Edelsteinherz - Lena Niewerth - E-Book

Edelsteinherz E-Book

Lena Niewerth

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Beschreibung

Lina und Gabriel sind, seit sie klein sind, die besten Freunde. Als Gabriel mit achtzehn zurück in die USA zieht, um Humanmedizin zu studieren, hinterlässt er eine große Leere in Lina, die schon seit vielen Jahren heimlich in ihn verliebt ist. Doch neun Jahre später kommt er zurück und gemeinsam entdecken sie eine Wahrheit, die niemand je für möglich gehalten hätte ...

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Kein Lehrmeister kann dich der spirituellen Wahrheit befähigen, wo sie doch seit Anbeginn in dir schlummert. Worauf es jetzt ankommt, ist es, dich an sie zu erinnern.

Lena Niewerth

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Lina

Gegenwart im Jahr 2021

Lina

Im Alter von 8 Jahren, im Sommer 2004

Lina

Gegenwart

Lina

Im Alter von 13 Jahren

Gabriel

Gegenwart

Gabriel

2019 - Im Alter von 15 Jahren

Lina

Gabriel

Im November 2020

Lina

Gabriel

Lina

Adrik

Lina

Gabriel

Adrik

Lina

Gabriel

In der geistigen Welt

Lina

Adrik

Lina

Adrik

Lina

Gabriel

Epilog: 70 Jahre später

Prolog

Wieder beobachte ich die vielen Seelen, wie sie an mir vorbeiziehen, wie sie kommen und gehen.

Doch keine strahlt so hell, so golden, wie diese und ich kann einfach nicht verstehen, warum gerade sie so unsicher wirkt.

Unglaublich schön und gleichzeitig voller Trauer, zieht sie mich magisch an.

Sie löst Gefühle in mir aus, von denen ich dachte, ich würde sie niemals zu spüren bekommen.

Ihre Energie trifft auf meine und hebt uns wie einen leuchtenden Stern, aus dem Meer der Seelen ab.

Die vollkommenste Seele, die mir jemals begegnet ist, wird bald wieder weiterziehen. Verfolgt von der ständigen Angst, nicht gut genug zu sein, nicht ausreichend viel bewirken zu können, ihrer Aufgabe nicht gerecht zu werden.

Doch so lasse ich sie nicht noch ein weiteres Mal gehen.

Ich werde dieses faszinierende Licht begleiten und ihr helfen, sich an alles zu erinnern.

Wir werden uns in die Lüfte erheben, getragen von unser beider Schwingen. Ohne ihn hätte ich mich niemals erinnert. Ohne mich hätte er niemals die Wahrheit erkannt.

Gegenwart im Jahr 2021

Um 6:30 Uhr klingelt mein Wecker, mit müden Augen suche ich nach dem Ausschaltknopf.

Ich, Lina Kaster, bin 25 Jahre alt und jemand der versucht beim ersten Weckruf aufzustehen, ansonsten komme ich gar nicht aus dem Bett. Ich stütze mich auf meinen linken Arm und greife mit der anderen Hand nach meinem Handy auf dem Nachttisch. Das ist das Erste, was ich morgens tue.

Schauen was ich die Nacht über verpasst habe.

Ein Blick in mein Mail-Postfach, nur Spam.

Dann der Blick auf Instagram. Während ich durch neue Posts auf meiner Startseite scrolle, und lustlos ein paar der Bilder like, ohne zu lesen, worum es in den Beiträgen überhaupt geht, vibriert mein Handy in meiner Hand und das Nachrichtenfeld erscheint.

Eine neue WhatsApp von Gabriel. Mein Herz macht einen Satz, schnell öffne ich sie. Seit neun Jahren schreibt er mir jeden Morgen eine Nachricht.

Seit 2012, dem Jahr, in welchem er in die USA gezogen ist.

Hey beste Freundin! Ich wünsche dir einen wundervollen Arbeitstag

Ach Gabriel, wenn du wüsstest.

Seit ich acht bin und Gabriel zehn, sind wir die besten Freunde und waren immer unzertrennlich. Ich Idiot habe ihm aber nie gesagt, dass ich mich mit 13 Jahren so sehr in ihn verliebt habe, dass ich es noch heute bin. Ich habe mir immer geschworen, es ihm zu sagen, habe es aber einfach nicht geschafft. Zu groß war meine Angst, ich würde unsere Freundschaft dabei aufs Spiel setzen. Dieses Risiko wollte ich auf keinen Fall eingehen. Und dann kam der Tag, als Gabriel entschied in den USA ein Medizinstudium zu machen.

Hey du! Dir wünsche ich eine gute Nacht, wie war dein Tag?

Die Antwort an meinen Gabriel ist schnell getippt und ich versuche, mich nun auf den bevorstehenden Tag zu fokussieren.

Ich komme aus dem Bad und bin frustriert, über den Kampf mit meinen vom Duschen nassen, zerzausten und langen braunen Haaren. Jetzt gieße ich mir erst einmal einen riesigen Becher mit Kaffee ein.

„Schlecht geschlafen Schatz?“

Papa schaut mich über seine Zeitung hinweg an und wartet mit gerunzelter Stirn auf eine Antwort.

Schlecht geschlafen habe ich nicht, denke ich, aber es gibt Tage, da vermisse ich Gabriel schon morgens so sehr. Und das nach all den Jahren.

„Ach, es geht“, murmele ich meinem Vater als Antwort. „Ist Mama schon weg?“, frage ich.

„Ja, sie ist schon gegen sechs los zur Frühschicht.“

Mama arbeitet als Pflegekraft in einem Altenpflegeheim und ist morgens meist die Erste, die aus dem Haus ist. Ich schmiere mir schnell ein Brot, welches ich esse während ich meine Tasche für die Arbeit packe. Eine Flasche Wasser und eine Banane reichen mir aus, mittags esse ich dann in der Cafeteria im Krankenhaus. „Tschüss Papa!“, verabschiede ich mich, den Fahrrad Schlüssel bereits in der Hand.

„Bis später Lina! Ich wünsche dir einen schönen Tag.“

„Den schönen Tag, den wünsche mal lieber meinen Patienten.“, zwinkere ich ihm zu.

„Wenn die gut drauf sind, dann bin ich's auch.“

Als Physiotherapeutin muss man oft schlecht gelaunte Menschen ertragen, besonders im Krankenhaus. Manche Leute sind verständlicherweise einfach unzufrieden mit ihren Beschwerden und Erkrankungen, viele zusätzlich aber auch noch ungeduldig. Mit sich selbst und natürlich auch mit uns Therapeuten. Aber Wunderheilen kann ich nun mal nicht.

„Ach Lina.“, meint Papa. „Sieh es doch mal andersherum. Wenn du gut drauf bist, überträgst du es auch auf deine Patienten.“

Er hat recht und ich seufze. Ich schenke ihm noch ein Lächeln und mache mich auf den Weg.

Der kalte Januar Wind weht mir in mein vor Anstrengung gerötetes Gesicht. Ich hasse Fahrradfahren. Und Gegenwind! Den besonders. Ich bin ein wahnsinnig unsportlicher Mensch und als ich endlich am Krankenhaus ankomme, pfeift meine Lunge mit den Vögeln um die Wette.

Leider habe ich noch kein eigenes Auto und da ich bis zum Krankenhaus nur fünf Minuten mit dem Fahrrad brauche, ist es für mich auch keine Option überhaupt mit einem Auto zu fahren.

Da muss ich jetzt durch.

Der Vormittag vergeht langsam und ich muss mich immer wieder auf neue Patienten einstellen. Ich behandele ältere Menschen die frisch operierte Hüften oder Knie haben, mache Atemtherapien mit Patienten die an Lungenerkrankungen leiden, oder schon eine längere Zeit liegen müssen und kurz vor dem Mittagessen leite ich noch ein Bewegungsbad für eine Gruppe von 6 betagten Damen mit Rheuma, die sich mehr ihrem Klatsch und Tratsch widmen als sich auf die Übungen zu konzentrieren.

In der Mittagspause setze ich mich dann mit meinem Curry-Reis in eine ruhige Ecke der Cafeteria, weit weg von meinen Kollegen, die ich trotzdem bis hierher quatschen hören kann.

Ich komme gut mit meinen Kollegen aus, brauche aber mittags meist meine Ruhe, da ich schon den ganzen Vormittag mit meinen Patienten rede. Es kostet mich ganz schön viel Energie, sich in die unterschiedlichsten Menschen einzufühlen und oft sind die Schicksalsschläge mancher Patienten auch für mich belastend, da ich sehr mitfühlend bin.

Ich schaue auf mein Handy und sehe, dass Gabriel heute Morgen noch geantwortet hat.

Mein Tag war super! Hatte heute viel zu tun. Hab übrigens eine Überraschung für dich

Eine Überraschung?

Mach es nicht so spannend Mensch…

,tippe ich schnell zurück, obwohl ich weiß, dass der schönste Mann der Welt jetzt tief und fest schlafen wird.

Im Alter von 8 Jahren, im Sommer 2004

Es sind endlich Sommerferien und ich fahre mit meinen Inlineskates die Straße vor unserem Haus auf und ab.

Im Haus gegenüber sehe ich den Nachbarsjungen Gabriel am Fenster stehen. Der Zehnjährige winkt mir zu, als ich das nächste Mal an ihm vorbei sause. Ich grinse ihn an, bisher hatten wir nicht sehr viel miteinander zu tun.

Gabriel ist mit seinen Eltern hierher gezogen, als er vier war.

Damals waren zwei Jahre Altersunterschied zwischen uns noch ziemlich viel. Er war schon ein Schuljunge, als ich noch eine ganze Zeit Kindergarten vor mir hatte.

Als ich das Ende der Straße erreicht habe, mache ich kehrt und dieses Mal halte ich vor seinem Haus an, doch Gabriel ist am Fenster nicht mehr zu sehen.

Ein bisschen enttäuscht bleibe ich noch eine Weile stehen.

Tue so, als ob ich die Schoner an meinen Händen etwas enger ziehen würde. Einen Augenblick später öffnet sich die Haustür und Gabriel Stalten kommt mit seinem Skateboard heraus und einem breiten Lächeln auf seinem Gesicht.

„Hi Lina, ich fahre eine Runde mit, wenn ich darf!“, ruft er mir zu und hüpft auf sein Board.

„Voll gerne!“, sage ich und erwidere sein Lächeln.

Einige Zeit fahren wir die Straße gemeinsam auf und ab und quatschen ein bisschen.

Gabriel erzählt mir, dass es für ihn schwierig ist in seiner Klasse Freunde zu finden. Da wir beide eine Pause gebrauchen können, beschließen wir, uns auf den Stufen unseres Hauses etwas hinzusetzen.

„Ich glaub, ich bin einfach anders als die anderen Kinder in meiner Klasse … “, führt Gabriel unser Gespräch fort. Ich schaue ihn nachdenklich an und frage vorsichtig: „Du meinst, weil du aus Amerika hier hergezogen bist?“

Der Junge mit den wuscheligen dunkelbraunen Haaren sieht mich mit seinen strahlend blauen Augen an und zieht einen Mundwinkel hoch.

„Hmm nee ... , ich glaub, das ist es nicht. Weißt du, irgendwie machen die ständig nur so blöde Sachen, ärgern ein paar Kinder aus unserer Klasse die sie nicht gut genug kennen und hören einfach nicht damit auf. Über mich haben sie auch schon oft gemeine Lügen erzählt.“

Ich kann ihn so gut verstehen, denn mir geht es ähnlich in meiner Klasse. Mit meiner Freundin Maren ist es zwar wirklich immer witzig und ich bin gerne mit ihr zusammen, aber leider ist sie sehr darauf fixiert sich bei den beliebten Mädchen einzuschleimen, sodass es mir manchmal zu viel wird.

„Ich weiß, was du meinst. Die benehmen sich wie Kindergartenkinder oder?“ Mit einem Nicken stimmt Gabriel mir zu.

„Ich habe sowieso das Gefühl, ich komme eigentlich gar nicht von hier.“

Er lässt seinen Blick in den Himmel schweifen.

„Ich glaube, ich auch nicht … “, gestehe ich ihm.

Gegenwart

Den Rest des Tages kann ich mich kaum noch konzentrieren.

Meine Arbeit mache ich, ohne großartig darüber nachzudenken und meinen Patienten höre ich auch nur halb zu.

Was meint Gabriel damit, dass er eine Überraschung für mich hat? Dass er sein Abschlussexamen und die Doktorarbeit bestanden hat, weiß ich doch schon längst. Wie gerne hätte ich den frischgebackenen Dr. Stalten in meine Arme geschlossen, als er mir davon am Telefon stolz erzählt hat!

Vielleicht hat er eine wahnsinnig gute Stelle als Assistenzarzt ergattert. Aber das hätte er mir doch direkt geschrieben, oder?

Nach Feierabend ziehe ich mich schnell um und packe meine Sachen in die Tasche.

„Schönes Wochenende Lina!“, ruft Simone mir noch hinterher, als ich mit schnellen Schritten zum Ausgang laufe.

„Ja bis Montag! Ich wünsche dir auch ein schönes Wochenende!“, rufe ich zurück und schenke ihr ein Grinsen.

Von all meinen Arbeitskollegen mag ich Simone am liebsten. Sie ist zwar schon 41 und somit viel älter als ich, aber sie hat so viel gute Laune und Freude zu verbreiten und das liebe ich an ihr.

Außerdem ist sie mir mit ihrem Mitgefühl für die Menschen sehr ähnlich.

Draußen schwinge ich mich auf mein Fahrrad und kämpfe mich nach Hause. Allerdings tut mir die frische Luft gerade auch wirklich gut.

Es ist 18:30 Uhr und schon stockdunkel.

Als ich in unsere Straße einbiege, fällt mein Blick auf das Haus der Staltens, in dem gerade Licht brennt.

Die Staltens hatten das Haus damals nicht verkauft, als sie zurück nach Los Angeles gezogen sind, sondern als Ferienwohnung vermietet. Gabriels Tante Annette, die Schwester seiner Mutter Heidi, pflegt und verwaltet das Haus für Gabriels Eltern.

Ich bremse scharf, sodass es quietscht, und schaue mit gekräuselter Stirn auf unser Nachbarhaus. Erst denke ich es seien neue Feriengäste da, aber dann bemerke ich Anettes Auto, das am Straßenrand parkt.

Auf der Auffahrt steht ein Sprinter, auch der wäre eher ungewöhnlich für Feriengäste. Ich steige vom Fahrrad und schiebe es langsam zu unserem Haus herüber, den Blick immer noch auf den Sprinter gerichtet, der nun von einem Mann geöffnet wird. Kisten und Kartons stapeln sich darin. Ein zweiter Mann kommt dazu und hilft dem Ersten, einen der Kartons aus dem Auto zu tragen. Haben die Staltens Ihr Haus hier in Köln verkauft? Ich stelle mein Fahrrad vor unserem Haus ab und schließe die Tür auf.

Im Wohnzimmer treffe ich auf meine Eltern, die es sich zusammen auf der Couch gemütlich gemacht haben und in Zeitungen blättern.

„Hey Leute!“, „Hey Lina, na wie war dein Tag?“, begrüßt Mama mich.

„War ganz okay. Sagt mal, haben die Staltens ihr Haus verkauft?“

„Wie kommst du darauf?“, fragt mein Papa. „Ich habe auf ihrer Auffahrt gerade einen Sprinter stehen sehen, der voll mit Kisten war. Zwei Männer tragen sie gerade ins Haus und Annette scheint auch da zu sein, zumindest steht ihr Auto vorm Haus.“

„Nicht, dass ich wüsste.“, meint Papa.

„Annette hat gar nichts davon erzählt, als ich sie vorgestern beim Einkaufen getroffen habe.“

Mama runzelt die Stirn und schaut verwundert. Sie kennt Annette ziemlich gut. Schon damals, als Mama die Mutter von Annette und Heidi, im Altenheim betreut hat, hatten sie viel Kontakt. Und auch als ich mich mit Gabriel dann so richtig angefreundet hatte, hat meine Mama sehr viel mit den zwei Schwestern unternommen.

Ich werfe einen Blick auf mein Handy. 19:00 Uhr, das bedeutet, es müsste jetzt 10:00 Uhr in Los Angeles sein. Ich sehe in meinen Nachrichten, dass Gabriel mir noch nicht geantwortet hat, und schreibe ihm noch eine Nachricht hinterher.

Sag mal Gabriel, haben deine Eltern euer Haus hier in Köln verkauft?

Ich muss schon sagen, dass es mir einen wahnsinnigen Stich versetzen würde, wenn das Haus tatsächlich verkauft wäre.

Dann wäre meine naive Hoffnung, dass er irgendwann wieder hier bei uns gegenüber wohnen würde endgültig verloren.

Ganz in diesen trüben Gedanken versunken, gehe ich in die Küche und mache mir etwas zu essen.

„Schatz, es steht noch was von heute Mittag im Kühlschrank!“, ruft Mama mir aus dem Wohnzimmer zu.

„Danke Mama, aber ich mache mir einfach ein Müsli. Ich habe heute im Krankenhaus schon etwas Warmes gegessen.“

„Dann nimm wenigstens den Nachtisch!“, ruft Papa. „Den hab ich gemacht!“ Ich kann sein stolzes Grinsen bis hierher spüren und muss kichern, als Mama hinzufügt: „Ach komm Frederic! Du hast Joghurt aus dem Supermarkt mit Erdbeeren gemischt!“.

Mama und Papa fangen an, laut zu lachen und als ich mit meinem Müsli zurück ins Wohnzimmer komme, stimme ich freudig mit ein.

„Papa, der Joghurt sieht so gut aus, den esse ich morgen, dann kann ich mich noch ganz lange darauf freuen.“

Wir sitzen noch etwas zusammen und unterhalten uns nett. Überlegen hin und her, ob Gabriels Eltern ihr Haus wirklich verkauft haben könnten. „Katharina, ruf die Annette doch morgen einfach mal an.“, meint Papa zu Mama und im selben Moment klingelt mein Handy.

Schnell greife ich nach meinem iPhone auf der Sofalehne. Ich bin fest davon überzeugt, dass es Gabriel ist, der mich nun doch nicht länger auf die Folter spannen möchte, bin jedoch ein bisschen enttäuscht als ich stattdessen den Namen meiner besten Freundin Emma auf dem Display lese. Ich entschuldige mich bei meinen Eltern und nehme den Anruf entgegen, während ich die Treppen zur oberen Etage hochgehe.

„Hi Emma!“, „Hey wie siehts aus bei dir? Hast du deinen Arbeitstag gut überstanden?“ Mittlerweile habe ich mein Zimmer erreicht und lasse mich auf mein gemütliches Bett plumpsen, welches ich mit einer kuscheligen Tagesdecke aus pinkem Teddyfell zugedeckt habe.

„Ja, Gott sei Dank ist der Freitag endlich geschafft!“, stöhne ich.

„Ich freue mich auch so aufs Wochenende.“, stimmt Emma mir zu. „Einfach mal nichts tun! Ich hab mich heute in der Drogerie erst mal mit Gesichtsmasken und neuem Badesalz eingedeckt und morgen mache ich einen Wellnessabend. Kommst du dann zu mir? Wir können auch einen Film gucken.“

Die Idee finde ich gut, trotzdem verdrehe ich grinsend meine Augen weil ich genau weiß, worauf Emma hinaus will.

„Und dann soll ich dich sicherlich noch massieren nicht wahr?“

Physiotherapeutin zu sein kann manchmal echt ein Fluch sein.

„Ach, das wäre natürlich der Knaller! Das ist ein total netter Vorschlag von dir Lina!“, sagt Emma gespielt überrascht und bricht in lautes Gelächter aus.

„Nein im Ernst, das könnte ich gut gebrauchen. Ich bin heute in mein neues Büro gezogen und musste so viel Kram selber schleppen. Du würdest dich wundern, wie schwer Aktenordner sein können.“

„Schon gut. Ich massiere dich morgen, du arme Frau.“, lache ich. Wir plaudern noch ein bisschen über Emmas neues Büro, welches sie bekommen hat weil die ganze Kanzlei, in der sie als Steuerfachangestellte arbeitet, in ein anderes Gebäude gezogen ist. Dann erzähle ich ihr noch von meinem Tag und von Gabriels Nachricht heute Morgen. Als ich ihr noch berichte, dass ich vermute, dass seine Eltern das Haus verkauft haben, kann ich ein Brennen in meinen Augen nicht unterdrücken und eine Träne läuft über meine Wange.

„Ach Lina, vielleicht ist es ja auch ganz anders und alles klärt sich auf. Hat Gabriel dir denn schon geantwortet?“

„Nein hat er noch nicht. Meinst du, ich soll ihn einfach mal anrufen?“, frage ich, bin mir aber sicher, dass ich mich nicht trauen werde.

In der ganzen Zeit in der er weg ist, haben wir so wenig telefoniert, dass ich es an den Fingern beider Hände abzählen kann. Er hat zu Beginn öfter versucht, mich zu erreichen, aber ich habe einfach nicht abgenommen. Es ging einfach nicht anders.

Seine Stimme zu hören …

Das hat alles immer noch schlimmer gemacht und war wie ein Messerstich in mein Herz.

Als würde jemand mit der Faust meine Kehle zudrücken.

Und jedes Mal hat es Tage gedauert, bis ich wieder einigermaßen in meinem Leben angekommen bin.

In meinem Leben hier in Köln, ohne Gabriel.

„Wenn du das Gefühl hast, dass du jetzt eine Antwort brauchst, dann ruf ihn an.“

„Ok.“, flüstere ich zurück. „Ich bin dann morgen Abend um 8:00 Uhr bei dir.“, will ich das Gespräch mit Emma beenden und mich ganz meiner Sehnsucht nach Gabriel hingeben.

„Das wäre schön Lina. Du kannst dich gerne später oder morgen früh mal melden, wenn du etwas von ihm gehört hast.“

„Mache ich!“, verspreche ich ihr und drücke auf „auflegen“.

Ich stehe auf und nehme die Teddy Tagesdecke vom Bett herunter, falte sie grob zusammen und werfe sie auf meinen Schreibtischstuhl, der an meinem Schreibtisch gegenüber von meinem Bett steht. Dann ziehe ich mir einen gemütlichen rosa farbenen Schlafanzug an und gehe ins Bad, um mich bettfertig zu machen, damit ich mich anschließend in meine Kissen kuscheln kann und nicht mehr aufzustehen brauche, falls ich müde werde.

Als ich so da liege und mir überlege was ich jetzt mit dem restlichen Abend anfange, wird meine Sehnsucht, Gabriels Stimme zu hören, immer größer.

Bei Gabriel habe ich mich immer zu Hause gefühlt.

So eng bin ich bis heute mit fast keinem Menschen in meinem Leben gewesen, außer meinen Eltern und Emma. Für mich als Einzelkind ist er in gewisser Weise auch wie ein Bruder. Er ist meine seelische Stütze, jemand der mich immer versteht, auch wenn ich nichts sage. Er blickt mit seinen wahnsinnig schönen und durchdringenden Augen stets in mein Herz, und direkt in meine Seele.

Eigentlich gibt es kaum Worte für unsere Verbindung, die selbst für die Menschen in unserem Umfeld stark spürbar war.

„Ihr seid wie Zwillinge!“, hat Gabriels Mutter früher oft gesagt. Und es stimmt wirklich, wir denken fast immer dasselbe, ergänzen unsere Sätze und es ist damals auch häufig vorgekommen, dass wir nachts ganz ähnliche Träume hatten.

Um 22 Uhr halte ich es nicht mehr aus. Jetzt ist es circa 13 Uhr am Nachmittag bei Gabriel. Weil ich weiß, dass er zurzeit frei hat und eventuell auch Zuhause sein könnte, wage ich einen Versuch und drücke im Telefonbuch meines iPhones auf seinen wundervollen Namen. Aufgeregt schwebe ich mit meinem Daumen über der Taste und atme tief ein. Dann drücke ich auf „anrufen“.

„Hey, it‘s Gabriel! If it’s important, tell me on the mailbox, otherwise try again later.“, ertönt die tiefe, klare Stimme von Gabriel auf seinem Anrufbeantworter.

Ich atme laut aus und beende den Anruf. Meine schwitzige Hand lässt mein Handy auf meine Knie sinken, die ich leicht angewinkelt habe.

Ich versuche, mich zu entspannen.

Einerseits erleichtert es mich, dass er nicht abgenommen hat, denn nach den vielen Monaten die zwischen unseren Telefonaten liegen habe ich etwas Angst, dass es ein seltsames oder verkrampftes Gespräch werden könnte, indem wir beide nicht wissen was wir sagen sollen.

Andererseits vermisse ich ihn in den letzten Tagen wieder so sehr, dass ich nach jeder Möglichkeit greifen möchte dieses Gefühl, diese Distanz zwischen uns etwas erträglicher zu machen. Also beschließe ich, mal wieder sein Instagramprofil zu stalken. Einige Sekunden später grinst mich der Mann mit den braunen, kurzen, strubbeligen Haaren von seinem neuesten Foto aus frech an. Gabriel trägt eine schwarze Lederjacke und darunter ein grau meliertes Shirt mit V-Ausschnitt.

Über seiner rechten Schulter trägt er eine große schwarze Sport oder Reisetasche.

Er steht, wie es für mich aussieht, in einer Tiefgarage oder einem großen Parkhaus.

– Let’s go! – , steht unter dem Bild, welches er vor 2 Stunden gepostet hat.

Ich runzele die Stirn.

Wo will er denn hin?

Sonst erzählt er mir doch immer, wenn er verreist oder Urlaub macht.

Die Kommentarfunktion hat Gabriel für diesen Post ausgestellt. Mist. Ich habe gehofft, durch diese ein bisschen schlauer zu werden. Ich sehe mir noch mehr Fotos auf seinem Profil an und bemitleide mich selbst, weil ich ihn nie haben werde.

Er wird nie so zu mir gehören, wie ich es mir aus tiefstem Herzen wünsche. Niemals. Leise weinend schlafe ich irgendwann ein.

Im Alter von 13 Jahren

Gabriel und ich liegen auf dem Boden meines Zimmers und sortieren unsere Edelsteine.

Wir beide sammeln sie schon seit Jahren.

Ich habe irgendwann einmal damit angefangen, nachdem ich mir eine kleine hölzerne Schatzkiste mit wunderschönen bunten glänzenden Edelsteinen darin, im Urlaub in der Eifel gekauft habe.

Die Steine haben mich so sehr fasziniert und ich hatte das Gefühl, dass sie in meinen Händen pulsiert oder vibriert haben.

Diese Energie, die von Edelsteinen ausgeht, spüre ich noch immer.

Jeder Stein fühlt sich anders an, hat eine andere Schwingung.

Ich stelle mir immer die heilende Wirkung meiner Edelsteine vor und glaube fest daran, dass sie eine Zauberkraft besitzen.

Ich war sehr erstaunt, als mir Gabriel damals das erste Mal sein Zimmer gezeigt hat. Es sieht heute noch genauso aus. Ein Regal, das gegenüber von seinem Bett steht, ist vollgestellt mit Steinen.

Es sieht wunderschön aus.

Er besitzt zusätzlich zu vielen kleinen Trommelsteinen aller Art auch noch sehr große Steine. Eine Amethystdruse und einen Obelisken aus Bergkristall, der so hoch ist wie zwei Kakaobecher übereinandergestapelt.

Die großen Steine hat er teilweise von seiner Oma geschenkt bekommen, die Edelsteine auch liebte. Oft hat er sich auch welche zum Geburtstag gewünscht.

Ich liebe auch die tolle Lampe aus Salzkristall, die sein ganzes Zimmer in ein wohlig warmes und gemütliches Licht wirft.

Gabriel hat mir erzählt, dass auch er das Vibrieren in den Steinen spüren kann und er manchmal in Gedanken mit ihnen spricht.

Seit wir wissen, dass wir die Leidenschaft für Edelsteine teilen, setzen wir uns öfter zusammen um uns mit unseren magischen Fundstücken aus der Natur zu beschäftigen.

Gerade halte ich ein großes Herz aus Rosenquarz in meinen Händen und bewundere, wie schnell der Stein meine Körperwärme angenommen hat.

„Fühl mal Gabriel, dein Herz ist richtig schön warm geworden.“

Ich strecke es ihm entgegen.

Vorsichtig nimmt er es mit seinen schlanken Fingern aus meinen Händen, dreht sich auf den Rücken und hält es mit geschlossenen Augen an seine Brust gedrückt.

Ich grinse in mich hinein.

Ein bisschen komisch sieht es schon aus, was Gabriel da macht.

Aber ich weiß mittlerweile, dass es seine Art ist, sich mit den Steinen zu verbinden. Er macht das über seine Gedanken und dann antworten die Steine ihm manchmal.

„Sagt es was?“, flüstere ich, da ich ihn nicht erschrecken will. Gabriel sieht unheimlich konzentriert aus.

„Ich glaube, es mag dich Lina.“

Ein sanftes Lächeln umspielt seinen Mund.

„Kannst du mir mal deine Hand geben?“, fragt er schließlich und streckt seine linke Hand in meine Richtung, die Augen noch immer geschlossen.

Ich reiche ihm meine rechte Hand und warte gespannt auf eine Erklärung.

„Wow! Der Stein pulsiert ganz genau wie deine Hand!“

Begeistert schlägt Gabriel endlich die Augen auf und das tiefe Blau trifft genau auf das satte Grün meiner Augen.

Es trifft mich völlig unvorbereitet.

Ich kann seinen Blick so tief spüren, dass sich mein Magen für einen kurzen Moment leicht und wohlig zusammenzieht und sich ein angenehmes, elektrisches Kribbeln in meinem Bauch ausbreitet.

Warme, wellenartige Energie strömt aus Gabriels Hand in meine hinein und weiter in meinen ganzen Körper.

Was ist passiert?

Unsicher ziehe ich langsam meine Hand zurück und atme tief ein.

„Geht es dir gut?“, fragt Gabriel irritiert.

„Ja, aber ich hab auch irgendwas gespürt gerade. Das war seltsam … “

Mehr will ich ihm nicht sagen. Ich bin doch vollkommen verrückt.

Aber ich kann nicht abstreiten, dass ich Gabriel ganz plötzlich mit anderen Augen sehe. Mit geschärfteren Sinnen als sonst.

Mir fällt erst jetzt so richtig auf, wie schön er ist.

Wie viel er mir bedeutet.

Gegenwart

Ich wuchte meine Reisetasche hoch und stopfe sie in die Gepäckablage des Fliegers.

Dann quetsche ich mich an den ersten zwei Plätzen der Sitzreihe vorbei und lasse mich auf meinen Fensterplatz plumpsen.

Links neben mir sitzt eine junge Frau und lächelt mich schüchtern an. Ich lächele zurück und stopfe mir meine Airpods in die Ohren, die ich aus der engen Tasche meiner schwarzen Kunstlederjacke hervorgekramt habe, welche zusammengeknubbelt auf meinem Schoß liegt.

Ich öffne Spotify auf meinem iPhone, wähle meine Lieblingsplaylist aus, atme ein paarmal tief ein und aus und versuche, mich endlich zu entspannen.

Jetzt liegen fast 14 Stunden Flug vor mir. Ich bin innerlich völlig aufgedreht, voller Vorfreude und gleichzeitig voller Unsicherheit.

Vor etwa neun Jahren bin ich das letzte Mal diese lange Strecke geflogen, zusammen mit meinen Eltern.

Dieses Mal fliege ich allein.

In Los Angeles mein Medizinstudium zu machen war eine Entscheidung, die ich nach heutiger Ansicht damals viel zu leichtfertig getroffen habe.

Ich wollte in die USA, um vor meinen Gefühlen zu fliehen, die ich mir einfach nicht eingestehen und nicht zulassen wollte.

Aber jetzt weiß ich, wie dumm das war.

Gefühle lassen sich nicht ignorieren, sie lassen sich auch nicht wegdenken.

Sie wollen gesehen und gehört vor allem aber gefühlt werden, tut man dies nicht, verfolgen sie einen.

Sie werden zu deinen Dämonen und zu deinen größten Ängsten. Zu deinem Feind.

So lange, bis du endlich hinschaust, hinhörst, zulässt und akzeptierst.

Meine Gefühle haben mich eine Zeit lang beinahe in eine Depression getrieben. Es vergeht kein einziger Tag, an dem ich nicht an Lina denke.

Das Mädchen, dem mein Herz gehört.

Damals hätte ich es nicht verkraftet, wenn sie mir gesagt hätte, dass sie anders empfindet. Ich war naiv und habe geglaubt meine Gefühle würden unserer Freundschaft im Weg stehen, deshalb habe ich damals entschieden zu gehen.

Was ich nicht wusste, mit ihr habe ich einen Teil meiner Seele zurückgelassen.

Aus meiner Hosentasche hole ich ein Herz aus Rosenquarz.

Eine Verbindung zu Lina, die ich schon die ganzen Jahre über immer nah an meinem Körper trage.

Seit Lina früher unwissentlich, scheinbar ihre Energie auf meinen Edelstein übertragen hat, kann ich durch ihn grobe Informationen über sie bekommen.

Das hab ich schon damals bemerkt, es aber immer für mich behalten.

Manchmal sind es kurze Bildsequenzen von Lina, die sich vor meinem inneren Auge zeigen, oder Gefühle, die in mir hochkommen, welche ich nicht bei mir einordnen kann.

Ein paarmal habe ich auch schon ihre Gedanken innerlich gehört, aber das waren nur Bruchstücke und völlig ohne Zusammenhang.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass Lina sehr gelitten hat, als ich sie verlassen habe. Und ich weiß, sie leidet bis heute.

Aber das sie für mich dasselbe fühlt wie ich für sie, daran kann ich einfach nicht glauben.

Ich will mir keine falschen Hoffnungen machen.

Den Edelstein noch immer in der Hand, schließe ich die Augen und konzentriere mich ganz auf seine Schwingung und die beruhigende sanfte Klaviermusik in meinen Ohren.

Noch einige Stunden und ich bin zurück in Deutschland.

Ich wache auf als der Pilot die Zwischenlandung in Frankreich ankündigt. Mein Rücken und mein Hintern schmerzen vom ewigen Sitzen auf demselben engen Sitz.

Ich versuche, mich so gut es geht auszustrecken und fahre mir mit den Fingern beider Hände durch die Haare, bezweifle jedoch, dass sie dadurch besser aussehen als vorher.

Ich beschließe, am Flughafen einen großen Kaffee zu kaufen und mir die Beine etwas zu vertreten, bevor mein Flug fortgesetzt wird.

Es wird sicher komisch sein wieder nach Hause zu kommen.

Vor allem allein.

Mama und Papa bleiben in Los Angeles. Sie haben dort beide ihre Arbeit und fühlen sich einfach wohl.

Mein Vater ist Psychologe in seiner eigenen Praxis, die immer guten Zulauf hat und meine Mutter hat vor drei Jahren einen kleinen Schmuckladen eröffnet.

Wir wohnen zu dritt in einer ausreichend großen, gemütlichen Wohnung in Westwood, in der Nähe der University of California, an der ich Medizin studiert habe.

Eine eigene Wohnung habe ich mir während des Studiums nicht leisten können und zugegeben, ich habe es auch wirklich genossen, dass Mama abends für uns alle gekocht hat, sich um meine Wäsche gekümmert hat und ich im Haushalt auch nicht viel tun musste.

Ich werfe einen Blick auf mein Handy.

Zehn ungelesene Nachrichten, die meisten davon Abschiedsgrüße von meinen Freunden in L.A., die ich schon jetzt vermisse.

Eine Nachricht von Mama, die mir schreibt, dass ich mich bei ihr oder Papa melden soll, sobald ich in Deutschland gelandet bin.

Eine Nachricht von meiner Tante Anette, dass mein Kram schon gestern in Deutschland angekommen ist und im Haus in Köln darauf wartet, ausgepackt zu werden.

Und dann noch die Nachricht von Lina, die neugierig fragt, was ich denn für eine Überraschung geplant habe.

Ich habe die letzten Monate mit Lina kein einziges Mal über meine Pläne zurück nach Deutschland zu ziehen gesprochen. Ich habe mich einfach in Kölns Krankenhäusern beworben, um dort meine Facharztausbildung in der Chirurgie zu beginnen.

Ich habe eine Woche Zeit um es mir in unserem Haus in Köln- Bayenthal wieder heimisch zu machen, bevor ich dann übernächsten Montag meinen ersten Arbeitstag dort, im St. Antonius Krankenhaus direkt bei mir um die Ecke, angehe.

Mit meinem noch heißen Kaffee in der Hand, den ich mir in einer Bäckerei besorgt habe, schlendere ich durch die Flughafengeschäfte und stöbere herum, ohne etwas zu kaufen.

Es tut gut sich ein bisschen bewegen zu können und doch freue ich mich auf den Anschlussflug, der mich dann endlich an mein Ziel bringt.

Die geplante Ankunftszeit am Kölner Flughafen ist 13 Uhr.

Von da aus fahre ich dann mit der Bahn weiter.

Ich werde noch sehr viel zu tun haben die nächsten Tage und würde mir gerne noch ein paar Möbel besorgen. Im Haus ist zwar das Meiste vorhanden, da es ja als Ferienhaus genutzt wurde, jedoch denke ich, dass ich mich wohler fühle mit ein paar neuen und vor allem eigenen Dingen. Dann kann ich nach und nach alles nach meinem Geschmack einrichten.

Ich muss mich beim Amt ummelden und wollte nach einem Auto suchen.

In Köln kann man alles mit der Bahn gut erreichen, aber ich bin es aus Los Angeles einfach gewohnt ein eigenes Auto zu haben und unabhängig zu sein. Außerdem ist es für Großeinkäufe und Möbelstücke, die man transportieren muss, einfach praktischer.

Ich hoffe sehr, dass Lina mich bei all den Erledigungen begleitet.

Der Aufruf für meinen Flug reißt mich aus meinen Gedanken.

Ich werfe den leeren Kaffeebecher in einen Mülleimer und mache mich bereit für das letzte Boarding auf meiner Reise.

2019 - Im Alter von 15 Jahren

Ich liege auf dem Teppich in Linas Zimmer und halte mein Rosenquarzherz an meine Brust gedrückt. Mit der anderen Hand halte ich Linas Hand fest. Die Energie fließt wie Strom durch meinen ganzen Körper und ich spüre das gleichmäßige und seltsamerweise gleichzeitige Pulsieren von meinem Edelstein und meiner besten Freundin.

Ich habe zwar schon immer die faszinierende Schwingung der Steine deutlich wahrgenommen, aber so etwas habe ich noch nie gespürt.

Plötzlich reißt Lina ihre Hand zurück und zieht scharf die Luft ein.

Ich öffne meine Augen und schaue in ihre.

„Geht es dir gut?“, frage ich besorgt.

„Ja, aber ich hab auch irgendwas gespürt gerade. Das war seltsam … “

Eine angenehme Wärme breitet sich in meiner Magengegend aus.

Sie hat es also auch bemerkt, ich habe es mir nicht eingebildet.

Ich halte meinen Blick weiter auf sie gerichtet und lächle sanft.

Lina und ich. Das, was wir beide haben, ist so besonders, so einzigartig, das spüre ich nun deutlicher als zuvor.

Lina, mit ihren grünen Augen, ihren geschwungenen, perfekt geformten Lippen, ihr glänzendes braunes Haar, welches gerade offen über ihren Rücken fällt.

Es ist schon spät, fast 23 Uhr, aber ich liege noch lange wach in meinem Bett. In meinem Zimmer, in dem Haus gegenüber von Lina Kaster.

Ich halte das Rosenquarzherz in meiner linken Hand, denn diese ist näher an meinem Herzen.

Ich kann Linas Energie noch immer spüren.

Es kommt mir fast so vor, als könnte ich ihren Herzschlag durch den Stein verfolgen. Wie ein leises, warmes Pochen in meiner Hand.

Ich schließe meine Augen und konzentriere mich ganz auf die Emotionen, die in mir aufsteigen.

Ich fühle Geborgenheit, Glück und Liebe.

Vor meinen inneren Augen beginnen sich zarte Bilder zu formen. Ähnlich wie die Visionen, die ich oft habe und die so unglaublich sind, dass sie mir niemand glauben würde.

Sonst geht es in den Visionen nur um mich, doch jetzt sind es plötzlich Visionen von mir und Lina zusammen.

Ich wusste selbst lange gar nicht so genau, ob es tatsächlich Visionen sind und was das, was ich in ihnen sehe wirklich bedeutet.

Oft habe ich gedacht, ich spinne mir da etwas zusammen.

Aber vor Kurzem ist etwas passiert und seit dem bin ich mir sicher, dass diese Bilder Realität sind. In der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft.

Ich erlebe die Visionen mit allen meinen Sinnen.

In diesen Momenten kann ich alles was um mich herum passiert deutlich erkennen. Ich rieche Düfte, die ich noch nie zuvor gerochen habe und sehe Farben, für die ich keine Worte habe. Ich höre Musik, wie nicht von dieser Welt. Das alles ist kaum zu glauben und bestärkt mich in der Sicherheit, dass man sich so etwas auch nicht einbilden kann.

Das Ganze fing damals an, als ich ca. drei Jahre alt war.

Aber, dass diese Art von Träumen nicht ganz normal sind, wurde mir erst bewusst, als ich ca. 7 Jahre alt war und von meinen Eltern und von Freunden, denen ich davon erzählt habe, sehr verwundert angestarrt wurde und sie alles nur als Fantasie abgetan haben.

Seitdem habe ich nie wieder mit anderen über diese Erlebnisse gesprochen.

Nicht einmal mit Lina.

Meine Eltern sind sehr offen, was spirituelle Dinge angeht, aber ich glaube nicht, dass sie damit gerechnet haben oder glauben können, dass ihrem eigenen Sohn so etwas Außergewöhnliches passiert.

Ich bleibe noch eine Weile in dieser anderen Welt und staune über die neuen Eindrücke. Dann wird mir eine Sache plötzlich sehr bewusst.

Die Tatsache, dass Lina und ich schon immer zusammengehört haben.

Mit einem angenehmen Kribbeln in der Magengegend falle ich in einen tiefen Schlaf.

„Lina reichst du mir bitte die Marmelade?“,

„Klar Mama.“

Ich liebe die Samstage, an denen meine Mutter frei hat und gemeinsam mit Papa und mir frühstückt.

Mit Papa alleine zu frühstücken ist auch ganz nett, aber geselliger ist es eben zu dritt.

„Was habt ihr denn heute Schönes geplant Mädels?“, fragt Papa und beißt dann einen riesig großen Bissen von seinem Brötchen ab.

„Ich hoffe, dass ich deine Wiederbelebung nicht mit in meinen Tagesplan mit aufnehmen muss, wenn du an dem überdimensionalen Stück Brötchen das du dir gerade in den Mund gestopft hast, erstickst Papa!“ Ich muss so sehr lachen, dass ich mich beinahe selber an einem Krümel verschlucke, es aber gerade noch rechtzeitig mit einem Räuspern verhindern kann.

„Also, heute Abend bin ich mit Emma verabredet. Wir wollen einen Film anschauen und uns eine Gesichtsmaske machen.“

„Das wird bestimmt super, Schatz. Es tut dir sicher gut, mal wieder mit Emma zu quatschen. Du wirkst ein wenig gestresst in letzter Zeit.“

Mama hat meine verheulten Augen bemerkt, die sich heute Morgen einfach nicht mit Make-up kaschieren lassen wollten.

Sie lächelt mir aufmunternd zu und erzählt von ihren Plänen für heute. „Ich werde jetzt gleich erst mal ein bisschen Ordnung machen und anschließend in den Supermarkt einkaufen gehen. Hat jemand Lust mitzukommen?“

„Ich komme mit.“, beschließe ich. „Ich brauche eh noch ein paar Kleinigkeiten.“

„Ich bringe den Nachbarn gleich die Schleifmaschine zurück und dann ist Entspannung angesagt.“ Papa hatte die letzte Woche Urlaub und diesen dafür genutzt, allerlei Handwerkliches im Haus zu erledigen, wozu er sonst kaum Zeit findet.

„Montag geht es ja wieder los für mich.“, fügt er noch hinzu.

Er arbeitet als Fliesenleger in einer größeren Firma.

„Ja, ein bisschen Entspannung hast du dir verdient, du hast ganz schön viel geschafft letzte Woche.“

Mama und Papa unterhalten sich weiter und ich trinke den letzten Schluck Kaffee aus meiner Tasse. Dann werfe einen Blick auf mein Handy.

Gabriel hat sich immer noch nicht zurückgemeldet und so langsam macht mir das Sorgen.

„Lina, was meinst du, wann wir loskönnen?“, fragt mich Mama.

„Hmm?“ Ich war total in meinen Gedanken versunken und habe kurz vergessen, dass ich ihr beim Einkauf Gesellschaft leisten wollte.

„Zum Supermarkt meine ich.“, sagt sie und räumt die Teller vom Frühstück zusammen.

„Achso, meinetwegen gleich schon. Ich muss mir nur noch schnell meine Haare föhnen gehen. Eigentlich wollte ich sie heut an der Luft trocknen lassen, aber wenn wir jetzt rausgehen, ist mir das zu kalt.“

„Na klar, wir haben ja keine Eile heute. Mach du dich mal in Ruhe fertig und Papa und ich räumen hier auf.“

Ich föhne meine Haare länger, als es nötig ist, denn die Luft ist so schön warm und das laute Gepuste des Föhns wirkt ein kleines bisschen gegen meine kreisenden Gedanken.

Als ich fertig bin, mache ich mir noch schnell einen Pferdeschwanz, gehe die Treppe runter und hole meine Handtasche und meine Jacke aus der Garderobe.

Wenig später steigen Mama und ich ins Auto ein.

Es ist mittlerweile elf Uhr und Gabriel hat sich noch immer nicht gemeldet. Mit zusammengezogenen Augenbrauen starre ich abermals auf mein Handy.

„Willst du mir jetzt endlich verraten, was mit dir los ist?“, fragt Mama besorgt.

„Ach, es ist wegen Gabriel. Er hat sich seit gestern nicht mehr bei mir gemeldet. Normalerweise beginnt jeder Tag mindestens mit einer Nachricht von ihm. Ich weiß gar nicht, ob ich mir Sorgen machen oder mich über ihn ärgern soll. Klingt das blöd?“

Ich schaue meine Mutter kurz an, aber nur um gleich wieder wegzusehen, damit sie nicht sieht wie Tränen in meinen Augen aufsteigen.

„Nein, das klingt überhaupt nicht blöd! Ihr habt eben schon immer eine ganz besondere Verbindung gehabt. Wenn du sonst wirklich jeden Morgen von ihm hörst, dann kann ich gut verstehen, dass du verunsichert bist. Aber meistens gibt es doch immer eine gute Erklärung für solche Dinge. Hast du denn schon versucht, ihn anzurufen?“

Mama hat recht.

Vielleicht steigere ich mich da in etwas rein, was eigentlich nur ein Missverständnis ist. Möglicherweise hat er ja im Moment sehr viel um die Ohren, oder sein Handy ist verloren gegangen.

„Ja das hab ich gestern Abend versucht, weil er mir auf meine Nachricht nicht geantwortet hat. Aber es ist nur sein Anrufbeantworter angesprungen.“

Zumindest habe ich dadurch kurz seine Stimme hören können.

Meine Mutter weiß nicht, dass ich in Gabriel verliebt bin. Vielleicht ahnt sie es, nach dem ganzen Drama das ich um ihn mache, seitdem er weg ist.

Aber darauf angesprochen hat sie mich noch nie und da ich und Gabriel sowieso keine Chance haben, sehe ich auch keinen Sinn darin ihr mein Herz auszuschütten. Sie würde sich nur Sorgen um mich machen und mir ständig mitleidige Blicke hinterherwerfen. Es reicht mir vollkommen aus, wenn ich mit Emma über diese Dinge reden kann.

„Gib ihm einfach noch ein bisschen Zeit Lina. Er wird sich schon noch melden. Wann war er denn das letzte Mal online?“

„Ich weiß es nicht. Die Funktion, dass man das sehen kann, hat er leider ausgeschaltet. Aber du hast vermutlich recht Mama.

Ich lasse mein Handy im Auto liegen, während wir einkaufen, ich schaue sonst eh nur ständig darauf.“

Mittlerweile sind wir am Supermarkt angekommen und meine Mutter sucht nach einer freien Parklücke.

Als sie ganz vorne auf einen Mutter-Kind-Parkplatz zusteuert, sehe ich sie verwundert an.

„Was denn?“, fragt sie grinsend. „Wir sind doch Mutter und Kind. Und was anderes ist nicht frei.“

Jetzt hat sie es geschafft, mich zum Lachen zu bringen, und meine traurige Stimmung hebt sich allmählich.

Wir waren schon lange nicht mehr zusammen unterwegs und ich genieße es, meine Mutter mal für mich allein zu haben.

Mit ihren vielen Schichten und langen Arbeitstagen bleibt ihr manchmal kaum Zeit für mich oder sie ist zu müde, um lange Gespräche zu führen oder etwas zu unternehmen.

Quatschend und gut gelaunt schieben wir den Einkaufswagen durch die Gänge und ich kann meiner Mutter sogar die Schoko- Cornflakes abschwatzen, die ich schon als Kind so sehr geliebt habe.

„Boah Mama, ich glaube, ich mache später zu Hause ein zweites Frühstück!“, schwärme ich. „Die Dinger hab ich so lange nicht mehr gegessen, da muss ich gleich erst mal eine riesige Schüssel von probieren.“

„Ich verstehe bis heute nicht, wie du dieses überzuckerte Zeug essen kannst.“, meine Mutter rümpft angeekelt ihre Nase.

„Da tun mir schon bei dem Gedanken daran meine Zähne weh.“, fügt sie hinzu und greift, wie passend, in das Zahnhygiene Regal um neue Zahnbürsten und Zahnpasta in unseren Wagen zu legen.

Ich muss so laut lachen, dass sich sogar ein paar Leute zu mir umdrehen, aber das ist mir gerade total egal. Diese Unbeschwertheit hat mir die letzten Tage wirklich gefehlt.

Nachdem wir die Einkäufe im Auto verstaut haben, beschließen wir im Café nebenan noch einen Cappuccino zu trinken, bevor wir heimfahren.

Eine ganze Zeit sitzen wir gemütlich in den niedlichen roten Samtsesseln des Cafés und beobachten durch die großen Fenster die Leute draußen.

Das mache ich gerne.

Nicht um mich über die Leute lustig zu machen oder über sie herzuziehen, sondern eher um ihre Energie zu lesen. Das klingt total verrückt ich weiß, aber ich hatte schon immer eine wahnsinnig gute Menschenkenntnis und ein sehr gutes Gespür für die Gefühle anderer Menschen.

Das hilft mir auch bei meiner Arbeit in der Physiotherapie ungemein.

Es ist total spannend, ich sehe eine Person und bemerke sofort ihre Energie. Schon von Weitem kann ich spüren, wie sich die Person gerade fühlt und ob ein Lächeln wirklich echt ist.

Mir macht man so schnell wirklich nichts vor.

Manchmal ist es aber auch sehr schwer für mich. Wenn die Leute mit mir reden und mir etwas erzählen aber ihre Energie mir ganz andere Signale sendet, dann weiß ich nicht wie ich reagieren soll und fühle mich auch oft belogen.

Es hat also Vor- und Nachteile, aber im Allgemeinen bin ich sehr stolz auf meine stark ausgeprägte Empathie.

Der schrille und peinlich laute Klingelton von Mamas Handy reißt mich aus meinen Gedanken.

„Katharina Kaster?“, nimmt sie das Gespräch entgegen.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch und schaue sie fragend an.

„Ach Herr Kemper, das ist doch mein freies Wochenende und ich hatte schon so lange keins mehr.“

Genervt fasst sich meine Mutter an die Stirn und lässt ihre Finger in ihren Haaransatz gleiten.

Herr Kemper ist Mamas Chef und ich ahne schon, was jetzt kommt.

„Ja … ja gut, aber sie müssen mir schon noch ein Stündchen Zeit geben. Ich bin gerade mit meiner Tochter im Café.“

Stöhnend legt sie auf und schaut mich entschuldigend an.

„Es tut mir so leid mein Schatz. Eine Kollegin hat sich krank gemeldet und ich muss für sie einspringen. Ich setze dich gleich zu Hause ab und fahre dann direkt weiter. Tust du mir einen Gefallen und räumst die Einkäufe für mich weg?“

„Na klar, kein Problem.“ Meine Mutter tut mir wirklich leid.

Sie hatte sich so auf ihr dienstfreies Wochenende gefreut.

„Wie lange musst du denn arbeiten?“, frage ich.

„Ich hoffe nur drei Stunden, dann übernimmt eine andere Kollegin für mich.“

„Dann sehen wir uns ja heute Nachmittag noch, bevor ich heute Abend zu Emma gehe.“

Wir bezahlen unsere Getränke und machen uns auf den Heimweg.

Wie abgesprochen setzt mich Mama daheim ab und ich hieve die schweren Einkaufstaschen zur Haustür.

Papa scheint noch bei den Nachbarn zu sein, um ihnen das Schleifgerät zurückzubringen, denn er antwortet nicht als ich nach ihm rufe.

Ich schleppe die Einkäufe also alleine in die Küche und sortiere sie ordentlich ein.

Die neuen Cornflakes lasse ich allerdings bis zum Schluss auf der Küchenzeile stehen, um mir dann gleich eine Schüssel voll zu genehmigen.

Es schmeckt so unglaublich gut und versetzt mich direkt in meine Kindheit und erinnert mich auch an Gabriel, der die Flakes damals, genauso sehr liebte.

Da ist er wieder, der Stich in meinem Magen und mit ihm das Gefühl, als würde mir jemand die Kehle zudrücken.

Ich hatte tatsächlich kurze Zeit vergessen mir Sorgen um Gabriel zu machen.

Nervös suche ich nach meinem Handy, kann es aber nirgendwo finden. Mist, mir steht der Schweiß auf der Stirn und ich suche wie besessen ein zweites Mal überall. Ich durchsuche meine Jackentaschen, die Einkaufstaschen und zum zehnten Mal taste ich meine Hosentaschen ab.

Es muss wohl noch im Auto liegen.

Verzweifelt lasse ich mich wieder am Tisch vor meiner Schüssel Cornflakes sinken, Hunger habe ich allerdings jetzt keinen mehr.

Jetzt weiß ich nicht einmal, ob er sich in der Zwischenzeit bei mir gemeldet hat und ob ich mich jetzt weiterhin sorgen soll.

Laut puste ich Luft aus meinen aufgeblasenen Backen und versuche, mich langsam wieder zu beruhigen.

Jetzt muss ich noch zweieinhalb Stunden in meiner Unwissenheit aushalten, bis meine Mutter mit meinem Handy wieder Zuhause ist, darum starte ich jetzt einen kläglichen Versuch mich abzulenken und kümmere mich ein bisschen um den Haushalt.

Mit laut aufgedrehtem Radio fege ich im wahrsten Sinne des Wortes durchs Haus. Anschließend schwinge ich im Bad noch ein bisschen den Putzlappen und bekomme wegen der lauten Musik nicht einmal mit, dass mein Vater wieder da ist.

„Eine Putzparty und ich bin nicht eingeladen?“, brüllt er mir lachend entgegen.

„Ja, ist leider U-30 Papa!“, grinse ich zurück.

„Na dann will ich mich mal schnell wieder verkrümeln. Wenn du mich brauchst, ich bin im Wohnzimmer und leg mich mal einen Moment auf die Couch.“

„Soll ich die Musik ausmachen Papa?“, rufe ich ihm hinterher, als er sich umdreht. „Nein, nein mach du mal, Schatz.“

Meine Eltern sind schon immer ziemlich locker, was solche Dinge angeht. Mit lauter Musik kann man die beiden einfach nicht schocken. Anders als bei Emmas Eltern, die total empfindlich auf alle Geräusche reagieren. Als Emma noch bei ihren Eltern gewohnt hat, musste man beinahe auf Zehenspitzen durch die Wohnung schleichen, um niemanden zu stören. Das hat uns als junge Mädels echt genervt und aus dem Grund waren wir auch viel öfter bei mir.

Emma war total froh, als sie vor 3 Jahren endlich in eine eigene Wohnung ziehen konnte.

Über eine Wohnung hab ich selber noch gar nicht so viel nachgedacht. Ich verstehe mich doch super mit meinen Eltern.

Unter der Woche bin ich den ganzen Tag bei der Arbeit, und wenn ich dann abends zurückkomme, habe ich alle Freiheiten.