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Ein Geheimnis, das seine Wurzeln im Alten Ägypten der Pharaonenzeit hat und die Ermittlungen in einem äußerst mysteriösen Kriminalfall führen zu der Begegnung von zwei Liebenden. Ann Murdoch hat diesen gleichermaßen nervenzerfetzend spannenden wie gefühlvollen Roman in Szene gesetzt.
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Seitenzahl: 120
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Dunkle Gebete
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© 2012 M.Schwekendiek
© 2012 der Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress
www.AlfredBekker.de
1. digitale Auflage 2014 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956173394
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Cover
Titel
Impressum
Dunkle Gebete
Es ärgerte Allison Clinton immer noch. Nur um Haaresbreite war ihr der Traumjob ihres Lebens entgangen.
Und schuld daran war nur dieser eingebildete Fatzke, dieser arrogante Angeber – dieser egoistische Blender Harvey Fletcher.
Die hübsche junge Frau mit den schulterlangen dunklen Haaren, die ein schmales Gesicht mit ausdrucksvollen Augen umrahmten, schlug jetzt enttäuscht den Ausstellungskatalog zu.
Allison war Historikerin mit dem Schwerpunkt auf Ägyptologie. Und sie war gut in diesem Fach, besser als ihr Rivale Harvey Fletcher, der das gleiche Fachgebiet belegte.
Aber vor dem Bewilligungsausschuss hatte der Mann sich eindeutig besser verkauft. Er hatte dem Ausschuss geschmeichelt, während Allison sich auf die Fakten beschränkte. Und so war es gekommen, dass Fletcher jetzt der Ausstellungsleiter war und eine Menge Ruhm und Ehre einheimsen konnte. So eine Chance würde sich so schnell nicht wieder bieten, das wusste Allison, und das ärgerte sie zusätzlich. Und als sie jetzt noch einmal den Katalog studierte, fiel ihr auf, was sie alles anders und wahrscheinlich auch besser gemacht hätte.
Aber es hatte keinen Sinn, der verpassten Chance nachzutrauern, das Leben ging weiter, und Allison tat gut daran, diese Niederlage möglichst schnell wegzustecken und sich auf ihre täglichen Aufgaben zu konzentrieren. Sie musste eben ihre Arbeit an einem großen Londoner Museum als Expertin für ägyptische Geschichte weiterhin wahrnehmen und auf die nächste Gelegenheit warten, bei der sie dann zeigen konnte, dass sie es besser machen würde..
Aufseufzend legte Allison den Katalog endgültig beiseite und nahm sich vor, trotz des Ärgers die Ausstellung sehr genau anzusehen.
*
David Essex starrte mit gierigem Blick auf die kleine Statuette, die vor ihm auf dem Schreibtisch stand. So lange schon hatte er gewünscht, dass eines dieser wertvollen und eigentlich unerreichbaren Teile in seinen Besitz kam.
Die Statuette zeigte in wundervoller Handarbeit eine Abbildung des ägyptischen Gottes Anubis, mit dem Kopf eines Schakals und dem Körper eines Menschen. Und der Mann, der hier vor ihm stand, garantierte für die Echtheit.
Wenn Essex diesem Mann nicht glauben konnte, dann vermutlich niemandem mehr.
Der Preis für dieses Kleinod war allerdings enorm, was jedoch nicht verwunderte, wenn man bedachte, dass die Statuette ein Teil der unersetzlichen Ausstellung war, die als Leihgabe von Kairo nach London gebracht worden war. Wie und warum die Statuette verkauft werden konnte, interessierte ihn nicht, nach dem Kauf würde ohnehin niemand außer ihm selbst jemals wieder ein Auge darauf werfen.
Essex war ein sehr reicher Industrieller, und seine Leidenschaft waren kostbare Kunstwerke, wobei es für ihn keine Rolle spielte, ob er sie auf legalem Wege erlangte, oder über dubiose Hintertüren.
„Sie kennen jetzt den Preis, Mr. Essex. Sie erhalten die Statue bei Geldübergabe. Kleine Scheine, bitte. Wir treffen uns auf der Rennbahn, Sonntag elf Uhr.“ Die dunklen Augen des Sprechers richteten sich voller Verachtung auf den Geschäftsmann, der in seiner Gier zu allem bereit war und zustimmend nickte.
Zwei schlanke Hände packten Anubis wieder ein, die Statuette wurde sorgfältig in eine Aktentasche gelegt, dann ging der Mann davon.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, griff David Essex nach dem Telefon und führte ein Gespräch mit seiner Bank. Es galt, eine größere Summe Bargeld flüssig zu machen, ohne dass die Steuer Verdacht schöpfte.
*
Faruk ben Sallah stammte aus Kairo, er war in einem Vorort als Sohn einer armen Familie aufgewachsen und hatte das unglaubliche Glück gehabt, durch seine gute Auffassungsgabe und seine unbestreitbare Intelligenz ein Stipendium zu erhalten und studieren zu können. Er galt in seinem Land als Experte für die eigene Geschichte und begleitete jetzt die Ausstellung, die vom Nationalmuseum veranstaltet wurde, nach London. Zusammen mit Harvey Fletcher war er jetzt verantwortlich für die unersetzlichen Artefakte.
Noch zwei Tage waren es bis zur Eröffnung, und längst waren noch nicht alle Kisten und Kartons ausgepackt. Doch das Prunkstück, der Nachbau einer Grabkammer mit verschiedenen Zugängen und den alten nachgebildeten Fallen, war bereits fertig. Der Nachbau würde dem Besucher deutlich vor Augen führen, wie raffiniert und klug die alten Ägypter Hab und Gut der mumifizierten Pharaonen geschützt hatten.
Faruk war nicht ganz glücklich über die Zusammenarbeit mit Fletcher. Der Mann war fast besessen davon, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Für ihn war jedes einzelne Stück ein unschätzbarer Teil der Geschichte, das er am liebsten vor unerwünschten Blicken schützen würde.
Faruk wunderte sich darüber, dass ein Mann mit dieser etwas engstirnigen Einstellung die Verantwortung übertragen bekommen hatte. Ihm wäre die reizende Allison Clinton lieber gewesen, die er schon kurz in Kairo hatte kennenlernen dürfen. Die junge Frau war auf ihrem Gebiet äußerst beschlagen, und sie legte vor allen Dingen Wert darauf, dass möglichst viele Menschen in den Genuss kamen, an der Geschichte des alten Volkes teil zu haben.
Nun gut, es war nicht ben Sallahs Aufgabe, sich darüber Gedanken zu machen, für ihn war es das Wichtigste, in Zusammenarbeit mit Fletcher die Ausstellung bestens zu präsentieren.
In gläsernen Vitrinen befanden sich Papyrusrollen und Statuen. Ein Elektriker bemühte sich darum, die Alarmanlage anzuschließen. Jedes einzelne Teil wurde gesichert, und nur im Nachbau der Grabkammer hatten Besucher die Möglichkeit, überhaupt etwas zu berühren.
„Wo sind die Schilder für den Rundgang?“ Harvey Fletcher tauchte aus seinem Büro auf und schaute sich aufmerksam um. Er war schlank, hochgewachsen, besaß dunkles Haar, das weit über den Kragen seines Hemdes reichte, und tiefdunkelblaue Augen. Er war Mitte dreißig und hatte durch seinen Ehrgeiz schon eine Menge erreicht. Er konnte ausgesprochen charmant sein, wenn er wollte, allerdings galt er bei ebenso vielen Leuten als arrogant und rücksichtslos.
Einer der Helfer kam heran. „Der Rundgang beginnt da vorne, die Schilder stellen wir erst auf, wenn auch die letzten großen Statuen stehen.“
„Vergessen Sie es nicht“, mahnte Fletcher von oben herab.
„Es wird schon alles rechtzeitig fertig werden“, sagte Faruk freundlich.
„Ich will vor der Eröffnung sehen, dass alles in Ordnung ist. Wo sind die Statuen des Seth?“ Fletcher meinte damit den Gott des Krieges und des Bösen, eine grausame Gottheit, die Faruk nicht sehr sympathisch war. Doch Harvey schien einen Narren daran gefressen zu haben. Er konnte lange Zeit davorstehen und schien stumme Zwiesprache mit dem Gott zu halten.
In Fletcher hatte sich so langsam Nervosität breit gemacht, und er gab sich gar keine Mühe, das zu verbergen. Doch als er sich jetzt wieder einmal den Statuen des Seth zuwandte, wurde er ruhiger.
Faruk schüttelte kurz den Kopf. Nein, ihm wäre ganz bestimmt Allison lieber gewesen, sie machte einen eher ruhigen Eindruck, und außerdem war die junge Frau ausgesprochen hübsch und dazu auch noch umgänglich. Ben Sallah hoffte, dass sie die Ausstellung besuchen würde, vielleicht ergab sich ja sogar die Möglichkeit sie zum Essen einzuladen.
*
Der Sonntagmorgen auf der Rennbahn war ein hektischer Tag. Sechs große Rennen standen für diesen Tag an, die Tribünen waren gut gefüllt, an den Wettschaltern herrschte Hochbetrieb, und bei den Ställen, wie auch am Abreitplatz wimmelten Menschen und Pferde durcheinander, ohne dass eine Ordnung erkennbar gewesen wäre.
David Essex trug die relativ hohe Geldsumme in seiner Tasche direkt am Körper. Um kein Aufsehen mit einer Aktentasche zu erregen, hatte er sich zu dieser Maßnahme entschlossen.
Kurz vor elf. Der Mann eilte hinunter in Richtung der Wettschalter, die sich gar nicht weit von der Zufahrt zu den Ställen befanden. Hier wollte er sich mit dem Verkäufer treffen, der ihm die heißersehnte Statue bringen würde. Essex wartete ungeduldig und schaute sich immer wieder um, sah das bekannte Gesicht jedoch nirgendwo auftauchen.
Und dann war der Mann plötzlich da, von einem Moment auf den anderen. Er trug ein kleines Paket in der Hand.
„Haben Sie das Geld?“
„Natürlich! Wie Sie es verlangt haben, kleine Scheine. Ist sie das?“ Wieder leuchtete die Gier unübersehbar in den Augen des Geschäftsmannes.
„Hier, überzeugen Sie sich!“ Der Verkäufer reichte das Päckchen hinüber, während Essex das Geld, das er in einen Briefumschlag gepackt hatte, aus der Tasche zerrte.
Mit zitternden Fingern entfernte Essex die Verpackung.
Niemand befand sich in ihrer Nähe, die beiden Männer waren uninteressant für die Besucher der Rennbahn, die an anderen Dingen mehr interessiert waren.
Das Papier fiel zu Boden, und die vor Erregung feuchten Hände umklammerten die Anubis-Statuette. Er konnte sich kaum sattsehen daran, strich immer wieder über die feinen Strukturen, zeichnete die Konturen des Kopfes nach und bemerkte nur am Rande, dass der Verkäufer das Geld sehr langsam peinlich genau nachzählte.
Plötzlich spürte Essex ein Schwindelgefühl in sich aufsteigen, von seinen Fingern her breitete sich ein taubes Gefühl aus, erfasste rasch die Arme und kroch dann weiter in den Körper hinein. Die Statuette fiel ihm aus der Hand, kullerte zu Boden, und das Gesicht des Geschäftsmannes verzerrte sich zu einer erstaunten Grimasse. Dann gaben schließlich auch seine Füße nach, und Essex stürzte schwer zu Boden. Das taube Gefühl breitete sich immer mehr aus, mit rasanter Schnelligkeit. Eine Minute später blieb das Herz des Mannes stehen.
In aller Seelenruhe hob der Verkäufer die Statuette auf, er trug Handschuhe, die von feinstem Leder waren und hervorragend zu seinem sportlichen Anzug passten. Er wickelte die kleine Figur wieder in das Papier und steckte sie ein. Erst dann beugte er sich zu dem Mann hinunter, der jetzt reglos am Boden lag, und setzte ein bestürztes Gesicht auf.
„Zu Hilfe!“, rief er laut, um Leute aufmerksam zu machen.
„Kommen Sie schnell her, hier ist jemand zusammengebrochen.“
Als zwei Männer angelaufen kamen, stand er auf. „Ich habe da eben den Arzt der Rennleitung gesehen, ich werde ihn schnell holen“, erklärte er aufgeregt und deutete vage in eine Richtung. Dann lief er davon – und wurde nicht mehr gesehen.
Als später wirklich ein Arzt kam, konnte er nur noch den Tod feststellen, der allerdings nicht ganz klar schien. Die Polizei wurde gerufen, und Inspector Francis Kelly stand nicht zum erstenmal vor einem Toten, dessen Ableben einigermaßen rätselhaft war.
*
Natürlich hatte niemand etwas gesehen. Es mochten wohl mehrere tausend Menschen auf der Rennbahn anwesend sein, aber selbst jetzt, da die Polizeiautos mit blinkenden Blaulichtern hier standen, ein Teil des Platzes abgesperrt war und auch ein Krankenwagen mit leuchtenden Signalfarben sich einen Weg über das Gelände bahnte, gab es nur wenige Blicke, die wirklich Interesse ausdrückten. Die Rennbahn war eine Welt für sich. Und wer hierher kam, hatte ein festes Vorhaben und ließ sich kaum davon ablenken.
Francis Kelly schüttelte den Kopf. Der noch recht junge Inspector fragte sich nicht zum erstenmal, ob er die Menschen jemals richtig verstehen würde. Wenn woanders jemand zusammengebrochen wäre, hätte sich in minutenschnelle ein Menschenauflauf gebildet, hier verschwendete niemand einen zweiten Blick, ja, manchmal nicht einmal den ersten.
„Doktor, wie sieht es aus? Können Sie schon etwas sagen?“, wandte er sich jetzt an den Gerichtsmediziner.
Der schüttelte ratlos den Kopf. „Auf den ersten Blick könnte man glauben, der Tote hätte einen Herzanfall erlitten.
Dagegen spricht allerdings die seltsame Versteifung der äußeren Extremitäten, wie auch die Verfärbung der Pupillen und der Lippen. Es wundert mich ohnehin, dass das jemandem aufgefallen ist.“
„Der hier tätige Arzt hat uns verständigen lassen, statt einfach einen Totenschein auszustellen und Herzversagen hineinzuschreiben.“ Kelly musterte den Toten, nahm dann die Papiere entgegen, die sein Assistent ihm reichte. Die Spurensicherung war schon an der Arbeit, die nötigen Fotos wurden geschossen, und der Inspector stellte fest, dass die Leiche ein ziemlich einflussreicher Mann gewesen war.
„Doktor, wir haben doch schon zwei Tote, die ähnliche Symptome zeigen. Wollen Sie mir jetzt erzählen, dass wir drei Leichen am Hals haben, bei denen wir eindeutig sagen können, dass sie nicht eines natürlichen Todes gestorben sind, wir aber nicht feststellen können, was nun letztendlich den Tod herbeiführte?“
Der alte Polizeiarzt kratzte sich ratlos am Kopf. „So könnte man es ausdrücken.“
„Das kann doch nicht Ihr Ernst sein“, tobte Kelly aufgebracht.
„Es muss ein Gift sein, aber bisher widersteht es allen versuchen, sich aufspüren zu lassen.“
„Ja, wo sind wir denn? Ist Ihnen klar, dass die Zeitungen von morgen uns in der Luft zerreißen werden? Dieser Mann ist nicht einfach nur ein unbekannter Toter.“
„Und wenn es der Premierminister selbst wäre, ich kann Ihnen nichts anderes sagen.“
Damit musste sich Kelly erst einmal begnügen.
Die Autopsie erbrachte auch nichts Neues, ebenso wie bei den zwei anderen Leichen war nicht festzustellen, auf welche Weise die Männer gestorben waren. Im Blut gab es keine Rückstände irgendwelcher Gifte, es gab keine Verletzung auf oder unter der Haut – die Leute waren einfach tot. Und bei allen gab es diese merkwürdige Blau-Verfärbung der Pupillen und der Lippen, und die nicht erklärbare Verkrampfung der Glieder.
Natürlich hatten am nächsten Morgen sämtliche Zeitungen ihre Schlagzeilen, und die bissigen Fragen an die Polizei überschlugen sich fast. Doch Comissioner Gordon Jackson hielt daran fest, dass Kelly den Fall, beziehungsweise die Fälle, weiter bearbeitete. Und das galt auch noch, als man die nächste Leiche fand, deren Symptome denen der drei anderen glichen. Doch jetzt hatte man zum erstenmal einen weiteren Hinweis vorzuweisen, wenn auch dieser nicht sehr aufschlussreich schien.
„Dieser Fall treibt mich noch in den Wahnsinn“, schimpfte Kelly vor sich hin. Es waren ja nun eigentlich vier Fälle, aber sie alle hatten etwas miteinander zu tun, das wusste der Inspector absolut sicher.
Als die Leute des Gerichtsmediziners dieses Mal die Leiche von Anthony Parkinson, dem streitbaren Parlamentarier, auf die Bahre hoben, fiel etwas aus der verkrampften Hand. Kelly nahm den Gegenstand auf. Es handelte sich um die steinerne Nachbildung eines Käfers.
Aber steinern? Nein, es war ein Halbedelstein, ein Topas, der kunstvoll bearbeitet worden war.
Ein Käfer! Kelly überlegte, da war doch noch etwas in seinem Hinterkopf – richtig, die alten Ägypter hatten solche Dinge hergestellt und benutzt. Kelly wusste nicht viel darüber, aber er kannte eine reizende Frau, die sich darauf spezialisiert hatte: Doktor Allison Clinton.
Die beiden hatten sich im Verlauf eines Betrugsfalles kennengelernt, und Allison hatte als Sachverständige einen guten Eindruck gemacht. Das hier war eine gute Möglichkeit sie wiederzusehen und vielleicht sogar endlich zu einem Essen einzuladen.
Wenn doch nur dieser Fall so kompliziert wäre! Wenn man doch wenigstens schon einmal die Todesursache hätte.
Kelly fuhr ins Präsidium, überprüfte dort noch einmal alles, was er bisher an Informationen hatte, und das war wenig genug. Vielleicht war dieser Käfer der erste wirklich Hinweis – auf was auch immer.
*