Drei Schwestern - Anton Pavlovich Chekhov - E-Book

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Anton Pavlovich Chekhov

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Beschreibung

Drei Schwestern (russisch Три сестры) ist ein am 31. Januar 1901 in Moskau uraufgeführtes Drama von Anton Tschechow.Seit elf Jahren leben Irina, Mascha, Olga Prosorow und ihr Bruder Andrej in der Provinzstadt / Gouvernementsstadt fern von Moskau, woher sie stammen und wohin sie wieder zurück möchten. Durch ihren Vater, einen Brigadegeneral, waren sie hierher verschlagen worden. Doch der Vater ist jetzt tot. Der Bruder Andrej hätte der Familie durch eine akademischen Karriere ein erneutes Leben in Moskau ermöglichen können. Aber er heiratet eine Frau aus der hiesigen Spießergesellschaft - Natalja Iwanovna - , verfällt dem Glücksspiel und verliert so das Erbe.Olga, die älteste Schwester (28 Jahre alt), ist die einzige, die arbeitet. Sie ist Lehrerin, aber mit ihrem Beruf ist sie unzufrieden; die Hoffnung auf eine sinnstiftende Ehe hat sie aufgegeben. Dennoch ist sie hilfsbereit und warmherzig.Mascha, die mittlere Schwester (24 Jahre alt), eine elegante, kapriziöse junge Frau, träumt von der großen romantischen Liebe. Sie hatte mit 18 Jahren Fjodor Iljich Kulygin geheiratet, den sie für einen klugen Mann hielt. Mittlerweile ist er für sie eher ein Dummkopf und geschwätziger Besserwisser. Ihr Liebesabenteuer mit Oberstleutnant Werschinin endet unglücklich, weil sein Regiment die Stadt verlässt.Irina, die jüngste Schwester, träumt davon, in Moskau ihre große Liebe zu finden. Der junge Baron Tusenbach hat sich ebenso wie der Kapitän Soljony in sie verliebt. Sie nimmt Tusenbachs Hochzeitsantrag an, doch einen Tag vor der Hochzeit wird er von Soljony in einem Duell getötet.Das Offizierskorps verlässt den Ort. Mascha verabschiedet sich von Werschinin, Olga tröstet resigniert ihre Schwestern. 

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Drei Schwestern

Anton Pavlovich Chekhov

Veröffentlicht: 1901Kategorie(n): Fiction, Drama
Über Chekhov:

Anton Pavlovich Chekhov was a Russian short story writer and playwright. He was born in Taganrog, southern Russia, on 29 January [O.S. 17 January] 1860, and died of tuberculosis at the health spa of Badenweiler, Germany, on 15 July [O.S. 2 July] 1904. His brief playwriting career produced four classics, while his best short stories are held in high esteem by writers and critics. Chekhov practiced as a doctor throughout most of his literary career: "Medicine is my lawful wife," he once said, "and literature is my mistress". Chekhov renounced the theatre after the disastrous reception of The Seagull in 1896; but the play was revived to acclaim by Konstantin Stanislavsky's Moscow Art Theatre, which subsequently also produced Uncle Vanya and premiered Chekhov’s last two plays, Three Sisters and The Cherry Orchard. These four works present a special challenge to the acting ensemble as well as to audiences, because in place of conventional action Chekhov offers a "theatre of mood" and a "submerged life in the text". Not everyone appreciated that challenge: Leo Tolstoy reportedly told Chekhov, "You know, I cannot abide Shakespeare, but your plays are even worse". Tolstoy did, however, admire Chekhov's short stories. Chekhov had at first written stories only for the money, but as his artistic ambition grew, he made formal innovations which have influenced the evolution of the modern short story. His originality consists in an early use of the stream-of-consciousness technique, later exploited by Virginia Woolf and other modernists, combined with a disavowal of the moral finality of traditional story structure. He made no apologies for the difficulties this posed to readers, insisting that the role of an artist was to ask questions, not to answer them. 

Personen

 

Andrej Sergejewitsch Prosorow.

 

Olga,

Mascha,

Irina,

seine Schwestern.

Fjodor Iljitsch Kulygin, Maschas Gatte.

 

Natascha, Andrejs Braut, später seine Gattin.

 

Alexander Ignatjewitsch Werschinin, Oberstleutnant und Batteriechef.

 

Iwan Romanowitsch Tschebutykin, Militärarzt.

 

Baron Tusenbach,

Ssoljony,

Rode,

Fedotik,

Offiziere

Anfissa, eine alte Kinderfrau.

 

Ferapont, ein Kanzleidiener.

 

Offiziere.

 

Dienerschaft.

 

Zeit: Gegenwart. – Ort der Handlung: eine größere

Garnisonstadt im Osten Rußlands.

 

Erster Aufzug

Im Hause der Prosorows. Wohnzimmer, das durch Säulen vom Saal geschieden ist; draußen ist es heiter, sonnig. Man sieht, wie im Saal der Frühstückstisch gedeckt wird. Olga im blauen Uniformkleide einer Lehrerin am Mädchengymnasium; Mascha im schwarzen Kleide, den Hut auf den Knien, sitzt und liest in einem Buche; Irina im weißen Kleide, steht sinnend da.

 

OLGA. Heut vor einem Jahre ist der Vater gestorben – gerade an deinem Namenstag, Irina, am fünften Mai. Es war sehr kalt an dem Tage – es schneite sogar. Ich glaubte nicht, daß ich's überleben würde – du lagst ohnmächtig da, wie tot. Und nun ist kaum ein Jahr vergangen – und wir reden davon so gleichgültig, du hast schon dein weißes Kleid an, und dein Gesicht strahlt. Die Uhr schlägt zwölf. Auch damals schlug gerade die Uhr. Pause. Ich erinnere mich noch: als sie den Vater hinaustrugen, spielte die Militärkapelle, und auf dem Friedhof wurde geschossen. Merkwürdig übrigens – er war doch General und Brigadekommandeur, und doch waren nur wenig Leute am Grabe. Allerdings fiel an dem Tage ein starker Regen – Regen und Schnee …

IRINA. Wozu die Erinnerung auffrischen!

 

An der Tafel im Saale erscheinen Baron Tusenbach, Tschebutykin und Ssoljony.

 

OLGA. Heut ist's warm, man kann die Fenster weit aufmachen – aber die Birken haben noch nicht ausgeschlagen. Genau elf Jahre ist's her, daß der Vater die Brigade bekam und wir von Moskau abreisten. Ich habe es noch ganz frisch im Gedächtnis: es war Anfang Mai, in Moskau prangte schon alles in schönster Blüte. So warm war es, alles von Sonnenschein übergossen. Du mein Gott! Wie ich heut morgen erwachte und die hereinflutende Lichtmasse und den Frühling draußen sah – da wurde mir so wohl, ach, und so sehnsüchtig weh ums Herz.

TSCHEBUTYKIN im Saal. Nein, so'n Teufelskerl!

TUSENBACH. Ist natürlich alles Unsinn!

 

Mascha, nachdenklich über das Buch gebeugt, pfeift leise eine Melodie.

 

OLGA. Pfeif' nicht, Mascha. Wie kann man nur … Pause. Dieser Dienst im Gymnasium, dieses Stundengeben bis zum späten Abend verursacht mir immer Kopfschmerzen. Ich glaube wirklich, ich werde schon alt. Während der vier Jahre, seit ich angestellt bin, ist es mir immer, als ob meine Kraft Tag für Tag tropfenweise hinschwände. Und nur ein Gedanke wächst und erstarkt in mir beständig …

IRINA. Nach Moskau zurückkehren. Das Haus verkaufen, alles hier aufgeben – und dann nach Moskau …

OLGA. Ja – so bald wie möglich! Nach Moskau!

 

Tschebutykin und Tusenbach lachen.

 

IRINA. Unser Bruder Andrej wird wahrscheinlich bald Professor werden – denn der darf doch auf keinen Fall hier versauern! Bleibt nur die arme Mascha übrig.

OLGA. Mascha kommt jedes Jahr zu uns nach Moskau, für den ganzen Sommer.

 

Mascha pfeift leise eine Melodie.

 

IRINA. Mit Gottes Hilfe wird sich schon alles ordnen lassen. Schaut zum Fenster hinaus. Ein Prachtwetter ist das heute. Ich weiß nicht, warum ich so froh gestimmt bin! Heut morgen fiel mir ein, daß mein Namenstag ist, und mit einemmal empfand ich eine solche Freude. Ich gedachte meiner Kinderjahre, da Mama noch lebte. Was für wunderbare Gedanken gingen mir durch den Kopf – ach, was für Gedanken!

OLGA. Du strahlst heut übers ganze Gesicht, ausnahmsweise hübsch bist du. Auch Mascha ist hübsch, und Andrej wäre ein schöner Mann, wenn er nicht so stark geworden wäre. Das steht ihm gar nicht zu Gesichte. Und ich – ich bin alt geworden, und so abgemagert bin ich, jedenfalls vom Ärger mit den Mädchen im Gymnasium. Heut bin ich mal frei und kann zu Hause bleiben – da hab' ich auch gleich keine Kopfschmerzen und fühle mich jünger als gestern. Achtundzwanzig Jahre bin ich nun alt … Alles ist schließlich gut, alles kommt von Gott, ich glaube aber: wenn ich verheiratet wäre und den ganzen Tag in meinem Heim zubringen könnte – ich würde mich wohler fühlen. Pause. Ich würde meinen Mann lieben.

TUSENBACH zu Ssoljony. Sie reden einen Unsinn zusammen – 's wird einem über, Ihnen zuzuhören. Tritt in das Wohnzimmer ein. Ich habe ja ganz vergessen: unser Batteriechef Werschinin wird Ihnen heute seine Visite machen.

 

Setzt sich ans Klavier.

 

OLGA. Ah – sehr angenehm!

IRINA. Ist er alt?

TUSENBACH. Nein, in den besten Jahren. Höchstens vierzig, fünfundvierzig Jahre. Klimpert leise. Scheint ein famoser Kerl. Nicht dumm – das ist sicher. Nur spricht er etwas viel.

IRINA. Ist er interessant?

TUSENBACH. Es macht sich. Etwas stark verheiratet ist er: Frau, Schwiegermutter und zwei Töchter. Übrigens ist es schon seine zweite Frau. Überall, wo er Besuch macht, erzählt er, daß er eine Frau und zwei Töchter hat. Auch hier wird er's erzählen. Die Frau ist halb verrückt, trägt einen langen Zopf wie ein Mädchen, spricht lauter hochtrabendes Zeug, philosophiert und macht jeden Augenblick einen Selbstmordversuch, jedenfalls, um ihren Mann zu ärgern. Ich wäre längst fortgelaufen von einer solchen Frau Gemahlin, er aber trägt es und beklagt sich nur darüber.

SSOLJONY tritt mit Tschebutykin aus dem Saal ins Wohnzimmer. Mit einer Hand heb' ich nur anderthalb Pud, mit zweien dagegen fünf, ja sogar sechs Pud. Daraus schließe ich, daß zwei Menschen nicht nur doppelt, sondern dreimal so stark sind als einer oder vielleicht noch stärker …

TSCHEBUTYKIN liest im Gehen die Zeitung »Swjet«. Gegen Ausfallen der Haare … zwei Drittel Lot Naphthalin auf ein halbes Quart Spiritus … aufzulösen und täglich zu gebrauchen … Macht sich Notizen in ein Taschenbuch; zu Ssoljony. Ich sag' Ihnen also: das Fläschchen wird gut zugekorkt, und durch den Korken wird ein Glasröhrchen gesteckt … und dann nehmen Sie ein kleines Quantum ganz gewöhnlichen Alaun …

IRINA. Iwan Romanytsch! Lieber Iwan Romanytsch!

TSCHEBUTYKIN. Was denn, mein liebes, gutes Herzchen?

IRINA. Sagen Sie mal – warum bin ich heute so glücklich? Als wenn ich auf dem Meer dahinsegelte: über mir dehnt sich der weite blaue Himmel, und große weiße Vögel schweben durch die Lüfte. Warum ist das nur so? Warum?

TSCHEBUTYKIN küßt ihr zärtlich beide Hände. Mein weißer Vogel!

IRINA. Wie ich heut früh aufstand und mich wusch, da war es mir mit einemmal, als wäre mir alles auf dieser Welt hier klar, als wüßte ich, wie man leben soll. Ich weiß jetzt alles, lieber Iwan Romanytsch. Der Mensch soll sich beschäftigen, soll arbeiten im Schweiße seines Angesichts, wer er auch sei, darin allein liegt der Sinn und das Ziel seines Lebens, sein Glück, sein Triumph. Wie schön ist es doch, ein Arbeiter zu sein, der mit Tagesanbruch aufsteht und auf der Straße Steine klopft, oder ein Hirt, oder ein Lehrer, der Kinder unterrichtet, oder ein Lokomotivführer. Ja, es ist, bei Gott, besser, ein ganz gewöhnliches Lastpferd zu sein, das doch seine Arbeit tut, als eine junge Dame, die mittags um 12 Uhr aufsteht, im Bett ihren Kaffee trinkt, dann sich zwei Stunden lang anzieht … o, wie schrecklich ist das! Ich dürste förmlich nach Arbeit – wie man bei großer Hitze nach einem Schluck Wasser dürstet. Wenn ich von jetzt ab nicht täglich ganz früh aufstehe und arbeite, dürfen Sie mir Ihre Freundschaft kündigen, Iwan Romanytsch!

TSCHEBUTYKIN zärtlich. Gewiß, gewiß werde ich sie Ihnen kündigen …

OLGA. Der Vater hat uns daran gewöhnt, um sieben Uhr aufzustehen. Jetzt erwacht Irina wohl um sieben Uhr, liegt aber wenigstens bis neun im Bett und simuliert. Und so ein ernstes Gesicht macht sie dabei!

IRINA. Du hast dich eben daran gewöhnt, mich als kleines Mädchen zu betrachten, und wunderst dich, wenn ich ein ernstes Gesicht mache. Ich bin doch zwanzig Jahre alt!

TUSENBACH. Sehnsucht nach Arbeit! O Gott, wie kann ich dieses Gefühl begreifen! Ich habe nie im Leben gearbeitet. Ich bin in dem kalten, trägen Petersburg geboren, in einer Familie, die niemals die Arbeit oder irgendwelche Sorgen gekannt hat. Ich erinnere mich noch, wie ich aus dem Kadettenkorps nach Hause kam: der Diener zog mir die Stiefel aus, ich quälte alle Welt mit meinen Launen, und meine Mutter sah mit förmlicher Ehrfurcht zu mir auf und war höchst erstaunt, wenn andere nicht dasselbe taten. Man suchte mich auf jede Weise vor Arbeit zu bewahren, aber auf die Dauer ist's doch nicht gelungen. – Diese Zeiten sind vorüber, und ein reinigender Sturm bereitet sich vor, der von unserer Gesellschaft die Trägheit, die Gleichgültigkeit, das Vorurteil gegen die Arbeit und die faule Langeweile hinwegblasen wird. Ich werde jedenfalls arbeiten, und in dreißig Jahren wird jeder Mensch es tun. Jeder!

TSCHEBUTYKIN. Ich werde nicht arbeiten.

TUSENBACH. Sie kommen nicht in Betracht.

SSOLJONY. In dreißig Jahren werden Sie, Gott sei Dank, nicht mehr auf der Welt sein. Sie gehen entweder in zwei, drei Jahren an Ihrem Spleen zugrunde, oder ich werde mal wütend und schieße Ihnen eine Kugel durch den Kopf.

TSCHEBUTYKIN lacht. Ich habe tatsächlich nie in meinem Leben was getan. Seit ich von der Universität fort bin, hab' ich nicht 'nen Finger gerührt, nicht ein Buch angesehen – höchstens die Zeitungen hab' ich gelesen. Zieht eine Nummer des »Nowoje Wremja« aus der Tasche. Ich weiß alles aus den Zeitungen – z.B., daß es einen Schriftsteller Dostojewski gegeben hat; aber was er geschrieben hat – davon hab' ich keine Ahnung … Der liebe Gott mag's wissen … Mein Lebtag hab' ich nichts getan, und doch hab' ich nie zu etwas Zeit gehabt … Von der unteren Etage aus wird gegen den Fußboden geklopft. Da, sehen Sie, man ruft mich unten schon wieder – wahrscheinlich ist jemand zu Besuch da! Ich komme gleich wieder … Eilt hastig davon, kämmt sich dabei den Bart.

IRINA. Er hat wieder irgendwas ausgeheckt.

TUSENBACH. Ja. Er ging mit so feierlicher Miene fort – jedenfalls wird er Ihnen gleich irgendein Präsent bringen.

IRINA. Ach … wie unangenehm!

OLGA. Ja, es ist schrecklich. Er macht immer Dummheiten.