DSA 15: Hinter der Eisernen Maske - Hans-Joachim Alpers - E-Book

DSA 15: Hinter der Eisernen Maske E-Book

Hans Joachim Alpers

4,8

Beschreibung

Der junge Thalon wird gezwungen, unter dem finsteren und geheimnisumwitterten Kapitän Eiserne Maske dem Piratenhandwerk nachzugehen. Obwohl er bald das Vertrauen des Kapitäns gewinnt, kann er die erlittene Demütigungen nicht vergessen. Der erste Roman über die "Piraten des Südmeers" schildert, wie Thalon in die Auseinandersetzungen zwischen den Südmeerpiraten und dem Despoten von Ghurenia hineingezogen wird.

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Titel

Hans Joachim Alpers

Hinter der Eisernen Maske

Die Piraten des Südmeers

Teil 1

Fünfzehnter Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses SpieleBand 15

Buchgestaltung: Ralf BerszuckE-Book-Gestaltung: Michael Mingers

Copyright ©2012 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR.Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

Print-ISBN: 3-453-10958-9 (vergriffen)E-Book-ISBN: 978-3-86889-631-2

Kapitel 1

Charypso

Thalon wischte sich mit dem Hemdsärmel die Nase ab. Das fahle Linnen färbte sich rot vom blutigen Rotz. Das ganze Gesicht tat ihm weh, aber die Demütigung schmerzte mehr als die Nase. Er hatte Mühe, ein Schluchzen zu unterdrücken, und in seinen Augen standen die Tränen. Es war schon die dritte Maulschelle, die er heute aus nichtigem Anlaß bezogen hatte, und dieses Mal hatte Abrash mit aller Wucht zugeschlagen.

Thalon haßte den schmierigen dicken Koch des Anker! Er hätte ihn umbringen können.

Ich halte es nicht mehr aus! Ich muß von hier weg!

Poll, der andere Küchenjunge, feixte. Aber Poll war einfach zu blöd, als daß Thalon sich über ihn aufregte.

Abrash war noch nicht mit Thalon fertig. »Faß an, du nichtsnutziger Bengel!« schrie er ihn an. »Boron ist mein Zeuge, ich habe noch nie so einen tölpelhaften Küchenjungen gehabt. Anfassen, sage ich!«

Gehorsam fing Thalon den Lappen auf, den Abrash ihm zuwarf, und packte einen der Henkel des großen Kupferkessels, in dem Maronen und Datteln in einer süßsauren Soße köchelten. Gemeinsam hievten sie den Kessel vom Herd. Abrash murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, aber dann schien sein Zorn verraucht zu sein. Die dicken Stirnadern waren fast verschwunden, seine Züge glätteten sich zu der naiven, fast idiotisch wirkenden Kindlichkeit, die er meistens an den Tag legte. Eine täuschende Fassade. Wenn er tatsächlich ein kindliches Gemüt haben sollte, dann das eines ausgesprochen bösartigen Görs, vor dem sich jede schwächere Kreatur besser in acht nahm. Er wandte sich wieder dem Herd zu und gab das geschnetzelte Hasenragout zusammen mit den Kutteln sowie einer guten Portion Calabassenfett in eine gewaltige Pfanne. Die Pfanne war heiß. Im Nu brutzelte und zischte es. Abrash fügte allerlei Gewürze hinzu, schob das Fleisch mit einem Holzlöffel hin und her und ließ es von allen Seiten anbraten. Ein würziger Geruch stieg von der Pfanne auf. Aber der durchmischte sich bald mit weniger guten Düften, denn Abrash furzte in einem fort. Die Darmwinde knatterten ihm so laut und anhaltend aus dem Hintern, daß es Thalon nicht gewundert hätte, wenn mit diesen Winden in den Segeln eines der Schiffe aus der Bucht quer durch das Südmeer getrieben wäre.

Thalon seufzte und zog sich ein Stück vom Herd und damit auch vom furzenden Abrash zurück. Für den Augenblick hatte er wohl etwas Ruhe vor seinem Plagegeist. Abrash wäre für eine Weile am Herd beschäftigt. Als der Koch ihm den breiten Rücken zukehrte, nutzte Thalon die Gelegenheit und warf Pim, dem schwarzen Rüden, ein paar Fleischabfälle auf den Boden. Pim war sein einziger Freund im Anker. Gierig schlang der Hund die Brocken hinunter, stieß ihn dankbar mit der Nase an und trollte sich dann.

In der Gaststube lärmten die angetrunkenen Seeleute. Vier Schiffe ankerten vor Charypso, und die drei Wirtshäuser waren bis zum Bersten gefüllt. Eines der Dienstmädchen lachte laut und juchzte. Wahrscheinlich hatte sie jemand in den Hintern oder eine der sonstigen weichen Stellen gezwickt, und es schien ihr zu gefallen. Der schrillen Stimme nach war es die dralle Arnica. Sie hatte schon vier Blagen. Wenn sie nicht aufpaßte, würde sie in neun Monaten ein fünftes Balg durchzufüttern haben.

Thalon war erst sechzehn, aber er wußte natürlich längst über diese Dinge Bescheid. Daß jemand ernsthaft die dicke Arnica reiten wollte, verstand er allerdings nicht. Aber mindestens vier Kerle hatten genau das getan, dem Ergebnis nach zu urteilen. Falsch, es waren mindestens sechs gewesen. Die Väter der Blagen und dazu zwei weitere in den wenigen Wochen, die Thalon sich im Anker abrackerte. Er hatte in seiner Dachkammer gehört, wie sie es nebenan getrieben hatten, und beide Male neugierig durch eine Ritze gespäht, ohne viel mehr als den Hintern eines Mannes zu sehen, der sich auf und ab bewegte. Einmal allerdings, als Arnica den Kerl auf den Rücken gelegt hatte, sah er ihren runden Hintern und die gewaltigen nackten Brüste, die hin und her flogen wie volle Weinschläuche, die ein Schelm rosarot getüncht hatte. Nichts von dem, was er sah, konnte ihn reizen, und er hatte diese schrecklichen Brüste eher als Bedrohung empfunden. Nun ja, mit ein paar Bechern Wein im Bauch sah man die Sache wahrscheinlich anders. Thalon fand allerdings, daß dem Vögeln ohnehin zuviel Bedeutung beigemessen wurde. Er kam ganz gut allein zurecht.

Eloanta, die herrische Wirtin des Anker, kreuzte in der Küche auf, und ihr langer schwarzer Rock fegte den Steinfußboden blank. Eloanta war jenseits aller fleischlichen Lüste – jedenfalls glaubte Thalon dies – und zudem wegen ihrer knochigen Gestalt und der stets mürrischen Miene selbst von Seiten Volltrunkener kaum unzüchtigen Anträgen ausgesetzt. Einmal allerdings hatte sich doch die Hand eines Gastes zwischen ihre Schenkel verirrt. Eloanta quittierte den Griff erst mit einem giftigen Blick, dann mit einem derben und ungemein kraftvollen Faustschlag genau zwischen die Augen. Der Mann war unter dem Johlen der anderen Gäste zu Boden gegangen und hatte seine Lüste für den Rest des Abends nur noch auf berauschende Getränke gerichtet. »Das Bier geht zur Neige«, sagte die Wirtin zu Abrash. »Die Taugenichtse sollen ein neues Faß holen.« Sie schnüffelte. »Sind das die Kutteln, oder hat einer der Taugenichtse in die Ecke geschissen?«

Und schon war sie wieder verschwunden. Sie sprach immer nur mit Abrash, nie mit den Küchenjungen selbst, und nannte sie niemals anders als ›Taugenichtse‹.

Der Koch hatte sich im Beisein seiner Herrin zusammengenommen, aber jetzt ließ er wieder einen knarzenden Wind fahren. »Ihr habt gehört, was sie gesagt hat!« rief er. »Hurtig, ihr Faulpelze, oder ich mache euch Beine!«

Poll tat beflissen und flitzte bereits aus der Küche. Thalon nahm eine Laterne vom Wandregal, griff nach dem riesigen Schlüssel, der neben der Tür an einem Haken hing, und folgte gemächlicher. Die Nacht war klar, und der Madamal stand voll am Himmel. Man sah auch ohne die Laterne ganz gut auf dem Hof. Aber im Schuppen würde er zusätzliches Licht benötigen.

Draußen auf dem Hof stieß er fast mit Poll zusammen, der stehengeblieben war, sobald Abrash ihn nicht mehr sehen konnte.

»Hemdenschisser!« sagte Thalon verächtlich, obwohl Poll einen Kopf größer und kräftiger war als er.

»Halt’s Maul, sonst kriegstu auch von mir was auffe Nase!« drohte Poll. »Bis wohl scharf auf rote Rotze, was?«

»Vor dir hab ich keine Angst, Hemdenschisser«, sagte Thalon, und das stimmte auch. Poll hatte mehr Muskeln als Thalon, aber weniger Hirn. Vor allem jedoch war er ungeheuer feige. Und ein Schleimer sondergleichen.

Der größere Junge trat spielerisch mit dem Fuß nach Thalon, aber es war nur eine Geste. Thalon machte sich nicht einmal die Mühe auszuweichen. Wie sich herausstellte, war dies auch nicht nötig. Ohne sich um den anderen zu kümmern, ging Thalon zum Lagerschuppen, schloß auf, schob den schweren Riegel zurück, leuchtete ins Innere, trat ein und verscheuchte zwei Ratten.

An der Decke hingen Speckseiten, ein halber Schinken, geräucherte Kaidaunen, Stockfische und Würste, alles Vorräte, die man für den alsbaldigen Verbrauch aus der Räucherkammer über dem Kamin genommen hatte. Leider war alles genau abgezählt, und es hatte wenig Sinn, etwaige Verluste den Ratten anzulasten. Falls etwas fehlte, wurden die Küchenjungen windelweich geschlagen. Aus der Sicht von Abrash und Eloanta war die Sache einfach. Schuld hatten in jedem Fall die Jungen. Schließlich war es ihre Aufgabe, die Vorräte so aufzuhängen, daß die Ratten nicht herankamen.

Am Boden standen zwei verschlossene große Fässer mit Salzfischen, drei volle und etliche leere Bierfässer sowie neun versiegelte Amphoren mit Wein. Dazwischen lagen die Köttel von Mäusen und Ratten, und der Gestank von deren Pisse überlagerte sogar den Duft der Räucherwaren.

Thalon stellte die Laterne ab und packte eines der Bierfässer. Eine weitere Ratte, die sich dahinter versteckt hatte, huschte davon. Poll kam ihm zu Hilfe. Gemeinsam kippten sie das Faß auf die Seite und rollten es auf den Hof. Es trudelte fast von allein den abschüssigen Hof hinunter bis zum Hintereingang der Wirtsstube. Poll mußte nur ein wenig die Richtung korrigieren, während Thalon die Laterne holte und den Schuppen wieder absperrte.

Die staubigen Pergamentscheiben des Schankraums glommen matt im Licht der Talglichter und Tranfunzeln, die auf den Tischen standen oder an den Wänden hingen. Manchmal riefen die leuchtenden Scheiben bei Thalon Erinnerungen an ferne Tage der Kindheit hervor, an Heimeligkeit, Sicherheit, Behaglichkeit. Manchmal jedoch – und in letzter Zeit immer häufiger – erschienen ihm die Lichtpunkte wie die bösen suchenden Augen eines riesigen Ungeheuers, das sich in die Dunkelheit gekauert hatte und auf Beute aus war.

Poll wartete nicht auf Thalon, sondern öffnete die Tür und wieselte hinein. Von draußen hörte Thalon, wie er die Ankunft des neuen Bierfasses verkündete und so tat, als wären dies allein sein Verdienst und seine Tat. Dieser Poll war ein Schleimer und Anbiederer, der sich noch mit seinem Henker verbrüdern würde. Mochte sein, daß er damit blendend durchkam. Konnte auch sein, daß ihm irgendwann jemand ein Messer durch den Schlund ziehen würde. Thalon spuckte aus.

Als Poll wieder aufkreuzte, packte Thalon wortlos mit an. Es hatte keinen Sinn, sich mit Poll zu streiten. Der würde sich nur über ihn beschweren. Er würde nicht einmal verstehen, was Thalon störte. Er meinte, jeder müsse und werde sich so verhalten, wie er es tat. Und wenn nicht – nun, um so besser für Poll. War nicht jeder seines eigenen Glückes Schmied?

Die Jungen hievten das Faß über die Schwelle, tauchten in das Zwielicht und den Geruch nach Rauch, Tran, Bier, Wein, Knoblauch und gebratenen Zwiebeln, ungewaschenen Leibern, verschissenen Klamotten, kalten Fürzen und ranzigem Speck. Im Hintergrund waren Dutzende von undeutlichen Stimmen zu hören, Weiber, Kerle, einige murmelnd, andere laut, manche lallend. Ein Mann grölte mit versoffener Stimme ein Lied über ›den alten Bengel mit dem schlappen Schwengel‹, verlor aber schnell wieder die Lust und verstummte.

Thalon und Poll stemmten das Faß um eine Mauerecke, rollten es über Backsteine und knarrende, sich durchbiegende Holzbohlen. Die anderen Wirtshäuser am Ort brauten ihr Bier selbst, aber Eloanta verstand nichts davon und bezog es von ihrem Oheim, dem die verrufene Wirtsstube Rahjas Schoß gehörte. Die Stimmen wurden lauter, als die beiden Jungen die Gaststube erreicht hatten. Eine bunte Schar von Männern und Frauen lümmelte sich an den Tischen, wie Thalon aus den Augenwinkeln heraus feststellte. Kaum einer der Zecher blickte auf. Sie waren mit sich sowie ihren Speisen und Getränken beschäftigt. Was Thalon nur recht war. Manche Zecher gelüstete es nach Knaben, und Thalon hatte die Erfahrung gemacht, daß er für sie reizvoller war als der blödgesichtige Poll mit seinen Spinnengliedern. Auf jeden Fall hüteten sich beide Jungen, die Gäste mehr als verstohlen zu mustern. Eloanta hatte das nicht gern. Es gab auch wenig zu sehen, was sie nicht bereits kannten: saufende und fressende Seeleute eben. Die meisten hielten sich im hinteren Teil des Raumes auf, und die Beleuchtung reichte kaum aus, um Gesichter aus den Schatten zu schälen. Vielleicht waren mehr Messer, Säbel und Enterhaken zu sehen als sonst. Es hieß, daß die Schiffe in der Bucht Piraten gehörten. Aber das kümmerte hier keinen. Die Piraten hatten Charypso bisher in Frieden gelassen. Und wenn sie kamen, dann verscherbelten sie ihre Waren auf dem Markt wie die ehrbaren Kaufleute auch. Woher die Waren stammten, wollte niemand wissen.

Das letzte Stück bis zum Schanktisch war stets am schwersten. Hier wurde der Fußboden mit Sägespänen ausgestreut. Das Faß rollte nicht mehr, sondern mußte geschoben werden. Törk, der das Bier zapfte, ein mürrischer Alter, mißgestaltet und von gnomhaftem Wuchs, erwartete sie bereits. Sein linkes Auge glitzerte böse. Es war sein einziges. Rechts gähnte eine borkige Höhle, und die Narbe eines Messerstichs zog sich bis zum Kinn hinunter. Blitzschnell teilte er eine Belohnung aus. Sie bestand aus einem festen Fußtritt. Poll wich geschickt aus. Thalon, der gerade das Faß aufgerichtet hatte, hatte weniger Spielraum, sich zu bewegen. Das derbe Schuhwerk des Gnoms traf ihn am Hintern, obwohl die volle Wucht des Tritts ins Leere ging.

»Faule Bande!« schimpfte Törk, der Mühe hatte, das Gleichgewicht zu wahren. Sein riesiger Buckel, der wie ein angewachsener Rucksack aussah, brachte ihn ins Schlingern.

Im Hintergrund lachten ein paar Zecher. Es gab also doch den einen oder anderen belustigten Zuschauer.

Thalon tauchte an ihm vorbei, griff nach dem leeren Faß und setzte es in Bewegung. Dieses Mal überließ er Poll die gefährliche Seite in Reichweite des Gnoms. Aber Poll dachte gar nicht daran, sich in Gefahr zu begeben. So blieb es Thalon überlassen, das leere Faß durch das Sägemehl zu schieben.

Wie aus dem Nichts stand Eloanta plötzlich vor dem Schanktisch. Sie sagte nichts, aber Törk hantierte sofort emsig herum, bockte das Faß auf und schlug den Zapfhahn ein.

Die Jungen beeilten sich, das leere Faß auf den Hof zu bringen. Thalon stieß den nutzlosen Poll beiseite und rollte es allein zum Schuppen. Es konnte draußen stehenbleiben. Er würde es morgen zu den anderen stellen.

»Ich mag Kumpel, die zupack’n könn«, sagte Poll in sicherer Entfernung. Seine Stimme triefte vor Hohn. Auch ohne das Licht der Laterne konnte Thalon sich gut Polls Gesicht vorstellen. Der breite Mund zu einem Grinsen verzogen, das fast von einem Ohrläppchen bis zum anderen reichte. Die Grinsefratze eines Watschenmannes mit abstehenden Ohren, fliehender Stirn und fettigem Haar.

»Eines Tages werde ich dich zusammen mit verdorbenen Kutteln und Stinkwurz in die Pfanne schnetzeln und das Ganze als Festmahl den Ratten servieren«, sagte Thalon ärgerlich. »Na los, geh schon hinein zu Abrash und petz es ihm!«

Für den Moment hatte es Poll die Sprache verschlagen. Er ließ sogar zu, daß Thalon an ihm vorbei in die Küche ging, und versuchte nicht einmal, ihm ein Bein zu stellen. Aber dann besann er sich. Er knuffte Thalon, drängelte sich an ihm vorbei und begann: »Dieser Thalon, die faule Sau, hat mich alles allein mach’n lassen. Un wißt Ihr, was er gesagt hat? Er will mich…«

Abrash stand immer noch an der Pfanne, furzte aber nicht mehr. »Schnauze!« sagte er knapp, grinste aber dabei. Aus irgendeinem Grund schien es jetzt bessere Laune zu haben. Vielleicht deshalb, weil ihm die dahingefahrenen Darmwinde Erleichterung verschafft hatten. »Ihr Faulpelze könnt für heute Schluß machen. Ich brauche euch nicht mehr. Aber wenn ich morgen in die Küche komme, will ich alles blitzblank sehen! Also in der Früh zeitig auf die Beine, sondern setzt es was!«

Poll war bereits auf dem Sprung, aber Abrash bremste ihn. »Langsam, Faulpelz! Hast du vergessen, was am Abend des Windstags zuletzt zu tun ist? Willst du den Scheißeträgern ihr Brot nehmen?«

»Ich wollte nur…«, verteidigte sich Poll.

»Ab ins Prunzhaus!« kommandierte Abrash und lachte.

Thalon fand, daß jemand, der so ausdauernd und mit Genuß zu furzen pflegte, eigentlich kein Recht hatte, über diese Dinge zu lachen. Aber das war jetzt gleichgültig. Der Strohsack winkte. Nur eine Hürde war noch zu nehmen.

Poll winkte schon mit der Laterne. Während Thalon hinter dem anderen Küchenjungen hertrottete, merkte er, wie hundemüde er war. Es war ein langer Arbeitstag gewesen, und morgen würde es nicht anders sein. Aber bei Travia, es gab Leute, die hatten keine Kammer und keinen Strohsack, nicht einmal etwas zu essen. Im Grunde durfte er sich nicht beklagen.

Und doch halte ich es hier nicht mehr aus! Ich muß weg!

Aber sie würden ihn nicht gehen lassen. Er mußte es klug einfädeln. Wenn er floh, dann mußte es für immer sein. Wenn sie ihn faßten und zurückbrachten, würden sie ihn zum Krüppel prügeln…

Was Abrash als Prunzhaus bezeichnete, war eine Lokalität am anderen Ende des Hofes, eigentlich nur eine Nische mit einem halbhohen Gatter davor. Links und rechts davon erstreckte sich eine Grube. Poll hatte es plötzlich eilig. Er stellte die Laterne an den Rand der Grube, kletterte hinab und winkte Thalon ungeduldig zu, es ihm gleichzutun. Früher einmal hatte Poll versucht, sich vor dieser Arbeit zu drücken. Aber das war ihm schlecht bekommen, weil Abrash von der Küche aus alles beobachtet hatte.

Thalon stieg auf der anderen Seite in die Grube und scheuchte die Ratten weg. Sorgfältig achtete er darauf, daß sie genügend Platz hatten, um an ihm vorbeizulaufen. Hier in der Grube konnten die Biester gefährlich werden, wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlten. Er steckte das bereitliegendeRundholz in die Öffnung unter dem Prunzhaus und drückte damit von hinten gegen das Faß. Poll tat auf seiner Seite das gleiche. Langsam rutschte das bis obenhin gefüllte Faß nach vorn. Eine letzte fette schwarze Ratte, fast so groß wie eine Katze, kam mit böse glitzernden Augen aus der Höhlung und huschte davon. Es stank entsetzlich, und die Scheiße war an beiden Seiten des Fasses heruntergelaufen.

Blitzschnell steckte Poll sein Rundholz durch die verschissenen Klüsen des Fasses. Er erreichte damit, daß Thalon das glitschige Ende anfassen mußte, während er selbst das saubere Ende behalten konnte. Gemeinsam stemmten sie das am Rundholz hängende Faß über den Rand der Grube, schoben ein leeres Faß in die Grotte, kletterten nach oben und trugen das Faß auf die Gasse hinaus. Die Scheißeträger – Blöde und Sieche wurden dafür eingesetzt – würden ihre Fracht im Morgengrauen abholen.

Als Thalon das Rundholz aus den Klüsen zog, wurde im gegenüberliegenden Giebelhaus ein Fenster geöffnet. Eine schemenhafte Gestalt im Unterkleid war zu sehen, und im nächsten Moment klatschte etwas auf die Straße. Unwillkürlich sprang Thalon zur Seite, obwohl er nicht in Gefahr gewesen war, getroffen zu werden. Jemand hatte sein Nachtgeschirr in die Gasse geleert und das Fenster wieder geschlossen. Da war jemand zu geizig, um den Scheißeträgern die paar Kreuzer für ihre Dienste zu zahlen. Es gab sogar welche, die sich auch tagsüber ganz ungeniert in die Gasse hockten, um ihre Notdurft zu verrichten, statt die Prunzhäuser oder die Scheißnasen an der Bucht zu benutzen.

Poll nahm die Schnabelkanne aus dem Prunzhaus, füllte sie am Brunnen auf und stellte sie zurück. Währenddessen warf Thalon das Rundholz in die Grube, ging mit der Laterne zum Brunnen und wusch sich gründlich. Er stellte fest, daß ihm Spritzer der Jauche auf die Beinlinge gelangt waren. Kurzerhand zog er sie aus, steckte sie in den Schöpfeimer, nibbelte sie im Wasser, wrang sie schließlich aus und zog sie naß wieder an. Lieber frieren als stinken. Das hatten ihm die Waldmenschen beigebracht, die ihn nach seiner Flucht aus dem niedergebrannten Heimatdorf im Dschungel aufgelesen hatte. Nur die Könige der Dschungels dürfen nach sich selber stinken, hatten seine neuen Freunde gesagt. Wer mühsam seine Beute jagt und Feinde zu fürchten hat, muß sorgfältiger auf sich achtgeben. Obwohl sich die Waldmenschen auf der Jagd manchmal mit dem Kot ihrer Beute einschmierten, um die eigene Witterung abzutöten, hatte Thalon das Wesentliche verstanden: Stinke so wenig wie möglich nach dem, was die Körperöffnungen des Menschen verläßt.

Ich hätte bei den Waldmenschen bleiben sollen.

Poll war bereits irgendwohin verschwunden. Wahrscheinlich versuchte er, bei einem der Gäste Tabak zu schnorren, um vor dem Schlafengehen noch ein Pfeifchen zu rauchen.

Thalon brachte die Laterne in die Küche zurück. Abrash duldete nicht, daß die Küchenjungen die guten Laternen für ihre eigenen Zwecke benutzten. Thalon fand ein Talglicht und verließ die Küche. Der Koch saß am Tisch, stierte stumm in einen weingefüllten Kelch und nahm keine Notiz von dem Jungen.

Nachdem er die Diele durchquert hatte, stieg Thalon die schmalen Stiegen zum Dachboden hinauf. Jede einzelne Stufe knarrte, und jede hatte ihr eigenes Geräusch. Im Grunde brauchte Thalon das Licht nicht. Er hätte sich hier auch im Dunkeln gut zurechtgefunden. Die letzte Stiege seufzte schmachtend wie ein Mädchen, dem es ein Galan besorgte. Thalon tat ein paar Schritte auf den Bohlen des Fußbodens, die ebenfalls zu ihm sprachen, allerdings dumpfere Stimmen als die Stiegen besaßen. Dann stieß er die Tür zu seiner Kammer auf.

Thalons kleines Reich war ein aus Holzbohlen gezimmerter Verschlag unter dem Giebel, gerade hoch genug, als daß er darin aufrecht stehen konnte. Außer dem Strohsack, auf dem Thalon schlief, enthielt der winzige Raum einen dreibeinigen Schemel, einen wassergefüllten Tontopf, eine Schöpfkelle und eine Kommode mit drei Schubladen, in denen der Küchenjunge seine wenigen Habseligkeiten verwahrte. Thalon teilte die fensterlose dunkle Kammer mit allerlei Wanzen, Flöhen, Kakerlaken, Spinnen und einigen Mäusen. Im Gegensatz zu den anderen Mitbewohnern bekundeten die Mäuse einen gewissen Respekt und verschwanden meistens in ihren Löchern, wenn die Tür geöffnet wurde. Dieses Mal hatten sie ihn schon auf der Treppe gehört und sich davongemacht.

Thalon schloß die Tür, legte den Riegel vor und stellte das Talglicht auf die Kommode. In diesem Moment fiel die ganze Last des Tages von ihm ab wie ein schwerer Sack, der das Kreuz gedrückt hat und nun zu Boden gleitet. Kein Poll und kein Abrash, keine Befehle und keine Schikanen. Thalon lebte für diese kurzen Augenblicke, in denen er fern von allem war. Er ließ sich auf den Strohsack plumpsen und streckte Arme und Beine weit aus. Einen Moment lang wollte er so verharren, mit den Augen den unsteten Schatten folgend, die die Flamme des Talglichts an die Decke warf, bevor er Wams und Beinlinge ausziehen und dem Schlaf in die Arme sinken würde.

Welche Plackerei war das heute wieder gewesen!

Unten in der Schenke lärmten noch immer die Zecher. Aber das Haus besaß massive Mauern, die Decken bestanden aus dicken Balken und Bohlen, mit Reet, getrocknetem Dung und Mörtel dazwischen, und außerdem schirmten die Gesinderäume im ersten Stock die Dachkammer von dem Geschehen im Erdgeschoß ab. Das Singen und Grölen versickerten in Holz und Stein, Reet, Dungfladen und Mörtel und drang nur als fernes Grummeln an Thalons Ohr. Da vermochten selbst die Mäuse lauter zu rascheln, wenn sie es darauf anlegten. Aber sie verhielten sich still. Vielleicht hattensie sich in andere Örtlichkeiten verzogen, wo es mehr zu holen gab als Talglichtstummel.

Plötzlich gab es ein wildes Durcheinander auf der Treppe. Ein Mädchen kreischte auf, ein Mann lachte kehlig.

»Hau ab!« schrie das Mädchen. »Laß mich los, du Scheißkerl!«

Die Stimme des Mädchens klang schrill und angespannt. Thalon konnte sie nicht zuordnen. Vielleicht war es Tilly. Oder Margona? Auch möglich.

»Na warte, Metze, ich werd’s dir schon zeig’n…« Der Kerl schrie jetzt ebenfalls. Er hörte sich überhaupt nicht mehr belustigt, sondern mordswütend an. Thalon fand, daß er eine rauhe, gemeine Stimme besaß. Er versuchte sich die dazugehörige Visage vorzustellen und fand, daß das grobe Kuhfladengesicht des Schächtergesellen Romario passend wäre. Den haßte er aus ganzem Herzen. Romario liebte es, ohne Grund jüngere Burschen zusammenzuschlagen, und Thalon war ihm auch schon unter die Fäuste geraten. Allerdings nur einmal. Beim zweiten Versuch hatte ihm Thalon erst mit voller Wucht in die Hoden getreten und ihm dann, als sich der Geselle vor Schmerz krümmte, das Knie unter das Kinn geschmettert. Seitdem wetzte Romario jedesmal sein Schächtermesser, wenn er Thalon sah, hatte sich bisher aber noch nicht getraut, ihn damit anzufallen.

Das Mädchen – Tilly, Margona oder wer auch immer – rannte flink die Treppe herauf.

He, laß das, protestierte Thalon lautlos, du hast hier oben nichts zu suchen! Es genügte doch wahrhaftig, daß die dicke Arnica sich hier ihren Kerlen hingab, damit ihre Blagen nichts mitkriegten.

Schwere Stiefel bewegten sich auf der Treppe, langsamer als die nackten Füße des Mädchens, aber hastig genug, um die ernsten Absichten ihres Besitzers anzuzeigen.

Unwillkürlich hatte sich Thalon aufgerichtet. Er erstarrte, als das patschende Geräusch der nackten Fußsohlen quer über den Boden direkt auf seine Kammer zukam.

Bei Travia, das gibt Ärger!

Im nächsten Moment riß das Mädchen an der Tür zu Polls Kammer, versuchte sie zu öffnen, aber das Schloß hielt stand. Poll war stolz darauf, daß die Tür zu seiner Kammer ein Schloß besaß, und zeigte gern seinen Schlüssel herum. Kleine Fäuste hämmerten gegen die Tür, so hastig und wild, wie Thalon es noch niemals gehört hatte.

»Thalon? Poll? Bitte, bitte hilf mir!«

Sie heulte schrill wie ein junger Hund, fand Thalon. Einige der Mädchen liebten es, sich anfangs zu sträuben, bevor sie die Beine breitmachten. Aber so ernst mit der Gegenwehr war es noch keiner gewesen. Entweder war dies eine neue Spielart, die Thalon noch nicht kannte, oder das Mädchen hatte tatsächlich keine Lust, mit dem Kerl zu rammeln. Wenn er ein Kuhfladengesicht wie Romario besaß, konnte Thalon das gut verstehen. Zugleich wußte er aber auch, daß eine Frau mit solchen Sachen allein klarkommen sollte. Sie mußte selbst entscheiden, ob es nicht besser war, sich ein Kind machen zu lassen, als von einem enttäuschten Kerl aufgeschlitzt zu werden.

Thalon spürte, wie in ihm die Bitterkeit aufkam, und drängte sie zurück. Nicht schon wieder. Das ist Vergangenheit! Das muß ruhen!

»Du entkommst mir nicht, du geile Fotze!« schnaubte der Mann, immer noch wütend, aber zugleich siegessicher. Das Geräusch seiner Stiefel hatte fast die Tür zu Polls Kammer erreicht.

Das Mädchen schrie gellend auf. Ein dumpfes Geräusch. Der Mann fluchte. Nackte Füße wirbelten über Eichenbohlen, die nicht genug Zeit fanden, um nachzugeben und zu quietschen. Sie war ihm noch mal entkommen.

Schon hatte sie Thalons Kammer erreicht und versuchte, die Tür aufzureißen. Sie hämmerte dagegen, aber ihre Schläge klangen schon verzagter, kraftloser.

»Thalon! Poll! Bitte…«, schluchzte sie.

Der Schrei vor Polls Kammer war so herzzerreißend gewesen, daß es Thalon nicht länger auf seinem Strohsack hielt. Mit einem Sprung war er an der Tür. Ohne zu überlegen, riß er den Riegel zurück.

Die Tür wurde nach innen gedrückt. Das Mädchen rannte Thalon fast um. Aber sie besaß Geistesgegenwart genug, ihrem Verfolger die Tür vor der Nase zuzuschlagen und mit letzter Kraft den Riegel vorzuschieben.

»Bitte, Thalon, bitte hilf mir!« Das Mädchen preßte den Rücken gegen die Tür und wandte sich Thalon zu. Es war weder Tilly noch Margona, sondern Chinza, eine recht hübsche Moha mit glatter brauner Haut und langen pechschwarzen Haaren. Sie war schon neunzehn und galt als ziemlich eingebildet. Hielt sich für etwas Besseres, obwohl auch sie nur eine Dienstmagd war. So redeten die anderen über sie. Thalon hielt sich in solchen Beurteilungen zurück. Aber er konnte sich nicht erinnern, daß sie ihn jemals zuvor eines Blickes gewürdigt hatte.

Draußen knallten derbe Fäuste gegen das Holz der Tür. Die Hiebe brachten die Tür zum Erbeben, und Thalon rechnete jeden Augenblick damit, daß die Fäuste das Holz durchschlugen.

»Bitte!« wiederholte Chinza.

Warum Thalon die Tür geöffnet hatte, wußte er selbst nicht recht. Etwas tief in ihm hatte ihn dazu veranlaßt. Der Wunsch zu helfen, hervorgerufen durch diesen entsetzlichen Schrei. Aber dann hatte er schnell zur Vernunft zurückgefunden. Es war nicht ratsam für einen Küchenjungen, sich in die Angelegenheiten von Erwachsenen einzumischen. Erst recht dann nicht, wenn es sich um Fickhändeleien handelte. Eigentlich hatte er sagen wollen, sie möge sich trollen, dies sei nicht ihre Kammer, und er wolle seine Ruhe haben.

Aber dann sah er die Angst in ihren weitaufgerissenen Augen. Diese entsetzliche, namenlose Angst. Solche Augen voller Angst hatte er schon einmal gesehen. Damals.

Als der Sklavenhändler Thalons Mutter vor den Augen des Jungen Gewalt antat. In ihrer Verzweiflung hob sie einen im Rock versteckten Dolch gegen den Peiniger. Er schlug ihr die Waffe fort, drang weiter in sie ein, bis seine Lust befriedigt war, und verstümmelte sie anschließend mit seinem Messer, schlitzte ihr schließlich den Leib auf. Sie schrie und schrie und schrie in einem fort. Thalon glaubte, seine Ohren würden ihm davon platzen. Aber es war nicht die Lautstärke, die ihn peinigte, sondern das Entsetzen, das in der Stimme lag. Er lag gefesselt daneben, zum Nichtstun verurteilt. Aber hätte er gewußt, was zu tun war, wenn es die Fesseln nicht gegeben hätte?

Damals… Das Grauen, das nie enden wollte. Bis die Mutter aufhörte zu schreien und der Sklavenhändler hinausging, um seinen Gehilfen Befehle zu erteilen. Bis Thalon davongelaufen war. Fort, nichts als fort. Vorbei an der schrecklich verstümmelten Leiche seiner Mutter, hinaus aus der Hütte, vorbei an anderen blutigen Leichen, an lichterloh brennenden Nachbarhütten. Von Travias Hand wundersam beschützt vor herabfallenden brennenden Balken, einmal gestreift von einem verirrten Pfeil. Hin zum Waldrand. Ohne zu denken, innerlich schreiend, nichts als eine zutiefst verwundete Kreatur. Als letztes sah er zwei oder drei Dutzend Kinder und junge Frauen, die von den Sklavenhändlern zusammengetrieben wurden. Er erkannte ein paar Spielgefährten. Dann verschluckte ihn das grüne Maul des Dschungels.

»Mach auf, Metze, oder ich schlage die Tür ein!« brüllte draußen der Kerl.

Chinza sah sich gehetzt um. Obwohl die Enge der Kammer dies nicht erhoffen ließ, fragte sie flehentlich: »Gibt es denn keinen zweiten Ausgang?«

Thalon schüttelte stumm den Kopf.

»Ein Fenster, eine Luke?«

»Nein. Du hast dir leider den falschen Raum ausgesucht. Nebenan befindet sich eine Luke. Vielleicht…« Thalon dachte an den Spalt, durch den er die dicke Arnica beobachtet hatte.

»Was vielleicht…?« fragte das Mädchen mit fiebernder Stimme.

»Ich dachte… die Wand ist dünn… aber nein, dazu reicht die Zeit nicht…«

»Bitte, Thalon, ich will diesem Dreckskerl nicht in die Hände fallen!«

»Wir könnten…«, begann Thalon. Weiter kam er nicht.

Der Mann draußen hatte eingesehen, daß Tür und Riegel stabil genug waren, um seinen Fäusten zu widerstehen. Er nahm einen kurzen Anlauf und warf sich mit aller Gewalt gegen die Tür. Splitternd brach der Riegel aus dem Holz des Türrahmens. Die Tür sprang auf, und ein muskelbepackter Mann stürzte in die Kammer. Sein eigener Schwung riß ihn zu Boden.

Chinza war mit einem Schrei zur Seite gesprungen. Sie stolperte über den Strohsack und fiel der Länge nach hin. Mit angstvollem Gesicht wich sie bis in die hinterste Nische zurück, zog die Beine an den Körper und schlug mit einen sinnlos züchtigen Geste den langen Rock über die nackten Waden.

Der Kerl war schon wieder auf den Beinen. Er besaß kein Kuhfladengesicht wie Romario, sondern hatte bis auf die etwas zu spitze und etwas zu lange Nase ebenmäßige Züge. Die Haut war wettergegerbt und von der Sonne gebräunt, das dunkle Haar lockig und sorgsam gestutzt. Man hätte ihn beinahe schön nennen können, und er befand sich in der Blüte seiner Jahre. Er mochte fünfundzwanzig sein, auf jeden Fall unter dreißig. Als er sich allerdings Thalon zuwandte, verflüchtigte sich der Eindruck von Schönheit. Eine rosafarben schimmernde Narbe verlief von der rechten Schläfe über die Wange. Schlimmer waren jedoch die tückisch funkelnden Augen, aus denen die Bereitschaft sprach, aus nichtigem Anlaß zu töten, ohne lange zu überlegen.

»Verschwinde, Junge!« zischte der Mann. »Und wag es ja nicht, jemanden herbeizuholen! Es würde ohnehin nichts nützen. Niemand wagt es, Parazzin seine Beute abzujagen. Ich bin jhabo der Schwarze Rose. Schreib dir das hinter deine ungewaschenen Ohren. Du könntest sie sonst sehr schnell ab sein.« Vielsagend tippte er an das Heft des Degens, den er am Gürtel trug.

Thalon wußte nicht, was jhabo zu bedeuten hatte, aber er war jetzt ganz sicher, daß dieser Parazzin zu den Piraten gehörte. Irgendein Dienstbote hatte neulich die Schwarze Rose erwähnt, aber Thalon hatte nur mit einem Ohr zugehört und den Zusammenhang vergessen, aber er erinnerte sich, daß der Mann zuvor verstohlen und voller Bewunderung von Piraten sprach.

Parazzin trug ein offenes rotes Hemd, das ihm weit aus dem Gürtel hing, schwarze Hosen und Stiefel. Ohne Thalon weiter zu beachten, schnürte er die Schamkapsel auf und ließ sie herunterklappen. Sein bereits stark erregtes Glied sprang förmlich ins Freie. Auf Thalon wirkte es riesengroß und steil und mit einer gewaltigen roten Eichel versehen. Wahrscheinlich wirkte es auf Chinza nicht anders. Das Mädchen starrte darauf, wie ein Kaninchen die Schlange anstarrt, bevor es gefressen wird. Sie gab keinen Laut mehr von sich. Aber Thalon sah, wie sie zitterte.

Der Pirat tat einen Schritt auf sie zu. Dieses gewaltige Ding vor seinem Bauch wackelte leicht. Es sah so unnatürlich groß aus…

So groß wie das schreckliche Glied des Sklavenhändlers Malurdhin!

In Thalons Kopf geschah etwas, das er nicht steuern konnte. Er warf sich auf den Piraten und prügelte wie besinnungslos auf ihn ein. Was er hätte tun sollen, als Malurdhin seine Mutter peinigte. Was er nicht getan hatte. Was er jetzt tun mußte.

Parazzin war im ersten Moment schier verdutzt und machte kaum einen Versuch, Thalons Fäuste abzuwehren. Er wich lediglich aus, wenn sein Gesicht in Gefahr geriet, einen Treffer einstecken zu müssen.

Dann explodierte er. »Ich hab dich gewarnt, du verdammte Ratte!« brüllte er, gab Thalon einen Stoß mit dem Knie und zog gleichzeitig den Degen.

Das Knie traf Thalon in den Magen, nahm ihm die Luft weg und schleuderte seinen Körper gegen die Wand. Thalons Kopf prallte gegen einen Balken. Für kurze Zeit nahm er die Umgebung wie durch einen Schleier wahr, aber er verlor nicht die Besinnung. Statt dessen rappelte er sich auf und kam in die Hocke. Er sah, daß Chinza aus ihrem Schock erwacht war, erst vorsichtig an der Wand entlangkroch, dann wieselflink durch die offene Tür floh. Sie raste den Boden entlang und dann die Treppe hinab und schrie dabei wie am Spieß. Wenn man bisher in der Wirtsstube auf ihre Schreie nichts gegeben hatte, so riefe sie jetzt ohne Zweifel das ganze Haus zusammen. Aber Thalon hatte das unbestimmte Gefühl, daß ihm das nicht mehr viel helfen würde. Sie hätte besser früher auf diese Idee kommen sollen.

Der Pirat schien dies alles gar nicht wahrzunehmen. Er hatte nur noch Augen für Thalon. Mit blankem Degen trat er auf ihn zu, Mordlust in den Augen.

»Ich hab dir doch gesagt, kleine Ratte, daß man ‘nem jhabo nich die Beute abjagt«, höhnte er. »Hab ich doch getan, Bürschchen, he?«

Er schien es nicht eilig zu haben. Eine Beute war ihm entwischt, aber diese gäbe er auf keinen Fall preis. Und sie war schneller zu erlegen als das Mädchen. Es genügte dazu ein einziger Degenstreich.

Trotz seiner Verzweiflung nahm Thalon wahr, daß das Glied des Mannes noch immer so groß und steif war wie zuvor. Zuerst dachte er, Parazzin wolle jetzt ihn anstelle von Chinza als Gefäß seiner Lust benutzen, aber dann erkannte er voller Bestürzung, daß diesen Mann das Töten mindestens genauso erregte wie sein eigentliches Vorhaben.

Auf der Treppe waren laute Stimmen und hastige Schritte zu hören. Mehrere Leute eilten herbei. Aber sie kämen zu spät.

»He, Rattenbursche, wirst du wohl zugeben, daß ich dich gewarnt habe!« brüllte Parazzin und stieß blitzschnell mit dem rechten Fuß zu. Der Tritt zielte auf Thalons Hoden. Hätte er sein Ziel erreicht, wäre Thalon nach vorn geklappt und genau in die Spitze des vorgereckten Degens gefallen, hätte sich selbst aufgespießt.

Thalon sprang aus der Hocke zur Seite. Der Tritt erwischte ihn mit schmerzhafter Wucht am Oberschenkel und schleuderte ihn mit dem Kopf voran in die Ecke.

Das letzte, was Thalon wahrnahm, war das wutverzerrte Gesicht des Piraten, der weit mit dem Degen ausholte, um das Versäumte nachzuholen. Und er entdeckte ein anderes Gesicht. Das Gesicht einer pausbäckigen, vierschrötigen Zwergenfrau mit zotteldickem, rotem, gescheiteltem Haar. Er sah die Fremde nur flüchtig, aber er nahm sie so eindringlich wahr, als hätte er eine Ewigkeit Zeit, sie zu betrachten. Die Zwergin trug Hosen wie ein Mann und dazu ein Kettenhemd. Sie war zwar klein, wie es Art der Zwerge ist, wirkte aber keineswegs schutzbedürftig, sondern wehrhaft. Sie stand wie hingezaubert im Eingang zur Kammer und grinste grimmig, aber nicht bösartig.

Dann prallte Thalons Kopf gegen etwas Hartes, und er verlor die Besinnung.

Kapitel 2

Ghurenia

Sie hatte auf eine Sänfte verzichtet und war allein den Runden hinaufgestiegen, ganz nach oben bis zur Kuppe, wo die Festung über Efferds Tränen wachte. Wann war sie zuletzt hier oben gewesen? Vor zwei Jahren? Vor drei Jahren? Seit damals hatte sie den Praefos nicht mehr aus der Nähe gesehen. Gern hätte sie weitere zwanzig Jahre lang darauf verzichtet, aber das lag nicht in ihrer Hand.

Nun gut, Efferd hat es so gewollt. Wird schon sein Gutes haben.

Canja Murenbreker gehörte nicht zu den Frauen, die vor den Dingen davonlaufen, wenn sie ihr erst einmal begegnet sind. Ungeniert starrte sie Gorm an. Das Licht der Nachmittagssonne fiel durch die filigranartige Struktur des halboffenen Bogengangs in das Atrium der Festung und erlaubte kein Versteckspiel. Die stoppelkurzen Haare des Mannes waren ganz und gar grau geworden, die breite Nase wirkte noch breiter, das Doppelkinn wuchtiger, die fleischigen Wangen sahen feister aus, als Canja dies alles in Erinnerung hatte. Sie musterte das schweißgetränkte Leder seines Brustpanzers. Sie verweilte am Bauch, wo zwischen dem Panzer und dem breiten Gürtel aus silberbeschlagenem Schlangenleder behaarte Fettwülste hervorquollen.

Du bist alt und fett geworden, und du stinkst schlimmer als je zuvor.

Spöttisch verzog sie die Lippen, lange genug, um sicher zu sein, daß Gorm die Geringschätzung bemerkt hatte. Dann setzte sie die Musterung fort. Der Rest des Wanstes steckte in dunkelblauen Pluderhosen, die in hohen Schnürstiefeln endeten. Er ließ die kurzen Beine pendeln. Die Stiefel schabten leise über die grauschwarzen Bohlen des Fußbodens. Hin und her, hin und her.

Canja hob unvermittelt die Augen und sah dem Praefos in die Augen. Gorm erwiderte den Blick. Starr, ausdruckslos. Wie eine Echse, die ihre Beute fixiert. Aber Canja hatte keine Angst vor Gorm, zumindest nicht mehr Angst, als jeder andere in Ghurenia vor diesem Mann haben mußte. Wenn sie etwas an ihm schätzte, dann seine Bauernschläue. Der Praefos brauchte sie. Deshalb hatte er sie in seine Festung befohlen. Sie tat ihm nicht den Gefallen, den Blick zu senken.

Ratgeber Murenius entschied das Duell der Augen auf seine Weise. Er warf einen silbernen Weinkelch um. Metall klirrte, als es auf die Tischkante schlug. Scheppernd rollte der Kelch auf dem Felsboden davon.

Die Kaufherrin und der Praefos hatten die Köpfe ruckartig zur Seite gewandt und sahen ihn an.

»Vergebung«, sagte der Ratgeber, aber es klang eher gelangweilt. Er hob die Stimme an. »Heda, Mundschenk, setz deinen faulen Hintern in Bewegung! Bring mir frischen Wein, und laß die Schweinerei aufwischen!«

Eine braune Kutte mit einem roten Gesicht darüber löste sich aus dem Hintergrund. Der Alte kam mit schlurfenden Schritten näher, während eine Dienstmagd mit einem Tuch an ihm vorbeihuschte und geschwind Tisch und Boden säuberte.

Der Praefos besann sich auf den Rest seiner Manieren. Mit einer knappen Handbewegung wies er auf den Stuhl zu seiner Linken und legte den dort abgelegten Waffengurt mit einem Säbel und zwei Dolchen vor sich auf den Tisch. »Boron zum Gruß. Setzt Euch, Murenbreker, ich habe mit Euch zu reden. Allerdings ist meine Zeit knapp bemessen, und gewiß werdet auch Ihr von wichtigen Geschäften abgehalten. Bringen wir es also rasch hinter uns.«

Die Kaufherrin nickte, trat zu dem Stuhl, packte ihn an der hohen Lehne, zog ihn ein Stück von Gorm fort und setzte sich. Der Mundschenk stellte Murenius einen Kelch hin, den er zuvor aus seiner Kutte gezaubert hatte, schenkte ihm roten Wein aus dem Krug ein, bewegte sich schleppend um den Tisch zu Canja und wiederholte die Prozedur.

Ungeduldig stieß Canja den Mann zur Seite, als er ihr die Sicht auf den Praefos versperrte. »Nun?«

»Ich erwarte einen Abgesandten aus Al’Anfa«, verkündete Gorm. »Er dürfte in gut vier Wochen hier eintreffen, wenn Efferd ihm einen guten Wind sendet und die Zwölfe ihm auch sonst wohlgesinnt sind. Ich muß Euch nicht sagen, welche Vorteile uns eine engere Beziehung zu Al’Anfa bringen wird. Es könnte schnell um die Aufteilung des Perlenmeers wie auch des Südmeers gehen.«

»Und?« Die Kaufherrin tat gleichgültig, obwohl sich ihre Gedanken überschlugen. Al’Anfa… Sie fragte sich, wie es Gorm gelungen war, Kontakt mit der Stadt oder ihren Kolonien aufzunehmen… Sie mußte unbedingt mit dem Abgesandten ins Gespräch kommen. Efferds Tränen waren längst zu klein geworden für die Murenbrekers. Al’Anfa und die Waldinseln boten die Gelegenheit, das Handelshaus wirklich groß zu machen. Gleichzeitig wurden ihr die Gefahren bewußt. Wenn Al’Anfa eigene Pläne mit Ghurenia und Efferds Tränen hatte, mochte es gut sein, daß die Zukunft der Murenbrekers eher düster aussah. Um so wichtiger wäre es, den Abgesandten frühzeitig für sich einzunehmen.

»Die Gunst der Zwölfe ist eine Sache«, fuhr der Praefos fort, »die Piraten sind eine andere. Die Götter erwarten zu Recht von uns, daß wir unsere Schwierigkeiten selbst anpacken.«

Canja betrachtete die schuppige Gesichtshaut des Praefos, die von eitrigen Geschwüren durchsetzt war. Die Schuppen nährten die Gerüchte, wonach der Praefos Echsenblut im Körper hatte, und die Eiterbeulen, die Gorms gesamten Körper bedeckten, hielten viele seiner Feinde für eine Strafe der Götter.

Alles Unsinn! Nicht nur Götter können strafen!

»Die Murenbrekers haben stets nach diesem Grundsatz gehandelt«, stimmte Canja vorsichtig zu, obwohl sie bereits ahnte, was der Praefos von ihr wollte. »Mit den Göttern, ohne jedoch faul in ihrem Schoß zu ruhen und auf Wunder zu hoffen.«

»Sehr gut«, sagte Gorm. »Wie Ihr wißt, schätzen wir Euch und Eure Tatkraft sowie die Tüchtigkeit Eurer ganzen Familie…«

Canja verzog das Gesicht. Sie wußte nur zu gut, was von solchen lauwarmen Beteuerungen zu halten war.

»…weshalb wir Euch die Gelegenheit geben wollen, Euch und die Euren erneut auszuzeichnen.« Heimtückische Freude glomm in den Augen des Praefos. »Ich habe entschieden, daß Ihr zwei Eurer Schiffe für die Piratenjagd abstellt. Zwei gute Schiffe, die Soldaten, Schwere Rotzen und Hylailer Feuer an Bord nehmen können. Versucht also nicht, mir irgendwelche Nußschalen oder Schlickrutscher anzudrehen.«

»Die Murenbrekers fühlen sich geehrt«, erwiderte Canja, »aber ich weise darauf hin, daß die Bekämpfung des Piratengesindels jenen obliegt, die den ehrbaren Kaufherrn mit würgenden Steuern und Abgaben schröpfen.«

Ratgeber Murenius mischte sich ein. »Es ist wenig genug, was von Efferds Tränen in die Schatulle des Praefos fließt«, sagte er und strich sich dabei über den sorgsam gestutzten Kinnbart. »Ihr wißt sehr gut, daß wir davon nur wenige eigene Schiffe unterhalten können. In Zeiten der Not sind wir auf die Unterstützung der Kaufleute angewiesen.«

»Die Gilde der Reeder und Kaufleute…«, begann die Kaufherrin.

»Die Gilde wird von uns nur geduldet.«

»Von uns?« fragte Canja ironisch.

»Vom Praefos«, verbesserte sich Murenius. »Wußtet Ihr nicht, daß der Wille des Praefos in Ghurenia über allem und jedem steht?« Er besann sich und fügte ein wenig zu hastig hinzu: »Ich rede natürlich von den Menschen und nicht von den Göttern.«

Heuchler! Was bedeuten dir schon die Zwölfe?

»Ich weiß sehr wohl, daß unser gütiger Praefos« – Canja deutete eine respektvolle Verbeugung an, obwohl es ihr nicht leichtfiel, leistete sich dabei jedoch ein vages Lächeln, das durchaus als ironisch gelten konnte – »den Menschen auf Efferds Tränen gebietet. Ich weiß aber auch, daß der Praefos die Gerechtigkeit liebt. Die Gilde der Reeder und Kaufleute besteht aus einer Reihe von Mitgliedern, und es wäre nur recht und billig, wenn…«

»…wenn die mit Abstand wichtigste und einflußreichste Kaufherrin der Gilde mit gutem Beispiel voranginge«, wurde sie von Murenius unterbrochen. »Seid unbesorgt, die anderen Kaufleute werden nach Kräften herangezogen. Aber von Euch müssen wir zwei Eurer besten Schiffe fordern. Wollt Ihr Euch ernsthaft verweigern? Überlegt Euch die Antwort gut, Kaufherrin Murenbreker!«

Es klang nicht nur wie eine Drohung, es war eine Drohung, und alle Anwesenden wußten es.

Wie kann er es wagen?

Canja schoß die Zornesröte ins Gesicht, und sie rang um Beherrschung. Bisher hatte sie den Wein nicht angerührt, aber jetzt griff sie nach dem Kelch und nahm einen großen Schluck. Die Geste verschaffte ihr etwas Zeit.

»Ich werde darüber nachdenken«, sagte sie schließlich. »Zwei der großen Schiffe abzustellen, ist für die Murenbrekers ein herber Verlust. Ich muß mich mit meinen Söhnen beraten.«

»Meinetwegen.« Gorm lächelte hämisch. »Aber denkt daran, ich kann Euch die Schiffe auch einfach wegnehmen… Ihr solltet Euch wirklich nicht zu lange mit den Jungen beraten. Prächtige Jungen übrigens, besonders die Zwillinge. Ich habe sie erst kürzlich im Borontempel gesehen. Sie scheinen den richtigen Weg einzuschlagen. Ich zweifle nicht daran, daß sie die Notwendigkeiten einsehen. Vielleicht sind sie, anders als ihre Mutter, sogar begeistert.«

Du schmutziges Arschloch!

Canja griff noch einmal nach dem Weinkelch, aber dieses Mal nippte sie nur daran. »Einmal angenommen, wir würden zustimmen… Was brächte uns das?«

»Ihr fragt wirklich, was es Euch bringt, wenn die Seewege sicherer werden und Ghurenia an Bedeutung gewinnt?« fragte der Praefos barsch. »Tun wir es denn nicht letztendlich für Euch, für die reichen Kaufleute und Reeder?«

»Ich meinte, vorhin auch andere Gründe herausgehört zu haben«, entgegnete die Kaufherrin kühl.

Gorms Miene verfinsterte sich.

»Wie der Praefos schon sagte, liegen die Vorteile für Euch auf der Hand«, ergriff der Ratgeber rasch das Wort. Ihm schien daran gelegen zu sein, den Konflikt zu entschärfen, den er selbst angefacht hatte. »Die See wird sicherer, Ihr habt weniger Verluste durch die Piraten. Denkt nach, Murenbreker.«

»Es wird immer wieder Piraten geben. Die Niederlage der einen bedeutet den Aufstieg der anderen.«