Dunkles Geheimnis - Katja Schwarz - E-Book

Dunkles Geheimnis E-Book

Katja Schwarz

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Beschreibung

Was würdest Du machen, wenn Dein persönlicher Albtraum Wirklichkeit wird? Am 29. August hat sich mein Leben in meinen persönlichen Albtraum gewandelt. Wäre ich an diesem Tag doch nur früher aufgestanden und hätte ich nicht meinem inneren Drang, mich noch einmal unter meine Bettdecke zu kuscheln nachgegeben, wäre mein Leben komplett anders verlaufen. Aus mir wäre eine selbstbewusste Frau geworden. Die Wochen voller Angst, Hilflosigkeit, Schreie und Schmerzen werde ich niemals aus meinem Gedächtnis verbannen können. Mir ist es im Vergleich zu ihr sogar noch gut ergangen. Er und die Hütte im Wald haben uns die Hölle erleben lassen. Er ist uns immer einen Schritt voraus und hat uns in der Hand. Er ist schlau und wachsam. Ich rieche sein Parfum und spüre seinen Atem in meinem Nacken. Für uns beide geht es nur noch ums Überleben...

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Seitenzahl: 321

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Widmung

Dieses Buch widme ich meinem Ehemann Henning und meiner Tochter Leona. Die beiden haben mir die nötigen Freiräume gegeben, damit ich mir einen großen Wunsch erfüllen konnte und daraus ist dieses Buch entstanden. Familie ist wo Leben beginnt und Liebe niemals endet.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

Epilog

Prolog

Mein Leben war perfekt. Bis zu diesem einen Sommertag im August. Dieser Tag hat alles verändert. Ein einziger Tag hat mein Leben ruiniert. Könnte ich alles rückgängig machen, so wäre ich die glücklichste Person auf der ganzen Welt. Doch leider ist das nicht möglich. Ich werde diese Tage voller Angst nie aus meinem Kopf bekommen. Die Hilflosigkeit, die Brutalität, die Schmerzen und die Schreie. Diese Momente, die immer und immer wieder da sind haben sich in mein Gedächtnis gebrannt. Ich bin in der Vergangenheit gefangen und jeder neue Tag scheint einfach nur unerträglich zu werden.

Es war ein ganz normaler Montagmorgen. Der Wecker klingelte wie immer um 06:10 Uhr und wie jeden Tag unter der Woche bin ich nur schwer aus dem Bett gekommen. Mein Kopf wollte mich zwingen aufzustehen, mein Körper wollte einfach nur unter der schönen warmen Bettdecke liegen bleiben. Die Decke noch einen kurzen Moment über meinen Kopf ziehen und die Wärme meines Körpers noch ein wenig unter der Decke spüren.

Ich habe mir an diesem Tag die 20 Minuten mehr im Bett gegönnt, doch das war der größte Fehler meines Lebens.

***

Der 23. August ist ein großartiger Tag für Ella Baum. Die Sonne lacht ihr schon am frühen Morgen ins Gesicht. Die Strahlen kitzeln Sie an der Nase und sie liebt diese Art geweckt zu werden. Ihr Gesicht zeigt direkt ein verschmitztes Lächeln. Ihre Augen strahlen und bringen ihre grüne Iris noch mehr zum Leuchten.

Sie schwingt ihre Beine voller Elan aus dem Bett. Ella entscheidet sich spontan für ihr neues trägerloses Sommerkleid. Das zart grüne Kleid mit den Blumen hat sie von Lennard, ihrem Freund, zum Jahrestag geschenkt bekommen. Es harmoniert großartig mit ihren Augen. Ihre blonden langen Haare bindet sie noch schnell zu einem Dutt zusammen und in ihren weißen Lieblingsturnschuhen verlässt sie kurz darauf beschwing und gut gelaunt die Wohnung. Sie liebt die Natur, die morgendliche Ruhe, das Zwitschern der Vögel und den Duft der frühen Morgenstunde, der einfach anders und intensiver ist, als am restlichen Tag. Sie schließt ihre Augen, atmet tief ein und dreht sich mehrfach mit ausgebreiteten Armen auf dem Feld nebenan. Sie streicht mit ihren Händen über das hohe Gras und fühlt die weichen Halme in den Innenflächen ihrer Hände. Die herrlich duftenden Sonnenblumen, der blaue Himmel. Der Tag ist perfekt. Es ist ihr Tag. Es ist ihr 27. Geburtstag. Noch ein letztes Mal saugt sie den morgendlichen Duft der Natur in sich auf und macht sich anschließend wieder auf den Heimweg.

Zu Hause angekommen wartet Lennard bereits auf sie. Er schlingt seine muskulösen Arme fest um ihren Körper und drückt sie an sich. Lennard küsst sie innig auf den Mund und gratuliert ihr anschließend zum Geburtstag.

Dieser Tag ist so besonders, da die Ärzte ihr wegen einer schlimmen Krankheit vor vielen Jahren keine hohe Lebenserwartung prophezeit haben. Doch sie hat es geschafft. Sie hat die Krankheit besiegt und ihr von den Ärzten genanntes Todesdatum überlebt. Für die Mediziner ist sie ein Wunder. Doch sie sieht sich als Kämpfernatur. Ein unmöglich gibt es für sie nicht.

Lennard löst sich aus der leidenschaftlichen Umarmung und geht hinüber ins Wohnzimmer, während Ella ihre weißen Turnschuhe auszieht und diese in dem kleinen Schuhschrank im Flur verstaut.

Der Knall eines Sektkorkens reißt sie aus ihren Gedanken und schon kurz darauf steht Lennard mit zwei gefüllten Gläsern vor ihr. Er überreicht ihr eines davon. Beide schauen sich tief in die Augen und Ella ist in diesem Moment der glücklichste Mensch auf der Erde. Sie ist gesund und hat den besten Freund, den sich eine Frau nur wünschen kann.

Lennard Fuchs ist 31, hat braune kurze Haare, braune Augen und eine tiefe Stimme, der sie einfach immer nur zuhören kann. Mit seiner liebenswerten, aufmerksamen und positiven Art hat sie in ihm ihren Ruhepol gefunden. Ihren Seelenverwandten. Sie ist sich sicher, dass sie für immer zusammenbleiben werden. Er ist ihr Mensch. Ohne ihn ist alles nur halb so bunt und halb so lebenswert. Er hat ihr durch die schwere Zeit ihrer Krankheit geholfen, sie immer wieder motiviert zu kämpfen und an sich zu glauben. Sie kennen sich seit dem Kindergarten und sind bereits seit acht Jahren ein Paar. Beide sind füreinander bestimmt. Für immer und ewig. Da ist Ella sich ganz sicher.

1. Kapitel

Ellas Eltern hatten bereits vor vielen Jahren einen tödlichen Autounfall und sie ist daher schon mit acht Jahren bei ihren Großeltern aufgewachsen. Geschwister hat sie keine. Auch sonst keine weiteren Verwandten. Das Verhältnis zu ihren Großeltern war sehr innig. Nicht nur die Großeltern, sondern auch ihre Freunde waren ihr Halt in der schweren Zeit. Beide Großeltern sind kurz hintereinander vor vier Jahren verstorben. Das war ein weiterer harter Schicksalsschlag für Ella, den Lennard mit viel Mühe versucht hat abzufedern, sofern dieses überhaupt möglich war.

Manchmal fragt Ella sich, warum sie bisher so viele unglückliche Momente in ihrem Leben hatte und wie sie es schaffen konnte, dennoch eine so zufriedene und positiv gestimmte Person zu sein. Dann sieht sie Lennard vor sich und kennt die Antwort. Sofort hat sie wieder ein Lächeln im Gesicht. Lennard ist ihr Engel. Ein Engel, den ihre Eltern und Großeltern zu ihr geschickt haben. Er soll sie beschützen und auf sie aufpassen. Ella liebt diesen Gedanken.

Leider kann Ellas Freund nur kurz am Sekt nippen. Er küsst Ella noch einmal voller Sehnsucht zum Abschied. Obwohl heute so ein wichtiger Tag für beide ist, muss er in seine Zahnarztpraxis, die er zusammen mit seinem Freund Arvid vor zwei Jahren eröffnet hat. Die beiden haben einen großen Patientenstamm und die Terminkalender sind gut gefüllt. Arvid hat Urlaub und somit muss Lennard die Praxis offen halten. Sie haben bei der Gründung ihrer Praxis beschlossen, dass immer nur einer der beiden Praxisinhaber Urlaub nehmen kann und so verlässt er mit einem Handkuss für Ella die gemeinsame Eigentumswohnung.

Ella möchte diesen Tag so gerne zusammen mit ihrem Freund genießen. Sie ist sich aber seiner Verantwortung in der Gemeinschaftspraxis bewusst und somit ist sie kurzfristig für eine Kollegin eingesprungen, die krankheitsbedingt heute nicht ihren Dienst antreten konnte.

Pflichtbewusst hat sie sich als Ersatz angeboten. Sie streift sich ihr trägerloses Sommerkleid von den Schultern und schlüpft in ihre Uniform als Polizeiobermeisterin. Ihren Rucksack wirft sie sich noch schnell über die Schultern und verlässt mit ihrem Schlüsselbund in der Hand die Wohnung.

Mit ihrer ersten Beförderung zur Polizeiobermeisterin hat sie sich bereits einen weiteren Stern auf ihrer Schulterklappe erarbeitet. Im Berufsalltag arbeitet sie als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft und übernimmt zum Teil erste Führungsaufgaben.

Ihre Zielstrebigkeit und ihr Ehrgeiz spiegeln sich auch in ihrem Beruf wieder.

2. Kapitel

Lennard hat bereits um 08:00 Uhr seinen ersten Patienten. Rolf Glück ist ein 67-jähriger Rentner, der ihm von der ersten Stunde an ein treuer Arztbesucher ist.

Wie bei jedem seiner Besuche bringt Rolf seinem Zahnarzt ein Croissant mit.

Man kann behaupten, dass dies auch gleichzeitig ein Bestechungsversuch für den ersten morgendlichen Termin am dritten Montag im August eines jeden Jahres ist. In diesem Fall lässt Lennard sich sehr gerne bestechen. Immer wieder ist der Arzt erstaunt, in was für einem tadellosen Zustand die Zähne seines Lieblingspatienten sind. Außer der jährlichen Beseitigung seines Zahnsteins muss hier erneut keine weitere Behandlung erfolgen.

Hätte er nur solche Patienten wie Rolf, könnte er seine Praxis bald schließen.

Schon nach zehn Minuten verlässt der Rentner die Praxisräume und vereinbart einen neuen Termin für den dritten Montag im August im kommenden Jahr um 08:00 Uhr.

Der nächste Patient ist Dennis Fischer, ein 23-jähriger Dachdecker Lehrling. Seine Zähne sind definitiv der Garant für ein gesichertes Einkommen. Sie sind in einem sehr schlechten Zustand. Fast jeder Zahn hat mindestens eine Füllung und durch das viele Rauchen und den starken Konsum von Kaffee ist seine Zahnfarbe gelb. Jedes Mal hat Lennard ein beklemmendes Gefühl bei diesem Patienten. Irgendetwas mystisches geht von ihm aus. Er kann es nicht in Worte fassen, aber er ist jedes Mal froh, wenn Dennis seine Praxis wieder verlässt. Er ist niemals unangenehm aufgefallen und immer freundlich, aber das kalte Gefühl ist jedes Mal wieder da.

Lennard fühlt sich schlapp und ausgelaugt. Arvid ist nun schon seit über zwei Wochen in Urlaub. Das ist nicht das erste Mal, dass er kurzfristig die Patiententermine für seinen Freund zusätzlich übernehmen muss. Dieses Thema muss er dringend mit Arvid besprechen. Die unangekündigten und zusätzlichen Urlaubstage können so nicht weiter von ihm genommen werden. Er hätte schon vor ein paar Tagen aus seinem Urlaub zurück sein müssen. Seinen heutige freien Tag mit Ella musste er wegen seines Freundes ausfallen lassen. Nun ist auch Lennard einmal an der Reihe. Das Ausnutzen seiner Gutmütigkeit muss endlich ein Ende haben. Er beschließt, dieses Thema direkt am nächsten Montag in der Mittagspause anzusprechen. Bis dahin muss er wohl oder übel die Patiententermine von Arvid auffangen.

Direkt denkt er an Ella und schon ist er bereit für seine weiteren Patienten. Ella ist seine Traumfrau. Mit ihr an seiner Seite ist auch der stressigste Tag zu bewältigen.

3. Kapitel

Ella ist nach nur 15 Minuten Autofahrt mit ihrem roten Mini Cabrio vor der Polizeiwache angekommen. Gut gelaunt greift sie nach ihrem Rucksack auf der Rückbank und steigt aus dem Wagen. Mit großen Schritten betritt sie die Wache und läuft geradewegs auf ihr Büro zu. Schwungvoll stösst sie die Tür auf. Ihre Kollegen fallen ihr direkt um den Hals und gratulieren ihr überschwänglich zu ihrem Geburtstag. Sie alle wissen um ihre überwundene Krankheit und somit auch um die Wichtigkeit ihres heutigen Geburtstages. Die Polizeiobermeistern ist zu Tränen gerührt und nimmt erst jetzt den mit bunten Ballons und Luftschlagen geschmückten Raum war. Die angeblich kranke Kollegin kommt grinsend ins Büro und drückt Ella fest an sich. Es ist schön, so liebe Kollegen zu haben.

Ihr Vorgesetzter Anders Hoffmann betritt nun ebenfalls den Raum und überreicht ihr im Namen aller Kollegen ein Geschenk. Es ist ein Birnbaum. Anders erklärt ihr, dass diese Art Baum als Symbol für ein langes Leben steht und er soll für ihr eigenes langes und erfülltes Leben stehen. Ella ist gerührt, dass sich ihre Kollegen so viele Gedanken gemacht haben. Sie beschließt, den Birnbaum noch heute nach Dienstschluss in ihrem Garten einzupflanzen. Zu ihrer Erdgeschosswohnung gehört ein recht großes Gartengrundstück. Dieser Baum wird für immer eine große Bedeutung in ihrem Leben haben. Wie so viele andere Dinge auch. Sie schätzt die Gemeinschaft unter den Kollegen und freut sich, ein Teil des Teams zu sein.

Die Polizeiobermeisterin hat heute einen ruhigen Dienst und kann pünktlich mit dem neuen Birnbaum nach Hause fahren. Sie ist froh, ein Cabrio zu haben. Die Sonne scheint und es sind angenehme 27 Grad. Das schwarze Faltdach ihres Autos lässt sie zurückfahren, damit Anders den Baum auf dem Rücksitz ihres Minis platzieren kann. Ella kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Der Baum in ihrem Auto sieht schon recht lustig aus. Sie verabschiedet sich von ihrem Chef und wählt auf dem Rückweg die Handynummer ihrer besten Freundin Olivia.

Olivia Kasten ist 28 Jahre alt, hat rot-braune Haare und ist mit ihren 1,82 m eine recht imposante Frau. Sie ist eigentlich immer gut gelaunt und liebt die Malerei und alles was dazu gehört. Ständig versucht sie sich an neuen Dingen und ihr Golden Retriever Woody ist ihr alltäglicher Begleiter.

Olivia arbeitet als Servicekraft in einem 2-Sterne Restaurant in Berlin. In erster Linie kümmert sie sich um die Gäste. Dabei werden diese von ihr begrüßt, an den Tisch geführt und von ihr bedient. Sie wirkt an der regelmässig wechselnden Gestaltung der Speisekarte mit und spricht den Gästen Empfehlungen zu den verschiedenen Menüs aus. Auch auf dem Gebiet der Weine macht ihr keiner ihren Kollegen was vor. Zu jedem Gericht kann sie den Restaurantbesuchern den perfekten Wein zu jedem gewählten Gang empfehlen und erst vor vier Wochen hat sie ihre Prüfung zur Sommelière mit Auszeichnung bestanden.

Das von vielen gefeierte Restaurant Mühle ist eine Oase der Esskultur. Hier erlebt der Gast eine erfrischende Kombination aus eleganter und leichter Küche mit puristischem Luxus. Die Gäste genießen eine unvergessliche Kochkunst, während sie sich in angenehmer Atmosphäre entspannen und sich an der uneingeschränkten Aufmerksamkeit des Personals erfreuen. Das Restaurant ist weit über die Landesgrenze hinaus bekannt und über Wochen im Voraus ausgebucht. Es ist schon lange kein Geheimtipp mehr.

Schon nach dem zweiten Klingeln nimmt Olivia den Anruf ihrer besten Freundin entgegen und schmettert Ella prompt ein Geburtstagslied entgegen. Das Lied „Ein graues Haar“ von PUR singt sie laut und schief in den Hörer. Man kann festhalten, dass der Gesang definitiv nicht zu Olivias Stärken zählt. Dennoch freut sich Ella jährlich auf die falschen Töne ihrer Freundin und ist immer wieder aufs Neue gespannt, für welches Lied sich ihre Herzensfreundin entscheidet. Olivia wünscht ihr anschließend noch einen Hut voller Freude und ein Fass voller Glück. Beide brechen in schallendes Gelächter aus.

Wie jedes Jahr zu ihren Geburtstagen treffen sich die beiden Frauen alleine am späteren Nachmittag bei dem jeweiligen Geburtstagskind zu Hause. Dieses Ritual pflegen sie seit der Schulzeit. Jedes Jahr wiederkehrend. Hier ist keine weitere Absprache nötig. Es ist für beide ein gesetzter Termin, der immer wahrgenommen wird. Ausnahmslos.

Es klingelt an der Wohnungstür und bevor diese richtig geöffnet wird, stürzt Woody schon auf Ella zu. Seinen feuchten Küssen kann sie nicht entkommen. Woody ist für sie wie ein eigener Hund, nur ohne feste Verpflichtungen. Diesen kommt sie jedoch gerne nach, wenn ihre Freundin mal einen Aufpasser für ihn braucht.

Nachdem Woody sein zweites Frauchen für einen Knochen kurz vergisst, kann auch Olivia ihre Freundin in den Arm nehmen. Aus ihrer braunen Ledertasche zieht sie ein gut verpacktes Geschenk heraus. Zügig packt Ella ihr Präsent aus und hält anschließend eine Goldkette mit einem Jade-Anhänger in der Hand. Das Totem das für Glück steht, ist ein weiterer Beweis für Ella, dass sich die ihr nahe stehenden Mitmenschen der Wichtigkeit ihres Geburtstages bewusst sind und sich Gedanken zu dem jeweiligen Geschenk gemacht haben. Erneut ist sie sichtlich gerührt. Bevor sie auf ihren Geburtstag anstoßen, wird der Birnbaum aus dem Mini geholt und beide geben dem schönen Kernobstgewächs in ihrem Garten ein neues zu Hause. Vom Wohnzimmerfenster aus hat man einen guten Blick auf den Baum. Die Stelle ist perfekt ausgesucht.

Kurz darauf hören die beiden den Schlüssel in der Wohnungstür und Lennard kommt mit einem weißen Orchideen-Strauß ins Wohnzimmer. Er gibt Ella einen Kuss und überreicht ihr leicht angespannt ihre Lieblingsblumen. Ella hat gerade bemerkt, dass Olivia und Woody den Raum verlassen haben, da kommt die Fellnase auch schon wieder auf sie zugelaufen. Der Golden Retriever hat eine große rote Schleife mit einem weißen Zettel um den Hals gebunden. Ella zieht vorsichtig an der Schleife und löst den Zettel aus dieser. Sie faltet ihn neugierig auseinander. Auf dem Blatt ist ein Ring gemalt. Mehr nicht. Bevor sie irritiert aufschauen kann, kniet Lennard schon vor ihr. Er ist sichtlich nervös und kann kaum ein Wort aussprechen. Ella nimmt seinen Kopf in ihre Hände und schaut ihm tief in die Augen. Beide Augenpaare füllen sich mit Tränen. Beide strahlen sich dabei an. Es muss nichts gesagt werden. Das Blatt, der Kniefall und seine Aufgeregtheit sind aussagekräftig genug.

Olivia reißt ein Blatt von einem Block auf dem Wohnzimmerschrank und schreibt schnell etwas mit dem Kugelschreiber darauf. Dann legt sie das Blatt zwischen die Beiden. Darauf steht :“Ich krieg gerade kein Wort raus, aber sag bitte ja!“ Sie lachen los und Ella bringt schließlich ein kräftiges „ja“ heraus.

Lennard hatte alles mustergültig vorbereitet. Jedes seiner Worte war gut überlegt, aber seine Stimme wollte ihm nicht gehorchen und in seinem Gehirn herrschte gähnende Leere. Buchstaben haben ihre Plätze getauscht und Worte haben keinen Sinn mehr ergeben. Er hat sie nur angesehen und alles war wie gelöscht. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Sie hat in diesem Moment unabsichtlich seinen Reset-Knopf gedrückt. Er ärgert sich leise, weiß aber auch, dass das Ungeplante manchmal eher im Gedächtnis bleibt. Dieser vermasselte Antrag wird bestimmt noch für einige Lacher im Freundeskreis sorgen.

Olivia freut sich für die beiden. Sie passen perfekt zusammen. Sie hat noch nie ein Paar gesehen, was sich so gut ergänzt. Blindes Verständnis in jeder Hinsicht. Sie müssen nicht miteinander sprechen. Ein Blick oder eine Geste sagen schon alles. Wie sehr beneidet sie die zwei um ihre Liebe. Leider hatte sie in den letzten Jahren immer wieder Pech mit den Männern. Aber aufgeben ist keine Option für sie. Irgendwo da draußen ist der Richtige. Sie müssen sich nur noch finden. Wann und wo auch immer das sein wird.

Sie drückt Woody fest an sich und vergräbt ihr Gesicht in seinem weichen Fell.

Die Sonnenstrahlen, die durch das Wohnzimmerfenster fallen, lassen sein Fell in der Sonne glänzen wie flüssiges Gold. Der Retriever schwingt seine Rute fröhlich hin und her. Sie gibt ihm einen Kuss auf die Nase und schon wird sie von Ella umgeworfen, die ihr freudestrahlend einen silbernen Ring mit einem kleinen Diamanten präsentiert. Beide ziehen Lennard mit auf den Boden und zu dritt liegen sie sich in den Armen. Ein Hochzeitsdatum steht schnell fest. Wider erwarten wird es nicht ihr Geburtstag sein, sondern der Hochzeitstag ihrer Eltern. Nächstes Jahr im Oktober wird also geheiratet und Woody wird dann die Ringe an den Altar bringen. Bis dahin kann Olivia noch fleissig mit ihm üben. Woody ist ein großartiger Hund. Hin und wieder folgt er jedoch seinen eigenen Gesetzen und kann Gelerntes kurzfristig vergessen oder ausblenden. Eine Garantie, dass er die Eheringe zu dem Brautpaar bringen wird kann sie den beiden nicht geben. Aber Garantien können auch sehr langweilig sein.

Später bestellen die drei noch Pizza bei ihrem Lieblingsitaliener um die Ecke. Sie planen und lachen bis spät in die Nacht.

Dann nimmt sich Olivia mit Woody ein Taxi und beide fahren nach Hause.

4. Kapitel

Am nächsten Morgen schweben Ella und Lennard fast aus dem Bett. So glücklich sind beide. Der Samstag Morgen könnte nicht besser starten. Da die zukünftige Frau Fuchs keine Verwandten mehr hat, beschließen sie erst einmal nach dem ausgiebigen Frühstück, die Eltern von Lennard über ihre Verlobung zu informieren. Danach folgen noch seine Schwester, sein Onkel aus Schweden und seine Großeltern. Alle haben sich sehr über die großartigen Neuigkeiten gefreut und jeder hat sich den 15. Oktober im kommenden Jahr für das große Fest im Kalender notiert. Im Anschluss werden noch die engsten Freunde telefonisch informiert. Nur Arvid ist mal wieder nicht zu erreichen. Aber am Montag sehen sich die beiden Freunde in der Praxis.

Der Tag mit den vielen Telefonaten geht schnell rum. Das gesamte Wochenende steht im Zeichen des glücklich seins.

Am Montag Morgen treffen Lennard und Arvid bereits vor der Zahnarztpraxis aufeinander. Die beiden Freunde haben sich viel zu erzählen und so setzen sie sich, jeweils mit einem Kaffeebecher in der Hand, in das großzügige Wartezimmer, um sich auszutauschen. Lennard teilt seinem Praxiskollegen seinen Unmut bezüglich der sich anhäufenden spontanen Urlaubstage und fehlenden Anwesenheit mit und Arvid entschuldigt sich aufrichtig dafür. Er verspricht Lennard, dass er zu einem späteren Zeitpunkt eine Erklärung hierfür erhalten wird. Momentan hält er sich dazu aber weiterhin bedeckt und bittet kleinlaut um Verständnis. Viele Gedanken kreisen in Lennards Kopf, aber er weiß, dass sein Freund ihm alles erzählen wird, wenn es für ihn an der Zeit ist. Er kann ihm vertrauen. Arvid ist wie ein Bruder für ihn.

Die Nachricht über die Hochzeit nimmt er voller Freude auf.

Schon kurz darauf treffen die Mitarbeiter der beiden ein und die Ärzte suchen ihre jeweiligen Behandlungsräume auf. Die Arbeitswoche kann starten.

Für Ella startet die Woche ähnlich. Kollegen werden informiert, Gratulationen folgen.

Die kommenden Wochen verlaufen recht ereignislos. Die Polizeiobermeisterin wird immer mehr und intensiver in aktuelle Kriminalfälle mit eingebunden. Sie wartet auf ihren ersten Einsatz als Gruppenführerin einer geschlossenen Einheit. Sie nutzt die Zeit, um sich so gut es geht darauf vorzubereiten, damit sie ihrem Vorgesetzten beweisen kann, wie gut sie wirklich ist. Sie darf ihn nicht enttäuschen. Sie kann es.

Nur acht Wochen später erfährt Ella, dass ihre beste Freundin einen Mann bei Deluxe Partner kennengelernt hat. Sie schwärmt von Gunnar in den höchsten Tönen. Jeden Tag schreiben sie sich mehrfach und Gunnar ist bereits ein Vertrauter für sie geworden. Er ist Lehrer am Heinrich-Hertz-Gymnasium in Berlin. Gunnar liebt den Besuch von Kunstgalerien und findet sich in den verschiedenen Stilrichtungen in denen man sich ausdrücken kann wieder. Er liebt gutes Essen und Reisen ist eine weitere große Leidenschaft von ihm. Menschen und Länder zu entdecken ist für ihn spannend und reizvoll. Olivia hat manchmal das Gefühl, dass ihre Herzen gleich schlagen, obwohl sie sich nicht wirklich kennen. Das muss sich ändern. Sie muss ihn kennenlernen.

Schon für das kommende Wochenende verabreden sich die beiden bei ihrem Lieblingsitaliener. Die hübsche Servicekraft kann es kaum erwarten, ihm endlich in seine Augen zu sehen und sie ist sich sicher, dass sie sich in ihnen verlieren wird.

5. Kapitel

Endlich ist Samstag und Olivia hat den gesamten Inhalt ihres Kleiderschrankes auf ihrem Bett verteilt. Was soll sie nur anziehen? Es darf für sie nicht zu sportlich, nicht zu elegant, nicht zu leger und nicht allzu sexy sein. Die Betonung liegt auf nicht allzu sexy. Sie entscheidet sich für ein blaues Sommerkleid, mit leichtem Ausschnitt und Spaghettiträgern. Das ist perfekt. In dem fühlt sie sich sicher und selbstbewusst. Ihre rot-braunen Haare bindet sie zu einem hohen Zopf hoch und das Make-up fällt eher dezent aus. Sie putzt sich gleich zweimal hintereinander die Zähne und wählt ihr Lieblingsparfum aus. Sauvage Elixir von Dior. Das nutzt sie nur an besonderen Tagen und heute ist einer dieser. Sie entscheidet sich für ihre hohen beigefarbenen Plateau Pumps von Guess. Sie ist mit ihrem Äußeren absolut zufrieden. Glücklich wirft sie noch einmal einen letzten Blick in den Spiegel, bevor sie sich von Woody verabschiedet und mit ihrer beigen Handtasche die Wohnung verlässt.

Vor dem Haus trifft sie auf Lennard. Er bestätigt ihr, dass sie das perfekte Outfit für ihr Date getroffen hat und drückt sie noch einmal zum Abschied. Er wünscht ihr einen schönen Abend und hofft, dass sie bald den richtigen Partner finden wird. Das erste Treffen scheint unter einem guten Stern zu stehen.

Auf der anderen Straßenseite bemerken beide Dennis, der Olivia grinsend von oben bis unten mustert. Der Arme hat wahrscheinlich nicht so viel Glück in der Frauenwelt. Lennard notiert für sich in Gedanken, dass er Dennis bei seinem nächsten Besuch in seiner Praxis unbedingt noch einmal auf seine verfärbten Zähne ansprechen muss. Dieses Problem ist Thema eines jeden Besuches. Aber bald ist der Dachdecker Lehrling mit seiner Ausbildung fertig und dann hat er bestimmt die finanziellen Möglichkeiten das Problem zu beheben. Lennard möchte ihm alternativ auch eine Ratenzahlung anbieten. Mit weißeren Zähnen sehen die Chancen bei den Frauen auch sicherlich anders aus. Auch wenn er immer wieder eine Kälte von Dennis ausgehend spürt, so ist er doch ein herzlicher Mensch. Aufgrund seiner vielen Patienten hat Lennard mit den Jahren eine gute Menschenkenntnis erworben, die ihn noch nie enttäuscht hat.

Zu Hause angekommen erzählt Lennard seiner Verlobten von der zufälligen Begegnung mit Olivia. Ella ist überhaupt nicht begeistert von Olivias Vorhaben. Zu oft hört man von gefälschten Profilen. Andererseits treffen sie sich bei ihrem Lieblingsitaliener, der immer gut besucht ist. Das wiederum ist bestens von ihrer Freundin ausgewählt worden. Matteo Rossi, der Restaurantbesitzer, ist für beide Frauen zu einem sehr guten Freund geworden. Sie zählen zu den festen Stammgästen in seinem Restaurant und werden zu jeder privaten Feier von Matteo eingeladen. Er wird schon ein Auge auf sie haben, wenn Olivia mit einem fremden Mann dort essen wird. Sie wünscht ihrer Freundin in Gedanken noch ein tolles Date und kuschelt sich mit Lennard auf das Sofa. Der Fernsehabend mit Popcorn kann anfangen.

6. Kapitel

Am nächsten Tag erhält Ella von Olivia eine WhatsApp mit der Information, dass sie spontan mit Woody für zwei Wochen nach Südtirol verreisen wird. Das Date war großartig und sie möchte für sich herausfinden, ob Gunnar vielleicht ihr nächster Partner werden kann. Sie hat zu oft falsche Entscheidungen getroffen und möchte in einer kleinen Hütte in Südtirol die Einsamkeit nutzen, um sich zu überlegen, ob sie weitere Treffen mit ihm möchte.

Typisch Olivia denkt Ella und lacht einmal laut auf. Spontan und strukturiert. Das charakterisiert ihre Freundin.

Lennard hat gerade das Behandlungszimmer gewechselt, als er auch schon seinen nächsten Patienten in seinem Zahnarztstuhl liegen sieht. Es ist Dennis. Ein weiterer Zahn bei ihm weist ein Loch auf, welches schnell mit einer Füllung versehen wird. Auf eine Betäubung verzichtet Dennis. Er mag das anschließende Taubheitsgefühl nicht, welches seiner Meinung nach viel zu lange anhält. Da nimmt er lieber die kurzen Schmerzen in Kauf. Diese empfindet er ohnehin nicht als sonderlich unangenehm.

Stolz informiert er seinen Zahnarzt, dass er seine Ausbildung gerade mit der Abschlussnote gut hinter sich gebracht hat. Lennard gratuliert ihm und spricht ihn sofort ein weiteres Mal auf die professionelle Zahnverblendung an. Lennard erzählt Dennis, dass weiße Zähne den Menschen gesünder und vitaler aussehen lassen. Er klärt ihn noch einmal über das Bleaching auf. Hierbei wird eine Zahnaufhellung mit speziellen Bleichmitteln vorgenommen. Dabei werden bei Dennis zunächst die jeweils vier vorderen Zähne im Ober- und Unterkiefer aufgehellt. Wenn der Zahnarzt selber das Bleaching durchführt, spricht man von einem In-Office-Bleaching. Die Zahnverblendung wird mithilfe von Wasserstoffperoxid-Gel oder Carbamidperoxid durchgeführt. Die starken Bleichmittel machen die im Zahnstein befindlichen Farbpigmente durch eine Reaktion mit Sauerstoff farblos. Eine Zahnaufhellung mit in Drogeriemärkten und Apotheken erhältlichen Bleaching Mitteln ist selbstverständlich ebenfalls möglich. Da sie jedoch nur eine maximal 10-prozentige Wirkstoff-Konzentrationen aufweisen, haben sie eine sehr viel geringere Bleichwirkung als die Behandlung beim Zahnarzt.

Dennis ist heute besonders positiv gestimmt und geht auf den Vorschlag ein. Eine Ratenzahlung wird vereinbart. Lennard beschließt, das Bleaching umgehend vorzunehmen, da er die gute Stimmung seines Patienten ausnutzen möchte. Er lässt den frisch gebackenen Dachdecker-Gesellen das entsprechende Formular zu seiner Absicherung unterschreiben und informiert seine Mitarbeiterin, dass seine nachfolgenden Patienten an Arvid übergeben werden sollen. Dieser ist für heute mit seinen Behandlungen durch und übernimmt diese gerne. Für die nächsten Stunden widmet sich Lennard seinem Patienten.

Nach drei Stunden sind beide erschöpft und von dem Ergebnis begeistert. Die anderen Zähne werden in den nächsten Wochen behandelt. Folgetermine haben beide schon vereinbart.

Die Praxis ist bereits verwaist. Kein Mitarbeiter ist mehr vor Ort. Am Empfang steht jedoch Ella, die spontan beschlossen hat, ihren Verlobten von der Arbeit abzuholen. Arvid hatte sie beim Verlassen der Praxis informiert, dass sein Freund noch ungefähr eine halbe Stunde mit seinem letzten Patienten beschäftigt ist. Daraufhin hat Ella sich mit Zeitschriften eingedeckt, um die Wartezeit zu überbrücken.

Sie sieht Dennis und ihr fallen direkt die perfekt weißen Zähne im vorderen Mundbereich und die dahinter liegenden vergilbten Zähne auf. Er streckt ihr lächelnd seine Hand entgegen, um sie zu begrüßen. Sie bemerkt an seinem linken Handgelenk ein braunes Lederarmband mit einem silbernen Löwen. Sie selbst ist vom Sternzeichen her Löwe und weiß, dass dieses Tier für Stolz, Kraft und Macht steht. Ihr gefällt das Armband und ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht wünscht sie ihm einen schönen Abend.

Als Dennis die Tür hinter sich zugezogen hat, nimmt Lennard sie in den Arm und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. „Du bist genau das, was ich jetzt brauche“.

Hand in Hand verlassen sie das Gebäude und gehen zusammen zu Fuß durch den Park nach Hause.

7. Kapitel

Olivia reibt sich ihre müden Augen und findet sich in einem ihr völlig unbekannten Zimmer wieder. Es ist schön eingerichtet, fast wie eine kleine Wohnung. Nur ohne Küche, aber mit einem kleinen Badezimmer. Wie ist sie nur hier her gekommen und wo ist sie überhaupt? Sie versucht sich zu erinnern, denn es ist niemand weiteres in dem Zimmer, den sie fragen könnte.

Ihr fällt wieder ein, dass sie sich für ihr Blind-Date auf den Weg zu ihrem Lieblingsitaliener gemacht hat. Aber sie ist niemals dort angekommen. Gunnar hat ihr eine Nachricht geschickt, dass er eine Autopanne hat und sich auf der Landstraße zwischen Rotberg und Tollkrug/Schönefeld befindet. Olivia kennt diese Landstraße und schlägt ihm vor, dass sie bei ihm vorbeikommt, um gemeinsam mit ihrem Auto in das Restaurant zu fahren. Der Abschleppwagen ist bestellt, braucht aber noch gut zwei Stunden bis er da ist. Daher geht Gunnar direkt auf das Angebot ein. Er teilt ihr in einer weiteren WhatsApp seine Automarke samt Farbe und Kennzeichen mit. Sein schwarzen BMW mit dem Kennzeichen B-XY 666 steht auf der rechten Straßenseite. Olivias Navi verrät ihr, dass sie nur circa zehn Minuten bis dahin braucht und umgehend ändert sie ihre Fahrtrichtung.

Dort angekommen sieht sie den BMW sofort.

Und von da an hat sie einen Filmriss. Sie kann sich weder an Gunnar, noch an den weiteren Verlauf des Abends erinnern.

In dem recht großzügigen Zimmer gibt es drei kleine vergitterte Fenster. Die Gitter sind weiß und sehen neu aus. Überhaupt sieht hier alles neu und sehr gepflegt aus. Blumen stehen auf dem Esstisch. Es ist ein großer, bunter Strauss mit Gerberas, ihren Lieblingsblumen. Diese Korbblütler hellen ihre Stimmung immer auf. Fast immer. Gerade ist ihr überhaupt nicht nach lächeln zumute und von Stimmungsaufhellung kann hier aktuell keine Rede sein.

Draußen ist es nicht wirklich hell. Sie vermutet, dass es früh am Morgen sein muss.

Weitere Ungereimtheiten steigen in ihr auf. Was ist zwischen dem Abend und jetzt passiert?

Sie schaut sich weiter um. Ihre Handtasche ist nicht da. Ihr Portemonnaie und ihr Handy sind somit ebenfalls weg. Sie schaut an sich herunter. Sie trägt die Kleidung, die sie am Abend zuvor angezogen hat. Das beruhigt sie wieder ein kleines bisschen.

Am frühen Morgen nimmt Ella ein lautes Bellen war. Es ist nah und ihr sehr vertraut. Sie schreckt hoch und öffnet schnell ihre Wohnungstür, voller Vorfreude Olivia nach ihrem Urlaub endlich wieder zu sehen. Sie ist gespannt, was ihre beste Freundin zu erzählen hat. Erwartungsvoll öffnet sie den Einlass.

Vor diesem steht jedoch nur Woody. Olivia ist weit und breit nicht zu sehen. Ihr Puls schnellt in die Höhe. Sofort hat sie eine schlimme Vorahnung. Panisch ruft sie mehrfach laut den Namen ihrer Freundin in den Hausflur. Lennard steht sofort neben ihr und schaut irritiert auf den Hund. Einige Nachbarn kommen aus ihren Wohnungen heraus. Von Olivia ist jedoch weiterhin nichts zu sehen. Woody würde niemals alleine zu ihr kommen. Sie gibt ihm erst einmal etwas zu trinken. Der Wassernapf ist in von ihm Rekordzeit geleert. Ella hat immer Hundefutter im Vorratsschrank, falls ihre Freundin mit Woody spontan über Nacht bleibt. Das kann nach der ein oder anderen gemeinsam geleerten Flasche Wein gelegentlich vorkommen. Auch das Futter frisst der Retriever gierig auf. Sie drückt ihn fest an sich und hält in der anderen Hand ihr Handy. Mit zitternden Händen wählt sie die Nummer ihrer Freundin. Doch sofort hört sie die Stimme der Mailboxansage. Das passt einfach nicht zu Olivia.

Lennard greift nach Ellas Schlüsselbund, nickt kurz in ihre Richtung und beide wissen was zu tun ist. Sie rufen Woody zu sich und zu dritt rennen sie Richtung Auto und fahren auf dem direkten Weg zu Olivias Wohnung. Beide Frauen haben von ihren Wohnungen den jeweiligen Ersatzschlüssel. Die Wegstrecke ist schnell zurückgelegt. Ella schließt die Haustür des vier Parteien-Hauses auf und eilt mit großen Schritten in die Dachgeschosswohnung hinauf. Lennard hat Mühe hinterher zu kommen. Eine Polizistin hat definitiv eine bessere Kondition als ein Zahnarzt. Er ermahnt sich zukünftig dem Sport mehr Zeit zu widmen, um seine Kondition zu steigern. Woody hat beide schon nach den ersten Treppenstufen überholt und erwartet sie schwanzwedelnd in der geöffneten Wohnungstür.

In Ella kommt erneut Panik auf. Mit der offenen Tür hat sie nicht gerechnet. Angsterfüllt betritt sie vorsichtig den Flur. Ihre Augen weiten sich. Sie bemerkt sofort, dass die Wohnung verwüstet wurde. Erneut möchte sie den Namen ihrer Freundin herausbrüllen, aber ein Kloß im Hals ermöglicht ihr das nicht. Lennard hat sich zuerst gefangen und ruft lauthals den Namen von Olivia. Nichts. Keine Reaktion. Auch weitere Rufe, die in Schreie übergehen, werden nicht wie stark erhofft, von der Freundin beantwortet. Alle Räume der Wohnung sind leer. Ella nimmt ihr Handy in die Hand und kontaktiert ihre Kollegen. Nur zwanzig Minuten später sind diese angekommen. Die Spurensicherung erscheint weitere zwanzig Minuten später. Jeder macht seine Arbeit. Ella hat sich auf einen Stuhl fallen lassen. Sie krault dabei gedankenverloren Woody hinter den Ohren und senkt ihren Kopf. Lennard bemerkt den blinkenden Anrufbeantworter und drückt zaghaft auf den Wiedergabeknopf. Der Chef ihrer Freundin aus dem Restaurant Mühle hat in den letzten Tagen viele Male versucht Olivia zu erreichen und ihr immer wieder Nachrichten hinterlassen. Die letzten Aufzeichnungen klingen sehr besorgt. Sie wird an ihrem Arbeitsplatz vermisst und soll sich dringend bei ihm melden. Das ist nicht ihre Art. Sie informiert jeden der informiert werden muss, wenn sie einen Termin nicht wahrnehmen kann. Sie ist der gewissenhafteste und zuverlässigste Mensch den beide kennen.

Ella wird schwindelig und sie taumelt zurück. Die Kollegen haben bereits den Rettungswagen gerufen. Der Notarzt, der soeben eingetroffen ist, erkennt den Schock der Polizistin umgehend und spritzt ihr, gegen ihren Willen, etwas zur Beruhigung. Sie will nicht müde werden. Sie muss denken und handeln. Ihr Verlobter hält sie fest in seinen Armen. Sie weint bitterlich. Sie spürt, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. Auch der Hund wird unruhiger und sucht in der Wohnung nach seinem Frauchen. Geistesabwesend packt sie ein paar Sachen von Woody ein. Danach fährt Lennard beide nach Hause. Die Autofahrt verläuft schweigend. Keiner der beiden sagt etwas. Er legt Ella in ihr Bett und deckt sie behutsam zu. Nachdem sie endlich eingeschlafen ist und er ihren Atem rhythmisch hört, nimmt er sich die Leine von der Garderobe und beschließt mit Woody eine Runde zu gehen. Nach den Worten des Notarztes wird sie nun einige Stunden schlafen. Er weiß, dass sie jetzt alle Kraft brauchen wird. Ihre ganze Energie wird sich auf die Suche ihrer Freundin konzentrieren. Auch er wird sein Möglichstes beisteuern. Sie gehört zur Familie. Er wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel und geht mit seinem Begleiter in den nahe gelegenen Park. Er will sich sammeln. Die letzte Begegnung mit Olivia spult er immer und immer wieder im Kopf ab. Sie war so glücklich und voller Vorfreude. Er kann nur hoffen, dass es für ihr plötzliches Verschwinden eine gute Erklärung gibt und sie bald wieder vor ihnen stehen wird.

Lennard fällt ein, dass Olivia bei ihrer letzten Begegnung von ihrem Lieblingsitaliener erzählt hat. Dort wollten sich die beiden treffen. Sofort wechselt er die Richtung und ändert seine Route. Matteo trifft er direkt vor dem Restaurant an. Dieser räumt seine Kisten mit Lebensmitteln aus dem Lieferwagen. Gerade hält er eine Kiste mit frischem Spinat in den Händen. Lächelnd nickt er Lennard zu. Der Zahnarzt wechselt die Straßenseite und fragt ihn direkt, bis wann Olivia gestern mit einem Mann in seinem Restaurant war. Der Italiener entgegnet, dass Olivia gestern überhaupt nicht da war. Das hat ihn selbst sehr gewundert, da er sie bisher immer als sehr zuverlässig kannte. Nach seinem heutigen Marktbesuch wollte er sie anrufen.

Die Männer setzen sich in das Restaurant und Lennard berichtet von dem Geschehenen. Matteo ist entsetzt und macht sich Vorwürfe, dass er nicht vorher reagiert hat. Die beiden Männer sorgen sich um Olivia und wissen nicht, wo sie mit der Suche nach ihr starten sollen.

8. Kapitel

Olivia hat den Kopf voller Fragen. Erneut drückt sie die Türklinke herunter, doch die Tür ist und bleibt verschlossen. Sie hört Schritte, die eine Treppe hinabsteigen. Langsame und schwere Schritte. Sie bewegt sich von der Tür weg, hört wie ein Schlüssel in die Tür gesteckt und behäbig umgedreht wird.

Ein ihr völlig unbekannter Mann steht vor ihr. Sein Blick ist ernst. Seine Haltung entschlossen und aufrecht. Tränen schiessen ihr in die Augen. Sie fühlt sich hilflos. Der Mann stellt ein Tablett und einen Zettel vor ihr ab. Danach holt er eine Spritze aus seiner rechten Jackentasche und ehe Olivia bemerken kann was der Fremde vor hat, spürt sie den Einstich der Nadel in ihrem rechten Oberarm. Sofort verschwimmt alles vor ihren Augen. Die Beine knicken weg. Die Kraft schwindet und sie schläft ein.

Ella hat mehrere Stunden geschlafen. Die Realität holt sie wieder ein. Lennard hat ihr zwischenzeitlich berichtet, dass Olivia nie bei Matteo angekommen ist. Irgendetwas muss ihr zwischen ihrer Wohnung und dem Restaurant zugestossen sein. Der Zahnarzt hat die letzten Stunden genutzt, um sämtliche Krankenhäuser in Berlin abzutelefonieren. Es wurde keine weibliche Person in einem der umliegenden Krankenhäusern eingeliefert, auf die die Beschreibung der Servicekraft passen würde. Olivias Eltern hatten noch am Vortag mit ihrer Tochter telefoniert. Sie klang gut gelaunt wie immer. Sie machen sich große Sorgen um ihren Sonnenschein und lassen sich von einem befreundeten Nachbarn direkt zur Polizeistation fahren. Dort wartet bereits ein Polizeibeamter auf sie, der ihnen viel zu viele Fragen stellt. Ihre Köpfe füllen sich mit immer mehr Informationen. Eine jagt die andere. Es bleiben nur Fragen offen. Antworten gibt es noch nicht. Die Polizei verspricht, alles zu unternehmen was möglich ist. Auch wenn in diesem Fall Olivia noch keine 24 Stunden vermisst wird, so werden hier direkt weitere Schritte eingeleitet. In bestimmten Fällen kann eine Vermisstenanzeige auch schon nach wenigen Stunden gestellt werden und dieser Fall wird entsprechend eingestuft. Ein aktuelles Foto der Gesuchten wird umgehend an jede sich im Einsatz befindende Person weitergeleitet. Lennard hat der Polizei bereits die Kleidung von Olivia beschreiben können. Er hat sie als Letzter gesehen. Lennard schluckt schwer, als ihm das in diesem Moment bewusst wird.