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Aventurien – ein Kontinent voller spannender Abenteuer, doch nicht jedes führt Helden in den Kampf gegen Drachen, auf ein Schlachtfeld oder in eine unheimliche Ruine. Manche Heldentat wird im Namen der Liebe und der rahjanischen Leidenschaft vollbracht. Dieser Kurzgeschichtenband enthält rahjagefällige Geschichten, die den Leser nach Aventurien entführen. Erfahre mehr über die erotischen Abenteuer der oronischen Magierin Khelbara ay Baburia, das tragische Liebesleben von Tubalkain dem Tausendjährigen oder über die ausschweifenden Feste der Shantalla Karinor, die sie in ihrer Villa auf dem Silberberg feiert. Stunden der Sehnsucht ist eine rahjagefällige Kurzgeschichtenanthologie in der Welt des Schwarzen Auges.
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Seitenzahl: 618
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Alex Spohr (Hrsg.)
Stunden der Sehnsucht
Vierzehn rahjagefällige Das Schwarze Auge©Kurzgeschichten
Originalausgabe
Mit Dank an Nathan Fürstenberg und Angela Kolovos
Beteiligte
HerausgeberAlex Spohr
Autorinnen, Autoren & AndereMalin ArdenNathan FürstenbergLance HardAnnette JuretzkiAngela KolovosCarolina MöbisPhalaneaDhara RotkehlchenAlex SpohrSerina SteinmannHorasdor di TortelliniFeqzjian von TuzakNathander Weise
Impressum
Ulisses SpieleBand US25728EPUBTitelbild: Dagmara MatuszakAventurien-Karte: Daniel JödemannLektorat: Johannes Kaub, Frauke ForsterKorrektorat: Nathan FürstenbergUmschlaggestaltung und Illustrationen: Nadine Schäkel, Patrick SoederLayout und Satz: Johannes Kaub, Michael Mingers
Copyright © 2023 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.
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Inhaltsverzeichnis
Stunden der Sehnsucht
Alex Spohr und Nathander Weise9
Nach alten Regeln
Annette Juretzki30
Das phantastische Observoyorium
Malin Arden72
Hochzeitsnacht
Horasdor di Tortellini96
Al’anfanische Spiele
Lance Hard116
Ausdruckstanz
Phalanea142
Tausend Jahre her
Dhara Rotkehlchen176
Der al’anfanische Brief
Serina Steinmann201
Ein Lächeln hinter Schleiern
Dhara Rotkehlchen222
Levthansnacht
Phalanea250
Große Welle
Carolina Möbis269
Unterdrückte Leidenschaften
Feqzjian von Tuzak297
Rosenkönigin
Alex Spohr322
Die Grandin und die Pantherin
Angela Kolovos, Alex Spohr und Nathan Fürstenberg357
Vorwort
Rahja zum Gruße!
In deinen Händen hältst du die rahjagefällige Anthologie Stunden der Sehnsucht. Die Geschichten sind über ganz Aventuriens verteilt und führen unter anderem in das dekadente Al’Anfa, nach Aranien, in das wilde Land am Svellt, in das modrige Selem und in den Hort von Shafir dem Prächtigen.
Neben vielen normalen Aventuriern werden dir auch einige Prominente begegnen, die allesamt etwas mit dem Wirken Rahjas zu tun haben. Du begleitest Shantalla Karinor auf einem ihrer unvergesslichen Feste, bekommst mehr über den berüchtigten Thorwaler Piraten Schwarzaxt zu lesen und erfährst mehr über den geheimnisvollen Magier Tubalkain. Dabei sind die Geschichten nicht nur von der Liebe, sondern auch vielen anderen Aspekten des Rahjaglaubens geprägt.
Viel Spaß mit der Lektüre der rahjagefälligen Geschichten.
Alex Spohr
Stunden der Sehnsucht
von Alex Spohr und Nathander Weise
Mein Name ist Yasmina saba-es-Sulef und ich bin eine Geweihte der Rahja. Geboren wurde ich in der mondsilbernen Stadt Zorgan, der immer noch mein Herz und meine Seele gehören, die sich jedoch beides mit der Serenissima teilen muss. Schon länger wohne ich in Belhanka, um der Göttin in ihrem wichtigsten Tempel zu dienen. Von Zeit zu Zeit reise ich aber durch halb Aventurien, denn anders als viele meiner Glaubensbrüder und -schwestern bin in gerne unterwegs und scheue auch die Strapazen einer langen Reise nicht.
Obwohl man es nicht erwarten würde, bin ich doch schon in so manches Abenteuer gestolpert. Ich erinnere mich noch sehr genau an die Vorfälle in der Bardo-Therme in Gareth, die Jagd nach dem Schwertkönig und an weitere Abenteuer, die mich nach Zorgan führten und in denen ich in großer Gefahr schwebte. Der Göttin ist es zu verdanken, dass ich gute Freunde auf meiner Seite weiß, etwa Djidhe, Sulvario und Amaziella, aber auch einige andere, denen ich versprochen habe, ihre Namen nicht zu nennen, um sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
Von einem dieser kleinen Abenteuer will ich euch berichten, denn es war ein lehrreiches Erlebnis für mich und mag ebenso den Leser und die Leserin inspirieren. Zudem wird meine Geschichte offenbaren, dass viele Gerüchte, die über Rahjageweihte im Umlauf sind, schlicht und ergreifend falsch sind. Sehr wohl sind wir in der Lage zu lieben – und damit meine ich nicht auf körperliche Art. So mag mein Bericht dabei helfen, das Bild über meine Glaubensgeschwister und mich zu schärfen und mit einigen Vorurteilen aufzuräumen. Nicht verschweigen möchte ich, dass meine Geschichte auch dazu dient, meine Fähigkeiten als Schriftstellerin der rahjagefälligen Erzählung zu üben, die ich den letzten Monden sträflich vernachlässigen musste.
Vor ein paar Wochen ereignete sich in Belhanka ein bemerkenswerter Zwischenfall, dem die halbe Inneneinrichtung des Hotels Imperial, sämtliche Nerven des Besitzers und mein Herz zum Opfer fielen. Doch am besten beginne ich ganz am Anfang, denn die Geschichte ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Sie verrät mehr über die Ansichten einer Rahjageweihten über die Liebe und darüber, dass der erste Eindruck täuschen kann.
In keiner anderen Stadt kann man so viele schöne Orte entdecken, wie in der Serenissima. Ich lebe schon viele Jahre hier und keinen einzigen Tag bereue ich. Der Palast Rahjas auf Deren ist meine Heimat und wann immer ich durch die Straßen Belhankas ziehe, entdecke ich dort in vielen Kleinigkeiten und Alltäglichem das Wirken der Göttin.
Wenn ich an den Höfen der Abendröte vorbeischlendere, halte ich stets einen Moment inne, um die wunderschönen und einzigartigen Fassaden der Gebäude zu bewundern. Führt mich mein Weg zur Blumenbörse, suche ich nach Aromen, die ich noch nicht kenne, und bei Rahja, ich entdecke immer wieder neue Gerüche. Gehe ich zufällig an Haraldsons Bäckerei vorbei, die den Namen „Zauberhafte Zuckerwaren“ trägt, probiere ich voller Leidenschaft die neueste Kreation des Meisters aus Schaumkuss, Sahne und Streuseln.
Belhanka trägt ihren Spitznamen zurecht. Keine andere Stadt strahlt die Freuden der Göttin stärker und intensiver aus als die Serenissima. Jedoch wird die Harmonie, die Belhanka durchdringt, an manchen Tagen von disharmonischen Tönen gestört.
An einem schicksalhaften Frühlingstag führte mich der Wille der Schönen Göttin zu einer Schneiderei, die in der Nähe des Hotels Imperial liegt. Ihr müsst wissen, obwohl es einer Rahjageweihten nicht an Kleidern mangelt – die Kirche sorgt in dieser Beziehung gut für uns –, haben jede Priesterin und jeder Lehrer der Leidenschaft doch eine Vorliebe für einen bestimmten Stoff, eine Lieblingsfarbe und einen passenden Schnitt, der die wohlgefälligsten Stellen des eigenen Körpers betont. Die ehrenwerte Schneidermeisterin Ninara ist in der ganzen Stadt bekannt und ein guter Ratschlag für Auswärtige, die nach aufreizender Damenmode Ausschau halten. Man bekommt in ihrem Geschäft feinste Seidenstrümpfe, Halterungen, lederne Handschuhe und Spitzenunterwäsche in einer unnachahmlichen Qualität.
Ich hatte Ninara gerade einen Besuch abgestattet, da ich meine Sammlung schwarzer, al’anfanischer Seidenstrümpfe erweitern wollte, als es unmittelbar vor dem Geschäft der Schneiderin zu einem kleinen Tumult kam. Vielleicht ist es übertrieben, von einem Tumult zu sprechen, aber offenbar riefen einige Herren und Damen nach der Stadtgarde. Ich sah durch die Fensterscheibe der Schneiderei und bemerkte einige Bürger, die sich angsterfüllt gegen die Wände von Häusern pressten, so als ob sie sich Schutz davon versprachen oder nicht gesehen werden wollten.
Keine Ahnung, was mich immer wieder dazu antreibt, bei solch eindeutigen Anzeichen von Ärger herausfinden zu wollen, was dahinter steckt, und nicht in der Sicherheit Ninaras, ihrer Handschuhe und schönen Kleider zu verweilen. Doch Aves’ abenteuerliches Herz brannte in meiner Brust und ich trat hinaus, um nachzusehen, was die Bürger schreckte. Obwohl ich nicht Rondra diene, betrachte ich es dennoch als wichtig, den Menschen zu helfen, sofern es in meiner Macht steht.
Die gutherzige und um mich besorgte Schneidermeisterin wollte mich noch aufhalten.
»Euer Gnaden, bleibt hier! Was immer da draußen vor sich geht, die Stadtgarde kann das doch klären! Begebt Euch lieber nicht in Gefahr!«, flehte mich Ninara an und hielt mich am Oberarm fest, so als würde ich niemals wieder kommen, wenn ich jetzt ginge.
In solchen Situationen, ich gestehe, verhalte ich mich nicht immer so weise wie Rohal der Weise. Ja, ich tue gelegentlich etwas Unvernünftiges. Menschen machen Fehler. Ich glaubte aber, dass an dieser Stelle eine kleine Weisheit meiner Lehrmeisterin der Liebe, der großartigen Amaziella Bosvani, mich beflügelte, nachzuschauen, was der Grund für den Aufstand war.
»Yassi, merke dir, wenn etwas erledigt werden soll, dann erledige es selbst. Wenn du auf die Akoluthen vertraust, bist du verloren«, sagte Amaziella oft. In diesem Fall deutete ich diese kleine Wahrheit ein wenig um: Wenn ich nicht selbst nachschauen würde, was vor sich ging, würde ich es vielleicht nie erfahren – oder nur die halbe Wahrheit. So befreite ich mich sanft von Ninaras Griff und lächelte sie an, bevor ich die Tür der Schneiderei öffnete und die vielen Stoffe, die der Haut jeder Geweihten schmeicheln würde, mit der Herrin all dieser aufregenden Dinge zurückließ.
Zwar bemerkte ich nichts Ungewöhnliches, doch ich ging schnellen Schrittes auf die andere Straßenseite, so wie jemand, der zwischen den Fronten einer Schlacht auf die andere Seite gelangen wollte, ohne von den Balestrakugeln zerfetzt zu werden. Ich erblickte einen korpulenten Mann mit Grangorerhut und Schnauzbart, der einer kleineren, aber ebenfalls rundlichen Frau um die fünfzig durch seinen Körper Schutz bot. Ich duckte mich ein wenig, hatte ich doch fast vermutet, die Kugeln würden wirklich gleich anfangen, mir um die Ohren zu fliegen.
»Bei den Zwölfen, was ist geschehen?«, fragte ich den Hutträger voller sorgenvoller Neugier.
Der Mann, dessen Gesichtsfarbe einem Arangen-Orange mit weißen, kreidebleichen Stellen glich, sah mich nur mit offenem Mund an (ich vermute, er war irritiert, dass in diesem Moment eine nur leicht bekleidete Rahjageweihte neben ihm auftauchte), während die ältere Frau hinter ihm ihn leicht verärgert anstieß (meine zweite Vermutung war hier, dass die beiden ein Ehepaar waren und die Dame etwas eifersüchtig reagierte – völlig grundlos, selbstverständlich).
»Im Imperial, da sind Thorwaler. Piraten. Sie verwüsten die Inneneinrichtung. Sie zertrümmern alles, was sie in ihre Hände bekommen«, spie die Dame voller Ärger aus.
Mit vielem hatte ich gerechnet, doch nicht mit einem Haufen von Thorwalern, die das wunderschöne Hotel auseinandernahmen. Im Grunde war es nicht meine Aufgabe einzuschreiten, doch das Imperial war das schönste Hotel der Stadt, der Inhaber hatte gute Kontakte zur Rahjakirche und das Gebäude diente regelmäßig frivolen Festen als Kulisse. Amaziella, Sulvario und ich waren dort oft als Gäste eingeladen, waren stets willkommen, wurden gut bewirtschaftet und bekamen vom Besitzer des Hotels immer wieder kleine Aufmerksamkeiten: edlen Bosparanjer, Kusliker Konfekt oder sogar echtes Peranjabarer Marzipan aus meiner Heimat Aranien (angeblich hatte das Hotel einen vorzüglichen Kontakt zum berühmten Roten Kamel, einer Zorganer Karawanserei, deren Besitzer Taref as’Sarjabaran das Imperial als sein großes Vorbild nannte – und von dem das Marzipan als Zeichen der Ehrerbietung stammte).
»Die Stadtwache ist schon gerufen worden, aber wir haben noch keine Gardisten gesehen«, raunte der Rundliche.
Obwohl Belhanka eine Hafenstadt ist, die von Schiffen aller Herren und Herrinnen Länder – sogar gelegentlich al’anfanischen – angelaufen werden konnte, hatte ich selten Thorwaler hier gesehen. Die Nordleute galten als raue Gesellen und Frauen mit schlechten Manieren. Sie waren berüchtigt dafür, dass sich unter ihnen immer wieder Piraten befanden. Vor Jahren hatte das Horasreich sogar mit ihnen im Krieg gelegen, doch die Zeit der Feindseligkeit war vorbei. Der Auslöser des Konflikts war damals der Überfall auf ein Schiff meiner Kirche und der Diebstahl des Kelchs der Göttin, ein ungeheures Sakrileg, das gesühnt werden musste. Und eben jene Nordleute waren nun im Hotel und zertrümmerten die Einrichtung. Ich konnte nicht anders, ich musste mir ein Bild davon machen, vor allem aber wollte ich nicht, dass es zu einem schlimmeren Zwischenfall kam. Ich musste versuchen, ein Blutvergießen zu verhindern.
Wieder trieb mich Aves’ Abenteuerlust voran. Ich war töricht, mich in diese Gefahr zu begeben, doch es kam kein Zweifel in mir auf. So schnell ich konnte lief ich in Richtung des Imperials. Als ich nur noch wenige Häuser entfernt war, hörte ich, wie eine Frau laut schrie. Es war kein Schmerzensschrei, sondern eine Art Kampfruf, den eine Kriegerin aus ihrem Innersten formte, um ihre Kraft zu fokussieren. Und dann war da ein Geräusch, das sich anhörte, als ob Holz zerbrach. Ich lief schneller, andere Menschen rannten mir entgegen, sie wollten fort von jenem Ort, auf den ich zulief.
Jegliche Vernunft hätte mich dazu veranlassen sollen, es ihnen gleichzutun, aber ich merkte ja schon an, dass mich nicht immer Hesindes Weisheit leitet, sondern die Leidenschaft der Göttin.
Als ich das Imperial betreten wollte, musste ich einer edlen Dame um die sechzig ausweichen, die mir mit schreckgeweiteten Augen, einem Fächer in der Hand und ihrem Bunten Hund in den Armen entgegenwankte. Sie flüchtete und rief mehrfach nach der Garde. Mein einziger Gedanke war in diesem Moment, dass mir ihr weißes Kleid gut gefiel. Es hatte den Stil einer weitgereisten und würdigen Patrizierin, einer echten Primesta der Republik. Ich musste meine Angst überwunden haben, um auf solche Gedanken zu kommen. Oder vielleicht hatten mich Leichtsinn und Tollkühnheit erfasst, womöglich beides, doch in diesem Augenblick war es der einzige Gedanke, den ich auf die Fliehende verwendete.
Endlich im Inneren des Hotels angekommen, konnte ich sehen, dass hier ein Wüterich am Werk gewesen war. Porträts und Landschaftsillustrationen waren von den Wänden heruntergerissen worden, zerbrochene Holzstücke von Stühlen und Tischen lagen auf dem kunstvollen Teppich, der den Vorraum zierte und aus einem Nebenraum, dem Speisesaal des Hotels, hörte ich Gelächter und wieder den Schrei der Frauenstimme.
Dort stand, flehend und seinen Gehstock fest umgriffen, der Besitzer des Hotels, Cascador Arragenos. Ich sah Herrn Arragenos an, dass er am Verzweifeln war. Ihr müsst wissen, dass das Imperial seinen guten Ruf nicht allein aufgrund des guten Essens und der vorzüglichen Betten aufweist. Es ist der Verdienst von Herrn Arragenos. Ihm gelingt es immer wieder aufs Neue, die Wünsche seiner Gäste von ihren Augen abzulesen, noch bevor sie wissen, was ihr Wunsch ist. Was nur die wenigsten Menschen wussten: Cascador Arragenos war früher beim horasischen Militär gewesen, ein Offizier im Range eines Leutnants, bevor er durch eine schlecht verheilte Kriegsverletzung aus dem Dienst ausschied. Doch zur Not konnte er mit dem in seinem Stock verborgenen Degen noch vortrefflich kämpfen.
Ich sah Herrn Arragenos an, dass er noch zögerte, es auf einen Kampf in seinem Hotel ankommen zu lassen, doch sein Zögern schwand mit jedem Geräusch, das von einer neuen Zerstörung seiner Inneneinrichtung kündete. Ich hatte mich zu ihm bewegt und konnte die Personen im Speisesaal sehen, die lachten und schrien.
An einem Tisch saßen vier Thorwaler, drei Männer und eine Frau. Sie hatten geflochtene Bärte (bis auf die Frau), lange Haare in den Farben Blond und Rot. Als Kleidung trugen sie merkwürdige, speckige Lederwämser mit Nieten und hatten furchteinflößende Äxte und Breitschwerter dabei, die auf dem Tisch lagen.
Ein paar Schritte entfernt stand eine weitere Nordfrau mit mehreren kleinen blonden Zöpfchen, einem roten Stirnband und dunklen Tätowierungen über beide Oberarme verteilt. Sie hielt einen Stuhl in die Höhe, den sie mit voller Gewalt auf ein Boden schlug und zerbrach. Ihr Gesicht war von einer Wut verzerrt, wie ich sie noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte.
Als sie mich erblickte, hielt sie in ihrer Zerstörungswut für einen Moment inne und sah mich an. Dies gab mir die Gelegenheit, mich zu sammeln und zu überlegen, was ich unternehmen konnte. Die Thorwalerin hatte bestimmt zu viel getrunken und etwas hatte ihren Zorn erregt, sodass sie nicht mehr Herrin ihrer Sinne war.
»Verzeiht mir, aber hättet Ihr die Güte, von dem armen Tisch abzulassen? Er hat Euch nichts getan«, sagte ich.
Ich weiß, im Nachhinein klingen meine Worte kindisch, doch es war ein Tag, an dem ich viele Entscheidungen traf, die ich in aller Ruhe anders getroffen hätte.
Zu meiner Überraschung hörte die Frau auf und schwankte mit einem verwunderten Gesichtsausdruck auf mich zu. Ich wusste nicht genau, ob sie zu mir ging, um mich niederzuschlagen oder um sich zu entschuldigen, aber ich war auf das Schlimmste vorbereitet. Ich wagte jedoch nicht, mich zurückzuziehen. Manchmal muss man einfach den Mut haben, zu dem zu stehen, was man gesagt hat.
Die junge Frau, die einen guten Kopf größer war als ich, hatte mich fast erreicht, als ich ihr ansah, was ich schon bei vielen Menschen während der ausschweifende Feste meiner Göttin gesehen habe. Nicht jeder verträgt Wein, Bier und Schnaps so gut, wie dies meine Glaubensgeschwister tun. Amaziella trinkt nicht übermäßig, aber bei Weinfesten kann sie deutlich mehr vertragen als mancher Anhänger Kaiser Valpos! Die Thorwalerin hingegen war mit diesem Durchhaltevermögen offenbar nicht gesegnet. Sie krümmte sich, kurz bevor sich mich erreicht hatte, und übergab sich auf den schönen gebohnerten Boden des Imperials. Einen halben Schritt wich ich nun doch zurück, immerhin waren meine Sandaletten in Gefahr. Weder sie noch ich hatten Herrn Arragenos bemerkt, der hinter sie getreten war. Er hatte eine Vase dabei, die vor einigen Augenblicken noch vor den Kumpanen der Thorwalerin auf dem Tisch stand, doch nun hauchte sie ihr zerbrechliches Keramikleben auf dem Kopf der Frau aus. Die Nordfrau ging bewusstlos zu Boden und ihre korgefällige Wut wich borongefälligem Schweigen.
Die übrigen Thorwaler hatten aufgehört zu lachen und sahen Arragenos finster an. Der Hotelier war keinesfalls ein Mann, der zu einer solchen Tat neigte, aber ich glaube, er sah mich in Gefahr und wusste keinen anderen Ausweg. Noch bevor die Situation für uns beide bedrohlich wurde, kam endlich eine Truppe der Stadtgarde in den Speisesaal gestürmt. Ich konnte erkennen, dass der junge Anführer der Garde überlegte, wie er die Situation möglichst ohne Blessuren klären konnte.
»Im Namen der Primesta, was geht hier vor?«, wollte er wissen, während sein Blick nicht von den Nordleuten wich.
Es war glücklicherweise Herr Arragenos, der das Wort ergriff. »Verzeiht, dass wir Eure kostbare Zeit in Anspruch nehmen müssen, Kapitan, aber meine illustren Gäste kennen die Regeln der liebfeldischen Etikette nicht. In ihrer Heimat, so scheint mir, ist die Konversation während eines Festes eine andere als bei uns.«
Der Hauptmann blickte auf die beschädigten Möbel, danach zu den Thorwalern und schlussendlich auf die in ihrem Erbrochenen liegende Frau am Boden. »Wollt ihr eine Anzeige erstatten, Herr Arragenos?«
»Mitnichten, Kapitan. Ich denke, wenn meine Gäste den Schaden begleichen, der bedauerlicherweise entstanden ist, ist ein solches Vorgehen vermeidbar.«
Einer der Thorwaler, ein Hüne mit roten Haaren, einem langen Bart und mit einem grimmigen Gesichtsausdruck, erhob sich und bewegte sich zu Arragenos und mir. Als er dicht vor uns stand, zog er ein langes Messer. Durch die Gardisten ging ein Ruck und sie griffen nervös mit beiden Händen fester ihre Hellebarden. Selbst der Kapitan hatte seine Hand plötzlich auf dem Knauf seines Degens. Der Thorwaler hingegen hielt nur kurz inne, ließ sich nicht beeindrucken und kniete nieder, um mit dem Messer den Geldbeutel der Ohnmächtigen vom Gürtel zu schneiden. Er nahm diesen an sich, drückte ihn Arragenos in die Hand und wandte sich zum Gehen.
Ich dachte, ich wäre die Tollkühnste an diesem Tag, doch Arragenos’ Mut war unzweifelhaft größer.
»Meinem Gespür nach sind dies etwa dreißig Goldmünzen. Der Schaden, der entstanden ist, beläuft sich allerdings auf etwa fünfzig – zusätzlich zu den Getränken«, sagte Arragenos.
Der Hüne wandte sich noch einmal wütend um und ich hatte kaum Zweifel, dass er Arragenos gleich den Kopf abreißen würde.
»Ihr solltet euch nicht mit Herrn Arragenos anlegen. Er mag heute Hotelier sein, aber früher war er eine Legende beim Militär«, sagte der Kapitan.
»Ich, Thurwulf Oskirsson, habe zwei Dutzend Piraten, al’anfanische Sklaventreiber und einfältige Horasier mit eigenen Händen und meiner Axt getötet. Ihr solltet vor mir Angst haben!«
»Oskirsson, sagt ihr? Ich kannte einen Piraten, der Oskir hieß und für einen Sommer die Zyklopeninseln heimsuchte. Damals war ich noch Korporal und sollte ihn von den Inseln vertreiben. Ich hätte mich gerne mit ihm duelliert, leider nahm er Reißaus, als er hörte, dass meine Einheit auf der Insel gelandet war. Seid ihr etwa mit ihm verwandt?«
Thurwulf verstand die Provokation, schnaubte den Hotelier nur verächtlich an und bedachte mich mit einem obszönen Zeichen mit Fingern und Zunge, ehe er seinen Leuten den Befehl gab, zu gehen.
»Den Rest müsst ihr von ihr einfordern. Soll sie die Schuld abarbeiten. Sie hat schließlich den Schaden angerichtet.«
Ganz Unrecht hatte Thurwulf nicht, immerhin war den restlichen Thorwalern nichts vorzuwerfen, sondern nur der Frau. Die Kumpane des großen Nordmanns bezahlten erfreulicherweise sogar die Zeche und legten einige Silbertaler auf den Tisch.
Ich hatte Mitleid mit der Betrunkenen. Irgendetwas war in ihr vorgegangen, ihr Verhalten war ungewöhnlich und es musste einen Grund dafür geben. Der Alkohol allein war es bestimmt nicht gewesen.
»Herr Arragenos, ich würde mich gern um die Frau kümmern und Euch versprechen, dass sie für die Schulden aufkommt.«
Arragenos nickte merklich erleichtert und der Kapitan schien ebenfalls zufrieden zu sein.
»Sei vorsichtig. Sie ist nicht einfach nur eine Kriegerin. In Swangard brennt die Swafskari. Ein unachtsames Wort, ein falscher Blick, genügen, und dann macht sie das, was du hier erlebt hast«, brummte Thurwulf.
Swafskari! Die Walwut! Ich hatte schon davon gehört. Meine gute Freundin Tjalva litt ebenfalls darunter, doch hatte ich bei ihr nie erlebt, dass dieser Rausch sich gegen Gegenstände oder Freunde richtete. Sie warf sich mit ihrer Wut nur ihren Feinden entgegen.
Was hatte ich mir nur wieder eingebrockt … Eine walwütige Thorwaler Piratin und ich war für sie verantwortlich.
Nachdem sich die Lage beruhigt hatte, die Thorwaler und die Gardisten das Hotel verlassen hatten, bat ich Arragenos mir ein paar Diener zur Verfügung zu stellen, um Swangard in ein Bett zu tragen. Der gute Mann willigte sofort ein und rief die verängstigte Dienerschaft zurück in den Speisesaal. Zusammen gelang es einem Kellner und einer Magd, die Thorwalerin nach oben in ein Zimmer zu tragen, wo ich darum bat, mit ihr allein gelassen zu werden. Sie machte auf mich einen ruhigen und friedlichen Eindruck, anders als noch vor einer Viertelstunde, als sie das Mobiliar auseinandernahm.
Ich machte Swangard ein wenig sauber, tupfte ihre Lippen mit einem nassen Tuch ab und versuchte den leicht unangenehmen Geruch von Erbrochenem durch das Raumparfüm, welches Herr Arragenos in jedem Zimmer aufgestellt hatte, zu beseitigen. Die kleine Beule am Kopf, die durch die Vase entstanden war, ließ ich mit einem kleinen Heilsegen verschwinden. Dabei betrachtete ich die Nordfrau genauer.
Ihre Hautbilder auf den Oberarmen übten eine Faszination auf mich aus, der ich mich kaum entziehen konnte. Ich ertappte mich dabei, wie ich die Linien, ohne Swangard zu berühren, mit meinem Zeigefinger nachfuhr. Es waren Spiralen und seltsame Muster, die an Wale und Delphine erinnerten. Eine kleine Narbe zierte ihre rechte Augenbraue, vermutlich entstanden durch einen Kampf. Ihr Gesicht war jedoch von einer zarten Beschaffenheit. Jetzt, wo sie mir nicht wutverzerrt gegenüberstand, konnte ich erkennen, wie sanft ihre Wangen waren und dass sie sogar ein leichtes Lippenrot aufgetragen hatte. Sogar ihre Augenlider waren geschminkt, ein Brauch, den ich nicht von den Thorwalern kannte. Sie wirkte friedfertig, ich musste bei ihrem Anblick an Geschichten über Thorwalerprinzessinnen aus Travialromanen denken.
Ich wachte etwa zwei Stunden lang über Swangard, bis sie wieder zu Bewusstsein kam. Sie war überraschend klar im Kopf und schien, trotz des Alkohols, keinen Wolf zu haben.
»Bei Swafnir, wo bin ich?! Und wer bist du?«, wollte sie wissen, nachdem ihre Augen kurz die Umgebung gestreift hatten.
»Ihr seid immer noch im Hotel Imperial. Nachdem Ihr bewusstlos wurdet, habe ich Euch auf eines der Zimmer gebracht, damit Ihr Euren Rausch ausschlafen könnt«, versuchte ich sie freundlich zu begrüßen. »Mein Name ist Yasmina, ich habe für Euch gebürgt. Es ging eine Menge zu Bruch, aber Eure Freunde haben zumindest einen Großteil davon bezahlt. Nun ja, mit Eurer Börse.«
Die Thorwalerin schwieg und musterte mich. Schließlich erhob sie sich vom Bett, sodass sie auf der Höhe des Kopfkissens im Schneidersitz vor mir saß.
»Swangard. Mein Name ist Swangard Frenjasdottir. Weißt du, wo die anderen sind? Ich meine: meine Ottajasko?«
Swangard war also ihr Name. Er erinnerte mich vom Klang her an einen Schwan. »Sie wurden von einem Trupp Gardisten des Hotels verwiesen, aber ich nehme an, sie sind noch in der Stadt«, klärte ich sie darüber auf.
»Swafnirverdammte Ratten sind das! Sie haben mir mit Wasser verdünnten Wein in meinen Becher gegeben. Sie wussten genau, was passieren würde. Es war nicht das erste Mal!«
Ich blickte Swangard etwas mitleidig an, denn ich sah in ihrem Gesicht, dass sie ihr Verhalten bedauerte.
»Laut dem Besitzer des Hotels schuldet Ihr ihm noch zwanzig Dukaten für die zerstörten Möbel. Ich schätze, Ihr könnt diese nicht begleichen?«
»Du kannst mich duzen. Und ja, alles, was ich hatte, war in meinem Geldbeutel.«
»Mach dir keine Sorge, Swangard, ich habe bereits darüber nachgedacht, wie du die Schulden begleichen kannst. Ich werde mit meinen Tempelgeschwistern reden und ihnen die Situation erklären. Wenn du eine Weile Tempeldienste für die Rahjakirche erledigst, kann die Kirche deine Schulden beim Hotel begleichen.«
»Warum tust du das für mich?«
Ich musste einen kurzen Moment darüber nachdenken. Es war eine gute Frage, denn es gehörte sicherlich nicht zu meinen Pflichten, jede verschuldete Person unter meine Fittiche zu nehmen und der Kirche zuzuführen.
»Meine Aufgabe als Geweihte ist es, den Menschen zu dienen. Ich sehe dir an, dass du verzweifelt bist. Deine Gefährten haben dich getäuscht und im Stich gelassen, du hast kein Geld mehr und bist in einer fremden Stadt. Die Täuschung erfolgte mit Wein, der milden Gabe meiner Göttin. Das sind mehrere gute Gründe, dir zu helfen.«
Ich legte behutsam meine Hand auf ihr Knie, eine Methode, die bei den meisten Menschen hilft, Vertrauen zu schaffen. Swangard sah mich kurz irritiert an und schien nachzudenken.
»Das hört sich nach einem guten Angebot an. Ich nehme an, ansonsten müsste ich in den Kerker? In meinem Land hat man zwar von Rahja gehört, aber du solltest wissen, dass die Göttin dort kaum verehrt wird. Ist es wirklich dein Wunsch, mir zu helfen?«
Ich sah sie freundlich lächelnd an und versuchte sie zu ermuntern. »Ich bestehe darauf, einer Thorwalerin die Freuden, die uns Rahja gewährt, näherzubringen. Insbesondere dann, wenn man in Thorwal offenbar selten in deren Genuss kommt.«
Ich nahm bereits am Abend Swangard mit in den Tempel und klärte ab, wie sie sich nützlich machen konnte. Zunächst wirkte sie wie ein verlorenes, schüchternes Kind und rieb sich oft die Handgelenke. Swangard durfte keinen Tharf trinken, sonst, so erklärte sie, würde sie wieder in ihren Berserkerrausch verfallen. Aber wir fanden schnell eine Aufgabe für sie. Swangard stammte aus einer Familie, die einen thorwalschen Hof führte und Pferde züchtete. Wir baten sie, sich um die Pferde des Tempels zu kümmern und sie nahm die Aufgabe dankbar an. Wir vereinbarten, dass sie uns einen Mond lang helfen würde, dann wären ihre Schulden abgetragen. Einige Geweihte äußerten wegen ihr Bedenken, doch als sie sahen, wie liebevoll sie mit den Tieren umging und dass die Pferde sich schnell an sie gewöhnten, gab es niemanden mehr, der Einwände erhob.
Neben dem Erledigen meiner Tempelpflichten verbrachte ich meine Zeit bei Swangard, zum einen, um ihr mit den Pferden zu helfen (wobei sie meiner Hilfe nicht bedurfte), zum anderen, um ihr die Stadt zu zeigen. Anders als bei unserem Kennenlernen im Imperial war Swangard jeden Tag gut gelaunt, lachte und erzählte mir von ihrer Heimat. Ich ging mit ihr zusammen über die Märkte der Stadt, sah, wie sie sich für kleine Ketten, Ohrringe und Zuckergebäck interessierte, spendierte ihr hin und wieder das eine oder andere, das sie mit Begeisterung und leichter Verlegenheit annahm, und unterhielt mich mit ihr über persönliche Dinge und auch meine eigenen Wünsche und Träume. Ich erfuhr, dass Swangard als junges Mädchen zum ersten Mal die Last der Walwut durchlitt und wie froh sie gewesen war, als sie vor ein paar Jahren ein Teil der Schiffsbesatzung werden konnte. Sie musste immer ihr rotes Stirnband als Zeichen der Swafskari tragen. Ich nannte sie deshalb neckisch „die mit dem roten Stirnband“. Sie erzählte mir zudem, dass sie an Bord des Schiffes zwar geachtet als Kämpferin sei, sie zugleich aber eine Außenseiterin war und niemand viel mit ihr redete. Ab und an ärgerten die anderen sie, so wie im Imperial. Mich machten diese Worte traurig und zugleich ein wenig wütend.
Die Zeit verging viel zu schnell. Es waren wunderschöne Tage, an die mich immer gerne zurückerinnere. Je näher das Ende des Monds rückte, umso mehr hoffte ich, dass Swangard bleiben könnte. Sie hatte sich mit ihrer Ottajasko getroffen, die zwischenzeitlich weitergesegelt war, während sie ihre Schulden abarbeitete, doch die anderen Thorwaler wollten sie abholen und wieder nach Norden segeln. Schließlich traf das Drachenboot ein und es wurde verabredet, wann die Reise losgehen würde.
Auch mich würde es bald in die Ferne verschlagen, denn ich hatte einen Brief vom Hochgeweihten Talafeyar Rahjakind aus Perricum erhalten, eine Einladung von höchster Auszeichnung. Mein Weg würde mich nach Zorgan führen, wo ich mit anderen Geweihten an einer Versammlung teilnehmen sollte – einer Versammlung von großer Wichtigkeit, um der Göttin einen Dienst zu erweisen. Talafeyar wollte das Liebesspiel einiger Geweihter in einem bebilderten Buch verewigen, und es war eine Ehre, von ihm auserwählt worden zu sein. So oder so würden Swangards und meine Wege sich trennen.
Am letzten Tag gingen wir beide zu Arragenos und ich brachte dem Hotelier seine Dukaten mit. Swangard entschuldigte sich nochmals bei ihm, er nahm die Entschuldigung an und spendierte Swangard eine letzte Nacht in einem Gästezimmer. Wir gingen beide nach oben und schauten uns in der Stube um.
»Es ist besser, wenn ich jetzt gleich gehe. Abschiede liegen mir nicht«, sagte Swangard, während sie zum Fenster hinausschaute.
Andere Menschen mögen denken, dass wir Rahjageweihten niemals jemanden lieben, sondern nur unsere Körper zur Freude der Göttin hingeben. Lasst mich dieses Vorurteil klarstellen. Auch wir sind nur Menschen und wie bei jedem kommt es auch bei uns vor, dass wir uns verlieben. Ich kann nicht sagen, wie und warum es geschieht – dies bleibt ein ewiges Geheimnis Rahjas. Als Swangard ihren Abschied verkündete, da merkte ich, dass sich in meinem Inneren eine Trauer ausbreitete, die mein Herz verdunkelte, und dass ich schwerer atmete. Ich wollte nicht, dass sie ging.
Swangard war größer als ich, gewiss dreimal so stark und sie war eine Walwütige. Sie hatte selbst gesagt, dass Gefühle in ihr möglicherweise die Wut auslösen konnten, aber in diesem Moment war es mir egal. Ich wollte nicht glauben, dass Rahja sie derart strafte, dass sie sowohl menschliche Nähe als auch Alkohol meiden musste. Die Göttin wäre niemals so grausam, einem Menschen beides zu verwehren!
Wortlos trat ich hinter Swangard und umschloss mit meinen Armen ihren Bauch. Ich lehnte mein Gesicht an ihre Schultern und ich spürte ihre Wärme an der Stelle, wo ihre Krötenhaut und ihre Hose ihren Körper nicht bedeckten. Zugleich merkte ich, wie sie sich versteifte, in ihrer Bewegung innehielt. In diesem Moment war ich mir unsicher, ob ich ihre Blicke richtig gedeutet hatte, oder ob ich die falschen Schlüsse aus unseren Gesprächen gezogen hatte. Es wäre mir unendlich peinlich gewesen – ich, eine Rahjageweihte, die sich darin vertan hätte, wen ein Mensch liebt.
Swangard drehte sich einige Augenblicke später jedoch vorsichtig zu mir um und ich ließ sie los. Ich schaute sie an, flehte im alveranischen Blau ihrer Augen keinen Funken der Wut zu sehen. Ihr Blick war zärtlich und ohne jeden Zorn. Meine Trauer im Inneren war verschwunden und ein anderes Gefühl regte sich in mir: Freude, gepaart mit Neugier und Spannung.
Meiner Einschätzung nach war die Liebe für Swangard ein ebenso unbekanntes Terrain wie für mich die Seefahrt. Ich blickte auf ihre lederne Weste und war glücklich darüber, dass ich schnell erkannte, dass sie leichter zu öffnen war, als ich befürchtet hatte. Meine Finger wanderten zu den Schnüren und öffneten sie.
Ich schmiegte mich an ihren Körper und spürte ihre Hitze, den Schweiß, der ihre Haut überzog und den Duft des Parfüms, das ich ihr geschenkt hatte. Der betörende Lavendelduft passte zu Swangard. In ihr war kein Zorn, kein Hass und keine Gewalt, höchstens Lust und die Unsicherheit einer jungen Frau, die nicht genau wusste, was sie tun sollte.
Behutsam führte ich mit meinen Händen die ihre in Richtung des samtenen Bandes, das meine Kleidung festhielt. Sie öffnete die Knoten und ich ließ meine Seidenkleidung zu Boden gleiten. Swangard kniete sich vor mich und zog mir vorsichtig die Sandaletten aus. Sie sah von ihrer knienden Position zu mir hinauf und lächelte schüchtern. Schon zu Beginn unseres Spiels hatte ich vermutet, dass ich diejenige sein würde, die die Initiative ergreifen würde, und ich tat es mit Freude. Sanft ergriff ich Swangards Hände und zog sie wieder hoch.
Ich sah zu ihr auf und küsste sie auf ihre Lippen. Zuerst reagierte sie nur zögerlich, doch ihre Küsse verlangten schon bald mehr und ich drang mit meiner Zunge in ihren Mund ein. Immer wieder unterbrachen wir die Küsse und mussten über uns lachen. Wir küssten uns so lange, wie ich nie zuvor eine Geliebte geküsst hatte.
Langsam und ohne Eile drückte ich Swangard auf das Bett und sie zog mich mit ihren kräftigen Armen mit. Erneut küssten wir uns, doch ich spürte in mir, dass ich mehr wollte – und ich wusste, dass Swangard das gleiche fühlte.
Meine Zunge glitt an ihrem Hals entlang und fand ihre linke Brust, deren Rahjaknospe sich mir entgegenstreckte. Ich mag es, wenn man sachte anfängt und sich steigert und ich hoffte, ihr ging es genauso. Zunächst leckte ich mit langsamen, kreisenden Bewegungen über die Knospe, dann saugte ich etwas fester daran und wechselte zur anderen Brust, um diese nicht zu vernachlässigen. Ihr leises Stöhnen verriet mir, dass es ihr offenbar gefiel.
Nach ihren Brüsten widmete ich mich ihrem Bauch. Um ihren Nabel hatte Swangard eine Tätowierung, die ihren halben Bauch bedeckte, Muster und Symbole ihrer Heimat, die mich faszinierten und erregten. Ich konnte nicht anders, als mit Fingern und Zunge die Kreise langsam zu erkunden. Ihr Bauchnabel war empfindlich. Als ich über ihn leckte, hatte ich sie offenbar gekitzelt. Sie beugte ihren Rücken und ihr Stöhnen wurde durch einen lustvollen Seufzer unterbrochen.
Die meisten Frauen schätzen es nicht, wenn man sich der Lustgrotte zu schnell nähert. Die Vorfreude ist bekanntlich, neben der Ekstase, die schönste Freude. Obwohl es selbst mir schwerfiel, ihren Tempel der Lust nicht sofort zu erkunden, streichelte ich zunächst die Innenseite ihrer Schenkel, küsste sie sanft und fuhr mit meiner Zunge über ihre salzige Haut. Swangard bebte mit jeder Berührung von mir. Das Stöhnen war einer dieser entzückenden, echten und nicht gekünstelten Lustlaute, die man nur vernahm, wenn jemand Liebkosungen ehrlich genoss. Ich spürte, dass sie es kaum noch aushielt.
Ich wanderte wieder an ihrem Körper hoch, folgte dem gleichen Weg zurück, bis ich wieder ihren Mund fand. Ich zog ihr das rote Stirnband aus und ließ den Stoff langsam über ihre Brüste gleiten. Nach einigen sanften Küssen steckte ich mir meinen Zeige- und Mittelfinger in den Mund, um sie beide leicht mit Speichel zu befeuchten. Mit einem verführerischen Lächeln wich ich Swangards Blick aus und suchte mit meinem Mund ihre rechte Brustwarze und mit meinen Fingern ihre Scheide.
Als Geweihte der Göttin der Ekstase muss ich an dieser Stelle kurz innehalten und einen wichtigen Hinweis geben. Meine Freundin und Lehrmeisterin der Liebeskunst, Amaziella Bosvani, gab mir folgenden Ratschlag: »Niemals nur einen Finger einführen. Das macht einer Dame üblicherweise nur wenig Freude. Nimm mindestens zwei und fang nicht zu schnell an.«
Und an diesen Ratschlag hielt ich mich. Ich strich zunächst über ihre äußeren Schamlippen, erkundete sie mit kreisenden Bewegungen. Sie waren warm und warteten auf mehr. Swangards Erregung wurde größer und größer (und meine auch), sie schloss die Augen und stöhnte lauter, während sie meine Haare streichelte. Ich wechselte die Brust und küsste dieses Mal nicht nur ihre Rahjaknospe, sondern saugte und knapperte zaghaft an ihr. Mir war in dem Moment nicht mehr bewusst, dass Schmerz ihre Walwut auslösen konnte, doch mein Gefühl sagte mir, dass sie meine Behandlung genoss. Ihre Brüste bereiteten mir große Freude. Ich gebe zu, ich bin mit den meinen sehr zufrieden und liebe sie, aber Swangards Brüste hatten eine wunderschöne Form, leicht abgehobene Brustwarzen und eine helle Farbe, die mir gefiel. Sie waren sogar noch größer als meine, wobei die Größe einer Brust für mich unerheblich ist. Es gibt kleine und große Brüste, die mir gefallen.
Wieder wechselte ich die Brustseite, nicht ohne vorher Halt an ihrem wunderschönen Bauchnabel mit dem Hautbild zu machen, das mich so in seinen Bann zog.
Es wurde Zeit, einen Schritt weiter zu gehen. Noch einmal befeuchtete ich meine Finger, dann drang ich langsam in sie ein. Swangard bäumte sich kurz auf. Ich spürte ihre innere Wärme und wie feucht sie war, ein rahjagefälliges Zeichen der Erregung.
Wie schon anfangs, als wir uns küssten, hatte ich das Gefühl, dass ich unendlich lange so weiter machte, zumindest länger als ich üblicherweise meine Fingerfertigkeit einsetze. Als ich endlich zu meinem größten Talent übergehen wollte, zog ich meine Finger aus ihr heraus.
Swangard war so erregt, dass es kein weiteres sanftes Vorspiel benötigte. Es hätte uns beide nur gelangweilt. Ich glitt an ihr herunter, umklammerte ihre Schenkel und begann mit meiner Zunge über ihre Lustperle und den Spalt zu gleiten.
Man sagt mir nach, dass die aranische und horasische Liebespraktik zu meinen Spezialitäten gehört. Ich lege großen Wert darauf, dass ich alle Praktiken des Rahjasutras beherrsche (sofern sie mir gefallen), um möglichst vielen Gläubigen Freude schenken zu können. Dennoch will ich nicht leugnen, dass die Verwöhnung mit Zunge und Mund zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählt.
Nach einer Weile nahm ich meine Finger erneut zu Hilfe und drang wieder mit ihnen in Swangard ein, verwöhnte sie aber gleichzeitig weiterhin mit meiner Zunge. Meine Bettgefährtin zuckte zusammen, da sie damit wohl nicht gerechnet hatte, aber ihre Seufzer wurden durch meine rhythmischen Stöße zu einem lustvollen Keuchen, das immer lauter wurde. Ich schenkte ihr weiterhin Freude mit meiner Zunge und formte schon bald meine Hand zur Drachenklaue – eine Technik, die bei den meisten Frauen die größte Erregung hervorrief. Und so brauchte Swangard auch nicht mehr lange, bis sie kam. Ich spürte, wie sich ihre Scheide zusammenzog, ihr Keuchen wurde zu einem Lustschrei und sie hielt mit ihren Händen erst das Bettlaken fest, dann meine Kopf und drückte mich noch näher an ihre Lustgrotte.
Ich war zufrieden und voller Stolz auf mein Werk. Mehr als sonst hatte es mich mit Freude erfüllt und auch meine Erregung war anstiegen, während ich sah, wie sich meine Geliebte ihrem Höhepunkt näherte. Umso glücklicher war ich, als sich Swangard nicht müde zur Seite rollte und mich vergaß, wie es immer mal wieder bei Menschen vorkam, die die Ekstase durchlaufen hatten, sondern dass sie mich hochzog und dorthin positionierte, wo sie vorher lag. Ich atmete fast ebenso heftig wie sie, sah ihr Lächeln und wusste, dass sie noch einiges vorhatte.
Ihre großen Brüste streichelten meinen Körper, als sie sich auf mich legte und küsste. Sie wanderte immer weiter hinab, deutlich schneller, als ich dies tat, aber es war nur richtig, war meine Erregung doch mittlerweile schon so groß, dass wir nicht langsam anfangen mussten. Sie umspielte mit ihrer Zunge abwechselnd meine Brustwarzen, küsste meinen Bauch und streichelte meine Schenkel, während sie mit ihrem Blick meine Lustgrotte anschaute und sich wohl einen Plan zurechtlegte. Mein kleiner Schmuckring, den ich erst vor ein paar Monden bekommen habe, übte bei ihr wohl die gleiche Faszination aus, wie bei mir ihre Tätowierungen. Ich war etwas überrascht, als sie auf meine Schamlippen spuckte und dann anfing, ihren Speichel zu verreiben. Du bist doch nicht so unerfahren – und versauter, als ich erwartet habe, dachte ich, nicht ohne mich ein klein wenig zu freuen. So fing Swangard an, meine Scheide zu reiben und sie machte ihre Sache ausgezeichnet. Immer wieder benutzte sie ihren Daumen, um meinen Ring zu bewegen, was mir zusätzliche Erregung verschaffte. Bald schon hatte sie begonnen, in mich einzudringen – mit mindestens zwei Fingern, wie es sich gehört.
Ich kann mittlerweile gut beurteilen, wer eine gewisse Gabe für das Liebesspiel hat und wer nicht. Das Rahjaspiel ist wie jedes Handwerk. Man kann sich durch Üben verbessern. Gewiss, jeder Mensch mag eine Art Grundbegabung haben und es gibt Naturtalente, aber auch eine unerfahrene Gesellin kann zur Meisterin aufsteigen, wenn sie sich Mühe gibt.
Swangard war keine Gesellin mehr – oder sie war ein Naturtalent. Sie nahm ihre Zunge zur Hilfe und zog an meinem Ring, machte kreisende Bewegungen und wusste genau, wo es mir gefiel und was ich nicht mochte. Sie lernte sehr schnell. Bald schon erlebte auch ich meinen ersten Höhepunkt in dieser Nacht.
Der Vorteil unter Frauen beim Rahjaspiel ist es, das sie nicht lange auf eine neue Runde warten müssen. Während ein Mann durch seinen Körper eine gewisse zeitliche Einschränkung nach seinem Erguss aufweist, können die Lustgrotten von Frauen schneller hintereinander Erregung aufnehmen (nicht unbegrenzt, auch wenn mancher Aberglaube dies behaupten mag).
Dieses Mal ergriff Swangard die Initiative. Nachdem wir uns wiederholt küssten, ging sie zu dem Tischchen, auf dem einige kleine Aufmerksamkeiten für den Gaumen standen. Swangard kam mit einem Honiglöffel wieder und stellte sich mir gegenüber. Zunächst ließ sie einige Tropfen des Honigs auf meine Brustwarzen tropfen, leckte diese geschickt auf und fand immer mehr Orte, die sie mit der süßen, klebrigen Masse bestrich. Ich spürte, wie einige große Tropfen auf meinen Po flossen, aber ich hatte keine Zeit, mir darum Gedanken zu machen, denn Swangard hatte meinen Bauch mit Honig bestrichen und fing an, ihn abzulecken. Danach fand ein honigbestrichener Finger dieser schmutzigen Spiele meinen Mund. Ich mochte den Geschmack und Swangard schien es zu gefallen, wie ich an ihrem Finger saugte und ihr Spielchen genoss. Der Honig zog sich in einem langen Faden von meinem Mund zu ihrem Finger und ich spielte ein wenig damit und versuchte, den Faden wieder einzufangen, was bei Swangard für große Erheiterung sorgte. Erst war es Honig, danach widmeten wir uns der Sahne, die für die frischen Erdbeeren gedacht war. Ich rieb und verteilte sie auf Swangards Körper, leckte den weißen Schaum von ihrem Hals, ihren Brüsten und Schenkeln, bis ich erneut ihre Lustgrotte fand. Ich leckte und fingerte und sah am Ende vermutlich im Gesicht ganz verschmiert nach Sahne aus.
An dieser Stelle möchte ich einen weiteren Ratschlag Amaziellas einfügen: »Lange Fingernägel sind hübsch anzuschauen, aber unangenehm, wenn du damit in jemanden eindringst.« Ein guter Rat, den ich beherzige.
Das dritte Mal in dieser Nacht liebten wir und ohne größeres Vorspiel, eher wild und leidenschaftlich, weniger zärtlich. Sie lag auf dem Rücken, ich auf ihr, sodass wir beide unsere Scham mit der Zunge verwöhnen konnten. Es war anders als die ersten beiden Male, aber ebenso unterhaltsam. Swangards Freude an meinem Schmuckring war ungebrochen. Die saugte und zog daran, sodass mich eine Erregung überkam, wie ich sie selten gespürt habe. Der Schmuck war eine gute Idee gewesen, ich hatte damals ein wenig Bedenken, aber es hatte sich gelohnt!
Der letzte Höhepunkt kam unerwartet. Swangard und ich lagen nebeneinander und streichelten uns nur, wechselten noch ein paar liebevolle Worte und sie fing an, dieses Mal bei mir ihr Stirnband über meinen Körper gleiten zu lassen. Als sie den Stoff mehrfach über meine Brüste strich und mit ihrer Hand meine Scham rieb, schwappte noch einmal die Ekstase über mich. Danach erinnere ich mich nur noch an einen innigen Kuss und Bishdariel hieß mich in seiner Traumwelt willkommen.
Üblicherweise ist es so, dass ich die erste bin, die erwacht und sich leise verabschiedet. Als ich jedoch am Morgen des nächsten Tages von den einfallenden Strahlen der Praiosscheibe an den Füßen und dem Gesicht gekitzelt wurde, bemerkte ich, dass ich alleine im Bett war. Swangard war nicht zu sehen und auch ihre Kleider waren fort. Ich wusste, sie war gegangen, was mich zwar traurig stimmte, aber nicht so traurig, wie ein Abschied gewesen wäre, ohne uns den Wonnen Rahjas hinzugeben.
Ich ging durch das Zimmer des Hotels und sammelte meine Kleidung auf. Meine Sandaletten waren liebevoll zusammengestellt worden und warteten neben einem Stuhl auf mich. Der Rest meiner Kleidung lag ebenfalls sorgfältig auf dem Stuhl zusammengelegt.
Darauf lag zudem ein zusammengefalteter Brief. Das Papier stammte von einem Schreibtisch, wo ein Stapel Briefpapier, ein Tintenfässchen und Federkiele den Gästen zur Verfügung stand. Die Kerze auf dem Schreibtisch war heruntergebrannt und ich konnte noch den Duft des Wachses und des Rauchs riechen. Ich nahm den Brief in meine Hände und las.
»Liebste Yasmina,
ich mag keine Abschiede. Deswegen werde ich mich nicht verabschieden, weder mit Worten noch mit diesem Brief. Es wird auch nicht notwendig sein, denn ich habe nicht vor, niemals wieder zurückzukehren! Im Gegenteil. Sobald ich kann, werde ich wieder in den Hafen Belhankas einkehren und nach dir suchen. Wie du bin ich eine freie Frau und kann nicht ewig an einem Ort verweilen. Bei Swafnir, mein Leben ist eine andauernde Reise, doch durch dich habe ich etwas erkannt, was mir vorher nie bewusst war: Wenn man auf Reisen ist, muss man einen Grund haben, in seine Heimat zurückzukehren, zu einem Ort, wo die Menschen sind, die man liebt. Meine Heimat ist nicht Thorwal, sondern Belhanka.«
Ich musste für einen kurzen Moment mit den Tränen kämpfen, dann lies ich es zu, dass sie über meine Wangen liefen. Ich drückte den Brief gegen meine Brüste und öffnete den Vorhang des Hotelzimmers. Ich stand nackt am Fenster, blickte hinaus auf den angebrochenen Tag und lächelte trotz meiner Tränen.
Warum ich euch von dieser Geschichte erzählt habe? Aus vielerlei Gründen. Ich wollte euch aufzeigen, dass eine Geweihte der Schönen Göttin nicht nur die körperliche Liebe zu schätzen weiß, sondern ebenso die Liebe zweier Seelen – aufrichtig und so innig, wie dies meist nur ein harmonisches Ehepaar unter Travias Segen empfinden mag. Gleichfalls wollte ich euch aufzeigen, dass man selbst diejenigen, von denen man zuerst einen unangenehmen Eindruck haben mag, die gefährlich aussehen oder über die andere Übles berichten, die ehrlichsten und liebsten Menschen sein können.
Jedes Mal, wenn ich am Hafen bin und ein thorwalsches Drachenboot sehe, schlägt mein Herz schneller. Üblicherweise sind es nur Händler aus dem Norden, doch hin und wieder ist ein blonde Thorwalerin unter ihnen, mit einem roten Stirnband, die jedes Mal mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Geschenk in den Händen zu mir kommt. Diese Tage zählen zu den schönsten in meiner Erinnerung.
Nach alten Regeln
von Annette Juretzki
Es roch nach Kokos und verbranntem Fett, nach Unrat und Paradiesblumen, nach faulendem Holz, rostendem Eisen, zu scharfem Schnaps und zu süßem Parfüm. Nach Heimat. Vadoria sog den Geruch Al’Anfas tief ein und hustete ihn sogleich angewidert aus. Denn vor allem stank es nach Leben, viel zu viel davon auf viel zu engem Raum. Selbst der Mittagsregen hatte das menschliche Aroma nicht aus den Gassen spülen können. Wo die Stadt lebte, da schwitzte sie, und so wie der Schweiß den Menschen aus allen Hautporen triefte und das Haar zu dünnen Strähnen verklebte, so verklebten die Menschen die Straßen, trieften als stinkende Menge aus allen Hausöffnungen und wurden zum gelebten Odem Al’Anfas, dieser Mischung aus Vertrautheit, Ekel und plötzlich aufkeimendem Fernweh. Vadoria hasste es, ständig für Verhandlungen nach Port Corrad geschickt zu werden, nie lange zu Hause sein zu können. Aber es hatte auch seine Vorteile, vor allem an Tagen wie diesem.
Noch einmal holte Vadoria tief Luft und würgte dabei den Ekel vor dem würzigen Menschengeruch hinunter. Sie war Soldatin, sie konnte tagelang mit Menschen in schweren Rüstungen durch die dampfenden Dschungel marschieren, da würde sie jetzt nicht vor den kochenden Gassen der Altstadt kapitulieren! Auch wenn es in der Truppe mehr nach Waffenöl denn nach Schweiß gestunken hatte, auch das hatte seine Vorteile.
Mit neuer Kraft hetzte Vadoria durch die eigentlich weite Gasse, die eng vor lauter Menschen war. »Platz da!«, brüllte sie immer wieder, wenn sie sich in ihrer Plattenrüstung nicht zwischen den Fanas hindurchdrängen konnte. »Macht Platz für die Schwarzen Garden!« Und es wirkte.
Zumindest für den Moment.
Der Tulamide im blauen Leinenhemd erstarrte mitten in seinem Gespräch mit den zwei Mittelländerinnen, blickte sich panisch um und sah dann schließlich herab. Kaum hatte er Vadoria erblickt, wich er ängstlich zurück, und stieß gegen einen anderen Tulamiden, diesmal mit bloßem Oberkörper, der sich sofort umdrehte und nun zusammen mit seiner Waldmenschen-Gefährtin im hellen Kleid den ersten Tulamiden beschimpfte. Dessen Begleiterinnen ließen dies nicht auf sich beruhen, schimpften und fluchten zurück, und es mischten sich Worte auf Tulamidya und Garethi mit Tahaya-Sprachbildern, falsch übersetzten Redewendungen aus dem Bosparano – und hatte Vadoria gerade jemanden auf Maraskani spotten gehört? Immer mehr Menschen stimmten mit ein oder zeterten durcheinander, ohne überhaupt zu wissen, worum es ging. Dialekte mischten sich mit Sprachen, und jeder schien zugleich jeden und nichts zu verstehen. Es war laut wie der Dschungel bei Nacht – so laut, wie al’anfanische Tage nun einmal waren –, und so wild und lebendig. Für einen kurzen, ketzerischen Moment war es kaum zu glauben, dass Boron ausgerechnet Al’Anfa als seine heilige Stadt erwählt hatte.
Doch auch wenn Vadoria genau dies in Port Corrad vermisst hatte, heute war ihre Zeit für Sentimentalitäten leider begrenzt. Und eigentlich schon längst aufgebraucht. Inzwischen bereute sie es, auf die Sänfte ihres Vaters verzichtet zu haben. Eine Grandessa kam einfacher durch die Straßen als eine Capitana ohne Trupp, vor allem, wenn die Capitana durchschnittlichen Menschen nur bis zur Schulter reichte. Aber wenn die Commandanta rief, konnte Vadoria doch nicht im Seidenkleid von Sklavenhänden getragen erscheinen. Die Commandanta, ach, die gesamten Schwarzen Garden verlören den Respekt vor ihr! Und außerdem verfügte Vadoria über zwei gesunde und dazu noch äußerst gut trainierte Beine, da hatte sie es nicht nötig, sich wie eine fette Katze auf einem Seidenkissen umhertragen zu lassen.
»Im Namen des Protectors, macht Platz für die Schwarzen Garde!« Vadoria brüllte so laut, dass ihre Lunge brannte, und wäre sie nun den Rest des Tages heiser, es würde sie nicht wundern. Und das wäre es dennoch wert gewesen.
Sie musste Oderins Namen nicht nennen, damit die Menge verstummte. Für zwei Herzschläge blickten die Fanas hektisch umher, ob er womöglich gerade hier wäre und in welche Richtung sie jubeln sollten, damit er ja schnell vorbeizog und nicht allzu genau zu ihren Wohnhäusern und Geschäften schaute. Der Tulamide mit dem blauen Hemd begriff, was nun angemessen war, und wich zurück; und diesmal taten die Menschen hinter ihm ebenfalls Rückwärtsschritte, stumm und gehorsam, bis sich eine Gasse in der Menge bildete, breiter als es bei Vadorias Statur nötig gewesen wäre. Der kleine Steg aus schwarzem Basalt in der Mitte der Straße gehörte ganz ihr, wie es ihr als Grandessa auch zustand. Die Fanas indes wandten ihren Blick ab, sahen zu den Männern und Frauen neben sich oder gleich zu Boden, obwohl es doch ein seltener Anblick sein durfte, dass eine Grandessa selbst auf der Straße entlangspazierte, statt sich tragen zu lassen. Doch Vadoria ließ sich ihre Verunsicherung nicht anmerken, ging im militärischen Schritt und mit eiserner Disziplin im Gesicht voran.
Es war ein Ausdruck von Respekt, dass man sie nicht ansah, so tröstete sie sich. Respekt oder Furcht, beides war ihr recht. Auch wenn beides nicht ihr persönlich galt.
Noch nicht.
Vielleicht nie …
Die freie Gasse reichte bis zur Obsidiantreppe im Bruch, die die Terrassen der Altstadt und des Universitätsviertels verband. Die Menschen waren schon so daran gewöhnt, den Sänften der Granden Platz zu machen – wenn erst einmal eine Gasse entstand, hinterfragten sie es nicht mehr, sondern leisteten ihren Beitrag und warteten schweigend, bis die Luft wieder rein war und sie aufs Neue als Al’Anfas Herzschlag in den Straßen pulsieren konnten. So wie es sein sollte. Vadoria liebte es, wenn Al’Anfa tanzte und lärmte, auch wenn sie nie ein Teil dieser Menge sein durfte. Sie war zum Führen geboren worden, nicht zum Leben, und inzwischen war sie alt genug, um sich wie die Fanas um sie herum ihrer Rolle zu fügen. Schließlich oblag es nicht den Figuren, die Regeln des Spielbretts zu bestimmen.
Zwei steile Treppen später peitschte Vadorias Blut in den Adern wie das Perlenmeer beim Kauca, und es schien ihr, als hätte ein phexverfluchter Paligan innerhalb ihrer Plattenrüstung eine neue Therme eröffnet, so sehr badete sie in ihrem eigenen Schweiß. Aber sie war endlich am Ziel: Villa Hermetica, einstiger Wohnsitz des Verräters Irschan Perval und neues Quartier von Commandanta Alena Karinor, ebenfalls Perval, zumindest vom Blute her. Es war ein angemessenes Erbe für ihre Verdienste im Kampf gegen die Duumvirn, die Al’Anfa unterjocht hatten, doch wollte die Villa aus weißem Marmor mit ihren verspielten Fassaden, pittoresken Wasserspielen und den fast schon zu rahjagefälligen Statuen im Garten nicht so recht zu einer Frau passen, deren Mimik selbst oft wie in Marmor gemeißelt schien. Daran änderte auch nicht, dass das Gebäude im Moment eher einer Kaserne als einem Wohnhaus entsprach, denn die Commandanta schien das Interesse an einem Leben außerhalb ihrer Aufgaben für den Protector verloren zu haben. Wenn sie es denn je gehabt hatte …
Rasch wandte sich Vadoria dem geräumigen Tor zur Villa und den dortigen Wachen der Dukatengarde zu. »Kor zum Gruße! Ich bin Capitana Vadoria Santára-Florios der Schwarzen Garden und hier auf …«
»Bei den Göttern, Vadia, ich weiß, wer du bist!« Die Dukatengardistin lachte. Selbstverständlich wusste Rayabi, wer Vadoria war, und noch so einiges mehr über sie. Aber Protokoll war Protokoll.
»Wenn du all deine einstigen Geliebten ohne Prüfung passieren lässt, werde ich mir wohl bald eine neue Commandanta suchen müssen.«
»Keine Sorge, nur die, die mehr Abzeichen an der Rüstung tragen als ich. Die beschweren sich immer so schnell, wenn ich sie sehr gründlichdurchsuche.« Rayabi grinste wieder und ihre weißen Zähne glänzten in einem wunderschönen Kontrast zu ihrer schwarzen Haut.
Es war eine gute Zeit gewesen, damals, als sie noch beide zur Schwarzen Legion gehört und in Port Corrad auf den nächsten Krieg gewartet hatten. Damals ergaben die ständigen Scharmützel noch einen Sinn. Und dann, als Rayabi schon längst gegangen war, kam dieser Krieg endlich – an der falschen Front, gegen die falschen Feinde. Als sich Vadoria der Legion angeschlossen hatte, wollte sie fremde Lande erobern und nicht eines Tages als Invasorin die heimatlichen Stadtmauern belagern. So ruhmreich und notwendig diese Befreiung Al’Anfas auch gewesen war.
»So gern ich mich auch gründlich von dir durchsuchen lassen würde, ich bin jetzt schon zu spät dran.« Vadoria lächelte. Es schadete nicht, hier etwas zu beginnen, das an einem späteren Abend glorreich enden könnte. Alena würde ohnehin nur wieder ein paar knappe Befehle für sie haben, vermutlich erneute Inspektionen und Rekrutierungen in Port Corrad. Mehr als einen gehetzten Blick aus hellen Augen konnte Vadoria nicht erwarten. Aus hellen, entschlossenen Augen hinter langen Wimpern …
»Nicht so spät wie die Commandanta.«
»Sie ist noch nicht da?« Sofort verging Vadoria aller Spaß an rahjasüßen Worten. Der Sargento, der die Nachricht über ihr gewünschtes Erscheinen überbracht hatte, hatte mehr als nur einmal auf die Dringlichkeit gepocht.
»Weder sie noch Subcommandante Bonareth sind bisher eingetroffen.«
»Er wird auch erwartet?« Vadoria war auf einmal seltsam enttäuscht.
»Nun, zumindest höre ich heute ständig seinen Namen.« Rayabi legte die Stirn in Falten und fuhr sich mit der Rechten über den rasierten Schädel. »Capitana Espadaz weiß auch nicht, was los ist. Aber zumindest ist sie schonmal hier – und das war sie weit vor dir. Ich sag dir, Vadia, diese Stadt tut dir nicht gut. In Port Corrad wäre dir das nicht passiert.«
In Port Corrad hatte sie auch nie Dutzende Seidenkleider anprobieren müssen, während sich ihr Vater darüber brüskierte, dass wahlweise ihre Schenkel zu kräftig, ihr Wuchs zu klein und ihre Brust zu flach waren. Von den Narben ganz zu schweigen! Vadoria war eben nicht Lucian, und nie nahm ihr Vater ihr dies übler, als wenn wieder eine Einladung vom Silberberg eintraf.
»Vielleicht bin ich auch einfach zu lange fort gewesen.« Sie nickte Rayabi knapp zu und trat durchs Tor, ohne eine weitere Antwort abzuwarten. Wenn Diega Espadaz bereits drinnen wartete, durfte die Commandanta Vadoria nicht draußen vorfinden, wie sie ihrer Wächterin schöne Augen machte. Vadoria musste diszipliniert wirken.
Und ungebunden.
Die Wände waren ungewöhnlich kahl für eine Villa. Weder Gardinen noch Teppiche, Gemälde noch Prunkwaffen waren aufgehängt. Nur kleine gebleichte Ränder auf dem Stein zeugten davon, dass es einmal anders gewesen war. Im Eingang hing das Banner der Stadt aus schwarzem und gelbem Tuch, ohne eingewobene Brokatfäden, die gern dafür genutzt wurden, damit der gelbe Stoff dem heraldischen Gold näherkam. Links daneben hing ein Schild mit dem schwarzen Hund, dem Abzeichen der Schwarzen Garden, rechts ein Prunkschild der Rabengarde. Was fehlte, war ein Wappen der Karinors. Nichts in dieser Villa deutete daraufhin, dass hier eine Grandessa und nicht bloß eine reiche Fana wohnte.
»Den Zwölfen zum Gruße, Capitana. Darf ich Euch in den Warteraum geleiten?« Der rothaarige Sklave verbeugte sich angemessen.
»Du darfst, Dragasz.« Vadoria lächelte ebenso angemessen und folgte ihm. Normalerweise merkte sie sich keine Sklavennamen, denn es war auch nicht von Bedeutung, welchen Namen der Tischler ihrem Stuhl gegeben hatte. Aber es war immer Dragasz, der sie hier empfing. Noch nie hatte sie in dieser Villa einen anderen Sklaven arbeiten gesehen und ganz langsam beschlich sie der Verdacht, dass die Commandanta vielleicht tatsächlich gar keine anderen Sklaven besaß – was eigentlich unmöglich war. Dieses Haus war zu groß, um es gleichzeitig sauber zu halten, während die Herrschaften bekocht, die Kleider geflickt, der Garten gepflegt und die Gäste empfangen wurden. Und kein Mensch bei Verstand verzichtete freiwillig auf eine dieser Notwendigkeiten.
Der Warteraum war nicht so kahl wie die anderen Zimmer, was vor allem den wuchtigen Bücherregalen zu verdanken war. Folianten in dicken Einbänden standen so dicht an dicht, dass sich manches Regalbrett bereits in der Mitte bog. Jedes einzelne der Werke trug einen ausschweifenden Namen auf Bosparano oder Tulamidya, und einige wenige waren sogar in ganz und gar fremdländischen Sprachen verfasst.
Meist blätterte Vadoria durch die schweren Bücher, während sie auf die Commandanta wartete. Zwar verstand sie die Texte nicht, obwohl ihr Bosparano mehr als nur ausreichend war, doch darum ging es ihr auch gar nicht. Viele Seiten zeigten geometrische Muster, die dank gefärbter Silbertinte in allen Farben schillerten. Ein bezaubernder Anblick, und es grenzte teilweise schon an Rahjafrevel, dass solche Kunstfertigkeit ungesehen zwischen Pergamentseiten verkam.
Aber diesmal war Vadoria nicht alleine hier, also blieben die Bücher unangetastet. Stattdessen nickte sie Capitana Espadaz höflich zu und setzte sich ihr gegenüber auf den gepolsterten Stuhl aus dunklem Mohagoniholz.
Die Haut der Capitana glänzte in diesem typischen Farbton des Südens, dieser Mischung aus Sonnenbräune und Abstammung, einer Verbindung aus mittelländischen und tulamidischen Wurzeln. Damit war Diega nach al’anfanischen Maßstäben durch und durch gewöhnlich – und trotzdem bekleidete diese Fana denselben Rang, den auch Vadoria sich verdient hatte. Sicher, Diega hatte ihr fast zehn Götterläufe an Lebensjahren und Erfahrung voraus, aber es hatte eine Zeit gegeben, da hatte es beinahe als obszön gegolten, eine Fana auf denselben Rang wie eine Grandessa zu hieven, und diese Zeit lag noch keine drei Jahre zurück.
Na und? Das war eine Meinung von Bürokraten gewesen, die sicher hinterm Schreibpult in der heimatlichen Kaserne ein paar Zeichen hinter einen Namen schrieben und dabei ihr Bestechungsgeld zählten. Wer gemeinsam Rücken an Rücken in den dampfenden Dschungeln gegen Wilde, Partisanen, Bestien und Mittagsglut kämpfte, der scherte sich nicht länger darum, aus welcher Familie die Soldatin stammte, die einem gerade das Leben rettete. Vadoria hatte sich nie groß an Fanas in den eigenen Rängen gestört – nie außer jetzt.
Stumm betrachte Vadoria, wie Dragasz ein zweites Kristallglas neben die Karaffe mit Zitronenwasser stellte. Eigentlich mochte sie Diega sogar. Die Capitana hatte dieses einnehmende Lachen mit den breiten Grübchen um die Lippen, und Vadoria konnte sich nicht erinnern, dass Diega je ein schlechtes Wort über einen Menschen verloren hatte, der es nicht auch mehr als nur verdient hätte. Und trotzdem wollte sie unter gar keinen Umständen jetzt hier mit Diega sein. Diega sollte jetzt nicht hier sein. Dabei wusste Vadoria nicht einmal, warum. Sie hätte die Commandanta nur einfach gern allein getroffen.
»Ich wusste gar nicht, dass Ihr bereits wieder zurück seid. Wie ist die Lage in der Garnison?«
Diegas Frage klang freundlich und aufrichtig interessiert. Bereits Al’Anfa hatte acht Garnisonen und betrachtete man die gesamte Schwarze Allianz, so dürften es Dutzende sein. Trotzdem wusste Vadoria sofort, von welcher Garnison Diega sprach. Wer in Port Corrad unter dem Schwarzen General gedient hatte, für den würde es immer nur die eine geben.
»Das Übliche. Oder nein: schlimmer. Die Legion ist nicht bloß gelangweilt, weil es keinen richtigen Krieg gibt – sie ist auch noch neidisch auf uns, weil wir wenigstens in Al’Anfa sein dürfen.«
Diega lachte auf und ihre Grübchen umrahmten ihren Mund. »Ja, ich wäre auch neidisch auf uns, hätte ich die letzten drei Jahre wieder in diesem Kaff mitten im Nichts hocken müssen.«
Die Hälfte dieser drei Jahre hatte Vadoria auf irgendwelchen Schiffen verbracht, um Botschaften mit dieser langweiligen Stadt im Nichts auszutauschen.
Diszipliniert formte Vadoria ihr Höflichkeitslächeln, das sie lange geprobt hatte, um nicht schon wieder aufzufallen, wenn jemand aus einem anderen Haus einen schlechten Wilden-Witz machte. Und bisher hatte sie noch keine guten Witze über Waldmenschen gehört.