Drei Zimmer, Küche, Porno - Philip Siegel - E-Book

Drei Zimmer, Küche, Porno E-Book

Philip Siegel

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Beschreibung

Die Amateure kommen Für immer mehr Frauen und Männer ist Pornografie ein Freizeitabenteuer geworden, eine neue Variante, sich zu zeigen und sexuell auszuleben. Amateurplattformen dienen als Kontaktbörse, Verkaufsfläche und Werbeplattform. Aus den Profis einer noch vor wenigen Jahren boomenden Branche sind Verlierer und aus ganz normalen Menschen Mini-Pornoproduzenten und Amateurdarsteller geworden, die man virtuell treffen und mit denen man auch real Sex haben kann. Philip Siegel geht mit seinem Buch "Drei Zimmer, Küche, Porno" auf eine einzigartige Entdeckungsreise in einen Kosmos, in dem Normalität und Exzentrik oft nur eine Wohnungstür voneinander entfernt liegen. Er blickt hinter die Kulissen einer verborgenen Branche, die unser Verhältnis zur Sexualität sowohl spiegelt als auch immer stärker beeinflusst.

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Philip Siegel

DREIZIMMER,KÜCHE,PORNO

WARUM IMMER MEHRMENSCHEN IN DIESEX-BRANCHE EINSTEIGEN

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Für immer mehr Frauen und Männer ist Pornografie ein Freizeitabenteuer geworden, eine neue Variante, sich zu zeigen und sexuell auszuleben. Amateurplattformen dienen als Kontaktbörse, Verkaufsfläche und Werbeplattform. Aus den Profis einer noch vor wenigen Jahren boomenden Branche sind Verlierer und aus ganz normalen Menschen Mini-Pornoproduzenten und Amateurdarsteller geworden, die man virtuell treffen und mit denen man auch real Sex haben kann.

Philip Siegel geht mit seinem Buch »Drei Zimmer, Küche, Porno« auf eine einzigartige Entdeckungsreise in einen Kosmos, in dem Normalität und Exzentrik oft nur eine Wohnungstür voneinander entfernt liegen. Er blickt hinter die Kulissen einer verborgenen Branche, die unser Verhältnis zur Sexualität sowohl spiegelt als auch immer stärker beeinflusst.

INHALT

VORSPANN

1. »DIE ZEITEN HABEN SICH GEÄNDERT« – AMATEURE AUF DER PORNOMESSE

2. »WILLST DU IN EINEM PORNO MITSPIELEN?« – ECHTE AMATEURE WOLLEN ABENTEUER FÜR ERWACHSENE

»Gang Bang, das würde ich gerne mal machen« – Mit über fünfzig Jahren an einer Porno-Orgie teilnehmen

»Du bist eine tolle Frau« – Porno-Performance als Selbstbestätigung

»Der Sascha hat so nett gefragt, da habe ich einfach zugesagt« – Wie ein Profi-Produzent Amateure inszeniert

3. AUS KATHARINA DER GROSSEN WIRD PARKPLATZLUDER19 – KURZE GESCHICHTE DES DEUTSCHEN PORNOFILMS

4. »LASST MAL DEN PORNOFIGHTER RAN« – DREHARBEITEN IN DER PORNOFABRIK

5. AMATEUR-PLATTFORMEN – SO VERDIENEN AMATEURE GELD

6. »WIR VERKAUFEN TRÄUME, TRÄUME AUS DEM ALLTAG« – PORNO FÜR DIE URLAUBSKASSE

»Das sind Amateure, die sind authentisch« – Pornodreh bei der Fitnesstrainerin

»Ohne Spaß hätte ich nie 2000 Clips drehen können« – Wenn sich Amateure und User zum Dreh verabreden

»Ohne Kamera würde hier nichts laufen« – Zwei-Zimmer-Wohnung als Filmstudio

7. »DAMIT DER KUNDE WEISS, WAS ER BESTELLT« – WENN AUS AMATEUREN PROSTITUIERTE WERDEN

»Nach Vertragsabschluss ist unser Termin verbindlich« – Kims Sexkatalog

»Als Prostituierte brauchst du ansprechende Clips« – Werbung für die Freier

8. »EIN WEBCAM-GIRL SOLLTE SECHS STUNDEN AM TAG ONLINE SEIN« – PORNO ALS LIVE-EVENT

»Fühle dich frei zu schauen« – Aus der Studentenbude in die ganze Welt

»Es gibt Männer, die wollen, dass ich sie fertigmache« – Live-Schaltung ins Schlafzimmer

»Unser Sexleben hat sich verändert« – Ein Pärchen blickt in die Abgründe der User

»Wenn die Maschine ein paar Mal in dir war, bist du dran gewöhnt« – Fake-Schlafzimmer für die User

9. »AMATEUR, DAS IST EIN PRODUKT« – PROFI-AMATEURE IM PORNOSTRESS

»Amateurin, ja. Aber das professionell« – Parkplatzluder19 trifft Gärtner

»Ich bin Unternehmerin und drehe auch, wenn ich keinen Bock habe« – Wie Aische Pervers und Lexy Roxx den Mainstream erobern

»Unsere Bilanz dieser Nacht: 58 Clips« – 28 Profi-Amateure treffen auf 120 User

10. »DA IST EIN KLEINES KUNSTWERK ENTSTANDEN« – AUTHENTISCHER PORNO-NOMADE MIT RUCKSACK

11. »DIE BESTEN ZWEI WOCHEN MEINES LEBENS« – PORNO-NORMALOS AUS DER INTELLEKTUELLENSZENE

12. »PORNO IST EIN HANDWERK, DAS MUSS MAN LERNEN« – GANZ VIEL PORNO IN BERLIN

ABSPANN

DANKSAGUNG

ANMERKUNGEN

LITERATUR

VORSPANN

Ich arbeite seit über fünfundzwanzig Jahren als Journalist, und bei keinem Thema, zu dem ich je recherchiert habe, haben mich so viele Menschen immer wieder überrascht wie beim Thema Amateur-Pornografie. In meinem Beruf konnte ich viele soziale Milieus kennenlernen, und die Antworten von Interviewpartnern sind häufig – zumindest in Ansätzen – vorhersehbar. Ich habe schon über vieles gelesen, bin informiert und kann die Lage einschätzen. Je länger ich mich aber mit den Porno-Amateuren beschäftigt habe, umso mehr kam ich mir vor wie ein Forscher, der auf einem fremden Kontinent eine noch völlig unbekannte Ethnie entdeckt hat: Ich traf auf völlig neue Verhaltensweisen, merkwürdige Riten und geheimnisvolle Codes. Das Irritierende daran ist, dass sich die betreffenden Frauen und Männer eigentlich gar nicht von mir unterscheiden – sie sprechen dieselbe Sprache und könnten meine Nachbarn sein. Sie wohnen in ähnlichen Zimmern, haben eine Küche – aber sie drehen in ihrer Freizeit Pornos.

Deshalb zu Beginn eine Warnung: Vielleicht werden Sie auf den folgenden Seiten Menschen in Situationen erleben, die Sie nie für möglich gehalten hätten. Frauen und Männer, die Ihnen bekannt vorkommen, Ihnen aber befremdlich erscheinen durch das, was sie machen. Denn es geht um Pornografie – und darum, dass immer mehr Frauen und Männer in Deutschland Sex vor der Kamera praktizieren. Es geht um Menschen, die bei ihrem Arbeitgeber einen Nebentätigkeitsantrag einreichen, weil sie Pornos drehen. Oder die sich auf bestimmten Veranstaltungen treffen, um gemeinsam Clips herzustellen. Um Frauen, die Pornos drehen und auf Facebook mehr »Freunde« haben als so manche Pop-Band.

In keinem anderen Land der Welt schauen die Menschen so häufig Pornos wie in Deutschland. Über 12 Prozent aller Inhalte, die in Deutschland im Internet angesehen werden, sind pornografisch. Aber nicht nur das: Während immer noch über die vermeintlich schädigende Wirkung von zu viel Pornografiekonsum debattiert wird, stellt sich heraus, dass in keinem anderen Land so viele Menschen sogar in Pornos mitspielen. Hier hat sich – weitgehend unbemerkt von der allgemeinen Wahrnehmung – ein großer Wandel vollzogen: In Pornos mitzuspielen, wird für immer mehr Menschen in Deutschland zu einer Art Freizeitabenteuer. Darum wird es in diesem Buch gehen.1

Als ich 2010 das Buch Porno in Deutschland – Reise durch ein unbekanntes Land schrieb, schien die deutsche Pornowelt noch fest in der Hand der etablierten Firmen. Sie galt weithin als ein mehr oder weniger undurchsichtiges Geschäft mit einer überschaubaren Anzahl an Regisseuren, Produzenten und Darstellern. Als ich feststellte, dass viele der Firmen, die ich damals besucht hatte, Pleite gegangen sind, und ich von resignierten Produzenten hörte, wem sie ihren wirtschaftlichen Abstieg zu verdanken haben, wurde ich neugierig. Ausgerechnet ganz normale Menschen – so kam mir zu Ohren – sollen nun mit Pornografie Geld verdienen.

Aus der Vermutung wurde bald Gewissheit: Über 50 000 Frauen und Männer betätigen sich in Deutschland mittlerweile als Mini-Pornoproduzenten. Weil sie eine Kamera bedienen können und sich trauen, vor der Kamera Sex zu haben. Dazu kommen schätzungsweise noch mal mehrere Zehntausend Menschen, die wenigstens einmal, häufig auch öfter einfach so in Pornoclips mitspielen, weil sie es ausprobieren wollen oder einen Reiz darin sehen, Sexualität auszuleben, wenn andere dabei zusehen.Dass die Porno-Amateure in Deutschland längst die Geschäfte übernommen haben, hat mich wirklich überrascht.

Wie konnte es dazu kommen? Wieso empfinden offenbar immer weniger Menschen Scham oder haben Hemmungen, Sex vor der Kamera zu haben? Was sind die Gründe dafür, dass Frauen und Männer aus ganz normalen Berufen – oft sogar mit akademischem Hintergrund – Pornografie als eine Möglichkeit sehen, nicht nur ihre exhibitionistischen Neigungen auszuleben, sondern auch Geld damit zu verdienen?

Erstaunlich ist doch, wie sich in Deutschland eine Art subkultureller Raum entwickeln konnte, in dem offenbar eigene Spielregeln gelten und sich sexuelle Freizeitaktivitäten herausbilden konnten, die es vor wenigen Jahren noch gar nicht gab. Immer mehr Menschen nutzen hier Pornografie als Möglichkeit, sich sexuell auszuleben. So verändert Pornografie auch Sexualität.

Ohne das Internet wäre diese Entwicklung, die Ver-Amateurisierung der Pornografie, nicht denkbar. Amateur-Plattformen dienen als Kontaktbörse, Verkaufsfläche und Werbeplattform. Pornografie nicht nur als Konsument, sondern auch als Akteur zu erleben, wird durch das Netz für viele Menschen alltäglich: Es ist jetzt möglich, Darsteller zu kontaktieren, ihnen zu begegnen, sogar der Sex zwischen Amateur und Kunde ist Teil des neuen Geschäfts. Gerade das fasziniert immer mehr Menschen in Deutschland – und führt dazu, dass Männer und Frauen aus allen Berufen und sozialen Schichten Pornografie als eine neue Variante sehen, sich sexuell zu erleben.

Das Verblüffende dabei ist: Die meisten Frauen und Männer, die in dieser neuen Erlebniswelt mitspielen, kommen aus der Nachbarschaft oder dem Kollegenkreis. Amateur-Pornografie ist tatsächlich so alltäglich wie ihre Protagonisten. In diesem Buch werden Sie mit mir in eine ungewöhnliche und doch auf merkwürdige Art vertraute Welt eintauchen, konkrete Situationen miterleben, Menschen kennenlernen, die Pornografie machen, aber zugleich liebende Väter und Mütter sind, respektierte Arbeitskollegen und Vorgesetzte oder hilfsbereite Nachbarn. Sie werden Frauen und Männern begegnen, die mit ihren Gedanken zu Sexualität, Partnerschaft und ihrem Pragmatismus an Pornodrehorten nachdenklich machen oder überraschen. Sie werden von Lebensläufen lesen, die bisweilen so banal und normal erscheinen, dass man sich nur wundern kann über die mentale Nähe zu Menschen, die man doch viel weiter von dem eigenen Lebenslauf verortet hatte.

Übrigens: Die meisten Namen habe ich auf Wunsch der Beteiligten geändert. Andere wiederum treten mit ihrem sogenannten Künstlernamen auf oder sind zum Beispiel als Produzent klar benannt.

Wenn wir uns nun gleich auf diese einzigartige Entdeckungsreise begeben und in diesen mitunter skurrilen, zugleich aber auch erstaunlich gewöhnlichen Kosmos eintauchen, so sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass Pornografie in erster Linie immer etwas anbietet, was von vielen Menschen nachgefragt wird. Es wird zu Situationen von inszenierten sexuellen Handlungen kommen, die mitunter bizarr anmuten, die man als erregend empfinden kann, die manchem aber auch befremdlich erscheinen mögen oder die sogar als abstoßend wahrgenommen werden. Wichtig ist nur, bei all dem nicht zu vergessen, dass es – sofern die Handlungen ohne Zwang erfolgen (und das ist die ganz große Regel) – keine »richtige« oder »falsche« Sexualität geben kann, sondern dass Sexualität immer subjektiv ist.

Klar erwähnt werden muss noch, dass es hier nicht um Pornografie gehen wird, die vom Gesetzgeber zu Recht nach §184 Strafgesetzbuch verboten ist. Verboten ist die Herstellung, der Vertrieb und der Besitz von sogenannter Kinderpornografie. Obwohl der Ausdruck irreführend ist, denn hierbei handelt es sich ja nicht um Pornografie, sondern um Kindesmissbrauch, der von kriminellen Gewalttätern für illegale Geschäfte begangen wird. Die gefilmte Misshandlung von Kindern aber spielt – um das ausdrücklich zu erwähnen – weder in der Pornografie allgemein noch speziell in diesem Buch eine Rolle.

Ferner wird Sodomie, also der Sex mit Tieren, unter Strafe gestellt – und wird hier dementsprechend ebenfalls kein Thema sein. Auch Gewaltpornografie ist in Deutschland verboten. Schwierig wird es aber, wenn sadomasochistische Spielarten auf freiwilliger Basis inszeniert werden. Hierbei handelt es sich um eine juristische Grauzone.

Den immer wieder vorgebrachten Vorwurf, dass Pornografie frauenfeindlich sei, teile ich übrigens nicht. Er wird hier deshalb auch kein Thema sein. Vielmehr wird man nach der Lektüre zu dem Schluss kommen können, dass Frauen in der Pornografie dem Mann nicht nur gleichberechtigte Partner sind, sondern dass sie in puncto Engagement und Geschäftstüchtigkeit in vielen Fällen sogar die entschlosseneren Akteure sind.

Der Schwerpunkt dieses Buches liegt in seinem beobachtenden, teilnehmenden Duktus, aus dem heraus sich viele Dinge von selbst erklären. Hier soll es nicht um vorgefertigte Meinungen oder die Bestätigung von bereits gefassten Urteilen gehen, sondern um Neugierde, Entdeckergeist und den Habitus eines Ethnologen, der unvoreingenommen eine Welt erkundet, die die meisten Menschen fremd anmuten dürfte.

Die Amateur-Pornografie hat sich in Deutschland unterhalb des gesellschaftlichen Wahrnehmungsradars der Medien mittlerweile zu einer Art subkulturellem Phänomen herausgebildet. Wer verstehen will, was Amateur-Pornografie ist, wie zahllose Frauen und Männer in Deutschland damit umgehen, wie Sexualität sich gerade verändert und was der exhibitionistische Selbstdarstellungstrieb mit den sogenannten Sozialen Medien zu tun hat, der sollte jetzt die Menschen kennenlernen, die Pornografie machen und erstmals Einblicke in ihre Welt gewähren.

Sie haben die Möglichkeit, sich mit eigenen Augen einen Eindruck von den beschriebenen Dreharbeiten oder interviewten Frauen und Männern zu machen. Immer dann, wenn sich die Möglichkeit bot, habe ich mit dem Smartphone spontan Situationen eingefangen. Meistens handelt es sich dabei um Dreharbeiten zu pornografischen Szenen. Dabei wird in keinem Fall §184 verletzt. Dieser Paragraf des Strafgesetzbuches regelt auch den Jugendschutz und verbietet die Verbreitung pornografischer Schriften, wie es etwas altmodisch in dem Gesetzestext heißt. Manchmal sind wegen des Persönlichkeitsrechts und der Gesetzeslage also nicht nur Gesichter, sondern auch einzelne Bildausschnitte verpixelt.

Es gibt Drehorte, an denen mir das Filmen nicht gestattet wurde. Die Protagonisten hatten mich darum gebeten. In einzelnen Fällen spielten auch kommerzielle Gründe eine Rolle: Die Veranstalter wollten nicht, dass unauthorisierte Bilder in Umlauf geraten.

Die jeweiligen Aufnahmen sind aus dem Moment heraus und ohne inszenierende Ansagen entstanden. Es sind – im besten Sinne des Wortes – Amateuraufnahmen. Aber sie geben authentisch, wahrhaftig und dokumentarisch einen Eindruck von den mitunter außerordentlichen Situationen wieder, die man in der gegenwärtigen Pornowelt Deutschlands antreffen kann.

Die Clips, die meistens an den Drehorten oder mit Interviewpartnern entstanden sind, finden Sie auf meiner Webseite www.3zimmerporno.de.

1. »DIE ZEITEN HABEN SICH GEÄNDERT« – AMATEURE AUF DER PORNOMESSE

Was sich heute auf der Sexmesse »Venus« in Berlin abspielt, wäre bis vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen: Unzählige Porno-Amateure lassen sich dort feiern, mit ihren Fans ablichten, schreiben Autogramme. Gleichzeitig wird Pornografie immer normaler: Unter den vielen Tausend Besuchern sind Mütter, die ihre gerade volljährig gewordenen Töchter zum Fan-Treffen mit männlichen Darstellern begleiten, ganze Familien reisen an zum gemeinsamen Ausflug, und junge Frauen stehen in endlosen Schlangen, um von ihren Vorbildern T-Shirts und handsignierte Plakate zu kaufen.

Es ist kurz nach elf, die »Venus« hat gerade ihre Pforten geöffnet, und die Menschen strömen in die drei großen Ausstellungshallen. Bereits jetzt hat sich kurz hinter dem Einlass eine Schlange von etwa 80 Metern gebildet – aus zumeist jungen Menschen. Auffallend viele Frauen in der Menschenansammlung haben rote Haaren.

»Wofür steht ihr hier an?«, will ich wissen.

»Lexy Roxx«, lautet die Antwort.

Lexy Roxx ist Amateur-Darstellerin. Ihre Markenzeichen sind grellrote Haare und eine ausgeprägte Leidenschaft für schnelle Autos. Sie hat sich eine Fan-Base aufgebaut, von der manch eine Pop-Band träumen dürfte.

»Wir wollen ein Foto mit ihr. Außerdem ein handsigniertes T-Shirt«, sagt Christine, eine Achtundzwanzigjährige, die sich ihre Haare in eben diesem leuchtenden Rot gefärbt hat.

»Ich weiß, dass ich hier noch zwei Stunden anstehen werde, aber es lohnt sich.«

Ihre etwa gleichaltrige Freundin nickt eifrig.

Neben ihnen steht eine füllige Frau Anfang dreißig.

»Ich finde Lexy Roxx einfach toll. Die ist ein Vorbild. Nicht abgehoben, völlig natürlich, keine Tussi.«

Ein paar Meter weiter steht eine Gruppe junger, schick angezogener, hübscher Frauen.

»Wenn man sie auf Facebook anschreibt, antwortet sie auch«, sagt eine von ihnen.

Tina, siebenundzwanzig, ist aus Bremerhaven angereist, nur um jetzt für die nächsten Stunden in dieser Schlange anzustehen. Ihre Freundin Anna will sich von Lexy Roxx ein Cap signieren lassen. Das kostet zwar über 30 Euro, ist aber »eine Special-Cap-Limited-Edition, extra für die Venus«, wie mir Anna mit leuchtenden Augen erklärt.

Die angrenzende Halle, in der Lexy Roxx ihren Stand hat, ist mittlerweile brechend voll. Immer noch strömen die Menschen durch die Eingänge. Über 15 000 Menschen sollen es heute werden. Die »Venus« hat sich zu einem beliebten Ausflugsziel fürs Wochenende etabliert. Aus ganz Deutschland kommen Menschen angereist, um Pornografie und das, was die Anbieter hier für Sexualität halten, hautnah zu erleben.

Am Stand des Amateur-Portals BIG7 geht es auch gleich zur Sache. »Erotik von nebenan«, steht quer über dem Stand. Auf einem Sofa räkelt sich eine Blondine, die Augen fest geschlossen, die Beine zum Publikum hin gespreizt. Vor aller Augen befriedigt sie sich mit einem Dildo. Zahllose Smartphones filmen die Szene. Etwa vierzig überwiegend ältere männliche Zuschauer verfolgen gebannt, wie die Blondine monoton ihr Programm abspult. Sie filmen eine Szene, die sie wahrscheinlich schon unzählige Male auf ihrem Bildschirm daheim beobachtet haben, aber hier ist es echt, live und in greifbarer Nähe – wenn auch bar jeglicher Intimität. Trotzdem darf man das, was hier abläuft, getrost als Wirkungsprinzip der in Deutschland so erfolgreichen Amateur-Pornografie begreifen: Pornodarstellerinnen, die man selbst erleben kann.

Der Stand daneben wirbt auf einer riesigen Leinwand für Virtual Reality, also das räumliche Sehen in einem visuell erfahrbaren 360-Grad-Raum. Überall stehen barbusige Frauen herum, über deren Brüsten das Logo der Firma aufgemalt ist, und halten die klobigen Virtual-Reality-Brillen in den Händen, die das virtuelle räumliche Sehen ermöglichen. Mit ihnen sieht man dann aus der subjektiven Sicht, wie eine Blondine den »eigenen« Penis mit dem Mund bearbeitet, so deutet es zumindest die Szene an, die auf der Leinwand gezeigt wird. Die Präsentationsfrauen machen einen blassen Eindruck. Wenn sie für einen ganz kurzen Moment vergessen, wo sie gerade stehen und in das Nichts eines abwesenden Gedankens blinzeln, wirken sie verloren und ein wenig wie menschliches Strandgut. Hinter ihnen, auf der überdimensionierten Leinwand, läuft unterdessen das, was als »wirklicher« und »echter« als das wirkliche und echte Leben bezeichnet wird. Vielleicht kann das auch nur auf diejenigen einen Reiz ausüben, die nicht so recht wissen, wie das wirkliche und echte Leben aussehen könnte.

Einige Meter weiter, an der Schlange wartender Menschen vorbei, nähere ich mich dann Lexy Roxx. Die zierliche Frau schmiegt sich gerade an die Schulter eines riesigen, blonden Mannes und lächelt dazu in ein Smartphone, das vermutlich der Freundin des Mannes gehört. Danach gibt es noch eine routinierte Umarmung, bevor sie sich einer jungen Frau mit fast den gleichen roten Haaren zuwendet, die nach einem Cap und einem Poster verlangt. Geldscheine wechseln den Besitzer, und geduldig rückt die endlos scheinende Schlange ein paar Zentimeter nach vorn. Alles läuft sehr diszipliniert und entspannt ab. Hier zeigt sich, wie ein Star mit seinen Fans umzugehen hat. Für jeden hat Lexy Roxx ein Lächeln übrig. In keinem Moment wirkt sie genervt. Jeder wird zuvorkommend und unaufgeregt bedient.Auf der Leinwand hinter ihr ist zu sehen, wie sie neben einem Mann steht, der gerade ihren getunten Wagen inspiziert. Schnelle Autos und Sex mit der Frau aus der Nachbarschaft, diese Selbstbewusstsein transportierende Mischung hat Lexy Roxx zur Identifikationsfigur gleichermaßen für Männer und Frauen gemacht. Weil diese Mischung erfolgreich geworden ist, taugt sie zum Vorbild. Porno, das ist die Botschaft, die von Lexy Roxx ausgeht, ist in der heutigen Zeit keine Sache mehr, für die man sich schämen müsste. Im Gegenteil: Porno ist legitimes Mittel zum Zweck. Wer erfolgreich Aufmerksamkeit generiert – und sei es mit Porno –, der wird zu einem Menschen, an dem man sich orientieren kann. Aufmerksamkeit als Selbstzweck. Behält dieser Mensch auch noch Augenhöhe zu denen, die zu ihm aufschauen, dann stehen die Fans auch gerne mehrere Stunden an, um sich ein Cap für 30 Euro zu kaufen. Nur, dass es nicht in Vergessenheit gerät: Diese Frau mit den roten Haaren dreht Clips wie »Frisches Fickfleisch« oder »Treuetest nicht bestanden – Den Neuen meiner besten Freundin gefickt«. Ich werde mit Lexy Roxx später sprechen – in Königs-Wusterhausen, einem Vorort Berlins, in Ruhe.

Seit wenigen Jahren gibt es auf der »Venus« den sogenannten Starwalk, eine Ansammlung von kleinen Ständen, die jeweils um eine Konsole herum gruppiert sind. Etwa fünfunddreißig Plätze werden hier angeboten. Hinter den schmalen Ständen stehen überwiegend leicht bekleidete Frauen, zum Teil oben ohne, die Autogrammkarten verteilen und sich bereitwillig mit ihren Fans fotografieren lassen. Der Starwalk ist ein Widerspruch in sich, denn hier stehen ausschließlich Amateure, die nicht einmal den Status von Sternchen haben dürften – wobei die Bezeichnung »Star« für Pornodarsteller sowieso unpassend ist und eher für das klägliche Bemühen der Branche steht, so etwas wie Anerkennung durch Übertreibung zu generieren.

Die Amateure, die hier um Aufmerksamkeit buhlen, tragen Namen wie: Mia Bitch, Adrienne Kiss, Lina Diamond, Farah S., Fickschnitte18, Emi Nicoleta, Alice Kinkycat, Mareen Deluxe, Violett Rubens und Lola Taylor. Es sind Frauen, die hier aus der unübersichtlichen Zahl der 50 000 bei Bezahlplattformen angemeldeten Amateuren heraustreten und mit ihren Kunden, die in der Szene User genannt werden, in Kontakt treten wollen. Alice Kinkycat ist eine typische Vertreterin. Sie ist zusammen mit ihrem Mann angereist, einem gemütlich wirkenden Typen im T-Shirt, der sich wachsam im Hintergrund hält und aufpasst, dass die interessierten Männer nicht übergriffig werden. Mit ihren schwarzen, ins Gesicht fallenden Haaren und dem leichten Silberblick macht Alice Kinkycat einen verhuschten Eindruck. Das kommt bei den Männern offenbar gut an. Ständig wollen Männer von ihr in den Arm genommen werden, drücken sich an die barbusige schlanke Frau und lassen als Beweis dieser authentischen Begegnung von Gleichgesinnten das obligatorische Smartphone-Foto machen, das – so darf man vermuten – kurz darauf im Facebook-Newsfeed auftauchen wird. Alice Kinkycat weiß offenbar, was sie ihren Fans schuldig ist: Bei jedem Foto streckt sie einem weiteren Smartphone ihre lange Zunge entgegen und zeigt den Stinkefinger. Provokation vom Reißbrett. Auch diese Amateur-Darstellerin werde ich später noch treffen – bei Pornodreharbeiten mit einem männlichen Amateur.

Die männlichen Amateure haben hier auch ihre Stände, beispielsweise Asuran, Mr.BigFatDick und Jason Steel. Wobei Jason Steel Profi-Darsteller ist. Aber er weiß, was er seinen Fans schuldig ist: Präsenz zum Anfassen. Gerade ist er nicht da, allerdings warten zwei Frauen an seinem Stand, offenbar schon eine ganze Weile. Lea ist neunzehn und geht normalerweise auf Spiele-Conventions. Die ältere Frau an ihrer Seite ist tatsächlich ihre Mutter.

»Lea hat mich gebeten, sie zu begleiten. Sie wollte nicht allein gehen. Und da dachte ich: Das kann ich mir ja auch mal ansehen.«

Ich frage Lea, woher sie Jason Steele denn kenne.Nach kurzem Zögern antwortet sie: »Aus dem Fernsehen.«

Tochter und Mutter lachen.

Neben mir taucht plötzlich eine jugendlich aussehende Frau schwarzer Hautfarbe auf. Sie wartet ebenfalls auf Jason Steele. Es ist Sunny Star, die schon gemeinsam mit Jason vor der Kamera agiert hat. Die Amateur-Darstellerin will vorankommen, also knüpft sie Kontakte ins Profilager. Beiden, Jason und Sunny, werde ich noch bei Dreharbeiten begegnen.

Im Prinzip machen Amateur-Darsteller genau das Gleiche wie ihre professionellen Kollegen. Es gibt nur einen wesentlichen Unterschied: Die Profis treten in den Filmen versierter Produzenten auf und werden von diesen vermarktet, ohne dass sie noch etwas mit dem Produkt zu tun haben. Amateur-Darsteller hingegen kann heute jede Frau und jeder Mann werden. Meistens sind es nur kurze Clips, die dann hergestellt werden, die aber in ihrer Masse durchaus ein gewisses Marktpotenzial bekommen können. Amateure sind Mini-Firmen, oft Paare, die ihre Erzeugnisse vom Drehen bis zum Hochladen auf Bezahlplattformen selbst herstellen. Wer hier auf dem Starwalk auftaucht, will dann aus seinem anfänglichen Hobby-Dasein eine profiähnliche Existenz aufbauen. Ob das tatsächlich gelingt, ist eine ganz andere Frage.

Nur ein paar Meter weiter steht die Bühne für diejenigen, bei denen die Frage – zumindest vorläufig – beantwortet ist. Die großen Buchstaben der Namen sind nicht zu übersehen, sie prangen wie bei einer Kirmes über der Bühne: Dirty Tina, Anny Aurora, Lara CumKitten und Mira Grey. Angekündigt für 14:30 Uhr ist Lara CumKitten als Tänzerin. Die Musik zu ihrer Darbietung ist ohrenbetäubend. Jeder Stand versucht, den anderen mit seinem Sound zu übertrumpfen. Es folgt Dirty Tina, eine ehemalige Bankangestellte, mit ihren drei Mitstreiterinnen. Sie gehören zu den Besserverdienenden der Amateur-Branche. Inzwischen betreiben sie das Amateur-Dasein nämlich wie ein Gewerbe.

Auf dem Weg zur nächsten Halle streife ich den Stand eines Schönheitschirurgen, der mit fast schon dreister Schonungslosigkeit für seine Arbeit wirbt. Auf einem Monitor läuft der Mitschnitt einer Brustvergrößerung. Mit routinierter Effizienz wird dort eine Brustwarze mit dem Skalpell zur Hälfte aufgeschnitten, um dann in das entstandene Loch mit einem Kolben eine schlabbrige Einlage hineinzustopfen. Auf den Gesichtern der nichts Böses ahnenden Messebesucher spiegelt sich jähes Entsetzen, angewidert schauen sie ruckartig in eine andere Richtung. Die in makelloses Weiß gewandeten Hostessen verteilen derweil mit ihrem freundlichsten Lächeln Kataloge.

Dann geht es noch vorbei an einer Hardcore-Liveshow. 15 Euro für 15 Minuten. Eine Brünette mit hochgeschobenen Brüsten krakeelt immerzu den gleichen Spruch in das schlecht ausgesteuerte Mikro. »Zwei Frauen und ein Mann, für jeden ist was dabei. Und auch die Fucking-Maschine ist mit an Bord. Eine heiße, versaute Show. Seien Sie mit dabei!« Das erinnert an Jahrmarkt und hat etwas von einer Freak-Show. Der Andrang jedenfalls ist riesig.

Wenn man die nächste Halle betritt, fällt der Geräuschpegel spürbar ab. Hier gibt es Dildo-Aussteller, Reizwäsche-Anbieter, Plastikpuppen mit großen Brüsten und die üblichen Virtual-Reality-Stände. Auf Letzteres setzen in jüngster Zeit viele. Die professionelle Pornobranche lechzt nach technischen Neuheiten, die ihre eingefahrenen Produkte wieder reizvoller machen könnten. Das ist das Spektrum: Auf der einen Seite steht Hightech und auf der anderen Seite Amateure, die man – zumindest in der Theorie – in der Nachbarswohnung antreffen kann.

Ein Anbieter hat 3-D-Pornos im Angebot. Die Konsumenten versucht man mit Clips anzulocken, in denen auch Amateure mitspielen. Dacada, eine hochgewachsene Frau mit großen Brüsten, stürzt sich auf neugierige Messebesucher. Sie ist noch neu in der Branche, hat etwa vor einem Jahr als Amateur-Darsteller angefangen und seitdem einen rasanten Aufstieg erlebt. Für sie, die Frau Anfang vierzig, ist es wie ein unverhofftes Abenteuer. Mit der materiellen Sicherheit einer bürgerlichen Existenz im Rücken hat sie eine Möglichkeit entdeckt, ihrem Leben noch mal einen Kick zu geben. Sie freut sich über die Wirkung, die sie auf die immer noch männerdominierte Pornowelt ausübt. Auch Dacada werde ich noch einmal begegnen, bei Pornodreharbeiten, die geradezu surreal anmuten.

Der winzige Stand mit Dildos aus Holz wirkt da fast wie aus der Zeit gefallen. »Erlebe die Kraft der Natur«, heißt es da, ohne Lösemittel, ohne Weichmacher, 100 Prozent unbedenklicher Genuss. Die Dildos tragen Namen wie »Waldgeist«, »Biber« und »Frettchen«. Eine Gruppe älterer und junger Frauen und Männer steht davor. Es ist eine Familie aus Würzburg, zwei Ehepaare, deren Kinder, Sohn und Tochter, als Paar zusammen sind.

Hier, wo alles etwas leiser ist und es weniger hektisch zugeht, treffe ich auch Klaus Buttgereit und seine Tochter. Buttgereit, ein ehemaliger Darsteller und schon seit vielen Jahren Produzent, Inhaber der Firma BB-Video in Mülheim an der Ruhr, hat sich schon auf Amateure spezialisiert, da gab es die Dacadas und Alice Kinkycats noch gar nicht. Ende der Neunziger, Anfang 2000, waren Amateure ein Subgenre, das fest in der Hand der Profi-Produzenten war. Produktion und Vertrieb waren professionell organisiert. Wer in einem Porno mitspielen wollte, brauchte dafür Profis.

»Amateure gehen immer«, meint Buttgereit.

Seine Tochter, eine gutaussehende Frau Anfang dreißig, stimmt ihrem Vater zu.

»Eine unserer erfolgreichsten DVDs im letzten Jahr war ›Ehefotzen Verleih Teil 19‹.« Sie sagt das mit stoischer Miene, als würde sie gerade aus einer Bilanz vorlesen.

Klaus Buttgereit ergänzt:

»›Omas gefickt‹ gehört schon seit Jahren zu unseren Bestsellern. Ich weiß auch nicht, woran es liegt, aber auf die deutschen Konsumenten übt die Amateur-Pornografie einen großen Reiz aus. Und wenn die Geschäfte auch längst nicht mehr so gut gehen wie vor zehn Jahren, können wir immer noch davon leben.«

Buttgereit gehört zu den ganz wenigen Produzenten, die auf der »Venus« noch mit einem eigenen Stand vertreten sind. Früher, also gerade mal vor etwa zehn Jahren, gab es die ganzen Toy- und Wäsche-Aussteller noch gar nicht. Da waren die Messehallen fest in der Hand der Profi-Produzenten. Sie hatten Stände mit einer Größe von fast 100 Quadratmetern, riesige Posterflächen und unzählige Darstellerinnen, die fast alle kannten, für den Fan-Kontakt.

Mittlerweile ist die Lexy-Roxx-Schlange auf etwa 140 Meter angeschwollen. Noch mehr junge Frauen mit roten Haaren haben sich dort versammelt und jede Menge Männer in roten T-Shirts, die sich ein Selfie mit der Porno-Amateurin erhoffen. Wer am Ende der Schlange steht, muss mit einer Wartezeit von vier Stunden rechnen.

Inzwischen ist das Gedränge so dicht geworden, das jeder Schritt überlegt sein will. Mich hat überrascht, wie viele junge Frauen und auch Familien hier auftauchen. Galt Porno vor ein paar Jahren noch als schmutzig und irgendwie nicht gesellschaftsfähig, so stehen heute Grüppchen mädchenhafter Frauen vor Leinwänden und giggeln angesichts pornografischer Szenen, die an Eindeutigkeit nicht zu überbieten sind. Niemand findet das mehr anstößig.

»Die Zeiten haben sich geändert«, meint Dana, die sich auf ihrem Smartphone das Facebook-Profil von Lexy Roxx anschaut, einer Amateurin, die – wie viele ihrer Kolleginnen auch – ihr Geschäft längst mit professioneller Akribie ausübt.

Allerdings haben die Porno-Amateure in Deutschland ihren Aufstieg nicht ihrer Professionalität zu verdanken, sondern sie sind gerade wegen ihrer authentischen Natürlichkeit so erfolgreich geworden. Was hier auf der Messe zu beobachten ist, ist sozusagen der Gipfel. Aber eigentlich leben die Amateure – um im Bild zu bleiben – in der Ebene. Dort treffe ich jetzt die sogenannten echten Amateure, also Frauen und Männer, die noch nicht gelernt haben, sich selbst zu vermarkten. Die gar nicht primär an den finanziellen Aspekten ihrer Selbstentblößung interessiert sind, sondern Pornografie als Möglichkeit nutzen, um sexuelle Fantasien auszuleben.

2. »WILLST DU IN EINEM PORNO MITSPIELEN?« – ECHTE AMATEURE WOLLEN ABENTEUER FÜR ERWACHSENE

Ob Pornostudios oder Profi-Produzenten: Ihre ersten Porno-Erfahrungen machen Amateure häufig ausgerechnet bei den Profis. Am Anfang stehen bloße Neugier und der Reiz, sich beim Sex filmen zu lassen. Für viele bleibt es eine einmalige Erfahrung, aber nicht selten kann es auch der Anfang einer Amateur-Laufbahn sein.

»Gang Bang, das würde ich gerne mal machen« – Mit über fünfzig Jahren an einer Porno-Orgie teilnehmen

Wer etwas über echte Amateure erfahren will, muss Profi-Produzenten wie Hajo Frings treffen. Deshalb fahre ich an einem Sonntag nach Düren, eine Kleinstadt zwischen Köln und Aachen. Dort gibt es ein in Deutschland einzigartiges Filmstudio, das sich auf Pornoproduktionen spezialisiert hat. Einer der wenigen Produzenten, die hierzulande noch regelmäßig drehen, hat es erschaffen: Aus einem ehemaligen Edeka-Supermarkt ist ein Studio entstanden, in dem ausschließlich Amateur-Pornografie entsteht. Amateur-Pornografie, die von Hajo Frings, dem Profi, realisiert wird.

Heute wird ein sogenannter Gang-Bang gedreht, also ein Film, in dem einige wenige Frauen mit einer Vielzahl von Männern Sex haben. Alle Beteiligten sind Nicht-Profis, also Amateure – und einige der Akteure stehen heute sogar das erste Mal vor der Kamera. Als ich eintreffe, ist der Empfangsbereich schon gut gefüllt. Sitzecken mit verschiedenen Couches und Stühlen bieten Platz für Frauen und Männer, die sich unterhalten, lachen und dabei Kaffee trinken. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine nette Brunch-Runde.

Etwas am Rand, hinter einem ausladenden Schreibtisch, sitzt Hajo, der Produzent: das Jackett leicht verrutscht, der Bart grau, auf dem Kopf ein kleiner Hut. Mit siebenundsechzig Jahren ist er einer der produktivsten Pornoproduzenten Deutschlands. Vor achtzehn Jahren gründete er die Firma, seitdem war Gaby immer an seiner Seite: eine resolute, robust wirkende Frau, etwa gleichen Alters. Die beiden verbreiten eine offenbar nie nachlassende Geschäftigkeit. Hier eine kurze, herzliche Begrüßung, dort ein ernstes Gespräch, Darsteller-Verträge werden ausgereicht, die Kaffeemaschine nachgefüllt. Etwa 2 000 Pornos will Hajo gedreht haben. Selbst wenn er sich hier um ein paar Hundert verschätzt haben sollte, ist das immer noch beeindruckend. Er hat sich auf Amateur-Pornos spezialisiert. Genau dafür hat er auch das Studio gebaut. Während er früher zu den Darstellern nach Hause gefahren ist, dreht er heute in seinem Studio: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Diele, Bad – das Interieur des Alltags, nachgebaut auf zwei Etagen.

Eine ältere Frau hat sich zu Hajo an den Schreibtisch gestellt. Die beiden scheinen sich zu kennen, denn sie umarmen sich herzlich. Es ist Manuela, eine der drei Frauen, die heute im Mittelpunkt einer Orgie stehen werden. Manuela wirkt schüchtern. Ich erfahre, dass sie zweiundfünfzig Jahre alt ist und als Raumpflegerin arbeitet. An Hajo ist sie vor ein paar Monaten über eine Anzeige geraten. Der suchte für einen Pärchen-Dreh gleichgesinnte Amateure. Manuela und ihr Mann wollten neue Erfahrungen machen, also meldeten sie sich. Letzte Woche kam dann ein erneuter Anruf: Gaby möchte wissen, ob Manuela Lust hätte, an einem Gang-Bang teilzunehmen. Sie überlegte kurz und sagte zu.

Keine Sorge, dass Bekannte oder gar Freunde sie erkennen könnten? Dazu hat die ältere Raumpflegerin eine klare Meinung:

»Das ist mein Leben, dafür bin nur ich verantwortlich. Porno? Ich stehe dazu.«

Diana und Petra, die beiden anderen Frauen, sind noch nicht da.

»Wie wäre es mit einer kleinen Führung?«, fragt mich Hajo.

Auf den ersten Blick könnte Hajo schrullig wirken, aber schnell merkt man, wie der Mann so viele Filme drehen konnte: Er betreibt sein Geschäft mit einer offenbar einnehmenden Mischung aus Pragmatismus, Hingabe und Humor.

Würde man in einem Filmstudio aufwändige Kulissen erwarten, Raumschiffe oder mittelalterliche Burgen, so öffnet sich hier die Tür zu dem, was man Alltag nennt: abgenutzt, profan, muffig. Wir sind in Studio 1: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche – Kulissen aus der Normalität, voneinander separiert, wie abgetakelte Erlebnisbereiche in einem veralteten Vergnügungspark. Alle paar Meter eine andere Kulisse. ›Das ist ja wie Lindenstraße‹, denke ich. Das Inventar kommt aus Second-Hand-Läden oder ist auf Ebay ersteigert worden. Genauso riecht es auch: nach Möbellager.»Wichtig ist der schlechte Geschmack bei der Einrichtung«, klärt Hajo mich auf. »Alles muss hässlich aussehen – das erhöht den Realismus.« Das Sofa mit dem abgewetzten grünen Bezug scheint wie der Beleg zu dieser These.

Studio 2: Wieder ein Wohnzimmer, und nur einen Kameraschwenk entfernt – ein täuschend echt aussehender Heuschober, ausgestattet mit Stroh, Schubkarre, Sense, Leiter, Petroleumlampe, Sattel und Holzplanken, die sogar knarren, wenn man sie betritt.

Hajo führt mich in die erste Etage: Reisebüro, Steuerkanzlei (mit liebevoll beschrifteten Aktenordnern: »Steuersache Simone«), Arztpraxis (mit Gynäkologen-Stuhl), Küche, Badezimmer, Massagestudio, Spielsalon, sogar Disko und Cocktailbar sind vorhanden. Jede Kulisse bietet statt Geschmack und Glanz desillusionierenden Realismus und deutsche Trostlosigkeit. Ich merke, worauf der deutsche Amateur-Porno achtet: Bloß kein Schöner-Wohnen-Feeling, kein Glamour – im Gegenteil, abgetragen und verbraucht soll sie aussehen, die Alltagswelt der deutschen Amateur-Pornografie.

Damit steht sie in krassem Widerspruch zur Mainstream-Pornografie der US-amerikanischen Produktionen: Dort wird auf Edel-Interieurs, Swimming-Pools und teure Autos gesetzt, mit einem Wort: Luxus, der mit der Durchschnittsrealität seiner Kunden nur wenig zu tun hat. Dagegen setzt der deutsche Porno auf die Erfahrungswelt seiner Konsumenten. Nicht nur bei den Räumlichkeiten wird dem Rechnung getragen, sondern eben auch bei den Darstellern. So gilt Deutschland weltweit als das Land der Amateur-Pornografie, weil sie oft nicht nur in der Welt der Konsumenten spielt, sondern bevorzugt auch Alltags-Typen als Darsteller einsetzt.

Hajo hat es in dieser Disziplin zur Meisterschaft gebracht. Er gilt als Erfinder sehr erfolgreicher Pornoreihen, die allesamt im Durchschnittsalltag angesiedelt sind. »Fräulein Rottenmeier« dürfte die bekannteste Reihe sein. Die aus der Heidi-Alpengeschichte übernommene Figur des strengen Fräulein Rottenmeier wird hier ins Pornografische übersetzt. Die resolute Frau befehligt in von ihr organisierten Sextreffen und prüft die »Fähigkeiten« der zahllosen Männer und Frauen. Auf über vierzig Folgen brachte es diese Reihe, die ausschließlich auf Amateur-Darsteller setzt – viele der Mitwirkenden standen hier das erste Mal vor einer Kamera.

Auch die Reihe »Schuldenberaterin Petra Wegert« (Original-Inhaltsangabe: »Durch Sex wurde schon so manches Problem gelöst, und einige Gläubiger sind danach zufriedener, als wenn sie das Geld bekommen hätten.«) setzt auf unbedarfte Darsteller. Hier wird der Bezug zur Alltagswelt noch deutlicher: Die Reihe nutzt mit voller Absicht die Popularität der RTL-Produktion Peter Zwegat – Raus aus den Schulden.

Hajos erfolgreichste Reihe heißt »Simones Hausbesuche« und handelt von der über vierzigjährigen Simone, die Menschen in ihren Privatwohnungen aufsucht und zu pornografischen Aufnahmen überredet, bei denen sie dann regelmäßig auch selber mitmischt. In diesen drei sehr erfolgreichen Pornoreihen setzte der Produzent zum einen jeweils auf eine ältere, dominante Frau, zum anderen auf Menschen, deren Alter und Aussehen sie deutlich als Laiendarsteller kennzeichnen.2 Viele dieser Amateure hat Hajo tatsächlich über Bekannte in Swinger-Clubs angeworben oder mit Annoncen auf einschlägigen Kontaktplattformen akquiriert.

Wir haben den Rundgang beendet. Mein Fazit: Unter professionellen Bedingungen können hier Pornos hergestellt werden, die aussehen, als seien sie in der eigenen Wohnung entstanden.3

Zurück im Empfangsbereich: Inzwischen sind auch Diana und Petra eingetroffen. Diana ist groß und schlank, hat blonde, kurze Haare und wirkt mit ihren dreiundfünfzig Jahren fast ein wenig aristokratisch. Petra ist kleiner, auch dreiundfünfzig Jahre alt und kommt eher unscheinbar rüber. Zusammen mit der zweiundfünfzigjährigen Manuela ist das Pornotrio jetzt also vollständig. Gaby hält eine kleine Ansprache an die Runde:

»Ich möchte die Männer bitten, die hygienischen Voraussetzungen fürs Ficken zu erfüllen.«

Und sie ergänzt:

»Beim Dreh liegen Kondome bereit. Bitte nach Gebrauch ein neues überziehen. Gesundheit geht vor Geilheit.«

Hajo hält plötzlich eine Kamera in der Hand. Er bittet Manuela zu einer kurzen Begegnung. Indem er mit der Amateur-Darstellerin ein scheinbar spontanes Gespräch über ihre Befindlichkeiten vor dem Dreh führt, kann sich der Zuschauer noch besser in die authentische Verfassung der Protagonistin einfühlen.

Hajo kommt direkt zum Kern:

»Bist du schon geil?«

Manuela hat sich ein schwarzes Negligé angezogen. Man sieht ihr das Alter an, aber das stört nicht. Die Atmosphäre ist ungezwungen und strahlt eine gewisse Form von erwartungsvoller Heiterkeit aus. Hajo beginnt mit dem Interview.

»Warum grinst du so? Hast du Angst oder bist du schon geil?«

Manuela lacht bis über beide Ohren.

»Ich bin total geil drauf.«

»Ehrlich?«

»Ja, auch Angst, aber trotzdem.«

Zigarettenschwaden ziehen von den Nachbartischen vorbei.

»Hast du heute Morgen schon mal mit deinem Mann ein bisschen geübt?«

»Nein, wir waren brav. Ich wollte mich heute hier austoben.«

Sie lacht wieder, fast ein wenig verschämt.

Hajo bedankt sich freundlich, dreht sich um und winkt Diana herbei – für das nächste Gespräch.

»Diana, warum grinst du so?«

»Oh, weil ich mich freue.«

»Was hast du für eine Vorstellung, wie das gleich abläuft?«

»Ziemlich feucht, ziemlich geil. Ich hoffe, die Männer bringen genügend Standfestigkeit mit, und dann würde ich gerne eine richtig geile Runde hinlegen mit den Jungs.«

»Wie viele Männer kannst du verkraften?«

»Acht.«

»Viel Spaß.«

»Danke dir.«

Diana verabschiedet sich mit einem Kuss in die Kamera und lächelt wie eine junge Frau.

Gaby hat – vom Schreibtisch aus – die Szenerie beobachtet.

»Alle Mann zum Ficken«, ruft sie durch den Raum. Was woanders unangenehm auffallen würde, wird hier mit Selbstverständlichkeit registriert. Vor der Tür zum Studio bildet sich ein kleiner Stau. Etwa neun Männer haben sich dort versammelt, die meisten etwa in dem Alter der drei Frauen. Nur wenige sind dabei, die um die vierzig sein könnten. Zwei Männer tragen eine Maske, die sie von Hajo bekommen haben, die anderen treten an, ohne das Gesicht zu anonymisieren. Gage gibt es keine. Man unterschreibt bei Gaby einen Vertrag, mit dem man seine Bildrechte abtritt. Dann kann es auch schon losgehen.

Ein Studio mit vier kreisförmigen roten Polstern, gedacht als sexuelle Spielwiesen, an den Wänden schwarze und weiße Vorhänge, dazu ein schwarzer Teppich – der Raum ist als Veranstaltungsort für Orgien konzipiert. Die glitzernden Leuchtketten, die von der Decke herabschwingen, verstärken noch den Eindruck von einem Swinger-Club.

Hajo überlässt das Drehen einem anderen Mann. In seinem Alter fehle es ihm an Durchsetzungsstärke, meint Hajo mit einem Lächeln. Sascha, ein hochgewachsener, schlanker Typ mit einer Kamera in der Hand, hält eine kurze Ansprache:

»Lasst mir bitte immer ein wenig Platz, wenn ihr an die Frauen rangeht. Denkt daran: Die harten Schwänze immer nach vorne, die schlaffen bitte im Hintergrund bleiben. Wenn ihr abspritzt, gebt mir ein kurzes Signal, damit ich weiß, wo ich die Kamera hinhalten soll. Wenn ihr abgespritzt habt, bleibt bitte am Set. Wir brauchen hier das Gefühl von vielen Leute. Ob ihr den Mädels ins Gesicht spritzen könnt, das sagen euch die Frauen selbst.«

Jetzt ist ja wohl alles klar.

Hajo hat im Hintergrund zugehört und gibt, bevor er das Studio verlässt, das Signal.

»Es geht los. An die Gewehre, Jungs.«

Kaum hat Sascha die Kamera auf die Szenerie gerichtet, geht es mit unvermittelter Heftigkeit los. Diana, Manuela und Petra liegen auf Bauch oder Rücken, sitzen am Rand der Liegewiese, sie halten Schwänze, Männer dringen in sie ein. Hier geht es richtig lebhaft zu. Ganz schnell kommt Diana hörbar zum Orgasmus. Sie zittert mit den Beinen und stöhnt laut.

Petra ruft laut: »Ich will auch mal geleckt werden.«

Schon bald hat sich ein Ablauf herausgebildet: Die Männer stehen um das runde Sofa, wer gerade Bock hat, wird tätig und tritt heran. Die Frauen greifen zu, bieten sich an.

Längst hat Diana ihre knappen Lederdessous abgeworfen. Sie genießt es, im Mittelpunkt zu stehen, umgeben von all den Männern. Dass die nicht unbedingt attraktiv sind, stört ganz offenbar keine der Frauen. Für Diana ist es die Atmosphäre, die zählt. Sie sagt mir später: »Das macht mich an. Die Lockerheit, all die Leute, die einfach nur Bock haben. Die dazu stehen, dass sie geil sind. Großartig.«

An Hajo ist sie geraten, weil ihr in einem Swinger-Club ein befreundetes Pärchen von den Pornoproduktionen im NRW-Studio erzählte.

»›Was soll ich mit fünfzig Jahren in einem Porno?‹, habe ich mich gefragt. Aber als ich dann mal mitgegangen bin, mir das anzuschauen, ist der Funke übergesprungen.«

Die Begegnung mit der Pornografie hat ihr Leben verändert. Sie fasste den Entschluss, mit Escort Geld zu verdienen. Escort, von dem immer behauptet wird, es sei die anspruchsvolle Variante der Prostitution, wird für Diana zu einer Art Selbstverwirklichung. Die ältere Frau zieht vor allem jüngere Männer an.

»Ich habe schnell gemerkt, dass ich da eine Lücke schließe: Junge Männer, die sich einer erfahrenen Frau anvertrauen möchten, das ist ein Trend. In der Wohnung, die ich dafür angemietet habe, kann der Mann sich frei fühlen. Bei mir darf er sich ausprobieren: sich anlehnen, das Gespräch suchen, die schnelle Nummer durchziehen oder Experimente wagen.«

Früher führte Diana einen kleinen Betrieb mit acht Angestellten, sie war verheiratet und unglücklich. Sie spricht von sexueller Verklemmtheit durch Überbelastung und Frustration bei der Arbeit.

»Heute bin ich eine glückliche Frau, im Reinen mit mir selbst. Im Leben muss man sich entscheiden: Geld, Beruf, Ehe – wenn dabei auch nur eine Sache zum Selbstzweck gerät, wird es schwer, sich nicht zu verbiegen. Aber ich will mich nicht mehr verbiegen. Ich lebe.«

Offenbar läuft die ganze Veranstaltung hier jetzt zu gut. Sascha, der Regisseur und Kameramann, muss kurz unterbrechen, um zu bremsen.

»Hört mal zu. Wir haben erst sieben Minuten Material. Wir brauchen aber dreißig. Also vielleicht haltet ihr euch mit dem Spritzen etwas zurück.«

»Spritz-Stopp«, meint Petra fröhlich.

»Okay, weiter bitte.« Sascha konzentriert sich wieder auf den kleinen Sichtmonitor der Kamera.

Diana schaut sich um und spricht ihre beiden Mitstreiterinnen an:

»Meint ihr, wir schaffen die alle?« Wohl eher eine rhetorische Frage, denn in jeder Hand hält sie bereits einen Schwanz.

Ein älterer Typ hat nur noch sein T-Shirt mit dem Schriftzug »Bad Boy« an. Er zieht sich ein Kondom über, während er konzentriert Manuela dabei zusieht, wie sie einen anderen Mann gerade in sich eindringen lässt. Petra kommt und presst sich dabei die Hand vor den Mund, um den Aufschrei abzudämpfen. Die drei Frauen gehen voll mit. Da ist nichts gespielt. Das sind echte Amateure.

Ein sehr dicker Mann spritzt auf die ausgestreckten Füße von Petra.

Es wird lauter. Das Stöhnen, das Jauchzen, das Schmatzen. »Jawohl, jawohl«, schreit Manuela und hat drei Männer vor sich stehen. Es scheint, als könne sie ihr Glück kaum fassen.

Petra fühlt sich benachteiligt: »Ich will auch ficken.« Sie lacht.

Petra, die sich mit den neun Männern um sich herum gerade unterfordert fühlt, arbeitet in der Verwaltung eines Textilbetriebs. Sie ist für die Retouren zuständig. Ihr Mann ist bei dem Chemiegiganten Bayer beschäftigt. Vor zwei Tagen kam der Anruf von Gaby. Für Petra ist das eine willkommene Abwechslung:

»Gang-Bang, das würde ich gerne mal machen.«

Als Petra mir das erzählt, muss sie lachen. Sie wirkt auf mich wie eine Frau, die sich noch selbst überraschen kann. Mit ihrem Mann hat sie aber schon Filmerfahrung gesammelt, ganz privat. »Wir filmen uns beim Sex und schauen dann die eigenen Filme an. Wenn wir andere Paare treffen, dann kommt es auch mal vor, dass wir denen zeigen, was wir so treiben. Das macht uns an.«

Aber das hier sei ja etwas anderes, hake ich nach. Die ganzen Leute, die Öffentlichkeit durch die Konsumenten.

»Das hier hat was von Familie. Sich treffen, Kaffeetrinken. Hajo und Gaby, das sind angenehme Leute, einfach nette Menschen, da ist man gerne.«

Petra verschwindet gerade zwischen drei Männern, die sich um sie gruppiert haben. Ein junger Kerl, der eben erst dazugekommen ist und einen schüchternen Eindruck macht, streichelt vorsichtig Dianas Hintern. Dann rückt er seine Brille zurecht, fasst sich ein Herz und sucht sich einen Weg, um in sie einzudringen. Manuela schaut sich lachend um und scheint es noch gar nicht richtig begriffen zu haben: »Das ist ja so geil hier.«

Sascha setzt die Kamera ab.

»Leute, wir machen mal ’ne Pause. Ausruhen, Nase putzen. Wäre schön, wenn wir dann noch ein paar Fickszenen hinbekämen.« Er reicht eine Flasche Wasser herum, ein Mann zögert kurz.

Sascha meint dazu: »Wer fickt, kann auch aus derselben Flasche trinken.«

Es ist ruhig. Man hört nur das Atmen der Männer und Frauen, das langsam abflacht. Die Flasche geht reihum. Wohl kaum eine sexuelle Spielart zieht so viele männliche Akteure zu den unterschiedlichsten Veranstaltungen wie der Gang-Bang. Hier sind sie alle nackt, hier sind sie alle gleich. Egal, ob Manager oder Hartz-IV-Empfänger, was zählt, ist das Ausleben der Lust. Tatsächlich habe ich bei keinem der zahlreichen Gang-Bang-Drehs, die ich im Rahmen der Recherche aufsuchen durfte, auch nur einmal eine Auseinandersetzung zwischen den Teilnehmern erlebt: keine auch nur geringfügige Aggression, kein Kampf um die Vorherrschaft am Set, keinerlei Platzhirschverhalten.

Sascha fordert zum Weitermachen auf: »Fünf Minuten brauche ich noch. Vollgas bitte.«

Selten habe ich bei meinen Besuchen an Sets von Pornodreharbeiten eine Stimmung erlebt, die so heiter und gleichzeitig so erfüllt war von hemmungslos ausgelebter Lust. Schamlosigkeit im besten Sinne. Körper und Geist sind willige Komplizen. Möchte man es mal soziologisch formulieren, könnte man sagen, dass hier die Pornografie gesellschaftliche Grenzen sprengt. Das hier ist jenseits unserer moralischen Leitplanken. Porno, das mag ja gerade noch angehen, aber Porno, in dem Menschen jenseits der Fünfzig ein Fest der Sexualität feiern, damit lässt sich nirgendwo wirklich punkten.

Dann haben sich alle verausgabt. Sascha ist zufrieden.

Wie aus dem Nichts taucht Hajo wieder auf.

»Jungs, wie war die Party?«

Alle klatschen. Zu den Frauen gewandt:

»Hat es euch Spaß gemacht?«

Diana antwortet: »Das war eine spritzige Angelegenheit.«

Hajo darauf: »Geile Nummer. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.«

Drehschluss. Plötzlich, als wäre ein unsichtbares Band zerrissen, ist jeder wieder für sich allein. Man zieht sich in einer Ecke an, sucht seine Sachen, schleicht etwas benommen vom Set.

Zurück im Empfangsbereich: Diana läuft halbnackt zwischen den Sitzecken umher und spricht Männer an. Sie sucht sich ihre persönliche Besetzung zusammen, denn es finden noch mit jeder der drei Frauen Einzeldrehs statt – wieder jeweils mit mehreren Männern. Petra ist gerade im Studio, Manuela ruht noch aus. Sie sitzt an einem der Tische und trinkt ein Glas Wasser.

»Eben hatte ich ein paar heftige Orgasmen.«

Wie ausgerechnet ein Pornoset drei älteren Frauen dazu dient, ihre sexuellen Fantasien auszuleben, wie ein professioneller Raum intimer Erlebnisort für private Vorlieben wird, finde ich außerordentlich beeindruckend.

Weil Hajo, der Profi, einen Film dreht (im Auftrag der Firma Magma in Essen), können Amateure ihre Fantasien ausleben – in einem gesicherten Umfeld, mit klaren Absprachen und Vorgaben. Hygiene, Gesundheitsschutz und Organisation, alles ist geregelt für ein sexuelles Abenteuer. Diana, Petra und Manuela sind echte Amateure. Die kleine Gage, die sie bekommen, ist eher als Aufwandsentschädigung zu sehen denn als vorrangiger Grund für die Teilnahme.

Was man also klar benennen sollte: Dieser Dreh kennt nur Gewinner, alle Beteiligten haben etwas davon: die drei Frauen, die teilnehmenden Männer, Hajo, der Produzent, die Firma Magma und auch die Konsumenten, die diesen Film kaufen werden.

Diana hat sich jetzt zu einer Gruppe junger Männer gesellt. Während sie mit ihnen spricht, lässt einer seine Hand auf ihren Hintern wandern. Man merkt Diana an, dass sie genau das will.

Gaby kommt dazu und fragt:

»Wie viele Männer hast du beisammen?«

»Sieben, acht …«

»Reicht dir das?«, fragt Gaby.

Diana nickt, lässt den Blick durch die Runde gleiten und macht einen zufriedenen Eindruck.

»Ich glaube, wir sind komplett.«

Für Gaby ist das das Stichwort:

»Alle Kerle, die was auf der Pfanne haben, ab zum Gang-Bang.«

Ein Mann wendet sich an Gaby, die schon wieder den Schreibtisch anpeilt. Er will noch mitmachen.

»Okay, den Vertrag unterschreibst du gleich. Brauchst du eine Maske?« Er schüttelt den Kopf.

Während Diana mit den Männern im Studio verschwindet, tritt ein älterer, übergewichtiger Mann an den Schreibtisch. Ich erkenne ihn wieder: Er war beim Dreh dabei und will wissen, wann der nächste Gang-Bang stattfindet.

Petra kommt von ihrem Einzeldreh. Sie wirkt zufrieden und ausgeruht.

»Das war toll«, erzählt sie mir. »Jetzt fahre ich zu meiner Mutter. Die ist krank und braucht Pflege.«