Echte Selbstfürsorge ist eine radikale Entscheidung für dich selbst - Nina Mouton - E-Book

Echte Selbstfürsorge ist eine radikale Entscheidung für dich selbst E-Book

Nina Mouton

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Beschreibung

Du willst alles unter einen Hut bringen, aber hast Angst vor einem Burnout? Self-Care ist die Lösung. Also rein in die Badewanne, Kerzen kaufen, Yoga machen und NEIN! Das ist zwar entspannend, aber echte Selbstfürsorge ist es nicht! Nina Mouton, klinische Psychologin und Psychotherapeutin aus Belgien, zeigt uns in ihrem Bestseller, was es wirklich braucht für ECHTE Selbstfürsorge: Zu Beginn steht die radikale Entscheidung für dich selbst, gefolgt von der Ehrlichkeit herauszufinden, was du wirklich brauchst, und schließlich Durchhaltevermögen, um eingefahrene Muster zu durchbrechen. So easy wie ein Wannenbad? Ganz bestimmt nicht! Aber eine wundervolle Reise zu dir selbst und deinen Bedürfnissen. Klingt egoistisch? Ist es aber nicht, denn nur wenn du dich um dich selbst kümmerst, kannst du auch für andere da sein.

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NINA MOUTON

Mit Illustrationen von Eva Mouton übersetzt von Birgit van der Avoort

ECHTE Selbst fürsorge

IST EINE RADIKALE ENTSCHEIDUNGFÜR DICH SELBST

Für die kleine Eva und für die kleine Nina

Inhalt

Einleitung. Den eigenen Panzer ablegen

Selbstfürsorge braucht Zeit

Sich um das innere Kind kümmern

1. Was ist Selbstfürsorge?

Selbstfürsorge ist …

Selbstfürsorge ist nicht …

2. Selbstfürsorge beginnt damit, Gefühle zuzulassen

Reizüberflutung

Touched-out-Syndrom

Hyperventilation

Schmerz und Belastung

Weitere Signale …

3. Versteckte Ursachen von Stress: Traumata und innere Stimmen

Wir müssen über Stress sprechen

Wir müssen über Traumata sprechen

Innere Stimmen

Stress und Trauma sind untrennbar verbunden

Unterschiedliche Reaktionen auf Stress

Erste Hilfe bei Stress

Du musst wissen, was du fühlst

4. Ein Recht auf Verletzlichkeit

Verletzlich sein? Lieber nicht!

Verletzlichkeit versus Selbstschutz

Verletzlichkeit ist eine Stärke

Verletzlichkeit zeigen ≠ Opfer sein

5. Muster, Muster, Muster: Der Einfluss von Bindung, Parentifizierung und Loyalität

Bindung

Parentifizierung

Loyalität

Geben und Nehmen in Balance

Fünf Sprachen der Liebe: Welche Sprache sprichst du?

6. Deine blauen Flecken und dein inneres Kind umsorgen

Dein inneres Kind

Sanfte Mantras

Innere Stimmen zur Selbstfürsorge

7. Zum Schluss: Selbstfürsorge ist der Anfang von allem

Über Geschlechter- und Generationsunterschiede

Ein neuer Anfang

Dank

Das Team

Weiterführende Literatur

Impressum

Einleitung. Den eigenen Panzer ablegen

Bei mir würden sie sicher nichts finden. Sie, das waren die beiden Supervisoren des kontextuellen Therapiekurses. Und mir, nun ja, das war ich. So ein kontextueller Therapiekurs ist dazu da, sich als angehende Therapeutin und angehender Therapeut mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Aber ich hatte die perfekten Eltern, die perfekte Kindheit und die perfekte Jugend. Ich war mir völlig sicher: Egal, wie sehr sie sich bemühten, sie würden bei mir keine alten Verletzungen oder unverarbeiteten Traumata entdecken. Nein, ich würde nicht diejenige sein, die im Kurs in Tränen ausbrach.

Ich wurde nie wütend. Ich war stärker als meine Wut. Ich war auch nie traurig. Ich war stärker als meine Trauer. Ich hatte auch nie Angst … denn ich war – du errätst es schon – stärker als meine Angst. Aber nichts lag der Wahrheit ferner. Während der Sitzungen wurde mir klar, dass ich seit mehr als 30 Jahren in völliger Verleugnung gelebt hatte. Und langsam, aber sicher, wie beim Klopfen an ein hart gekochtes Ei, zerbrach die perfekte Schale um mich herum. Sie fanden tatsächlich etwas. Und noch etwas mehr. Und ehe ich mich’s versah, waren die Tränen auch schon da.

Zum Glück. Denn dank dieses Kurses wurde mir klar, dass es vielleicht gar nicht so schlimm war, dass ich mich nie getraut habe, wirklich wütend oder wirklich traurig zu sein oder wirklich Angst zu haben. Mein perfekter Panzer war nichts weiter als genau das: ein Panzer. Und, oh, es fühlte sich so gut an, endlich diese Schutzschicht abzulegen. In der Lage zu sein, zu weinen, sich verletzlich zu fühlen. Endlich von jemand anderem getragen zu werden. Meine Gefühle wirklich zu spüren. Nicht nur die schwierigen, sondern auch die schönen Gefühle.

Denn ich musste mir eingestehen: Mein Panzer schützte mich nicht nur vor schmerzhaften Gefühlen, sondern sorgte gleichzeitig dafür, dass ich mich schon lange nicht mehr wirklich glücklich gefühlt hatte. Ich sah meine Kinder unbeschwert und fröhlich die Wildwasserbahn hinuntersausen und mir wurde klar: Hey, das habe ich als Kind auch gern gemacht. Warum konnte ich es jetzt nicht mehr genießen?

Unter meinem starken Panzer steckte ein verletzter Mensch, mit kleinen und großen Blessuren, Prellungen und Traumata. Der Kurs war ein Weckruf: Sie sagten mir, was ich eigentlich schon wusste, aber nicht zuzugeben wagte: Wir alle tragen Traumata mit uns herum. Ich. Und du. Wir alle haben blaue Flecken, wir alle haben in unserer Kindheit, in unserer Jugend – und auch später im Leben – Kummer und Schmerz erlebt. Und wir tragen diesen Schmerz und die Erfahrungen mit uns, auch wenn wir uns wünschten, dass es anders wäre.

Was dachtest du, als du dieses Buch gesehen hast? „Ach, Selbstfürsorge, so schwer ist das doch nicht, oder? Ich kümmere mich ziemlich gut um mich selbst. Ich unternehme regelmäßig etwas mit meinen Freunden. Ich entspanne mich regelmäßig bei einem heißen Bad, ernähre mich gesund, treibe Sport, lese Bücher. Von Zeit zu Zeit nehme ich mir auch wirklich Zeit für mich.“ Und doch spürst du tief in deinem Inneren, dass das nicht ausreicht, dass irgendwo etwas drückt, dass etwas fehlt. Sonst würdest du jetzt nicht dieses Buch lesen. All diese Dinge, die du gerade aufgezählt hast, sind Beispiele für Me-Time. Und ja, all das ist wichtig. Damit kannst du deine Batterien aufladen und sie bieten dir ein Ventil. Aber das ist nicht die Selbstfürsorge, über die ich mit dir sprechen möchte.

Nein, Selbstfürsorge geht tiefer. Selbstfürsorge führt zu deinem wahren Selbst zurück. Das Selbst, das du während des Aufwachsens verloren hast. Es geht um Antworten auf Fragen wie: Was kannst du wirklich geben? Was brauchst du? Kannst du Dinge von jemand anderem akzeptieren? Kannst du dir selbst geben, was du brauchst? Wie geht es deinem Körper? Ignorierst du, wie so viele von uns, Körpersignale? Wie sieht es mit deinen Beziehungen aus? Bist du die Freundin oder der Freund, die oder der sich immer anpasst? Die Kollegin, die immer Ja sagt, auch wenn sich deine Arbeit stapelt? Oder bleibst du immer konsequent und stiftest auch mal Unruhe? Wo sind deine Grenzen? „Grenzen“ ist inzwischen ein inflationär verwendetes Wort. Denn Grenzen werden ohne Rücksicht auf andere gezogen. Aber wie macht man das, Grenzen ziehen und gleichzeitig Rücksichtnahme gegenüber anderen und sich selbst finden?

Selbstfürsorge braucht Zeit

Bei Selbstfürsorge geht es nicht um Zeitmanagement, Sport, gesunde Ernährung oder eine Bucket-List, die man abarbeiten muss. Diese Dinge können hilfreich sein, aber sie reichen nicht. Bei Selbstfürsorge geht es darum, wie du im Leben stehst, ohne dich selbst zu verleugnen.

Bei Selbstfürsorge geht es um ich auch und nicht um nur ich oder nur die anderen. In der Tat geht es darum, immer wieder ein Gleichgewicht zwischen der Selbstfürsorge und der Sorge um andere zu finden. Manchmal ist das eine wichtiger, manchmal das andere. Du musst bewusste Entscheidungen treffen. Es wird Zeiten geben, in denen du dich radikal für dich selbst entscheidest. Manchmal zu radikal. Andere Male entscheidest du dich bewusst für andere. Und manchmal treffen wir unterbewusst Entscheidungen. Auch das ist in Ordnung, denn daraus lernen wir. Nichts ist völlig falsch, nichts ist völlig richtig.

Dieses Buch kannst du nicht in einem Rutsch lesen. Und ehrlich gesagt, empfehle ich es dir auch nicht. Du könntest natürlich versuchen, es an einem Tag durchzulesen. Aber ein solches Vorgehen zeugt nicht von Selbstfürsorge. Nein, echte Selbstfürsorge braucht Zeit. Und wenn du nun denkst: „Nina, ich habe keine Zeit, ich brauche jetzt Selbstfürsorge!“ Dann kann ich sagen, dass ich dieses Gefühl von Dringlichkeit verstehe. Aber gerade jetzt – in diesem Moment – musst du dir Zeit nehmen.

Lies dieses Buch Schritt für Schritt. Leg es von Zeit zu Zeit zur Seite. Lass den Inhalt auf dich wirken. Und nimm dir Zeit. Wenn du erwartest, dass dieses Buch der heilige Gral ist, mit dem du dich wie von Zauberhand um dich selbst kümmern kannst, muss ich dich leider enttäuschen.

Echte Selbstfürsorge ist ein Prozess. Dieses Buch wird dir hoffentlich helfen, diesen Prozess in Gang zu setzen. Folge aber unbedingt deinem eigenen Tempo. Das hier ist kein Wettkampf, mit dem Ziel, am Ende die meisten Selbstfürsorgepunkte zu gewinnen. Sind deine Freundinnen und Freunde, die mit dir dieses Buch lesen, schon auf Seite 81 und du grübelst noch über Seite 5 nach? Na und? Ihr alle sorgt für euch selbst am besten, indem ihr eurem eigenen Tempo folgt.

Sich um das innere Kind kümmern

Wie kommt es, dass man sich so gut um andere kümmern kann, während man sich selbst gern vergisst? Das ist die zentrale Frage. Oberflächlich lässt sich diese Frage vielleicht leicht beantworten, aber wenn wir sie wirklich beantworten wollen, müssen wir graben. Tief graben.

Eines kann ich dir verraten: Echte Selbstfürsorge gibt es erst, wenn du als Erwachsener anfängst, dich um dein inneres Kind zu kümmern. Wir alle sind mit blauen Flecken übersät, die von Erfahrungen in unserer Kindheit und Jugend herrühren. Und im Laufe der Jahre kommen immer neue hinzu. Oder alte Flecken machen sich wieder bemerkbar, weil jemand auf sie drückt. Frag dich selbst: „Warum bin ich so wütend auf meine Kinder, meinen Partner, meine Freunde oder Freundinnen, meine Kollegen, meine Chefin, meine Eltern, ja sogar auf die Welt?“ Weil sie alle auf diese blauen Flecken drücken.

Jetzt denkst du vielleicht: „Okay, Nina, zeig mir einfach, wie ich diese blauen Flecken loswerde.“ Nein. Dieses Buch ist kein Skalpell, mit dem du blaue Flecken herausschneiden kannst. Das ist nicht das Ziel. Es ist außerdem unmöglich. Diese blauen Flecken sind ein Teil deines Lebens, sie sind ein Teil von dir. Du kannst sie nicht chirurgisch entfernen. Das Ziel ist also nicht, die blauen Flecken loszuwerden, sondern sie zu erkennen, anzuerkennen und in dein Leben zu integrieren, damit sie abklingen können.

„Okay, Nina, dann zeig mir, wie ich die Trigger aus meinem Leben entferne – die Menschen und Ereignisse, die auf meine blauen Flecken drücken. Dann kann ich meinen Frieden finden.“ Auch da muss ich dich enttäuschen. Denn auch die Trigger gehören zum Leben. Du wirst lernen, nicht mehr unterbewusst auf sie zu reagieren und dich besser gegen sie zu wappnen. Es bringt nichts, Trigger auf ein Minimum zu reduzieren. Das führt nur zu Einsamkeit. Und das hilft dir nicht bei der Selbstfürsorge. Nein, Selbstfürsorge bedeutet, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, und Bindung ist ein menschliches Bedürfnis, das wir alle haben. Zugegeben, manche brauchen mehr Menschen um sich herum als andere, aber wir alle brauchen Bindung.

Die blauen Flecken und Trigger sind also nicht das eigentliche Problem, sondern vielmehr das schwer Fassbare, das Sprachlose, das mit ihnen einhergeht. In diesem Buch helfe ich dir, die Muster, in denen du schon lange feststeckst, in Worte zu fassen. Gemeinsam werden wir diese Muster analysieren und Werkzeuge finden, um neue, konstruktive Muster zu schaffen.

Da ich Psychologie studiert habe, betrachte ich Selbstfürsorge durch die Brille der Psychologin. Es gibt so viele Bücher über Selbstfürsorge, wie es Brillen gibt. Deshalb musst du wissen, welche Brille ich trage und wie ich den Inhalt dieses Buches betrachte. Dieses Buch ist mein persönlicher Beitrag zur Debatte über Selbstfürsorge. Es gibt zweifellos andere interessante Beiträge, nur liegen sie außerhalb meines Fachgebiets.

Aber Achtung: Was ich in diesem Buch schreibe, mag teilweise recht herausfordernd klingen. Wenn du das beim Lesen nicht so empfindest, dann bist du entweder jemand, der sehr geerdet ist (hurra!), oder jemand, der äußerlich alles vertuscht, aber innerlich einen riesigen Kampf führt. Ich übertreibe ein wenig, weil ich möchte, dass du in Bezug auf deinen inneren Schmerz ehrlich zu dir bist. Und es ist völlig normal, Widerstand zu spüren. Ich bin mir durchaus bewusst, dass du dieses Buch wahrscheinlich von Zeit zu Zeit wütend in die Ecke werfen möchtest – und es vielleicht auch tust. Oder es frustriert weglegst, um es dann – nach einiger (langer) Zeit – wieder zur Hand zu nehmen. Das alles ist in Ordnung. Es ist dein Prozess, du bestimmst das Tempo.

Hast du das Gefühl, dass sich durch die Lektüre dieses Buches etwas in dir löst? Verarbeite die Erfahrungen nicht allein. Geh Schritt für Schritt vor und hol dir Hilfe, wenn du nicht weiterkommst oder wenn dir alles zu viel wird. Auch das ist Selbstfürsorge. Dein Hausarzt kann dich an einen Psychologen, Psychotherapeuten oder Coach in deiner Nähe verweisen.

KAPITEL 1

Was ist Selbstfürsorge?

Wie schön, dass du dieses Buch aufgeschlagen hast. Und noch schöner, dass du dir Zeit für deine eigene Selbstfürsorge nehmen willst. Denn darum geht es in diesem Buch: sich um sich selbst zu kümmern. Den ganzen Tag über kümmern wir uns um andere: Kinder, Eltern, Freunde, Nachbarn oder Kollegen. Selbstfürsorge bleibt dabei oft auf der Strecke.

Du stehst auf, sorgst dafür, dass alle (auch du selbst) gewaschen und angezogen sind und mit vollem Magen in die Schule, in den Kindergarten oder zur Arbeit gehen. Dann machst du dich auf den Weg, um pünktlich deinen eigenen Tagesaktivitäten nachzukommen. Du wechselst zwischen deinen Aufgaben hin und her, hoffst, dass die Besprechung schneller vorbei ist, und eilst zur Kita. Um dann von deinen Kindern zu hören: „Wieso holst du uns schon ab?“

Du rennst nach Hause, beladen mit Einkäufen, und beginnst die dritte Schicht des Tages. Alle satt? Sauber? Im Bett? Dann stellst du dir die wichtige Frage: „Mache ich noch etwas für mich, mit meinem Partner oder Freunden oder krieche ich früh ins Bett?“ Und schläfst dann ein, bevor deine Lieblingsserie auf Netflix überhaupt angefangen hat. Oder dein Partner muss dir etwas dreimal sagen, weil er nicht mehr zu dir durchdringt. Wie auch immer: In beiden Fällen hattest du keine Zeit für dich. Geistlose Berieselung war eindeutig nicht das, was du brauchtest. Und dem romantischen Abend zu zweit hast du nur dem Partner zuliebe zugestimmt.

Und so geht es tagein, tagaus. Wir wissen – oder glauben zu wissen –, was andere brauchen. Wir geben anderen, was wir denken, das wir geben sollten. Wir überfordern uns selbst, weil wir uns nicht trauen, abzusagen (was wird man von mir denken?). Wir trauen uns nicht mehr, unsere Gedanken zu äußern, weil sie beim letzten Mal nicht ernst genommen, heruntergespielt oder schlichtweg ignoriert wurden. Und ehe wir’s uns versehen, ist da ein neuer blauer Fleck, eine neue Verletzung. Und wir passen uns an, um den Schmerz nicht zu spüren.

Natürlich übertreibe ich. Doch ich bin mir sicher, dass du irgendwann einmal etwas Ähnliches erlebt hast. Ich habe das auf jeden Fall.

Aber was genau ist Selbstfürsorge? Eine gute Frage. Eine, die ich gern mit einem Beispiel aus meinem eigenen Leben beantworten möchte. An diesem Beispiel versuche ich, die Grundlagen echter Selbstfürsorge zu erklären: auf die eigenen Bedürfnisse zu achten.

Montagmorgen. Eine anstrengende Woche liegt hinter mir und auch die neue Woche wird wieder anstrengend. Außerdem war das Wochenende kein richtiges Wochenende, denn ich habe fast die ganze Zeit gearbeitet. Ich bin müde. Müde von der Arbeit und weil ich nicht gut geschlafen habe. Nach meinem Morgenkaffee lässt dieses Gefühl nicht nach, ganz im Gegenteil. Aber ich muss heute eine ganze Reihe von Videos aufnehmen, ein freier Tag kommt also nicht infrage. Aber was dann?

Option 1: Ich ignoriere meine Gefühle und stürze mich in die Arbeit. Augen zu und durch. Einfach durchstarten und den Berg abarbeiten. Mein altes Ich hätte das getan: über meine Grenzen hinausgehen. Die Folge: In den kommenden Tagen habe ich noch weniger Energie.

Option 2: Ich „horche in mich hinein“ und passe meinen Tag entsprechend an. Ich habe durch Herumprobieren gelernt, dass das die bessere Option für mich ist. Ich nehme mir vor, mir nach jedem Video eine kurze Pause zu gönnen, um zu spüren, wie ich mich fühle und was ich brauche. Und treffe auf dieser Basis bewusste Entscheidungen.

Nach einigen abgedrehten Videos merke ich, dass ich Hilfe brauche. Praktische Hilfe, weil die Kinder keine saubere Kleidung mehr haben. Also bitte ich meine Mutter, Wäsche zu waschen. Und emotionale Hilfe, denn ich muss Dampf ablassen. Zum Glück kann ich das über eine Freundinnengruppe auf WhatsApp tun. „Puh, ganz schön heftig, dieser Montag. So viel zu erledigen. Ich muss mal kurz schreien, damit ich wieder atmen kann.“ Eine Freundin antwortet mit einem genialen Gif, das mich zum Lachen bringt. Ich denke auch an meinen Körper, indem ich für einen Moment eine starke Yogastellung einnehme und atme. Einfach atme. Und – ganz wichtig – ich nehme mir morgens eine Viertelstunde mehr Zeit, um mich fertig zu machen. Früher dachte ich, das sei sinnlose Zeitverschwendung. Jetzt ist es ein unverzichtbares Ritual, das mir den nötigen Schwung gibt. Ein Moment, in dem ich bewusst im Jetzt bin. Ohne Ablenkung, Schritt für Schritt: cremen, Augen schminken … Auch das ist Selbstfürsorge, denn in diesem Moment erfülle ich meine Bedürfnisse.

Abends bin ich immer noch müde, aber auch froh, einen Großteil meiner To-do-Liste abgehakt zu haben. Die Videoreihe ist fertig. Ich muss noch ein Kapitel für dieses Buch fertigstellen, aber das kann ich morgen erledigen. Die Wäsche ist gewaschen (danke, Mama). Statt zu kochen, entscheide ich mich für Spaghettisauce aus dem Gefrierfach. Weniger Arbeit und glückliche Kinder: ein doppelter Gewinn. Während die Sauce auftaut, räume ich zehn Minuten lang auf, damit die Unordnung verschwunden ist, wenn ich mich nach dem Abendessen aufs Sofa lege. Der Rest wird morgen erledigt.

Selbstfürsorge ist …

Selbstfürsorge bedeutet, in regelmäßigen Abständen auf den eigenen Körper zu hören. Es bedeutet, kurz den Autopiloten abzuschalten und darüber nachzudenken, was du fühlst und was du brauchst. Ja, das erfordert Übung, und nein, es ist nicht immer einfach, sich dafür ein Zeitfenster einzubauen. Aber sei nett zu dir: Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Ich habe Jahre gebraucht, um herauszufinden, was für mich funktioniert und wie ich in meinem stressigen Leben Zeit für mich einplane.

Selbstfürsorge bedeutet auch, sich zu trauen, um Hilfe zu bitten. Eine sehr einfache, aber gleichzeitig sehr schwierige Fähigkeit, die ich zum Glück inzwischen gelernt habe. Mein 25-jähriges Ich hätte sich nie getraut, meine Mutter zu bitten, meine Wäsche zu waschen. „Das kann ich doch nicht machen! Meine Freundinnen erledigen das alle selbst. Was wird meine Mutter von mir denken?“ Inzwischen weiß ich, dass ich meiner Mutter damit sogar einen Gefallen tue. Denn so gebe ich ihr Gelegenheit, sich um mich zu kümmern. Und Mütter tun das gern, solange sie nicht jedes Mal einen vollen Korb Wäsche mit nach Hause nehmen müssen. (Falls du dir Sorgen machst: Zum Glück kann meine Mutter ziemlich gut ihre eigene Grenzen aufzeigen.)

Selbstfürsorge bedeutet auch, sich mit sich selbst zu verbinden. Mit deinem Körper, mit deinen Gefühlen, mit deinen Bedürfnissen, mit dem inneren Kind in dir. Es bedeutet, genau auf die Signale deines Körpers zu hören, um herauszufinden, was dich triggert. So erfährst du, wie diese Trigger deine Gefühle bestimmen und deine Reaktionen steuern. Dann kannst du sie anerkennen und annehmen, damit du dich nicht mehr von ihnen mitreißen lässt.

Selbstfürsorge bedeutet auch, ehrlich zu sich selbst zu sein und auf die kleine Stimme in deinem Kopf zu hören, die sagt: „Du brauchst etwas!“ oder: „Du überschreitest deine Grenzen!“

Schließlich geht es bei Selbstfürsorge auch darum, Entscheidungen zu treffen. Du entscheidest, wie du reagierst. Und du musst nicht über deine Grenzen gehen, um gemocht zu werden.

Ich höre dich denken: „Aber, Nina, manchmal muss doch was getan werden. Meine Arbeit und meine Familie haben keine Zeit, auf mich zu warten. Ich kann nicht selbst entscheiden, was ich mache, wann ich es mache und wie ich es mache …“

Das stimmt. Es gibt viel zu tun. Und doch gibt es gleichzeitig auch viel weniger zu tun, als wir alle denken. Wenn du dir die Geschichte am Anfang dieses Kapitels noch einmal durchliest, wirst du feststellen, dass ich alles gemacht habe, was an diesem Tag notwendig war. Ich habe pflichtbewusst meine Videos zusammengeschnitten. Meine Kinder sind nicht hungrig zu Bett gegangen. Mein Haus war abends aufgeräumt. Aber das alles ging nicht auf meine Kosten. Denn ich habe Entscheidungen getroffen. Und ich habe um Hilfe gebeten.

Ich möchte einen wichtigen Punkt ansprechen. Es mag zwar so aussehen, als bekäme ich alles auf die Reihe. Das ist nicht der Fall. Ich habe es bereits in der Einleitung erwähnt: Selbstfürsorge ist ein Prozess. Man bekommt nicht plötzlich ein Selbstfürsorgediplom und ist für den Rest seines Lebens völlig ausgeglichen. (Wie langweilig wäre das denn!)

Du lebst nicht in einem Vakuum. Es gibt Menschen um dich herum, die – positiv oder negativ – auf dich einwirken. Darauf hast du keinen Einfluss. Du kannst die Welt um dich herum nicht kontrollieren. Es wird immer Trigger geben, die zu einer instinktiven Reaktion führen. Es wird immer Menschen geben – Kollegen, Freundinnen, Eltern –, die auf einen blauen Fleck drücken. Die dich erstarren, fliehen, kämpfen lassen. Auch bei mir ist das so. Obwohl ich weiß, was mich triggert, verstehe ich oft erst im Nachhinein, was passiert ist und welchen Anteil ich daran habe. Das ist in Ordnung. Am besten wäre es, wenn ich den Trigger in dem Moment selbst aufdeckte, mich um mein inneres Kind kümmerte und erwachsen mit der Situation umginge. Aber so weit bin ich noch nicht.

Deshalb gleich eine zweite wichtige Anmerkung. Ich bin kein leuchtendes Vorbild. Das ist niemand. Vergleich dich nicht zu sehr mit anderen. Oder besser: Du kannst das tun, aber vor allem solltest du überlegen, was eine Situation mit dir macht. Warum triggert dich etwas? Was nimmst du davon mit? Welche Entscheidung triffst du?

Vielleicht wirst du beim Lesen des Buches mit deinen inneren Stimmen konfrontiert. Diesen kleinen Teufelchen auf deiner Schulter, die dir zuflüstern: „Siehst du, du kannst es nicht.“ Oder: „Du grübelst zu viel. Lass es gut sein.“ Auch das ist in Ordnung. Lass diese Stimmen zu. Aber auch hier gilt: Folge ihnen nicht blindlings. Höre sie, spüre, was sie in dir auslösen, und entscheide dann, was du mit ihnen machst.

Denn genau das ist Selbstfürsorge: eigene Entscheidungen treffen. Keine Dinge tun, nur weil du dem Idealbild anderer entsprechen willst. Nicht, weil du Angst davor hast, „was die Leute sagen“. Sondern weil sich die Entscheidungen für dich richtig anfühlen. Ich hoffe, ich kann dich mit diesem Buch darin bestärken.

Warum? Warum bin ich von diesem Thema so begeistert? Warum habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, gut für sich selbst zu sorgen? Weil ich überzeugt bin, dass man sich nur dann gut um andere kümmern kann.

Ich treffe so viele Menschen, die glauben, Selbstfürsorge sei egoistisch. Die immer die Interessen ihrer Kinder, ihres Partners, ihrer Familie, ihrer Kollegen, ihrer Freunde … über ihre eigenen stellen. Und die sich nicht bewusst sind, dass sie damit nicht nur sich selbst vernachlässigen, sondern gleichzeitig auch alle anderen.

Aber nur, wenn du weißt, was dich triggert, wieso du dich nicht gut oder nicht genug um dich selbst kümmerst, kannst du anderen wirklich etwas bedeuten. Nicht, weil du es musst, sondern weil du es willst. Weil du diese Freiheit hast. Weil du spürst: Ich will das tun und ich kann das tun, das ist für mich in Ordnung. Und zwar in der Familie, in der Beziehung und auch im Job – oder in jeder anderen Rolle, die du einnimmst.

Es gibt Menschen, die behaupten, dass Selbstfürsorge unnötig ist. Das sind die Leute, die immer weitermachen und ihre Bedürfnisse nicht spüren. Sie haben gelernt, ihre Grenzen immer weiter zu verschieben und jedes Mal zu überschreiten. Vielleicht bist du auch jemand, der sich antrainiert hat, nicht mehr auf den eigenen Körper zu hören. Mein Rat an dich: Lies dieses Buch bis zum Ende. Überspringe keinen Abschnitt, halte inne und lass Gefühle zu. Und kümmere dich um dich selbst.

Selbstfürsorge ist nicht …

Leider kursieren immer noch viele Mythen über Selbstfürsorge, zum Beispiel, dass Selbstfürsorge etwas für faule Menschen oder Egoisten sei. Mythen, die andere Menschen verbreiten und/oder die dir deine inneren Stimmen einflüstern. Diese Überzeugungen sind häufig tief verwurzelt, und du solltest dich fragen, woher sie kommen. Von wem hast du diese Mythen übernommen? Bist du streng mit dir selbst, weil du glaubst, du müsstest es sein? Oder weil jemand anders das für dich entscheidet? Manchmal sind es kleine, schwer zu benennende Kindheitserfahrungen, die deine inneren Stimmen so laut werden lassen. Vielleicht Erwartungen, die nicht explizit ausgesprochen wurden. Du hast sie im Laufe deines Lebens irgendwo aufgeschnappt. Und sie dir zu eigen gemacht. Im Kapitel zur Parentifizierung (ab Seite 139) gehe ich näher darauf ein. Wie du mit diesen inneren Stimmen umgehst, erfährst du im Kapitel über sanfte Mantras (ab Seite 184).

Mythos 1: Wer Selbstfürsorge betreibt, ist faul und labil

Menschen, die Selbstfürsorge praktizieren, sind faul. Oder psychisch labil. Das stimmt natürlich nicht. Wer sich Zeit nimmt, über seine Gefühle nachzudenken, ist keineswegs faul. Im Gegenteil, es erfordert sogar große Anstrengung. Vor allem, wenn man gerade anfängt, echte Selbstfürsorge zu betreiben. Auch was psychische Instabilität betrifft, kann ich sagen: Das stimmt nicht. Wie viel Stärke erfordert es, sich Zeit zu nehmen und sich um sich selbst zu kümmern? Statt auf Autopilot zu schalten und immer weiterzumachen. Natürlich können dich Selbstzweifel beschleichen. Vielleicht hattest du schon ein Burn-out. Ich bin stolz auf dich, dass du hier bist. Du hast gemerkt, dass du Selbstfürsorge brauchst. Und das ist ein großer Schritt. Ein lebensverändernder Schritt.

Gefühle und Bedürfnisse sind erlaubt. Auch wenn wir – oft in unserer Kindheit – gelernt haben, dass es von Schwäche zeugt, wenn wir unsere Gefühle zulassen. Bist du traurig? Komm schon, Kopf hoch. Bist du wütend? Reiß dich zusammen. Hast du Angst? Nein, denn das Leben beginnt erst außerhalb deiner Komfortzone. Du musst weiter laufen, springen, fliegen, tauchen, hinfallen, wieder aufstehen und so fort. Und deine Gefühle und Bedürfnisse beiseiteschieben, denn sonst kannst du in der Welt nicht bestehen. Doch das stimmt nicht. Wenn du auf dich selbst hörst, kannst du in der Welt bestehen. Indem du deine Grenzen kennen lernst, kannst du leichter STOPP sagen. Damit du am Ende nicht mit dem Kopf gegen die Wand läufst oder (wieder) auf ein Burn-out zusteuerst.

„Ich dachte, ich bräuchte keine Selbstfürsorge. Das war nichts für mich. Ich konnte es allein schaffen. Ich war stark. Bis ich merkte, ich war zu weit gegangen. Es war höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Wie Nina immer sagt: Sich seinen Verletzungen zu stellen, erfordert viel Mut, viel Kraft. Es scheint so viel einfacher zu sein, mit den alten Gewohnheiten fortzufahren. Und ich dachte regelmäßig: ‚F*ck, Nina, du und dein Selbstfürsorge-Mist!‘ Und dann spürte ich plötzlich eine Veränderung. Und ich wusste: Ich bin nicht allein.“ – Aisha

Mythos 2: Sich um sich selbst zu kümmern, ist egoistisch

Ein weiterer Mythos: Selbstfürsorge ist egoistisch. Denn die Zeit, die du für dich brauchst, könntest du auch anders nutzen. Für deine Kinder, deine Arbeit, deine Partnerin oder deinen Partner, dein soziales Leben. Dabei vergisst du, dass dich Selbstfürsorge – kurz- oder langfristig – tatsächlich vor Stress, Herausforderungen und schwierigen Momenten schützt. Selbstfürsorge schafft Resilienz. Indem du deine eigenen Gefühle und Bedürfnisse kennenlernst, dir bestimmte Muster bewusst machst und dich mit großen und kleinen Traumata auseinandersetzt, wächst du. Du kommst dir selbst näher und kannst wählen. So sorgst du nicht nur besser für dich selbst, sondern auch für die Welt um dich herum.

Selbstfürsorge bedeutet, sich Zeit für sich selbst zu nehmen