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Hans-Ulrich Grimm

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Beschreibung

Was haben Tiefkühlpizza, Superfood und Vegetarismus/Veganismus mit Demenz und Alzheimer zu tun? In seinem aktuellen Sachbuch beschreibt Deutschlands führender Nahrungskritiker, wie unsere Nahrungsmittel und unsere Ernährungsweise die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns herabsetzen. Neueste wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Das menschliche Gehirn schrumpft - es ist heute weniger leistungsfähig und altert schneller als in früheren Zeiten Damit steigt die Gefahr, an Alzheimer und Demenz zu erkranken. Der entscheidende Grund dafür ist unsere Ernährung, sagt der Nahrungskritiker Hans-Ulrich Grimm. Und zwar nicht nur die klassische Ernährungsweise. Auch Vegetarismus und Veganismus schaden langfristig unserem Gehirn. Hans-Ulrich Grimm zeigt, warum das so ist und in welchen Nahrungsmitteln die Gefahren lauern. Er weiß, was wir am besten essen sollten, um bis ins hohe Alter ein fittes Gehirn nutzen zu können, und er sagt uns, welche Rolle Superfood dabei spielt - Hans-Ulrich Grimms Weckruf ist aktive Gesundheitsvorsorge durch praktisches Ernährungs-Wissen.

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Seitenzahl: 363

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Hans-Ulrich Grimm

Dumm gegessen!

Wie uns die Nahrungsindustrie um den Verstand bringt

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Das menschliche Gehirn schrumpft – es ist heute weniger leistungsfähig und altert schneller als in früheren Zeiten, warnen neueste wissenschaftliche Untersuchungen. Die geistige Performance lässt nach, es steigt die Gefahr, an Alzheimer und Demenz zu erkranken. Der entscheidende Grund dafür ist unsere Ernährung, sagt der Nahrungskritiker Hans-Ulrich Grimm. Und zwar nicht nur die moderne industrielle Ernährungsweise. Auch Vegetarismus und Veganismus schaden langfristig unserem Gehirn. Hans-Ulrich Grimm zeigt, warum das so ist und wo die Gefahren lauern. Er weiß, was wir am besten essen sollten, um bis ins hohe Alter ein fittes Gehirn nutzen zu können, und er sagt uns, welche Rolle Fast Food, Fertigmüsli und Tiefkühlpizza dabei spielen.

Inhaltsübersicht

Einleitung Die Menschheit isst sich um den Verstand

1 Katastrophe im Kopf

2 Unbestimmte Traurigkeit

3 Mord und Soja

4 Potenzielle Bombe

5 Schwindel im Cockpit

6 Nagel im Auge

7 Hässliche Königin

8 Schlechte Prognose

9 Unsicherer Gang

10 Heißes Glück

Literatur

Bücher und Monografien

Aufsätze

Einleitung

Die Menschheit isst sich um den Verstand

Die Menschheit wird immer dümmer? Da werden viele spontan zustimmen und dabei zum Beispiel an die Medien denken, die sozialen oder auch die etablierten, je nach Sichtweise, oder an gewisse Politiker, an die Regierenden oder die Demonstrierenden, Protestierenden. Es scheint tatsächlich etwas dran zu sein. Darauf deuten wissenschaftliche Befunde hin: Die Intelligenz nimmt ab, die geistige Leistungsfähigkeit geht zurück, das Denkvermögen lässt nach, die Hirnmasse schwindet. Ein Trend kehrt sich um, der lange angehalten hat. Das menschliche Zentralorgan steckt in der Krise. Kein Wunder, dass sich viele um die eigene geistige Performance sorgen, es gibt ja auch Beispiele, persönliche Erfahrungen bei Freunden, Bekannten und Verwandten, Leidensgeschichten von Demenz, von Alzheimer und Parkinson, und es gibt Statistiken zu solchen Diagnosen.

Die Welt verdummt, und sie hat auch seltsam schlechte Laune. Die Psyche steht unter Druck, Depressionen sind auf dem Vormarsch, ebenso Aggressionen, Gewaltakte, zunehmend auch gegen Autoritäten, die Polizei, Lehrer, sogar in der Grundschule, selbst gegen Feuerwehrleute und Müllmänner. Das hat viele Gründe. Die bisherigen Deutungen konzentrierten sich auf psychologische oder soziologische Hintergründe. Doch jetzt gibt es eine neue Erklärung aufgrund neurowissenschaftlicher Erkenntnisse. Hirnforscher weisen auf die bislang übersehene Rolle der Ernährung hin. Diese sorgt für die materielle Grundlage der Gehirntätigkeit, und da hapert es zusehends.

Macht gar nichts, denkt sich eine ebenfalls wachsende Zahl von Optimisten, die an den Fortschritt glauben, an chemische Mittelchen, an eine Pille zum Beispiel für mehr Mut und innere Freude, für bessere geistige Performance, oder sogar an elektronische Optionen, den USB-Anschluss am Gehirn für den direkten Download intelligenterer Ideen und Gedanken vom PC oder gleich per Bluetooth vom Smartphone.

Wobei da schon die Frage der Energieversorgung auftaucht: Um ein menschliches Gehirn in Echtzeit elektronisch zu simulieren, brauchte es den Strom einiger Atomkraftwerke (siehe Kapitel 9).

Der Körper löst das Problem ungleich lässiger, eleganter, effizienter: mit der Energie aus Lebensmitteln. Der Bedarf ist dabei erheblich geringer, aber immer noch vergleichsweise hoch. Obwohl das Gehirn nur 2 Prozent des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es 20 Prozent der gesamten Energie.

Für die Erzeugung von Ideen, Gedanken und Gefühlen ist es auf hochwertiges Material angewiesen. Bisher wurde dieser materielle Aspekt der Geistestätigkeit, der Intelligenz, des Denkvermögens sträflich vernachlässigt. Die Philosophen haben die Voraussetzungen der Erkenntnisfähigkeit unterschiedlich interpretiert. Die Neurowissenschaftler haben sie mit spektakulären Einsichten in die biologischen Grundlagen des Geistes untermauert. Und doch lange übersehen, dass genau diese physiologischen Vorgänge auf einer materiellen Grundlage stehen, dass sie Substanzen benötigen, um optimal funktionieren zu können. Jetzt beschäftigt sich weltweit eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern mit diesen materiellen Voraussetzungen der Geistestätigkeit – und sie sind zu einem beunruhigenden Befund gekommen. Es fehlt in zunehmendem Maß an angemessenem Material, um das Denkniveau aufrechtzuerhalten. Die Nahrung, die den nötigen Treibstoff, die unerlässlichen Substanzen liefern muss, hat nicht mehr die erforderliche Qualität, um den Denkapparat auf dem bisherigen Leistungslevel zu betreiben.

Die Folgen sind verheerend. Das betrifft nicht nur das Denken, die reine Sphäre des Geistes, sondern auch die psychische Gesundheit, denn das Gehirn ist ja zudem für die Gefühle zuständig. Der neue Mangel wirkt sich auch hier aus, kann zu Depressionen führen, aber auch zu Aggressionen, zu Verhaltensstörungen, ja sogar Kriminalität. Und so geht es auch um den sozialen Frieden, es geht um die Zukunft der menschlichen Gesellschaft, der Zivilisation auf diesem Planeten. Die Grundlagen für deren Denkfähigkeit, für ihre psychische Stabilität und ihre Sozialität werden schon heute gelegt, in der Kindheit, wenn das Gehirn sich entwickelt und besonders auf angemessene Versorgung angewiesen ist. Doch gerade da herrscht häufig Mangel, die Defizite führen zu Entwicklungsproblemen im Gehirn, sogar zu messbarer Schrumpfung an entscheidenden Stellen im Vergleich zu früheren Generationen. Und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der es um riesige geistige Herausforderungen geht, sei es Digitalisierung, Hightech oder der weltweite Wettbewerb. Wie kann sich da eine Gesellschaft behaupten, wenn es mit der Intelligenz bergab geht?

Isst sich die Menschheit um den Verstand? Fehlt es künftig am Geistesvermögen, um das Zivilisationsniveau zu erhalten? Ist das Erreichte, sind Wirtschaft, Wohlstand, Wohlbefinden, sozialer Friede in Gefahr, weil das Ernährungssystem zur Unterversorgung des Denkapparats führt? Mampft sich Homo sapiens zurück in Richtung Steinzeit?

Das Gehirn steht vor einer großen Herausforderung, ausgerechnet in einer Zeit, in der es ohnehin schwächelt: Es muss die Situation diagnostizieren, die Probleme erkennen und dann umsteuern. Klar zur Wende. Immerhin: Die klügsten Denker und Institutionen haben die Probleme identifiziert und die zentrale Bedeutung erkannt, die das derzeitige »Fütterungsmuster« nicht nur für die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson hat, sondern auch für psychische Störungen wie Angstzustände und Depressionen. So etwa die weltberühmte Universität Harvard in Boston im US-Bundesstaat Massachusetts. Es klingt wie eine eindringliche Mahnung, wenn sie auf ihrer Internetseite (Harvard Health Blog) dazu auffordert, doch angemessen für die Bedürfnisse des Zentralorgans zu sorgen:

»Denken Sie darüber nach. Ihr Gehirn ist immer ›an‹. Es kümmert sich um Ihre Gedanken und Bewegungen, Ihre Atmung und Ihren Herzschlag, Ihre Sinne – es arbeitet rund um die Uhr, sogar während Sie schlafen. Das bedeutet, dass Ihr Gehirn eine ständige Versorgung mit Brennstoff benötigt. Dieser ›Treibstoff‹ stammt aus den Lebensmitteln, die Sie essen – und was in diesem Treibstoff enthalten ist, macht den Unterschied. Einfach ausgedrückt: Was Sie essen, wirkt sich direkt auf die Struktur und Funktion Ihres Gehirns und letztlich auch auf Ihre Stimmung aus.

Wie bei einem teuren Auto funktioniert Ihr Gehirn am besten, wenn es nur erstklassigen Kraftstoff bekommt. Der Verzehr hochwertiger Lebensmittel, die viele Vitamine, Mineralien und Antioxidanzien enthalten, nährt das Gehirn und schützt es vor oxidativem Stress – dem ›Abfall‹ (freie Radikale), der entsteht, wenn der Körper Sauerstoff verbraucht. Dieser ›Abfall‹ kann die Zellen schädigen.

Leider kann Ihr Gehirn, genau wie bei einem teuren Auto, geschädigt werden, wenn Sie etwas anderes als Superkraftstoff zu sich nehmen. Wenn Substanzen aus ›Niedrig-Premium‹-Treibstoff (wie zum Beispiel das, was man aus verarbeiteten oder raffinierten Lebensmitteln erhält) ins Gehirn gelangen, kann es sie kaum wieder loswerden.«

 

Lange Zeit war der Treibstoff immer besser geworden, und so ging es beständig aufwärts. Die Evolution des menschlichen Gehirns hat über Hunderttausende von Jahren zu stetigem Wachstum geführt: Von einem knappen Pfund auf eineinhalb Kilo ist der Denkapparat im Lauf der Jahrtausende gewachsen. Und hat seine Macht dabei immer weiter ausgebaut, als Zentrum der Vernunft, des rationalen, zielgerichteten Verhaltens, als Schaltstelle der menschlichen Existenz, in der Gedanken, Gefühle, Handeln und Beziehungen koordiniert, reflektiert und gestaltet werden.

Es war eine unglaubliche Intelligenzleistung, auch eine großartige Gemeinschaftsleistung, mittels derer sich die Gattung Mensch von den Fesseln der Natur befreit hat. Am Anfang war das Feuer, der Faustkeil, die Höhle. Damit gab sich der menschliche Geist nicht zufrieden. Durch Entdeckungen, durch immer neue Erfindungen und Techniken haben wir uns emanzipiert von der Willkür des Wetters, dem Diktat der Jahreszeiten, von Bedrohungen und Beschränkungen, Terror und Tyrannei durch Katastrophen und Seuchen, Anfeindungen und Aggressionen aus der Mitwelt, auch der Tierwelt. Jetzt gibt es Häuser mit geheizten Wohnungen und Klimaanlagen, es gibt Autos, Schiffe und Flugzeuge, Computer und Internet, Fernsehen, Kino, Kunstwerke.

Es hat sogar einen gewissen Fortschritt in der Gefühlswelt gegeben, einen Prozess der Zivilisation, in dem der Mensch seine Affekte kultiviert, Selbstbeherrschung gelernt, Höflichkeit erfunden und Regeln für den sozialen Umgang geschaffen hat, Recht und Justiz. Der Mensch hat seine Persönlichkeit und sein Selbstbewusstsein entwickelt. Es hat unglaubliche Fortschritte in der Kultur gegeben, in der Wissenschaft, der Literatur, Philosophie, den Religionen. Die Schrift hat ihm ermöglicht, sogar die Zeit zu überlisten und Gedanken aufzubewahren. Der menschliche Geist hat sich seine Lebensbedingungen selbst geschaffen und seinen Herrschaftsbereich immer weiter ausgedehnt. Sein Sachverstand und sein Selbstbewusstsein, auch sein Mut und seine Tapferkeit brachten den Homo sapiens in eine neue, die bestimmende Position auf diesem Planeten, sodass Wissenschaftler schon von einem neuen Erdzeitalter sprechen: dem Anthropozän. Es ist die Epoche, in welcher der Mensch (griechisch ánthrōpos) zur maßgeblichen Größe auf diesem Planeten geworden ist, sich zum Herrscher aufgeschwungen hat über die Umwelt, die Evolution – und dabei auch sich selbst verändert hat, sein Wesen, sogar seine eigene Natur, seine materielle Beschaffenheit, seine stoffliche Zusammensetzung, seinen Körper, das Gehäuse und die Voraussetzung seines Geistes. Und zwar durch die Nahrung, die er sich einverleibte, denn sie beeinflusst seinen Leib und damit auch die Betriebsmittel des Gehirns.

Doch wenn die Nahrung nicht mehr »Super« ist, dann arbeitet der Geist auch nicht mehr im »Premium«-Modus. Einer der Ersten, die darauf aufmerksam gemacht haben, war Michael Crawford, Professor am Imperial College in London und Direktor des Instituts für Gehirnchemie und menschliche Ernährung. Er hatte früh darauf hingewiesen, dass die Entwicklung zu kippen droht, als sich die Anzeichen mehrten, dass der Zenit überschritten ist, dass es schon wieder abwärts geht mit der Geistesleistung und sogar mit dem Gehirnvolumen. »Ich finde die gegenwärtige Entwicklung äußerst alarmierend«, sagte der Biochemiker. Und früh schon wies er auf die ersten Alarmzeichen hin, dass sich die Evolution des Denkorgans umkehrt. »Die Kapazität des Gehirns nimmt nicht mehr länger zu, sondern tatsächlich ab.«

Die Umkehr hat sich langsam angebahnt, noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hat sich die Intelligenz immer weiter verbessert, ist der Intelligenzquotient (IQ) noch gestiegen, jedes Jahr um 0,3 Prozentpunkte, alle zehn Jahre um drei IQ-Punkte. Das hatte der Politologe James R. Flynn von der University of Otago in Neuseeland nachgewiesen und dem Phänomen, dem stetigen Zuwachs an Intelligenz, seinen Namen gegeben: der »Flynn-Effekt«. Und so wurde auch die Wende nach ihm benannt. Der »Anti-Flynn-Effekt«.

»Werden wir dümmer?«, fragte etwa der Psychiater und Neuroforscher Manfred Spitzer von der Universität Ulm 2018 in der Fachzeitschrift Nervenheilkunde. Der dänische Psychologe Thomas Teasdale von der Universität Kopenhagen hat errechnet, dass der IQ in den Industrieländern nur bis in die 1980er-Jahre zugenommen hat, mit Beginn der 1990er-Jahre stagnierte und seit Ende der 1990er-Jahre sogar abnimmt. Jon Martin Sundet von der Universität Oslo bestätigte die Umkehrung des »Flynn-Effekts« an jungen Norwegern. Er hatte deren Intelligenzquotienten zwischen 1950 und 2002 untersucht und festgestellt: Auch im Land der Fjorde ging der IQ bis Mitte der 1990er-Jahre stetig nach oben, dann ist der Trend gekippt. Offenbar wurden dort sogar in einzelnen Familien die Mitglieder von Jahr zu Jahr dümmer. Die jüngeren Geschwister schnitten bei Intelligenztests schlechter ab als ihre älteren Brüder und Schwestern ein paar Jahre zuvor. Ähnlich im Vereinigten Königreich. Dort, so klagt der britische Hirnforscher Crawford, ließ die Geistesleistung ebenfalls messbar nach: »Die genetische Komponente der Intelligenz in Großbritannien sinkt etwa einen halben IQ-Punkt pro Generation.« Auch in Deutschland geht es abwärts. »Seit 1999 sinkt die Intelligenz unserer Gesellschaft kontinuierlich«, sagt der Psychologe und Intelligenzforscher Siegfried Lehrl. Wobei er von einer direkten Verdummung der Deutschen nicht sprechen wolle. Sie seien nur nicht mehr ganz so helle wie früher: »Intelligenztests unter Schülern haben gezeigt, dass deren geistige Fähigkeiten nicht mehr an die Jahrgänge vor 1999 heranreichen.«

Es gab viele Symptome für eine Wende. Man könnte auch sagen: Warnzeichen. So zum Beispiel im sprachlichen Ausdruck. Und das hat keineswegs (nur) mit migrationsbedingten Schwächen zu tun. Es hapert schon im Kindergartenalter mit dem Spracherwerb, auch in der Muttersprache. 22,8 Prozent der deutschen Kinder zwischen dreieinhalb und vier Jahren, so die Mainzer Klinik für Kommunikationsstörungen, hinken bei der Entwicklung des Ausdrucksvermögens hinterher. Sie sagen zum Beispiel »Batt« statt »Blatt«. Laut Bildungsbericht 2020 hat jeder fünfte Fünfjährige Bedarf an Sprachförderung: 22 Prozent der Kinder mit deutscher Muttersprache und 26 Prozent derjenigen mit einer fremden Muttersprache. Und das hält sich zum Teil sogar noch bis in die Grundschule. Bei einer Studie des Stuttgarter Gesundheitsamtes konnten 12,6 Prozent der Erstklässler Wörter nicht richtig aussprechen, sagten »grei« statt »drei« und »klumm« statt »krumm« – Babygestammel im Klassenzimmer. Bei Jungen ist es noch schlimmer als bei Mädchen. In Westfalen-Lippe braucht nach Krankenkassenangaben jeder vierte Schulanfänger eine Sprachtherapie.

In vielen Weltgegenden hatten sich Veränderungen angebahnt, und stets in die Richtung des umgekehrten Flynn-Effekts: der Geist auf der Abwärtsbahn. In Indien zeigte eine Studie, dass 56 Prozent der Schüler in ihrer Lernfähigkeit eingeschränkt sind, in Polen und Tschechien hatte sich die Zahl der Sonderschüler verdoppelt. In Russland wurden immer mehr Fälle mentaler Unterentwicklung beobachtet, die Rate stieg in den Städten sogar doppelt so schnell wie auf dem vermeintlich tumben Land. In einigen Regionen Brasiliens war schon in den 30 Jahren vor der Jahrtausendwende ein Schrumpfen der durchschnittlichen Gehirngröße zu beobachten. Jetzt scheint dieses Phänomen zum globalen Trend zu werden. Die Zahl der Betroffenen steigt dramatisch.

Dabei ist es tragischerweise der menschliche Geist selbst, der dies zu verantworten hat. Er hat gewissermaßen die Axt an seine eigenen Grundlagen angesetzt. »Das menschliche Gehirn ist in Gefahr aufgrund seines eigenen Verhaltens«, sagt der britische Autor Christopher Williams. Denn es waren große Geistesanstrengungen von Chemikern, Ingenieuren, Betriebswirtschaftlern natürlich, Juristen auch, sogar Medizinern nötig, um eine völlig neue Nahrungskette zu schaffen, getragen und gesteuert von großen Konzernen wie Nestlé, Coca-Cola, McDonald’s, von global operierenden Supermarktketten, etwa Walmart, Carrefour, Aldi, Lidl, von riesigen Agrarkonglomeraten, die im Hintergrund wirken, von Tierzuchtunternehmen, in denen Designerhühner konzipiert werden, nach den Bedürfnissen der Abnehmer gestaltete Geschöpfe, fernab natürlicher Abläufe und bisheriger evolutionärer Entwicklungen.

Woran sie bei der Umgestaltung der Nahrungskette nicht gedacht haben: dass sie damit dem eigenen Denkapparat sozusagen den Saft abdrehen. Williams macht unter anderem die industrialisierte Landwirtschaft für den IQ-Verlust verantwortlich: Die »Grüne Revolution« mit Hochleistungsdünger und chemischen Giften habe zwar die Erträge explodieren lassen, aber auch zu einem relativen Schwund hirnwichtiger Bestandteile im Essen geführt, wie etwa Eisen, Zink oder bestimmten Fetten. Zudem hat sich zwischen Landwirtschaft und Verbraucher ein weiteres System geschoben, dasjenige der industriellen Herstellung und Verteilung von Nahrung: die Foodkonzerne, die Supermarktketten. Detailliert weisen die Wissenschaftler, die sich mit der Energieversorgung des Denkapparats beschäftigen, auf die Problemzonen hin: Es fehlt an hirnwichtigen Nährstoffen, dafür gibt es eine Flut neuer Schadstoffe, Chemikalien, Zusatzstoffe und auch mehr Zucker, mehr Salz und dazu völlig neuartige Problemstoffe, die durch die industrielle Produktion überhaupt erst entstehen.

Das neue, industrielle Ernährungssystem hat somit eine Mangelsituation fürs Denkorgan geschaffen, die seine Aktionsfähigkeit bedroht. Denn die grauen Zellen sind ganz besonders auf Nahrung angewiesen, auf ebenso regelmäßige wie qualitativ hochwertige Versorgung. Das Hirn braucht vor allem Energie – 25 Watt, so viel wie eine kleine Glühbirne. Das ist ein Wunder an energetischer Effizienz. Doch wenn es da an Power fehlt, leidet die Leistungsfähigkeit unmittelbar.

Das Gehirn unterscheide sich von allen anderen Organen dadurch, dass schon »die Zusammensetzung einer einzigen Mahlzeit« seine Funktion »erheblich beeinflussen kann«, so der Hirnforscher Richard Wurtman von der psychiatrischen Forschungsabteilung am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Der Gehirnbetrieb sei hochsensibel, sagt der Brite Crawford: »Wenn der Nachschub abgeklemmt wird, stirbt das Hirn, schon nach fünf Minuten.« Und: »Das Gehirn ist ein hungriges Organ«, schreiben die US-Neurospezialisten Jay Lombard und Carl Germano.

Mehr und mehr Wissenschaftler haben sich auf diese Versorgungsfragen spezialisiert. Für sie ist es »logisch, dass die Nahrungsaufnahme und die Nahrungsqualität einen Einfluss auf die Gehirnfunktion haben«, wie eine internationale Forschergruppe unter der Leitung von Roger Adan vom Universitätsklinikum Utrecht in den Niederlanden 2019 im Journal European Neuropsychopharmacology schreibt. So habe »die Ernährung« erhebliche Auswirkungen »auf die psychische Gesundheit, die Stimmung und die kognitive Leistung«. Denn: »Zusammensetzung, Struktur und Funktion des Gehirns hängen von der Verfügbarkeit geeigneter Nährstoffe ab, darunter Lipide, Aminosäuren, Vitamine und Mineralien.«

Das Gehirn braucht auch Baumaterial. Vor allem in der Kindheit. Der IQ, die Leistungsfähigkeit von Kindern und auch ihre Ausgeglichenheit ließen sich durch Ernährung um 5 Prozent steigern, so eine Faustregel von Forschern. Die angemessene Versorgung des Gehirns ist jedoch eine Lebensaufgabe, ständig muss der Nachschub an Material aufrechterhalten werden, für Renovierungsarbeiten, zur Bestandserhaltung. »Die aufregendste Erkenntnis des 21. Jahrhunderts« sei, sagte Bruce McEwen, Hirnforscher an der Rockefeller University in New York, »dass unser Gehirn in der Lage ist, sich zu verändern, sich zu reparieren und sogar zu wachsen«.

Das kann optimistisch stimmen, weil es bedeutet, dass ich selbst Einfluss habe auf die Funktionsfähigkeit meiner Denkzentrale im Kopf. Doch es geht ja nicht nur um private Angelegenheiten, die eigene Stimmung, die Performance im Beruf, die Karriere, den Bildungserfolg der eigenen Kinder. Es geht natürlich um die Gesellschaft als Ganzes, die Wirtschaftsleistung, denn die beruht ebenfalls auf der Gehirnkapazität ihrer Mitglieder, auch um deren Sozialverhalten, deren Fähigkeit zur Zusammenarbeit, zur Affektkontrolle. Und es ist gut, zu wissen, dass es möglich ist, da einzugreifen, den Trend zu drehen.

Das Hirn ist in Gefahr durch menschliches Handeln, nicht durch eine Naturkatastrophe oder ein tragisches Unglück wie bei Phineas Gage (siehe Kapitel 2). Der arme Mann hatte nach einem Unfall ein riesiges Loch im Kopf, überlebte erstaunlicherweise, aber bekam mangels Gefühlen sein Leben nicht mehr in den Griff und wurde zum Soziopathen, unfähig, am menschlichen Miteinander teilzunehmen.

Wenn heute im Hirn der Menschen plötzlich Lücken klaffen, handelt es sich nicht direkt um ein Loch im Kopf, sondern eher um Leerstellen, zum Beispiel in jener Hirnregion links und rechts in der Nähe der Schläfen, die in den Berichten der Neuroforscher immer wieder vorkommt, wenn sie ihre Testpersonen in den Computertomografen einfahren lassen, sich die Daten anschauen und die Defizite in dieser Zone diagnostizieren, im Hippocampus, der für Verstandesleistungen zuständig ist, aber auch für Gefühle, Affekte, der eine ganz zentrale Funktion hat im Gehirn und somit auch für die Gesellschaft.

Wenn man davon ausgeht, dass Forschungsergebnisse repräsentativ sind, dann müssen auf diesem Globus ziemlich viele Menschen unterwegs sein, in deren Gehirn eine Lücke klafft. Eine solche Leerstelle kann ganz unterschiedliche Auswirkungen haben: auf die geistige Performance, das intellektuelle Leistungsvermögen, aber auch die Psyche, die seelische Gestimmtheit und die künftige Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaften, ihren Umgang miteinander, auf das zivilisatorische Niveau, sogar auf Kriminalität und Gewalt, womöglich Krieg und Frieden. Denn auch Ausbrüche von Aggressivität – oder die Zähmung der Affekte – ist abhängig von Vorgängen im Gehirn, den substanziellen Verhältnissen dort, vom Zusammenspiel von Hormonen und Botenstoffen, den Neurotransmittern, körpereigenen Drogen.

Das alles verändert sich in Abhängigkeit von der Versorgung, und die menschlichen Eingriffe in die Nahrungskette haben zwar zu einer Verstetigung der Versorgung geführt, aber nicht unbedingt zu einer Verbesserung der substanziellen Verhältnisse im menschlichen Zentralorgan für Denken, Fühlen und Verhalten. Immer deutlicher arbeiten die Wissenschaftler die Veränderungen heraus, bis ins Detail, gewissermaßen bis in die molekulare Tiefe dieser Materie, die das neue Ernährungssystem dem Menschen inkorporiert, in seinen eigenen Leib verwandelt und diesen dadurch verändert, vor allem sein Gehirn, jenes Organ also, das diese Veränderungen organisiert und steuert.

Wenn Wissenschaftler jetzt diskutieren über das Anthropozän, dieses neue Erdzeitalter, in dem die menschlichen Eingriffe zum ersten Mal dominieren, und sich die Frage stellen, was denn die Kennzeichen dieser Kulturstufe seien, anhand derer sie von künftigen Archäologen zu identifizieren sein wird, dann fallen ihnen nicht nur die Autowracks ein, die ausgegraben werden oder in Wüsten, Sümpfen, an Ufern von Seen und Meeren aus dem Boden ragen. Sie denken auch an Kronkorken auf Flaschen, an die Abziehlaschen auf Getränkedosen, die Symbole einer Versorgungskultur, die sich von der Natur emanzipiert hat – und damit von der bisherigen Evolution, in der die Naturkräfte vorherrschten und den Aktionsradius des menschlichen Handelns, des menschlichen Geistes beschränkt hatten.

Heute ist das anders. Im Anthropozän ist es der menschliche Geist selbst, der seine Existenz bedroht – durch Angriffe auf seine materielle Basis. Die Veränderungen sind gewaltig und dabei für die Menschen so allgegenwärtig, so alltäglich geworden, dass sie gar nicht mehr wahrgenommen werden. Beim Gang durch den Supermarkt fällt kaum jemandem auf, dass nur in einem kleinen Bereich Waren angeboten werden, die noch relativ nah am evolutionär Adäquaten liegen: Äpfel, Karotten, Kartoffeln, Bananen, Orangen, Papayas, Kiwis. Dagegen der große Rest: Regale voller knallbunter Packungen, die Inhalte monatelang, sogar über Jahre haltbar, vor allem in der Zone für die Jüngsten, die Säuglinge, Babys, Kinder, in der es rein gar nichts mehr gibt, was irgendwo gewachsen wäre. Es gibt Milch in Trockenform, als Pulver, nicht von der Mutter, sondern von einer Kuh. Es gibt Brei aus dem Gläschen, eine halbe Ewigkeit haltbar. Es gibt Säfte, Süßgetränke, Zuckerzeug überall, Schachteln, Kartons, Plastik, Chemie.

»Ultraverarbeitete Nahrung« nennen das die Wissenschaftler, die einen innovativen Ansatz zur Bewertung der Nahrungsqualität vorgelegt haben und dabei zum ersten Mal auch die fundamentalen Transformationen in der Nahrungskette berücksichtigten, die jetzt die Funktionsfähigkeit des Gehirns bedrohen: die NOVA-Forschungsgruppe, angeführt vom brasilianischen Professor Carlos A. Monteiro, dem Pionier des Paradigmenwechsels bei der Analyse und Bewertung der globalen Nahrungsversorgung.

Die Kronkorken und die Abziehlaschen sind ja nur die »Leitfossilien« des Anthropozäns. Die Grabungen werden noch weitere ungewöhnliche Objekte dieses Zeitalters zutage fördern, etwa jene kleinen Gläschen mit metallischen Deckeln, aus denen die kleinen Erdbewohner schon wenige Monate nach der Geburt gefüttert wurden. Sie werden auch Behälter aus Plastik oder Metall ans Tageslicht holen, in denen sich die Nahrung der Erwachsenen befand. Was die Behältnisse enthielten, das können künftige Archäologen vielleicht erschließen, denn wahrscheinlich werden sie wie ihre heutigen Kollegen eine ganz wichtige Quelle nutzen, die sogenannten Koprolithe, versteinerte Exkremente, und sie werden sich wundern, wie sehr sich diese Ausscheidungen unterscheiden von jenen der Erdbewohner in früheren Epochen. Und dann können sie vielleicht abschätzen, wie sich diese Nahrung auf Geist und Gefühl der Erdbewohner auswirkte, die ja im Verdauungstrakt mit geformt werden (siehe Kapitel 4) – sofern ihre grauen Zellen noch zu so viel Scharfsinn imstande sind. Denn die Nahrung im Anthropozän, sie ist es ja, die die Funktionsfähigkeit des Gehirns bedroht und damit das geistige, kulturelle und auch wissenschaftliche Niveau künftiger Generationen.

Aber noch ist Zeit, Zeit zum Umsteuern. Glücklicherweise wachsen stetig die Erkenntnisse über die Auswirkungen der Nahrung auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns und damit auch über den nötigen Handlungsbedarf und die Zielrichtung.

Mehrere neue Forschungsdisziplinen beschäftigen sich mit der Thematik, zum Beispiel die Hirnernährungswissenschaft (Nutritional Neuroscience) mit der Ernährung des Gehirns ganz generell oder die Ernährungspsychiatrie (Nutritional Psychiatry) mit den Folgen der Nahrung für die Psyche, das Verhalten und den Charakter. Zu den weltweit führenden Köpfen der Ernährungspsychiatrie zählt die australische Professorin Felice Jacka. Sie hatte als junge Frau an Depressionen und Angstzuständen gelitten und wollte herausfinden, was die Ernährung damit zu tun hat. Heute ist sie unter anderem Direktorin des Forschungszentrums Food & Mood Centrean der Deakin University im australischen Melbourne, das sich mit dem Zusammenhang zwischen Nahrung und Stimmung beschäftigt. Auch sie hat festgestellt, dass das Hirn in bestimmten Regionen durch Defizite bei der Versorgung schrumpft, und erforscht, wie sich das auf seine Funktionsfähigkeit auswirkt, auch auf der Gefühlsebene (siehe Kapitel 2).

Ein weiterer neuer Forschungszweig klärt im Detail, wie die neuartige Nahrung dort wirkt, wo sie verarbeitet wird, wo übrigens auch viele der Neurotransmitter und andere Botenstoffe gebildet werden, die bei Denken und Fühlen zum Einsatz kommen, im Verdauungstrakt, im Darm, der wegen seiner vielfältigen Beiträge zur Geistestätigkeit das »zweite Gehirn« genannt wird.

Der Bauch gilt, völlig zu Recht, als Heimstatt der Gefühle, er ist aber auch die Zone mit den meisten Hirnzellen außerhalb der Zentrale im Schädel. Und im Bauch bahnen sich all diese Veränderungen der Geisteskapazitäten an, die die neue Nahrungskette mit sich bringt. Die Darmhirnforscher bilden also eine bedeutende und zukunftsträchtige Disziplin, ihr Fach machte schnell Karriere, es gibt Kongresse für die wachsende Zahl dieser Forscher und natürlich eine eigene Fachzeitschrift (Neurogastroenterology and Motility), Internetforen (www.neurogastro.de) und Fachgesellschaften in aller Welt.

Es geht also um eine neue Begründung der Geistestätigkeit, um ihre materiellen Grundlagen, ihre stoffliche Basis, um gänzlich ungeistige Dinge wie Karotten und Kartoffeln, wie Milch, Butter, Sahne, Schnitzel und Steak, Avocado und Papaya. Und um die geistigen Fernwirkungen der Transformation der Nahrungskette, des Wechsels zum industriellen Ernährungssystem, es geht um die Frage, was die grauen Zellen mit Cola light anzufangen wissen,mit Babybrei aus dem Glas, Kartoffelpüree aus der Tüte, mit den Pommes von McDonald’s, der Dr.-Oetker-Pizza, mit Smarties, Gummibärchen oder Pringles-Chips. In seinem im Frühjahr 2021 erschienenen Bestseller »Hooked« (dt.: Süchtig) beschreibt der US-Autor Michael Moss, wie die »ultra-verarbeiteten« Industrienahrungsmittel das Gehirn manipulieren und sogar zu Abhängigkeit führen können.

Die Figurprobleme, die viele Menschen plagen, die weltweite »Pandemie« des Übergewichts mit ihren Folgen für die Gesundheit und die Sozialsysteme der Gesellschaften – sie sind eine Folge auch solcher Fehlsteuerungen im Gehirn durch die veränderte Nahrungskette. Denn gemeinhin ist das in der Natur gut geregelt, es gibt keine adipösen Löwen, denen die Puste ausgeht, wenn sie der Antilope hinterherjagen, es gibt keine Adler, die wegen ihrer Wampe nicht abheben können. Wenn die Menschen zu dick werden, dann kann das auch daran liegen, dass ihr Gehirn schrumpft, im Bereich des Hippocampus zum Beispiel, der nicht nur fürs Denkvermögen zuständig ist, fürs Gedächtnis, für Lernvorgänge, fürs Fühlen, die Stimmungsregulation und die seelische Balance, sondern eben auch für die Figur, für die Gewichtskontrolle und damit für den Bauchumfang.

Auf die zentrale »Rolle des Hippocampus bei der Appetitkontrolle« wies im Jahr 2020 eine internationale Forschergruppe um Professor Richard J. Stevenson vom Department of Psychology an der Macquarie University im australischen Sydney und Kollegen aus den USA und Großbritannien hin. Ursache, so ihr Fazit, sei die Western Diet, die »westliche Diät« beziehungsweise »westliche Ernährungsweise« – die Fachbezeichnung für die vorherrschende Form der Versorgung mit viel Fast Food und Fertiggerichten, viel Zucker, vielen Softdrinks, viel Fleisch, wenig Obst und Gemüse. Sie könne zu dramatisch veränderten Verhältnissen bei hirnwichtigen Substanzen führen, die beispielsweise das Gewicht regeln, die Appetitkontrolle beim Menschen beeinträchtigen und somit ebenfalls Überernährung fördern. So setzen Foodkonzerne zum Beispiel den wichtigsten Neurotransmitter als Geschmacksverstärker ein: Glutamat. Es ist einer der umstrittensten Nahrungszusätze, von manchen Wissenschaftlern und auch Medien stets verteidigt, doch jetzt äußern sich sogar schon die europäischen Lebensmittelwächter beunruhigt (siehe Kapitel 6).

Die Menschen, die »westliche« Kost zu sich nehmen, werden nicht nur dümmer und dicker, sondern auch unglücklicher. Denn die Emotionen und die Nahrungsversorgung sind im Gehirn eng verknüpft. Es ist ein Teufelskreis: Je mehr der Bauch wächst, desto stärker schrumpft das Hirn, wie Messungen von Forschern zeigen – und so kann das Übergewicht die neurologischen Fehlfunktionen noch verstärken. Tatsächlich ist bei vielen der heute prominenten Leiden das Gehirn geschrumpft.

Das ist bei Alzheimer so.

Das ist bei Depressionen so.

Das ist bei hyperaktiven Kindern so.

Kein Wunder, dass sich die einschlägigen Störmeldungen häufen.

Weltweit erkrankt alle 3,2 Sekunden ein Mensch an Demenz. Die Zahl der Patienten wird sich bis 2050 verdreifachen, warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2019. In Deutschland soll es bis dahin 2,8 Millionen Betroffene geben, schätzt die deutsche Bundesregierung, 100000 bis 200000 neue Fälle kommen hier jedes Jahr hinzu. Oft könnte es sich auch um eine Depression handeln, vor allem bei Jüngeren ist die Abgrenzung oft nicht einfach. Die Schwermut breitet sich ebenfalls dramatisch aus, ebenso Angststörungen, warnt die WHO. 500 Millionen Menschen weltweit sollen daran leiden.

Die Welt wird immer unglücklicher. In Europa soll nach einem Bericht der EU und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jeder Sechste von mentalen Problemen, inklusive Suchterkrankungen, betroffen sein – 16 Prozent der Bevölkerung also, mithin 83 Millionen Menschen in der Europäischen Union, was zufälligerweise ziemlich genau der deutschen Gesamtbevölkerung entspricht. »Neurologische Erkrankungen zählen zu den wesentlichen Gesundheitsproblemen des 21. Jahrhunderts«, sagt der belgische Neurologe Gustave Moonen, emeritierter Professor an der Universität Lüttich. Nach US-Statistiken wird nahezu jeder zweite Amerikaner (46,4 Prozent) irgendwann einmal in seinem Leben von einer psychischen Befindlichkeitsstörung heimgesucht. Und auch in Deutschland melden die Krankenkassen jedes Jahr neue Rekordzahlen. Jeder Vierte in Deutschland ist psychisch krank, erkrankt wenigstens zeitweilig, 27,8 Prozent sind es in jedem Jahr. »Zahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen so hoch wie nie«, berichtete 2020 der Berliner Tagesspiegel: »Im Schnitt fehlen Arbeitnehmer fast drei Tage im Jahr wegen psychischer Leiden.« »Fehltage wegen psychischer Erkrankungen auf Höchststand«, verkündete das Deutsche Ärzteblatt Anfang 2021. Und daran war nicht nur der Corona-Blues schuld - der bildete nur den trüben Höhepunkt eines langjährigen Trends.

Eine kranke Seele hat natürlich auch Folgen für die körperliche Gesundheit, sie schlägt aufs Herz, schadet dem ganzen Organismus; weltweit seien psychische Erkrankungen sogar die häufigste Ursache für Behinderungen, so die Weltgesundheitsorganisation WHO. Und so wird es auch teuer: Auf mehr als 600 Milliarden Euro, über 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Europäischen Union (EU), schätzt die OECD die Kosten für schlechte psychische Gesundheit.

Bei den nachwachsenden Generationen wird es nicht besser, eher im Gegenteil. Denn auch bei Kindern und Jugendlichen nehmen die mentalen Probleme offenbar zu. Noch sind die Betroffenen eine Minderheit, doch eine rapide wachsende, und immer mehr Ärzte zeigen sich besorgt, dass psychische Erkrankungen fast schon so normal sind wie Schnupfen, Husten, Heiserkeit, Magen-Darm-Geschichten oder Hautabschürfungen. Psychoprobleme stehen bei den Diagnosen bereits an fünfter Stelle. »Sehr beunruhigend« findet das Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Besonders hohe Wachstumsraten haben Lernprobleme und Konzentrationsstörungen, alles, was unter die Trenddiagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) fällt. Sogar in der vermeintlich ordentlichen Schweiz werden die Schüler immer verhaltensauffälliger und aufsässiger. So haben allein in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich die ambulanten Notfallkonsultationen zwischen 2010 und 2020 um 500 Prozent zugenommen.

Psychische Probleme haben auch Konsequenzen für die geistige Leistungsfähigkeit, für die schulische und die spätere Karriere. Einschlägige Defizite treffen auch die Gesellschaft als Ganzes, weil es die Manpower, das Potenzial der Arbeitskräfte insgesamt, schwächt. Hinzu kommen Verhaltensprobleme, nächtliche Randale in der Stadt, kriminelle Auswüchse. Natürlich gibt es immer auch andere Ursachen für schwindende Intelligenz, zunehmende Psychoprobleme, Depressionen, Aggressionen, Gewalt und Kriminalität, nämlich die üblichen Verdächtigen der Soziologen und Psychologen: die abnehmende Bindekraft zivilisierender Instanzen wie Familie, religiöse Gemeinschaften, Vereine, Gewerkschaften, der grassierende Individualismus, der Liberalismus, der Medienkonsum, das Handy, die sozialen Netzwerke. Oder gar eine negative Auslese, weil unglücklicherweise die Falschen die meisten Kinder kriegen: »Wenn Menschen mit niedrigerer Bildung mehr Kinder bekommen, kann sich das negativ auswirken«, sagt der Psychologe und Intelligenzforscher Heiner Rindermann von der TU Chemnitz. Auch Migration kann eine Rolle spielen: So kann der durchschnittliche IQ steigen, wenn kluge Menschen einwandern, oder sinken, wenn eher bildungsferne Kreise kommen.

Bei alledem genießt die Ernährung wachsende Aufmerksamkeit. Sogar die WHO betrachtet sie als Risikofaktor, als Ursache für die zunehmende Aggressivität und Kriminalität unter Kindern und Jugendlichen und empfiehlt daher in einem Welt-Report über Gewalt und Gesundheit, Gifte und Schadstoffe im Essen zu eliminieren, um so »das Risiko für Hirnschäden bei Kindern zu verringern«, die »indirekt zu Jugendgewalt führen können«.

Auch bei der Alzheimerkrankheit, jener gefürchteten Form der Hirnzerstörung, die viele für eine unvermeidliche Begleiterscheinung des Alters halten, spielt die Ernährung eine bislang unterschätzte Rolle: Infolge der westlichen Diät verändern sich die Verhältnisse im Kopf, es fehlen Schutzstoffe; Schadstoffe vermehren sich, neue Substanzen kommen ins Spiel, und irgendwann bilden sich hässliche Klumpen im Gehirn und stellen sich dem Denken in den Weg.

1Katastrophe im Kopf

Alzheimer & Co.: Die Zerstörung des Gehirns durch falsche Nahrung

Sie sehen schrecklich aus, wie wuchernde Misteln in einem kahlen Baum, diese Terrornester im Gehirn, die einem den Verstand rauben. Bis zu einer Milliarde pro Kopf sollen es sein, sagen Alzheimerforscher, und zeigen diese furchterregenden Aufnahmen von den materialisierten Störfaktoren.

Alzheimer: Das ist wohl die extremste Form der Demenz. Und zugleich jene, die am meisten Angst macht. Morbus Alzheimer, die Krankheit, die zur Geißel des neuen Jahrtausends zu werden droht, zu einer Seuche des Vergessens, bei der das Gehirn langsam, aber stetig zerfressen wird, bei der die Hirnzellen verklumpen, immer mehr Regionen befallen werden, bis nicht nur die Erinnerung verlöscht, sondern die ganze Persönlichkeit. Für die Betroffenen soll die Krankheit ja gar nicht so schlimm sein, vielleicht sogar eine Form der Befreiung, von der Pflicht des Wissenmüssens – und auch von der Pflicht des Kennenmüssens. Sie haben ihre Ruhe. Doch das hilft jenen wenig, die gern noch geistig rege und sozial aktiv sind und sich davor fürchten, sich selbst und ihren Geist aufgeben zu müssen. Die sich gruseln angesichts der Vorstellung, dass das eigene Hirn von diesen Störzellen besiedelt wird.

Zwar wurden die Zentren der Zerstörung lokalisiert, doch was fehlt, ist ein Mittel, die Verwüstungen aufzuhalten, sie gar rückgängig zu machen. Manche Pharmafirmen haben die Suche nach einem Medikament bereits aufgegeben, nach vielen Rückschlägen. Gleichwohl gibt es Hoffnung. Die Alzheimerkrankheit mag eine der »bedrückendsten Konsequenzen des Alterns« sein, ist aber keineswegs so »zwangsläufig«, wie es die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) behauptet, hinter der laut Eigenwerbung angeblich ein »kluger Kopf« steckt.

Das ist sozusagen die offizielle Version, die herrschende Meinung: Die Krankheit kommt mit dem Alter, schicksalhaft, unausweichlich, als Preis gewissermaßen für die zusätzlichen Jahre. Wer die genießen will, muss das Vergessen in Kauf nehmen. Doch von den Fakten ist das nicht gedeckt. Die Krankheit trifft ja nicht alle. Sie ist keineswegs ein unumgänglicher Preis des Alterns, denn eigentlich ist das Gehirn sogar bestens geschützt, von Natur aus. Es ist ja nicht so, dass mit jedem Tag des Lebens automatisch hässliche Terrornester im Kopf wachsen. Sie müssen aktiv aufgebaut werden. Da muss Material zusammengetragen werden, eingeschleppt, vorbei an Kontrollen und Barrieren, da muss es gravierende Versäumnisse schon bei der Wache am Eingang gegeben haben, schließlich hat es in so einem sensiblen Bereich wie dem Gehirn, in dem eigentlich kein Staubkorn Einlass finden kann, keine Transporte in solchen Dimensionen zu geben.

Es muss also einiges schieflaufen, bis die Verwüstung ein zerstörerisches Ausmaß annimmt. Und es läuft auch einiges schief – bei der Versorgung. So schlug eine internationale Forschergruppe, auch mit deutscher Beteiligung, in einer 2021 erschienen Studie vor, die Rolle der Ernährung bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer in einer eigenen Forschungsdisziplin zu untersuchen (»Nutritional Cognitive Neuroscience«). Schließlich zeige eine »robuste Beweislage« die Rolle von Nahrung beim Hirnschwund und »kognitiver Gebrechlichkeit«. Morbus Alzheimer ist auch ein Ergebnis der veränderten Nahrungskette im Anthropozän, mit neuen Elementen, die imstande sind, wie trojanische Pferde die Gehirnbarrieren zu durchbrechen und Schadstoffe einzuschleusen, und die gleichzeitig deren Entsorgung lahmlegen, sodass die gefährlichen Elemente ihr zerstörerisches Werk verrichten können.

Die Alzheimerkrankheit trifft deshalb nicht alle gleichermaßen. Viele werden verschont. Und zwar ausgerechnet dort, wo die allgemeinen Lebensbedingungen und die medizinische Versorgung nicht gerade die allerbesten sind. Das jedenfalls hat Professor Hugh Hendrie von der Indiana University in seiner mittlerweile klassischen Vergleichsstudie mit Versuchspersonen aus Afrika und Amerika festgestellt. Die Probanden – Afrikaner aus Ibadan, einer Stadt im Süden Nigerias, und Afroamerikaner aus Indianapolis im Bundesstaat Indiana – lagen genetisch nahe beieinander, hätten also ein ähnlich hohes Risiko aufweisen müssen. 4500 Menschen, alle über 65 Jahre alt, hatten an der Studie teilgenommen, die das Journal of the American Medical Association veröffentlichte.

Das erstaunliche Ergebnis war: Ausgerechnet die Nigerianer, die meisten arme Händler, die sich auf den örtlichen Märkten ein unsicheres Einkommen erwarben, hatten deutlich seltener Symptome von Alzheimer. Wobei doch, nach herrschender Meinung, Armut und geringe Bildung das Risiko eigentlich erhöhen sollten. Aber die Daten ließen keinen Zweifel. Die Afrikaner hatten nur halb so viele Alzheimerfälle wie die Amerikaner. Bei den Studienteilnehmern aus Ibadan waren es 1,15 Prozent, bei denen aus Indianapolis 2,5 Prozent. Professor Hendrie glaubt, dass der Grund für die auffällige Alzheimerhäufung bei den Amerikanern in ihrem Lebensstil und dabei vor allem in ihrer Ernährung zu finden sei, denn in der Hauptstadt des US-Bundesstaates Indiana pflegte man natürlich die »westliche Diät«. Er vermutete, dass ernährungsbedingte Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Arterienverkalkung und kleinere Schlaganfälle auch Auswirkungen auf das Gehirn haben und so bei Alzheimer eine unheilvolle Rolle spielen, denn die afrikanische Gruppe hatte deutlich niedrigere Blutdruckwerte und einen um 60 Punkte niedrigeren Cholesterinspiegel als die amerikanische. Maßgeblich ist also nicht das Alter, sondern sind die Verhältnisse, in denen jemand lebt. Der entscheidende Punkt ist, ob das herrschende Ernährungssystem die Versorgung des Gehirns begünstigt und die grauen Zellen schützt – oder sie schädigt.

Das zeigte sich auch bei weiteren Studien in der Karibik, in Lateinamerika, in ländlichen Gebieten Chinas und anderen Weltgegenden. Ähnlich ist es in den sogenannten Blauen Zonen dieser Welt, jenen Landstrichen, in denen die Menschen besonders alt und selbst unter den Hundertjährigen auffallend wenige senil oder gar dement werden. Zu diesen Blauen Zonen, in denen die Menschen bis ins hohe Alter aktiv sind, in einem stabilen sozialen Umfeld leben und sich auf traditionelle Weise ernähren, zählen beispielsweise einige malerisch gelegene Dörfer auf Sardinien, auch die griechische Insel Ikaria sowie das japanische Okinawa, wo Männer ein fünffach geringeres Alzheimerrisiko haben sollen als Gleichaltrige in den USA; bei Frauen fällt der Unterschied nicht ganz so deutlich aus.

Nicht alle Alten also fallen dem Vergessen anheim, und in manchen Weltgegenden trifft es mehr, in anderen weniger. Es muss also, abgesehen vom Altern, etwas geschehen mit dem Körper, damit jene ominösen Veränderungen im Gehirn stattfinden können, die als Auslöser von Alzheimer gelten und die schon auf Fotos sehr gefährlich aussehen: braune Flecken, hässliche Nester, steinartige Klumpen. »Die steinernen Platten des riesigen Friedhofs im Kopf«, wie der Autor Michael Jürgs sie nannte. »Plaques« und »Fibrillenbündel« nennen Fachleute diese verhängnisvollen Erscheinungen, oder genauer: Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen.

Wie Sprengstoff wirken sie, sagte der Heidelberger Professor Konrad Beyreuther, ein Pionier der weltweiten Alzheimerforschung: »So eine Plaque ist eine Bombe. Das ist wie ein Terrorcamp, aus dem permanent Selbstmordattentäter entlassen werden, mit Bomben, die die Logistik der Nervenzelle zerstören.« Und diese Terrorcamps im Gehirn nehmen immer mehr Platz ein: »Die sind zehnmal so groß wie eine Nervenzelle. Und wir haben bis zu einer Milliarde Ablagerungen bei Alzheimerpatienten.« Eine Milliarde Terrorcamps. In einem kleinen Menschenhirn. Da bleibt natürlich nicht viel Raum für funktionierende Hirnzellen, für geordnete Gedanken, für Speicherplatz für Erinnerungen und das Erinnern, zum Beispiel an die Namen der Liebsten.

Wie diese Störelemente aussehen und was sie anrichten können, beschrieb als Erster ein Mann namens Alois Alzheimer (1864–1915). Der Nervenarzt sollte die merkwürdigen Verhaltensweisen jener Patientin abklären, die ihm eines Tages vorgestellt wurde.

Ein Bild, das sich bei Alzheimers Aufzeichnungen befand, zeigt eine Frau mit vollen Lippen, strähnigem Haar und tief eingegrabenen Falten auf der Stirn. Auguste Deter war Ende des Jahres 1901 in die Irrenanstalt am Affensteiner Feld in Frankfurt am Main eingeliefert worden. Die arme Auguste hatte plötzlich ihren Mann, einen Kanzleischreiber bei der Eisenbahn, nicht mehr erkannt und angefangen, nur noch wirres Zeug zu reden. »Sie fand sich in ihrer Wohnung nicht mehr zurecht, schleppte die Gegenstände hin und her, versteckte sie, zuweilen glaubte sie, man wolle sie umbringen, und begann laut zu schreien«, notierte Dr. Alzheimer. Die Diagnose lautete: Demenz. Das Wort stammt aus dem Lateinischen (dementia) und bedeutet sinngemäß »ohne Geist«. Am 26. November 1901 besuchte Alzheimer seine Patientin (»Sitzt im Bett mit ratlosem Gesichtsausdruck«) und protokollierte folgenden Dialog:

»Wie heißen Sie?«

»Auguste.«

»Familienname?«

»Auguste.«

»Wie heißt denn Ihr Mann?«

»Ich glaube, Auguste.«

Alzheimer wunderte sich ein ums andere Mal: »Beim Mittagessen isst sie Weißkohl und Schweinefleisch. Befragt, was sie esse, sagt sie Spinat. Während sie das Fleisch kaut, sagt sie auf Befragen, was sie esse, rohe Kartoffeln mit Meerrettich.«

Schließlich starb Auguste Deter.

Alzheimer zerlegte ihr Gehirn und untersuchte es genau. Dabei fertigte er Zeichnungen an, über die seine Fachkollegen bis heute staunen. Seine künstlerische Begabung hatte der junge Alois Alzheimer schon bei seiner Doktorarbeit unter Beweis gestellt, seinerzeit in Würzburg. Er hatte über Ohrenschmalzdrüsen geschrieben, auch diese eigenhändig zerlegt und sorgfältig gezeichnet. Dank Alzheimers künstlerischen Fähigkeiten wissen die Forscher seither, wie jene charakteristischen Veränderungen im Gehirn der Betroffenen aussehen.

Doch auch mehr als 100 Jahre nach Alois Alzheimers Beobachtungen ist immer noch nicht klar, was eigentlich die Krankheit verursacht. Identifiziert sind, immerhin, diverse Risikofaktoren. Ein hohes Alter zählt dazu, auch die Körpergröße: Wer klein von Gestalt ist und von geringem Gewicht, muss eher den Hirnschwund fürchten. Und Alzheimer hat offenbar kurze Beine: Wenn die Extremitäten, also Beine und Arme, nicht besonders lang geraten sind, geht das mit erhöhtem Risiko einher. Ein niedriger Intelligenzquotient soll ebenfalls die Wahrscheinlichkeit erhöhen, in diese Art der Demenz abzugleiten. Sogar die Kindheit wirkt sich aus: Das Risiko hängt auch mit frühen Infektionen zusammen, mit dem Bildungsniveau der Eltern, der Zahl der Geschwister. Selbst die Hutgröße kann ein Indiz für drohenden geistigen Abbau sein, zumindest bei jenen Gefährdeten, die ein spezielles Alzheimer-Gen haben: Bei ihnen steigt das Risiko um das 18-Fache, wenn sie einen Kopfumfang von weniger als 54 Zentimeter haben, so die US-Forscherin Amy Borenstein-Graves von der University of South Florida in Tampa.

Zu den Risikofaktoren gehören ferner Bluthochdruck, Medikamente, starkes Übergewicht im mittleren Lebensalter, Diabetes, Depressionen, mangelnde körperliche Bewegung. Und natürlich: Rauchen. Wobei hier, wie so oft, die Meinungen auseinandergehen und manche Forscher auch eine schützende Wirkung von Nikotin festgestellt haben wollen, in Studien allerdings, die von der Tabakindustrie gefördert wurden. Eine US-Untersuchung von 2019 kam zu dem Schluss, dass Rauchen keinen besonderen Einfluss hat, weder positiv noch negativ, wenn man alle anderen Risikofaktoren gleichermaßen berücksichtigt.

Die Gene spielen übrigens interessanterweise nur eine Nebenrolle. Nur ein Prozent der Betroffenen soll die Krankheit aufgrund familiärer Prädispositionen bekommen. Und selbst jene, die ein Alzheimer-Gen in sich tragen, etwa das in Fachkreisen prominente ApoE-e4-Gen (Apolipoprotein E), bekommen die Krankheit nicht zwangsläufig: Auch bei ihnen spielt der »Lebensstil« eine Rolle, wie das Deutsche Ärzteblatt berichtete, und durch ihn könnte sich das genetisch erhöhte Risiko sogar abschwächen lassen. Mit Lebensstil ist natürlich nicht gemeint, ob jemand lieber mountainbiken geht oder kegeln, im Wohnzimmer eine Schrankwand hat oder Vorhänge an den Fenstern, ob er lieber kurze oder lange Hosen trägt, Jeans oder Abendkleid. All das hat wenig Einfluss auf die Terrorcamps im Kopf. Es geht eher um andere Formen von Geschmack: in erster Linie beim Essen und Trinken.

»Die Ernährung«, hatte schon der Alzheimerpionier Beyreuther vermutet, »ist wahrscheinlich die ganz entscheidende Komponente bei Alzheimer.« Mittlerweile sind sie sich da weitgehend einig in der weltweiten Forschergemeinde. »Es gibt überzeugende Beweise, dass Ernährung den Verlauf der Alzheimer-Erkrankung beeinflussen kann«, das war sogar das Fazit eines Beitrags bei einem Symposion des Nestlé-Konzerns über Ernährung und Gehirn. Die Nahrungszufuhr hat direkte und sekundenschnelle Auswirkungen auf die Versorgungslage und die Funktionsfähigkeit des Gehirns. Und natürlich auch auf den Zufluss toxischer Elemente, die den Aufbau von Terrorcamps begünstigen und den Gedankenfluss torpedieren können.

Insofern spielt natürlich das Ernährungssystem in einem Land eine zentrale Rolle, denn das Angebot begrenzt und beeinflusst die persönliche Wahl. Es kommt schon darauf an, wie nah die nächste Cola ist, im nächsten Automaten oder Backshop, und wie weit der Weg zu einem Bioapfel. Und da hat sich in der Tat einiges verändert: Die Transformation der Versorgungskette hatte im vorletzten Jahrhundert begonnen, mit den Innovationen von Leuten wie Henri Nestlé, Julius Maggi, Carl Heinrich Theodor Knorr und nicht zu vergessen John Stith Pemberton, dem Apotheker aus Atlanta und Erfinder von Coca-Cola. Aus damals noch relativ naturnah erzeugten Rohstoffen entwickelten sie ihre Produkte und nahmen sozusagen eine Abzweigung vom Weg der Evolution, schlugen eine neue Richtung ein, die mittlerweile zu Produkten geführt hat, die kaum noch etwas mit Natur, mit echten Pflanzen und Tieren zu tun haben. Lange war das neue, das industrielle Ernährungssystem mit Coca-Cola, Tiefkühlpizzen, Tütensuppen, 5-Minuten-Terrinen gewissermaßen eine Parallelwelt, die sich neben die Welt der echten Lebensmittel – Obst, Gemüse, Kartoffeln, Reis, Fleisch, Geflügel, Fisch – geschoben hat. Mittlerweile jedoch dominiert sie weithin das Bild, ist sozusagen zur neuen Normalität geworden.