihn unerklärliche Wut. „Wissen Sie nicht, dass dieser Besitz nicht mehr Ihrem Vater gehört?“, fragte er schneidend. „Sie haben kein Recht, hier zu sein. Nicht das geringste.“ Und kein Recht, mich dazu zu bringen, Sie zu begehren!
„Hören Sie, ich kann Ihnen alles erklären.“ Ihre Stimme war so melodiös wie ihr Gesang. „Aber durch die geschlossene Tür können wir uns schlecht unterhalten.“
„Dann kommen Sie raus und erklären Sie“, forderte Russell schroff.
„Das geht nicht, ich habe meine Kleidung nicht dabei. Und in ein Handtuch gehüllt komme ich nicht raus!“ Ironisch lächelte er. Wenn sie wüsste, dass er sie in sehr viel weniger gesehen hatte!
Kein Wunder, dass er sie nicht erkannt hatte. Schließlich war er Powers Tochter noch nie persönlich begegnet. Er hatte sie nur einige Male im Fernsehen gesehen, als Gastgeberin ihrer endlosen Geburtstagspartys. Einundzwanzig Jahre lang hatte sie in unermesslichem Luxus gelebt. Die Party zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag vor wenigen Jahren war so sündhaft teuer gewesen, dass sie auf allen Fernsehkanälen ausgestrahlt wurde. Aber zugegeben, in letzter Zeit hatte er eigentlich nichts mehr von Nicole Power gehört. Er erinnerte sich nur, sie vor sechs Monaten bei der Premiere eines Films in atemberaubender Abendrobe mit Glamourfrisur über den roten Teppich schweben gesehen zu haben.
Stets hatte er sie für ein Luxusgeschöpf gehalten, das seit dem ersten Tag seines Lebens schamlos verwöhnt worden war. Zynisch hatte er auch ihre Schönheit für künstlich gehalten, besonders das lange blonde Haar. Das Produkt eines erstklassigen Schönheitschirurgen und eines Starstylisten.
Jetzt wusste er: Sie war eine natürliche Schönheit, eine echte Blondine –, vor allem, nachdem er einen Blick auf das kleine blonde Lockendreieck zwischen ihren Beinen erhascht hatte.
Teufel noch mal! Er musste aufhören, an solche Dinge zu denken.
„Wie wär’s, wenn wir uns in zehn Minuten unten treffen?“, schlug sie vor.
Ein vernünftiger Vor schlag, aber irgendwie gefiel er Russell nicht. Die ganze Situation gefiel ihm nicht.
„Sagen wir, in fünf“, bestimmte er scharf, drehte sich um und ging.
Nicole presste die Lippen zusammen. Im ersten Moment war sie verlegen gewesen, doch jetzt begehrte ihr Stolz auf. Natürlich hatte sie kein Recht mehr, hier zu sein, aber deshalb brauchte der Mann sich noch lange nicht so arrogant zu verhalten. Er hätte sie wirklich nicht wie eine Kriminelle behandeln müssen, schon gar nicht, nachdem er erfahren hatte, wer sie war.
Nicole seufzte. Hätte sie ihn wenigstens gefragt, wer er war.
Ein Wachmann?
So hatte er sich jedenfalls aufgeführt. Ein Gentleman war er nicht!
Vorsichtig spähte sie ins Schlafzimmer. Er war gegangen. Jetzt galt es, etwas zum Anziehen zu finden. Wickelrock und Top, die sie im Flugzeug getragen hatte, kamen nicht infrage. Und auch nichts von der zerknitterten Kleidung in ihrem Rucksack.
Am besten, sie suchte sich etwas aus der Garderobe heraus, die sie hier zurückgelassen hatte.
In ihrer weitläufigen Kleiderkammer bot sich ihr eine reiche Auswahl. Kopfschüttelnd stellte Nicole fest, dass an einigen Teilen noch die Preisschilder hingen. Alle trugen Designeretiketten. Die meisten Stücke stammten aus ihrer Glamourzeit. Nicht gerade das, was sie jetzt trug.
Jeans tun’s auch, entschied sie. Jeans und ein einfaches schwarzes T-Shirt.
Beides waren ebenfalls Designerteile, aber wenigstens sah man es ihnen nicht an.
Die Fünfminutenfrist war fast um, als Nicole annehmbare Unterwäsche gefunden hatte und sich ankleidete. Sie musste sich beeilen, denn sie konnte es sich nicht leisten, den Mann zu verprellen, der unten auf sie wartete. Jetzt fehlte gerade noch, dass er sie rauswarf, ehe sie an sich genommen hatte, weshalb sie nach Sydney geflogen war.
Nicole wand sich das feuchte Haar auf dem Kopf zu einem lockeren Knoten und war wütend auf sich selbst. Warum hatte sie nicht gleich morgens nach der Ankunft alles Erforderliche gepackt? Dann wäre sie längst fort. Doch nach der Landung ihrer Maschine in Mascot kurz nach sechs Uhr früh war sie völlig erschöpft gewesen. Wegen eines ständig schreienden Babys auf dem Sitz hinter ihr hatte sie die ganze Nacht über kein Auge zugetan. Als sie das verlassene Haus schließlich aufgeschlossen hatte – nicht mal ein Verkaufsschild war draußen aufgestellt! –, hatte die Müdigkeit sie übermannt. Kurz entschlossen hatte sie sich ausgezogen und war sofort in das Bett geschlüpft, in dem sie seit ihrem neunten Lebensjahr geschlafen hatte. Auf den Gedanken, jemand könnte hier eindringen und sie entdecken, war sie überhaupt nicht gekommen.
Jetzt befand sie sich in der verrückten Lage, den unfreundlichen Kerl, der unten wartete, um einen Gefallen bitten zu müssen. Ihr Name, der ihr bisher Tür und Tor geöffnet hatte, würde ihr jetzt nicht mehr helfen. Inzwischen dürfte der Name Power in und um Sydney höchstens noch Spott ernten.
Seufzend schob sie die nackten Füße in schwarze Slipper und ging zur Tür.
Nicole hörte den Fremden, ehe sie ihn sah. Seine Schritte hallten im Haus wider, während er in der marmorgefliesten Eingangshalle ungeduldig auf und ab ging. Als Nicole sich dem Absatz näherte, der zu der geschwungenen Treppe führte, versuchte sie, sich den neuen Besitzer des Anwesens vorzustellen – Mitte fünfzig, füllig, Machtkomplex. Der Anblick des großen dunkelhaarigen athletisch gebauten Fremden Mitte dreißig überraschte sie ebenso wie seine Kleidung.
Teure Garderobe machte auf Nicole längst keinen Eindruck mehr, aber Spitzenqualität erkannte sie auf einen Blick. Der dunkelblaue maßgeschneiderte Anzug des Mannes war eindeutig nicht von der Stange, das einreihige Jackett war leicht tailliert, die Schulterpartie saß wie angegossen und schien tatsächlich ungepolstert zu sein.
Nachdenklich schritt Nicole die Stufen hinunter. Männer in solchen Anzügen waren selten Sportler. David hatte in allen Anzügen eine beachtliche Figur abgegeben, ausgezogen jedoch nicht mehr ganz so eindrucksvoll gewirkt.
Sie verzog das Gesicht. Vergleiche dieser Art stellte sie in letzter Zeit öfter an. Sie suchte förmlich nach Fehlern an ihrem Exverlobten. Dabei hatte sie ihn einmal fantastisch gefunden. Jetzt verstand sie nicht mehr, warum.
Unvermittelt blieb der Mann stehen und blickte zu ihr herauf.
Zum ersten Mal in den letzten vier Monaten war Nicole dankbar, dass ihr Stiefvater ihr einst einen Modelkurs spendiert hatte, bei dem sie unter anderem Selbstbeherrschung und Haltung unter allen Umständen gelernt hatte.
Bisher hatte sie darauf nicht zurückgreifen müssen, erst jetzt, in dem Moment, als der Blick des Fremden sie traf.
Er hatte unglaubliche eisblaue Augen.
Doch es war nicht die Farbe seiner Augen, die sie durcheinanderbrachte, sondern ihr eiskalter Ausdruck.
Für den Bruchteil einer Sekunde hielt sie inne, dann stieg sie lächelnd weiter die Treppe hinunter und tat so, als würde sie nicht merken, wie feindselig der Fremde sie ansah. Gleichzeitig fragte sie sich, wer er sein mochte und was er gegen sie hatte.
Im ersten Moment hatte sein teurer Anzug sie vermuten lassen, er wäre von der Bank, die das Anwesen beschlagnahmt hatte. Doch nachdem sie ihn jetzt genauer betrachten konnte, verwarf sie diese Möglichkeit.
Wie ein Bankier sah er eigentlich nicht aus. Dafür trug er das wellige dichte dunkle Haar etwas zu lang. Auch seine markigen Züge wirkten entschieden zu kühn. Wenn sie sich nicht irrte, war seine Nase irgendwann gebrochen worden, und sein kantiges Kinn zeigte einen schwachen Bartschatten.
Weniger elegant gekleidet, hätte er einen Beruf ausüben können, der harten körperlichen Einsatz erforderte, möglicherweise sogar gefährlich war.
Preisboxer? Pirat?
„Tut mir leid, dass ich Sie warten lassen musste“, entschuldigte Nicole sich höflich, als sie die unterste Treppenstufe erreichte.
Fast hätte Russell laut gelacht. Ihr tat gar nichts leid.
Frauen wie sie glaubten, die Welt läge ihnen zu Füßen. Reich und schön zu sein, war eine unwiderstehliche Kombination. Doch nachdem die finanzielle Lage ihres liebenden Vaters sich radikal verschlechtert hatte, würde sie sich jetzt eher über Schönheit verkaufen müssen.
Es ärgerte Russell, dass er sie angezogen immer noch so attraktiv fand, obwohl er den Anblick der nackten Venus nicht vergessen konnte. Und es störte ihn ebenso, dass sie auch ohne das übliche künstliche Beiwerk der reichen Schönen fantastisch aussah.
Nicht der kleinste Hauch Make-up korrigierte ihr ebenmäßiges Gesicht oder die ausdrucksvollen tiefgrünen Augen.
Hatte er nicht gewusst, dass sie wunderschön war?
Aber natürlich … sie hatte die Augen ihrer Mutter geerbt.
Schweigend betrachtete Russell sie, um festzustellen, was sie von ihrem Vater hatte –, außer dem unerschütterlichen Selbstbewusstsein.
„Und wer sind Sie?“, fragte sie kühl und reichte ihm die Hand.
„McClain“, erwiderte er schroff und wappnete sich, während er ihre Finger kurz drückte. Diese Frau in irgendeiner Wei se zu berühren, konnte gefährlich werden. Also beschränkte er sich auf den flüchtigen Kontakt. „Russell McClain.“
„Der Name kommt mir bekannt vor“, bemerkte sie nachdenklich. „Sind wir uns schon irgendwo begegnet?“
„Nein.“
„Das glaube ich auch nicht“, überlegte sie laut. „Aber …“ Unvermittelt lächelte sie auf eine Art, die Russell ans Herz ging.
„Jetzt weiß ich, wer Sie sind“, erklärte sie bestimmt. „Sie sind der McClain von dem überall in Sydney Immobilienschilder stehen. Sie sind der Immobilien-McClain.“
„Ja, das bin ich“, gab er zu.
„Man hat Sie also beauftragt, diesen Besitz zu verkaufen.“
„Nein.“
Nun wirkte sie verunsichert. „Das verstehe ich nicht. Wenn Sie nicht als Immobilienmakler hier sind … was wollen Sie dann?“
Er lächelte und freute sich auf den Augenblick seines Triumphs. „Ich bin nicht hier, um den Besitz zu verkaufen, Ms Power, sondern um hier einzuziehen. Seit einer Stunde gehört er mir – mit allem Inventar.“
Wieder war es ihm nicht vergönnt, seinen Triumph auszukosten. Nicole Power wirkte keineswegs entsetzt. Nur überrascht.
„Meine Güte! Das ging aber schnell. Haben Sie ihn als Schnäppchen ergattert?“
„Ich habe den Marktpreis bezahlt“, erwiderte er etwas steif. Wieso regte sie sich überhaupt nicht auf?
Die Antwort lag auf der Hand. Sie wusste bereits, dass die Bank den Besitz beschlagnahmt und umgehend an den höchsten Bieter verschachert hatte. Wie so? Weil sie immer noch Kontakt zu ihrem liebenden Vater hatte?
„Mm“, sagte sie ruhig. „Ich hatte gedacht, die Bank würde ihn versteigern. Aber dieses Kapitel ist ja nun wohl abgeschlossen. Ich möchte hier nur meine persönlichen Sachen abholen.“
„Warum haben Sie es nicht schon vorher getan?“, fragte Russell.
„Das hätte ich wohl, wenn ich gewusst hätte, was hier los ist. Aber das tat ich nicht. In den letzten Monaten war ich verreist. Als meine Mutter mich anrief und mir die Sachlage schilderte, habe ich die nächste Maschine hierher genommen. Glauben Sie mir, ich hatte keine Ahnung, dass es Probleme geben könnte. Eigentlich hatte ich mich hier auch nicht so lange aufhalten wollen, aber nach dem Flug war ich so müde, dass ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, mich erst mal aufs Ohr zu legen.“
„Ich verstehe“, erwiderte Russell steif. Jetzt wusste er, warum die Medien in letzter Zeit nichts mehr von ihr gebracht hatten. Sie war im Ausland gewesen. Wahrscheinlich auf den Spielplätzen der Reichen und Berühmten: St. Moritz, französische Riviera, griechische Inseln? Ihre Haut war zart gebräunt, also dürfte sie sich an sonnigen Gestaden aufgehalten haben.
„Hören Sie, es dauert nicht lange, bis ich alles Nötige gepackt habe“, fuhr sie eilig fort. „Und ich verspreche Ihnen, nichts mitzunehmen, was mir nicht persönlich gehört. Das Tafelsilber ist vor mir sicher“, versprach sie mit einem Lächeln, das ihm unter die Haut ging.
Teufel noch mal! Etwas an dieser Frau machte ihn wahnsinnig!
Russell wollte sie hassen, aber das fiel ihm immer schwerer.
Er musste sie härter anfassen.
„Offenbar besitzen Sie noch einen Satz Schlüssel für das Haus“, hielt er ihr scharf vor.
„Ich verspreche Ihnen, sie hier zu lassen, wenn ich gehe. Wir könnten ein Versteck vereinbaren.“
„Nein, das möchte ich nicht, Ms Power. Ich bleibe, bis Sie gehen. Dann können Sie mir die Schüssel persönlich aushändigen.“
Sie zuckte die Schultern, zum ersten Mal wirkte sie leicht gereizt. „Wenn Sie darauf bestehen.“
„Ja, ich bestehe darauf.“
„Das Ganze könnte aber eine Weile dauern“, gab sie zu bedenken. „Erst muss ich nämlich eine Freundin anrufen, damit sie mit ihrem Wagen herkommt. Ich habe ziemlich viel Kleidung und nur zwei Koffer.“
„Geht in Ordnung. Ich warte.“
Sie presste die Lippen zusammen. „Sie benehmen sich lächerlich, finden Sie nicht?“
„Ich bin nur vorsichtig.“
„Aber ich will doch nur, was mir rechtmäßig gehört.“
„Ich auch. Dafür habe ich zwanzig Millionen Dollar bezahlt.“
„Zwanzig Millionen! Donnerwetter! Und ich hielt Sie für einen gierigen Schnäppchenjäger.“
Die Bemerkung saß. Russell richtete sich zu seiner vollen Größe von einem Meter neunzig auf. „Es ist nicht meine Art, die Notlage anderer auszunutzen.“
„Dann sollten Sie meine Lage auch verstehen und sich etwas entgegenkommender zeigen“, hielt sie ihm vor. „Sie werden ja wohl nicht in dieser Minute hier einziehen?“
„Nein.“
„Wo liegt dann das Problem?“ Mit ihren faszinierenden grünen Augen sah sie ihn herausfordernd an. „Haben Sie Angst, ich könnte das Haus ausräumen?“
„Ich habe keine Ahnung, was Sie tun könnten, Ms Power. Schließlich kenne ich Sie nicht.“
Seufzend stemmte sie die Hände in die Hüften. „Was haben Sie dann gegen mich?“
„Nichts“, log er.
„Ha! Ich merke sofort, wenn jemand mich nicht mag. Und Sie mögen mich nicht, Mr. McClain.“
„Das bilden Sie sich nur ein“, widersprach er.
„Falls das stimmen sollte, frage ich mich, wie Sie in Ihrem Beruf Erfolg haben. Ich dachte immer, Immobilienverkäufer hätten Charme. Ihren scheinen Sie jedoch an der Haustür abgelegt zu haben.“
Russell lächelte ironisch. „So? Aber ich will doch gar nichts verkaufen, Ms Power.“
„Meine Güte, nennen Sie mich Nicole.“
„Wenn Sie darauf bestehen.“
„Ich bestehe darauf.“ Sie ließ die Hände sinken und seufzte. „Hören Sie, ich begreife ja, dass Sie überrascht waren, jemanden in Ihrem neuen Haus vorzufinden, erst recht, da Sie mich nicht einmal kannten. Immerhin wussten Sie ja nicht, wer ich bin.“
„Nein.“ Im Geist sah Russel sie nackt unter der Dusche vor sich. Auch sein Körper erinnerte sich daran.
Er räusperte sich und knöpfte sich das Jackett zu. „Ich hielt Sie für eine Hausbesetzerin“, gab er zu.
„Und nachdem Sie herausgefunden hatten, dass ich es nicht bin?“
„Wie meinen Sie das?“
„Da waren Sie auch nicht glücklich. Als ich die Treppe herunterkam, haben Sie mich angesehen, als wäre ich eine Art lästiges Ungeziefer.“
Weil ich Sie begehre. Nackt. Unter mir. Endlos.
Das tue ich immer noch.
Russel war so erregt, dass er es nicht mehr aushielt. Er musste hier raus, und zwar schnell!
„Das bilden Sie sich nur ein“, wiederholte er. „Aber in einem Punkt haben Sie recht.“ Er setzte sein gewinnendstes Lächeln auf, das bei seinen Kundinnen stets Wunder bewirkte. „Ich habe mich lächerlich aufgeführt. Also bitte … packen Sie in aller Ruhe und bleiben Sie notfalls noch eine Nacht hier. Die Schlüssel können Sie morgen jederzeit in der Bondi-Niederlassung von McClain-Immobilien abgeben.“
Sein unerwarteter Gesinnungswechsel schien sie zu überraschen.
Russel nutzte ihre Sprachlosigkeit, um sich zu verabschieden.
„Auf Wiedersehen, Nicole“, sagte er und nickte leicht. „Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen.“
„Ich weiß immer noch nicht, was ihn dazu gebracht hat, es sich anders zu überlegen. Vermutlich irgendetwas, das ich gesagt oder getan habe“, erklärte Nicole ihrer Freundin am nächsten Tag um elf Uhr vormittags, während sie eine weitere Ladung Kleider zu Karas Wagen schleppten.
Nicole hatte Russell McClains Angebot dann doch angenommen, noch eine Nacht im Herrenhaus zu verbringen.
„In Sekundenschnelle schaltete er von feinselig auf hilfreich“, fuhr sie fort. „Und zum Schluss sagte er, es sei ihm ein Vergnügen, mich kennengelernt zu haben. Glaube mir, in meinem ganzen Leben war ich noch nie so durcheinander.“
Kara warf ihr einen wissenden Blick zu. „Er gefällt dir, stimmt’s?“
„Mach keine Witze! Er war der unhöflichste Mann, der mir je begegnet ist.“
„Klar.“ Kara ließ sich nicht beirren. „Er gefällt dir.“
Leicht gereizt seufzte Nicole. „Das kann ich mir nicht leisten.“ Aber Kara hatte recht. Trotz seiner aggressiven Art hatte Russell McClain ihr sogar sehr gefallen. Vielleicht fühlte sie sich unbewusst zu dunkelhaarigen, gefährlichen Männern hingezogen – gefährlichen, unnahbaren mit kalten Augen.
Verrückt!
„War er sehr attraktiv?“, fragte Kara, als sie zum x-ten Mal wieder die Stufen nach oben erklommen.
„Du hättest ihn vielleicht nicht attraktiv gefunden“, erklärte Nicole ihrer kleinen, leicht molligen Freundin, die eher auf schöne Männer stand. „Für deinen Geschmack wäre er viel zu groß und machohaft.“
„Wie, sagst du, heißt er?“
„Russell McClain. Von der berühmten Immobilienagentur Mc-Clain.“
„Nie von ihm gehört. Aber du kennst mich ja – geschäftliche Dinge interessieren mich nicht.“
Eine glatte Untertreibung. Karas alteingesessene Familie war überaus vermögend und gehörte zur Spitze der Gesellschaft von Sydney. Da musste Kara natürlich nicht arbeiten – und tat es auch nicht. Jetzt kamen Nicole die Wohltätigkeitsessen und Partys, der ganze Lebensstil ihrer besten Freundin ebenso so oberflächlich und schal vor wie ihre eigenen, die eine Ewigkeit zurückzuliegen schienen. Dennoch hing sie sehr an Kara, die ein gutes Herz besaß und niemandem absichtlich wehtun würde.
Im Gegensatz zu gewissen gut betuchten Leuten …
„Dieser McClain scheint ganz offensichtlich Geld zu haben“, bemerkte Kara nachdenklich. „Zwanzig Millionen hat er für das Anwesen bezahlt, sagst du?“
„Richtig.“
„Da hättest du netter zu ihm sein sollen.“
„Ich war nett zu ihm“, widersprach Nicole. „Jedenfalls, bis er mir unmissverständlich zu verstehen gab, dass er mich aus irgendeinem idiotischen Grund nicht mag. Meine Güte, was will ich eigentlich mit all diesen Klamotten?“, fragte sie sich, als sie erneut vor der großen Kleiderkammer standen. „Ich weiß, ich wollte dem Mann nichts dalassen, damit er es wegwerfen kann, aber das hier ist einfach verrückt. Die meisten von diesen Sachen ziehe ich sowieso nie mehr an. Und die hier schon gar nicht“, setzte sie entschlossen hinzu und nahm einen Armvoll Abendkleider auf.
„Ich verstehe dich nicht.“ Kara streifte die drei letzten Glamourroben von den Bügeln. „Die sind doch alle toll! Ich finde, mit deinem neuen sozialen Gewissenstick gehst du ein bisschen weit, meine liebe Nickie. Du musst nicht wie ein Hippie herumlaufen, um in der Welt Gutes zu tun. Und noch weniger solltest du deinen gesamten kostbaren Schmuck zu Geld machen –, der übrigens heute Morgen angekommen ist. Du musst doch wissen, dass du dafür höchstens die Hälfte seines Wertes bekommst. Was du brauchst“, fuhr sie fort, während sie wieder nach unten stiegen, „ist ein schwerreicher Ehemann, der dir unbegrenzt Kreditkarten aushändigt und es großzügig dir überlässt, sein Geld unter die Leute zu bringen.“
„Während er seinen eigenen Neigungen nachgeht“, warf Nicole ironisch ein. „Ein schwerreicher Mann ist der Letzte, den ich heiraten würde.“
„Megan tut’s.“
Nicole blieb vor der Hautür stehen und warf ihrer Freundin einen verständnislosen Blick zu. „Welche Megan?“
„Megan Donnelly. Sicher erinnerst du dich an sie. Sie war in der Schule eine Klasse unter dir.“
Kara und Nicole hatten ein exklusives Mädcheninternat besucht, das nur die ganz Reichen sich leisten konnten.
„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, wie Megan aussah“, gestand Nicole.
„Eine hübsche Brünette mit großen brauen Augen“, versuchte ihre Freundin ihr auf die Sprünge zu helfen. „Sie war immer sehr schüchtern.“
„Ach ja, jetzt weiß ich’s. Megan konnte gut malen, stimmt’s? Alle unsere Schulplakate stammten von ihr.“
„Richtig. Das ist sie.“
„Und wen heiratet sie?“
„James Logan.“
Überrascht zog Nicole die Brauen hoch. James Logan war ein bekannter Playboy und Besitzer von Images, Sydneys größer Werbe- und Marketingagentur. Auf Gesellschaften war sie ihm einige Male begegnet, und obwohl er sehr charmant war und blendend aussah, hatte er etwas an sich, das sie nicht mochte.
„Er war doch schon mal verheiratet, nicht?“, fragte sie, während sie die letzten Stufen zum Wagen hinuntergingen. „Mit dem Model Jackie sowieso. Bei Namen bin ich einfach schrecklich.“
„Ja. Mit Jackie Foster. Vor zwei Jahren wurden sie geschieden. Er muss ihr eine enorme Abfindung gezahlt haben, denn sie arbeitet nicht mehr als Model. Es heißt, sie besäße ein Haus in Acapulco und lebe dort mit einem neuen Partner. Frauen wie sie bleiben nie lange allein“, schloss Kara ironisch.
„Oder Männer wie James Logan“, setzte Nicole trocken hinzu.
„Wie wahr.“
„Möchte wissen, was er an Megan findet.“ Seufzend legte Nicole die Abendkleider oben auf den Haufen, der sich bereits auf dem Rücksitz des Wagens türmte.
„Wer weiß?“ Kara zuckte die Schultern. „Aber man nennt ihn nicht umsonst den Erneuerer. Ich könnte mir vorstellen, dass am Samstagnachmittag eine völlig neue Megan den Kirchengang hinunterschwebt. Jetzt kann ich es kaum erwarten, zu sehen, wie sie aussieht. So, das wäre wohl alles.“ Aufatmend schlug sie die Wagentür zu.
„Das hoffe ich. Wie kommt es übrigens, dass Megan dich zur Hochzeit eingeladen hat?“, fragte Nicole. „Ihr wart doch eigentlich nicht befreundet.“
„Ihre Mum und meine Mum spielen zusammen Bridge. Hör mal, Nickie, möchtest du nicht auch zur Hochzeit kommen? Zufällig weiß ich, dass zwei Leute in letzter Minute abgesagt haben, worüber die Brautmutter sehr verärgert war. Ich könnte dir leicht eine Einladung verschaffen.“
„Lieber nicht, Kara.“
„Ach komm schon, gib dir ’nen Ruck. Meine ganze Familie geht hin. Bis Samstag wolltest du doch sowieso bei uns bleiben, oder?“
Nicole wollte sich Karas Eltern nicht aufdrängen und so schnell wie möglich nach Thailand zurückkehren. Andererseits würde es einige Zeit dauern, bis sie ihren Schmuck verkauft hatte, wenn sie einen annehmbaren Preis dafür erzielen wollte.
Beim Gedanken an ihren Schmuck kam ihr eine neue Idee. Warum nicht auch einen Großteil ihrer nutzlosen Garderobe zu Geld machen? In Double Bay gab es einen anspruchsvollen Secondhandshop, der Designerkleidung und Accessoires aufkaufte, vor allem ungetragene oder kaum getragene Stücke. Jahrelang war Nicoles Mutter dort Stammkundin gewesen, nachdem sie sich in den Snobtick hineingesteigert hatte, kein Stück zweimal zu tragen.
„Nun?“, machte Kara sich bemerkbar. „Bedeutet diese Miene Ja oder Nein?“
„Ja.“ Nicoles Entschluss war gefasst. „Wenn du sicher bist, dass deine Mum nichts dagegen hat.“ Als sie Kara am Morgen angerufen hatte, war ihr der Gedanke gekommen, die Familie ihrer Freundin könnte möglicherweise nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Immerhin war sie nun die Tochter eines geflüchteten Bankrotteurs, der viele wütende Leute zurückgelassen hatte.
„Na komm, jetzt redest du Unsinn! Natürlich hat meine Mum nichts dagegen. Sie findet dich prima. Also, das hätten wir. Du kommst mit zu Megans Hochzeit. Wenn’s für dich dort nichts anderes gibt, kannst du wenigstens mal wieder richtig schlemmen. Du siehst aus, als hättest du es lange nicht mehr getan. Und wer weiß? Vielleicht läuft dir dort ein atemberaubender Mann über den Weg, der dafür sorgt, dass du eine Weile in Sydney bleibst. Ehrlich gesagt, hast du mir gefehlt, Liebes. Ohne deine Lebensfreude war hier in Sydney nichts mehr wie früher.“
Nicole schnitt ein Gesicht. „Die Lebensfreude ist mir im Juni vergangen.“
„Dann wird es höchste Zeit, dass du sie wiederfindest. Bei Megans Hochzeit.“
„Ich weiß nicht, ob ich in der richtigen Stimmung für eine Hochzeit bin. Aber ich komme mit … unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“
„Nachdem wir das Haus hier abgeschlossen haben, fährst du zur Niederlassung von McClain Immobilien in Bondi.“
„Warum denn das?“
„Ich soll dort meinen Schlüsselsatz für das Anwesen abgeben. Aber ich will nicht selbst reingehen. Würdest du das für mich tun? Ich will nicht Gefahr laufen, dem Mann erneut zu begegnen.“
Kara lächelte bedeutsam. „Feigling.“
„Du hättest dich nicht zu sorgen brauchen“, berichtete Kara ihrer Freundin eine halbe Stunde später. „Er war nicht da, spielt irgendwo Golf. Aber die Empfangsdame sagte, er hätte sie beauftragt, ihm sofort eine SMS zu schicken, wenn die Schlüssel abgegeben würden.“
„Und? Hat sie’s getan?“
„O ja. Auf der Stelle.“
„Kann ich mir vorstellen. Der Mann ist ein Tyrann. Hat er eine Nachricht zurückgeschickt?“
„So lange habe ich nicht gewartet.“
„Ach …“
„Dafür, dass du ihn nicht wiedersehen wolltest, scheinst du dich erstaunlich für ihn zu interessieren.“
„Ich will einfach nicht, dass er einen Grund findet, sich erneut mit mir in Verbindung zu setzen.“
„Wie könnte er, wenn er nicht einmal weiß, wo du in Sydney zu finden bist. Oder hast du ihm meinen Namen und meine Adresse gegeben?“
„Nein.“
„Dann brauchst du dich nicht zu sorgen. Die Chancen, dass Tyrann McClain dir in unserer Stadt wieder über den Weg läuft, sind gleich null.“
Russell las die SMS ohne sichtbare Reaktion. Dennoch spielte sein Magen verrückt, während er mit Hugh zum nächsten Abschlag schlenderte.
Bis jetzt hatte ihm das Golfspiel Spaß gemacht, ihn angenehm vom vergangenen Tag und seiner frustrierenden Begegnung mit Nicole Power abgelenkt. Außerdem lag er mit einem Schlag leicht in Führung, was selten vorkam. Er war ein guter Sportler, aber dem Golfspiel widmete er sich nicht genug, um Hugh ein ernst zu nehmender Gegner zu sein. Der Gute verbrachte mehr Zeit auf dem Golfplatz als er, Russell, am Schreibtisch.
Jetzt wünschte er jedoch, er hätte Barbara nicht gebeten, ihm eine SMS zu schicken, sobald die verflixten Schlüssel abgegeben wurden. Damit waren beunruhigende Erinnerungen wach geworden – und noch beunruhigendere Wünsche.
Dennoch war es klug gewesen, das Haus gestern schleunigst zu verlassen. Er hatte eine rastlose Nacht verbracht, und auch jetzt machten seine Hormone ihm wieder zu schaffen.
Wenn das so weiterging, lief er Gefahr, am Wochenende auf James’ Hochzeit ein williges weibliches Wesen aufzugabeln.
„Wusstest du, dass der gute Jimmy seine Megan gar nicht liebt?“, bemerkte Hugh, als Russell zum Schlag aufs zehnte Loch ausholte. „Er heiratet sie nur, weil sie schwanger ist.“
Russell hielt mitten in der Bewegung inne und warf Hugh einen gereizten Blick zu. „Wenn du mich ablenken willst, musst du dir etwas Besseres einfallen lassen, mein Junge. Alles das weiß ich doch längst.“
Er hätte sich denken können, dass Hugh die Entwicklung der Dinge gar nicht gefiel. Er, Jimmy und Russell waren seit der Schulzeit befreundet und kannten einander gut. Von dem Trio war Hugh bei weitem der Empfindsamste und Romantischste, obwohl sie in Sydney seit zehn Jahren als unverbesserliche Playboys bekannt waren.
„Er hat es also tatsächlich zugegeben?“, fragte Hugh entrüstet.
„Nein. Das brauchte er gar nicht. Hör mal, Hugh, wir wissen beide, dass Jimmy immer noch an Jackie hängt. Er heiratet Megan, um zu bekommen, was Jackie ihm nicht geben konnte: eine Familie.“
Damit hatte Russell keine Probleme. Manchmal musste ein Mann tun, was zu tun war.
„Hält er sich im Moment nicht geschäftlich im Ausland auf?“, fragte Hugh zweifelnd. „Er trifft sich doch hoffentlich nicht etwa mit dieser unmöglichen Frau?“
Hugh hatte Jackie nie gemocht. Für ihn war sie eine Person, die nur dem Geld nachjagte. Frauen dieser Art würde er auf den ersten Blick erkennen, behauptete er. Als Sohn und Erbe des Vermögens von Parkinson Media besaß er auf diesem Gebiet mehr als genug Erfahrung.
„Nicht, dass ich wüsste“, erwiderte Russell. Zutrauen würde er es seinem Freund jedoch durchaus. Seit seiner Scheidung legte James einen Abenteuergeist an den Tag, der sogar seinen ausstach.
Typisch dafür war die Heftigkeit, mit der James sich um Megan bemüht hatte … mit einer Leidenschaft, die Russell eine Weile getäuscht hatte. Doch kurz nach der offiziellen Verlobung mit Megan vor genau sechs Wochen – nachdem sie James gesagt hatte, sie sei schwanger –, war der Gute ganz plötzlich ins Ausland geflogen. Ohne seine liebende ahnungslose Verlobte. Erst morgen, einen Tag vor seiner Hochzeit, wollte er zurück sein.
Insgeheim hegte Russel den Verdacht, dass die Schwangerschaft geplant war. Nicht von Megan, sondern von James. Auf keinen Fall wollte er sich nochmal an eine Frau binden, die keine Kinder haben konnte – wie die bedauernswerte Jackie. Nachdem sie erfahren hatte, dass sie unfruchtbar war, hatte sie auf Scheidung bestanden und James’ Vorschläge einer künstlichen Befruchtung oder Adoption zurückgewiesen. Noch nie hatte Russell seinen Freund so verstört erlebt wie in jener Zeit.
Offen hatte James jedoch mit niemandem über seine Seelennöte gesprochen. Er war kein Mann, der sich zu persönlichen Problemen äußerte. Andererseits würde er sein Leben davon nicht beherrschen oder vergiften lassen.
Daher seine Hochzeit mit Megan. Sie gehörte zu den nettesten Mädchen, die Russell je begegnet waren.
„Dir kann es ja egal sein“, fuhr Hugh ein wenig hilflos fort. „Du bist nicht Jimmys Trauzeuge und brauchst keine Rede zu schwingen, wie es von mir erwartet wird. Wie soll ich mich hinstellen und Loblieder auf James’ Liebe zu Megan singen, obwohl ich weiß, dass er sie gar nicht liebt?“
„Könnten wir diese Unterhaltung aufschieben, bis ich abgeschlagen habe?“, Russel jagte den Golfball mit aller Kraft gut sechzig Meter über den Rasen, mindestens zwanzig Meter an Hughs Ball vorbei.
Sein Freund stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Was ist heute los mit dir, Russell? Spielt dein Testosteronspiegel verrückt, oder was ist?“
„Schon möglich.“ Wie der dachte Russell an die blonde Venus unter seiner Dusche. „Dir kann ich’s ja verraten. Gestern habe ich Alistair Powers Herrenhaus in Belleview Hill gekauft.“
Hugh wirkte nicht überrascht, aber das war verständlich. Russells Freunde wussten von jeher, wie sehr er Power hasste. An der Uni waren sie Zimmergenossen gewesen, als Keith McClain Selbstmord beging. Hinterher hatte Russell sich Hugh und James anvertraut. Und obwohl sie nie darüber gesprochen hatten, wussten die beiden, was ihn all die Jahre über vorangetrieben hatte.
„Wie viel?“, fragte Hugh.
„Zwanzig Millionen.“
„Aber du hättest auch das Doppelte bezahlt, richtig?“
„Ja.“
Hugh neigte den Kopf leicht zur Seite. „Wie weit bist du für das verantwortlich, was mit Power Hypotheken passiert ist?“, fragte er interessiert.
„Dafür war letztlich Powers Geldgier verantwortlich“, erwiderte Russell verächtlich. „Ich habe einfach nur ein bisschen nachgeholfen.“
„Kann ich mir vorstellen“, brummte Hugh. „Wär’s das dann, Russell? Ist es vorbei?“
Russell zuckte die Schultern. „Mehr kann ich nicht tun, würde ich sagen. Power ist geflüchtet. Und ich bezweifle, dass er wirklich mittellos dasteht. Vermutlich ist er irgendwo auf den Bahamas und schlürft Piña Coladas.“
„Belass es dabei, und schließ das Kapitel ab.“
„Das ist leichter gesagt als getan, mein Lieber. Mich an dem Mann zu rächen, ist mir zur Lebensaufgabe geworden.“
„Das sehe ich. Aber wie du richtig sagst, es wird Zeit, dass du dir ein eigenes Leben aufbaust.“
„Und zu was genau rätst du mir da?“
„Zur Abwechslung könntest du mal darüber nachdenken, zu heiraten und Kinder zu haben.“
Entrüstet sah Russell seinen Freund an. „Habe ich recht gehört? Ich soll es machen wie James? Ein nettes Mädchen heiraten, das ich nicht liebe, und Kinder mit ihr haben?“
„Wer sagt denn, dass du sie nicht lieben kannst? Soweit ich gesehen habe, hast du der Liebe nie eine Chance gegeben. Vielleicht bist du selbst überrascht.“
„Auf Überraschungen lasse ich mich grundsätzlich nicht ein, mein Freund. In diesem Punkt bin ich genau wie du. Liebe und Bindung sind nichts für mich. Aber genug von mir. Zurück zu deinem Problem als Trauzeuge. Warum erzählst du nicht einfach von Megans Liebe zu James?“ Russell legte den Ball auf die Abschlagstelle und schob seinen starken Driver in die Golftasche zurück. „Das zumindest stimmt. Danach ergehst du dich in Lobpreisungen auf die Schönheit der Braut. Niemand wird merken, dass von der Liebe des Bräutigams nicht die Rede ist. Überlass es ihm zu lügen. Wie es scheint, beherrscht er diese Kunst meisterlich.“
„Ich verstehe dich nicht“, murrte Hugh, während sie über den gepflegten Rasen schritten. „Eigentlich hätte ich gedacht, du würdest über seine Heirat entsetzt sein. Schließlich warst du stets der Meinung, mit Ehrlichkeit käme man am weitesten.“
„Es gibt zweierlei Ehrlichkeit, Hugh“, erwiderte Russell. „Und manchmal können Notlügen nicht schaden. James wird bestimmt ein guter Ehemann und Vater. Megan muss nie erfahren, dass sein Herz einer anderen gehört.“