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Die "Geschichten von Gefahr und Magie" entführen die Leser in die faszinierende, gefährliche und magische Welt von Edingaard. Ob Kundschafter oder Waisenmädchen, Bergkobold oder mächtige Magierin - sie alle haben ihre Geschichte zu erzählen und zeigen wie nah Schönheit, Liebe und tödliche Gefahr in Edingaard beieinander liegen. Leserstimmen über Edingaard: "Einfach genial, magisch, unberechenbar!" - Gironimo Sunshine "Mystisch, Spannend, Fantastisch!!!" Absolut lesenswert!!!" - Julia Schlösser "Wortzauber zum Klingen gebracht!" - Andreas Hinweis: Dieses eBook enthält drei Kurzgeschichten, zwei Bonusszenen sowie eine Leseprobe zum ersten Band der Edingaard-Trilogie. Es kann auch unabhängig von der Trilogie gelesen werden. Die Edingaard-Reihe Geschichten von Gefahr und Magie - Prequel Band 1: Der Pfad der Träume Band 2: Der Klang der Magie Band 3: Das Vermächtnis der Priesterin
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Seitenzahl: 195
Verstohlen schaute Luca sich nach allen Seiten um. Er wollte Nindor Boruksson, seinen Begleiter und den Inhaber eines sehr erfolgreichen Handelshauses, nicht merken lassen, wie sehr ihn das Vergnügungs- und Gauklerviertel von Dorheim faszinierte, wollte nicht, dass der Mann neben ihm ihn für ein Landei hielt. Aber Tatsache war, dass er etwas so Buntes, Schillerndes, Aufregendes bisher nur selten gesehen hatte.
Sein Blick fiel auf ein kleines Tierchen, das – in einen glänzenden, puffigen Wams und eine kurze Ballonhose gekleidet – angekettet auf einem vergoldeten Holzstuhl saß. Der Ausdruck in dem Gesicht des Wesens passte jedoch so gar nicht zu seiner fröhlichen Aufmachung.
Neugierig blieb er stehen und musterte das Tier. Überrascht nahm er das leichte Flackern einer magischen Aura wahr und verengte prüfend seine Augen. Das war kein Affe!
»Was ist das?«, wandte er sich fragend an den Mann hinter dem Tier.
Der Schausteller lächelte ihn überschwänglich an. »Das, mein werter Herr, ist ein Unikat, eine phänomenale Laune der Natur – ein sprechender Affe! Der einzige seiner Art. Für ein halbes Silberstück spricht er alles nach, was Ihr ihm vorsagt, und sei es auch noch so schwer!« Er musste Lucas skeptischen Blick gesehen haben, denn er stieß das Wesen mit einem verzierten Stab unsanft in die Seite. »Los, sag was!«
»Was«, presste das Wesen mit einer schnurrenden, leicht nasalen Stimme hasserfüllt hervor.
Luca drehte sich der Magen um. Was auch immer das war, es hatte diese Behandlung nicht verdient. Jetzt fiel ihm auch auf, wie dünn und krank das Wesen wirkte, wie aufgescheuert die Haut unter den engen Handschellen zu sein schien, die es festhielten.
»Nur ein halbes Silberstück, mein Herr, und wenn Ihr wollt, singt er Euch sogar etwas vor. Ich verspreche Euch, so etwas habt Ihr noch nie gesehen!«
»Kommt jetzt«, drängte Lucas Begleiter. »Die Vorstellung fängt gleich an. Und glaubt mir, die wollt Ihr nicht verpassen.«
Luca zog rasch eine Silbermünze aus seiner Tasche und reichte sie dem Besitzer des Wesens. »Hier habt Ihr sogar eine ganze, gebt dem armen Tier dafür etwas zu essen.« Er wandte sich angewidert ab und beeilte sich, um den vorausgehenden Mann im Gedränge nicht zu verlieren.
Gern hätte er noch mehr für dieses Wesen getan, doch er hatte einen anderen Auftrag zu erfüllen. Seit Tagen versuchte er bereits ein Abkommen zwischen dem Handelsimperium von Nindor Boruksson und seiner Auftraggeberin Elaina abzuschließen, bei dem die fahrenden Händler in ganz Edingaard immer die neusten Informationen und Gerüchte für sie sammeln sollten. Trotz der Abgeschiedenheit ihrer Zitadelle legte Elaina großen Wert darauf, stets auf dem Laufenden zu sein. Diesen Vormittag erst war es Luca gelungen, die letzten Feinheiten auszuhandeln, und zur Feier des Tages hatte Nindor ihn zu einer ganz besonderen Vorstellung eingeladen, zu der er jedoch nur ein paar vage Andeutungen machte. Luca hatte den neuen Verbündeten nicht enttäuschen wollen, außerdem hatte er ohnehin nichts Besseres vor.
Wie er Elaina kannte, hatte sie den erfolgreichen Ausgang der Verhandlungen ohnehin bereits in ihrem magischen Spiegel gesehen – es war so gut wie unmöglich, sie mit irgendetwas zu überraschen, also sah er auch keinen Grund dafür, sich mit seiner Rückkehr zu ihr sonderlich zu beeilen.
Nindor führte ihn in ein großes, rundes Haus in der Mitte des Areals, und Luca hatte Mühe, seine Kinnlade geschlossen zu halten. Noch nie war er in einem fest errichteten Theater gewesen. Die wenigen Vorstellungen, die er bisher besucht hatte, hatten im Freien oder in dünnen Zirkuszelten stattgefunden.
Ohne sich um seine Verblüffung zu kümmern, nickte Nindor der Frau am Eingang flüchtig zu und steuerte wie selbstverständlich die vorderen Logenplätze an. »Man kennt mich hier«, erklärte er leichthin. »Ich habe diese Plätze dauerhaft gemietet.« Dann wandte er sich Luca zu und grinste. »Und jetzt, genießt die Vorstellung, mein Freund. Ich versichere Euch, so etwas habt Ihr noch nie gesehen.«
Er hatte recht. Es folgte eine bunte Mischung aus Akrobatik, Gesang und Tanz. Besonders eine Tänzerin hatte es Luca angetan. Noch nie zuvor hatte er eine Frau gesehen, die derart biegsam war und dabei noch so unwahrscheinlich verführerisch aussah. Ihr Körper war so knapp bekleidet, ihre Bewegungen so aufreizend, dass sein Blut unwillkürlich in Wallung geriet.
Er schluckte und versuchte, seinen Blick von ihr abzuwenden. Es war nicht seine Art, seine Begierde so deutlich zu zeigen. In den Gesichtern der Männer um ihn herum sah er das gleiche Verlangen, das auch ihn beherrschte, – und ekelte sich vor sich selbst. Dennoch gelang es ihm nicht, ihrer Wirkung dauerhaft zu entfliehen. Er wandte seinen Kopf erneut der Bühne zu und bemerkte, wie sie ihn anlächelte. Er war ganz sicher, dass das Lächeln ihm galt, sah die Verheißung in ihren Augen blitzen und sein Herzschlag beschleunigte sich. Ihm war, als würde sie von nun an nur für ihn tanzen. Luca warf all seine Vorbehalte über Bord und folgte gebannt jeder ihrer Bewegungen.
Die Musik verklang, es wurde dunkel, dann flackerten die an den Wänden angebrachten Öllaternen wieder auf und Luca brauchte einen Moment, um aus seiner Starre zu erwachen.
»Nun, mein Freund«, lachte Nindor erfreut, »habe ich Euch etwa zu viel versprochen?«
»Nein.« Luca räusperte sich, damit seine Stimme nicht ganz so krächzend klang. »Nein, das habt Ihr nicht.«
»Die Kleine scheint es Euch ja ganz schön angetan zu haben«, zog der ältere Mann ihn gutmütig auf. »Wenn Ihr wollt, frage ich an, ob sie heute Abend verfügbar ist. Seht es als mein Abschiedsgeschenk an.«
Luca erstarrte. »Ihr meint … Sie ist ein Freudenmädchen?«
Nindor schenkte ihm einen fast mitleidigen Blick, dann zuckte er mit den Schultern. »Ich weiß es nicht mit Gewissheit, mich hat sie nicht wirklich gereizt, sie ist mir zu dünn.« Er klopfte auf seine runde Körpermitte. »Aber aus Erfahrung weiß ich, dass alles nur eine Frage des Preises ist. Also, was sagt Ihr?«
»Das ist sehr freundlich von Euch, aber nein«, winkte Luca ernüchtert ab. Er hatte noch niemals für weibliche Gesellschaft bezahlen müssen und hatte gewiss nicht vor, jetzt damit anzufangen.
»Wie Ihr wollt.« Nindor erhob sich und streckte ihm seine Hand entgegen. »Es war ein Vergnügen, mit Euch Geschäfte zu machen, ich hoffe, wir sehen uns mal wieder. Bestellt Elaina einen Gruß von mir.«
»Danke, das mache ich.« Luca ergriff die angebotene Hand. »Die Freude ist ganz meinerseits.«
Er schaute Nindor hinterher, dann erhob er sich langsam. Trotz der abkühlenden Worte des älteren Mannes widerstrebte es ihm, das Gebäude mit den Anderen zu verlassen. Noch immer spürte er das Kribbeln in seinem Körper, das das Lächeln der Tänzerin in ihm ausgelöst hatte.
Schließlich seufzte er bedauernd. Es hatte keinen Sinn, hier noch länger zu trödeln.
Er wollte gerade gehen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Das war doch nicht …?
Tatsächlich, hinter dem Vorhang, der die Bühne abgrenzte, blitzte eine helle Hand hindurch – ihre Hand, die lockend den Zeigefinger krümmte, um ihn zu sich zu rufen. Rasch blickte Luca sich um, um sich zu vergewissern, dass damit tatsächlich er gemeint war. Niemand schien ihn – oder sie – zu beachten. Mit klopfendem Herzen lief er auf den Vorhang zu.
Ihre kleine, warme Hand schloss sich um die seine und zog ihn zu sich nach hinten. In dem dämmrigen Licht hinter dem Vorhang konnte er ihre Gestalt nur schemenhaft erkennen. Sie stand so nah bei ihm, dass er seinen Arm nur zu heben brauchte, um sie zu berühren, sie an sich zu drücken, sie zu küssen. Luca schüttelte den Kopf, um seinen Verstand zu klären, und atmete tief durch. Ein schwerer Fehler – wie er gleich darauf feststellte, denn ihr blumiger Duft vermengt mit einer leichten Schweißnote stieg ihm verführerisch in die Nase.
»Wie hat Euch meine Vorstellung gefallen?«, fragte sie mit genau der richtigen Mischung an Schüchternheit und Koketterie in der Stimme.
»Sie war einmalig«, erwiderte Luca wahrheitsgemäß.
Das Mädchen lächelte. Nun, da sich seine Augen immer stärker an die Dunkelheit gewöhnten, konnte er mehr von ihren Zügen erkennen. Aus der Nähe betrachtet schien sie noch schöner zu sein als auf der Bühne – große dunkle Augen, die von dichten Wimpern umrahmt wurden, ein glänzender, sinnlicher Schmollmund und eine Fülle dunkelbrauner Locken, die sich auf ihre noch immer entblößten Schultern ergoss.
»Ihr seid mir sofort aufgefallen, als ich auf die Bühne kam«, sagte sie leise und berührte seine Finger zögernd mit den ihren. Ein Stromstoß jagte durch Lucas Körper und er ballte die freie Hand, um seine Selbstbeherrschung zu wahren. Was war es nur an dieser Frau, das ihn derart um den Verstand brachte? »Wollt Ihr … Wollt Ihr unsere Unterhaltung vielleicht an einem anderen privateren Ort weiterführen?«
»Ja«, krächzte Luca. Und ob er das wollte. Wie in Trance folgte er ihrer schlanken, aufreizenden Gestalt durch die Hintertür des Theaters und zwischen Pferdeställen, Wohnwagen und Zelten hindurch. Das war offensichtlich die Kehrseite des Gauklerviertels, die gewöhnliche Besucher nicht zu Gesicht bekamen.
Sie erreichten eine Gruppe von buntbemalten Wagen, die von einem kräftigen Mann mit einem gefährlich aussehenden Krummschwert an der Hüfte bewacht wurde. Das Mädchen nickte ihm grüßend zu, ignorierte sein missbilligendes Stirnrunzeln und huschte mit Luca im Schlepptau an ihm vorbei.
Schließlich blieb sie vor einem Wohnwagen stehen, öffnete die Tür und kletterte hinein. Luca folgte ihr zögernd.
Die frische Luft hatte sein Gemüt ein wenig abgekühlt und unwillkürlich fragte er sich, ob das alles nicht etwas zu schnell ging. Sie hatten bisher kaum ein Wort miteinander gewechselt, er kannte nicht einmal ihren Namen, und doch stand er nun hier, vor ihrem Bett, auf dem sie es sich gerade gemütlich machte.
»Mach die Tür zu und komm her.« Lockend streckte sie Arme nach ihm aus.
Der letzte Rest seines Verstandes schaltete sich ein, ließ ihn nach verborgener Magie – einem Bann, einem Liebeszauber – suchen, doch da war nichts, nur diese Frau, die wie die Sünde in Person wirkte. Er tastete kurz nach seinem Geldbeutel. Viel war ohnehin nicht drin. Selbst wenn sie eine Diebin sein sollte, wäre eine Nacht mit ihr es ihm wert.
Des Wartens müde, richtete sie sich erneut auf, kroch auf dem Bett auf ihn zu und nahm seine Hand. »Komm schon.«
Luca gehorchte. Er hatte noch nie eine Frau so begehrt wie diese Tänzerin und sie gab sich ihm mit einer Offenheit, einer Leidenschaft hin, die ihn völlig berauschte.
Als er schließlich schweratmend neben ihr lag, fühlte er sich so restlos glücklich wie noch niemals zuvor.
»Wie heißt du eigentlich?«, fragte er lächelnd, während er sich eine ihrer dunklen Strähnen um den Finger wickelte.
»Smeralda«, entgegnete sie und verflocht ihre Hand mit der seinen.
»Ein schöner Name«, sagte er verträumt. »Ich heiße Luca.«
»Es freut mich sehr.« Sie richtete sich ein wenig auf dem Ellbogen auf und gab ihm einen langen, intensiven Kuss. Lucas Begierde flammte erneut auf und er zog sie besitzergreifend an sich.
Sanft, aber bestimmt drückte sie ihn zurück und schaute ihm ernst ins Gesicht. »Ich mache das nicht mit jedem, weißt du«, sagte sie stockend und wirkte auf einmal zutiefst nervös. »Wenn ich ehrlich bin, habe ich das noch nie so gemacht.«
»Was denn?«, fragte Luca verwirrt und ließ seine Hände genießerisch über ihren Körper gleiten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie noch nie mit einem Mann das Bett geteilt hatte, dafür hatte sie sich vorhin viel zu geschickt angestellt.
Sie senkte beschämt den Blick. »Einen Wildfremden einfach so zu mir einzuladen. Aber ich habe sofort diese Verbindung zwischen uns beiden gespürt.« Sie berührte sanft seine Wange. »Ich wusste, ich würde es ewig bereuen, wenn ich dich einfach so gehen ließe. Außerdem bleibt mir nicht viel Zeit.«
»Wie meinst du das?«, entfuhr es Luca alarmiert.
»In drei Tagen reisen wir ab«, flüsterte sie betrübt.
Natürlich, dämmerte es ihm. Er hatte geglaubt, dass das Theater ein festes Programm mit eingestellten Darstellern anbot, aber dann würde sie wohl kaum in einem Wohnwagen hausen. »Du gehörst zu den fahrenden Gauklern?«
Sie nickte. »Manchmal haben wir Glück, so wie hier. Und können ein paar Wochen an einem Ort bleiben, in schönen, warmen Häusern spielen. Aber meist muss unser Zelt genügen, das auf irgendeinem Dorfplatz aufgestellt wird.« Er hörte den Unwillen in ihrer Stimme, die Verachtung.
»Ich bin jedenfalls froh, dass du mich angesprochen hast.« Er lächelte und drehte sich so, dass er halb auf ihr zum Liegen kam. »Sehr, sehr froh.« Er senkte seinen Mund auf den ihren und gierig erwiderte sie seinen Kuss.
»Du solltest jetzt lieber gehen«, sagte sie eine ganze Weile später.
»Hm?« Luca, der eng an sie gekuschelt lag, öffnete träge seine Augen. »Wieso das denn?«
»Arnulf mag es nicht, wenn Fremde über Nacht in unserem Lager bleiben.«
»Wer ist denn Arnulf?« Luca schloss seine Arme enger um ihre weiche, warme Gestalt. Er verspürte keinerlei Verlangen, diesen Ort zu verlassen. Er war jetzt genau da, wo er sein wollte.
»Arnulf hat hier das Sagen«, erklärte sie mit einer Spur von Strenge. »Ich möchte ihn nicht verärgern. Du kannst ja morgen wiederkommen, ich warte auf dich.« Sie küsste ihn und schälte sich aus seinem Griff heraus, um ihm seine Kleider zuzuwerfen.
Murrend zog Luca sich an. Allein ihr Anblick genügte, um ihn alle Vernunft vergessen zu lassen, doch dieses Mal blieb sie hart.
»Morgen«, versprach sie ihm flüsternd. »Morgen holen wir alles nach.« Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen und schob ihn nachdrücklich aus ihrem Wohnwagen heraus.
Kühle Nachtluft schlug Luca entgegen. Der Kontrast zu der herrlichen Wärme des Körpers, der sich noch vor wenigen Minuten an ihn geschmiegt hatte, ließ ihn frösteln. Er zog seinen Mantel enger um seine Schultern und schaute sich um. Es war stockfinster. Er musste zugeben, dass ihm in Smeraldas Nähe jedes Zeitgefühl abhandengekommen war, doch dem Stand der schmalen Mondsichel nach zu urteilen, musste es bereits auf Mitternacht zugehen.
Vorsichtig setzte Luca einen Fuß nach vorn, er konnte wirklich so gut wie gar nichts erkennen. Er schaute zurück zu ihrem Wagen, der nun ebenfalls in völlige Finsternis gehüllt war. Für einen Moment schloss er die Augen und gab sich der Erinnerung an das hin, was er soeben mit dieser wundervollen, außergewöhnlichen Frau geteilt hatte. Er hatte noch nie jemanden wie sie kennengelernt. Und obwohl sie sich ausgiebig und immer wieder geliebt hatten, war sein Hunger nach ihr alles andere als gestillt. Er konnte es selbst nicht fassen, wie sehr er sich auf den nächsten Abend freute, und wusste nicht, wie er die Stunden bis dahin bloß überstehen sollte.
Er wischte sich über das Gesicht und riss sich zusammen. Es brachte nichts, wie ein Mondkalb vor ihrer Tür auszuharren. Sie hatte ihn wahrlich verzaubert, auch wenn er ganz sicher war, dass hier keine Magie im Spiel war. Denn das war seine Gabe – er konnte Magie in jedweder Form erspüren, weiter gingen seine eigenen Fähigkeiten aber leider nicht. Ganz im Gegensatz zu Elaina, sie war eine der größten Magierinnen, denen er jemals begegnet war, wenn nicht sogar die mächtigste überhaupt.
Luca setzte sich in Bewegung und bereute es sofort, als sein Schienbein schmerzhaft gegen etwas Hartes stieß. Er fluchte und kämpfte um sein Gleichgewicht. Warum zur Hölle hatte Smeralda ihn ausgerechnet jetzt vor die Tür setzen müssen?
»Vorsicht, da steht eine Kiste«, kommentierte trocken eine schnurrende Stimme irgendwo links von ihm. Eine Stimme, die ihm vage bekannt vorkam.
Überrascht drehte Luca sich um. Er hatte nicht gedacht, dass irgendwer in diesem Lager noch auf den Beinen war. Vergeblich bemühte er sich, in der Dunkelheit etwas zu erkennen.
Sein heimlicher Beobachter schien ein Einsehen mit ihm zu haben, etwas klirrte leise, dann er hörte ein Klackern, als würde jemand zwei Steine aneinanderschlagen. Funken sprühten und kurz darauf erhellte das Licht einer Öllampe ein kleines, pelziges Gesicht.
Daher kam ihm die Stimme also bekannt vor! Es war dieser sprechende Affe, den er am Nachmittag gesehen hatte. Neugierig trat Luca näher. Das kleine Kerlchen saß in der offenen Tür eines Wohnwagens und musterte ihn mit einem undefinierbaren Blick.
Luca stutzte. War die traurige Szene mit dem Käfig und den Handschellen am Vortag nur Show gewesen?
Das Wesen stellte die Laterne neben sich ab. Es klirrte erneut. Luca folgte mit den Augen dem Geräusch und sah die Ketten, die das Wesen fesselten. Es mochte nicht länger in einem Käfig stecken, aber frei war es noch lange nicht. Dennoch spürte er ganz deutlich den magischen Funken, der der kleinen Gestalt innewohnte. Das ergab keinen Sinn. Wenn dieses Wesen tatsächlich verständig war und über Magie verfügte, wieso ließ es sich solch eine Behandlung gefallen?
»Wer bist du?«, fragte er fasziniert.
Die Augen des Wesens blitzten für einen Moment auf, dann trat ein resignierter, bitterer Ausdruck auf sein Gesicht. »Ein sprechender Affe«, sagte es leise. »Ihr habt es doch selber gehört.
Irgendwo wurden Stimmen laut. Das Wesen löschte hastig die Lampe. »Arnulf macht seinen letzten Rundgang. Ihr solltet Euch lieber verstecken.« Es huschte in den Wagen hinein.
Luca verharrte unschlüssig, dann duckte er sich zwischen die hohen Räder des Gefährts. Bald darauf hörte er schwere Schritte und der Schein einer Laterne fiel auf den Weg. Er hielt besorgt seinen Atem an und hoffte, dass man ihn nicht entdecken würde. Der Größe der Stiefel, die nun in sein Sichtfeld kamen, nach zu urteilen, wäre der Mann ein wirklich ernstzunehmender Gegner, ganz abgesehen davon, dass er keinen Ärger riskieren wollte. Immerhin hatte er fest vor, am Abend noch mal wiederzukommen.
Zum Glück schaute der Mann sich nicht allzu gründlich um und kurz darauf war er schon wieder verschwunden. Sicherheitshalber wartete Luca noch ein wenig ab, bis ihn das mittlerweile bekannte Kettenrasseln darüber in Kenntnis setzte, dass die Luft rein war.
»Ich könnt wieder rauskommen«, sagte das Wesen belustigt. »Oder wollt Ihr die ganze Nacht dort unten verbringen?«
»Das hatte ich eigentlich nicht vor«, entgegnete Luca verdrossen und klopfte sich den Staub von der Hose. Er gähnte. Es war wirklich spät. Er sollte zusehen, dass er ins Bett kam.
»Ihr wart heute freundlich zu mir, wieso?«, fragte das Wesen unvermittelt.
Luca brauchte einen Wimpernschlag, um zu verstehen, worauf es anspielte. Er zuckte mit den Schultern. »Ich mag es eben nicht, wenn Schwächere mit Absicht schlecht behandelt werden.«
Das Wesen nickte. »Das war nett von Euch – nicht, dass es etwas genützt hätte. Dafür möchte ich Euch einen Rat geben – haltet Euch fern von Smeralda.«
»Wieso?« Die Frage kam womöglich schroffer heraus, als erforderlich gewesen wäre, doch er fand, dass sein Privatleben diesen kleinen, sprechenden Affen nichts anging.
»Ihr habt Euch gefragt, was sie mit Euch anstellt, nicht wahr?«, antwortete dieser mit einer Gegenfrage. »Ich habe es Euch angesehen. Sie scheint Euch ja regelrecht verzaubert zu haben.«
Luca hatte keine Ahnung, was für ein Ziel das Wesen mit diesem Gespräch verfolgte, doch er hatte genug gehört. »Danke, ich komme schon klar. Sie hat mich ganz bestimmt nicht verzaubert.« Er wandte sich zum Gehen. Seine Augen hatten sich mittlerweile halbwegs an die Dunkelheit gewöhnt und er hoffte, den Rückweg einigermaßen unbeschadet zu überstehen.
»Seid Ihr Euch da ganz sicher?«
»Ja.«
»Wie Ihr meint.« Es hörte sich definitiv belustigt an. »Ihr könnt übrigens unter dem Wagen durchkriechen, dann spart Ihr Euch den Weg durch das Lager.« Das Wesen gluckste amüsiert und verschwand klirrend im Inneren des Wagens.
Luca fluchte verhalten. Einerseits hatte er keine Lust, den Anweisungen eines sprechenden Affen zu folgen, andererseits brannte er auch nicht gerade darauf, im finsteren Lager umherzuirren. Das Mindeste, was er sich dabei einhandeln würde, waren noch mehr blaue Flecken, wie sein schmerzendes Schienbein ihm äußerst deutlich vor Augen führte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, zurück zu Smeralda zu gehen. Immerhin hatte Arnulf seine letzte Runde bereits gedreht, doch er wollte nicht, dass sie ihn für zu aufdringlich hielt. Außerdem musste sie morgen wieder auf der Bühne stehen, da konnte sie eine kleine Ruhepause gut gebrauchen. Also gab er sich einen Ruck und krabbelte seufzend unter dem Wagen hindurch.
Zumindest in einem hatte der Affe recht gehabt. Er fand sich in einer schmalen Gasse wieder, die den nächsten Wohnwagenring von dem eben verlassenen abgrenzte. Und schon nach kurzer Zeit befand er sich wieder im Stadtzentrum.
Den folgenden Tag verbrachte Luca in sehnlicher Erwartung des Abends. Wie gern hätte er Smeralda noch einmal tanzen gesehen, doch er hatte kaum Silber übrig und ihm stand noch ein langer Heimweg bevor, ganz zu schweigen von der Stallmiete, die er zu entrichten hatte, falls er seinen Hengst noch einmal wiedersehen wollte. Schließlich hielt er es nicht länger aus und stellte sich vor das Theater, um das Ende der letzten Vorstellung abzuwarten. Kaum strömten die ersten Menschen aus der Tür, lief er voller Vorfreude zum Hinterausgang, um Smeralda dort abzufangen.
Ihre Augen leuchteten erfreut auf, als sie ihn sah.
»Luca!« Glücklich warf sie sich in seine Arme. »Du hast mir gefehlt«, raunte sie.
Ihr herrlicher Duft stieg ihm in die Nase und er zog sie fest an seine Brust. »Du mir auch«, flüsterte er rau. Obwohl er den ganzen Tag vor Ungeduld vergangen war, wurde ihm erst jetzt bewusst, wie sehr er sich nach ihr gesehnt hatte. Und er spürte, dass es ihm in dieser Nacht noch viel schwerer fallen würde, sie zu verlassen, als in der Nacht davor – sollte sie das tatsächlich von ihm verlangen.
Sie schafften es gerade noch, die Tür ihres Wohnwagens hinter sich zu schließen, bevor sie sich ihre Kleidung vom Leib zerrten und ihrer Leidenschaft freien Lauf ließen.
»Ich wünschte, es könnte immer so weitergehen«, flüsterte Smeralda bedauernd, als sie sich schließlich erschöpft in seinen Arm kuschelte. »Ich möchte gar nicht daran denken, dass uns nur noch ein Abend bleibt.«
Luca wusste genau, was sie meinte. Das Zusammensein mit ihr fühlte sich wie ein Märchen, wie ein wahr gewordener Wunschtraum an, und er wollte nicht, dass er so plötzlich zu Ende ging.
»Wir haben nie darüber gesprochen, woher du eigentlich kommst«, sagte sie nachdenklich.
»Wir haben auch sonst nicht besonders viel gesprochen«, erwiderte er lächelnd und küsste ihre Stirn.
»Ich meine es ernst!« Leichter Tadel schwang in ihrer Stimme mit. »Ich möchte wissen, wo du lebst und was du tust.«
»Ich fürchte, da habe ich nicht viel Interessantes zu bieten. Die meiste Zeit bin ich eigentlich unterwegs. Das, was für mich einem Heim wohl am nächsten kommt, ist eine einsame Burg in den Bergen südöstlich von hier.«
»Du hast eine eigene Burg?«, entfuhr es ihr fasziniert.
»Nein.« Luca lachte. »Die Burg gehört nicht mir, sondern Elaina.«
»Wer soll das sein?«
Er mochte die Eifersucht in ihrer Stimme. »Man könnte sie meine Dienstherrin nennen«, beruhigte er sie.
»Und was genau machst du für diese Dienstherrin?« Sie schien noch nicht ganz besänftigt zu sein.
»Ich reise umher, schließe Geschäfte in ihrem Namen ab, führe Verhandlungen.«
»Dann bist du ein bedeutender Mann.« Sie strahlte ihn bewundernd an.
»Na ja, nicht wirklich«, winkte er ab. Er wollte ihr keinen falschen Eindruck vermitteln, auch wenn sie sich nach morgen vermutlich niemals mehr wiedersehen würden.
»Vielleicht könnte ich ja mit dir gehen.« Sie legte ihre Wange an seine Brust.
Luca erstarrte und fragte sich im Stillen, ob er sich verhört hatte. Sie konnte das doch unmöglich ernst meinen. So gern er sie auch hatte, so schön die Stunden mit ihr auch gewesen waren – in seinem Leben gab es keinen Platz für eine Frau. Was könnte er ihr schon bieten außer monatelanger Einsamkeit?
»Ich glaube nicht, dass es dir gefallen würde«, sagte er vorsichtig.