E.T.A. Hoffmanns "Der goldne Topf" und "Der Sandmann". Ein Textvergleich im Kontext von Hoffmanns Ästhetik - Eleni Stefanidou - E-Book

E.T.A. Hoffmanns "Der goldne Topf" und "Der Sandmann". Ein Textvergleich im Kontext von Hoffmanns Ästhetik E-Book

Eleni Stefanidou

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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit stellt die Verwandtschaft der zwei Hoffmannschen Texte heraus und diskutiert gleichzeitig die grundlegenden Unterschiede, durch die "Der Sandmann" der negativen Ästhetitik zugeordnet wird, während "Der goldne Topf" den Weg für die positive Ästhetik der Vermittlung zwischen Kunst und Leben bereitet. Dabei kommen auch poetologische Aspekte zur Sprache. Sowohl Der goldne Topf als auch Der Sandmann thematisieren die Entwicklung einer Künstlerfigur und ihr Verhältnis zur Realität. Die Forschung weist mehrmals auf die Verwandtschaft beider Werke hin; sie werden sogar als Text und Gegentext bezeichnet. Gegenstand dieser Arbeit ist daher ein differenzierter Vergleich der Erzählungen, um die zahlreichen Gemeinsamkeiten in Inhalt, Struktur, Figurenzeichnung und Motivik aufzuzeigen. Aufschlussreicher als die Frage nach den Parallelen ist allerdings diejenige nach den wesentlichen Unterschieden. An diesen lässt sich das den Texten zugrunde liegende Ästhetikmodell genau analysieren. Wegen ihrer thematischen Nähe zum Sujet der Ästhetik werden die Komplexe ‚Künstler und Wahnsinn’ sowie ‚Duplizität des Seins’ im selben Kontext erörtert.

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Inhaltsverzeichnis

 

1 Einleitung

2 Hoffmanns Quellen und geistesgeschichtlicher Hintergrund

2.1 Der Atlantis-Mythos

2.2 Sprache und Natur

2.3 Geschichte der Automaten in Literatur und Technik

2.4 Alchemistische Anleihen

2.5 Nachtseiten der Naturwissenschaft

2.5.1 Animalischer Magnetismus

2.5.2 Psychische Krankheiten in der romantischen Medizin

3 Zur Poetik Hoffmanns

3.1 Die Callotsche Manier

3.2 Die Manier der Nachtstücke

4 Dualismen auf der Inhaltsebene

4.1 Der goldne Topf – Vom Dualismus zur Duplizität

4.1.1 Die bürgerliche und die phantastische Welt

4.1.2 Figuren zwischen bürgerlicher und phantastischer Sphäre

4.1.3 Verschiebung der Wahrnehmung

4.1.4 Mystische Kräfte

4.1.5 Text und Subtext

4.2 Der Sandmann – Autonomie der Imagination

4.2.1 Projektion innerer Bilder auf die Außenwelt

4.2.2 Verschiebung der Wahrnehmung

4.2.3 Die Automaten und ihre Schöpfer

4.2.4 Wahn oder Wirklichkeit?

5 Absolutismus und Relativierung der Subjektivität – Weiterführender Vergleich der Dualismen im Kontext von Hoffmanns Ästhetik

5.1 Der Glaube an das Wunderbare

5.2 Selbstspiegelung in den Frauenfiguren

5.3 Die Rolle mystischer Mächte

5.4 Ironie und Trauma – Vergleich zweier Szenen

5.5 Duplizität und Ästhetikkonzepte

5.6 Spiegelkonfigurationen in Struktur und Handlung

6 Einleitung der Vermittlung auf der Ebene der Erzähler

6.1 Umsetzung von Hoffmanns Poetik

6.2 Die Poetik des Spiegelbildes: Selbstreflexion und Fiktion als Wege aus den Aporien der negativen Ästhetik

7 Schlusswort

8 Literaturverzeichnis

8.1 Primärliteratur

8.2 Sekundärliteratur

 

1 Einleitung

 

Sowohl Der goldne Topf als auch Der Sandmann thematisieren die Entwicklung einer Künstlerfigur und ihr Verhältnis zur Realität. Die For­schung weist mehrmals auf die Verwandtschaft beider Werke hin;[1] sie werden sogar als Text und Gegentext bezeichnet.[2] Gegenstand dieser Arbeit ist daher ein differenzierter Vergleich der Erzählungen, um die zahlreichen Gemeinsamkeiten in Inhalt, Struktur, Figurenzeichnung und Motivik aufzuzeigen. Aufschlussreicher als die Frage nach den Parallelen ist allerdings diejenige nach den wesentlichen Unterschieden. An diesen lässt sich das den Texten zugrunde liegende Äs­thetikmodell genau analysieren. Wegen ihrer thematischen Nähe zum Sujet der Ästhetik werden die Komplexe ‚Künstler und Wahnsinn’ sowie ‚Duplizität des Seins’ im selben Kontext erörtert.

 

Die Frage nach der Wirklichkeit stellt eine der Kernfragen in Bezug auf E.T.A. Hoffmanns Gesamtwerk dar. Der Kontrast zwischen der Realität des Alltags, in welcher das Leben in geordneten Bahnen verläuft, und dem phantastischen Bereich, in dem sich wunderbare Phänomene ereig­nen, hat die Forschung schon zu zahlreichen Deutungen angeregt. Wäh­rend frühere Arbeiten von einem antagonistischen Dualismus zweier un­verein­barer Bereiche ausgingen, wird inzwischen der enge Zusammen­hang der beiden Welten betont. Deren Kontrast diene folglich einer umfassenden Darstellung der Duplizität des Seins.[3]

 

Die Künstlerfiguren in Hoffmanns Werk sind diejenigen Personen, die für die phantastische Sphäre offen sind und die sich daher im bürgerlichen Alltag oft nicht heimisch fühlen. Ihr poetisches Gemüt, das sie für die Welt des Phantastischen empfänglich macht, setzt sie gleichzeitig in gefährli­che Nähe zum Wahnsinn, der mitunter bis zum Tod der Figuren eskaliert.

 

Die Kunstthematik ist der zentrale Gegenstand in Hoffmanns Werk. In fast allen seinen Texten geht es um die künstlerische Subjektivität in ihrem Gegensatz zur äußeren Realität.[4] Diese Opposi­tion hat ihren Ursprung in der Autonomieästhetik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Kunst wird als in sich selbst begründet definiert; sie ist nicht mehr an soziale Zwecke und äußere Erwartungen gebunden. Die Verabschiedung eines moralischen Anspruchs des Kunstwerks lenkt den Fokus auf die sich im kreativen Schaffen vollziehende Selbstreflexion und etabliert die Kunst als Erkenntniswerkzeug. Mit der Schaffung des Schönen korrespondiert eine universelle Daseinsbetrachtung. Subjektivismus und Genie­ästhetik des Sturm und Drang erheben schließlich den Künstler zum Schöpfer einer eigenen Gegenwelt. Die Gefahren der übersteigerten Subjektivität sind jedoch Wirklich­keitsverlust und Selbstzerstörung.[5] Diese bereits in der Geniezeit aufkommende Kritik am Subjektivismus nimmt die Frühromantik unter Einfluss des deutschen Idealismus allerdings wieder zurück. Das sich in der Spannung von Idealität und Realität bewegende Denken der Romantik fördert den Antagonismus zwischen Poesie und Leben.[6] Wackenroders Schlüsselroman Herzergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1796/97) bringt die Kunst sogar in die Nähe der Religion und erhebt sie dadurch zur transzendenten Größe par excellence. Der hohe Stellenwert der Kunst obstruiert die Vermittlung zwischen Poesie und Alltag, Subjektivität und Realität.[7]

 

Daraus resultiert die ästhetische Frage nach einer der Kunstproduktion förderlichen Wirklichkeitsauffassung. Als Wissenschaft von den Gesetzen und Grundlagen des Schönen thematisiert die Ästhetik auch die gesellschaftliche Funktion von Kunst sowie deren Produktions- und Rezeptionsbedingungen. Die Trennung von der Gesellschaft betont zwar die Relevanz der autonomen Imagination, doch die tragische Spannung zwischen Poesie und Leben, welche das Künstlerdasein prägt, führt zwangsläufig zu Konflikten der künstlerischen Innerlichkeit mit den Anforderungen der Außenwelt.[8] Im Bild des vom Wahnsinn bedrohten Künstlers drückt sich daher eine Prob­lematik aus, die das Verhältnis von Kunst und Leben sowie Kunst und Gesellschaft hinterfragt.

 

Diese Grundfrage verarbeitet E.T.A. Hoffmann in der Mehrzahl seiner Werke zu einem kunstidololatrischen Modell einer negativen Ästhetik. Nach der Definition von Claudia Liebrand meint „negative Ästhetik“ die prinzipielle Unvermittelbarkeit von ‚Kunst’ und ‚Leben’. Der poetische Absolutismus hat eine unüberwindbare Kluft zwischen diesen Bereichen zur Folge.[9] In den Erzählungen, welche der negativen Ästhetik verpflichtet sind, steht die Kunst – und mit ihr der Künstler – außerhalb des sozialen Gefüges. Sie wird der Sphäre des Transzendenten zugeordnet und negiert deswegen jeglichen Bezug zur materiellen Alltagswelt. Die Künstler fallen dieser Dichotomie zum Opfer, da der poetische Absolutismus als soziale Devianz eine Gefahr für die bürgerliche Existenz darstellt. Weiterhin schränkt die Spaltung von der Gesellschaft die Wirkungsmöglichkeiten des Kunstwerks ein. Die Erzählungen stagnieren je­doch nicht in dieser Konzeption, sondern enthalten Subtexte, welche die Aporien der negativen Ästhetik kritisieren, und Stra­tegien, an­hand derer die Vermittlung von Gesellschaft und Kunst im Text dargestellt wird.[10] „Im Prozeß der poetischen Setzung der negativen Ästhetik ist also schon ihre Subversion angelegt.“[11]

 

DerSandmann bildet den Höhepunkt der negativen Ästhetik in Hoffmanns Werk; deren Aporien kulminieren bis zur Selbstaufhebung dieses Konzepts.[12] Auch der Goldne Topf basiert auf dem Modell der negativen Ästhetik. Eine endgültige Vermittlung zwischen Poesie und Realität findet noch nicht statt; die Absage an das bürgerliche Leben wird hier aber anders bewertet als im Sandmann. Die Einordnung des Goldnen Topfs als poetisches Märchen und des Sandmanns als Schauergeschichte ist ein erster Hinweis auf die effektvollen Strategien, mit denen der Goldne Topf den Aporien der negativen Ästhetik ausweicht und eine Vermittlung zwischen Kunst und Leben einleitet. Dadurch leistet er ent­scheidende Vorarbeit für die Entwicklung der positiven Ästhetik, welche Hoffmann in Prinzessin Brambilla realisiert.[13]

 

Wolfgang Nehring ist im Kontext der Duplizität des Seins auf die enge Verwandtschaft der beiden Texte hinsichtlich Handlung, Personal und Erzählstruktur eingegangen; an entsprechender Stelle wird darauf Bezug genommen. Bezüglich der Varianten von Hoffmanns Ästhetik erörtert die Studie Claudia Liebrands Erkenntnisse unter Zugrundelegung ihrer Ästhetik-Definition. Allerdings wird im Folgenden im Gegensatz zu Liebrand nicht von einer systematischen Entwicklung von der negativen zur positiven Ästhetik hin ausgegangen, da dies der chronologischen Ordnung der Werke entgegenläuft.[14]

 

Zu Beginn informiert ein Überblick über den geistesgeschichtlichen Hintergrund und die Quellen, die Hoffmann in den Erzählungen verarbeitet hat. Auf diese Weise lässt sich der Stellenwert der naturphilosophischen und medizinischen Inhalte differenziert einschätzen. Dem folgen Ausführungen zu Hoffmanns Poetik. Diese sind notwendig, weil das ästhetische Problem der Vermittlung zwischen Kunst und Leben eine poetologische Schwierigkeit enthält: Das Verhältnis dieser zwei Größen wirkt sich auf die Kunstproduktion, die ästhetische Qualität des Werks und dessen Rezeption aus.

 

Die Analyse widmet sich zunächst den Dualismen auf der Inhaltsebene, welche in beiden Erzählungen die Dynamik der Handlung prägen. Dieser Teil des Vergleichs betrachtet die Texte separat, folgt aber einer kongruenten Vorgehensweise. Im Goldnen Topf sind die Antagonismen zwischen bürgerlicher und phantastischer Welt von besonderer Bedeutung; auch eine Zuordnung der Figuren zu den entsprechenden Bereichen wird unternommen. Hier wie auch bei der Untersuchung der fluktuierenden Wahrnehmung der Realität zeigt sich die wechselseitige Durchdringung der zwei Seinsbereiche. Ferner erhellt die Analyse der Dualismen innerhalb der mystischen Dimension diesen Aspekt. Schließlich ist es notwen­dig, die Existenz eines Subtextes zu diskutieren, welcher das Ende des Märchens relativieren und die enge Verwandtschaft zur Schauergeschichte unterstreichen würde. Den Sandmann dominiert das Thema des Subjektivismus als Wahrnehmungsform eines pathologischen Realitätsverlusts in Opposition zur Rationalität. Da hauptsächlich der Subjektivismus des Protagonisten die Existenz der phantastischen Sphäre postuliert, entfällt hier eine Zuordnung der anderen Figuren zu den verschiedenen Seinsbereichen; auf den Aufbau seiner Illusionen wird jedoch genauer eingegangen. Des Weiteren wird die Rolle von Coppelius/Coppola und Spalanzani als Gegenspieler Nathanaels untersucht. Darauf folgt die Diskussion zweier widerstreitender Interpretationen der Ursachen von Nathanaels Wahnsinn.

 

Die Ergebnisse des ersten Teils werden in einem direkten Vergleich der Erzählungen erweitert. Die Gegenüberstellung mehrerer parallelen Elemente rückt die grundlegenden Unterschiede in den Vordergrund, so dass die konträre Ausrichtung der Texte deutlich wird. Dabei geht die Arbeit auch speziell auf zwei Szenen ein, die eine frappierende Ähnlichkeit aufweisen.

 

Durch die unterschiedliche Bewertung der Subjektivität beziehen die Erzählungen divergente Positionen hinsichtlich der Duplizität der Realität. Deren Auswirkungen auf die Ästhetikkonzepte werden gleichfalls betrachtet. Eine kurze Analyse der Spiegelkonfigurationen in Struktur und Handlung untermauert die Ergebnisse zur inhaltlichen Gestaltung der Dualismen und zu den Unterschieden der Ästhetikmodelle.

 

Weiterhin befasst sich die Studie mit der Umsetzung von Hoffmanns Poetik. Die Untersuchung der Frage, inwieweit diese auf der Figuren- und Erzählerebene realisiert ist, hilft bei der Bewertung der Ästhetikkonzepte. Nur einem Protagonisten gelingt die Dichterwerdung, doch die selbstreflexive Behandlung dieses Problems auf der Erzählerebene eröffnet in beiden Texten Wege aus den Aporien der negativen Ästhetik. Anschließend wird die Inszenierung der Fiktion im Sinne einer Poetik des Spiegelbildes behandelt. Besonders interessant ist hierbei die Untersuchung der ähnlichen, aber in unterschiedlichem Maße eingesetzten Mittel, mit denen beide Erzählungen das Modell negativen Ästhetik subvertieren. Eine Erörterung weiterführender Aspekte rundet die Untersuchung ab.

 

2 Hoffmanns Quellen und geistesgeschichtlicher Hinter­grund

 

2.1 Der Atlantis-Mythos

 

Nach Auffassung der Romantiker sind Märchen und Mythen Darstellungen einer Zeit, in der die Sprache der Natur verständlich und bedeutsam war.[15] Im Goldnen Topf steht dafür der Mythos von Atlantis, welches in der Litera­tur als das Paradies der Künstler gilt. Verbunden mit dem Bild des Para­dieses sind stets Wunschvorstellungen von Zeiten vollkommener Harmo­nie zwischen Mensch und Natur sowie Kritik am gegenwärtigen Zustand der menschlichen Entartung.[16] Nach Anspielungen auf das Paradies in der ersten Vigilie führt Hoffmann den Atlantis-Mythos in der dritten Vigilie durch den Archivarius Lindhorst ein, der von seinen Vorfahren erzählt. Dies beginnt in Form eines Schöpfungsberichts mit wörtlichen Anleihen aus der Bibel.[17] In der achten Vigilie wird die Geschichte von Serpentina weiter­erzählt, was mit einem Hinweis auf die mögliche Wiedererlangung des ursprünglichen harmonischen Zustands endet.

 

Der Mythos als Vorgeschichte des Märchens konstituiert somit eine zeitli­che Reihenfolge der verschiedenen Handlungsebenen: Der vorgeschichtliche Einklang mit der Natur geht der bürgerlich geprägten Wirklichkeit voraus, welcher wiederum die neue, durch die Poesie erlangte Harmonie folgen wird. Angelehnt ist dies an die idealistische Dreischrittlehre, wie sie vor allem in Novalis’ Märchen eingearbeitet ist.[18] Dieser betont ebenfalls die Kindlichkeit und Liebe als Voraussetzungen zur Annäherung an ein goldenes Zeitalter im Sinne des Atlantis-Mythos.[19]

 

Eine ähnliches Konzept entwickelt Gotthilf Heinrich Schubert mit einem triadischen Geschichtsmo­dell in seinen Ansichten von der Nacht­seite der Naturwissenschaft (1808). Demnach haben im Land Atlantis die Menschen in Harmonie mit der Natur gelebt und wurden von ihr gelenkt. Diese Einheit zerstörte der Mensch in dem Moment, als er anfing, nach einem ursprünglicheren als dem natürlichen Gesetz zu suchen. Die Natur hörte auf, zum Menschen zu sprechen, und damit auch das Unendliche, das göttliche Sein, das durch sie gesprochen hatte. Jedoch verfügt der Mensch durch seine Veranlagung zur Poesie weiterhin über ein göttliches Element; die Wiederentdeckung seines dichterischen Potentials führt ihn erneut zu Gott.[20] Wörtliche Anleihen bei Schu­bert sind z.B. Atlantis als Reich des Urvolks, der Charakter des Phospho­rus, der in antiken Mythen die Gleichzeitigkeit von Liebe und Tod symbolisiert, sowie die Feuerlilie als Symbol der harmo­nischen Erfüllung.[21]

 

Schuberts Modell basiert auf Friedrich Wilhelm Schellings Werken, dessen idealistische Naturphilosophie Hoffmann ebenfalls in den Atlantis-Mythos einbindet. Gemäß Schelling gibt es einen allgemeinen Dualismus, der die ganze Schöpfung durchzieht und der sich beispielhaft im Licht zeigt. Überall in der Natur opponiert die positive Kraft, durch die alles vorwärts strebt, mit einer negativen Kraft, die alles zurückführt. Beide Prinzipien werden jedoch von der Weltseele erfasst, die somit in Form des Unendlichen eine Einheit stiftet. Folglich sind das Unendliche und das Endliche, die positive und die negative Kraft miteinander verschmolzen und er­kennen sich aufgrund ihrer wechselseitigen existentiellen Abhängigkeit gegenseitig. Die Wahrheit liegt in der Vereinigung beider Prinzipien, was auch die Erkenntnis ist, die Hoffmann durch die Kunst vermittelt sehen möchte.[22]

 

2.2 Sprache und Natur

 

Durch das Kopieren von Manuskripten, mit denen er die Entwicklung der Sprache zurückverfolgt, wird Anselmus zum Dichter und kann in das phantastische Reich einziehen. Denn das Verständnis der Natursprache ist die Voraussetzung für die Rückkehr zum harmonischen Urzustand. Die Romantik lokalisiert den Orient als Wiege der Zivilisation und als Entste­hungsort der menschlichen Sprache. Nach Johann Gottfried von Herder ist die Sprache nicht göttlichen Ursprungs, sondern entstand durch die Imitation von Lauten in der Natur. Im Laufe ihrer Entwicklung wurde sie immer komplexer, so dass die enge Verbindung zwischen dem Wort als Symbol und dem bezeichneten Objekt verloren ging.[23] Analog wandelt sich Anselmus’ Tätigkeit vom Kopieren von Buchstaben zum „Nachmalen“[24] pflanzen- und tierähnlicher Zeichen.

 

Die enge Verbindung von Schöpfung und Sprache betont Hoffmann durch eine weitere These der romantischen Naturphilosophie. Mit dem „Drei­klang heller Kristallglocken“ (FN 183), welchen die drei Schlangen von sich geben, referiert er auf die naturphilosophische Klangfigur. Dabei han­delt es sich um Muster, die auf mit Spänen besäten und zur Vibration ge­brachten Glasscheiben entstehen. Die Romantiker sehen sie als Zeichen für die gesamte Natur, für das Unbewusste und den bestimmenden Rhythmus des Universums. Zudem dienen sie als Bestätigung für die idealistische These, dass die gesamte Schöpfung aus Schrift und Sprache besteht. In der Kunst ermöglichen die Klangfiguren die Verbindung von Sprache und Na­tur sowie die Vermittlung der Künste durch Synästhesien. Kunstproduktion und Naturphilosophie bedürfen einander, weil die Urschrift, die der Künst­ler sucht, in der Natur liegt und die verworrenen Formen der Natur wie­derum in der Kunst gefunden werden können.[25]

 

2.3 Geschichte der Automaten in Literatur und Technik

 

Bereits in der Mythologie der Antike findet sich das Motiv des künstlichen Menschen, etwa in Hesiods Pandora oder Ovids Pygmalion. Schon damals ermöglicht die Technik den Bau selbstbeweglicher, mechanischer Kunstwerke.

 

In der Literatur des Mittelalters werden wiederholt bewegliche Statuen und mechanische Vögel erwähnt, die dem damaligen Stand der Technik ent­sprechen. Mit dem Aufblühen der Uhrmacherkunst im 14. Jahrhundert wird der Bau immer komplexerer Automaten realisierbar. Seit dem 18. Jahrhundert gilt das Uhrwerk als Symbol der Ordnung, der Harmonie und des von Gott geschaffenen, regelgerecht funktionierenden Universums. Ständig weiter perfektionierte Automaten imitieren die menschliche Sprache und verschiedene Körperfunktionen. Gleich­zeitig kommt es zu Betrugsfällen durch Scheinautomaten, d.h. durch sich als Automaten ausgebende Menschen. Schließlich widmet sich die Tech­nik primär der Entwicklung von Nutzmaschinen.[26]