Eierlikör und Giftmischerei - Kerstin Mohr - E-Book

Eierlikör und Giftmischerei E-Book

Kerstin Mohr

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Beschreibung

Zwei Frauen und ein Todesfall – Loni und Anneliese ermitteln wieder Die rüstigen Rentnerinnen Loni und Anneliese proben mit der Mühlbacher Theatergruppe für ihr neues Stück ‚Zwei Frauen und ein Todesfall‘. Doch bevor der Vorhang sich hebt, stirbt unter mysteriösen Umständen ein Mitglied der Gruppe. Mit ihrem scharfen Verstand und ihrer unerschütterlichen Neugier begeben sich Loni und Anneliese an die Lösung des Falls. Dabei fördern sie mehr Verdächtige zutage, als ihnen lieb ist. Bis eine unerwartete Wendung Loni in den Mittelpunkt der polizeilichen Ermittlungen rückt. Will jemand absichtlich den Verdacht auf sie lenken? Ein Wohlfühlkrimi voller Charme, Humor … und natürlich Eierlikör!

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Ähnliche


Kerstin Mohr

Eierlikör und Giftmischerei

Der zweite Fall für Loni und Anneliese

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Personenverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Lonis Hefezopf

Danksagung

Impressum

1. Auflage September 2024

ISBN: 9783759211668

Kerstin Mohr – alle Rechte vorbehalten

Kerstin Mohr

c/o Fakriro

Bodenfeldstr. 9

91438 Bad Windsheim

[email protected]

www.kerstinmohr.de

Lektorat: Michaela Diesch – www.michaeladiesch.de

Korrektorat: Ilka Sommer– www.autorin-ilka-sommer.de

Covergestaltung: Laura Newman – design.lauranewman.de

Sämtliche Inhalte sowie das Coverdesign dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, auch in Teilen, ist ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin unzulässig.

Kein Teil dieses Buches darf ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Herausgeberin reproduziert, in einem Abrufsystem gespeichert oder auf irgendeine Weise elektronisch, mechanisch, fotokopiert, aufgezeichnet oder auf andere Weise übertragen werden.

Urheberrechtsverstöße können zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Die in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten realen Personen sind zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

Mühlbach ist ein fiktiver Ort im Hunsrück. Auch hier sind Ähnlichkeiten mit realen Orten zufällig und nicht beabsichtigt.

Personenverzeichnis

Die wichtigsten Dorfbewohner

von Mühlbach

Loni – Rentnerin, Witwe, Hobbydetektivin

Anneliese – Rentnerin, Künstlerin, Single,

Hobbydetektivin

Julius – Nachbar von Loni und Anneliese, pensionierter

Kriminalbeamter

Emma und Laurens – Enkelkinder von Loni,

Zwillinge

Hannes – Lebensgefährte von Emma

Jack – Lebensgefährte von Laurens

Jupp und Willi – die Tratschonkel von Mühlbach

Isa – beste Freundin von Emma, Zumba-Trainerin von

Loni und Anneliese

Ortwin – mürrischer Einzelgänger

Erna – neugierige Nachbarin

Die Mitglieder der Mühlbacher

Theatergruppe ‚Schellmestigger‘

Magda

Regina

Herbert

Manni

Jack

Isa

Anneliese

Julius – Regisseur

Loni – Souffleuse

Jupp und Willi – stehen nicht mehr auf der Bühne,

lassen sich aber keine Probe entgehen und geben Julius Regie-Nachhilfe

Kapitel 1

Herbert torkelte, fasste sich an den Hals, röchelte und brach mit Schaum vor dem Mund zusammen. Auf dem Boden liegend, zuckte er wild mit Armen und Beinen und gab dabei grauenhafte Geräusche von sich. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er schien unendliche Höllenqualen zu leiden.

Loni beobachtete Herberts dramatisches Hinscheiden mit skeptischem Blick. Ein wenig dick aufgetragen, das Ganze. Bei genauerem Hinsehen erkannte man, dass der Schaum, der sich an seinem Kinn sammelte, gelblich verfärbte Spucke war. Wahrscheinlich von dem Eierlikör, den er kurz zuvor getrunken hatte. „Viel zu übertrieben“, urteilte Anneliese und Loni beobachtete, wie sie ächzend auf die etwa ein Meter hohe Bühne kletterte. Herbert hielt in seinem Stöhnen inne, hob den Kopf und sah ihre Freundin mit gerunzelter Stirn an.

„Das war ein wenig zu viel des Guten. Versuch es doch mal so.“ Sie fasste sich an den Hals, torkelte nach rechts und links und präsentierte ihre Version eines Vergiftungstodes.

Loni, die das Geschehen auf der Bühne von ihrem Souffleusenkasten aus verfolgte, schmunzelte. In ihren Augen war Annelieses Dahinscheiden nicht weniger dramatisch als Herberts Variante. Sie merkte ihrer Freundin an, wie sehr es sie wurmte, dass sie in diesem Jahr nicht die Hauptrolle beim Stück der Mühlbacher Laientheatergruppe ‚Schellmestigger‘1 ergattert hatte.

In der aktuellen Saison führten sie die Krimikomödie ‚Zwei Frauen und ein Todesfall‘ auf. Anneliese, die eine begnadete Schauspielerin und seit Jahren für die Hauptrolle gesetzt war, hatte in dieser Saison nur eine Nebenrolle bekommen. Sehr zu ihrem Missfallen. Da sie nun viel Zeit neben, statt auf der Bühne verbrachte, fühlte sie sich bemüßigt, den anderen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Ständig unterbrach sie die Proben, um ihnen mit größtmöglichem Körpereinsatz zu zeigen, wie sie ihr Schauspiel verbessern könnten. Alle waren mittlerweile verständlicherweise genervt.

Auf der Bühne erhob sich Herbert mit rotem Gesicht aus seiner liegenden Position. Er reagierte besonders allergisch auf Annelieses Ratschläge. „Was mischst du dich denn schon wieder ein? Du bist nicht die Regisseurin, also halt dich gefälligst raus!“

Rasch zwängte Loni sich aus ihrem Souffleusenkasten und schritt ein, bevor die Situation – nicht zum ersten Mal an diesem Abend – eskalierte. „Vielleicht sollten wir eine kurze Pause machen“, schlug sie vor. „Noch ein Gläschen Eierlikör für alle?“

Julius, der Lonis Manöver durchschaute, sprang ihr unterstützend zur Seite. „Gute Idee. Eine kleine Pause schadet nicht, bevor wir zum letzten Akt des Abends kommen.“

Es war zur Tradition geworden, dass die Schauspieler selbstgemachte Leckereien zu den Proben mitbrachten. Lonis Eierlikör oder ihre Kuchen durften dabei nie fehlen. Und auch Manni steuerte ab und zu etwas Selbstgebackenes bei.

Alle stimmten Julius erleichtert zu und so setzte sich die Truppe an den Tisch, an dem bereits Jupp und Willi saßen, vor sich die ausgebreiteten Texthefte.

Die zwei waren vor vielen Jahren die Stars der Theatergruppe gewesen und ließen es sich nicht nehmen, jeder Probe beizuwohnen und ihren Senf dazuzugeben.

Das Einzige, was die beiden davon abhielt, auf der Bühne mitzumischen, waren Jupps Rollator und Willis Schwerhörigkeit; da war sich Loni sicher. Sie bewunderte Julius, der in diesem Jahr die Regie übernommen hatte, für seine Langmut, mit der er die Einmischungen der beiden ertrug. Sie selbst war froh, in ihrem Souffleusenkasten fernab vom Trubel zu sitzen und das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachten zu können. Als alle Platz genommen hatten, schenkte Loni die Schnapsgläser zum zweiten Mal für diesen Abend voll und man prostete einander zu. Während für einen Moment Ruhe einkehrte, ließ sie ihren Blick über die Gruppe schweifen. Die beiden Freundinnen Magda und Regina waren wie immer mit von der Partie und hatten in diesem Jahr die zwei Hauptrollen ergattert. Zumba-Manni spielte einen jungen Gärtner, in den sich die Tochter des Mordopfers – gespielt von Isa – verliebte. Für Anneliese war die Figur des korpulenten ältlichen Butlers Theofilus übriggeblieben, was sie letztlich widerwillig akzeptiert hatte.

„Also ich fand deine Darbietung ausgesprochen realistisch. Einfach umwerfend.“ Magda legte den Kopf schief und lächelte Herbert strahlend an.

Loni drehte ihr immer noch gefülltes Schnapsglas in den Händen und schüttelte innerlich den Kopf über Magda, die mal wieder versuchte, bei Herbert zu landen. Der sah heute besonders schick, ja schon fast geschniegelt aus. Seine obligatorischen beigefarbenen Cordhosen und sein kariertes Flanellhemd hatte er gegen eine schmal geschnittene dunkle Stoffhose, ein weißes Hemd und schwarze Budapester getauscht. Eine neue Frisur trug er auch. Ob da eine Frau ihre Finger im Spiel hatte? Loni grinste in sich hinein. Magda sicherlich nicht, denn Herbert nahm ihr Lob zwar freudig, aber etwas achtlos zur Kenntnis und erzählte dann ausführlich und begleitet von ausschweifenden Gesten von seinem Nachbarn, dem mürrischen Ortwin. Wie jeder im Dorf wusste, lagen die beiden seit Ewigkeiten im Clinch miteinander.

„Ihr glaubt nicht, was ich letzte Woche entdeckt habe! Hat er doch exakt auf der Grundstücksgrenze einen Gartenzwerg aufgestellt, mindestens einen halben Meter groß, der mir einen Stinkefinger zeigt. Ja, mir!“ In Erinnerung an diese Unverschämtheit stieg Herbert die Zornesröte ins Gesicht. „Er schaut genau auf meinen Liegeplatz auf der Terrasse. Ortwin hat dafür sogar eine Hortensie umgepflanzt, damit der Zwerg freie Sicht auf meinen Ruheplatz hat. Unglaublich, oder?!“ Er sah Zustimmung heischend in die Runde.

„Nein, wie obszön. Du Armer!“ Magda legte Herbert eine Hand mitfühlend auf den Arm.

Loni unterdrückte ein Schmunzeln und sie sah, dass auch Julius sich ein Grinsen verkneifen musste.

„Ist doch nur ein alberner Gartenzwerg.“ Manni schüttelte den Kopf. „Da kannst du doch drüberstehen.“

Herbert kniff die Augen zusammen und taxierte ihn mit finsterem Blick. „Alberner Gartenzwerg? Mit einem Stinkefinger? Also das sehe ich anders! Und es ist ja nicht nur das. Erinnert ihr euch nicht mehr, wie der blöde Kerl mich anzeigen wollte, weil meine Mainz 05 Fahne angeblich zu laut im Wind flattert? Eine Fahne! Zu laut! So etwas Dämliches habe ich noch nie gehört.“ Herbert schnaubte.

„Die Polizei hat das doch ähnlich gesehen, oder?“, versuchte Loni, ihn mit sanfter Stimme zu beschwichtigen. „Es kam doch gar nicht zur Anzeige, wenn ich mich recht erinnere?“

„Nein“, musste Herbert beipflichten. „Zur Anzeige kam es nicht, aber allein der Wille zählt doch.“

„Ich kann dich verstehen.“ Magda lächelte ihn sanft an und tätschelte ihm ein weiteres Mal den Arm.

Herbert sah sie irritiert an, griff nach seinem Schnapsglas und rückte ein wenig zur Seite.

„Dass du dich über den überhaupt aufregst. So ist er halt. Findet in jeder Suppe einen Fingernagel. Er heißt nicht umsonst bei allen der mürrische Ortwin. Lass ihn doch einfach.“ Anneliese zuckte mit den Schultern.

„Igitt!“, brach es aus Regina heraus.

„Hä, was habe ich denn jetzt Falsches gesagt?“, fragte Anneliese mit Unverständnis in der Stimme.

„Fingernagel in der Suppe. Igitt!“, wiederholte Regina. „Es heißt: Haar in der Suppe.“

„Als ob ein Haar in der Suppe weniger eklig wäre als ein Fingernagel.“ Anneliese schnaubte.

„Ob Fingernagel oder Haar, ihr habt gut reden, ihr müsst ja nicht neben ihm wohnen und täglich sein mürrisches Gesicht ertragen.“ Herbert war nicht gewillt, über falsche und richtige Sprichwörter zu diskutieren, er wollte seinem Ärger Luft machen. Kopfschüttelnd griff er nach der Eierlikörflasche und schenkte sich erneut ein.

Loni lächelte ihn aufmunternd und, wie sie hoffte, besänftigend an. „Hast du schon mal ein klärendes Gespräch mit Ortwin gesucht?“

Herbert sah sie entgeistert an. „Mit dem kann man kein vernünftiges Gespräch führen!“

„Einen Versuch wäre es vielleicht wert“, ermunterte Loni ihn.

Er runzelte nur die Stirn und schüttelte den Kopf. „Bei dem Kerl zwecklos“, nuschelte er vor sich hin.

„Ich kann verstehen, dass dich der Nachbarschaftsstreit belastet“, unterbrach Julius das Gespräch. „Nichtsdestotrotz würde ich jetzt gern mit den Proben fortfahren. Herbert, würdest du bitte noch einmal sterben?“

Hunsrücker Platt, Schelmenstücke↩︎

Kapitel 2

„Ich kann nicht glauben, dass du es immer noch schaffst, mich jeden Samstag hierherzuschleppen.“ Anneliese wischte sich mit einem Handtuch ihre schweißnasse Stirn ab. „Majuseppekait1, das ist wirklich Mord!“

„Ich finde, du bist schon wesentlich besser geworden. Fallen dir die Schritte nicht langsam leichter?“ Loni fächelte sich mit ihrem Handtuch ein wenig Luft zu.

Annelieses Augenbrauen wanderten nach oben, sodass sie fast einen Stirnkrampf bekam. „Leichter? Von wegen. Immer, wenn ich das Gefühl habe, ich komme einigermaßen mit, führt Isa schon wieder eine neue Schrittfolge ein. Dass ich bisher nicht über meine eigenen Füße gestolpert bin und mich hier langgelegt habe, ist ein Wunder!“

Auch wenn Anneliese am Ende jeder Zumbastunde über die erlittene Anstrengung jammerte, machte es ihr insgeheim doch Spaß. Nur hätte sie das nie vor Loni zugegeben. Das Jammern gehörte mittlerweile einfach dazu. Spätestens, wenn sie sich nach der Stunde mit einem Irish Coffee verwöhnte, war ihr klar, dass sie sich auch nächsten Samstag wieder dieser Herausforderung stellen würde.

„Na ihr zwei. Hattet ihr Spaß?“ Isa war zu ihnen getreten. „Sehen wir uns gleich im Café?“

„Worauf du wetten kannst. Ich tue mir doch diese Stunde nicht an, ohne Belohnung hinterher.“ Anneliese schüttelte den Kopf und Isa lachte.

„Also, bis gleich. Ich halte euch zwei Stühle frei.“ Mit federnden Schritten verließ sie das Gemeindehaus. Seit die Theatergruppe ihre Proben aufgenommen hatte, war der Platz für die Zumbastunden knapp geworden, denn die Bühne nahm einen großen Teil des Raumes ein.

Anneliese musste sich daher noch mehr konzentrieren, beim Tanzen niemanden anzurempeln oder keinem auf die Füße zu treten. „Komm’, lass uns auch gehen“, forderte sie ihre Freundin auf. „Ich brauche meinen Irish Coffee heute ganz besonders dringend.“

„Willst du dich nicht etwas frisch machen?“

„Ach was, die Mühe können wir uns sparen. Ich dusche später in Ruhe zu Hause. Manni wäscht sich nie nach der Zumbastunde und sein Gestank wird unseren leichten Schweißgeruch locker überdecken.“ Sie zog ihr Deo aus der Sporttasche und hüllte sich in eine Duftwolke. Was sollte der Aufwand? Loni schwitzte sowieso kaum. Dass ihre Freundin unangenehm roch, hatte Anneliese in den fast fünfzig Jahren ihrer Freundschaft noch nie bemerkt. Loni umgab immer ein zarter Duft nach Maiglöckchen, egal, ob sie aus der Dusche oder aus dem Hühnerstall kam. „So, fertig für unseren Besuch im Café.“ Sie packte Loni kurzerhand am Ellenbogen und dirigierte sie Richtung Ausgang.

Loni schüttelte nur den Kopf, sagte aber nichts mehr. Als sie den Dorfplatz überquerten, stießen sie unweigerlich auf Jupp und Willi. Die beiden waren wie immer auf der Bank unter der Eiche zu finden. Samstags vormittags, zur Zeit des Zumba-Kurses, auf jeden Fall, denn dann herrschte vor dem Gemeindehaus reger Betrieb – oder das, was man in einem kleinen Dorf wie Mühlbach darunter verstand. Da boten sich genügend Gelegenheiten für das ein oder andere Schwätzchen. Auch Anneliese und Loni entkamen den beiden Tratschonkeln heute nicht.

„Na, seid ihr wieder ein bisschen zur Musik herumgehüpft? Irgendwann werdet ihr euch dabei noch die Knochen brechen. Das ist doch nix für Frauen in eurem Alter.“

Seit sie beim Zumba mitmachten, versuchte Willi sie damit aufzuziehen. Anneliese ersparte sich eine Bemerkung, sondern zeigte ihm nur den Stinkefinger.

„Machst du jetzt Ortwins Gartenzwerg Konkurrenz?“, konterte Willi schlagfertig und sie musste wider Willen lachen.

„Nein, so albern bin ich nicht.“

„So albern ist das gar nicht mehr. Was als ein wenig Nachbarschaftszwist angefangen hat, hat sich mittlerweile zu einem handfesten Streit ausgewachsen.“ Jupp nickte wissend mit dem Kopf.

„Herbert und Ortwin, die streiten sich noch bis ins Grab.“ Loni stöhnte.

„Ortwin kann aber auch ein echter Griesgram sein.“ Willi verdrehte die Augen.

„Herbert ist aber auch nicht ohne. Der springt auf jede Aktion Ortwins an, anstatt einfach mal drüberzustehen. Ich weiß gar nicht, was Magda an ihm findet.“ Kopfschüttelnd zuckte Jupp mit den Schultern.

„Dir ist es also auch aufgefallen?“ Loni lächelte.

„Was aufgefallen?“ Anneliese sah verwirrt zwischen den beiden hin und her.

„Na, dass Magda unserem Herbert mal wieder schöne Augen macht. So etwas entgeht mir nicht. Ich habe einen siebten Sinn für Gefühle und Zwischenmenschliches.“ Jupp reckte das Kinn nach oben.

Anneliese prustete los. „Einen siebten Sinn für Gefühle! Du?“

„Lach’ nicht. Ich weiß auch, dass Julius unserer Loni hier verfallen ist.“ Jupp zwinkerte ihrer Freundin zu, deren Gesicht sofort zartrosa anlief.

Typisch Loni, dachte Anneliese. Beim Zumba sah man ihr die Anstrengung nicht an, aber sobald die Sprache auf Julius kam, wurde sie rot. „Jetzt lenk doch nicht ab“, sprang sie ihrer Freundin dennoch bei. „Du meinst, Magda macht sich immer noch Hoffnungen bei Herbert? Sollte sie da nicht langsam klüger sein?“

„Na klar. Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock. Sie kann ihn einfach nicht aufgeben. Seit ich denken kann, ist sie hinter ihm her. Mal mehr, mal weniger offensichtlich. Ich befürchte nur, sie wird auch dieses Mal nicht bei ihm landen können. Herbert ist bereits vergeben.“

„Wie bitte? Seit wann denn das?“ Anneliese riss die Augen auf und trat einen Schritt näher. Davon hatte sie noch gar nichts gehört.

Jupp zuckte betont lässig mit den Schultern. „Seit ein paar Wochen. Ich hab’ munkeln hören, dass er seine Liebste über dieses neue Partnervermittlungsdingsda gefunden hat.“

Anneliese blieb der Mund offen stehen. Sie wusste nicht, was sie spannender fand, dass Herbert eine Freundin hatte oder dass er dafür eine Partnervermittlungsagentur genutzt hatte. Heute erfuhr sie bei Jupp und Willi tatsächlich mal etwas Neues.

„Was für ein Partnervermittlungsdingsda?“, hakte sie nach.

„In Simmern hat doch jetzt diese Börse für alte Leute aufgemacht. Wo man im Alter noch jemanden kennenlernen kann“, erklärte Jupp.

„Börse? Alte Leute? Sagt mir gar nichts.“ Anneliese wurmte es, dass sie nicht auf dem neuesten Stand war und von Jupp und Willi aufgeklärt werden musste.

„Die Partnervermittlung ‚Goldene Zeiten‘. ‚Das Beste kommt zum Schluss‘ ist ihr Slogan. Oder so ähnlich. Da liegt doch seit Wochen Werbung im Briefkasten.“

„Die landet bei mir direkt im Müll. Vielleicht sollte ich da doch mal reinschauen.“ Anneliese verzog den Mund.

„Wieso? Bist du auch auf der Suche?“ Willi stieß ein wieherndes Lachen aus.

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu und hob abwehrend die Hände. „Gott bewahre. Mir kommt kein Mann ins Haus. Aber man muss doch auf dem Laufenden bleiben. Was ist das jetzt genau für eine Agentur?“

„Eine Partnervermittlung speziell für Senioren. Die nehmen nur Leute ab sechzig plus“, erläuterte Willi.

„Nur für Senioren? Hier im Hunsrück? Das funktioniert?“, wunderte sich Anneliese.

„Scheinbar ja. Von den Landfrauen haben sich auch ein paar angemeldet, wie ich gehört habe“, erklärte Loni beiläufig, während sie in ihrer Sporttasche wühlte, die sie auf die Ablagefläche von Jupps Rollator gestellt hatte.

„Du kennst diese Agentur auch?“ Anneliese stupste Loni in die Seite. „Wieso habe ich bisher nichts davon mitbekommen?“

„Ich sage ja immer, komm mit zu den Treffen der Landfrauen. Du verpasst sonst was.“ Loni grinste und zog ihre Wasserflasche aus der Tasche.

„Und da gibt es doch auch diese Abende mit dem schnellen Kennenlernen.“ Jupp gestikulierte wild mit erhobenem Zeigefinger.

„Schnelles Kennenlernen?“ Anneliese hatte langsam das Gefühl, sie käme von einem anderen Stern.

„Du meinst Schpied-Däting“, belehrte Willi seinen Freund.

„Speed-Dating?“ Sie traute ihren Ohren kaum. „Für Senioren? Im Hunsrück?“ Die Welt wurde immer bekloppter. „Das klappt doch nie!“

„Bei Herbert hat es scheinbar funktioniert. Wir haben ihn die Woche mit seiner neuen Freundin bei Schofkarls gesehen. Eine ganz elegante Dame. So richtig hat sie nicht in die Dorfkneipe gepasst, mit ihrem schicken Kleid und der Perlenkette.“ Willi schürzte die Lippen. „Aber Herbert hat übers ganze Gesicht gestrahlt. Wie ein Honigkuchenpferd.“

Nun musste Anneliese sich doch einmal setzen. Sie ließ sich neben Willi auf die Bank plumpsen. Magda war in Herbert verliebt, der hatte eine Freundin und diese hatte er über eine neu aufgemachte Partnervermittlungsagentur für Senioren kennengelernt. Womöglich hatte sie sich in den vergangenen Wochen doch zu sehr in ihrem Atelier verkrochen. Sie hatte ja gar nichts mehr mitbekommen.

„Die arme Magda.“ Jupp schüttelte den Kopf und versuchte, niedergeschlagen auszusehen, was ihm gründlich misslang. Die Sensationsgier, die in seinen Augen aufblitzte, strafte seine betrübte Miene Lügen. „Das wird ein schwerer Schlag für sie werden, dass es dieses Mal schon wieder nichts mit ihr und Herbert wird.“

„Ach, daran ist sie doch gewöhnt“, tat Willi Jupps Bemerkung ab. „Sie kennt es doch nicht anders.“

„Irgendwann hat auch der sanftmütigste Mensch mal genug“, entgegnete Jupp. „Ich hoffe nur, das hat keine Auswirkungen auf unsere Theaterproben.“

„Was hat Auswirkungen auf unsere Theaterproben?“ Manni war auf seinem Weg zu ihrer After-Zumba-Irish-Coffee-Runde ebenfalls bei ihnen gelandet.

„Na, dass Herbert eine neue Flamme hat und Magda wieder einmal leer ausgeht“, erklärte Jupp. „Vielleicht ist Magda, wenn sie davon erfährt, vor Kummer nicht mehr in der Lage, an der Seite von Herbert Theater zu spielen.“

„Oder sie sagt ihm endlich mal die Meinung“, überlegte Willi. „Wäre mal an der Zeit. Immer, wenn Herbert gerade keine neue Liebschaft in Aussicht hat, hofiert er Magda, aber sobald er eine neue Frau gefunden hat, zeigt er ihr die kalte Schulter. Also, ich würde mir das nicht gefallen lassen.“

„Magda ist halt der duldsame Typ. Sie leidet eher still vor sich hin“, gab Manni seine Meinung zum Besten.

„Ich sage nur: Irgendwann bricht jeder Vulkan einmal aus.“ Jupp wackelte bedächtig mit dem Kopf.

„Jetzt lasst uns nicht weiter über die Beziehungsprobleme anderer Leute diskutieren, im Café warten Kaffee und Kuchen auf uns. Und Isa übrigens auch“, mahnte Loni.

Anneliese hätte gern noch ein Weilchen mit Jupp und Willi geplaudert, wo es heute mal Interessantes zu erfahren gab. Sie wusste aber, dass Loni Klatsch und Tratsch zuwider waren. Außerdem sehnte sie sich auch nach Kaffee und einem Stück Kuchen. Sie verabschiedeten sich von Jupp und Willi und marschierten zum Café, wo Isa schon an einem Tisch am Fenster saß und ihnen zuwinkte.

Hunsrücker Platt, vergleichbar mit „Mein Gott“, wörtlich: Maria Josef Katharina↩︎

Kapitel 3

Loni summte vor sich hin, während sie die Eierkartons aus der Vorratskammer holte, mit Klebeetiketten versah und in ihren geflochtenen Henkelkorb legte. Die Sonnenstrahlen, die durch das Küchenfenster fielen und auf dem Boden tanzten, verstärkten ihre gute Laune. Sie freute sich auf die Theaterprobe heute Abend und hoffte, dass alle dabei waren. Trotz der kleinen Kabbeleien und Zwistigkeiten war es eine nette Runde und die Proben waren meistens witzig. Es kam nicht selten vor, dass sie noch lange nach dem Üben bei einem Gläschen Eierlikör und einem Stück Kuchen zusammensaßen, lachten und schwatzten. Doch vor dem abendlichen Treffen hatte sie einiges zu erledigen. Zuerst stand ihre wöchentliche Eierrunde auf dem Programm. Loni hatte mittlerweile einen festen Kundenstamm, den sie mit Eiern von ihren Hühnern versorgte. Ein Besuch bei Magda war der erste Halt auf ihrer heutigen Runde durchs Dorf. Sie würde sie schon einmal vorsichtig auf Herberts neue Freundin vorbereiten. Nicht, dass sie es heute Abend vor versammelter Mannschaft erfuhr. Nach der Eierrunde hatte sie vor, Nussecken zu backen – zur Entspannung und als kleine Stärkung für die Probenpausen.

Gerade als sie die Küche verlassen wollte, schlappte ihre Enkelin Emma schlaftrunken herein.

„Guten Morgen. Du siehst nicht aus, als hättest du diese Nacht genug Schlaf bekommen? Ging das Firmenjubiläum gestern so lange?“

Emma war am Vorabend in ihrer Funktion als Fotografin für das 50-jährige Jubiläum einer Simmerner Schreinerei gebucht gewesen.

„Leider ja. Eigentlich dachte ich, dass ich nach dem offiziellen Teil verschwinden kann, aber der Geschäftsführer bat mich, auch von der anschließenden Party noch Fotos zu machen. Ich bin erst um drei Uhr nach Hause gekommen. Hoffentlich habe ich dich nicht geweckt.“

„Ach was, du weißt doch, wenn ich einmal schlafe, dann wie ein Baby.“ Loni grinste.

„Du bist auf dem Sprung? Deine wöchentliche Eierrunde?“

„Genau. Was hast du heute vor? Hast du noch Fototermine?“

„Das nicht, aber ich setze mich gleich an den PC und bearbeite die Bilder von gestern.“

„Triffst du dich heute Abend mit Hannes?“

„Vermutlich nicht. Er hat eine Gemeinderatssitzung. Erfahrungsgemäß wird das lange dauern und ich sollte heute mal früh ins Bett.“

„Wenn du hier bist, könnten wir vor der Theaterprobe zusammen Abend essen. Was hältst du davon?“, schlug Loni vor. Obwohl Emma seit ihrer Rückkehr aus Frankfurt wieder bei ihr wohnte, sahen sie sich in letzter Zeit nicht mehr so häufig. Emmas Job als selbstständige Fotografin war gut angelaufen, sie war viel unterwegs und ihre Freizeit verbrachte sie meistens mit Hannes. Loni gönnte den beiden ihre junge Liebe, auch wenn sie nichts dagegen gehabt hätte, den einen oder anderen gemütlichen Abend mit Emma zu verbringen. Lange würde sie wahrscheinlich nicht mehr bei ihr wohnen. Wenn sie die Zeichen richtig deutete, stand bald ein Umzug an.

„Gute Idee. Aber dieses Mal koche ich. Keine Widerrede.“ Emma hatte ihren Zeigefinger erhoben und kam so Lonis Protest zuvor.

Lächelnd gab sie sich geschlagen. „Na gut, ich lasse mich von dir bekochen.“

„Ich frage noch Laurens und Jack, vielleicht haben sie auch Zeit. Das wäre doch eine schöne Runde, oder?“

„Gerne. Die zwei sind heute Abend auf jeden Fall in Mühlbach, da Jack zur Theaterprobe kommt. Das bedeutet, wir müssten auch schon gegen sechs, halb sieben essen. Um acht sollten wir im Gemeindesaal sein.“

„Alles klar. Das Essen steht pünktlich um sechs Uhr auf dem Tisch.“ Emma salutierte.

Loni lachte und strich ihrer Enkelin im Vorbeigehen über den Arm. An der Garderobe griff sie nach ihrer Daunenweste und verließ bester Stimmung das Haus.

Was für ein schöner spontaner Einfall. Ein Abendessen mit ihren beiden Enkelkindern und mit Jack, dem Lebensgefährten von Laurens. Sie war froh, die zwei wieder häufiger um sich zu haben. Emma schien es gutzutun, nach ihrer gescheiterten Beziehung, in Mühlbach neu anzufangen. Sie verstand sich blendend mit ihrem Zwillingsbruder Laurens und ihre beste Freundin Isa wohnte im Dorf. Außerdem war sie endlich ihrer Jugendliebe Hannes nähergekommen.

Laurens wohnte zwar im Ort, aber Loni hatte gedacht, dass er bald nach Koblenz ziehen würde. Doch sein Freund Jack schien Gefallen am Landleben gefunden zu haben. Er war nicht nur das neueste Mitglied ihrer Theatergruppe, sondern zeigte auch großes Interesse an Hühnern und Gartenarbeit. Nicht selten verbrachten er und Loni die Samstagnachmittage im Garten, bevor Laurens abends den Grill anschmiss und alle sich unter dem großen Apfelbaum zu einer gemütlichen Runde zusammenfanden. Loni war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie ein paar Schritte an Magdas Haus vorbeigelaufen war. Schmunzelnd machte sie kehrt und lief zu dem kleinen alten Fachwerkhaus zurück. Durch einen blühenden Bauerngarten ging sie zur Haustür. Auf ihr Klingeln hin rührte sich nichts. Loni wartete einen Moment ab und betätigte die Klingel erneut. Nein, Magda schien nicht da zu sein. Schade. Vielleicht erwischte sie sie vor der Theaterprobe für ein Gespräch unter vier Augen.

Ihren restlichen Weg durch das Dorf hatte sie schnell erledigt. Der letzte Kunde war Herbert. Als sie vor seiner Haustür stand und gerade die Hand nach der Klingel ausstreckte, hörte sie lautes Gelächter aus dem Garten. Herberts Lachen erkannte sie drei Meter gegen den Wind, doch er war nicht allein. In sein kieksendes Kichern mischte sich das melodische Lachen einer Frauenstimme. Loni zögerte. Ob er Besuch von seiner Freundin hatte? Sollte sie ihn stören oder die Eier heute Abend zur Probe mitbringen? Ganz wohl war ihr nicht. Doch jetzt war sie extra hergekommen. Sie würde die Eier abgeben und rasch wieder verschwinden. Entschlossen drückte sie den Klingelknopf und das Lachen verstummte. Kurze Zeit später steckte Herbert seinen Kopf um die Hausecke.

„Loni, du bist es! Komm rüber auf die Terrasse. Wir frühstücken gerade.“

Loni holte die Eier aus dem Korb und reckte sie ihm entgegen. „Hier, die wollte ich nur kurz vorbeibringen. Ich möchte nicht stören.“

„Du störst doch nicht. Komm, du kannst einen Kaffee mit uns trinken. Dann kann ich dir Edith vorstellen.“ Herbert drehte sich um und verschwand wieder ums Haus.

Lonis Neugier siegte und sie folgte ihm um die Ecke in den Garten. Auf der Terrasse konnte sie einen fürstlich gedeckten Frühstückstisch mit Rührei, Toast, eine Wurstplatte, die locker für vier Personen gereicht hätte, und als Krönung eine Flasche Sekt in einem Weinkühler bewundern. Am Tisch saß – in einem rosa-geblümten Morgenmantel, eine Frau Anfang fünfzig. Ihr Alter war schwer zu schätzen, denn sie war dezent, aber gekonnt geschminkt. Was in krassem Gegensatz zu ihrem Nachtwäsche-Outfit stand. Die blondierten Haare trug sie in einer aufwändigen Hochsteckfrisur. Erst jetzt fiel Loni auf, dass Herbert ebenfalls noch im Schlafanzug steckte. Hitze stieg in ihr auf und sie wäre am liebsten umgekehrt. Doch Herbert nötigte sie, sich zu setzen.

„Darf ich dir Edith vorstellen? Edith, das ist Loni, eine gute Freundin, die in unserer Theatergruppe die Rolle der Souffleuse übernommen hat.“

Edith streckte Loni die Hand mit perfekt manikürten und zartrosé lackierten Nägeln entgegen. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Herbert hat mir schon viel von der legendären Mühlbacher Theatergruppe erzählt.“

Loni ergriff die Hand. „Freut mich ebenfalls.“ Als sie Ediths Hand wieder losließ, griff Herbert danach, hauchte einen Kuss darauf und strahlte seine Partnerin an. Edith legte den Kopf schief und warf ihm einen Luftkuss zu. Loni fühlte sich unwohl angesichts dieser Zurschaustellung von Gefühlen. So kannte sie den forschen Herbert gar nicht. „Hier, deine Eier“, sagte sie schnell, um die peinliche Situation zu überspielen.

„Vielen Dank.“ Herbert nahm sie entgegen und stellte den Karton auf den Terrassentisch. „Du musst wissen, Loni liefert nicht nur wöchentlich frische Eier, sie macht auch den weltbesten Eierlikör.“

„Tatsächlich? Ich liebe Eierlikör“, sagte Edith und lächelte Loni an.

„Ich kann Ihnen gern eine Flasche machen, wenn Sie möchten.“

„Wirklich? Das wäre zauberhaft.“ Edith drehte sich zu Herbert. „Dann können wir abends als Schlummertrunk einen heißen Eierlikör trinken. Was meinst du?“

Der strahlte über das ganze Gesicht. „Eine ausgezeichnete Idee, meine Liebe.“ Er wandte sich an Loni. „Würdest du mir eine Flasche machen? Ich bezahle natürlich dafür.“

„Na klar, das mache ich gerne. Und bezahlen musst du nichts. Das geht aufs Haus. Vielleicht schaffe ich es heute Nachmittag noch, dann bringe ich sie heute Abend zur Probe mit.“

„Danke Loni. Den lassen wir uns dann nach der Probe schmecken, was Schnutziputzi?“ Falls möglich, wurde Herberts Grinsen noch strahlender.

Loni konnte gar nicht hinsehen und wandte schnell den Blick zu Edith. Diese machte einen leicht pikierten Gesichtsausdruck. Sie war doch nicht etwa eifersüchtig, weil Herbert ihren Eierlikör gelobt hatte?

„Theaterprobe? Heute Abend?“ Ediths rechte Augenbraue wanderte steil nach oben. „Da wollte ich doch mit dir nach Koblenz ins Theater!“

„Schnutziputzi, du weißt doch, dass wir dienstagabends immer Probe haben. Können wir nicht morgen ins Theater? Die Probe kann ich wirklich nicht ausfallen lassen. Ich habe doch die männliche Hauptrolle.“ Herbert sah Edith mit einem Blick an, wie ein Hund, der nach einem Leckerli bettelte.

„Morgen ist aber nicht die Premiere! Du weißt, wie wichtig mir dieser Abend ist. Ich dachte, für mich lässt du die Probe einmal ausfallen.“

Loni wand sich innerlich. Sie wollte hier weg. Das fehlte noch, dass sie Zeuge eines Streits zwischen Herbert und seiner Freundin wurde. Hastig erhob sie sich. „Entschuldigt ihr zwei. Ich muss weiter, habe noch einiges vor heute.“ Mit diesen Worten floh sie aus dem Garten, ohne eine Antwort abzuwarten. Ediths aufgebrachte Stimme verfolgte sie bis auf die Straße, wo sie aufatmend einen Moment innehielt. Sie hatte den sonst so taffen Herbert kaum wiedererkannt. In dieser Beziehung war klar, wer die Hosen anhatte. Loni war gespannt, wer den Streit für sich entschied und ob Herbert heute Abend bei der Probe erscheinen würde.

Kapitel 4

Anneliese musste sich beherrschen, um ihren Frust nicht laut hinauszubrüllen. Die heutige Probe ging ja gut los. Herbert kam fast eine halbe Stunde zu spät und verschwand direkt Richtung Toilette.

„Wenn deine neue Flamme dich davon abhält, pünktlich bei den Proben zu erscheinen, sollte ich mal ein ernstes Wörtchen mit ihr reden“, rief Jupp ihm hinterher.

Magda wurde bei diesen Worten so blass, dass Anneliese befürchtete, sie könne ohnmächtig werden. „Freundin? Welche Freundin denn?“, stammelte sie.

„Herbert hat doch seit ein paar Wochen eine Partnerin. Die, die er bei der Senioren-Partnervermittlung kennengelernt hat. Wusstest du das nicht?“ Jupp sah Magda scheinheilig an.

„Partnervermittlung?“ Magda sackte förmlich in sich zusammen.

„Ja, diese neue Agentur da, aus Simmern. Darüber hat er die Dame kennengelernt. Feines Fräulein. Ein paar Jährchen jünger als er.“ Jupp konnte es nicht lassen zu sticheln.

Auch wenn Magda Anneliese mit ihrer unterwürfigen Art manchmal auf die Nerven ging, tat sie ihr leid. Regina legte einen Arm um Magdas Schulter, doch die riss sich los und lief zur Damentoilette.

„Oje, ist die empfindlich“, versuchte Jupp, sich zu rechtfertigen, machte aber ein betroffenes Gesicht.

„Du warst auch nicht besonders feinfühlig“, wies Anneliese ihn zurecht.

„Ob ich mal nach ihr sehen soll?“ Regina wandte ihren Blick Richtung Toilette, blieb aber unschlüssig vor der Bühne stehen.

„Gib ihr ein paar Minuten“, schlug Loni vor.

„Also, ich wäre gern vor Mitternacht im Bett“, maulte Manni. „Wir haben wegen dir schon eine halbe Stunde vertrödelt.“ Er warf Herbert einen bösen Blick zu, der sich mittlerweile zu den anderen gesellt hatte.

„Ihr könnt froh sein, dass ich überhaupt hier bin“, blaffte Herbert zurück. „Ich habe Bauchschmerzen. Eigentlich gehöre ich ins Bett.“

„Beruhigt euch alle, wir sind doch zum Spaß hier.“ Julius blickte jeden einzeln an.

„Ich gehe mal gucken, wo sie bleibt.“ Regina drehte sich um und folgte ihrer Freundin auf die Toilette.

„Anneliese, Herbert fangt doch in der Zwischenzeit schon mal mit der ersten Szene im letzten Akt an“, schlug Julius vor.

Anneliese, die bereits auf der Bühne stand, winkte Herbert zu sich. Der trottete lustlos auf sie zu. „Ein bisschen mehr Elan, wenn ich bitten darf.“ Sie stellte sich in Position und begann mit ihrem Text, doch Herbert war unkonzentriert und fahrig. Anneliese hätte ihn am liebsten bei den Schultern gepackt und einmal ordentlich geschüttelt.

Nach ein paar Minuten kehrte Regina in den Gemeindesaal zurück. „Magda kommt auch gleich. Tut einfach so, als wäre nichts gewesen.“

Kurz darauf tauchte Magda mit steinerner Miene auf. „Es kann weitergehen. Erste Szene, letzter Akt, richtig?“

Nun probten sie zwar endlich, doch Magda war mit dem Kopf ganz woanders. Loni hatte ihr schon zweimal den Einsatz gegeben, doch sie starrte Anneliese an, als wisse sie nicht, wie sie auf die Bühne gekommen war.

Als Herbert Magda ihren Text zuraunte, drehte sie sich zu ihm um und giftete: „Kümmere dich gefälligst um deinen eigenen Kram. Damit scheinst du ja im Moment recht ausgelastet zu sein.“

Herbert, der solche harschen Worte von ihr nicht gewohnt war, verschlug es die Sprache.

Loni rettete die Situation, indem sie aus ihrem Souffleusenkasten heraus Magdas Satz laut sagte.

Anneliese atmete auf und ging daraufhin einfach weiter im Text.

Bevor Herbert seinen Einsatz sprechen konnte, meldete sich Jupp zu Wort: „Herbert, könntest du dich ein wenig näher zu Anneliese stellen? Und vielleicht die Gesten ein bisschen weniger ausschweifend? Du bist doch kein Hampelmann, der mit seinen Armen und Beinen schlackert.“

Herbert, der wohl immer noch baff von Magdas Zurechtweisung war, sagte gar nichts dazu, sondern sah Jupp nur fassungslos an.

Dafür brach es aus Julius heraus: „Pause!“, rief er in einer für ihn ungewohnten Lautstärke und klatschte in die Hände. Dann drehte er sich um und stapfte zum Tisch mit den Getränken.

Anneliese wunderte sich nicht, dass langsam auch Julius’ Contenance Risse bekam. Jupp und Willi hatten bei den letzten Proben fast zu jeder einzelnen Szene ihren Senf dazugegeben. Sie an Julius’ Stelle wäre schon längst explodiert, doch er schien über eine unmenschliche Selbstbeherrschung zu verfügen.

„Nun kommt schon“, rief Julius, als die anderen ihm nicht schnell genug an den Tisch folgten.

---ENDE DER LESEPROBE---